Wilhelm Heinrich Riehl
Ovid bei Hofe
Wilhelm Heinrich Riehl

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Viertes Kapitel.

Wir kehren zurück zu dem Maler Friedrich Bergmann, um ihn in seinen Arrest zu begleiten.

Solcher Arrest war aber zu selbigen Zeiten bei der Hofdienerschaft etwas Alltägliches und so wenig ehrenrührig als Festungsarrest bei den Offizieren. Der Schloßturm war zu dem Ende mit Arreststuben von dreierlei Art versehen. In der untersten büßten die Hausknechte, Stubenheizer und Lampenanzünder ihre Disziplinarvergehen, in der zweiten die Bedienten und Lakaien, in der obersten die Hofoffizianten. Obgleich nun Bergmann eigentlich gar nicht zu den Hofdienern gehörte, sondern nur zeitweilig im Auftrage des Fürsten malte, so war der Schließer doch so artig, ihn aus Rücksicht auf seine Künstlerschaft in das »Offiziantenprison«, wie er's nannte, sperren zu wollen. Häufig fand sich dort recht gute Gesellschaft zusammen; heute aber stand das behaglich eingerichtete Zimmer noch ganz leer.

»Ich will Menschen sehen! Ich kann nicht allein sein!« rief der Maler in wildem Unmut. »Guter Freund, führe Er mich ins Lakaienprison.«

Allein auch das Lakaienprison stand leer, nicht weil es an Sündern gemangelt hätte, sondern der Hoffourier, der Meister der Lakaien, war heute gerade bei Laune gewesen, summarisch zu verfahren und hatte die Lakaien, welche sich im Dienste verfehlt, bloß durchgeprügelt mit dem großen Amtsstock, der dazumal noch Scepter und Schwert zugleich in seiner Hand war, indes er gegenwärtig zum bloßen Scepter sich vereinfacht hat.

Aber im Hausknechtsprison war Gesellschaft zu finden, schlechte Gesellschaft freilich, wie der Schließer meinte; nämlich der Hundejunge, der alte Adam Happeler, kurzweg der Hundeadam genannt.

»So führt mich zum Hundeadam!« rief Bergmann, und der Schließer willfahrte kopfschüttelnd.

Adam schien sehr unempfindlich zu sein gegen die Ehre, welche ihm durch den Besuch des Künstlers widerfuhr. Ohne dessen Gruß zu erwidern, glotzte er ihn großaugig an, und als Bergmann ihn durch ein paar freundliche Worte aufzurütteln suchte, verzog er, immer noch schweigend, seine Gesichtsmuskeln zu dem Grinsen eines vollendeten Affenkopfes.

Es war aber der Hundeadam berühmt, ja sprichwörtlich in der ganzen Gegend wegen seines Gesichterschneidens, denn nicht bloß unwillkürlich kam es ihm zuweilen an, sondern er konnte seine Züge zu beliebigem Ausdruck auch frei gestalten, mit der Virtuosität eines großen Schauspielers.

Bergmann, der bisher lediglich in seinen Unmut versunken war, fühlte sich gerührt durch das Schweigen und die hieroglyphische Freundlichkeit im Gesichte des armen Teufels. Und wie ein erwärmender Sonnenstrahl fiel plötzlich der Gedanke in seine trübe Seele, sich recht menschlich und brüderlich dem verachteten Hundeadam zu nähern, ihn in Wohlwollen zu sich heranzuziehen und, indem er Erquickung einer anderen Seele bereite, den Frieden in die eigene Brust zurückzuführen.

Der milden, schonenden Teilnahme des Malers konnte Adam in der That nicht lange widerstehen. Sein Grinsen wandelte sich in ein Schmunzeln und behagliches Lächeln. Er taute auf. Und ehe eine halbe Stunde vergangen war, hatte der Maler ein gemütliches Gespräch in Fluß gebracht.

