Wilhelm Heinrich Riehl
Ovid bei Hofe
Wilhelm Heinrich Riehl

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Zweites Kapitel.

Da lag sie, die ungeheure, blumengeschmückte Brezel, das Meisterstück der Bäckerkunst, auf dem Diebswege durchs Fenster hereingebracht, noch von niemanden im Hause gesehen, verlassen in dem Zimmer der schönen Cornelia, der Tochter des italienischen Sängers. Friedrich Bergmann, der mit diesem landesüblichen Geburtstagsgeschenk einen entscheidenden Sturm auf die Liebesgunst der Göttin dieser Räume hatte ausführen wollen, war davongeschlichen zum Arrest wie ein ertappter Dieb, so nahe dem Gipfel und so grausam in die Tiefe geschleudert!

Die Thür öffnet sich und hereingeschlichen kommt ein zierlicher, spargelhaft lang aufgeschossener junger Mann, fein geputzt mit Schnallenschuhen und seidenen Strümpfen und himmelblauen Kniebändern und einem rotbraunen Samtrock, der für den Fürsten selber nicht zu schlecht gewesen wäre. Erstaunt betrachtet er die einsame Brezel. Also war er heute nicht der erste Gratulant auf dem Platze? Was will der niedliche Blumenstrauß, den er in Händen trägt, gegen diese Kränze, gegen diese ungeheure Brezel! Die Brezel weckt seine Eifersucht. Nur ein Liebhaber kann eine so große Brezel backen lassen. Aber Cornelia soll es ihm büßen, dem glücklichen Anbeter, der sich bis zu dieser Stunde, da er die ungeheure Brezel erblickt, für den einzigen hielt – –

Doch stille! Es naht ihr leichter, schwebender Tritt, und der Gratulant pflanzt sich, sein Spruchlein rüstend, mit dem niedlichen Strauß neben die ungeheure Brezel.

Cornelia tritt ein, schön wie dieser schönste Maimorgen des lustigen Jahres 1724.

Es war ein Doppelgeburtstag, und die beiden Liebenden – wir dürfen sie wohl so nennen trotz Friedrich Bergmann und seiner großen Brezel – tauschten gegeneinander Sträuße und Glückwünsche und Küsse aus. Wie sollten sie nicht füreinander bestimmt sein, wo sie an demselben Tage im Mai das Licht dieser schönen Welt erblickt!

Cornelia muß unbändig lachen über die ungeheure bekränzte Brezel. Aber sie ist zugleich gerührt, gerührt, daß ihr Franz, der erst seit einigen Monaten aus Wien nach dieser Gegend gekommen (denn der zierliche Bursche ist niemand anders als jener Sohn des Hofkapellmeisters Lämml, der Tausendkünstler, von welchem die Fürstin gesprochen) – diese Landessitte der großen Geburtstagsbrezeln bereits erkundet und ihr die größte Brezel, die gewiß seit Menschengedenken in der Stadt gebacken wurde, gewidmet hat.

Franz weist anfangs den Dank zurück. Aber er besinnt sich. Ja, sie soll es ihm büßen, daß sie noch einen anderen Anbeter hat, der so große Brezeln backen läßt, und betrogen werden soll auch dieser andere – am Ende gar der Sohn des Hofbäckers! – und also nimmt Franz den Dank für die Brezel huldvoll entgegen, und wie zum Liebeszeichen verzehrt das anmutige Paar den Anschnitt von der ungeheuren köstlichen Brezel gemeinsam.

Armer Friedrich Bergmann! Indes du nun im Gefängnisse brummst, schwelgt solchergestalt dieser leichtfertige Wiener buchstäblich wie bildlich in aller Süßigkeit deiner ungeheuren Brezel.

Begeistert durch den Anschnitt der Brezel und den Humor, den jedes für sich in dem köstlichen großen Backwerk fand, wurden die beiden Liebenden zu einem neckischen Spiel der Laune hingerissen, welches sie in letzter Zeit öfters geübt, – sie machten nämlich gemeinsam Verse, gleichsam im Duett.

