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InitialEs ging immer tiefer in den Herbst hinein. Blasse Tage schleppten sich durch die leeren, stummgewordenen Felder, erstarben in den Waldrevieren und wurden immer stiller, immer bleicher/gleich heiligen Hostien im verlöschenden Schein der Totenkerzen.

Und bei jedem Morgengrauen stand der Tag träger auf, ganz von Kälte erstarrt, im Rauhreifkleide und in der schmerzerfüllten Stille der ersterbenden Erde; die blasse, schwere Sonne erblühte aus den Tiefen inmitten der Kränze von Krähen und Dohlen, die irgendwo über den Morgenröten aufflatterten und niederen Fluges über die Ebene zogen, dumpf, lange und kläglich krächzend ... Ihnen nach jagte der scharfe, kalte Wind/trübte die starren Gewässer, zehrte das letzte Grün der Blätter aus und riß das letzte Laubwerk von den gebeugten Pappeln an den Wegen, so daß die Blätter still niedertropften, wie Tränen/wie blutige Tränen des gestorbenen Sommers, die schwer auf den Boden fallen.

Und bei jedem Morgengrauen/wachten die Dörfer später auf: das Vieh zog träger auf die Weiden, die Angeln der Tore knarrten leiser, leiser klangen die Stimmen, die die öde Totenstille der Felder gedämpft hatte, und leiser, ängstlicher ging der Pulsschlag des Lebens. Manchmal nur sah man vor den Hütten oder auf den Feldern Menschen jäh stehenbleiben und lange in die düstere, bläuliche Ferne starren ... Und über den vergilbten Gräsern hoben sich mächtige gehörnte Köpfe und versenkten langsam wiederkäuend die Augen in den weiten, weiten Raum ... Manchmal nur irrte über das öde Land ein dumpfes, klagendes Gebrüll.

Und bei jedem Morgengrauen war es immer dämmeriger und kälter, der Rauch spann sich niedriger durch die kahlen Obstgärten hin und immer mehr Vögel kamen ins Dorf geflogen und suchten Schutz an den Scheunen und Schobern; die Krähen ließen sich auf die Dachfirste nieder, hingen sich in die nackten Bäume oder zogen Kreise über der Erde und krächzten stumpf, als müßten sie das Klagelied des Winters singen.

Die Mittage waren sonnig, aber so tot und glasig, daß das Rauschen der Wälder wie ein beängstigendes Raunen bis hinein in das Dorf drang, und das Gurgeln des Flusses wie ein schluchzendes Gemurmel klang. Die Reste des Altweibersommers kamen noch von irgendwo dahergeflogen und verschwanden in den scharfen, kühlen Schatten, die zwischen den Hütten lagen.

Die Wehmut des Sterben-Müssens war in diesen stillen Mittagen, das Schweigen lag auf den leeren Wegen, und in den entblätterten Obstgärten lauerte die tiefe Schwermut des Leids und des bangen Wartens.

Und oft und immer öfter umzog sich der Himmel mit graugelben Wolken, so daß man schon zur frühen Vesperzeit vom Feld heim mußte, denn die Dämmerung legte sich früh über die Erde ...

Man pflügte noch die Äcker für das Sommerkorn und manch einer warf die letzten Schollen schon im dichten Düster; heimwärts schreitend, sah er sich noch einmal um und umfing mit einem abschiednehmenden Blick sein Land, des fernen Lenzes mit einem Seufzer gedenkend.

Nach der Vesperzeit gingen häufig Regenschauer nieder; sie dauerten noch kurz, waren aber kalt, und immer häufiger dehnten sie sich in die Länge, bis zum Eintritt der Dämmerung/der langen herbstlichen Dämmerung, in der die Fenster der Hütten wie goldene Blüten aufflammten und die Pfützen auf den leeren Wegen sich mit Glast überzogen. Die feuchte, kalte Nacht stieß gegen die Wände und stöhnte in den Gärten.

Selbst der flügellahme Storch, der zurückgeblieben war und einsam auf den Wiesen watete, suchte immer häufiger Borynas Schober auf, oder kam sogar auf den Hof, wo Witek ihm als Lockmittel eifrig Nahrung hinwarf.

Und verschiedene Bettler besuchten immer öfter das Dorf; es war das übliche Bettelvolk, das mit tiefen Säcken und langen Gebeten von Tür zu Tür ging, vom Kläffen der Hunde geleitet/es kamen auch andere, solche, die von heiligen Statten kamen/sie kannten Ostra-Brama, Tschenstochau und Kalwarya und erzählten gern an langen Abenden, wo und was in der Welt geschehen war und welche Wunder sich irgendwo offenbart hatten, und zuweilen fand sich gar ein solcher ein, der im stillen selbst über das Heilige Land zu reden wußte und solche Wunder berichtete, solche Länder kannte, durch solche Meere gefahren war, so viele Abenteuer erlebt hatte, daß die andächtig lauschenden Zuhörer ein Staunen ergriff, und manch einem schwer wurde, an das alles zu glauben ... Doch horchte man gierig, da ja jeder gern etwas Neues erfahren mochte, und auch die Abende waren lang, man konnte sich obendrein bis zum Morgengrauen reichlich ausschlafen, selbst auf beiden Seiten.

Das war der Herbst, der späte Herbst, juchhe!

Doch im Dorf hörte man weder Gesang noch frohe Juchzer, weder das Piuken der Vögel, noch helle Zurufe/ nichts als den Wind, der in den Strohdächern wimmerte, als die Regenfälle, die wie mit Glassplittern gegen die Scheiben prasselten, und das dumpfe, sich von Tag zu Tag mehrende Geklopfe der Dreschflegel in den Scheunen.

Lipce erstarb, wie seine umliegenden Felder, die erschöpft, grau und beraubt in der Ruhe, und in der Stille des Erstarrens dalagen; wie seine kahlen, zerzausten, trauernden Bäume, die langsam für einen langen, langen Winter abstarben.

Das war die Herbstzeit, die leibliche Mutter des Winters.

Man tröstete sich nur noch damit, daß es noch nicht das schlimme Schmutzwetter war, daß die Wege noch nicht allzusehr durchweicht waren und daß vielleicht das Wetter bis zum Jahrmarkt aushalten würde, zu dem ganz Lipce sich aufmachen wollte, wie zu einer Kirmes.

