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InitialGerade brach der Tag an, als Witek, ganz müde vom Fest und von Gusche angetrieben, nach Hause rannte.

Das Dorf schlief noch im tiefen Grund der Dämmerung, die sich schon im Vergehen zu einem dicken Wall dicht über der Erde gestaut hatte, der Weiher lag starr, wie erdrückt, unter dem düsteren Dickicht der Uferbäume und so in die Dunkelheit vergraben, daß er sich kaum gegen die Mitte zu aus der Nacht herausschälte und in milchigem Schimmer, wie ein erblindetes Auge, geisterte.

Es war ein starker Morgenfrost, ein kalter Windzug strich durch die froststarre Luft, die in die Nüstern stach und den Atem beklemmte, die Erde klang hohl unter den Tritten, und die zugefrorenen Pfützen lagen glasig auf den Wegen, wie angelaufene Glasscheiben; die Welt wurde kalkig blaß unter dem allmählich wachsenden Frühlicht und tauchte froststumm und bereift aus den Dämmerungen hervor; nur irgendwo begannen schläfrig ein paar Hunde aufzukläffen, und die Mühle schlurrte aus der Ferne; und um das Hochzeitshaus schlug der festliche Lärm Kreise um Kreise in eines Steinwurfs Breite.

In Borynas Stube glimmte noch, wie ein Johanniswürmchen, ein winziges Lichtlein, so daß Witek neugierig durchs Fenster blickte; der alte Rochus saß am Tisch und sang aus dem Buch fromme Lieder vor sich hin.

Der Junge schlich leise nach dem Kuhstall und wollte nach dem Riegel tasten; plötzlich aber schrie er auf und fuhr erschrocken zurück, denn mit Gewinsel war ein Hund an ihm hochgesprungen.

»Waupa! Waupa! Bist du denn wieder da, mein gutes Hundchen, wieder da, du armer Kerl!« rief er, nachdem er den Hund erkannt hatte und hockte vor Freude zu ihm auf der Schwelle nieder. »Bist hungrig, armer Teufel, was?«

Er suchte unter dem Brustlatz nach der Wurst, die er sich vom Hochzeitsschmaus abgespart hatte und schob sie ihm ins Maul, aber Waupa hatte es nicht eilig mit dem Essen, er bellte in einem fort, sprang an ihm hoch und winselte vor Freude.

»Hungern haben sie dich lassen und dich dann noch 'rausgeschmissen, armer Kerl!« murmelte er, die Tür zum Kuhstall aufsperrend, und warf sich gleich, wie er ging und stand, auf seine Pritsche. »Ich werd' dir schon nichts ankommen lassen und für dich sorgen ...,« brummte er und vergrub sich ins Stroh, der Hund legte sich neben ihn, knurrte ein paarmal auf und leckte ihn hin und wieder ins Gesicht.

Es dauerte nicht mehr lange, da schliefen sie beide. Und vom nebenanliegenden Stall rief Jakob mit schwacher, kranker Stimme; er rief lange, doch Witek schlief wie ein Stein, erst Waupa, der die Stimme erkannt hatte, fing an, so wütend zu bellen und ihn am Rock zu zerren, bis er aufwachte.

»Was denn?« lallte er schlaftrunken.

»Wasser! Die Hitze packt mich so an ... Wasser!«

Obgleich er verdrießlich war, und der Schlaf ihm in den Gliedern saß, ging er doch, einen ganzen Eimer Wasser für Jakob holen, den er ihm zum Trinken hinstellte.

»Ich bin so krank, daß ich kaum Luft schnappen kann ... Was knurrt denn da?«

»Der Hund ist es! ist von den Anteks zurückgekommen, das arme Tier!«

»Waupa!« flüsterte er, in der Dunkelheit nach dem Hundekopf tastend, und Waupa sprang empor, bellte und versuchte auf die Pritsche zu klettern.

»Witek, tu' mal den Pferden etwas Heu einlegen, denn sie klopfen mit den Zähnen an die leeren Krippen, ich kann mich ja nicht rühren. Tanzen sie noch?« fragte er nach einer Weile, nachdem Witek Heu vom Stallboden heruntergeworfen hatte und es in die Raufen hineintat.

»Die werden wohl zu Mittag erst fertig, und manche haben sich so betrunken, daß sie draußen auf der Straße liegen.«

»Die amesieren sich was, die amesieren sich, die Hofbauern,« seufzte er schwer auf.

»Waren die Müllersleute da?«

»Sie waren, nur daß sie früher gegangen sind.«

»Sind wohl viele dagewesen?«

»Wer die zählen könnte ... nicht mehr rühren konnt' man sich im Haus.«

»Haben sie reichlich was aufgetischt?«

»Das war schon rein wie im Herrenhof. Ganze Schüsseln Fleisch haben sie herumgetragen, und was sie Schnaps ausgesoffen haben und noch all das Bier und Met noch! Allein Wurst waren drei gehäufte Mulden voll.«

»Wann ist denn die Brauteinholung?«

»Heute doch, zur Vesper.«

»Die haben noch was vor sich, die werden sich noch genug was amesieren ... Du lieber Jesus, ich dachte, ich sollt' auch was davon abkriegen, und wenn auch man 'n Brocken für mich übergeblieben wär', daß ich mich doch mindestens einmal ordentlich satt essen könnte, und nun lieg' einer hier und verreck', und hör' zu, wie die anderen das Vergnügen haben.«

Witek ging wieder schlafen.

»Wenn man doch mindestens die Augen satt sehen könnte ... wenn doch ...«

Ermattet verstummte er und käute in seinem Innern sein Leid wieder/stille, schüchterne Klagen, die in seiner Brust hin- und herflatterten, wie flügellahme Vöglein, und schmerzvoll zirpten.

»Möge es ihnen wohl bekommen, laß sie wenigstens was vom Leben haben ...,« dachte er, den Kopf des Hundes streichelnd.

Das Fieber umnebelte ihn immer mehr, und um Schutz zu finden, fing er an, das Gebet zu murmeln und sich Jesu Barmherzigkeit warm anzuempfehlen auf Gnade und Ungnade, aber er vergaß, was er sagen wollte, der Schlaf überfiel ihn immer wieder, und die Reihenfolge seiner geflüsterten Worte, die von Bitten und Tränen geschwellt waren, zerriß und verstreute sich, wie eine rote Korallenschnur, so daß er die einzelnen Perlen zusammenraffen wollte, so sichtbar rollten sie über seinen Schafpelz; doch alles entschwand ihm/er schlief ein.

Manchmal wachte er auf, ließ den leeren Blick schweifen, und ohne etwas wahrzunehmen, sank er und stürzte wieder in die tote, leichenstarre Dunkelheit zurück.

Dann wieder stöhnte er und schrie im Schlaf, daß die Pferde schnaubend an den Ketten rissen; das brachte ihn wieder etwas zur Besinnung, und er richtete den Kopf ein wenig auf.

»Jesus, mindestens noch den Tag erleben!« jammerte er angstvoll und ließ die Blicke durchs Fensterchen gehen, um in der Welt den kommenden Tag zu suchen; nach der Sonne spähte er am grauen kalten Himmel, der mit erblassenden Sternen beschlagen war.

Aber der Tag war noch weit.

Der Stall war versunken im trüben dunstigen Licht der Morgendämmerung, so daß schon die Umrisse der Pferde sich abzuzeichnen begannen und die Raufen an den Fenstern wie Rippen gegen das Licht zu sehen waren.

Er konnte nicht mehr einschlafen, denn neue Schmerzen überkamen ihn, sie glitten ihm ins Bein, wie Knüttelstöcke, trieben es auseinander, bohrten und brannten, als ob ihm einer mit lebendiger Glut die Wunden bestreute, so daß er sich plötzlich emporriß und aus ganzer Kraft zu schreien begann, bis Witek davon aufwachte und hereingestürzt kam.

