Wilhelm Heinrich Riehl
Ovid bei Hofe
Wilhelm Heinrich Riehl

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Fünftes Kapitel.

Als Friedrich Bergmann seine sechs Stunden abgesessen, schlich er ganz sacht an seine Arbeit; denn er schämte sich jetzt, unter die Leute zu gehen.

Die schöne Cornelia hatte zuzeiten seine Huldigungen freundlich hingenommen, wie die Huldigung so manches anderen. Der deutsche Maler aber begann stracks Häuser zu bauen auf die neckische Artigkeit des welschen Mädchens und dichtete sich in einen ernsten Liebesrausch hinein. Hätte Cornelia das alles genau gewußt, was das deutsche Gemüt so manchen lieben Tag Hohes und Schönes von ihr träumte, sie hätte recht herzlich gelacht. Und mit der großen Brezel hatte es Bergmann heute so ernst gemeint, daß kein Gläubiger sein Opfer mit tieferer Andacht auf dem Altare seines Gottes niederlegen kann, als der Maler seine Brezel vor den glühenden Augen seiner Göttin darzubringen gedachte.

Jetzt schämte er sich, wie gesagt, über allerlei: über sich selbst, über die Brezel, über den Arrest, am Ende gar halbbewußt über seinen ganzen Liebesrausch; denn das Gespräch mit dem Adam Happeler hatte ihn mächtig bewegt, aber wahrlich nicht erhoben, sondern herabgestimmt und einen Geist der Verneinung in ihm geweckt, daß er vor sich selbst erschrak.

So trostlos gemutet, schlich er, wie gesagt, an seine Arbeit.

Es war dies aber ein Werk ganz absonderlicher Art. Der Fürst traute unserem Maler wohl tüchtige Begabung zu, allein – denn er war ja ein deutscher Künstler – um so weniger Geschmack und Leichtigkeit in der Ausführung. Darum bewarb sich Bergmann vergeblich um die Stelle eines Hofmalers. Man trug ihm nur untergeordnete, mehr handwerksmäßige Arbeiten auf, namentlich allerlei Ornamentmalerei bei den fürstlichen Neubauten.

Nun wurde im neuen Schloßflügel ein sogenannter chinesischer Saal angelegt. Reich vergoldetes Schnitzwerk in buntesten Formen, Drachen darstellend, die in Grotten lauerten und von Baumzweigen herab drohten, und Vögel, die sich auf Pflanzenschnörkeln wiegten, reich vergoldetes Schnitzwerk der Art bildete den Fries und teilte, in zwölf breiten Stämmen zum Sockel herabsteigend, die Wandfläche des Saales in zwölf Hauptfelder. Die Felder waren mit weißgrundierter Malerleinwand überzogen, und diesen weißen Grund mußte Friedrich Bergmann durch blaue Linien in wohl anderthalbtausend kleine Gevierte abteilen, in welche er sodann ebenso viele kleine Bildchen als leicht umrissene Skizzen gleichfalls mit blauen Farben malte, wobei Landschaftliches wechselte mit Tierstücken, Stilleben, kleinen Architektur- und Genrebildchen, Karikaturen, Charakterköpfen, Masken und Arabesken.

Was nur in seinen alten Skizzenbüchern zu finden war, das stöberte Bergmann auf, um es hier noch einmal blau zu färben und die schreckliche Zahl der eintausendfünfhundert Bildchen voll zu bringen. So waren ihm denn auch die drei Gesichter des Hundeadam, die er eben erst abgerissen, ein gefundenes Essen, das er sofort an den Wänden des chinesischen Saales wieder aufzutischen begann.

Allein auch ein so bescheidenes Werk vollführte er nicht ohne die liebevolle Hingabe des Künstlers an sein Gebilde, und bald saß er ganz versunken in das wunderliche Rätselspiel dieser kühn wie im großen tragischen Stil und doch auch wieder so koboldartig gestalteten Züge vor der Leinwand.

Da griff dem in sein Werk Versunkenen plötzlich eine Hand von hinten her nach den drei Blättern mit der Bleistiftskizze.

Unmutig fuhr Bergmann auf, aber erschrocken fuhr er alsbald wieder zurück, und seine trotzige Stellung wandelte sich in eine ehrfurchtsvoll gebeugte: der Fürst stand vor ihm.

