Wilhelm Heinrich Riehl
Land und Leute
Wilhelm Heinrich Riehl

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V. Individualisirtes Land.

Zwei der derbsten Gegensätze deutscher Volkspersönlichkeit sollen hier als ein Exempel aller verwandter Volksgruppen neben einander gestellt werden: die Rheingauer als ächte Vertreter des zersplitterten mitteldeutschen Volkslebens und die Südbayern als ächte Stammhalter des nach breiten Massen entfalteten süddeutschen Volksthumes. Ein armes Volk und ein reiches. Aber in dem Bilde des armen Volkes wird ein heiterer, ein humoristischer Grundzug überall hervorlugen, wie in dem Conterfei des reichen ein melancholischer. Und das arme Volk wohnt in dem reichen Winkel der alten goldenen Pfaffengasse am Rheinstrom, und das reiche auf den armen öden Hochflächen und Vorbergen Rhätiens! Treten wir zuerst zu dem armen Volk im reichen Lande.

Es ist ein altes Lied, daß der Rheingau kranke an einseitiger Uebercultur, denn es wird bereits seit dem fünfzehnten Jahrhundert gesungen. Schon damals standen Gewerbe, Ackerbau und Viehzucht in keinem Verhältniß mehr zu dem Uebermaß der Weingärten, schon damals war der Weinbau eine Sucht geworden, und das Volk verarmte und verdarb, weil es von der fixen Idee nicht lassen konnte, daß aus jeder Scholle Landes ein Weinbrunnen rinnen müsse.

Wir haben hier eine ganze Bevölkerung vor uns, welche jenes sociale Elend, das uns ein modernes dünkt, bereits seit Jahrhunderten ausstudirt hat, ein Bauernland, welches schon seit vielen Menschenaltern gerade den Fluch am schwersten trägt, den man sonst von den bäuerlichen Gegenden am meisten weggenommen wähnt, den Fluch des Mißverhältnisses zwischen der Rente des Capitals und dem Lohn der Arbeit. Wie jetzt der rheingauische Winzer nach Nordamerika und Australien auswandert, um zu versuchen, ob er dort leichteren Herzens die Frucht seines Weinstockes brechen könne, so ist er schon im 12. und 13. Jahrhundert nach Sachsen und Hessen, ja nach Brandenburg und Pommern hinausgezogen, wo er Weinbaucolonien gründete, die freilich längst zu Grunde gegangen sind. Aber bestehen blieb der Weltruf, welchen diese Auswanderer den Produkten ihres heimatlichen Bodens gewannen und die Absatzwege, welche durch sie denselben geöffnet wurden.

Die Uebercultur bedrängt schon seit unvordenklichen Tagen diesen Landstrich. Doch erst in neuester Zeit ließen sich die Bewohner durch die bitterste Noch zwingen, hier und da zu einfacheren, gröberen Formen des Anbaues zurückzukehren und zu dem Weine sich auch ein Stück Brod zu suchen. Im Namen der höheren Cultur rodet man Weinberge zu Kartoffeläckern und Kornfeldern um, und freut sich des Gewinnes, als ob man eine Wüstenei gerodet hätte. Wenn man sonst im Rheingau einen Mann als recht nachlässigen lüderlichen Wrrthschafter bezeichnen wollte, so sagte man von ihm: »Er pflügt seinen Weinberg.« Jetzt hat das Pflügen des Weinberges aufgehört Barbarei zu seyn, denn aus den Furchen des Pfluges wächst doch vielfach da ein gewisses Stück Brod, wo vordem aus dem mühseligen Häuselwerk der Weinbergshaue nur der gewisse Bankerott aufgesproßt war. Der Viehstand der meisten Weinbauern war bisher viel zu klein – nicht erst seit gestern, sondern bereits seit Jahrhunderten – und doch beginnt man jetzt erst den Zauberkreis der Weinberge zu durchbrechen und prosaische Kleeäcker und Wiesengründe anzulegen.

Gleich hinter dem Johannisberg wurde im Spätsommer 1850 der Wanderer durch den Anblick eines weitgedehnten Berghanges überrascht, auf welchen sich tausende von kleinen qualmenden Feuern aneinander reiheten, zur Nachtzeit anzuschauen, als habe hier ein Kriegsheer sein Lager aufgeschlagen, während sie bei Tag dem von der Höhe Herabsteigenden das ganze Rheinthal in die dichteste Rauchhülle versenkten. Es war dies ein großartiges Rodungsfeuer, welches die auf kleine Pyramiden gehäuften Rasenstücke sammt dem endlosen Wurzelwerk eines buschigen Waldbodens verzehren und so die Fläche zum ersten Umbruch fruchtbar machen sollte, ein Rodungsfeuer, nicht, wie in Amerika, wider die uralte Wildniß gerichtet, sondern wider das Elend der Ueberkultur, wie es in den angrenzenden königlichen Rebenhügeln des Johannisberges unter goldgleißender Hülle sich verbirgt. Die alten Rheingauer würden sich allesammt im Grabe umdrehen, wenn sie erführen, daß man Anno 1850 an den Grenzfurchen des Johannisberges neue – Kartoffeläcker angelegt. Und doch ist es wirklich so geschehen!

Drei weiland geistliche Fürstenthümer stießen am Mittelrheine zusammen: Würzburg, Kurmainz und Kurtrier. Im Rhein-, Main- und Moselthale fielen die köstlichsten Weinlagen in ihre Gebiete. Dieser von Südost noch Nordwest weithin gestreckte Landstrich bildet den eigentlichen Kern des westlichen Mitteldeutschlands. Hier ist seit Jahrhunderten der Ackerbau selbst eine Luxusindustrie geworden; der Winzer speculirte im Mittelalter schon auf die Schwelgerei der zahlreichen Fürsten und Edeln, die sich hier ringsum zu Dutzenden angesiedelt hatten, und auf die durstigen Kehlen in den reichen norddeutschen Handelsstädten. Kam die Zeit der Noth, dann brauchte Niemand mehr seinen Rheinwein zu trinken und der Weinbauer trank sich an seinem eigenen Gewächs zum Lumpen. Reiche und arme Leute gibt's in diesen gesegneten Gauen des Mittelrheins und seiner Seitenthäler seit uralten Tagen, aber keinen festen Mittelstand. Hier ist für Deutschland eine der Stammburgen des vierten Standes. Der Weinbau setzte bereits das ganze Elend des industriellen Proletariates in die Welt, als es noch gar keine moderne Industrie gab. Dem traubenreichen Maingrund zur Seite aber liegt auf würzburgischem und kurmainzischem Gebiete Rhön und Spessart mit ihrem verkümmernden Volke, dem üppigen Rheingau zur Seite im Taunus der Hungerbezirk des ehemaligen kurmainzischen Amtes Königstein, und an die Weinthäler Kurtriers grenzt der arme Trier'sche Antheil des Westerwaldes und die noch viel ärmere Eifel und der Hunsrück. So haben wir hier in den Thälern den Humor und auf den Bergen die Tragik des Elendes beisammen. Der eigentliche Mittel- und Knotenpunkt dieser merkwürdigen Ländergruppe ist unser Rheingau.