So waren sie bald zu dem nächstliegenden Gegenstand gekommen, den zwei Arrestanten miteinander zu erörtern pflegen: zu dem Anlaß ihrer Einsperrung. »Keinem anderen Menschen würde ich beichten,« sprach Adam, »aber Euch, Herr Bergmann, beichte ich so gern wie ein Römischer einem Kapuziner; denn das soll Euch ewig gedankt sein, daß Ihr Euch so freundlich gemein macht mit mir. Halb bin ich mit Schuld hierher gekommen, halb mit Unschuld. Wenn ich das nur den Leuten verdeutschen könnte!«

»In jeder Schuld des Menschen steckt allezeit auch Unschuld, Adam,« sprach Bergmann ernst vor sich hin, »niemals ist der ärgste Bösewicht ganz schuldig, so gut wie auch der Reinste niemals ganz schuldlos ist. Die Weisesten aber mühen sich vergebens, dieses Rätsel zu verdeutschen, darum tröstet Euch, Adam, wenn Ihr es auch nicht könnt.«

»Gut! So will ich Euch denn erzählen von der Schuld in meiner Unschuld, wie Ihr's nennt, und von der Schuldlosigkeit in meinen Sünden. Aber da muß ich von vorne anfangen.«

Bei diesen Worten kroch der Hundeadam aus der dunklen Ecke hervor, wo er bisher gekauert. Das helle Licht fiel auf seine scharfen fleischlosen Züge, die man je nach Umständen für die Züge eines großen Genies, eines großen Verbrechers oder eines großen Narren halten konnte.

Er begann.

»Vor vier Jahren noch war ich ein Fuhrmann, ein armer Fuhrmann, aber doch mein eigener Herr und hatte immer Brot über Nacht im Haus. Ich hatte ein Pferd, damit fuhr ich Holz und Steine zu den fürstlichen Bauten und leistete Vorspann; das Pferd ernährte mich. Ihr kennt den schlechten, steilen Weg an der Schellenwiese? Wohl! Dort fuhren wir eines Tages Holz, während der Fürst gerade mit seinem italienischen Baumeister auf dem Felsvorsprunge neben dem Wege stand, um den lustigsten Platz für das neue Jagdschloß auszusuchen. Zwei tüchtige Rappen waren vor unseren Holzwagen gespannt, mein Pferd ging voran als Vorspannpferd, müßig im Augenblicke; denn wir fuhren den Berg hinunter. Da können die Deichselpferde inmitten des furchtbar steilen Abhanges den Wagen nicht länger einhalten. Erst rollt er eine Strecke vorwärts. Dann wird er durch einen mächtigen Buckel des Weges plötzlich im jählingen Hinabschießen seitwärts geschleudert, und in allen Fugen krachend stürzt er wider den steilen Rain zusammen. Mein Pferd hatte zurückgescheut, so war es zwischen den Rain und den Wagen gekommen und von dessen gewaltiger Wucht auf der Stelle erdrückt worden – – Aber was macht Ihr denn, Herr Maler? Schreibt Ihr Protokoll von meiner Geschichte? Dann erzähle ich kein Wort weiter!«

»Nicht doch, Adam. Ich bin kein Schreiber, sondern ein Maler, und nur dein Gesicht möchte ich ein wenig zu Protokoll nehmen.« Bei diesen Worten zeigte Bergmann dem Happeler sein Skizzenbuch, in welchem er eben die ersten Umrisse von dessen Gesicht zu zeichnen begonnen hatte. Denn der Erzähler hatte seine Geschichte mit einem so lebendigen und charaktervollen Mienenspiel begleitet, daß der Maler sich nicht enthalten konnte, zum Bleistift zu greifen, damit er eines oder das andere der berühmten Gesichter des Hundeadam erhaschen möge.