Es hatte damit aber eine eigene Bewandtnis.

Franz dichtete den Text zu Pyramus und Thisbe, der Oper mit dem heiteren Schluß. Er hatte mit diesem Liebesdienst seinen Vater aus einer Hölle erlöst, und der Alte wollte den Sohn seit gestern abend, wo er die kühne Wendung zum glücklichen Ausgang der Oper aufgespürt, in Gold fassen. Pyramus hat den blutigen Schleier der Thisbe gefunden, der Löwin Fußstapfen im Sande entdeckt, zieht sein Schwert, um sich zu ermorden, singt aber vorher noch mit gezogenem Schwerte eine tragische Arie. Da hört ihn Thisbe, stürzt herbei – und alles weitere macht sich von selber.

Diesen Text nun dichteten Franz und Cornelia, in anmutigem Spiele improvisierend, gemeinsam. Denn, Cornelia, obgleich in Deutschland geboren und das Deutsche als ihre zweite Muttersprache redend, hatte doch noch von ihren Eltern die nationale Gabe der Improvisation ererbt, und die Stegreifverse flossen ihr so zierlich und manierlich von den Lippen, daß der gewandte junge Poet und Sänger oft kaum gleichen Schritt halten konnte.

Nach den ersten Liebesscenen zwischen Pyramus und Thisbe, die auf beiden Seiten der trennenden Wand durch den Ritz abgesungen werden müssen, erscheint laut Vorschrift der Fürstin Eudoxia das Ballett, um einen Menuett zu tanzen. Während aber die Damen und Herren vom Hofe im Stücke selber singen, sollen die Hofsänger singend eintreten bei diesen Intermezzos des Balletts, welche allegorisch den Inhalt der vorangegangenen dramatischen Scene darstellen.

Was soll man aber zu einem Menuett singen?

Es bedurfte in der That der ganzen Inspiration der großen Brezel, um diese Frage zu lösen.

Aber Cornelia weiß flinken Rat. »Wir singen einen Wechselgesang über den Menuett, vom Menuett. Die Liebesscene ging vorher. Der Menuett ist der Tanz der Liebe –  –«

»Halt ein!« rief Franz, »schon strömen die Verse mir zu. Also:

Menuetto.
        Es hat den Menuett Gott Amor selbst erfunden:
Ihn tanze, was sich liebt! Mit gravität'schem Gang
Erscheint Frau Musika; doch weicher Liebessang
Ist wie ein Rosenkranz um ihr Gewand gewunden:
Prächtig und stolz zu sein, naiv und doch kokett,
Lüstern und spröd zugleich; das lehrt der Menuett.«

»Nun komme ich!« rief Cornelia und begann zu den Worten auch sogleich eine zierliche Menuettweise mit glockenheller Stimme zu improvisieren:

Trio.
        »Das macht, es hat der Schalk, der lose Gott der Liebe,
Verteilt im Menuett des Manns, des Weibes Triebe.
Züchtig naiv sind wir, verbuhlt die Männer nur:
Drum klingt im Menuett so doppelte Natur.«

Und wie Schlag auf Schlag fiel jetzt wieder Franz ein und sang, zugleich die von Cornelia begonnene Melodie fortführend:

        »Das laß ich gelten dir, o holde Göttin mein,
Ist gleich verbuhlte Art nicht Männer Art allein:
Doch teilt der Menuett des Manns, des Weibes Triebe,
So einigt er sie auch im Grundaccord der Liebe:
Drum tanzt ein liebend Paar Menuett, so sei zum Schluß
Die rechte Hauptkadenz – ein ganz verstohlner Kuß!«

Bei den letzten Versen war der Gesang in ein Parlando, bei den letzten Worten in rasches Sprechen übergegangen, und ehe Cornelia sich's versah, war der Kuß geraubt.

Es trat eine lange Pause ein. Die Liebenden saßen wie verklärt vor der großen Brezel. Der Schlag der Vögel klang so hell von den Bäumen des Schloßgartens herüber; – o das war ein köstlicher Augenblick. Nur der arme Friedrich Bergmann, der diese Begeisterung doch auch wider Willen mit hatte entzünden helfen, brummte im Arrest und hatte eben wohl nicht das rechte Maibewußtsein.