In der That, das war die Erscheinung eines Mannes, vor dem sich auch Männer beugen konnten! Eine mächtige athletische Gestalt, stand der Fürst da, fest und ruhig, recht als ein Herrscher, die Züge des großen, gleichmäßig gebauten Kopfes streng und hart, doch auch nicht ohne Milde, nicht ohne den Ton einer gewissen kräftigen Sinnlichkeit. Selbst die zu den breiten Schultern niederwallende Lockenperücke, welche eine unbedeutendere Gestalt gedrückt haben würde, erhöhte die Gravität des Ausdruckes bei diesem Jupiterkopf im Rokokostil.

Etwas zurückgelehnt, gestützt auf den wuchtigen Rohrstock mit dem dicken goldenen Knopfe, betrachtete Carolus Augustus lange und schweigend die drei Köpfe. Endlich fuhr er auf, wie aus einem Traum.

»Wer hat die Köpfe gezeichnet?«

»Ich selber, hochfürstliche Gnaden!«

»Was? Er selber? Wohl! Aber ich meine, von welchem Meister hat Er sie kopiert?«

»Es sind Originalstudien.«

Der Fürst maß den Künstler mit strengem Blick. »Bursche, täusche Er mich nicht! So skizzierte Leonardo und Michelangelo und nicht Er!«

»Dennoch muß ich Euer hochfürstlichen Gnaden zu widersprechen wagen: erst vor wenigen Stunden entwarf ich diese Köpfe. Der Beweis des Originals liegt in den Physiognomien selbst. Adam Happeler, Euer hochfürstlichen Gnaden Oberhundejunge, saß mir zum Modell, und Durchlaucht werden die Züge des Hundeadam in den Zeichnungen gewiß nicht ganz verkennen.«

Der Fürst musterte aufs neue schweigend die Köpfe.

»Und solche Gesichter kann der Hundejunge zum Modell schneiden! Morbleu! das nenne ich Virtuosität! Ich habe schon so etwas davon gehört. Einen Hofnarren, der uns durch seine komischen Fratzen ergötzt, besitze ich bereits. Den Adam sollten wir als tragischen Hofnarren anstellen. Die tragische und die komische Maske leibhaftig nebeneinander, das wäre etwas für meine Frau. Der Kerl kann ja ganze Trauerspiele in seinem Gesichte schneiden!«

»Ich glaube nicht, gnädigster Fürst,« entgegnete Bergmann schon etwas kühner, »daß er sie auf Befehl und gleichsam von Amts wegen schneiden könnte. Er hat mir die Gesichter auch nicht mit Absicht zum Modell vorgeschnitten. Er erzählte mir so mancherlei, was er erlebt, und da spiegelten sich die Affekte, welche ihn bewegt, und die seltsamen Gedanken, womit er das Geschehene in Ursache und Folge sich entziffert, im reichen Wechsel so getreu in seinen Zügen, daß ich's nicht lassen konnte, von diesen Zügen mir zu rauben, was eben der Augenblick festhalten ließ.«

»Ei, das müssen ja wunderliche Schicksale sein, Tragödien eines Hundejungen! Und Gedanken hat also der Kerl auch. Laß Er mich's hören, was Ihm der Hundejunge erzählt hat. Die Erlebnisse meiner Leute muß ich kennen und ihre Gedanken gleichfalls.«

Bergmann zauderte. Aber der Mann in ihm erhob sich, und er stellte sich aufrecht vor den Herrn. »Ich bin in Ungnaden bei Euer Durchlaucht, dennoch aber getröste ich mich, mein gnädigster Fürst werde mich's nicht entgelten lassen, wenn ich auf seinen Befehl auch nach strenger Wahrheit berichte, was mir zu berichten befohlen ward.« Und nach diesem Vorwort begann der Maler schlicht, doch freilich in geziemenderer Fassung, als es Adam gethan, die Geschichte des armen Teufels zu erzählen.

Gespannt lauschte der Fürst, häufig lächelnd, manchmal auch die Stirn runzelnd. Die drei Köpfe hielt er in der Hand, zumeist den Blick darauf geheftet, und zwischen die Erzählung warf er, die Köpfe kommentierend, gelegentliche Worte ein.

