Wilhelm Heinrich Riehl
Land und Leute
Wilhelm Heinrich Riehl

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Zur Einleitung

Wir lesen in den Geschichtsbüchern, daß die Fürsten und ihre Räthe in alter Zeit ihre Residenzen und Kanzeleien wechselnd bald in diesem, bald in jenem Theile des Landes aufgeschlagen haben. Sie absolvirten bei diesem Wanderleben ihre politischen Studien; denn sie lernten Land und Leute kennen. Auch auf ihren Jagdzügen fanden sie manchmal die Staatskunst und Waidmannskunst nebeneinander.

Heutzutage ziehen die Fürsten nicht mehr von Burg zu Burg, und die Minister reiten auch nicht mehr regierenshalber durch das Land. Da nun die Staatsmänner nicht mehr auf die Wanderschaft gehen können, so sollten es wenigstens die politischen Schriftsteller für sie thun.

Diese Erwägung trieb mich seit Jahren hinaus, die schönen deutschen Gaue zu durchstreifen, um im unmittelbaren Verkehr mit dem Volke diejenige Ergänzung meiner historischen, staatswissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Studien zu suchen, die ich in den Büchern nicht finden konnte.

Ich ging bei dieser gleichsam naturgeschichtlich analytischen Untersuchung unserer öffentlichen Zustände nicht von einem vorgefaßten politischen Parteistandpunkte aus. Erst aus der Summe der eigenen Anschauungen entwickelte sich mir ein social-politischer Conservatismus, der mir nun aber auch um so sicherer bestimmend wurde für meine ganze Lebenspraxis. Zuerst ward ich Fußwanderer und nachher politischer Schriftsteller. Wenn ja etwas Eigenes und Neues in meiner Art der Behandlung von Gesellschafts- und Staatswissenschaft steckt, dann habe ich es diesem Umstande zu danken.

Als ich mein Buch über die »bürgerliche Gesellschaft« schrieb, ging ich nicht entfernt von der Absicht aus, eine neue Schutzrede für die ständische Gliederung im Volke zu liefern. Ich wollte lediglich aus einem künstlerischen Trieb das deutsche Volksleben nach seinen allgemeinsten Gruppen zeichnen und fand die natürliche ständische Gliederung am Wege, ohne daß ich sie suchte. Ja zuerst galt es mir nur, eine einzelne Volksgruppe zu skizziren, die Bauern, und der Plan ein Gesammtbild der Gesellschaft zu entwerfen, rührte ursprünglich gar nicht von mir her. Er ward in mir erst angeregt durch den Freiherrn von Cotta, als ich demselben meine Arbeit über »die Bauern« für die Deutsche Vierteljahrsschrift vorlegte. Die Idee des ganzen Buches wurde zwischen uns in mündlichem und brieflichem Verkehr mannichfach erörtert, und viele Winke des mit unsern gesellschaftlichen Zuständen gründlich vertrauten Mannes, dessen Förderung meines ganzen literarischen Strebens ich mit Freuden öffentlich anerkenne, sind beim Ausarbeiten jener Schrift nicht unbenutzt geblieben.

Wie ich nun aber bei der Skizze des einzelnen Standes der Bauern nicht hatte stehen bleiben können, sondern allmählich zu einem Gesammtbilde der bürgerlichen Gesellschaft gekommen war, so konnte ich auch bei diesem wiederum nicht stehen bleiben. Das eben ist die wunderbare Wirkung eines in's Einzelne sich versenkenden Studiums, daß uns die Erforschung der Einzelthatsachen immer weiter treibt zum Nachweis ihres Zusammenhanges mit einem immer größeren, reicheren Ganzen.