»Ich tu' sterben! Ich tu' sterben! Es schmerzt so in mir, die Krankheit wächst sich aus und tut mich erwürgen ... Witek, lauf' Ambrosius holen ... oh Jesus, oder Gusche, vielleicht helfen sie was, denn ich mach' es nicht mehr ... die letzte Stunde kommt schon über mich ... die letzte Zeit ...« er brach in ein furchtbares Weinen aus, wühlte das Gesicht ins Stroh und schluchzte bang und schwer.

Und Witek lief trotz seiner Schläfrigkeit zum Hochzeitshaus zurück.

Sie waren immer noch im vollen Tanz, Ambrosius aber war besoffen und stand, wie es bei ihm immer so war, mitten auf der Dorfstraße vor dem Haus, torkelte hin und her zwischen Weiher und Zaun und sang sich einen.

Vergeblich flehte ihn Witek an und zerrte ihn am Ärmel, der Alte war wie taub und wußte nichts mehr von sich, er wankte nur und sang verbohrt immerzu dasselbe Lied. Jetzt lief Witek zu Gusche, da sie Erfahrungen in Krankheiten hatte, doch sie saß mit den Gevatterinnen in der Kammer, und sie tranken einander mit dem Kupnik dermaßen zu, taten sich so gütlich am Bier, daß sie alle auf einmal redeten und Gesänge jaulten. Es war nichts mit ihr zu reden. Immer wieder wimmerte Witek, daß sie doch zu Jakob kommen müsse, bis sie ihn schließlich zur Tür hinaus schmiß und ihm mit der Faust noch ein paar nachknuffte. Nachdem er so viel erreicht hatte, rannte er weinend zum Stall zurück.

Da aber Jakob gerade schon wieder eingeschlafen war, so wühlte er sich ins Stroh hinein, zog einen alten Fetzen über den Kopf und schlief ein.

Eine gute Zeit nach dem Frühstück, weckte ihn das Brüllen der hungrigen und ungemelkten Kühe auf und dazu das Keifen Gusches, die, wie die anderen, die Zeit verschlafen hatte und das durch Geschrei in der Wirtschaft wieder gut zu machen versuchte.

Erst nachdem sie etwas Arbeit abgewälzt hatte, sah sie nach Jakob.

»Helft mir doch, ratet mir doch,« bat er leise.

»Heirat' dir 'ne Junge an, dann wirst du gleich auskuriert sein!« fing sie vergnügt an; als sie aber sein blau angelaufenes, geschwollenes Gesicht sah, wurde sie merklich ernster. »Einen Priester brauchst du mehr als einen Arzt! Was soll ich dir da helfen? Besprechen könnt' ich, beräuchern, aber wird das helfen? ... Es scheint mir, daß du die Todkrankheit hast, die reine Todkrankheit ...«

»Soll ich denn sterben?«

»Das steht in Gottes Macht, aber mir deucht, daß du der Knochenfrau nicht mehr entwischst.«

»Sterben soll ich, sagt ihr?«

»Nach Hochwürden müßte man schicken, wie?«

»Hochwürden!« stieß er erstaunt hervor. »Hochwürden hierherbringen in den Stall zu mir? ... Was kommt euch an?«

»Was denn, ist doch nicht aus Zucker, der wird sich hier schon im Pferdemist nicht auflösen! Dazu ist doch der Priester da, daß er kommt, wohin man ihn zu einem Kranken ruft.«

»Jesus! und ich sollte die Frechheit haben, zu mir, in diesen Mist? ...«

»Bist dumm wie'n Schaf!« Sie zuckte mit den Achseln und ging davon.

»Selbst dumm, weiß nicht was sie redet ...« brummte er, arg empört, fiel schwer auf sein Lager zurück und sann noch lange nach. »Hat sich was, das Frauenzimmer ... hale, Hochwürden, der liebe, spaziert sich in den Zimmern herum ... liest aus den Büchern ... redet mit dem lieben Gott ... und zu mir soll man ihn rufen ... diese Frauen, ... nur um die Zunge laufen zu lassen ... Dumme ...«

So blieb er denn einsam liegen, und es war als ob sie ihn vergessen hätten.

Zuweilen nur ließ sich Witek blicken, um den Pferden Hafer aufzuschütten oder sie zu tränken; dann reichte er auch ihm Wasser und verschwand bald wieder. Er lief zurück ins Hochzeitshaus, wo sich die Gäste allmählich zur Brauteinholung einzufinden begannen. Zuweilen stürzte auch Fine mit Geschrei herein und steckte Jakob ein Stück vom Hochzeitskuchen zu, sie plapperte, schnatterte, füllte den Stall mit Geschrei, so daß die Hühner auf den Staffeln erschrocken zu gackeln anfingen, und rannte schnell davon.

Natürlich, die konnte gut rennen, denn man amüsierte sich da schon nicht schlecht, die Musik dröhnte durch die Wände und frohes Geschrei und Singen kam von daher.

Jakob lag still, denn von Zeit zu Zeit packten ihn von ungefähr die Schmerzen; so horchte er denn nur hin und suchte zu erkennen, was sie sich da amüsierten, dabei redete er mal mit Waupa, der ihn nicht für einen Augenblick verließ und gemeinsam mit ihm Fines Kuchen verzehrte; er schnalzte zu den Pferden hinüber und redete mit ihnen, bis sie freudig wieherten und die Köpfe von den Krippen nach ihm drehten, die Jungstute riß sich sogar vom Halfter los und kam bis an die Pritsche zu schäkern und die feuchten, warmen Nüstern an sein Gesicht zu reiben.

»Bist mager geworden, mein Armes, mager!« Er streichelte sie zärtlich und küßte sie auf die geblähten Nüstern. »Hab man keine Angst, bald werd' ich schon gesund, dann will ich dir die Flanken wieder rund machen und wenn es mit reinem Hafer sein soll ...«

Er wurde bald wieder still und blickte gedankenlos auf die schwärzlichen Aststellen, von denen an den Wänden Harz herunter geronnen war, wie erstarrte blutige Tränen.

Der blasse Sonnentag schaute mit stillen Augen durch die Ritzen, durch die aufgesperrte Tür aber ergoß sich ein Strom flirrender, blitzender Helligkeit, die wie die goldenen Spinnweben der Stoppelfelder war; die Fliegen schwirrten darin mit einem taumeligen, schläfrigen Summen.

Stunden auf Stunden gingen dahin, schleppten sich langsam vorüber, wie blinde, lahme Bettler, die mühselig über schlimme Sandwege ziehen; sie gingen in Stille, oder sie waren wie ein Stein, der ins Bodenlose fällt und stürzt, sich verliert, entschwindet, daß selbst das Auge ihn nicht mehr greifen kann.

Manchmal nur stürmte ein Haufen schilpender Spatzen in den Stall und machte sich keck über die Krippen her ...

»Was für verständige Biester!« flüsterte er. »So ein Vöglein, und der Herr Jesus gibt ihm den Verstand, daß es weiß, wo es die Nahrung finden kann. Ruhig, Waupa, laß sie sich satt essen und durchhelfen, die armen Dinger, auch für sie kommt der Winter.« Er besänftigte den Hund, der aufgesprungen war, die Räuber fortzujagen.

Auf dem Hof fingen die Schweine an zu quieken und sich gegen die Ecken der Stallwand zu reiben, so daß das ganze Gebäude bebte, und danach schoben sie ihre langen, dreckigen Rüssel durch die Tür und grunzten.

»Treib' sie 'raus, Waupa, dieses Lungervolk, die haben nie genug!«

Kaum waren sie weg, da begannen die Hühner am Eingang zu gacksen und ein großer roter Hahn guckte behutsam herein, wich zurück, schlug mit den Flügeln und krähte, bis er plötzlich frech über die Schwelle sprang und sich über den Kober voll Hafer machte, und hinter ihm her erschienen seine Hühner, aber sie kamen nicht zum rechten Essen, denn ein Trupp schnatternder Gänse tauchte auf; es flimmerten auf der Schwelle die roten zischelnden Schnäbel und die langgestreckten Halse bewegten sich hin und her.