Kein dem Luxus dienender Industriezweig erholte sich langsamer von den Erschütterungen des Jahres 1848 als die höhere Weincultur. Bei der nassauischen Domanialweinversteigerung von 1850 fiel der höchste Preis einem Stück Hochheimer Domdechantei 1846ger zu, welches nur mit 5000 fl. bezahlt wurde. Drei Jahre früher wären für ein Stück solchen Weines vielleicht 12 bis 14000 fl. gegeben worden! Seltene, ganz alte Cabinetsweine aus den besten Jahrgängen des 18. Jahrhunderts, die man vordem zu ungeheuren Preisen verkaufte, sinken immer tiefer im Werth. Wenn jetzt so viele Hunderte für derlei Seltenheiten gelöst werden, als wohl Tausende im Laufe der Zeit für sie aufgewandt wurden, dann ist der Handel am Ende noch nicht schlecht gewesen. Merkwürdig schnell ist die frühere Vorliebe für den alten Wein geschwunden und der junge gleich einseitig in Mode gekommen. Dieser Wandel im Weingeschmack ist dem des geistigen Geschmackes nicht unähnlich. Die alten Weine sind schwer, kräftig, aber auch herb, rauh und ohne den prickelnden Reiz des feinen, modernen Aroma's; es steckt nicht so feine Kunst der Behandlung in ihnen, wie in den jungen. Nur in dem aristokratischen England erfreut sich der alte Rheinwein in Flaschen, die mit Kellersand bedeckt und mit Spinnweben verziert sind, noch des überlieferten Vorzugs. Der 42ger Wein galt am Rheine Anno fünfzig schon für »alten Wein,« dem ächten Zecher war er bereits »eine Arznei,« kein »süffiger Trunk« mehr, und nur in den wenigsten Privatkellern lagerten noch Vorräthe desselben. Auch der 1846ger würde wohl gar gleichfalls nicht mehr jung seyn, wenn dazwischen ein anderer ausgezeichneter Jahrgang dagewesen wäre. Der Abt würde sich bei einer neuen Theilung der Erde nicht mehr wie zu Schillers Zeit den »edlen Firnewein« wählen, sondern einen recht jungen, der gerade bis dahin ausgetrunken seyn müßte, wo er firn geworden wäre.

Wie aber der Weinpreis im Anfange der fünfziger Jahre gefallen war, so reißend stieg er auch wieder gegen die Mitte des Jahrzehntes. Nun ward Geld die Fülle geboten, allein die Bauern hatten keinen Wein. Es fluthet der feine Weinbau wie ein Bergstrom, der heute überläuft und morgen vertrocknet.

Diese Abhängigkeit der Erwerbsverhältnisse eines ganzen Landstriches von der Mode, von der Laune einer guten oder schlechten Zeit unterwühlt alle Vesten des socialen Lebens. Der kleine Weinzapf wächst in dem Grade, als der größere Handel zusammenschrumpft; darum schossen in jener kurzen Frist der Fülle, da ich dies schrieb, die sogenannten Strauß- und Heckenwirthschaften im Rheingau überall wie Pilze empor. Schier jeder kleine Bauer wollte Wirtschaft halten. Der Wein ward solchergestalt im Trödelhandel verschleudert, im Ausverkauf unter dem Fabrikpreise, damit nur etwas baares Geld herbeikomme. Es lugte ein furchtbares Elend hinter jenen zahllosen Straußwirthschaften.

Auf dem jenseitigen Rheinufer kam es vor, daß der geringe Wein nicht mehr nach dem Maße, sondern nach der Trinkzeit ausgeschenkt wurde: »Eine Stunde zu trinken kostet 6 Kreuzer, die angefangene Stunde gilt für voll!« Die Mode wandte sich von den geringeren Weinen des eigentlichen Rheingaues immer mehr ab; die leichten Pfälzerweine, die minder herben, aber auch matteren Weine des unteren Rheinthales hatten die geringen Rheingauer Sorten vielfach aus den Schoppenwirthschaften der Nachbarländer verdrängt, und dies begann auf die Existenz der kleinen Weinbauern den traurigsten Einfluß zu üben. Zudem hatte Preußen seinen Weinbau durch einen förmlichen Schutzzoll vor der gefährlichen Nebenbuhlerschaft der Rheingauer Weine gesichert, indem es von diesen eine Weinübergangssteuer erhob, welche bei den geringeren Sorten einem Einfuhrverbot gleichkam, und den diesseitigen Producenten, die sich keines solchen Schutzes erfreuten, den empfindlichsten Nachtheil brachte.

Der Häuserwerth war selbiger Zeit in den meisten rheingauischen Ortschaften unglaublich tief gesunken. Häuser, deren bloße Baukosten sich wohl auf 12 bis 14,000 Gulden belaufen haben mögen, sind, obgleich im besten Zustande, hie und da zu 3 bis 4000 Gulden wieder verkauft worden. Aus stattlichen alten Herrenhäusern, deren Portale mit Wappen und andern Bildwerken geschmückt sind, schauten proletarische Insassen hinter zerbrochenen oder mit Papier verklebten Fensterscheiben hervor.

Man hat nach einem zweihundertjährigen Durchschnitt ausgerechnet, daß im Rheingau auf 20 Jahre 11 geringe Weinjahre kommen – für den größeren Gutsbesitzer; für den kleinen Bauer sind das 11 Noth- und Hungerjahre! In den 9000 Morgen Weingelände des Rheingaues, die dem auf dem Dampfschiffe vorüberjagenden Touristen im Rebengrün so lustig entgegenschimmern, wird gar manche bange Hoffnung in jedem Frühling mühselig eingegraben, und im Herbst findet sich's doch, daß mehrentheils nur Hunger und Kummer darinnen aufgewachsen sey. Mehr als sieben und eine halbe Million Flaschen großentheils vortrefflichen Weines erzeugt ein guter Rheingauer Herbst, aber es sitzen viel bittere Thränen in dem süßen Wein. Das Würfelspiel der »Weinjahre« ist die Angstfrage des Rheingauers. Der fromme Glaube hat nicht umsonst so viele Herrgottsbilder in die Weinberge gestellt: er läßt sich den Johanniswein in der Kirche segnen, und schüttet ihn als den letzten Aufguß zu dem jungen Wein in's Faß, damit gleichsam ein Segen das Faß schließe und den edlen Stoff behüte. Der Volksaberglaube ist in tausend Formen geschäftig: er fragt die geheimnißvolle Blüthe des Epheus um Rath über die nächste Weinernte, und sucht in den Blumenkelchen der Jerichorose die Zukunft des Herbstes zu lesen. Die Wissenschaft hat ausgerechnet, daß man die Zahl der Wärmegrade einer Sommerperiode in die Zahl der darin gefallenen Regenmenge nach Kubikzollen auf den Quadratfuß dividiren müsse, um die auf das Mostgewicht zurückgeführte Weingüte darnach mit Sicherheit zu bestimmen, und Jeder kann sich so von der Zeit des Verblühens des Weinstockes an alltäglich in seinem Kalender notiren, um wie viel Grade er zum reichen Besitz höher aufgestiegen, oder um wie viel Kubikzoll er tiefer in Noth und Elend zurückgefallen ist.