Der Jahrmarkt sollte auf den Tag der heiligen Kordula fallen, und war der letzte große Markt vor dem Weihnachtsfest; darum bereitete sich alles mit großer Sorgfalt für den Tag vor.

Schon einige Tage vordem deliberierte man im Dorf, was sich wohl verkaufen ließe, sei es vom Inventar, sei es vom Korn oder auch vom aufgezogenen Jungvieh. Und da es zum Winter ging, so hatte man auch nicht wenig einzukaufen, an Kleidung und Geräten und manchen Wirtschaftssachen, was in den Hütten verschiedene Sorgen machte und wovon manche Zänke und Zwistigkeiten entstanden, denn man weiß es ja, daß niemand es allzu reichlich hat, und daß bar Geld immer schwerer zu haben ist.

Und gerade um die Zeit wurden die Steuern fällig, dann wieder die Gemeindebeiträge und zu guter Letzt noch verschiedene Abzahlungen untereinander und bei manchen die Anleihen aus der Vorerntezeit. Etliche mußten auch die Dienstlöhne ausbezahlen / all das machte so viel zusammen aus, daß selbst einer, der eine halbe Hufe besaß, schwer aufseufzend überlegte. Dabei kam aber doch nichts anderes heraus, als daß eine Kuh oder ein Pferd zu Markt getrieben werden mußte; von den Ärmeren schon gar nicht zu reden.

So führte denn mancher seine Kuh vor den Kuhstall, putzte ihr mit einem Strohwisch die mistbeschmutzten Flanken und warf ihr für die Nacht noch Kleefutter in die Raufe, oder mit Kartoffeln gekochte Gerste in die Krippe, damit es sie noch ein bißchen aufblähte inzwischen; ein anderer richtete seinen alten, ganz erblindeten Klepper her, damit er, sozusagen, wieder Pferdeähnlichkeit hatte.

Andere noch droschen eifrigst ganze Tage lang, um rechtzeitig zum Jahrmarkt fertigzuwerden.

Auch bei Boryna bereitete man sich emsig vor; der Alte drosch mit Jakob den Weizen zu Ende, und Fine und Anna mästeten, soviel sie noch konnten, in ihrer freien Zeit eine Sau und ein paar Gänse zurecht, die sie sich von den Zuchtgänsen ausgeschichtet hatten. Und Antek, da schon jeden Tag die Regenzeit eintreten konnte, fuhr mit dem Hirtenjungen in den Forst, Reisig und Tannennadelstreu zu holen, von der ein Teil für den Kuhstall bestimmt war, während der Rest zu einem Haufen vor dem Wohnhaus aufgeschüttet wurde, um für den Winterschutz der Wände zu dienen.

Bis spät in die letzte Nacht vor dem Jahrmarkt dauerte diese beschleunigte Arbeit; und erst als der Weizen schon in großen Säcken auf dem Wagen lag, den man in die Scheune geschoben hatte, und alles für den morgigen Tag bereitet war, setzten sich alle zum Nachtmahl in Borynas Stube.

Auf dem Herd brannte lustig ein helles Feuer aus Tannenholz und knisterte fortwährend, sie aber aßen langsam und schweigend, da niemand nach der angestrengten Arbeit Lust hatte, sich zu äußern; erst als sie mit dem Essen fertig waren und die Frauen die Schüsseln und Töpfe von der Bank weggeräumt hatten, sagte Boryna, dem Herde leicht näherrückend:

»Vor Tag soll aufgebrochen werden!«

»Natürlich, nicht später,« antwortete Antek und ging ans Schmieren des Pferdegeschirrs. Jakob schnitzte einen Klöppel für den Dreschflegel, und Witek schalte Kartoffeln für den Morgen, stieß dabei aber immer wieder den Waupa an, der neben ihm lag und sich mit den Zähnen Flöhe aus dem Pelz zog.

Eine Stille war eingetreten, so daß man nur das Knistern des Feuers hörte und ab und zu das Aufzirpen der Heimchen hinterm Herd. Von der anderen Seite des Hauses drang Wassergeplantsch herüber und das Geklirr der gewaschenen Töpfe.

»Jakob, bleibt er denn weiter im Dienst?«

Jakob ließ das Schnitzmesser, mit dem er herumbastelte, zuschnappen und verguckte sich dermaßen ins Feuer, daß Boryna ihn mahnen mußte.

»Hörst du nicht, was ich dir sage?«

»Hören ..., das hab' ich schon, ich laß es mir nur durch den Kopf gehen, daß ich, wahr gesagt, bei euch nichts auszustehen hatte ... Alles was recht ist, aber doch ...,« er brach bestürzt ab.

»Fine, gib mal Schnaps und was zum Beißen, was sollen wir beim Trocknen beratschlagen, wie hergelaufene Juden,« befahl der Alte und schob die Bank dicht an den Herd, auf dem Fine bald darauf eine Flasche, Brot und einen Kranz Würste hinstellte.

»Trink' mal einen, Jakob, und sag', was du zu sagen hast.«

»Gott bezahl's, Bauer ... Bleiben, das würd' ich schon, aber ... aber ...«

»Ich will dir auch was zugeben ...«

»Das würde schon zu paß kommen, gewiß, der Schafspelz fällt schon ganz auseinander und die Stiefel auch, und den Kapottrock müßt' ich auch wieder neu haben ... der Mensch sieht schon wie 'n Lump aus, und selbst in die Kirche wagt man sich nicht hinein, man muß schon rein in der Vorhalle bleiben ... denn wie kann man vor den Hauptaltar in solcher Verfassung ...«

»Und Sonntag, da hast das nicht gemeint, da hast du dich zwischen die Ersten gedrängt ...,« sagte Boryna streng.

»Gewiß schon ... aber ... das is wahr ...,« stotterte er sehr beschämt und errötete heftig.