»Ah! Also da sehen wir den Kerl auf dem ersten Blatt, halb in weichem Schmerz, halb in trotzigem Unmut! – ein ehrliches Gesicht, das aber noch zum Galgengesicht werden kann! – wie er die Augenbrauen zusammenzieht – der Spitzbube! Aber nur fortgefahren! Ich nehm's nicht übel. Zeichne Er mein Konterfei nur auch so impertinent getreu, wie Er das des Adam gezeichnet hat. Er scheint mir bei meinem Gesicht den Bleistift etwas leichter zu führen. Also! fortgefahren!

– »Hm! Nun kommt das zweite Blatt. Eine lustige Fratze. Also leichtsinnig ist der Kerl geworden durch die Wohlthaten der Eudoxia! Das Gesindel ist wirklich noch zu schlecht für die Menschlichkeit – man muß es erst erziehen dafür! – mit Ruten und Skorpionen nämlich! – Aber Humor hat der Galgenstrick! – Schau ihm nur einmal einer in die Augen hinein; – ich kann ihm doch nicht ganz böse werden!

»Nun stehen wir beim letzten und eigentlich tragischen Blatt. Ist das ein Gemisch des Ausdruckes in dieser Koboldslarve! Ein Gauner ist er, ein Mensch ohne Vernunft, ohne Religion, ohne Lebensklugheit, das beweist mir diese Zeichnung. Aber nicht doch! Sehe ich sie von neuem an, dann schaut mir auch wieder ein ganz neues Gesicht entgegen. Der Mann ergrimmt ja nur über die Schmach, die man ihm und seinen Kindern anthut, er ahmt ja nur nach, was feinere Leute auch thun! Der Bursche hat Mutterwitz! – Soll mich der Koch und der Kellermeister allein bestehlen? Warum denn nicht auch der Hundejunge? Sollen die Prinzen und Kavaliere allein Komödie spielen? Warum denn nicht auch die Troßbuben? Was der Adam da von den Springbrunnen und Baracken gesagt hat, hört Er's, Bergmann, ist eine Impertinenz. Prügel hat der Taugenichts dafür verdient, und die Frechheit ist ihm auch aus diesem Bild ganz deutlich auf Nase und Stirn gezeichnet. Also ›einheizen‹ möchte mir der Hundeadam, so hat er gesagt, nicht wahr? ›Einheizen und Licht anzünden!‹ Ich soll den Hundejungen wohl gar zu meinem Minister machen! Wahrhaftig, alle Bande der Zucht und Ordnung lockern sich an diesem Hofe! Alle Bande der Zucht und Ordnung! – hat Er's gehört, Bergmann? Das gilt Ihm auch! Die Schloßordnung gehört auch zur Ordnung. Kein Wunder, daß solches Gesindel sich vermißt, uns einheizen zu wollen und Licht anzuzünden, wenn Leute wie Er am hellen Tage vor unseren Augen im Schloßhof zum Fenster einsteigen.«

Der Fürst ging eine Weile mit großen Schritten im Saale auf und ab. Dann sprach er zum Maler: »Die Köpfe des Adam, die Er da an die Wand zu malen begonnen, kratzt Er wieder weg; in meinem Festsaale will ich die Fratzen nicht sehen. Aber die Skizzen kaufe ich Ihm ab, einen Louisdor zahle ich Ihm für jedes Blatt; ich will die Blätter in meine Mappe legen, zu meinen seltenen Handzeichnungen, hört Er' s, Bergmann! zu den Handzeichnungen großer Meister!«

Der Fürst schritt von dannen.

Friedrich Bergmann warf den Pinsel weg; er konnte heute nicht mehr malen. Im wirbelnden Widerkampf der Gedanken maß er noch lange den Saal, dröhnenden Schrittes auf und nieder gehend.