»Treib' sie 'raus, mein Hund, treib' sie 'raus! Das Kroppzeug hat nur immerzu miteinander zu zanken, ganz wie die Weiber!«

Es ertonte denn auch gleich ein Lärm, Geschrei und ein Flug elf latschen, und Federn flogen auf, wie aus einem aufgerissenen Federbett, denn Waupa ließ sich nicht sein Vergnügen entgehen, er kehrte keuchend mit heraushängender Zunge zurück und winselte freudig.

»Still da!«

Vom Haus herüber tönte das Schimpfen Gusches, Hin- und Herlaufen und das Stoßen der von Stube zu Stube gezerrten Gegenstände.

»Sie bereiten sich zur Brauteinholung!«

Über die Straße kam hin und wieder einer gefahren, und jetzt schlurfte knarrend irgendein Wagen vorüber. Jakob suchte eifrig alles zu erkennen.

»Klembs Leiterwagen, ein Pferd hat er vor, will gewiß Nadelstreu aus dem Wald holen. Natürlich vorne ist die Achse ausgerieben und darum scheuert die Nabe und knarrt.«

Auf den Wegen hallten Schritte; Gespräche, Stimmen ließen sich hören und kaum vernehmbare, kaum empfundene Töne zitterten in der Luft, aber er ergriff sie im Fluge und suchte sie zu unterscheiden.

»Der alte Pietraß geht in die Schenke,« brummte er. Walentys Frau hat was zu schreien ... gewiß sind die Gössel von irgendwem auf ihre Seite gekommen ... Ein Teufel, nicht ein Weib ist das! Kosiols Frau, scheint mir ... natürlich ... sie läuft und schreit ... natürlich ist sie es!... Rafus sein Peter ... schwadroniert, das Biest, als ob er Klöse im Maul hat ... sieh, die Priesterstute fährt nach Wasser, jawohl ... sie bleibt stehen ... hat sich festgefahren ... wird noch mal die Beine brechen ...

Und so tat er langsam sich alles heraushören, und wanderte mit seinen Gedanken und seinem hellsehenden Empfinden durchs ganze Dorf, er sorgte, kümmerte, beunruhigte sich und lebte das Leben des Dorfes, so daß er kaum bemerkte, wie der Tag langsam verstrich; das Licht auf den Wänden begann zu erlöschen, der Türausschnitt erblaßte und im Stall fing die Dämmerung an zu weben.

Schon ganz gegen Abend kam Ambrosius, er war noch nicht ganz nüchtern, denn er ging noch unsicher und redete so schnell, daß man ihn kaum verstehen konnte.

»Das Bein sollst du dir verrenkt haben?«

»Seht mal nach und helft.«

Schweigend wickelte er die blutgetränkten Lappen ab. Sie waren angetrocknet und klebten so fest am Bein, daß Jakob himmelhoch zu schreien anfing.

»Selbst 'ne Jungfrau bei der Geburt quiekt nicht so!« knurrte er verächtlich.

»Es schmerzt doch! Jesus! Zerrt doch nicht so!« Er heulte auf, fast wie ein Tier.

»Die haben dich aber noblicht zugerichtet! Ein Hund hat dir die Wade ausgebissen, oder was ist das?« rief er erstaunt, denn die Wade war zerfetzt und eiterig und das Bein dick geschwollen wie eine Kanne.

»Da ... sagt es nur ja nicht ... der Förster hat mich angeschossen ... nur ...«

»Wahrhaftig ... Schrot sitzt unter der Haut dicht wie Mohn ... Hat er dir die denn von weitem aufgebrannt? Ho, ho! mir deucht mit dem Klumpen ist es aus ... die Knöchelchen knacken nur so. Warum hast du mich denn nicht gleich gerufen?«

»Ich hab' mich gefürchtet ... wenn die das gemerkt hätten, einen Hasen wollt' ich ... ich hatt' ihn auch schon geschossen ... und war schon mitten auf dem Feld ... und da knallt der auf mich los ...«

»Einmal hat der Förster in der Schenke erzählt, daß ihnen da jemand Schaden macht ...«

»Hale ... Schaden ... als ob die Hasen vielleicht jemandem gehörten ... Aas... hat sich lauern gelegt, um mich zu kriegen ... auf dem Feld bin ich schon, und der schießt aus beiden Läufen auf mich ... daß dich, du Satan ... sagt es nur ja nicht... vor Gericht würden sie einen bringen ... die Flurjäger... und auf der Stelle würden sie die Flinte wegnehmen ... und sie tut mir doch nicht gehören ... Ich dachte, das soll selbst vorübergehen ... helft mir doch bloß, denn es schmerzt und reißt so schrecklich ...«

»So ein Schlaumeier bist du! So ein Heimlicher, sieht aus, als ob er von nichts nicht weiß und teilt sich mit dem Gutsherrn die Hasen auf ... Sieh mal an ... aber mit dem Klumpen wirst du bezahlen müssen bei dem Kompagniegeschäft ...«

Er besah das Bein noch einmal und wurde arg bedenklich.

»Zu spät, viel zu spät!«

»Helft doch, helft doch nur,« stöhnte Jakob entsetzt.

Ambrosius antwortete nichts mehr, krempte nur die Ärmel hoch, holte ein scharfes Taschenmesser hervor, packte das Bein fest an und fing an, die Schrotkörner herauszukratzen und den Eiter herauszudrücken.

Zu Anfang brüllte Jakob los wie ein Tier, das geschlachtet wird, bis ihm Ambrosius das Maul mit dem Schafpelz zustopfte, dann wurde er plötzlich still, denn er war vor Schmerzen besinnungslos geworden. Ambrosius reinigte ihm das wunde Bein, belegte es mit einer Salbe und umwickelte es mit neuen Lappen, dann erst machte er sich daran, ihn wieder zu Bewußtsein zu bringen.

»Ins Spital mußt du gehen ...,« knurrte er leise.

»Ins Spital? ...« Jakob war noch ganz benommen.

»Das Bein würden sie dir abschneiden, dann würdest du vielleicht gesund werden.«

»Das Bein?«

»Natürlich, nichts mehr wert ist es, ganz verdorben, wird schon schwarz.«

»Abschneiden?« fragte er, ohne zu begreifen.

»Im Knie. Hab' man keine Angst, mir hat die Kugel das Bein gleich unterm Hintern abgerissen und ich leb' doch auch noch.«

»Ihr meint, man braucht nur das kranke Teil abzuschneiden, und dann war' ich wieder gesund? ...«

»In einem Nu ... aber du mußt gleich ins Spital ...«

»Nee, ich hab' Angst, nee... nicht ins Spital...«

»Dummer! ...«

»Da schneiden sie einen bei lebendigem Leibe kaputt ... da ... Schneidet ihr ... ich zahl' euch was ihr wollt, tut es doch ... ich will nicht ins Spital, lieber schon hier verrecken ...«

»Dann verreckst du auch ... das kann dir nur der Doktor abschneiden. Gleich geh' ich zum Schulzen, daß sie dir für morgen eine Fuhre geben und dich in die Stadt fahren.«

»Ihr redet umsonst, denn ins Spital geh' ich nicht ...« sagte er entschlossen.

»Hale, als wenn man dich erst fragen tut, so 'n Dummer!«

»Abschneiden und gleich werd' ich wieder gesund ...,« wiederholte Jakob leise nach seinem Weggehen.

Der Fuß hörte auf zu schmerzen noch der Behandlung, aber er war steif geworden bis zu den Weichen und über die ganze Seite fühlte er ein Kribbeln, wie von Ameisen; er achtete nicht darauf, denn er war ganz in Gedanken versunken.