Alle diese Vorausbestimmungen haben ihren unversiegbaren Reiz in einem gemeinsamen Punkt – in ihrer Unzuverlässigkeit. Selbst wenn der Most aus der Kelter rinnt, weiß der Winzer noch nicht ganz, was er an ihm hat. Mancher scheinbar geistlose Most ist schon mit der Zeit zu einem wahren Genie von einem firnen Wein herangewachsen – so ging es z. B. vielfach mit dem 1848er - und umgekehrt offenbart mancher vielversprechende »federweiße« erst dann seine Flachheit und Mattheit, wenn er ausgegohren. Das ist das Geheimniß des Geistigen im Wein, seines Duftes, seiner Würzen, die sich mit der Mostwage nicht wägen lassen, so wenig als eines Menschen Genius, seiner »Gähre,« die sich nicht vorherbestimmen läßt, so wenig als eines Menschen innerer Entwicklungsgang. Ein Spielball aber für diese dunkle Mystik der Naturkräfte ist des armen Weinbauern ganze Existenz.

Die alten Rheingauer Klosterbrüder, welche die beiden nebenbuhlerischen Großmächte des Rheingaues schufen, den Steinberg und den Johannisberg, erzielten keine so feinen Weine als wir, aber ihre Weinbaupolitik war viel feiner als die unsere. Wo die Eberbacher Bernhardinermönche in ihrer bewundernswerthen Colonisationsweisheit Weinberge anrodeten, da gründeten sie Höfe, keine Dörfer, da rundeten sie das Weingut zu großen, geschlossenen Massen ab, ja sie kauften bestehende Dörfer an, um alle Bewohner auszutauschen und zum Frommen einer großartigen Weincultur das Dorf in einen Hof zu verwandeln. So haben sie binnen 60 Jahren wohldurchdacht und allmählich das Dorf Reichardshausen wieder zu einem Hofe zurückgeschnitten. Wenn man aber schon vor 700 Jahren nur durch abgerundete große Hofgüter den Weinbau fördern konnte, wie will dann vollends jetzt der kleine Weinbauer gegenüber dem ungeheuer gesteigerten Wettjagen, gegenüber der zum Aeußersten getriebenen Verfeinerung der Weincultur mit seinen paar Läppchen zerstückten Landes zurechtkommen?

Der Rheingauer Herbst ist nicht mehr das farbenbunte Fest, wie es in Büchern beschrieben, in Liedern besungen ist, auch in den besten Jahren nicht, wo der plötzliche reiche Gewinn das Volk selber noch zu festlicher Stimmung berauschen mag. In kleineren Weingütern wird in schlechten Jahren wohl der ganze Traubenwuchs gegen ein Spottgeld an den Stöcken verkauft, weil der Besitzer sich nicht getraut, das Kapital der Erntekosten hineinzustecken. Wenn man dann mit den Weinbeeren der rauheren Lagen, wie der örtliche Kunstausdruck ist, »Spatzen schießen« kann, mag man wohl das Pulver zu den sonstigen herbstlichen Freudenschüssen sparen. Das »Spätherbsten« ist ein großer technischer Fortschritt: aber es hat den Novemberreif auf das Volksfest der Weinlese geworfen. In laublosen Weinbergen mit durchweichtem oder halbgefrorenem Boden, den aschgrauen Himmel des Vorwinters über sich, vor Kälte zitternd, kann man kein Volksfest im Freien begehen. Als eine halbverklungene Mähr aus schönerer Zeit hat sich das Andenken an 1811 erhalten, wo, wie die Überlieferung alter Winzer lautet, die Zehenterheber in Hemdärmeln unter freiem Himmel den ganzen Tag an den Zehntbütten standen, weil die Oktobersonne noch so gluthheiß stach, daß man den Oberrock selbst ruhig stehend und im Freien nicht ertragen konnte.

Dieses durchtriebene Kunststück des Spätherbstens bezeichnet einen merkwürdigen Gegensatz zwischen den Weinbauern im Rheingau, wohl auch auf der Mosel und der Ahr und den Winzern von Württemberg und dem badischen Oberlande. Hier zieht man noch vorwiegend einen »Landwein,« einen »Haustrunk,« während der Rheingauer seinen Wein fast nur für den Handel baut. Im badischen Oberland braucht der Winzer Geld zu den Kirmessen, die meist in den Oktober fallen. Also muß im September geherbstet werden. Bekommt er wenig für seinen schlechten Wein, aber das Wenige früh genug, dann ist ihm dies im Augenblick lieber, als ob er nach dem Feste das Doppelte löste. Zudem würde der Kirmes der schönste Schmuck fehlen, wenn man keinen »Neuen« zu trinken hätte. Auf diese Art aber kann die Weinernte nur dann einmal recht gut ausfallen, wenn der liebe Gott und die Kirmes sich zufällig in gleicher Zeitrechnung begegnen. Da nun der Mensch eher über die Kirmes gebieten kann als über Regen und Sonnenschein, so wäre es vielleicht gut, wenn man die erstere tiefer in den Spätherbst hineinrückte. Beim warmen Ofen tanzt sich's auch so übel nicht. Man sieht aber aus diesem einzigen Zug, wie die Oberländer noch den Weinbau als Nebengeschäft zu ihrer Lust und nach ihrem Behagen betreiben. Im Rheingau ist dieses Behagen und mit ihm die Poesie des Herbstes jener andern Poesie geopfert worden, welche sich im kommenden Jahre auf dem Goldgrund eines auf's höchste veredelten Weines widerspiegelt und jener Prosa, welche bei dem Most, der aus der Kelter rauscht, nur noch die Musik der Thaler hört, die in den zusammengeschrumpften Beutel fallen werden.

Auch die alten sinnigen Herbstbräuche sind im Rheingau in gleichem Grade schlafen gegangen als das Spätherbsten über Hand nahm. Fast am längsten noch hat sich das uralte Schlußstück dieser Volksfeste erhalten, die sogenannte »Herbstmucke,« indem nach vollendeter Lese das schönste Mädchen und der schmuckste Bursche der Gemeinde in buntem Maskenputze zusammen auf das zum letztenmal gefüllte Ladefaß gesetzt und unter Gesang und Musik, von allen Winzern begleitet, in's Dorf gefahren werden.

Das alles findet rasch sein Ende. Ist man doch selbst jener ergötzlichen Satyre auf die Weinbereitung, die unter der Firma des »Zinsweines« im ganzen Rheingau durchgeführt wurde und gleichsam den Humor in der Kelter darstellte, durch landständischen Beschluß zu Leibe gerückt. Der Zinswein ist eine altübliche Naturalabgabe des Weinbauern an den Klerus. Es ist aber nur das zu liefernde Maß vorgeschrieben, nicht die Güte. Und hierin steckt eben der Humor des Zinsweins. Wenn man mit dem Auskeltern des wirklichen Weines fertig ist, dann wird der Zinswein gemacht. Den bereits ausgepreßten Trestern sucht man durch einen Aufguß gefärbten Wassers, einer nicht blos bildlichen, sondern natürlichen Lehmbrühe, oder wenn man recht anständig seyn will, alten sauren Weines, und durch abermaliges Zerquetschen den letzten Rest weinartiger Substanz zu entlocken. Das gibt den »Zinswein.« Kein Mensch hielt seit unvordenklicher Zeit dieses Verfahren für eine Fälschung; die ehrbarsten Leute erzeugten den Zinswein auf die beschriebene Weise, und die Pfarrer erwarteten nichts besseres. Jede stehende Naturalbesoldung erhöht sich von selber mit dem sinkenden Geldwerth. Dies hatte man ausgeglichen, indem man den Zinswein immer um so viel schlechter machte als das Geld wohlfeiler und also der wirkliche Wein theurer geworden war. Die Naturalbesoldung war daher auf ihrem stiftungsmäßigen mittelalterigen Nominalwerth stehen geblieben, denn der Preis des Zinsweines im 19. Jahrhundert stimmte auf's interessanteste mit den rheinischen Weinpreisen des 14. Jahrhunderts, wo zu Zeiten das Fuder Wein zwei bis drei Gulden galt. Der Zinswein war eine zur Sitte gewordene Unsitte, eine Fälschung, die durch ihren historischen Boden ehrlich gemacht, ein Betrug, bei dem Betrüger und Betrogene einverstanden waren, so daß schließlich nur der Sprachgebrauch der Betrüger war, indem er diese Flüssigkeit »Wein« taufte.