»Also mein armer Fuchs war zerschmettert! Und da stand ich nun händeringend, und das Blut stieg mir in den Kopf vor unbändigem Schmerz, und ich konnte kein Wort reden, als daß ich zum öfteren gen Himmel rief: ›O, du lieber Herrgott, was habe ich wider dich gesündigt, daß mich deine Hand so schwer trifft!‹ Die beiden Deichselpferde, losgeschirrt, gleichfalls hart beschädigt, steckten in der stummen Trauer, womit diese sprachlosen Tiere dem Menschen das Herz bewegen, die tief herabhängenden Köpfe zusammen und beschnupperten sich gegenseitig. Wahrhaftig, diese zwei Gäule waren die einzigen zwei Kreaturen, welche im Augenblick noch menschlich mit mir zu fühlen schienen. Denn die anderen Fuhrleute fluchten; der Fürst aber kam herzu und drückte mir zwei blanke Gulden in die Hand und ging wieder weiter, um sich einen lustigen Platz für sein neues Jagdschloß zu suchen. Ich nahm aber die fürstlichen zwei Gulden gedankenlos hin; denn meine Sinne waren bei den zwei Gäulen, die sich und mich so mitleidig und betrüblich anschauten, als den einzigen menschlichen Kreaturen, die außer mir auf dem Platze waren!

»Jetzt also war ich ein armer Mann geworden: das Pferd war ja mein Vermögen gewesen. Arm ohne meine Schuld. Die zwei Gulden des Fürsten aber brachten mir die Sünde zum Elend. Ich hatte sonst immer geglaubt, der Fürst sei ein Mann wie der liebe Gott, und wo er zugegen, da werde er alsbald alles Leid in Freude verwandeln. Und nun waren die zwei Gäule die einzigen mitfühlenden Kreaturen auf einem Platze gewesen, wo auch der Fürst zugegen war! Ich ergrimmte über die zwei Gulden, für die ich mein Leid nicht in Freude wandeln und mir kein neues Pferd kaufen konnte, und dachte Dingen nach, denen ich niemals nachgedacht. Zum Exempel: warum der Fürst nicht lieber den sündlich schlechten Weg bessern lasse, statt sich zu sechs Jagdschlössern noch das siebente zu bauen. Trotzig ward ich im Gemüt, und weil ich trotzig war, kam der Fluch über meine Armut. Unverschuldet war ich arm geworden, und doch kam die Sünde über mich, weil ich arm war. Das weiß nur Gott zu reimen. Hätte mir der Fürst nicht die zwei Gulden gegeben und mit den zwei Gulden den Teufel des Trotzes und des Unmutes, so hätte ich im Segen einer schuldlosen Armut weitergelebt und gewiß wieder bessere Tage gesehen. So aber kam ich immer tiefer ins Elend und durchs Elend in die Sünde. Ich will Euch an einem Beispiel zeigen, wie ich's allgemach in selbiger Zeit trieb. An einem Herbstabend gehe ich den Fluß entlang gegen den Wald zu, in der Tasche aber hatte ich zweierlei Schlingen, von starkem Draht und von Roßhaar – Ihr wißt schon wozu! – nicht um Spatzen zu fangen! Wie ich nun so an dem milden Abend durch das stille Thal gehe, da wird mir's ganz fromm zu Mut, und ist mir, als ginge ein Engel Gottes neben mir, daß ich eben in die Tasche greifen und die verteufelten Schlingen in den Fluß schleudern will. Da höre ich die Tafelmusik fernher aus dem fürstlichen Schloß erklingen, Pauken und Trompeten, Flöten und Hoboen in jubelndem Wettgesang! Und auch vom anderen Ufer herüber erschallte Musik, eine Geige und eine Pfeife, und ich sah, wie drüben auf der Wiese die Bauernbursche mit ihren Mädeln tanzten, und hörte sie manchmal mit heller Stimme singen. Vor dem Unglück hatte ich auch mitgetanzt. Da ging mir die Seele über aus dem stillen Frieden bald in verbissenen Unmut, bald in weichen Trübsinn, daß ich that, was ich seit meiner Mutter Tode nicht gethan, daß ich anfing zu greinen. Aber die Schlingen behielt ich nun vorerst doch in der Tasche.