Wie aus einem Traume erwachend, sprang plötzlich Franz auf. »Leichtsinnige Kinder, die wir sind! So machen wir harmlos eine Komödie in Versen, indes wir beide selber mitten drein sitzen in einer Komödie, in dem verwickeltsten Intriguenstück, das sich jemals in den Räumen dieses Schlosses abspielte. Pyramus und Thisbe! – Sind wir selber nicht auch Pyramus und Thisbe? Erst wollen wir die Gefahren unserer eigenen Liebe in Verse bringen und in Noten setzen, ehe wir an die Liebesabenteuer längst begrabener Helden denken.«

»O stille davon!« rief Cornelia leichtmütig. »Lassen wir unser Schicksal rollen, wie es rollt, gedankenlos spielend, scherzend, dem Augenblick hingegeben, und eine unbekannte Hand möge die Zügel lenken.«

»Aber der Augenblick gerade ist ja so fastnachtstoll, so köstlich, daß man ihn festhalten, in langsam bedachten Zügen schlürfen und genießen muß!« entgegnete Franz. »Unsere Väter hassen sich wie Spinne und Kröte. Und dennoch brauchen wir nicht durch den Ritz in der Wand Duett zu singen wie Pyramus und Thisbe. Nein, wir singen und sprechen hier am hellen Tage in deines Vaters Wohnung ganz laut und offen. Dein Vater hört den Ton meiner Stimme arglos, nebenan in seinem Zimmer. Nur weiß er nicht, daß ich Ich bin. Er schmeichelt mir, weiht mich ein in alle Geheimnisse seiner Gesangkunst, hegt mich wie einen Sohn in seinem Hause, mich eine Maske, den Sänger Anton Howora aus Böhmen, und wenn er ahnte, daß ich auch nur ein Stück von dem Sohne des Ignaz Lämml sei – – o, es wäre eine höchst lustige und eine höchst traurige Geschichte, wie er mich dann stracks zum Teufel jagen würde!«

»Doch jeder Besuch, der hier eintritt, dich erkennt, bei deinem wahren Namen begrüßt, kann unser Lustspiel in ein thränenreiches Drama verwandeln! Noch begreife ich nicht, Franz, wie es dir gelang, die Maske volle zwei Monate zu bewahren.«

»Ihr Kleinstädter begreift das freilich nicht,« sprach Franz mit selbstgefälligem Lächeln. »In Wien lernt man dergleichen Dinge, besonders beim Theater. Als ich die lustige Kaiserstadt verließ, da dachte ich, das einförmigste Leben, gehüllt in den Nebel unendlicher Langweiligkeit, erwarte mich hier. Ich kam mir vor, wie einer, der in die Verbannung reist, etwa wie unser Freund Ovidius, als er nach dem Schwarzen Meer gesegelt ist. Tristien nur fürchtete ich hier singen zu können, Klagelieder und jammervolle ›Briefe vom Pontus‹ zu schreiben an die tollen Genossen meines Wiener Lebens, und statt dessen mache ich Metamorphosen, höchst abenteuerlich ergötzliche Verwandlungen, seit den ersten Tagen, in welchen ich den Fuß in dieses verzauberte Städtchen gesetzt! Gleich die erste Verwandlung betrifft mich selbst. Ich höre von dem Ruf des großen Gesangsmeisters Dal Segno. Ei, da gäbe es wohl eine schöne Gelegenheit, ihm einige von den Geheimnissen seiner Kunst abzulauschen, meinen Studien hier einen letzten glänzenden Schliff zu geben. Ganz arglos lege ich meinem Vater den Wunsch vor, noch ein wenig Schule bei Dal Segno zu machen. Ich erwog nicht, daß zwei so eigensinnige Tonmeister unter dem Dache desselben Schlosses ja naturgemäß gar nicht anders als in grimmigster Feindschaft leben können. Mit Zorn und Hohn verweist mir mein Vater dieses hochverräterische Ansinnen. Eigensinn zeugt Eigensinn. Nun will ich erst recht Dal Segnos Schüler sein –«