»Und Hochwürden predigt doch, daß man die Älteren ehren soll. Trink' mal eins zum Frieden, Jakob, und höre was ich dir sage, da wirst du schon selbst sagen, daß ein Knecht kein Bauer ist ... Jeder hat seinen Platz und für jeden hat unser Herr Jesus etwas anderes bestimmt. Hat dir der Herr Jesus deinen Platz bestimmt, so halt' dich dran und such' nicht gegen anzugehen, und dräng' dich nicht auf die erste Stelle, erhebe dich nicht über die anderen, sonst begehst du 'ne große Sünde, und selbst Hochwürden wird dir das sagen, daß es so sein muß / damit Ordnung in der Welt ist. Begreifst du das, Kuba?«

»Da müßt' ich schon 'n dummes Vieh sein, wenn ich das nicht verstehen soll. Meine Vernunft hab' ich schon.«

»Dann paß auf, daß du dich nicht über die anderen erhebst.«

»Ih ... nur dem Altar wollt' ich näher sein.«

»Herr Jesus wird dich selbst aus dem letzten Winkel hören, hab' keine Angst. Und wozu sich unter die Allerersten drängeln, wo doch alle wissen, wer du bist.«

»Gewiß, gewiß ... wär' ich ein Hofbauer, würde ich den Traghimmel tragen und Hochwürden am Arm führen, und in den Bänken sitzen und nach dem Buch laut singen ... aber da ich nur ein Knecht bin, wenn auch ein Bauernsohn, so soll ich in der Vorhalle stehen, oder auch draußen vor der Kirchtür, wie 'n Hund ...« murrte er traurig.

»Das ist schon eine solche Einrichtung in der Welt und dein Kopf wird's nicht ändern.«

»Freilich, meiner nicht, freilich ...«

»Trink' noch einen, Kuba, und sage mir, was ich dir an Lohn mehr geben soll.«

Jakob trank aus; da ihn aber der Schnaps schon etwas umnebelt hatte, so bildete er sich ein, er säße in der Schenke mit dem Michael vom Organisten oder mit einem anderen Kameraden, und daß sie sich frei und guter Dinge miteinander berieten, wie unter seinesgleichen. Er lüftete seinen Kapottrock, streckte seine Beine von sich, ließ die Faust auf die Bank niedersausen und schrie los:

»Vier Papierchen und einen Rubel Handgeld wird er zuzahlen, dann bleib' ich.«

»Es scheint mir, daß du besoffen bist, oder hat sich dir etwas im Kopf verdorben?« rief Boryna aus; aber Jakob ging schon seinen Gedanken und seinen alten Träumen nach, und obendrein hörte er nicht mehr die Stimme des Hofbauers, so reckte er denn seine geduckte Seele, wuchs in einen solchen Ehrgeiz und in solches Selbstbewußtsein hinein, daß er sich wie ein Hofbauer fühlte.

»Vier Papierchen und noch einen Rubel Handgeld / legt er das zu, dann bleib' ich bei ihm, und tut er das nicht, dann geh' ich, hundsverdammt nochmal, zum Jahrmarkt und finde mir schon einen Dienst und vielleicht noch gar als Herrschaftskutscher ... Man kennt mich, daß ich arbeiten kann und daß ich mich auf alles auskenne, was im Feld und um das Haus 'rum ist, manch ein Hofbauer könnt' bei mir Vieh hüten und bei mir in die Lehre gehen ... Und tut er's nicht, dann werde ich Vögel schießen und sie Hochwürden hintragen oder auch dem Jankel ... und tut er's nicht ...«

»Sieh mal an ... dieser Hinkfuß, was der hier auftitscht ... Kuba!« rief er streng.

Jakob verstummte und ernüchterte sich aus seinen Zuständen, doch verlor er seinen Trotz nicht, denn er gab nicht nach, so daß Boryna, ob er wollte oder nicht, ihm hier einen halben Rubel, da einen Silberling zugab, bis es schließlich dabei bestehen blieb, daß er ihm für das kommende Jahr einen Zuschuß von drei Rubeln und zwei Hemden anstatt des Handgelds versprach.

»Ho, ho, du bist mir ein netter Vogel,« rief der Alte, indem er ihm zum Einverständnis zutrank, und obgleich er ärgerlich war, daß er so viel Gelb hinschmeißen mußte, so war es zwecklos, zu schwanken, denn Jakob war auch mehr wert, ein arbeitsamer Knecht, gut für zwei, was dem Bauer sein war, das war dem heilig, und um das Vieh kümmerte er sich mehr wie um sich selbst, und wenn er auch lahmte, und nicht sehr stark war, so kannte er sich doch gut in der Wirtschaft aus / man konnte sich ganz auf ihn verlassen, daß er alles, wie es sich gehörte, machen würde und dazu noch den Tagelöhner überwachen.

Sie beratschlagten noch über dieses und jenes, und als sie sich anschickten, auseinanderzugehen, ließ sich Jakob ganz schüchtern von der Tür aus vernehmen:

»Is so gut mit den drei Rubeln und den zwei Hemden, aber... aber... die Jungstute, die dürft ihr nicht verkaufen ... ist doch bei mir geworfen worden ... mit meinem Schafpelz hab' ich sie doch zugedeckt, daß sie nicht umkam ..., das seh' ich nicht mit an, wenn sie ein Jude oder irgendein Lump aus der Stadt schlagen sollte... Verkauft sie nicht ... ein Gold von einem Pferd ... gehorsam wie ein Kind ... so 'n Pferd, da ist manch Mensch 'n Vieh dabei. Tut sie nicht verkaufen.«

»Nicht in den Kopf ist mir das gekommen.«

»Sie haben es in der Schenke gesagt ... da hab' ich mich darum gesorgt ...«

»Vormünder, Hundsgesindel, immer wissen sie 's am besten.«

Jakob hätte am liebsten aus Freude seine Knie umschlungen, aber er traute sich nicht, so setzte er denn seine Mütze auf und ging bald, da es denn auch Zeit war, schlafen zu gehen, in Betracht auf den morgigen Jahrmarktstag.

— — — — —

Am nächsten Morgen, vor Tagesanbruch also, / kaum hatten die Hähne zum zweiten Male gekräht, / rührten sich auf allen Wegen und Stegen, die nach Tymow führten, die Menschen.

Was nur lebte in der ganzen Umgegend, strömte zum Jahrmarkt hin. Gegen Morgen war starker Regen gefallen, doch nach Sonnenaufgang hatte es sich etwas aufgehellt, aber der Himmel war noch mit grauen Wolkenungetümen bedeckt und über den tiefgelegenen Landen hingen graue Nebelschwaden, wie ganz durchnäßte Sackleinentücher; auf den Wegen spiegelten die Pfützen und hier und da in den Wegsenkungen quantschte der Schmutz unter den Füßen.

Auch von Lipce kamen sie schon vom frühen Morgen her angezogen.