»Gesund würde ich werden! Das muß schon so sein, daß es so ist, dem Ambrosius fehlt doch auch das ganze Bein ... einen Stelzfuß hat er ... Und er sagt, daß es in einem Nu wieder gut ist ... Aber der Boryna würde mich fortjagen ... natürlich, ein Knecht ohne Bein ... taugt nicht zum Pflug und nicht zur Arbeit. Was soll ich da bloß anfangen? Das Vieh hüten oder auf den Bettel gehen ... in die Welt hinaus, an die Kirchenmauer ...? Oder wie ein alter Schuh auf den Müllhaufen kommen ... am Zaun verrecken. Barmherziger Jesus! Oh Jesus!« Plötzlich hatte er es klar begriffen und richtete sich fast ganz auf in betäubender Angst. »Jesus! Jesus!« wiederholte er wie im Fieber, am ganzen Körper schlotternd und geistesabwesend vor sich hinstarrend.

Ein tiefes, schmerzzerrissenes Weinen quoll in ihm auf, ein Schrei der Hilflosigkeit eines rettungslos in den Abgrund Stürzenden.

Sein Weinen wurde zu einem Heulen, lange rang er hin und her mit seiner Qual, doch durch Tränen und Verzweiflung fingen sich in ihm irgendwelche Entschlüsse und Überlegungen an zu regen, er wurde langsam still, beruhigte sich und vertiefte sich so in sich selbst, daß er nicht mehr hörte, was um ihn geschah; wie durch einen fernen Traum dämmerte ihm ein Spielen, Singen und ein naher Lärm auf.

Gerade um diese Zeit siedelten die Hochzeitsgäste zu Boryna über.

Man bewerkstelligte die Einholung Jagnas zu ihrem Ehemann.

Kurz vordem hatte man eine mächtige Kuh herübergeführt und eine Truhe, Federbetten, sowie verschiedenes Gerät, das sie noch als Mitgift bekommen hatte, herübergefahren.

Jetzt aber, vielleicht ein Paternoster nach Sonnenuntergang, als es schummerig wurde und die Welt infolge eines bevorstehenden Witterungswechsels sich mit Nebeln zu umspinnen begann, schoben die Menschen im Haufen aus dem Hause der Dominikbäuerin auf die Straße.

Die Musik ging an der Spitze und spielte frisch auf; hinterher aber wurde die noch ganz hochzeitsmäßig gekleidete Jagusch von der Mutter, den Brüdern und Gevattern geführt; nebenher und hinterdrein, wie es gerade kam, drängte sich die Schar der Hochzeitsgäste.

Sie gingen langsam am Weiher entlang, der wie schwarz angelaufen dalag und unter der Last der Dämmerung zu erlöschen begann, mitten durch den immer dichter werdenden Nebel in der Stille einer noch stumpfen und blinden Dunkelheit, so daß das Getrampel der Füße und das Spiel der Instrumente dumpf und eingeengt klang, als kämen die Töne aus der Tiefe des Wassers.

Die Jugend stimmte hin und wieder ein Liedchen an, eine Gevatterin trällerte los, oder einer von den Männern juchzte sein »da-dana,« doch sie verstummten bald, es war noch keine rechte Lust da, und die nasse Kälte fuhr einem durch Mark und Bein.

Erst als sie in den Heckenweg einbogen, der auf den Borynahof zuführte, fingen die Brautjungfern an zu singen:

Und es kam der Dirn' das Weinen
vor dem Traualtar;
vier Lichter wurden angebrannt,
man spielte die Orgel sogar.
Und du, Mädchen, hast gedacht,
daß sie dir ewig spielen werden? ...
Gestern etwas, heute etwas ...
Und sonst Not und Leid auf Erden ...
Da-dana! Und sonst Not und Leid auf Erden!

Auf der Galerie, auf der Schwelle wartete schon Boryna, die Junggesellen und Fine.

Vorweg kam die Dominikbäuerin mit einem Bündel, in dem sich eine Brotschnitte, eine Prise Salz, ein Stück Kohle, Wachs von einer Totenkerze und ein Büschel Ähren, das am Kräutersonntag geweiht war, befanden, und als Jagusch über die Schwelle ging, warfen die Gevatterinnen ausgezupfte Stoffasern und Hede hinter ihr her, damit der Böse keinen Zutritt habe und daß ihr alles gedeihen sollte.

Gleichzeitig begrüßten sie sich, küßten sich und wünschten dem jungen Paar Glück, Gesundheit und was da der liebe Gott noch geben mag, und alles strömte in die Stube, so daß sie bald alle Bänke und Winkel besetzt hatten.

Die Musikanten klimperten leise, ihre Instrumente stimmend, um die Bewirtung nicht zu stören, mit der Boryna selbst den Gästen aufwartete.

Er ging mit einem vollen Maßkrug von Gevatter zu Gevatter, bot an, nötigte, umarmte und trank jedem zu; der Schmied war ihm dabei behilflich und schenkte in der anderen Ecke der Stube ein, wahrend Magda und Fine einen mit Honig zubereiteten Quarkkuchen auf Tellern herumtrugen, den die Schmiedin absichtlich für die Brauteinholung gebacken hatte, um sich bei Vätern lieb Kind zu machen.

Aber es wollte nicht recht mit dem Amüsement vorwärtskommen, natürlich goß man nicht den Schnaps hinter sich, anstatt in den Mund und mied die Gläser nicht; sie tranken selbst mit Lust einander zu, nur daß sie irgendwie nicht zur rechten Feststimmung kommen konnten und nicht ins Sieden gerieten, kaum daß die Freude ein paar Bläslein steigen ließ, wie Wasser auf schwachem Feuer; sie saßen matt herum, bewegten sich schwer, linkisch, sprachen wenig und leise und der eine oder der andere der Älteren gähnte heimlich, streckte sich sehnsüchtig und dachte nur daran, wie er wohl irgendwo so schnell wie möglich ins Stroh kommen könnte.

Und die Frauen, obgleich sie ein Gezücht sind, das am meisten Lärm macht und nie genug vom Amüsieren kriegt, drückten sich auf den Bänken herum und steckten in den Ecken einsilbig beieinander.

Jaguscha hatte sich in der ehelichen Kammer gleich die sonstige Festtracht angezogen und trat hinaus, um zu bewirken und die Gäste zu empfangen, aber die Mutter ließ sie nichts anrühren.

»Genieß du deine Hochzeit, mein Töchterchen! Wirst noch genug Arbeit und Mühe haben!« flüsterte sie; sie zog sie immer wieder in ihre Arme und drückte sie mit Tränen in den Augen ans Herz, so daß es manch einem seltsam dünkte, sie ging doch nicht in die Welt, heiratete nicht in ein anderes Dorf und hatte keine Armut zu erwarten.

Sie lachten über diese mütterliche Zärtlichkeit und wetzten ihre Zungen mit Spötteleien; jetzt erst bei der Brauteinholung, da Jagusch als Hofbäuerin und Besitzerin in das eheliche Haus eingezogen war, gingen ihnen die Augen auf; so viel Grund und Boden, das viele Hab und Gut, und alles das hatte sie jetzt. Manch einer der Mütter, deren Töchter schon lange in den Heiratsjahren waren, fuhr der Neid in die Gurgel, und den Mädchen war es auch nicht recht gut zumute, es kam ihnen irgendwelche Verdrießlichkeit an.

Sie gingen miteinander auf die andere Seite des Hauses hinüber, wo früher Anteks gewohnt hatten; Gusche und Eve bereiteten hier das Abendessen vor. Es war ein starkes Geknatter auf dem Feuerherd, und Witek konnte gar nicht genug Holzkloben zutragen und unter die gewaltigen Kochtöpfe schieben.

Sie krochen im ganzen Haus herum und lugten mit ihren neidischen Augen durch jede Ritze.

Wie hätte das auch anders zugehen können, daß man so ein Los nicht neiden sollte.