»Und da kommt,« so fiel ihm Cornelia schalkhaft in die Rede, »eines Tages ein fremder Bursche in unser Haus, der sich Anton Howora nennt, aus Prag in Böhmen, und trillert dem Vater so perlende Kadenzen vor, daß der spröde Lehrer von glühender Begierde entzündet wird, einen solchen Sänger seinen Schüler nennen zu dürfen.«

»Willst du schweigen, Spötterin! – Das ist nun meine erste Verwandlung. Die zweite wuchs aus derselben hervor; aber sie war gar viel schwieriger. Denn zuerst hatte ich nur meinen Namen verwandeln müssen; jetzt aber mußte ich mich selbst verwandeln. Ich durfte nicht aus meinen vier Pfählen herausgehen, an keinem öffentlichen Orte mich zeigen, keine Besuche machen, keine Bekanntschaft anknüpfen. Denn wie hätte ich sonst meine Doppelrolle auch nur drei Tage spielen können in diesem kleinen Nest, in diesem neugierigen Schlosse, wo der Fürst selbst sich an jedem Morgen die Thorzettel vorlegen läßt, damit er jede Mücke kennt, die in seine Residenz aus oder ein geflogen ist! Wenn's stürmt und regnet, daß man keinen Hund vor die Thür jagt, dann gehe ich spazieren; in stichdunkler Nacht schaue ich mir das Innere der Stadt an und die neuen Prachtbauten des Fürsten. Nur zur Mittagessensstunde, wenn alle ordentlichen Bürger bei Tische sitzen, wage ich einmal über die Straße zu schlüpfen und verhülle mir dann das Gesicht (das ich sonst so gern recht offen zur Schau trug), als hätte ich Zahnweh –«

»Und dennoch,« unterbrach Cornelia, »würde deine Verwandlung nicht lange Stich gehalten haben, wenn mein Vater nicht ganz außer der Welt lebte, begraben in den Wust seiner Noten und Instrumente, wenn er nur ein klein wenig neugieriger wäre –«

»Etwa so neugierig wie seine Tochter Cornelia,« fiel Franz ein. »Denn die witterte alsbald etwas von der Metamorphose. Ja, Cornelia, und hättest du nichts davon gewittert und hättest mir nicht einen Zauber angethan, ich würde den Anton Howora selber bald wieder nach Böhmen heimgeschickt haben. Und gälte es die Triller des Orpheus und die Koloraturen des Arion zu erlauschen, so wäre es doch mit dieser Verwandlung auf die Dauer zu teuer bezahlt gewesen. Denn indem ich der größte Sänger geworden, wäre ich zugleich vor Langweile gestorben. Ein mächtiger Gott mag Apoll sein, doch mächtiger noch ist Amor. Da sitze ich nun zu Hause, studiere wie ein Narr, nur um nicht unter die Leute gehen zu müssen, – studiere mich, ohne es selbst recht ernstlich zu wollen, zum größten Sänger, bloß um einer Liebeskomödie willen – wahrlich, Cornelia, als Leander den Hellespont durchschwamm, zeigte er nicht größeren Liebesmut. Und dennoch werde ich bereits hier und dort erkannt in der Stadt. Nicht lange mehr hält das Spinngewebe unseres Geheimnisses. Wir müssen auf neue Verwandlung sinnen. Denn das schwöre ich dir bei dieser großen Brezel und bei meiner noch viel größeren Liebe, mein Vater, der gutmütigste Mann, wäre unversöhnlich, wenn er hinter solchen Betrug käme. Wenn ich mir dächte, daß er jemals einen Fuß in diese Wohnung setzen könnte, dächte, daß er hier seinen Sohn überraschte als Schüler seines Todfeindes, in verliebter Zwiesprach mit seines Todfeindes Tochter, wenn ich mir vorstelle das Entsetzen, die Wut in den Zügen des dicken gutmütigen Mannes – –! ein Schlaganfall wäre bei seiner Korpulenz – – –«


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