Auf dem Pappelweg hinter der Kirche und weithin bis an die Wälder sah man eine Kette von Wagen sich Schritt für Schritt vorwärtsbewegen, so ein Gedränge war es, und auf den Stegen von beiden Seiten des Weges schimmerte es von roten Beiderwandröcken der Frauen und weißen Haartuchkitteln der Männer.

So viel Volk war unterwegs, als ob ein ganzes Dorf auswanderte.

Die ärmeren Bauern gingen zu Fuß, es kamen Frauen, Knechte und Dorfmädchen, es kamen Kätner und auch ganz armes Volk, lauter Tagelöhner / alles zog dahin, denn es war ein Jahrmarkt, zu dem die Bauern dingten und auf dem Stellen gewechselt wurden.

Der eine hatte was zu kaufen, der andere was zu verkaufen, und noch andere gingen, um sich zu amüsieren.

Dieser und jener führte eine armselige Kuh oder ein kräftiges Kalb am Strick, der wiederum trieb eine Sau mit Ferkeln vor sich hin, die hin und her quiekten und dermaßen auseinanderdrängten, daß man sie immerfort zusammentreiben und hüten mußte, damit sie nicht unter die Wagen kämen; ein anderer zockelte auf einer Mähre dahin. Etliche aber trieben geschorene Schafe und hier und da blitzte eine kleine Herde Gänse, mit festgebundenen Flügeln auf, oder ein Hahnenkamm guckte unter einer Frauenschürze hervor ... Auch die Wagen waren nicht schlecht beladen, immer wieder schob sich in irgendeinem Korbwagen die Schnauze eines Mastschweins aus dem Stroh hervor und schrie, daß die Gänse erschrocken aufgackerten und die Hunde, die mit den Menschen Schritt hielten, anfingen, gegen die Wagen anzukläffen. Und so zogen sie dahin und füllten die ganze Straße, aber es war unmöglich, daß alle darauf Platz fanden trotz ihrer Breite. Manch einer mußte vom Weg heruntertreten und zwischen den Furchen des Ackerlands gehen.

Bei vollem Tag, nachdem sich der Himmel so erhellt hatte, daß die Sonne jeden Augenblick zu erwarten war, trat auch Boryna hinaus; vordem schon hatten Anna und Fine bei Morgengrauen die Sau und den angemästeten Eber fortgetrieben, und Antek war mit zehn Säcken Weizen und einem halben polnischen Scheffel roten Klees weggefahren. Zu Hause blieb Jakob mit Witek und die Gusche, die man herbestellt hatte, um das Essen zu kochen und aufs Vieh zu passen.

Witek heulte laut vor dem Kuhstall, denn er hatte auch Lust, mit zum Jahrmarkt zu gehen.

»Was dem nur einfällt« brummte Boryna, bekreuzigte sich und machte sich zu Fuß auf den Weg, denn er rechnete damit, unterwegs irgendwo aufzusteigen. So geschah es auch gleich, denn dicht hinter der Schenke holte ihn der Organist ein, der in einer mit zwei tüchtigen Pferden bespannten Britschka dahergefahren kam.

»Nanu, Matheus, zu Fuß?«

»Der Gesundheit wegen ... Gelobt sei Jesus Christus.«

»In Ewigkeit. Setzt euch bei uns auf, wir kommen alle zusammen unter!« schlug die Frau des Organisten vor.

»Gott bezahl's. Auch zu Fuß würd' ich schon hinkommen, aber wie man so sagt: es ist der Seele mehr wert, wenn sie im Wagen fährt« antwortete er, den Vordersitz einnehmend, indem er seinen Rücken den Pferden zugewandt hielt.

Sie drückten sich freundschaftlich die Hände; die Pferde zogen an.

»Der Herr Jasch, wo kommt er denn her, nicht mehr in den Klassen?« fragte er den Jungen, der neben dem Knecht auf dem Bock saß.

»Nur für den Jahrmarkt bin ich hergekommen!« rief der Organistenbub fröhlich.

»'ne Prise gefällig? französischer ...,« bot der Organist an, gegen seine Tabakdose schnippend.

Sie langten zu und niesten beiderseits gehörig.

»Was gibt's bei euch? Verkauft ihr heute was?«

»Gott, ja, in der Früh haben sie Weizen hingefahren und die Frauen haben ein Schwein fortgetrieben.«

»So viel!« rief die Organistin aus, »Jaschu, nimm das Halstüchel, es ist kalt,« schrie sie dem Sohn zu.

»Mir ist warm, ganz warm,« versicherte er, trotzdem aber wickelte sie den roten Wollschal um seinen Hals.

»Und die Ausgaben, die sind jetzt auch nicht klein. Man weiß schon nicht, woher man alles nehmen soll ...«

»Klagt nicht, Matheus, ihr habt genug, Gott sei's gedankt.«

»Meinen Grund und Boden kann ich doch nicht essen ... und bar Geld hat man nicht zu Hause liegen ..

Im Grunde war Boryna nicht zufrieden mit diesen Anspielungen in Gegenwart des Knechtes; er beugte sich schnell vor und fragte leise:

»Und Herr Jasch, wird er denn noch lange in den Klassen bleiben?«

»Nur noch bis zu den Feiertagen.«

»Kommt er nach Hause oder wird er ein Amt lernen?«

»Oh, du mein, was sollte der wohl zu Hause auf den fünfzehn Morgen machen, da gibt es noch gerade genug Kleinzeug ... Und die Zeiten sind schlecht / man muß es rein wie aus Steinen herausholen ...,« seufzte sie auf.

»Das ist schon recht, Taufen gibt's da noch genug, aber viel Profit kommt nicht heraus dabei!« pflichtete der Organist bei.

»An Beerdigungen mangelt's doch aber nicht,« warf Boryna ironisch hin.

»Iii ... aber was für Beerdigungen, lauter armes Volk stirbt weg, und kaum paarmal im Jahr, daß sich ein ordentliches Bauernbegräbnis trifft, bei dem was abfällt.«

»Messen werden auch immer weniger bestellt, und handeln tun sie dabei wie die Juden« ergänzte die Frau.

»Das kommt alles wegen der Armut und den schlechten Zeiten,« entschuldigte Boryna.