Das Elend des Weinbaues hat aber doch die Fülle der Lebenslust nicht vertilgen können, die dem rheingauischen Volkscharakter innewohnt. Die Leute vertrinken ihre Noth; denn je weniger Geld der Weinbauer hat, um so mehr hat er ja zu trinken. Den im Weine stets neu erblühenden Lebensmuth des Rheingauers hat der Volksmund gar ergötzlich in einer kleinen launigen Historie gefeiert. Nirgends, so erzählt man, legt seltener ein Mann Hand an sich selbst als im Rheingau, besonders aber ist es in der ganzen Chronik des Gaues unerhört, daß ein Lebenssatter je die der düstersten Melancholie eigenthümliche Todesart des Erhenkens gewählt hätte. Nur einmal war ein Rheingauer Mann, der sich erhängen wollte. All sein Hab und Gut war zerronnen; das letzte Hausgeräthe hatten sie ihm gepfändet. Bloß eine halbe Zulast Wein hatten die Gläubiger noch im Keller liegen lassen. Da ging der Mann auf den Speicher, nahm einen neuen Strick, strich ihn mit Oel, damit er besser rutsche, drehte eine kunstvolle Schlinge und stellte sich unter einen Querbalken. Er wollte eben die verhängnißvolle Reise antreten, als ihm das halbe Zulästchen einfiel, das noch im Keller lag. Nur noch einen einzigen Schluck auf den Weg; Er besann sich lange; aber er schlich hinunter, nahm den Stechheber und steckte ihn zum Spundloch ein, wo man immer den besten Trunk, so recht das edelste Herzblut des Fasses, herauszieht, und füllte sich einen einzigen Schoppen. Und als er den geleert, fand er, daß der Wein gut sey und setzte den zweiten darauf. Beim dritten kam ihm her Gedanke, wie es doch gar thöricht wäre, noch einen so großen Rest des guten Weins lachenden Erben zu lassen; darum holte er auch noch den vierten dazu. Als er aber beim siebenten Schoppen angekommen war, lupfte er ganz sacht den Spunden, nahm den neuen geölten Strick, warf ihn zum Spundloch hinein und rief: so ertränk dich selbst, verdammter Strick! Erst will ich das ganze Faß bis auf den Grund leeren, dann wollen wir sehen, ob du noch zu brauchen bist. Als der Mann aber nach einiger Zeit das ganze Faß wirklich ausgetrunken, fand er, daß der Strick nicht mehr zu brauchen sey. Das war der einzige Rheingauer Mann, der sich erhenken wollte.

Seit tausend Jahren ist das Rheingauer Leben gleichsam in Wein getränkt, es ist »weingrün« geworden wie die guten alten Fässer. Dies schafft ihm seine Eigenart. Denn es gibt vielerlei Weinland in Deutschland, aber keines, wo der Wein so eins und alles wäre wie im Rheingau. Hier zeigt sich's, wie »Land und Leute« zusammenhängen. Der Wein ist allerwege das Glaubensbekenntniß des Rheingauers. Wie man zu Cromwells Zeit in England die Royalisten an der Fleischpastete, die Papisten an der Rosinensuppe, den Atheisten am Roastbeef erkannte, so erkennt man seit unvordenklicher Zeit den Rheingauer an der Weinflasche.

Man erzählt sich im Rheingau von Müttern, die ihren neugeborenen Kindern als erste Nahrung ein Löffelchen guten alten Weines einschütteten, um ihr Blut gleich in der Wiege zum rechten Pulsschlag der Heimath zu befeuern. Ein tüchtiger »Brenner,« wie man am Rhein den vollendeten Zecher nennt, trinkt alltäglich seine sieben Flaschen, wird steinalt dabei, ist sehr selten betrunken und höchstens durch eine rothe Nase ausgezeichnet. Die Charakterköpfe der gepichten Trinker, der haarspaltenden Weingelehrten und Weinkenner, die übrigens doch gemeinhin mit verbundenen Augen durch die bloße Zunge noch nicht den rothen Wein vom weißen unterscheiden können, der Weinpropheten, der Probenfahrer, die von einer Weinversteigerung zur andern bummeln, um sich an den Proben gratis satt zu trinken, finden sich wohl nirgends anders in so frischer Eigenart als im Rheingau. Alle diese Charakterköpfe in ihren unzähligen Spielarten zu Gruppen von »Weinproben« u. dgl. zusammengefaßt, scheinen, gleich den Matrosenkneipen bei den alten Holländern, ein stehendes Thema in unserer modernen Genremalerei werden zu wollen.

Das Zeitbuch des Rheingauers theilt sich nicht ab nach gewöhnlichen Kalenderjahren, sondern nach Weinjahren. Leider fällt die übliche Zeitrechnung, welche von einem ausgezeichneten Jahrgang zum andern zählt, so ziemlich mit der griechischen nach Olympiaden zusammen.

Die ganze Redeweise des Rheingauers ist gespickt mit ursprünglichen Ausdrücken, die auf den Weinbau zurückweisen. Man könnte ein kleines Lexikon mit denselben füllen. Mehrere der landesüblichen schmückenden Beiwörter des Weines sind ein Gedicht aus dem Volksmunde, in ein einziges Wort zusammengedrängt. So sagt man gar schön von einem recht harmonisch edlen firnen Trank: »es ist Musik in dem Wein;« ein guter alter Wein ist ein »Chrisam,« ein geweihetes Salböl. Die »Blume,« das »Bouquet« des Weines sind aus ursprünglichen örtlichen Ausdrücken bereits allgemein deutsche geworden. An solch prächtigem poetischem Wortschmuck für seinen Wein ist der Rheingauer so reich wie der Araber an dichterischen Beiwörtern für sein edles Roß. Aber nicht minderen Ueberfluß hat des Rheingauers Wortschatz an spöttischen Geißelworten für den schlechten, aus der Art geschlagenen Wein, in denen sich der rheinische Humor gar lustig spiegelt. Im Mittelalter ist der schlechte, saure Wein, »davon die Quart nicht ganz drei Heller galt,« am Rhein »Rathsmann« geheißen worden, aber wohl schwerlich aus dem unschuldigen Grunde, den ein späterer Chronist angibt, wenn er meint: »denn wie viel man dessen trank, ließ er doch den Mann bei Verstand, gleichwie alle Rathsleut verständig seyn sollen.« Malerisch anschaulich ist die neuere rheingauische Bezeichnung als »Dreimännerwein,« welcher nur dergestalt getrunken werden kann, daß zwei Männer den Trinker festhalten, damit ihm ein Dritter das edle Naß in die Kehle gießen könne. Musikalisch anschaulich klingt der dröhnende »Rambaß« für den groben, rohen Polterer unter den Weinen. Des Dreimännerweines leiblicher Bruder ist der »Strumpfwein,« ein Gesell von so sauren Mienen, daß bei seinem bloßen Anblick die größten Löcher in den Strümpfen sich von selber zusammenziehen. Der leichte, flaue, milde, charakterlose Wein, der Philister unter den Weinen, den man täglich wie Wasser trinkt, läuft als »Flöhpeter« mit. Dem oberdeutschen »Batzenwein« entspricht der rheingauische »Groschenburger,« als der Chorführer sämmtlicher »Kutscherwein«.«