»Nun kam ich in den Wald. Da warf ich mich auf den Boden und las mir Bucheckern zusammen zum schmalen Abendbrote; denn der Hunger biß mich sehr. Es kam aber ein Mann des Weges, ein reicher Hofbauer, der sah meine traurige Gestalt und meine elende Mahlzeit und sprach: ›Freund, Ihr müsset wohl ein gar armer Mann sein, daß Ihr so zerlumpt hier sitzet und die Bucheckern speiset, welche Euch die Eichhörnchen übrig gelassen!‹ Und er legte mir ein paar Kreuzer in den Schoß des Kittels. Da starrte ich ihn an und räsonnierte inwendig: ›Bin ich denn nun ganz ein Bettelmann? – Hätte mir der Fürst die zwei Gulden gegeben mit solchen Worten wie der Bauer die zwei Kreuzer, ich wäre kein Bettelmann geworden!‹ Und nun zog ich die Drahtschlingen aus der Tasche und legte sie an den Waldsaum, wo die Hasen und Rehe ihren Wechsel haben, wenn sie über Nacht aus den Forsten ins Kraut gehen.«

»Da hast du doch dem Fürsten zu viel Teil aufgeladen an deinen Sünden, Adam!« unterbrach ihn der Maler.

»Meint Ihr! – Ich sage Euch, hätte der Fürst in seiner Art gesprochen, wie der Bauer, ich hätte nimmer gezweifelt, daß er der liebe Gott auf Erden sei, und mit diesem Glauben hätte ich stille weitergearbeitet in meinem Unglück und mich zuletzt herausgearbeitet. So aber weckte er mir den Trotz und mit dem Trotz das Räsonnieren und mit dem Räsonnieren die Tagdieberei. Ich und der Fürst, Herr Maler, wir beide werden's am jüngsten Tage gemeinsam zu verantworten haben, daß ich den Rehen Schlingen legte!«

Wunderbar waren die Gesichter gewesen, die Adam zu dieser Erzählung geschnitten. Züge des Trotzes, des Hohnes, der Verzweiflung, der stillen, milden Betrübnis wechselten miteinander, seine Erzählung begleitend, wie Bilder den Text. Emsig zeichnete der Maler.

Adam fuhr fort.

»Mit der Tagdieberei ging's eine Weile. Nun reiste selbigesmal die Braut unseres Fürsten, die Prinzessin Eidechsia, durchs Land mit ihrem Vater. Eine Lustfahrt gab's mit ihr auf dem fürstlichen Jachtschiff den Fluß hinab. Da wurden etliche Hofdiener ausgeschickt ins Land, um allerlei Volk zusammenzuwerben, das an den Straßen liegt, und wären 's auch Krüppel und Lahme gewesen, wie im Evangelio, auf daß wir uns am Flusse aufstellten, so wie von ungefähr, hier einer neben einem Busch, dort einer ins Gras gelagert, dort einer auf dem Felsen sitzend, und wenn das Schiff mit der fürstlichen Braut vorbeifahre, solle jeder aus Kräften rufen: ›Vivat Augustus! Vivat Eidechsia!‹ Mann für Mann erhielten wir dafür aber einen Weißpfennig, ein Glas Bier und Käs und Brot. Mich hatten sie auf eine Wiese postiert und mir eine Sense in die Hand gegeben, damit ich aussehe wie ein Bauer. Laut jauchzend rief ich mein Vivat, und das Echo gab meine Stimme zurück wie Waldhornklang. Da fuhr das Schiff ganz nahe ans Land, und die Eidechsia winkte mir, aufs Schiff zu kommen, und fragte mich höchst gnädig, wer ich sei, wie es mir gehe und dergleichen mehr. Ich nahm aber kein Blatt vor den Mund, sagte ihr rund heraus, was ich für ein armer Teufel sei. Das Gesicht, welches ich dazu gemacht, soll sie besonders gerührt haben. Denn nach einiger Zeit ward ich auf die Hofkammer beschieden, wo die Herren mir eröffneten, die Prinzessin Eidechsia Durchlaucht habe höchst gnädig für mich gesorgt und wolle mir ein eigenes Häuschen am Walde bauen lassen, mit einem kleinen Gärtchen dabei.«