Allein schon das Haus, das beste im ganzen Dorf war's, groß, hell, hoch, die Stuben rein, wie im Herrenhof, sein geweißt und mit Fußböden und wie sauber! Und das viele Mobiliar, die verschiedenen Geräte, und dann all die Bilder, an die zwanzig Stück sicherlich, und alle mit Glas. Und was war da nicht alles: Kuhställe, Pferdeställe, und die Scheune, und der Schuppen! Und war da nicht vielleicht genug lebendes Inventar! Fünf Kuhschwänze allein, ohne den Bullen, der doch auch ein ordentliches Stück Profit abwirft! Drei Pferde; und die Felder, und die Schweine, und die Gänse, und ...!

Sie seufzten schmerzlich und immer wieder fing die oder jene eins ums andere Mal zu reden an.

»Mein Gott, daß doch der Herr Jesus immer solchen alles gibt, die es gar nicht verdient haben!«

»Die haben es verstanden, sich zu helfen, die wissen Bescheid!«

»Das ist mal sicher, allemal kriegt der was, der angelaufen kommt.«

»Warum ist denn eure Ulisja nicht so klug gewesen, entgegenzukommen?«

»Weil sie Gottesfurcht genug hat und ein ehrliches Leben führt.«

»Das ist mit den anderen auch so.«

»Und einer anderen wird nichts nachgesehen, man braucht sie nur einmal zur nächtlichen Zeit mit einem zu sehen, und gleich wird sie auf den Zungen durch die ganze Welt getragen.«

»So eine hat Glück ...«

»Weil sie keine Scham hat.«

»Kommt doch 'rüber« rief Jendschych. »Die Musik spielt und in der Stube ist kein einziger Weiberrock. Man will doch was zu tanzen haben!«

»Guck mal an, was der für Lust hat, und wird dir denn die Mutter ... erlauben?...«

»Laß dir nur nicht deine Höschen abrutschen bei dieser Fahrt, sonst gibt's noch'n Spiegel zu sehen.«

»Und halt die Klumpen besser beisammen!«

»Geh mit Walentys Frau tanzen, dann gibt es zwei Plumpsäcke beieinander!«

Jendschych ließ nur einen Fluch fahren, griff sich die erste beste heraus und führte sie mit sich, ohne viel darauf zu achten, was da hinter ihm her summte.

In der Stube tanzten sie schon, wenn auch nur langsam und fast widerwillig; Nastuscha Täubich und Schymek Patsches allein drehten sich eifrig im Tanz. Sie hatten sich schon vordem verabredet, und als die Musik ansetzte, nahmen sie sich fest in die Arme und tanzten gründlich und ehrlich, und jedesmal wenn sie absetzten, wandelten sie umschlungen in der Stube einher, Hüfte an Hüfte geschmiegt, so daß es sie ordentlich nach einander verlangte; man hörte sie lustig reden und laut lachen, die Dominikbäuerin aber verfolgte ihren Sohn immerzu mit unruhigen Augen.

Erst als der Schulze kam, denn er hatte sich verspätet, weil er die Rekruten nach dem Kreisamt bringen mußte, kam Leben in die Leute; kaum war er eingetreten, kaum hatte er dem und jenem zugetrunken, da fing er schon an mit seinen Gastgebern herumzureden und die jungen Eheleute zu necken.

»Der Herr Bräutigam ist wie eine gekalkte Wand und die Braut wie feines rotes Haartuch.«

»Das könnt ihr morgen sagen ...«

»Ihr seid doch ein Praktikus, Matheus, da habt ihr doch den Tag nicht verpaßt.«

»Ist doch nicht wie ein Gänserich, ... vor allen Leuten! ...«

»Nicht ein halbes Maß Schnaps wett' ich dafür! Wirf du mal einen Stein in die Büsche, da wird schon immer irgendein Vöglein herausgeflogen kommen, das sag' ich euch, der Schulze!«

Sie lachten laut los, denn Jagna war auf die andere Seite geflüchtet.

Auch die Weiber stichelten, soviel ihnen die Spucke nur 'rantrug.

Bald steigerte sich das Stimmengewirr, und Fröhlichkeit ergriff die Gemüter; der Schulze hatte ehrlich dazu geholfen, und auch der Schnaps tat das seine; Boryna sparte nicht und ließ die Flasche oft die Runde machen; auch der Tanz ging nun lebhafter und rascher vonstatten, sie fingen schon an zu singen und aufzutrampeln und drehten sich in einem immer größeren Kreise durch die Stube.

Gerade zu dieser Zeit erschien Ambrosius, ließ sich, kaum daß er über die Schwelle war, nieder und ging mit seinen gierigen Augen der Branntweinflasche nach.

»Euer Kopf dreht sich immer nur dahin, wo die Gläser klirren!« warf der Schulze hin.

»Die klirren, weil das ihr Amt ist; und wer den labet, der da lechzt, der tuet wohl!« entgegnete er ernst.

»Wasser gefällig, alter Schlauch?«

»Was dem Vieh schmeckt, schadet dem Menschen! Man sagt doch: ›Wen das Wasser erlöst, den erlöst es ... der Schnaps stellt aber jeden auf die Beine‹.«

»Denn trink 'mal einen Branntwein, wenn du so'n Kalkulant bist.«

»Trinkt mir zu, Herr Schulze! Man sagt auch das: ›Die Taufe nimm in Wasser, die Hochzeit begieß mit Wein und den Tod mit Tränen‹.«

»Recht haben sie, trinkt einen zweiten ...«

»Vor dem dritten lauf' ich auch nicht weg! Ich trinke immer einen für meine erste Frau und zwei für die zweite.«

»Warum denn das?«

»Weil sie zur rechten Zeit gestorben ist, damit ich noch 'ne dritte haben kann.«

»Auf 'ne Frau sinniert er, und es ist doch schon nach der Abendzeit bei ihm, die Nacht sitzt ihm schon in den Glotzen ...«

»Mein Stecken find't schon noch bei Nacht die Weiberbeine!«

Die Stube erdröhnte vor Gelächter.

»Die Gusche wollen wir euch anheiraten!« schrien die Frauen.

»Den Schnaps mag sie und das Maulwerk hat sie auch,« ergänzten die anderen.

»Man sagt: ›ein arbeitsamer Mann und eine Frau, die ihre Schnauze brauchen kann, kriegen sich die halbe Welt zusamm'n‹.«

Der Schulze setzte sich zu ihm hin und die anderen ringsherum, wo nur ein Platz auf den Bänken war; und als keiner mehr zu finden war, blieben sie stehen, drängten sich zu einem Haufen zusammen und nahmen fast die Hälfte der Stube ein, ohne auf die Tanzenden zu achten.

Gleich begannen da allerhand Neckereien, Erfindungen, Erzählungen, lustige Reden und Anekdötchen, so daß schier die Wände bebten; am meisten aber räsonierte Ambrosius, den Buckel voll log sich die Kanaille und erzählte einem seine Lügengeschichten direkt ins Gesicht, aber so geschickt und ergötzlich, daß sie sich vor Lachen krümmten; und von den Frauen ließ sich die Wachnikbäuerin von keinem übertrumpfen, ihr Maulwerk war obenan, und auch der Schulze pflichtete ihr bei, soweit ihm das sein Ansehen und sein Amt erlaubte.

Die Musik geigte schwungvoll und mächtig, und die Jugend schwang sich frisch herum, juchzte und stieß scharf mit den Absätzen auf, sie aber belustigten sich gemeinsam so froh, daß sie die ganze liebe Welt vergessen hatten, bis einer plötzlich im Flur Jankel entdeckte. Sie schleppten ihn in die Stube. Der Jude nahm die Mütze ab, verbeugte sich, begrüßte die Anwesenden freundschaftlich, ohne darauf zu achten, daß ihm die Spottnamen wie Steine um die Ohren flogen.

»Rotkopf! Ungetaufter! Sohn einer Stute!«

»Ruhig da! Schnaps geben, traktiert ihn mal,« rief der Schulze.

»Bin ich gegangen den Weg, wollt' ich sehen, wie sich die Herren Hofbauern vergnüglich machen. Gott vergelt's, Herr Schulze, ich will den Schnaps trinken, was soll ich nicht trinken auf die Gesundheit von dem Brautpaar?«

Boryna brachte eine Flasche und schenkte ein. Jankel wischte das Glas mit dem Schoß seines Kaftans ab, bedeckte sich und trank aus und goß noch einen zweiten hinter die Binde.