»Aber auch von daher, daß die Menschen nichts auf ihr Seelenheil geben und sich nicht um die kümmern, die im Fegefeuer sind. Der Propst hat's mehr wie einmal zu dem Meinen gesagt.«

»Auch die Herrenhöfe werden immer weniger. Als man früher zum Erntedank Mit dem Erntedank fahren: Da die Dorforganisten in Polen sehr kleine Gehälter haben, so hat sich seit altersher die Sitte eingebürgert, mindestens zweimal im Jahre die Bewohner ihres Kirchspiels zu besuchen, um freiwillige Gaben in Naturalien für sich einzusammeln. Eine dieser Bittfahrten findet im Herbst statt, wenn die Ernte eingefahren, aber noch nicht gedroschen ist. Sie heißt eigentlich Garbenfahrt. oder mit den Oblaten herumfuhr, und zu Weihnachten gratulierte, oder wegen der Volkszählung Volkszählung: Gleichbedeutend mit Osterzählung. kam, dann ging man, ohne sich lang zu bedenken, direktemang zum Herrenhof; da wurde dann nicht gespart an Getreide, Geld und Legümien. Und jetzt ist es rein zum Gotterbarmen, jeder Bauer krümmt sich, und die kleinste Garbe Roggen, die er dir gibt, ist noch halb von Mäusen zerfressen, und wenn du ein viertel Maß Hafer kriegst, dann gibt's gewiß mehr Spreu wie Korn drin. Das laßt euch mal von meiner Frau erzählen, was für Eier sie mir vergangenes Jahr zur Osterzählung Osterzählung: In der Fastenzeit vor Ostern veranstalten die Organisten alljährlich eine Zählung der katholischen Bevölkerung ihres Kirchspiels, bei welcher auch der alljährige Zuwachs an Seelen verzeichnet wird. Eine besondere Rubrik wird über die im Beichtalter befindlichen geführt. Voraussichtlich ist diese alte Sitte dem kirchlichen Bedürfnis einer genauen Kontrolle entsprungen. mitgegeben haben/ mehr als die Hälfte war verrottet. Wenn der Mensch nicht sein bißchen Grund und Boden hätte, dann könnte man betteln gehen,« schloß er, Boryna die Tabaksdose anbietend.

»Gewiß, gewiß ...,« gab Boryna bei, aber weismachen ließ er sich nichts, er wußte schon, daß der Organist Geld auf Prozente oder gegen Entgelt in Feldarbeit den Kätnern lieh, so lächelte er nur zu diesen Klagen und wandte sich nochmals zu Jasch hin ...

»Und was denn, wird er ins Amt gehen? ...«

»Was? Mein Jasch ins Amt ... ein Schreiber? Dafür hab' ich's mir nicht vom Mund abgespart, daß er die Schulen durchmacht, ja nicht! Ins Seminar kommt er, wird Priester werden ...«

»Priester!«

»Ist das vielleicht ein schlechtes Auskommen? Gibt's vielleicht einen Priester, der's schlecht hat?«

»Das ist wohl recht ... und eine Ehre ist es auch; man sagt ja doch: Wer einen Priester zum Verwandten hat, frißt sich alle Tage satt ...,« sagte er langsam und sah mit Hochachtung über die Schulter auf den Jungen, der den Pferden zuflötete, für die es gerade nötig war, einen Augenblick anzuhalten ...

»Man erzählte, daß dem Müller sein Stacho Priester werden sollte, und jetzt praktiziert er auf den hohen Schulen und will 'n Doktre werden ...«

»Hat sich was, den Lump noch zum Priester machen, da ist doch die Magda bei uns, die geht schon im sechsten Monat, und das ist von ihm ...«

»Man sagte, daß es der Müllersknecht gewesen ist.«

»Häh, wer dran glaubt, das sagt die Müllerin, um ihren reinzuwaschen. Das ist ein Liederjahn, das Gott erbarm, der paßt zum Dokter.«

»Versteht sich, daß Priester sein besser ist, es ist auch unserm Herrn Jesus zu Ehren und den Menschen zum Trost,« pflichtete ihr Boryna schlau bei, was sollte er auch mit einer Frau herumzanken, und ganz aufmerksam hörte er ihren Ausführungen zu. Der Organist lüftete inzwischen ein übers andere Mal seine Mütze und antwortete mit einem lauten: »In Ewigkeit, Amen!« auf die Grüße der Leute, die ihr Wagen überholte. Sie fuhren im leichten Trab, Jascho wich den Wagen, Menschen und dem des Wegs getriebenen Vieh mit Bravour aus, bis er den Wald erreichte, wo es schon freier wurde und der Weg breiter war.

Gleich am Waldrand holten sie die Dominikbäuerin ein; sie fuhr mit Jagna und Schymek, und eine an den Hörnern befestigte Kuh ging hinter dem Wagen, aus dem ein paar Gänseriche ihre weißen Hälse hervorstreckten und wie die Vipern zischten.

Man bot einander Gott zum Gruß, und Boryna, der sich beim Überholen ganz herausbeugte, rief:

»Ihr kommt zu spät!«

»Wir kommen zurecht!« rief ihm Jagna lachend zurück.

Man fuhr vorbei, doch der Organistensohn drehte sich mehrmals nach ihr um, und fragte schließlich:

»War die der Dominikbäuerin ihre Jagna?«

»Das war sie, jaja,« antwortete Boryna, sich aus der Ferne noch nach ihr umschauend.

»Hab' sie gar nicht wiedererkannt, zwei Jahre sind es schon gut, daß ich sie nicht gesehen habe.«

»Die ist noch grün, damals hat sie grad' das Vieh gehütet. Ist nur so aufgegangen, wie eine Färse im Klee,« und er bog sich weit über den Wagenrand, um nach ihr hinzusehen.

»Sie ist sehr schön,« warf Junge der hin.

»Wie alle Mädel,« sagte die Organistin verächtlich.

»Jawohl, die ist glatt, 'ne wohlgeratene Dirn'; keine Woche ist, daß nicht jemand zu ihr mit Schnaps schickt.«

»'ne wählerische is sie! Die Alte denkt, daß wenigstens ein Verwalter ihretwegen angefahren kommt, und jagt die Burschen zur Türe 'raus ...,« zischelte sie bissig.

»Es könnte sie auch einer nehmen, der selbst 'ne ganze Hufe hat ... denn so viel ist die wert ...«

»Dann bleibt nichts anderes über, als daß ihr die Brautbitter schickt, Matheus, da ihr sie doch so lobt!« fing sie an zu lachen. Boryna sagte kein Wort mehr.