»Nun, und das wird dich doch gerührt und gebessert haben, Adam?«

»Gerührt und – verschlechtert, ja! Denn die Geschichte mit dem Vivat war doch nicht fein, Herr Maler, warum sollte mich die gerade gebessert haben? Häuschen und Gärtchen lag ganz wunderschön, es war der schönste Platz auf weit und breit, die Prinzessin hatte ihn nach eigenem Geschmack ausgesucht, und das Häuschen sollte dienen – wie nennt ihr's doch, ihr Maler?«

»Zur Staffage der Landschaft.«

»Richtig! Zur Staffage. Wäre nur diese Staffage nicht gewesen und der Geschmack der Prinzessin! Denn in dem schönen Häuschen konnte ich nicht leben und nicht sterben. Wozu auch ein Häuschen, da ich kein Pferd und kein Gewerbe mehr hatte? Im Gärtchen konnte ich keinen Krautstengel erhalten, weil die Hirsche allnächtlich aus dem schönen Wald kamen und alles abfraßen. Ging ich von meinem schönen Punkte auf Tagelohn in die Stadt, so verlief ich hin und zurück einen viertel Tag Zeit. Und als nun gar der Winter kam, da pfiff der Nordost durch unsere vier Wände, daß wir zuerst mit dem Fußboden, dann mit den Stubenthüren, dann mit den Läden und Fensterstöcken, zuletzt gar mit der Hausthür Herd und Ofen heizten. Dadurch war es aber doch zuletzt etwas zugig in dem kalten Nest geworden, wir zogen aus, und die alte Lumperei ging von vorne an.«

Der Maler hatte mittlerweile ein neues Blatt gezeichnet. Er schwieg, obgleich Adam einhielt, wie wenn er wiederum eine Entgegnung erwartete.

Der Erzähler fuhr also nach einer Weile wieder fort:

»Mein Auszug samt seinen Ursachen konnte im Schlosse nicht lange unbemerkt bleiben. Der Fürst schien einzusehen, daß mich diesmal niemand anderes als die unschuldige Eidechsia durch ihre Staffage und ihren Geschmack ruiniert, und wandte mir abermals seine Hilfe zu. Und wiederum erschien er mir fast so wie früher, als ein Statthalter Gottes auf Erden Aber noch weit verderblicher war sein Geschenk, denn das Häuschen der Prinzessin. Er machte mich zum fürstlichen Oberhundejungen und Hundefütterer und setzte mich zum Ersten unter allen Troßbuben des Hofstaates. Herr Maler, ich bin ein verheirateter Mann, Vater von vier Kindern, und der Aelteste war damals acht Jahre alt, und Fuhrmann war ich meines Zeichens, ruinierter Fuhrmann. Das ist ein Wort! Als ich nun Hundejunge und Troßbube geworden war, machten die Leute Rätsel auf mich, fragten, wo man sich am frühesten verheirate? Antwort: In unserer Residenz; denn hier hätten schon Jungen und Buben Kinder bis zu acht Jahren. Heulend kam mein Kind manchmal aus der Schule heim, wenn sie es höhnten mit dem gottlosen Rätsel. Ei, und ich hätte doch zufrieden sein sollen mit der Stelle! Nein, trotzig ward ich wieder wie vorher. Je mehr mich die anderen geringschätzten, um so vornehmer wollte ich's geben, so vornehm, daß sie mir gewiß mein armes Kind nicht mehr heulen machten. Also fing ich an, flott zu leben wie ein Fuhrmann und nicht wie ein Hundejunge. Wer aber mit großen Hunden will p . . . . . gehen, der muß auch das Bein hoch aufheben können.«