»Bleibt da, Jankel, Unkoscheres sollt ihr nicht haben. Heda, Musikanten, spielt den Jüdischen auf! laßt Jankel tanzen!« riefen sie lachend.

»Ich kann schon tanzen, das ist keine Sünde!«

Doch bevor die Musikanten die Zurufe begriffen hatten, schob sich Jankel auf den Flur hinaus und verschwand im Hof, er war nach Jakob geeilt, das Gewehr in Empfang zu nehmen.

Sie hatten nicht einmal sein Verschwinden gemerkt, denn Ambrosius setzte seine Aufschneidereien fort, und die Wachnikbäuerin tat ihr Bestes, ihn zu begleiten, als müßte sie die Baßgeige zu seinem Schelmenlied spielen; so war ihnen die Zeit bis zum Abendessen vergangen; die Musik spielte schon leiser, man hatte die Tische aufgestellt und lärmte mit den Schüsseln, sie aber lachten in einem fort.

Vergeblich lud Boryna zum Essen ein, man hörte nicht einmal auf ihn. Darauf wiederholte auch Jagusch mehrmals, daß sie doch kommen möchten, da hatte sie aber schon der Schulze mitten in den Haufen gezogen, an seine Seite gesetzt und hielt sie fest bei der Hand.

Schließlich rief Jaschek, den man den ›Verkehrten‹ nannte, ganz laut:

»An die Schüsseln, Leute, das Essen wird sonst kalt!«

»Halt's Maul, Dummkopf, auch für dich wird sich eine Schüssel zum Auslecken finden.«

»Der Küster lügen nur so, daß es raucht. Er denkt wohl, daß ihm einer was glauben tut ...«

»Höre mal, du, was man dir ins Maul gibt, das kannst du nehmen, das ist deins, aber rühr' mich nicht an, damit wirst du nicht fertig.«

»Wollen sehen!« schrie der Bursche zurück; er war etwas dummelig und schwer von Begriff.

»Der Ochs wird ebenso mit mir fertig, vielleicht selbst besser noch,« warf Ambrosius ihm zu.

»Was der Pfarrer in den Eimer leert, tragt Ambrosius hinaus, nun meint er, er hat den ganzen Pfarrer.«

»Laß du nur ein Kalb in die Kirche, dann hat es auch nichts Besseres zu tun, als den Schwanz hochzuheben! Dummes Frauenzimmer!« knurrte er gekränkt, denn es war Jascheks Mutter, die den Versuch gemacht hatte, ihren Sohn zu verteidigen. Als erster erhob er sich und hinter ihm her fingen die anderen an, ihre Plätze an den Tischen einzunehmen. Sie beeilten sich, denn die Köchinnen trugen die dampfenden Schüsseln herein und schmackhafte Düfte zogen durch die Stube.

Sie setzten sich dem Alter nach hin, wie es sich bei einem Brauteinholungsfest schickte. Die Dominikbäuerin mit ihren Söhnen saß in der Mitte; die Brautjungfern und die Brautführer setzten sich beieinander zu Tisch, und Boryna war mit Jagusch mitten in der Stube geblieben, um die Gäste zu bedienen und auf alles Obacht zu geben.

Es wurde ganz still. Nur hinter den Fensterscheiben kreischten die Dorfkinder und prügelten sich untereinander, und Waupa lief bellend ums Haus und versuchte in den Hausflur einzudringen. Die Leute aber bewältigten mit ruhiger Würde das Essen und stachen auf die gehäuften Schüsseln ein. Man hörte nur die Löffel gegen die Kerben des Geschirrs kratzen und die Gläser klirren, die fleißig die Runde machten.

Jagusch aber forderte immerzu auf, schob fast jedem etwas zu, sei es Fleisch oder andere Speisen; sie nötigte die Gäste, daß sie sich ja an allem gütlich tun möchten, und es ging ihr so geschickt vonstatten, sie verstand jedem so passend etwas Schmeichelhaftes zu sagen und tat zu jedermann mit solcher Anmut freundlich, daß manch einer von den Burschen sie mit sehnsüchtigen Augen verfolgte, und die Mutter sich vor Zufriedenheit reckte, ihren Löffel beiseite legte, um besser nach ihr hinschauen zu können und sich über sie zu freuen.

Auch Boryna merkte es, eilte ihr nach, als sie zu den Köchinnen wollte, holte sie im Flur ein, preßte sie fest an sich und küßte sie heftig ab.

»Du meine liebe Wirtin! Wie eine Gutsherrin weißt du dir zu helfen und zu raten!«

»Bin ich denn vielleicht nicht die Wirtin? Aber geht nur wieder in die Stube. Gulbas und Simeon sitzen mürrisch da und essen kaum was. Trinkt ihnen mal zu.«

Versteht sich, daß er ging und ihr gehorchen tat, und alles machte, was sie nur wollte. Jagusch aber war es seltsam froh und lustig zumute. Sie fühlte sich Hausherrin und keine geringe / eine Gutsfrau fast; das Regieren kam ihr wie von selbst, und gleichzeitig wuchs in ihr die Würde und ein machtvoller, selbstsicherer Stolz. Sie ging durch die Stuben und trug sich aufrecht und ungezwungen, sah nach allem scharf und leitete alles so verständig, als ob sie Gott weiß wie lange schon auf Eigenem gewirtschaftet hätte.

»Wie sie ist, wird der Alte bald selber merken müssen, das ist schon seine Sache, aber mir scheint, sie gibt 'ne gute Hausfrau ab,« flüsterte Eve der Gusche zu.

»Klug ist auch die Kathrine, wenn sie was hat in der Terrine!« antwortete diese hämisch. »Laß den Alten ihr erst mal zuwider werden, und laß sie erst mal hinter den Burschen herjagen ...«

»Das wird sie doch nicht tun, nur dahinter sitzt doch noch der Matthias, der wird sie schon nicht so leicht fahren lassen.«

»Ih ... fahren lassen! Dazu wird ihn schon ein anderer kriegen...«

»Boryna?«

»Hale, Boryna! Da gibt es doch noch einen, der stärker ist als die beiden ... jawohl... laßt nur erst die Zeit kommen und ihr sollt sehen ...,« sie lächelte listig. »Witek, jag mal den Hund weg, der bellt und bellt, daß einem die Ohren weh tun, kannst auch die verdammten Jungen auseinandertreiben, die drücken uns hier noch die Scheiben ein und zerren den Wandschutz auseinander.«

Witek rannte mit der Peitsche hinaus, der Hund verstummte und man hörte nur noch das Gekreisch von Kinderstimmen und das Getrappel der fortlaufenden Füße; er jagte sie bis auf den Weg hinaus und lief dann vornübergebeugt zurück, denn ein Hagel von Steinen und Schmutzklumpen sauste ihm nach.

»Witek! wart' mal!« rief Rochus, der an der Hausecke nach dem Hof zu im Dunkeln stand. »Ruf' Ambrosius, er soll gleich kommen wegen einer wichtigen Angelegenheit, ich wart' auf der Galerie.«

Erst nach einem Paternoster kam Ambrosius stark erzürnt heraus, denn er war mächtig böse, daß man ihm das Essen im besten Augenblick, grad' beim Spanferkel mit Erbsen unterbrochen hatte.