Der Rheingau hat bekanntlich auch seine eigenen Weinheiligen. Vorab den heiligen Goar, dessen von Kaiser Karl geschenktes Faß sich immer von selbst füllte und der besonders reich die Gäste beschenkte, welche, wofern sie vorher die Wassertaufe empfangen, bei ihm nun auch noch die Weintaufe begehrten. Die Sage vom heiligen Theonest, der sein Märtyrthum bestand, indem er in lecker Weinkufe längs dem ganzen Rheingau den Rhein hinabschwamm und dann bei Kaub landete, wo er die ersten Reben pflanzte, schließt eine sinnige Bilderreihe von all den Martern in sich, welche die Traube zu bestehen hat, bis sie, erstanden »aus den Todesbanden der Kufe,« zum goldenen Weine sich verklärt.

Wenn der norddeutsche Lastträger mit einer schweren Last nicht recht vorwärts kommt und in kleinen Pausen immer von neuem wieder ansetzen muß, dann kräftigt er sich zu jedem neuen Ansatz durch einen herzhaften Fluch, und der hilft allemal. Wenn die Rheingauer Küfer ein recht schweres Faß aus dem Keller heraufschroten, daß sie in Pausen immer von neuem wieder ansetzen müssen, dann kräftigen sie sich zu jedem neuen Ansatze durch einen herzhaften Trunk Wein, und der hilft auch allemal.

Nicht minder unerschöpflich als die Poesie des Weinbergs, aber noch viel weniger ergründet ist die Poesie des rheingauischen Kellers. Nicht Schloß Johannisberg und Kloster Eberbach allein haben ihren Wein in prachtvollen Kreuzgewölben lagern, wo der Doppelschein des gebrochenen Tageslichts und des Lampenschimmels so magisch an den Wölbungen widerstrahlt, während schwer lastende Mauerpfeiler die riesig ausgereckten Schatten dazwischen werfen. Das wiederholt sich im Kleinen in Hunderten von alten Privatkellern – stolze unterirdische Prachtbauten in ihrer Art. Füllen sich im Vorwinter die Kellerräume mit den tödtlich betäubenden Dünsten des gährenden jungen Weines, dann werden, wenn man hinuntergehen muß, Feuerbrände von einem Absatz der Kellertreppe zum andern vorgeschoben, und während die dunkle Tiefe von dem grellen Scheine durchzuckt wird, steigt man unter dem Schutz und der Vorhut der reinigenden Flamme mählich zu den Fässern hinab. Dringt im Frühjahr unversehens die Rheinfluth in die weingefüllten Keller, dann fahren die Küfer nicht selten gleich dem heiligen Theonest in Weinkufen drunten herum, um die Fässer zu sprießen und solchergestalt am Boden zu befestigen. Aber nicht immer wissen sie sich so geschickt über dem Wasser zu halten wie jener Heilige, was dann manches nasse Abenteuer herbeiführt.

So hat sich überall der Goldfaden der Poesie in das Elend der Rheingauer gewebt. Ueberall, wo eine Uebercultur des Bodens stattfindet, wird der Volksschlag nüchtern, mehr noch, wo der proletarische Geist im Gefolge dieser Uebercultur einzieht. Beide Vorbedingungen sind im Rheingau in hohem Grad vorhanden, und doch ist die eigenthümliche Poesie des Volkscharakters hier gerettet, lediglich durch den göttlichen Humor des Weines, der all die Prosa der mageren Jahre im Volksleben noch immer mit magischem Goldschein durchleuchtet hat.

Der Einfluß der Rebe auf den Mann, der Weincharakter des Einzelnen, wiederholt sich in den größeren Gruppen des Volkes. Es sitzt auch Politik im Wein. Die Rheingauer versichern wenigstens, daß 1848 ihre ganze Märzrevolution durch den Wein gemacht worden sey. Die essigsaure Gähre des Siebenundvierzigers begünstigte die politische Gährung außerordentlich. Nicht daß er die Leute durch Verzweiflung zur Revolution getrieben hätte. Aber weil er so schlecht war, daß man ihn nicht verkaufen konnte, schenkte man ihn weg, man ließ ihn laufen, und in der Richtung, in welcher man ihn laufen ließ, durchsäuerte er als ein rechter politischer Sauerteig auch das süßeste Gemüth. Der Siebenundvierziger führt bis auf diesen Tag den Namen »Revolutionswein.« Obgleich er so sehr sauer gewesen, obgleich er in Strömen des Ueberflusses ausgekeltert war und seine Käufer sich einfanden, war er doch alsbald fast ganz verschwunden aus den Rheingauer Kellern. Die Revolution hat ihn ausgetrunken – bezahlt hat sie ihn freilich nicht; er war dabei auch nichts werth. Wenn der reiche Weinaristokrat dann und wann eine Viertelohm dem »Volke« opferte, so war damit jedes kommunistische Gelüsten eingelullt. Daß der Spender dabei mit »bourgeoismäßigen« Hintergedanken nur den proletarischen Siebenundvierziger dem gemeinen Besten weihete, den vornehmen Sechsundvierziger aber für sich behielt, sah ihm die rheinische Gutmütigkeit gerne nach.

Der Revolutionswein erzeugte namentlich eine außererordentliche Vorliebe für alle Arten von Wahlhandlungen. Man ging hier und da so weit, die heute gewählten Bürgerwehrhauptleute und ähnliche volksthümliche Würdeträger nach 14 Tagen wieder abzusetzen, und so immer weiter, lediglich auf daß es einen frischen Wahlakt gebe, da doch jeder Neugewählte seinen Wählern anstandshalber ein Fäßchen setzen mußte. Das gab dann immer wieder ein allgemeines Volksfest. Das Fäßchen wurde hinausgerollt auf die Uferwiesen unter die alten Linden- und Ulmengruppen, wie sie so häufig bei den Rheingauer Dörfern stehen, zu den Linden, in deren Schatten schon die Vorväter angesichts des großen Stromes volksfestlich versammelt gewesen waren, und deren flüsternde Blätter nun schon seit Jahrhunderten keinen Becherklang mehr belauscht hatten. Dort zechte dann alles zusammen und jubelte, Vornehm und Gering, Männer und Weiber und Kinder, und wenn am Abend die ganze Gemeinde bis zu den Schulbuben abwärts angetrunken war, so stimmte das vollkommen zu dem Ideal der Gleichheit und Brüderlichkeit. Es war doch noch Humor in dieser Art Revolution zu machen, und ist wenigstens eine anmuthige Erinnerung daran übrig geblieben. Wann wieder einmal die Kunde einer neuen Welterschütterung von der Seine herüberhallt, dann werden alle Weinfässer in den Rheingauer Kellern vor Schreck erzittern.