»Sieh da, so 'n Stadtfetzen, hohe Persönlichkeit, die den Bauernhühnern unter den Schwanz guckt, ob sie nicht für sie Eier legen und den Menschen in die Hand, ob nichts für sie abfällt; will sich so eine lustig machen über ansässige Hofbauern! Wag' du dich an die Jagusch heran!« dachte er, stark beleidigt, und sah immerzu vor sich hin auf den Wagen der Dominikbäuerin aus dem die roten Schürzen leuchteten und der immer weiter zurückblieb, denn Jascho fuhr energisch mit der Peitsche zwischen die Pferde, daß sie von der Stelle aus wegstoben und die Räder tiefe Rillen in den Schmutz gruben.

Vergeblich fing die Organistin wieder an, über dies und jenes zu reden, er nickte nur mit dem Kopf und brummelte etwas vor sich hin; er hatte sich dermaßen in sich verbissen, daß er nicht mal mit einem einzigen Wort antworten wollte.

Und kaum waren sie auf dem holprigen Straßenpflaster des Städtchens, stieg er auch schon von der Britschka ab und bedankte sich für die Fahrt.

»Gegen Abend kehren wir heim, da setzt euch wieder zu uns, wenn ihr wollt.«

»Gott bezahl's, meine eigenen Pferde sind ja da. Sonst würden die Leute sagen, ich tät' mich zum Blasebalgtreten verdingen, oder als Organistengehilfe ... und ich kann nicht einen einzigen Ton 'rauskriegen und zum Lichterausblasen bin ich auch nicht angelernt ...«

Sie bogen in eine Nebengasse ab, und er zwängte sich langsam durch die Hauptstraße nach dem Marktplatz hin vorwärts. Der Jahrmarkt konnte sich sehen lassen, die Menschen stauten sich zu einem dichten Gewirr, obgleich es noch ziemlich früh war; alle Straßen, Plätze, Winkel und Höfe waren mit Menschen, Wagen und vielerlei Waren vollgepfercht/es war wie ein großes Wasser, zu dem noch ohne Unterlaß aus allen Seiten neue Menschenstrome stießen; sie drängten sich, wallten und fluteten durch die engen Gassen, so daß die Häuser zu zittern schienen und ergossen sich über den großen Klosterplatz. Der Schmutz, der auf den Wegen noch nicht allzu arg war, ging hier, wo ihn tausend Füße zerstampften und zu Brei zertraten, schon bis über die Knöchel und spritzte unter den Rädern nach allen Seiten auf.

Das Stimmengewirr war beträchtlich, doch steigerte es sich mit jedem Augenblick; es brauste wie ein Wald, es wogte wie ein Meer, es schlug gegen die Wände der Häuser und wälzte sich von einem Ende zum andern/so daß nur zuweilen Kuhgebrüll, Leierkastenklänge vom Karussell, weinerliche Lamentationen der Bettler oder die scharfen durchdringenden Pfeifen der Korbmacher dazwischen hörbar wurden.

Der Jahrmarkt war in der vollen Bedeutung des Wortes groß, es hatte sich so viel Volk zusammengedrängt, daß es nicht leicht wurde, durchzukommen, und als Boryna aus dem Marktplatz vor dem Kloster ankam, da mußte er sich mit Gewalt durchzwangen/eine solche Menschenwand stand um die Verkaufsbuden herum.

Es waren deren so viele, so furchtbar viele, daß man es gar nicht zählen noch fassen konnte, wer wäre damit auch fertig geworden ...

Zuerst die hohen, leinwandbespannten Buden, die an der Klostermauer entlang in zwei Reihen standen, ganz mit Weiberkram vollgestopft/mit Leinwandstücken und Tüchern, die auf Stangen hingen und rot wie Mohnblumen waren, daß es in den Augen flimmerte, oder auch ganz gelb aussahen, oder rübenrot ... wer hatte sich das alles merken sollen! Und es wimmelte von Mädchen und Frauen davor, so daß man nicht einmal einen Stock dazwischen stecken konnte/die einen feilschten und wählten aus, und andere standen da, um nur zuzusehen und die Augen an den Herrlichkeiten zu weiden.

Und weiterhin zogen sich wieder Krambuden, die vor Perlenschnüren, Spiegelchen, Goldtand, Bändern, Halskrausen und von grünen, goldenen und verschiedenfarbigen Blümelein, von glitzernden Hauben und Gott weiß was mehr flimmerten.

Irgendwoanders wurden Heiligenbilder verkauft in goldgleißenden Rahmen und hinter Glas, und obgleich sie an die Wand gelehnt standen oder selbst am Boden lagen, kam von ihnen ein solcher Glanz, daß manch einer nach der Mütze langte und sich bekreuzigte.

Boryna kaufte ein seidenes Kopftuch für Fine, das er ihr noch im Frühjahr für das Viehhüten versprochen hatte. Er schob es unter den Brustlatz und begann sich nach dem hinter dem Kloster gelegenen Schweinemarkt durchzudrängen.

Vor einer Anzahl Häuser hatten die Hutmacher breite Leitern hingehängt, die von oben bis unten mit Mützen behangen waren.

Anderwärts hatten Schuster eine ganze Straße aus hohen Holzböcken gebildet, an denen ganze Stiefelreihen, an den Ösen aufgehakt waren. Es waren da gewöhnliche gelbe Naturlederstiefel, zum Schmieren mit zerlassenem Talg, gegen die Nässe, und solche die zum Glanzwichsen zurechtgemacht waren, und Wadenstiefel für die Frauen mit roten Schnürlitzen und hohen Absätzen.

Weiter unten kamen die Sattler, mit ihren Kummeten auf eingerammten Pflöcken und mit ausgebreitetem Pferdegeschirr.

Und dahinter noch die Seiler und die Netzknüpfer.

Und die, die mit Sieben durchs Land fahren.

Und die, die mit Grütze von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen.

Und Rademacher und Gerber.

Anderwärts hatten Schneider und Kürschner ihre Ware zur Schau gestellt; sie strömte einen solchen Geruch aus, daß es einem in der Nase zwickte, aber sie hatte einen guten Zuspruch, denn es ging ja dem Winter zu.