»Brennt die Kirche, oder was?«

»Schreit nicht, kommt mit zu Jakob, mir ist, er stirbt.«

»Laß ihn verrecken ... Leute hier beim Essen stören. Nach dem Vesper bin ich doch bei ihm gewesen und hab' ihm gesagt, daß er sich zum Spital bereit hält, das Bein würden sie ihm da abschneiden und dann wäre er gleich wieder gesund! ...«

»Das habt ihr ihm gesagt! Jetzt begreif' ich; ich glaube, er hat es sich selber abgeschnitten ...«

»Jesus, Maria! Was denn, selbst abgeschnitten? ...«

»Kommt, kommt schnell, ihr könnt ja nachsehen. Ich ging in den Kuhstall, um mich schlafen zu legen, kaum bin ich auf dem Hof, springt Waupa mich an, bellt, winselt, zerrt mit den Zähnen an meinem Rock, reißt mich vorwärts, ich wußte gar nicht, was er wollte ... und er voraus, und sitzt an der Schwelle des Pferdestalles und winselt. Ich ging also hin und will sehen, was da ist; da liegt Jakob auf der Schwelle, mit dem Kopf noch im Stall. Ich dacht' erst, er wollte Luft schnappen und daß ihm dabei schwach geworden wär'. Ich trug ihn also auf die Pritsche und hab' die Laterne angezündet, um Wasser zu finden, und wie ich ihn zu sehen krieg', liegt er ganz in Blut und leichenblaß, und vom Bein her strömt nur immer so das Blut. Laß uns nur rasch gehen, damit er uns nicht wegstirbt ...«

Sie traten in den Stall, und Ambrosius machte sich scharf dran, ihn in die Besinnung zu bringen; Jakob lag regungslos, atmete wenig und stoßweise und röchelte durch die zusammengepreßten Zähne, so daß man sie ihm geradezu auseinanderzwängen mußte, um ihm etwas Wasser einzuflößen.

Das Bein war ihm am Knie abgetrennt, es hing kaum noch an der Haut fest und blutete stark. An der Schwelle hatten sich verschiedene Blutlachen gebildet, und daneben lag eine blutbesudelte Axt, und der Schleifstein, der sonst unter der Dachtraufe des Pferdestalls stand, lag neben der Schwelle.

»Da haben wir's, sich selbst das Bein abgehackt. Angst hat er gehabt vor dem Spital, und der Dumme denkt, daß er sich selber helfen kann, aber ein starkes Mannsbild! Jesus, sich selbst seinen Klumpen abzuschneiden! Gar nicht zu glauben! Hat mächtig viel Blut verloren.«

Jakob schlug die Augen plötzlich aus und ließ sie ziemlich klar umherschweifen.

»Ist es abgeflogen? Zweimal hab ich drauflos gehackt, aber es ist mir ganz schwarz vor Augen geworden ...« murmelte er.

»Hast du denn Schmerzen?«

»Nicht die Spur ... Nur die Kräfte sind mir ganz abgegangen, aber ich bin wohler!«

Er lag still und gab nicht einen Schrei von sich, als Ambrosius ihm das Bein zurechtlegte, reinigte und in nasse Tücher wickelte.

Rochus hielt kniend die Laterne hin und betete so inbrünstig, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen. Jakob lag immer noch still da und lächelte freudig bewegt und voll inniger Zuversicht, wie ein verlassenes Kindlein auf dem Feld, das den Gräsern zulächelt, die über ihm säuseln, der Sonne nachschaut, zu den vorüberfliegenden Vöglein seine Hände hebt und sich auf seine Art vergnügt und mit allen Dingen redet, ehe es noch weiß, daß es ohne Mutter ist, so war es ihm jetzt zumute; gut war es ihm, ruhig fühlte er sich und ohne Schmerzen, und die Seele war ihm so leicht und froh, daß er sich nichts aus dem Kranksein machte, sich selbst ein klein wenig brüstete ..., wie gut es ihm geglückt war, das Beil zu schärfen ... wie er sich das Bein auf der Schwelle zurechtgelegt hatte ... und mitten in die Kniescheibe hatte er sich dann geschlagen ... Aufgeschmerzt hat es, aber das Bein hat nicht auf einmal locker gelassen ..., da hat er aus ganzer Macht zum zweitenmal ausgeholt ... und sieh da, jetzt ist es alle mit den Schmerzen; es wird wohl genützt haben ... Wenn er nur mehr Kraft hätte, würde er keinen Augenblick mehr hier auf der Pritsche faulen, gleich mal mit Hochzeit feiern ... und sich einen Tanz leisten ... auch essen, denn er hat große Lust dazu.

»Lieg' du ruhig und rühr' dich kein bißchen, zu essen kriegst du gleich, ich will's der Fine sagen.«

Rochus fuhr ihm mit der Hand über's Gesicht und ging mit Ambrosius hinaus.

»Den Priester muß man ihm herholen, solange er bei Bewußtsein ist!«

»Der Priester ist doch aber für den Abend nach Wola zu dem Gutsherrn.«

»Ich hole ihn, man darf nicht zögern!«

»Wola ist eine Meile ... in der Nacht ... und den Weg findet ihr nicht durch den Wald./Es steht hier ein fertiges Gespann für die Leute, die nach dem Abendessen wegfahren, nehmt das und fahrt.«

Sie führten die Pferde auf die Dorfstraße und Rochus kletterte auf den Sitz.

»Und vergeßt mir nur den Jakob nicht, man muß für ihn sorgen!« rief er im Abfahren.

»Allein laß ich ihn nicht, ich sorg' für ihn.«

Bald aber hatte er ihn vergessen, er hatte nur gerade noch so viel gedacht, der Fine vom Essen zu sagen, er selbst kehrte an den Tisch zurück und setzte sich mit einer solchen Liebe bei einer Flasche fest, daß er kurz darauf von der ganzen lieben Welt nichts mehr wußte.

Fine, die ein gutmütiges Ding war, sammelte alles was sie kriegen konnte, bereitwillig in eine Schüssel, goß ein tüchtiges Maß Schnaps ein und trug alles hinüber.

»Jakob, eßt ein bißchen, macht euch auch ein Fest!«

»Gott bezahl's dir! Die Wurst, deucht mit, hat einen guten Duft, es weht von ihr.«

»Ich hab' sie doch selbst gebraten, daß ihr sie nur ja auch schmeckt.« Sie drückte ihm die Schüssel in die Hände, weil es im Stall dunkel war. »Trinkt erst den Schnaps.«

Er trank alles bis auf den Grund.

»Bleib' doch etwas sitzen, mit ist so einsam hier.«

Er fing an herumzuschmecken, hier und da ein Stückchen in den Mund zu schieben und daran herumzukauen; aber herunterschlucken konnte er nicht recht etwas.

»Amesieren sie sich, was?«

»So eine Hochzeit und so viel Volk, daß ich mein Leben lang nichts Größeres gesehen habe.«

»Is ja auch Boryna seine, da ist es kein Wunder,« murmelte er stolz.

»Das ist so, und der Vater freut sich so und läuft in einem zu hinter Jagusch her, in einem zu.«

»Wie sollt' es auch anders ... so eine Feine und so schön ums Maul, wie eine Herrin!«

»Wißt ihr was, und der Dominikbäuerin ihr Schymek hält zu Nastuscha Täubich.«

»Die Alte wird es nicht zugeben, bei der Nastuscha sitzen doch an die zehn Mäuler auf den drei Morgen.«

»Sie treibt sie auch wo sie nur kann auseinander und paßt mächtig auf.«

»Ist der Schulze da?«

»Der amüsiert die andern und ist immer vorweg mit dem Maul, und der Ambrosius auch.«

»Das sollen sie auch, wenn sie auf solcher Hochzeit sind und bei so einem Bauer! Und weißt du etwas über Anteks?« fragte er leise.

»Natürlich, ich bin am Abend schnell zu ihnen 'rübergelaufen und habe den Kindern Fleisch und Kuchen und Brot gebracht ... Zum Hause hat er mich hinausgeworfen und hat mir, was ich gebracht habe, nachgeschmissen ... Er ist stark erzürnt und so böse, so böse ... und Not und Sorge ist im Haus ... Anna muß sich immer mit der Schwester herumzanken und in die Haare sollen sie sich schon gefahren sein.«

Er sagte nichts darauf, schneuzte sich nur stark und begann seltsam schnell zu atmen.