Aber nicht er allein hatte solche Unruhe aus dem merkwürdigen Gespräche mitgenommen. Der Fürst befand sich in gleicher Lage. Er zog sich in die Einsamkeit seines Kabinetts zurück, – nicht in jenes niedliche, reizende Kabinett, worin er mit der Fürstin frühmorgens das »Departement des Innersten« abzumachen pflog, sondern in das einfache, schmucklose Kabinett, in welchem er dem ernsten, männlichen Werk des Regiments obzuliegen gewohnt war. Nur zwei charakteristische Dinge waren an den nüchternen Wänden dieses Zimmers zu erschauen. Ueber dem Schreibtische des Fürsten befand sich am Getäfel der Wand ein bescheidenes Schnitzwerk, das Emblem des Fürsten darstellend, umkränzt von dem damals üblichen Arabesken und Schnörkelzierat. Es war dieses Emblem aber eine Fackel, und durch die Schnörkel lief ein Spruchband, worin das erläuternde Motto eingegraben war: » Aliis inserviendo consumor «, zu deutsch: »Anderen dienend verzehre ich mich.«

Dem Schreibtisch gegenüber befand sich der Kamin und über diesem erhob sich das andere Wahrzeichen des Zimmers. Es war ein großes, in die Wand eingelassenes Familienbild, unstreitig einen der Vorfahren des Fürsten darstellend in ganzer Figur, einen Mann aus dem sechzehnten Jahrhundert, eine heldenhafte, ritterliche Gestalt, halb im Harnisch, die Hand aufs Schwert gestützt, den Kopf entblößt. Mächtig wölbte sich die Stirn, nur wenig weiße Haare noch deckten den Scheitel, ein voller schneeweißer Bart floß in zwei breiten Strömen auf den Brustharnisch herunter. Wunderbar anzuschauen aber waren die Augen dieses heldenhaften Greises. Sie sendeten einen so glühenden, durchdringenden, lebensvollen Blick unter den buschigen weißen Brauen hervor, daß es fast unheimlich war, dem alten Ritter lange Aug' in Auge zu sehen. Das Beiwerk des Bildes war mit der harten, ungefügigen Technik der alten deutschen Meister gemalt, aber beim Kopf dachte man nicht mehr an die Malerei, er lebte, er sprach zu uns, und zwar in mahnender, unheimlich ernster Rede, als ob die alte Zeit den Wechsel der Jahrhunderte überdauert habe, und vor uns träte leibhaftig, längst begraben und dennoch lebend, eine andere Zunge redend, anders denkend, anders fühlend wie wir und dennoch teilend mit uns das Ewige, gemeinsam Menschliche.

Der Fürst sah in seiner inneren Unruhe bald das Emblem mit dem Motto, bald das alte Bild nachdenklich an. Endlich sprang er auf, pflanzte sich, die beiden Hände auf den vorgestellten Stock gestützt, dem Bilde gegenüber und sprach: »Was würdest du wohl sagen, alter Herr, wenn du jetzt mitten hereinträtest in unser Treiben? Dreinschlagen würdest du – aber nein! – Was soll da Dreinschlagen helfen? Dreinschlagen gegen wen? Nein, umdrehen würdest du dich auf dem Absatz, mit Verachtung uns allen den Rücken kehren und stracks wieder heimziehen in deine Gruft, wo es dir wohnlicher dünken würde als unter diesem Geschlecht. Ja, schaue mich nur recht zornig an! Ziehe nur die Brauen recht drohend nieder! Du magst ein Recht haben zu deinem Zorn, aber wir haben auch ein Recht, zu sein, wie wir sind! Ei, wir müssen eben doch andere Leute sein, als Ihr es waret! Wir können nicht mehr in den alten Nestern wohnen, worinnen Ihr haustet, das ganze Jahr auf der Jagd liegen, in der Fehde! Fürsten müssen Pracht zeigen. Pracht kündet Macht! Ihr durftet noch zerstören; wir müssen aufbauen. Aliis inserviendo consumor! Das soll doch wohl heißen: Anderen leuchtend – nicht aber andere verbrennend – verzehre ich mich. Ich will meinem Hofprediger befehlen, daß er am nächsten Sonntag predige über den Text: ›Obrigkeiten sollen leuchtende, nicht brennende und fressende Lichter sein.‹ Aliis inserviendo consumor! – er mag sich einen Bibelvers zu dem Motto suchen. Und du sollst kommen und die Predigt mit anhören, alter drohender Stubengenosse! – Aufbauen! – Ja! – Aber das war einmal ein impertinentes Wort, was der Hundeadam vom Aufbauen gesprochen hat, von wegen der Baracken und Springbrunnen. Jetzt drohst du, alter Geselle, schon wieder und nickst. Hältst du's auch mit des Hundejungen Weisheit? – Es wird mir unheimlich, das Bild so stet anzuschauen! – War mir's doch auch schon, da mir der Maler vorhin die Historien erzählte, einen Augenblick, als sei ich der König David und er sei der Prophet Nathan, der da spricht vom reichen Mann, welcher das Schäflein des armen Mannes nimmt zu seinem Gelage – –! Aber wer soll der arme Mann sein? Die Leute, die in den Baracken wohnen, die das Trinkwasser draußen am Felsenquell holen? Und ich soll der reiche Mann sein? Da sprach Nathan zum Könige: ›Du bist der Mann!‹ – Ja; so heißt es in der Schrift.«