In der bürgerlichen Gesellschaft ist das Volk in seinen allgemeinsten Beziehungen durch sich selbst, in seiner von den örtlichen Besonderungen losgelösten Gliederung, in seinen Ständen geschildert. Will man die naturgeschichtliche Methode der Wissenschaft vom Volke in ihrer ganzen Breite und Tiefe nachweisen, dann muß man auch in das Wesen dieserörtlichen Besonderungen des Volksthumes eindringen. In der Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft ist das Verhältniß der großen natürlichen Volksgruppen zu einander nachgewiesen: hier sollen diese Gruppen nach den örtlichen Bedingungen des Landes, in welchem das Volksleben wurzelt, dargestellt werden. Erst aus den individuellen Bezügen von Land und Leuten entwickelt sich die culturgeschichtliche Abstraction der bürgerlichen Gesellschaft. So stehet das vorliegende Buch meinem Buche von der bürgerlichen Gesellschaft, welches sich als zweiter Band in zweiter neu überarbeiteter Auflage anschließen wird, gegenüber als der Entwurf zu einer socialen Volkskunde Deutschlands, einer allgemeinen Systematik der Gesellschaft dieses Landes. Das Ganze aber wird zusammengehalten und getragen von dem Gedanken, daß die naturgeschichtliche Untersuchung des Volkslebens zur Gesellschaftswissenschaft, zur socialen Politik führe, und daß es noch früher oder später möglich werden müsse, auf der Grundlage solcher naturgeschichtlichen Untersuchungen ebensowohl einen Kosmos des Volkslebens, einen Kosmos der Politik zu schreiben, wie die naturgeschichtliche Untersuchung des Erd- und Weltorganismus einen ihrer höchsten Triumphe in dem Werke eines deutschen Gelehrten feiert, welches wir jetzt mit einem stolzen Worte den »Kosmos« schlechthin nennen.

Bei meinem Buche über die bürgerliche Gesellschaft erlebte ich die Freude, daß es mir zwar nicht die lärmschlagende Gunst der politischen und literarischen Parteien gewann, wohl aber eine große Zahl persönlicher Freunde und eifriger Anhänger in den verschiedensten Gauen Deutschlands. Ich schloß aus dieser Erfahrung, daß man wohl aus dem Buche herausgefühlt haben müsse, es sey kein gemachtes, es sey ein erwandertes und erlebtes Buch, welches nicht blos zufällige Ansichten, sondern die Persönlichkeit, den Charakter seines Verfassers spiegele.

Der hochverehrte Mann, dessen Namen ich an die Spitze dieser Widmung gestellt, ist ein solcher Freund, dessen befruchtender persönlicher Umgang, dessen unermüdliche Förderung meines bescheidenen Strebens mir lediglich durch jenen ersten größeren literarischen Versuch gewonnen worden ist. Ich hielt es darum für meine Pflicht, Ihnen, hochverehrter Herr Graf, ein kleines Wahrzeichen meines Dankes auch öffentlich aufzustellen. Und wenn je eine Gelegenheit mir passend hierzu erschien, dann däuchte sie mir bei diesem Buche gegeben zu seyn, zu dessen Ausarbeitung Sie mir in den vergangenen Frühlingstagen einen so köstlichen Mußesitz eingeräumt hatten, in Ihrem Thurnau, dessen freundliche Natur einst Wilhelm von Humboldt fesselte und dessen unvergleichliche Lindenallee Jean Paul für würdig erklärte, daß Fichte in ihr als dem stolzesten Laubdome seine Reden an die deutsche Nation gehalten hätte. Augsburg, am 18. September 1853.

W. H. Riehl.

Vorwort zur zweiten Auflage.

Diese neue Auflage nennt sich eine vermehrte. Es sind nämlich, außer mancherlei kleinen Erweiterungen, zwei neue selbständige Kapitel hinzugekommen.

Das eine, ein Einleitungskapitel, führt die Ueberschrift: »Die vier Fakultäten.« Es soll nicht blos in den vorliegenden Band, sondern in das ganze Werk einführen, welches sich nunmehr in drei Bänden abgeschlossen in den Händen des Publikums befindet. Indem ich den Widerstreit zeichnete, in welchem die von der naturgeschichtlichen Analyse des Volkes ausgehende Volks- und Staatswissenschaft mit unserm altüberlieferten System der Fachwissenschaften steht, konnte ich zugleich Andeutungen geben über einen neuen organischen Bau der gesammten Staatswissenschaften, wie ich ihn in meinen Universitätsvorlesungen in strenger Systematik durchzubilden suche, und auch später, so Gott will, in ausgeführter wissenschaftlicher Form der lesenden Gelehrtenwelt vorzulegen gedenke.