Als die nassauischen Soldaten im Sommer 1848 in den schleswig-holsteinischen Krieg zogen, und die Mannschaft auf Dampfern den Rheingau entlang schwamm, zogen von allen Ortschaften Nachen mit Wein beladen nach den Schiffen hinüber und brachten den Söhnen des Weinlandes – nicht in armseligen Gläsern, sondern in Achtelohmfässern und wuchtigen Krügen – den Valettrunk auf's Deck. Von dem Ufer zu den Nachen, von den Nachen zu den Dampfschiffen trank man sich herüber und hinüber zu, und das hielt an, bis die zögernden Dampfboote die Grenzlinie der ächten Weinregion überschritten hatten. Es war dieß ein ächt Rheingauisches Bild, das man hätte malen können.

Die Rheingauer sind ein Volksschlag, der zuerst in der Schule der Ueppigkeit und des Wohllebens, später aber in der allzustrengen Zucht des Unglücks verdorben worden ist, dem man aber nur ein paar Festtage zu geben braucht, um den warmen Lichtglanz seines Charakters wieder hervorzulocken. Ein Volk bildet und veredelt sich überhaupt immer noch eher als der Einzelne im Jubel der Festesfreude; wer das erproben will, der studire die Einzelzüge des rheingauischen Volkscharakters. Man sagt, der südliche Thalhang des Rheingauer Gebirgs habe die höchste mittlere Jahreswärme in ganz Deutschland; man vergleicht den hier breitgestauten, inselgeschmückten Rheinstrom gern mit den italienischen Seen, und die alten Zopfdichter haben den Rheingau standhaft das »deutsche Italien« genannt. Man muß hinzufügen, daß auch die Rheingauer Leute derjenige deutsche Volksschlag sind, dessen Charakter wohl am meisten Wahlverwandtschaft mit dem italienischen hat. Als vor einiger Zeit ein rheingauisches Dorf fast zur Hälfte niederbrannte, half die Mannschaft des nächstgelegenen Städtchens mit so muthigem Eifer löschen, daß die abgebrannten Bauern in der aufwallenden Rührung des Dankes den Nachbarn die Spritze zurückhielten und deren Wasserkasten mit Wein füllten. Und nun lagerten sich die beiden Gemeinden auf der rauchenden Brandstätte, sangen und zechten brüderlich, Arm in Arm, und müheten sich in die Wette die Spritze auszutrinken. Da stimmten die Stadtleute in aller Unschuld das Lied an: »Wir sitzen so fröhlich beisammen etc.,« dessen Verse bekanntlich mit dem Rundreim schließen: »ach wenn es doch immer so blieb'!« Dieser Rundreim wurmte den Bauern, sie schauten umher auf die Asche- und Trümmerhaufen, darunter ihre Habe begraben lag und geboten ihren Gästen einzuhalten mit dem Liede, da sie keineswegs wollten, daß es immer so bleiben solle. Diese aber meinten, es sey ein gutes Lied und sey nicht so gemeint, und sangen weiter. Als aber der Rundreim wieder kam, schlugen die Bauern mit Fäusten drein, die Städter gaben es zurück, und ehe noch die Spritze halbleer getrunken war, mußten die großmüthigen Wirthe und die aufopferungsvollen Gäste schon mit blutigen Köpfen auseinander gerissen werden.

Wäre diese Geschichte nicht wirklich gewesen, so bliebe sie doch wahr; sie hat so ächt rheingauischen Localton, daß man sagen kann, sie müsse sich in Zukunft noch zutragen, wenn sie sich nicht bereits zugetragen hätte. Aber mit ihrer aus der edelmüthigsten Rührung plötzlich um nichts und wieder nichts jäh zum wildesten Groll überspringenden Katastrophe könnte sie eben so gut unter Italienern geschehen seyn wie unter Rheingauern. Nur müßte man dann den einzigen Zug herauswischen, daß die Leute eine ganze Feuerspritze voll Wein auf einen Sitz austrinken wollten, denn derselbe ist jedenfalls rein germanisch.

Der Rheingauer ist leicht empfänglich für jede Art von Anregung und Aufregung, namentlich für politische; allein bisher konnte man wahrnehmen, daß dieselbe immer eben so rasch wieder verflog. Der gemeine Mann, der hier durchschnittlich eher einem verbauerten Städter als einem wirklichen Bauern ähnlich sieht, hat ein ungleich lebhafteres Temperament als die schwerfälligen Kornbauern in seiner Nachbarschaft, ein rascheres Urtheil, ein höheres Selbstgefühl und einen gewissen Schliff allgemeiner Bildung. Der Wein schmeidigt den Volksgeist. Aber die Begeisterung dieses Volkes gleicht darum auch oft einem Weinrausche. Als die Leute merkten, daß sich's in der Revolution zwar recht lustig gratis zechen lasse, daß aber die zahlenden Zecher von außen ausblieben, wurden sie, die kleinen Weinbauern vorab, praktisch sehr reaktionär; theoretisch gehört dagegen die Oppositionslust zu den stehenden Zügen des rheingauischen Charakters. Aus fast allen politischen Bewegungen, von denen die Geschichte des Rheingaues berichtet, reckt leichtblüthige, gutherzige Schalkheit das Gesicht hervor. In dem wilden Bauernkriege vergossen die rheingauischen Bauern nur Rebenblut und ließen sich gleichsam beim Fasse todtschlagen. Als später einmal die streitbaren Bürger von Rauenthal ihrem Landesherrn, dem Kurfürsten von Mainz, grollten, weil er nicht erfüllte, was er ihnen verheißen, kamen sie viele Jahre lang allabendlich beim Glase zusammen, um ihrem Zorn in recht fürchterlichem Trinken Luft zu machen, und die Sage bezeichnet heute noch die Stube, worin sie gesessen, als die »Krawallstube.« Das war ihre ganze Empörung. In der ersten Verwirrung des Jahres 1848 fürchtete man für die großen Keller in Johannisberg und Eberbach, worin für Millionen flüssiges Gold lagert, und schickte Bürgerwehrleute hin, um diese Schätze vor räuberischen Händen zu bewahren. Der Schutz erwies sich als ganz überflüssig. Denn da, wie die Volkssage berichtet, wenigstens an einem dieser Plätze der Geist des Ortes dergestalt auf die Besatzung gewirkt haben soll, daß die Wachen, die mit dem Gewehr in dem einen und dem Weinkrug in dem andern Arm vor den Kellerthüren schilderten, mitunter nicht bloß abgelöst, sondern auch abgetragen werden mußten, so kann es mit den Angriffen theilungssüchtiger Umstürzler wohl nicht sehr ernsthaft gemeint gewesen seyn.