Der Fürst hielt den Blick vom Bilde abgewandt.

Aber bald schaute er wieder auf und lächelte dem greisen Rittersmann zu. »Wir sind immer gute Kameraden gewesen, Alter, wir wollen's auch fürder bleiben. Schon als kleiner Knabe verkehrte ich gerne mit dir, fürchtete mich bald vor deinem Blick, bald sah ich dir stolz ins Auge. Dein Gesicht ist mir wie das eines lebenden Freundes geworden. Oft wachtest du über mir. Oft, wenn ich in schweigender Mitternacht hier einsam bei heißer Arbeit saß, schaute ich zu dir auf und holte mir frischen Mut aus deinen ehernen, weisheitsvollen Zügen. Mein treuester Hausfreund bist du, mein ältester Jugendfreund. Und doch weiß ich nicht, was diese Stirne für Gedanken barg, was für ein Herz geschlagen unter diesem Harnisch, welche Freuden, welche Leiden einst die Seele bewegt, die so stolz aus diesen Augen blitzt! Ich weiß nicht einmal, wie du geheißen, wer du eigentlich warst! – Wie? Bist du nicht einer meiner Vorfahren? Aber welcher? Das weiß ich nicht. Niemand weiß es mehr. Ein alter Kavalier, der in den Chroniken und Stammbäumen wühlte und in meinen jungen Jahren gestorben ist, soll es noch gewußt haben; mit ihm ist die Kunde begraben worden.«

Niemals war es dem Fürsten bis dahin in den Sinn gekommen, daß es doch schmachvoll gewesen, jede Familienüberlieferung von diesem merkwürdigen Bilde untergehen zu lassen. Denn was kümmerten sich die Höfe jener Zeit um die finstere Vergangenheit? Sie lebten um so lustiger in der sonnigen Gegenwart. Jetzt fiel ihm jener Gedanke zum erstenmal heiß in die Seele. Und es war ihm, als müsse sich rächen die Verachtung der Vergangenheit an dem gegenwärtigen Geschlecht durch schwere Stürme der Zukunft. Und wenn er dann gedachte an sein Regiment und seinen Hof, an die Prachtbauten, die Hofkomödien und Hoffeste, dann war es ihm, als könne auch er die philosophische Zwiesprach des Malers mit dem Hundejungen auf sich beziehen und der Moral von der Unschuld in der Schuld eine Deutung geben auf alles Fürstenregiment seiner Zeitgenossen.

In diesen Gedanken ward er durch die Meldung gestört, daß der junge Franz Lämml, des Hofkapellmeisters Sohn, auf hochfürstlichen Befehl erschienen sei und im Vorzimmer warte.

Der Fürst fuhr wie aus einem Traume. Peinliche, fast beschämende Erinnerungen knüpften sich ihm an diese Meldung. Pyramus und Thisbe! Richtig, über Pyramus und Thisbe hatte er Rücksprache nehmen wollen mit dem jungen Poeten und Sänger. Er hatte ja seiner Gemahlin versprochen, mitzuspielen in der neuen Oper. Eben wollte er sich's angesichts des alten namenlosen Ritters zuschwören, ein neues Leben zu beginnen im Regiment wie bei Hofe. Da mahnt ihn der fatale Name des Franz Lämml, daß er vorerst noch einen anderen Schwur erfüllen und selber Komödie spielen müsse. Er wollte den Sänger jetzt nicht annehmen. Doch nein! Er soll kommen. Denn es wäre doch nur Furcht des Fürsten vor sich selbst gewesen, vor seinem Selbst von heute morgen, mit dem jungen Mann zugleich die böse Mahnung zurückzuweisen.