Das zweite neu eingefügte Kapitel ist überschrieben: »Thesen zur deutschen Landes- und Volkskunde. « Meine Idee der ethnographischen Dreitheilung Deutschlands ist fast auf jeder Seite des Buches veranschaulicht, erläutert und in Einzelzügen ausgemalt. Sie ließe sich aber ebenso gut in ganz trocken statistischer Weise, ja tabellarisch und chartographisch, überall mit Zahlen und positiven Thatsachen belegt, darstellen. Das Material dazu liegt größtentheils zu andern Zwecken ausgearbeitet vor mir; ich hätte es nur abdrucken zu lassen brauchen und würde solchergestalt das Buch mit einem sehr gelehrt dreinschauenden Kapitel ausstaffirt haben, welches aber nur sehr Wenige lesen würden. Um daher die künstlerische Einheit in der Schreibart des Buches nicht zu zerreißen, schob ich nur einzelne Thesen ein, in denen sich die weiteren Ausführungen concentrirt vorgebildet finden, Thesen, aus welchen man erkennen wird, daß ich nicht versäumt habe, meinen Grundgedanken nach allen Seiten zu erwägen und am positiven Material zu prüfen, Thesen, die zugleich mithelfen sollen, die vielen überallhin abschweifenden skizzenhaften Ausführungen des Buches etwas mehr in's Blei zu stellen und das Ganze einheitlich in Rand und Band zu halten. Denn lieber wollte ich die doch in der Regel ziemlich wohlfeile Gelehrsamkeit von Citaten und anderswoher abgeschriebenen statistischen Notizen preisgeben, als die künstlerische Freiheit der Darstellung. Wie ich durch ein luftiges Wanderleben erst in's Bücherschreiben hineingewandert bin, so sollen auch meine Bücher allerwege lustig zu lesen seyn; die Gelehrsamkeit soll darin stecken, ohne sich selbstgefällig zu präsentiren, und wenn der Autor auch mühselig und langsam, prüfend und zaudernd gearbeitet hat, so wünscht er doch, die Leser möchten gar nichts merken von dieser Mühsal, sondern meinen, das Buch sey nur eben so von selber geworden, nur so von ungefähr hingeschrieben, rasch und unverzagt wie auf der Wanderschaft und immer mit gutem Humor, und ohne daß je der Autor vorher den gelehrten Schlafrock angezogen habe.

München, am 18. März 1855.

W. H. R.

Vorwort zur fünften Auflage.

Die dritte Auflage hatte ich mit folgenden Worten eingeleitet: »Viele der im vorliegenden Buche gegebenen Beispiele und Einzelzüge sind aus den unmittelbaren Eindrücken der Zeit geflossen, in welcher die ersten Skizzen zu den meisten Kapiteln entworfen wurden; es waren dies die Jahre 1850-52. Vieles würde ich in dieser Beziehung jetzt anders geben, namentlich in der zweiten Hälfte des Buches. Manche der hier angezogenen Thatsachen haben sich auch inzwischen wesentlich geändert. Was damals als eine unmittelbar aus dem Leben des Tages gegriffene Anschauung galt, ist mitunter bereits ein historisches Exempel geworden. Da mir aber in diesem Bande nicht sowohl die Darstellung bestimmter Thatsachen, als die an deren Behandlung zu erweisende Methode das Wesentliche war, so mögen jene Specialitäten immerhin in der Form stehen bleiben, wie sie der Zeitpunkt der ersten Abfassung eingab. Der feinfühlige Leser wird selber schon merken, wo die so zahlreich eingestreuten Einzelzüge aus unserm socialen und politischen Leben eine Erweiterung, wo eine Einschränkung erfahren müßten, wenn ich das Buch heute neu zu schreiben hätte. Dennoch wollte ich nicht ohne diese Gewissensverwahrung mit einem unveränderten Wiederabdruck vor das Publikum treten.»

Den hier dargelegten Grundsatz hielt ich auch bei allen Verbesserungen der fünften Auflage fest und tastete das Wesen des Buches nicht an. Nur in Sprache und Ausdruck suchte ich sorgsam die letzte Feile anzulegen und, indem ich den Text freier und fester sprachlich ausrundete, dem deutschen Publikum thatsächlich zu danken für die dauernde Theilnahme, welche es meinen Schriften bewahrt hat.

München, am 6. Oktober 1860.

W. H. R.



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