»Das ist ein zynisches Bild, Adam, zu deutsch ein hundemäßiges. Man sieht doch, daß du schon etwas zum Hundejungen geworden bist.«

»Meine magere Einnahme duldete aber das flotte Fuhrmannsleben nicht lange. Da schaute ich mich fleißig um in unserem Hofstaate, und weil ich von ganz unten hinaufblickte und nicht von oben herunter, so sah ich gar manches, was andere Augen nicht sehen. Die hohen Herrschaften regieren, spielen Komödie, machen Lustfahrten, wie's Fürsten ziemt. Die italienischen Musikanten, Komödianten und Schnurranten suchen möglichst viel Geld in ihre Taschen zu raffen, denn sie wissen, daß hier ihres Bleibens doch nicht lange sein wird. Könnte ich nur einmal von der Leber weg mit dem Fürsten reden: ich wollte ihm ein Licht anzünden! Der Hoffourier prügelt den Lakaien, der ein halbverbranntes Lichtstümpfchen zu sich steckt, weil er es selber gern zu sich gesteckt hätte. Der Mundkoch schickt einen Topf mit Schmalz, der angeblich von den Ratten ausgefressen worden ist, dem Mundschenk zum Präsent, und der Mundschenk bringt ihm zwei ganz ausgelaufene Flaschen Burgunder dagegen, die aber noch ganz voll sind. Ei, soll da der Hundejunge allein Hunger leiden und Weib und Kind mit ihm? Nein, das soll er nicht! Was der flotte Fuhrmann in der Stadt verthut, das kann der Hundejunge im Schloß beim Hundefutter wieder einbringen. So gab ich denn meinen Hunden gelegentlich eine Wassersuppe, und wir aßen zu Hause ihre Bouillon, oder ich schnitt ihnen Brot in den Kübel und trug ihr Fleisch meinen Kindern heim. Es ist ihnen recht gesund gewesen – den Hunden meine ich – das Brot und das Wasser, namentlich wegen der Räude. Doch ein Fuchsschwänzer kam dem Ding auf die Schliche, zeigte es an, und nun sitze ich hier im Prison, obgleich ich doch nichts anderes gethan, als was die ganze Hofdienerschaft thut, ja, was ich recht eigentlich erst von ihr gelernt, denn sonst wäre mir eine solche Schelmerei in meinem Leben nicht eingefallen. Der Fürst läßt Springbrunnen im Schlosse anlegen, während die Leute drunten in der Stadt eine Viertelstunde weit laufen müssen, um ihr Trinkwasser an einem Felsenquell zu holen: er baut hier oben gleichsam eine ganze Sippschaft von neuen Palästen nebeneinander, während unten in der Stadt die Leute in Baracken wohnen, daß sich Gott erbarmen möge. Das erwog ich oft zu meiner Beruhigung und sprach zu mir: Hier oben der Hof ist dem flotten Fuhrmann vergleichbar und die da drunten in der Stadt dem Hundejungen, und doch gehört beides füreinander; warum sollte es in deiner zwiegeteilten Person nicht ähnlich sein dürfen, nur mit dem Unterschiede, daß du unten in der Stadt der flotte Fuhrmann bist und hier oben im Schloß der Hundejunge? Seht, Herr Maler, es geht nichts über ein weises Gleichnis!«

Adam schwieg, und der Maler schlug sein Skizzenbuch zu. Drei solche Originalköpfe, wie er sie eben bei den drei Historien dem Gesichte des Hundeadam abgestohlen, waren ihm noch niemals in den Wurf gekommen.

»Adam, Adam!« rief er dann mit erhobenem Finger. »Du hast schier zu viel räsonniert über die Unschuld in aller Schuld. Ich will dir darum auch ein weises Gleichnis sagen, zum Lohn für deine Geschichten, Adam: Die Schlange war schuld an Evas Fall, Eva war schuld an Adams Fall; dennoch wurden Adam und Eva ohne Gnade aus dem Paradies gewiesen. Und was dem alten Adam recht war, das ist auch dem Hundeadam billig.«


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