Es gibt ganze Bibliotheken von Reisehandbüchern über den Rheingau, davon gemeiniglich eines dem andern dieselben breitgetretenen Historien nachschreibt. Man notirt jede steinerne und hölzerne Staffage der Landschaft, aber die herrlichste und eigenste Staffage, die scharf geprägte Charakterfigur dieses Volksschlages stellt keines dieser Bücher in den Vordergrund. Hier zeigt sich recht die Neuheit des Studiums von »Land und Leuten«: das »Land« ist topographisch so ausgebeutet, wie kaum ein anderer Strich in Europa, die »Leute« übersieht man. Es liegt aber eine gewisse Beruhigung für den gründlicheren Beobachter in dem Umstand, daß für die allergrößte Mehrzahl von frivolen Touristen, welche alljährlich kommen, um die Reize des Rheingaues abzugrasen, gerade der feinste Reiz des Genusses, der in dem Zauberbild eines originellen Volkslebens liegt, doch ewig verschlossen bleibt. So ist es überhaupt in Deutschland. Die so wunderbar mannichfaltig abgestufte Physiognomik unseres Volkslebens harret in ihren Feinheiten und in ihren kleinen Einzelzügen fast überall noch des Ausbeuters und Zeichners. Wir treiben so eifrig die Zahlenstatistik des materiellen Volksbestandes; die geistige Statistik der Nation liegt zum besten Theile noch brach. In den zahllosen Einzelgruppen, worin sich unsere Volksstämme wieder spalten, webt eine sprudelnde Fülle des frischesten Lebens, die sich als der dankbarste Stoff jedem Beobachter von selbst darbietet, der sich in liebevoller Hingabe dem Volksleben zu nähern weiß. Die meisten Reiseschriftsteller stolpern über diesen Stoff und merken doch noch nicht einmal, daß er ihnen im Wege gelegen habe. Der heutige Rheingau hat keine ächten Städte und keine ächten Dörfer. Alle Ortschaften sind Mitteldinge zwischen beidem. So ist auch der rheingauische Winzer kein eigentlicher Bauer mehr, ob er gleich das Land baut. Andererseits ist er aber zum ganzen Bürger auch noch nicht fertig. Diese Vermischung der natürlichen socialen Gegensätze läßt allemal auf ein Volk schließen, das seine beste Kraft bereits in früheren Zeitläuften ausgelebt hat. Auch in dem geschäftlichen Beruf des Rheingauer Weinproducenten kreuzen und verschmelzen sich drei Hauptgruppen der Arbeit: Ackerbau, Industrie und Handel. Man kann aber sagen, daß hier weder im Ackerbau noch in der Industrie, noch im Handel ein rechter Segen wohne, obgleich fast alle Einwohner Ackerbau, Industrie und Handel zugleich betreiben. Es gibt fast nur ganz reiche und ganz arme Leute, sehr große Güter, die aber größtentheils auswärtigen Besitzern gehören, neben einem auf's äußerste zerstückten Boden.

Gleich allen ausgelebten Volksschlägen hat der rheingauische längst keine eigene Tracht mehr. Der Bauer kleidet sich wie ein verlumpter Bürger. Auch die Volkssprache hat ihre schärfste Eigenart längst abgeschliffen. Schon im 16. Jahrhundert war sie durch die verschiedensten Sprachen- und Dialekt-Elemente, welche sich ihr vermengt hatten, ausgezeichnet. Aber es war nicht der seit uralter Zeit sehr starke Fremdenverkehr allein gewesen, welcher die Besonderheiten der Volkssprache verwischt hatte. In dem ganzen politisch und social individualisirten Mitteldeutschland sind die selbständigen Dialekte aufgelöst. Nur Nord- und Süddeutschland zeigen noch die strengen Gegensätze abgeschlossener und annähernd reiner Volksmundarten, in den mittleren Gauen herrschen auch sprachlich zersplitterte, buntscheckige Uebergangsbildungen. Hat der Rheingauer aber auch keine streng gesonderte Mundart, so besitzt er wenigstens noch eine Fülle derb kräftiger Bilder und sinnlich greifbarer Redeweisen und Sprüche, Zeugnisse der Poesie und Frische des Volksgeistes, und in ergötzlicher Genialität gangbarer Spott- und Schimpfreden thun es ihm nicht einmal die Pfälzer zuvor.

Die Geschichte des Rheingaues seit dem Ausgange des Mittelalters zeigt, wie trügerisch der allgemeine Satz ist, als müsse die Einwanderung reicher Leute in ein Land und das Einströmen eines großen Verkehrs nothwendig auch Wachsthum und Erstarken des Volkswohlstandes zur Folge haben. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts hatte sich eine bedeutende Zahl von Mainzer Patriciern nach dem Rheingau gezogen, eine Schaar reicher Forensen brachte Luxus und Wohlleben dorthin, die Mainzer Erzbischöfe betrachteten den Gau als ihr kostbarstes Besitzthum, als die vergnüglichste Wohnstätte in guten und den sichersten Zufluchtsort in bösen Zeitläuften, sie statteten ihn deßhalb mit allen möglichen Freiheiten und Vergünstigungen aus, – und doch erwuchs aus all diesen scheinbar so glücklichen Umständen gerade der sociale Ruin der Bewohner, welchem überall auch der materielle Ruin auf dem Fuße folgt. Die Bevölkerung war zu klein und zu unselbständig, um sich vor dem Eindringen dieser fremden Elemente zu schützen, das ganze Land, überdeckt mit Fürsten- und Adelssitzen, ward gleichsam ein großes Hoflager. Damit wurden allmählig alle natürlichen Grundlagen der Gesellschaft erschüttert; die Bauern wurden bürgerlich, die Bürger sahen aus wie vornehme Leute, die alten Sitten wurden zerbrochen, es kam namentlich damals eine förmliche Revolution über das vordem sehr strenge und einfache Hauswesen der Rheingauer. Diese Zustände die sich zu jener Zeit in verschiedenen mitteldeutschen Landstrichen wiederholten, finden ihr schlagendes modernes Gegenbild in den Gegenden, wo jetzt die Bäderindustrie blüht. Wenn sich's ein ganzes Gebiet zum ausschließlichen Berufsgeschäfte macht, auf die Vergnügungssucht und die Verschwenderlaune reicher Leute zu spekuliren, dann wird zuletzt des Volkes ganze Sinnesart sich veräußerlichen, die Leute werden das Aufsteigen zu immer mehr verfeinerten Genüssen als letztes Ziel aller Arbeit ansehen, und tüchtige Bürger verwandeln sich in servile Bedientennaturen und vornehmthuerisches Gesindel. Zur Bewahrung gesunder Gesellschaftszustände ist es nicht genug, daß das Volk arbeite und den nationalen Wohlstand mehre: es kommt auch darauf an, was und warum es arbeitet. Gar mancher moderne Arbeitsverdienst, der dem reinen Finanzmann eine Mehrung des Volkswohles dünkt, ist ein Blutgeld, ein Beutel voll elender Silberlinge, um welche der freie und ehrenfeste Sinn der Bürger verkauft und verrathen wird. Abgeschlossenheit eines Landes schafft ein in seinen Sitten gefestetes, am überlieferten Staatsleben festhaltendes Volk. Dies gilt aber nur, wo die Beschaffenheit des Landes eine natürliche, wo das Volk groß genug ist, um in seinen gesellschaftlichen Gebilden sich selbst genügen zu können. Die willkürliche Abschließung eines Landes, das von Natur kein selbständiges Ganzes bildet, erzeugt den Partikularismus. Dieser löst die Sitte des Volkes und tilgt in ihm den Sinn für eine in stetiger Gemessenheit fortschreitende politische Entwicklung. Das Unruhige, Unfertige in dem Staatsleben eines allzukleinen Landes prägt sich auch dem Volkscharakter ein. Es geht hier mit den Gauen, wie mit den Ständen. Das feste körperschaftliche Zusammenhalten der ächten Stände gibt der natürlichen socialen Gliederung erst Kraft und Halt, während die Uebertragung der nämlichen corporativen Beschlossenheit auf die unächten Stände die ganze Gesellschaft auseinandersprengt.