Es waren auch ganze Reihen von Tischen aufgestellt mit Leinwanddächlein darüber; da lagen Bündel roter taudicker Würste, Wälle gelben Flomens; geräucherte Schweinsrippen, Speckschwarten und Schinken türmten sich zu Haufen, und daneben hingen auf Haken ganze ausgeweidete Schweine, von denen das Blut noch tropfte, so daß es nötig war, die heranschleichenden Hunde zu verscheuchen.

Neben den Schlächtern hatten sich, wie leibhaftige Brüder, die Bäcker niedergelassen; auf dick ausgebreitetem Stroh, auf Wagen, Tischen, und in Körben wo es nur anging lagen Berge von radgroßen Brotlaiben, gelben Butterkuchen, Semmeln, Brezeln ...

Wer hätte wohl all die Buden behalten und sich merken können, und obendrein noch das, was darin verkauft wurde? ...

Es waren auch Buden mit Spielsachen da und Lebkuchenbuden, wo vielerlei Tiergestalten aus Teig geformt waren, und Herzen und Soldaten und solche Wunder, daß der erste beste sich da gar nicht auskennen konnte; es waren Buden mit Kalendern und frommen Büchern da, wo Geschichten von Räubern und grausamen Magellonen verkauft wurden, und Fibeln dazu. Es gab Buden mit Pfeifen, Harmonikas, Tonhähnen und anderen musikalischen Dingen/ auf denen das rothaarige Judenvolk spielte, um Lust zu machen, und wo ein solches Gekreisch herrschte, daß es kaum zum Aushalten war/hier pfiff eine Wasserpfeife, dort tutete eine Trompete, anderswo entlockte man einigen Flöten bunte Weisen, Geigen juchzten und Trommeln stöhnten und meckerten dazwischen/der Kopf platzte einem schier vor all dem Lärm.

Mitten auf dem Marktplatz aber, rings um die Bäume, machten sich die Küfer und Klempner breit, und die Töpfer hatten so viele Schüsseln und Töpfe aufgestellt, daß man kaum durchgehen konnte, dahinter hatten die Tischler ihr Lager; Betten und gemalte Laden, Schränke, Borte und Tische spielten in allen Farben, daß man mit den Augen blinzeln mußte ...

Und überall auf den Wagen, an den Rinnsteinen und Häuserwänden, wo nur irgendein Platz war, saßen verkaufende Weiber; die eine hatte Zwiebeln in Kränzen oder in Säcken; die andere selbstgesponnenes Leinen und Beiderwand; eine saß mit Eiern, Käsen, Pilzen und verkaufte eiförmige Klumpen Butter, die mit Leinwandstücken umwickelt waren; und eine war mit Kartoffeln und Gänsen da, stellte ein gerupftes Huhn, schön gekämmten Flachs, zaspeln Garn zur Schau, und jede saß bei ihrem Teil; sie besprachen sich würdevoll miteinander, wie es auf Jahrmärkten üblich ist, und traf sich ein Käufer, so verkauften sie langsam, bedächtig, ohne Hitzigkeit/wie es Bäuerinnen ziemt und nicht so wie die Juden, die schreien, sich einem anhängen und herumspringen, als wären sie nicht bei Verstand.

Ab und zu zwischen den Wagen und Krambuben sah man kleine blecherne Schornsteine qualmen/dort verkaufte man heißen Tee/und anderes Essen war auch da, geröstete Wurst, Kohl und Barschtsch mit Kartoffeln.

Und Bettler ohne Zahl waren aus allen Himmelsrichtungen zusammengekrochen; Blinde, Lahme, Stumme und auch solche, die weder Arme noch Beine hatten, es wimmelte von ihnen, wie zu irgendeiner Kirmeszeit; die einen spielten auf der Geige fromme Lieder, die anderen sangen und klirrten mit ihren Geldnäpfen, um sich ein paar Groschen oder eine andere Unterstützung zu ergattern; überall an den Häuserwänden entlang und unter den Wagen hervor, selbst mitten aus dem Dreck klang ihr flehentliches Betteln.

Das alles hatte sich Boryna schon besehen, manches erstaunt betrachtet, hin und wieder mit Bekannten geredet, bis er sich schließlich zum Schweinemarkt hinterm Kloster durchgedrängt hatte. Der war auf einem großen, sandigen Platz, den vereinzelte Häuser umsäumten. An der Klostermauer, über die sich mächtige, noch gelb belaubte Eichen hervorreckten, drängten sich die Menschen reichlich dicht zwischen den Wagen, ganze Parzellen Schweine lagen da, die hier zum Verkauf zusammengetrieben waren.

Bald hatte er Anna und Fine herausgefunden, die dicht am Rand saßen.

»Verkauft ihr was?«

»Wie man's nehmen will, die Schlachter haben schon um die Sau gehandelt, aber sie geben nichts ...«

»Sind die Schweine teuer?«

»Na Gott, teuer, die haben hier heuer so viel zusammengetrieben, daß man nicht weiß, wer das alles kaufen soll.«

»Is wer aus Lipce da?«

»Da, da haben die Klembs ihre Ferkel, und der Dominik-Schymek steht auch bei einem Eber.«

»Macht schnell, dann kriegt ihr auch 'was vom Jahrmarkt ab.«

»Es wird einem auch schon über, so zu sitzen.«

»Was geben sie für die Sau?«

»Dreißig Papierer, weil sie nicht durchgemästet ist, dicke Knochen soll sie haben, aber kein Speck.«

»Die zigeunern nur 'rum, wo sie können ..., gut ihre vier Finger Speck hat die Sau ...,« sagte er, nachdem er ihr den Rücken und die Flanken befühlt hatte. »Dem Eber fehlt schon was an den Seiten, aber die Schinken sind gut,« gab er zu, indem er das Tier vom nassen Sand wegjagte, wo es sich bis zur Hälfte eingewühlt hatte.