»Fine,« sagte er nach einer Weile, »die Stute stöhnt so herum und legt sich seit Abend immerzu hin, die ist gewiß vor dem Fohlen ... man müßte da Obacht geben. Was zum Trinken zurechtmachen. Wie sie da herumstöhnt. Das arme gute Vieh, und ich kann nicht helfen ... furchtbar schwach bin ich ... ganz ohne Kraft ...«

Er wurde müde, verstummte und schien einzuschlafen.

Fine ging rasch davon.

»Tseschu! Tseschu, Stute,« rief er, wieder zur Besinnung kommend.

Die Stute wieherte gedehnt auf und fing an hin und her zu zerren, so daß die Kette klirrte.

»Satt essen will ich mich doch einmal! Du kriegst auch deinen Teil, mein Hund, das kriegst du, nur nicht winseln ...«

Er machte sich eifrig über die Wurst her, aber er konnte nicht ..., die Lust war ihm ganz vergangen, das Essen quoll ihm im Munde auf.

»Lieber Jesus, so viel Wurst und so viel Fleisch ... und ich kann nicht ... ganz und gar nicht.«

Vergeblich versuchte er, beleckte, beroch/er konnte nicht, der Arm sank schlaff herab; er schob ihn zwischen das Stroh, ohne die Wurst aus der Hand zu lassen.

»Mein Gott, so viel von all dem Guten, wie ich nie im Leben hatte, und nu kann ich nicht ...«

Wehmut preßte ihm die Seele zusammen und Tränen flossen über sein Gesicht, er weinte hell auf vor Bedauern und schluchzte wie ein Kind, dem man Unrecht getan hat.

»Später will ich was essen, ich ruhe jetzt ein bißchen aus, danach will ich mir ordentlich was zugute tun,« dachte er.

Aber auch später konnte er nicht, er verfiel in einen Schlaf, ohne die Wurst aus der Hand zu lassen und ohne zu merken, daß Waupa im stillen davon abbiß ...

Plötzlich wurde er wach, denn die Musik legte nach dem Abendessen so mächtig los, daß die Wände im Stall erbebten; aus den Schweineställen drang zu ihm das erschrockene Gackern der erwachten Hühner.

Schreie platzten in die Welt hinaus und sprühten aus dem Festtrubel wie rote Lichter in die Nacht, sie hallten wie Donnerschläge im Stalle wieder.

Ein mächtiges Vergnügen war dort schon im Gange, Gelächter, Fröhlichkeit und Tanz; immer wieder erdröhnte die Erde vom Gejage, und Mädchengekreisch zerriß die Luft.

Jakob hörte zuerst hin, doch bald vergaß er alles; ein Schlaf ergriff ihn und trug ihn in eine unbekannte lärmerfüllte Dunkelheit, wie unter rauschendes Wasser hinab, ... in den Schoß mächtiger Wälder, die irgendein Sturm aufbrausen ließ.

Und als die Freude in Strömen zu fluten begann und der Wirbel der wütend aneinander geklappten Hacken das ganze Haus auseinanderzuspalten schien, wachte er etwas auf, ließ die Seele aus den Dunkelheiten emportauchen, erhob sich aus seiner Versunkenheit, kehrte zurück aus grauenerregenden Weiten und horchte.

Und manchmal versuchte er zu essen, oder flüsterte leise und herzlich:

»Tsesch, Tsesch, Tseschka ... Stute!«

Aber schon ging die Seele langsam aus ihm hinaus und strebte den Weltenräumen zu, sie schlug noch irre Kreise/ ein armes Jesusvögelein, und konnte sich noch nicht losreißen, so daß sie von Zeit zu Zeit sich wieder an die heilige Erde klammerte, um von ihrer Mühsal auszuruhen und ihr einsames Weinen im Menschenlärm zu ertränken; sie kehrte zu denen zurück, die ihr lieb waren, kehrte unter die Lebendigen, rief klagend nach den Menschenbrüdern und flehte um Hilfe zu ihren Herzen, bis sie schließlich, durch die Macht und Gnade Jesu gestärkt, sich jenen Frühlingsauen entgegenschwang und jenen unermeßlich weiten Brachfeldern Gottes, die mit ewigem Licht und ewiger Freude umspönnen sind.

Und sie flog höher, weiter, weiter bis nach dahin ...

Bis nach dahin, wo man schon weder menschliches Weheklagen, noch das leidvolle Knirschen jeglicher Seele hört ...

Nach dahin, wo nur noch die duftenden Lilien atmen, wo Blütenfelder eingebettet in ihres eigenen Honigs Süße säuseln, wo Sternenflüsse über reichgefärbte Gründe fließen, wo der ewige Tag ist.

... Nach dahin, wo nur leises Beten wallt und Weihrauchdüfte wie Nebel ziehen, wo Schellen summen und Orgelklänge leise tönen und das heilige Hochamt ewig abgehalten wird, wo das schon entsühnte Volk, die Engel und die Heiligen gemeinsam Gottes Ehre singen/zu jener allerheiligsten, urewigen Gotteskirche hin, wo die Menschenseele nichts mehr braucht, als zu beten, unter seligen Tränen aufzuatmen und sich mit dem Herrn zu freuen auf alle ewigen Zeiten.

Dahin riß sich die gequälte, ruhelechzende Seele Jakobs.

— — — — —

Im Hochzeitshause aber tanzten sie immerzu und freuten sich aus vollem Herzen. Die Lust war selbst größer noch als am gestrigen Tage, denn die Bewirtung war noch reichlicher und die Wirte nötigten mit größerer Herzlichkeit. So wurde denn auch getanzt bis zum letzten Atemzug.

Es war eine Siedehitze in ihnen, und wenn sie nur etwas nachließen, erdröhnte die Musik mit erneuter Macht, so daß sie sich nur vorbeugten wie ein Kornfeld, in das der Sturm hineinfährt, neuen Anlauf nahmen, mit den Füßen Lärm aufwirbelten und mit hellem Geschrei einen frischen Tanz begannen, singend, festlich, dicht gedrängt und glutentfacht.

Die Glut hatte ihre Seelen weit gemacht, ließ ihr Blut aufbrausen, ihren Verstand auf und davon rasen, und ihre Herzen aufblühen im Übermaß der Lust; jeder Nerv bebte mit im Takt, jede Regung war Tanz, jeder Aufschrei/ein Gesang, und jedes Auge/ein Leuchten in nimmersatter Seligkeit.

So brachten sie die Nacht dahin, bis der Morgen graute.

Und es kam der Tag ... schwer und leise erhob er sich; von den düsteren, undurchdringlichen Wolkenwällen rieselte die Morgendämmerung auf die Welt herab. Und als die Sonne bald aufgehen sollte, wurde er mit einem Male wieder dunkel, und Schnee begann zu fallen. Es flog zuerst nur eine Flocke hin und wieder und zog Kreise in die Luft, wie fallende Fichtennadeln am windigen Tag. Und dann begann es zu schneien.

Der Schnee fiel wie durch ein dichtes Sieb gerade zur Erde nieder, er fiel gleichmäßig, eintönig und still, breitete sich über die Dächer, Bäume und Hecken aus, wie ein gebleichtes Gewebe und bedeckte die ganze Erde mit seinen weichen Daunen.

Die Hochzeit war nun ausgefeiert, man wollte sich jedoch am Abend in der Schenke noch zusammenfinden, um sich aufzubessern; alles begann dann auseinanderzugehen.

Die Brautführer und die Brautjungfern aber mit den Musikanten an der Spitze stellten sich vor der Galerie auf und sangen gemeinsam ihr letztes Lied:

Gute Nacht dem Brautpaar,
          Gute Nacht!
Wir wünschen gute nächtliche Zeit
Und bleiben zu Diensten stets bereit.
          Gute Nacht!

— — — — —

Und Jakob legte zur selbigen Stunde seine Seele zu den heiligen Füßen seines lieben Herrn Jesus nieder.

 

Gedruckt bei Oscar Brandstetter in Leipzig


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