Die mittelalterige Landesverfassung des Rheingaues gibt das anschaulichste Bild eines solchen falschen Abschlusses. Der Gau, obgleich viel zu klein, um sich selbst genügen zu können, war geschlossen gleich einer Burg. Im Süden und Westen sperrte der breite Grenzgraben des Rheinstromes das Land ab; längs der Ostgrenze erhob sich vom Rheine bis zum Gebirg hinauf ein festes Bollwerk von Mauern und Thürmen, und wo diese Landesmauer aufhörte, da zog sich nördlich über das ganze Waldgebirg bis wieder zur Westgrenze des Rheines hinüber eine Grenzwehre der eigensten Art, das sogenannte Rheingauer Landgebück. Hier war der Wald selbst zur Festung gemacht, indem Baumzweige und Buschwerk auf Meilen weit zu dem festesten Zaun in einander geflochten und im Laufe der Jahrhunderte so dicht zusammen verwachsen waren, daß sie das Land besser als eine Mauer absperrten. Man konnte den ganzen Gau wie ein Haus zuschließen. Dieser territorialen Beschlossenheit entsprach die sociale und politische Abschließung des Volkes. Der Landesfürst schloß den Gau politisch durch seine Vogtei, und die Bewohner selbst schlossen sich social ab durch die äußersten Schwierigkeiten bei der Aufnahme eines Fremden in ihre Genossenschaft. Allein auch positiv sprach sich das social-politische Sonderthum aus in dem höchst merkwürdigen uralten Markverein der »rheingauischen Heimgeraide.« Im ursprünglichen Geiste dieses Markvereins sind alle Landesinsassen als eine große Familie gedacht. Die Heimgeraide bildete das gemeinsame Eigenthum dieser Familie, die Almende des Landes. »Wald, Weide, Wasser, Weg und Steg« sind die Nutzungen, auf welche jeder Rheingauer ein angeborenes Recht hatte, aber nur im Sinne der Gütergemeinschaft, denn Keiner durfte sich von diesen Stücken etwas zum Privatbesitz aneignen. Dieser urväterliche Communismus, der eine ganze Gaubevölkerung zur engverbundenen socialen Familie zusammenrückte, war außer dem Rheingau gerade in solchen Gegenden ganz besonders ausgebildet, wo heute noch eine starke politische Zerstückelung und Kleinstaaterei herrscht, in der südwestdeutschen Staatengruppe. In der ältesten Zeit ein mächtiger Hebel zur Förderung der Cultur, politischen Gemeingeist weckend im Volke, wurden diese Markvereine und Waldgenossenschaften später die Stützen eines falschen Sondergeistes. Selbst die immer kräftiger herausgebildete bundesherrliche Gewalt vermochte lange nicht, den im Volksleben gewurzelten Partikularismus zu bemeistern. Die Grenzen der Markvereine durchkreuzten mitunter die Grenzen der fürstlichen Territorien und trugen so noch eine sociale geographische Zersplitterung in die politische hinein. Die wetterauische »hohe Mark von Oberursel« z. B. griff in Mainzer, Hanauer, Solmser, Frankfurter und anderherrisches Gebiet hinüber. Umgekehrt schloß dann die Rheingauer Mark wieder einen Theil rein mainzischen Gebietes als selbständiges Ganze ab. Die deutsche Kleinstaaterei ist keine Schöpfung der Fürsten, sie gründet sich auf den Partikularismus des Volkslebens, der altersgrau ist neben dem noch sehr jungen Institute der fürstlichen Landeshoheit.

Der Bürgerstolz, diesem hochbegünstigten Gau anzugehören und die Eifersucht, daß kein Unberufener eindringen möge, spricht sich in der alten rheingauischen Landesverfassung auf's kräftigste aus. Wer den Charakter eines Gaugenossen hatte, dem fielen die Ansprüche auf Theilnahme an den Freiheiten und Nutzungen zu, wenn er auch nur soviel Grundeigenthum besaß, »daß man einen dreibeinigen Stuhl darauf stellen konnte,« während ein anderer, der, ohne jenen Charakter, die größten Liegenschaften im Gau sein eigen genannt hätte, dennoch davon würde ausgeschlossen gewesen seyn. Hier liegt der Vergleich mit den alten Reichsstädten nahe. Aus ihrer früher so heilsamen Abschließung entwickelte sich bei vielen dieser Städte später ein versteiftes und verknöchertes Gemeinwesen, derart, daß sie im Wettstreit mit dem entfesselten modernen Städteleben vollständig in die Ecke geschoben wurden; bei andern aber, namentlich den kleineren, trat das gegentheilige Uebel ein: sie verloren alle Eigenart und der ganze Charakter ihres Bürgerthums löste sich gründlicher als irgendwo in der socialen Ausgleichung der Gegenwart auf. Das letztere gilt auch vom Rheingau. Im Mittelalter hat er sein Volksleben auf's individuellste entfaltet und – ausgelebt. Das Uebermaß der Abschließung schlug in sein Gegentheil um, in die Verflüchtigung alles Besonderen. Der Gau, welcher früher so spröde that bei der Aufnahme von Fremden, war in unserm Jahrhundert, wie zur Strafe, einmal geraume Zeit eine wahre Freistätte für fahrendes Gesindel geworden.

Allein ob gleich fast alle die früheren socialen Charakterzüge des rheingauischen Volkes erloschen sind, so war doch ein einziger nicht zu vertilgen: der Rheingauer ist der Mann des deutschen Weinlandes, des Weinbaues und des Weintrinkens als solcher. Das ist die wunderbare natürliche Wahlverwandtschaft zwischen »Land und Leuten,« die durch keine politische Umwälzung zerstört weiden kann.

Der oberste Kanon der alten rheingauischen Landesrechte hieß: » Im Rheingau macht die Luft frei.« Dieses große Privileg des salischen freien Landstriches hat längst seinen politischen Sinn verloren. Aber ein tiefer poetischer Sinn ist dem wunderlich klingenden mittelalterigen Rechtsgrundsatze geblieben. Die Luft ist es in der That, die das moderne, in den Banden einer eben so unreifen als überreifen Civilisation gefangene rheingauische Volksleben einzig noch frei macht, die milde, hesperische Luft, in ganz Deutschland sonder Gleichen, welche die Traube des Steinbergs und Johannisbergs reift, damit der Wein wenigstens das arme Volk im reichsten Gau mit einem Strahl der Poesie verkläre, und ihm das Köstlichste nicht ganz verloren seyn lasse, was den einzelnen Menschen wie Volksgruppen und Nationen auszeichnet: eigenartige Persönlichkeit.


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