Lange dauerte die Unterredung mit Franz Lämml. Sie mußte seltsame Uebergänge und zugleich seltsame Enthüllungen mit sich gebracht haben, denn als der Sänger wieder entlassen wurde, war der Fürst in ganz veränderter Stimmung. Er war fast lustig geworden. »Da heißt es wohl, anderen dienend verzehre ich mich!« sprach er zu sich selber. »Jeder, der da kommt, begehrt einen Dienst von mir. Ich will mit diesem aalglatten jungen Menschen über Pyramus und Thisbe sprechen; er aber wendet und dreht sich, bis er mir zuletzt statt der Exposition der Oper die Exposition einer Liebeskomödie gegeben hat, die er selber mit der schönen Cornelia spielt. Da sind nun alle Knoten geschlungen, hinlänglich verwickelt, nur die Lösung fehlt noch. Sie soll heute abend erfolgen. Aber wer dazu helfen muß, das soll – der Fürst selber sein! Im Namen aller Liebesheiligen und Liebesgötter beschwört mich der Bursche darum. Ist unser Hof denn ganz zu einem Minnehof geworden? Wie der alte Graubart über dem Kamin so finster dreinblickt! Aber diesmal noch vergib, alter Freund! Diesmal noch muß ich Komödie spielen – zum ersten und letztenmal! Aber Pyramus und Thisbe? – –«

Wie eine Eingebung schien plötzlich ein Gedanke den Fürsten zu durchzucken. Er spinnt ihn aus; er sinnt und sinnt; ein Plan scheint ihm aufzugehen; Ja, jetzt hat er ihn fest gepackt, klar zurecht gelegt; er reibt sich vergnüglich die Hände und lacht laut auf. Dann spricht er gegen den eisbärtigen Ritter gewandt: »Alles spielt Komödie an diesem Hofe, und jeder begehrt, daß ich mitspiele. Ja, mancher meint wohl gar, er könne Komödie mit mir spielen; ich aber will ihnen zeigen, daß der Fürst allerdings Komödie spielen kann, daß er es dann aber ist, der nicht euer aller Komödiant wird, sondern der euch alle gebraucht, daß ihr seine Komödianten seid. Eudoxia glaubt die Fäden in der Hand zu haben, der Kapellmeister glaubt, sein Sohn glaubt, daß sie wiederum die Drähte ihres Puppenspieles dirigierten, der Italiener glaubt dasselbe von sich; ihr alle aber sollt euch betrogen haben: der eigentliche Meister des Theaters bin ich, alle Drähte laufen in meiner Hand zusammen, und wer zuletzt lacht und das letzte Wort hat, das ist der Fürst! Nur zwei Leute von diesem Hofe haben, wie mir deucht, keine Komödie mit mir spielen wollen: der Hundejunge und der Maler. Aber dann will ich wenigstens Komödie mit ihnen spielen: sie müssen auch noch untergebracht werden im Ensemble von Pyramus und Thisbe. Alter Ritter und Freund, Wächter des Kamins, du sollst heute abend mit mir zufrieden sein!«

Der Fürst klingelte. »Man entbiete sogleich den Maler Friedrich Bergmann zu mir!«

Der Gerufene erschien nach kurzer Frist.

Es lag aber das Kabinett des Fürsten zu ebener Erde, und die geöffneten Fenster gingen auf den Schloßgarten, wo eben Fürstin Eudoxia mit ihrer Oberhofmeisterin lustwandelte.

Da sprach der Fürst zu dem eintretenden Maler recht laut, daß es die Damen draußen hören mußten: »Wir machen eine neue Oper, Bergmann, Pyramus und Thisbe, und ich selber will in dem Stück mit spielen. Da muß ich nun mit Ihm eine umständliche Beratung pflegen über das Kostüm,« – und er wiederholte mit erhobener Stimme, gegen den Garten gewendet: »über das Kostüm, Bergmann, denn das versteht ihr Maler doch wohl am besten.«


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