»Für fünfunddreißig könnt ihr sie losschlagen, ich geh' nur noch nach Antek gucken, gleich bin ich wieder da. Ihr werdet wohl auch Hunger haben? ...«

»Wir haben schon etwas Brot gegessen.«

»Verkauft nur schön, ihr sollt auch Wurst kriegen.«

»Väterchen, vergeßt aber nicht mein Tuch, was ihr mit im Frühjahr versprochen habt ...«

Boryna langte unter den Brustlatz, doch er hielt an, als ob ihm etwas eingefallen wäre, und mit der Hand abwinkend sagte er im Weggehen:

»Ich werd's dir kaufen, Fine, ich werd' schon ...« Er machte sich Beine, denn er hatte plötzlich Jagnas Gesicht zwischen den Wagen auftauchen sehen, doch ehe er sie erreicht hatte, war sie spurlos von der Bildfläche verschwunden, als ob die Erde sie verschluckt hatte; er fing also an, nach Antek zu suchen; das war nicht gerade leicht, denn in der Gasse, die vom Schweinemarkt zum Marktplatz führte, standen Wagen an Wagen, und noch dazu in mehreren Reihen, so daß man nur mit großer Mühe und Vorsicht mitten hindurchfahren konnte, dennoch fand er ihn bald heraus. Antek saß auf den Säcken, holte mit der Peitsche nach den Judenhühnern aus, die sich um die Kober scharten, aus denen die Pferde fraßen, und antwortete mundfaul auf die Frage der Käufer.

»Sieben hab' ich gesagt, dabei bleibt's.«

»Sechs und halb geben mer, man kann nicht mehr, der Weizen ist brandig.«

»Wenn ich dir eins über die verdammte Schnauze lange, Krätzjude, dann wird sie dir auf der Stelle brandig werden, mein Weizen ist rein wie Gelb.«

»Kann sein, aber feucht is er ... Nach Maß könnte ich kaufen für sechs Rubel und fünf Silberlinge.«

»Nach Gewicht wirst du sie kaufen für sieben. Das sag' ich dir ein für allemal!«

»Was ärgert sich der Bauer, werd' ich sie kaufen oder nicht kaufen, man kann doch handeln.«

»Kannst handeln, wenn dir dein Maul nicht zu schade ist.« Und er beachtete schon die Juden nicht mehr, die die Säcke der Reihe nach aufbanden und den Weizen besahen.

»Antek, ich geh' jetzt zum Schreiber und im Nu bin ich wieder da ...«

»Was, wollt ihr den Gutshof verklagen?«

»Und durch wen ist die Bunte verreckt?«

»Da wird euch viel 'bei 'rauskommen!«

»Mein Eigentum werd' ich niemand schenken.«

»Ji ... den Heger müßte man im Forst gegen eine Fichte drücken und mit was Hartem durchbläuen, daß ihm die Rippen pfeifen, gleich wäre da Gerechtigkeit.«

»Der Heger, gewiß, der verdient's schon, aber der Gutshof auch,« sagte er hart.

»Gebt mir ein kleines Silberstück.«

»Wozu denn das?«

»Einen Schnaps möcht' ich trinken und was essen ...«

»Hast du nicht dein eigen Geld? Aber nee, ständig soll Vater die Hand offenhalten ...«

Antek drehte sich weg und fing ärgerlich an, vor sich hinzupfeifen, und der Alte knotete mißmutig und widerwillig einen Silberling aus und gab ihn her.

»Mit seinem eigenen Blutschweiß muß man die alle nähren ...,« dachte er und drängte sich eilig nach der großen Eckschenke hin, wo schon viele Menschen waren, die ihre Mahlzeit einnahmen. In einem Erkerstübchen, das auf den Hof ging, wohnte der Schreiber.

Er saß gerade vor dem Fenster am Tisch, mit einer Zigarre zwischen den Zähnen, hatte weder Rock noch Weste an und war ungewaschen und zerzaust; irgendein Frauenzimmer schlief in der Ecke auf einem Strohsack und war mit einem Paletot zugedeckt.

»Setzt euch, Herr Hofbesitzer!« Er warf einen dreckigen Anzug vom Stuhl herunter und schob diesen Boryna hin, der sogleich den ganzen Fall ausführlich vor ihm ausbreitete.

»Wie Amen im Gebet, tut ihr gewinnen. Das fehlte noch! Die Kuh ist verreckt, der Junge liegt krank vor Schreck! Unsere Sache steht gut!« er rieb sich die Hände und suchte auf dem Tisch nach Papier.

»Aber..., dem Jungen fehlt doch nichts.«

»Schadet nichts, ihm hätte was fehlen können. Geschlagen hat er ihn doch...«

»Das nicht, nur den Nachbarsjungen hat er geschlagen.«

»Schade, das wäre noch besser gewesen. Aber das wird man schon irgendwie zusammenkriegen, wir werden Krankheit durch Verprügelung und eine verreckte Kuh haben. Laß den Gutshof zahlen.«

»Versteht sich, um die Gerechtigkeit geht es hier allein.«

»Gleich werden wir eine Klage schreiben. Franja, du Faulpelz, rühr' dich!« schrie er und gab der Liegenden einen solchen Fußtritt, daß sie den strubbeligen Kopf emporrichtete. »Hol' man Schnaps und zu essen...«

»Keinen roten Heller hab' ich mehr, und du weißt, Gustav, daß sie nicht mehr borgen wollen...,« murmelte sie, erhob sich vom Lager und fing an zu gähnen und sich zu recken; hoch war sie wie ein Ofen und hatte ein großes, schwammiges, versoffenes Gesicht, das voll blauer Flecke war, und dabei eine dünne Kinderstimme.

Der Schreiber arbeitete, daß die Feder krächzte, sog an der Zigarre, pustete Boryna, der dem Schreiber zusah, Rauch ins Gesicht, rieb sich seine mageren, sommersprossigen Hände und drehte sein blasses Gesicht voller Pusteln, nach Franja hin; seine Vorderzähne waren schadhaft, seine Lippen bläulich, sein Schnurrbart groß und schwarz.

Er schrieb die Klage, nahm einen Rubel dafür, nahm einen zweiten für die Gebühren und verabredete sich auf drei Rubel wegen der Gerichtsvertretung, für den Fall, daß die Sache vor den grünen Tisch käme.

Boryna erklärte sich zu allem eifrig bereit, denn er kombinierte, daß ihm das Gut alles, und noch mit Überschuß, bezahlen würde.

»Gerechtigkeit muß sein, die Sache ist gewonnen!« sagte er im Weggehen.

»Gewinnen wir nicht im Gemeindegericht, dann gehen wir vors Landgericht, und hilft das Landgericht nicht, dann gehen wir vor das Oberlandesgericht, selbst bis zum Kassationshof, denen wollen wir nichts schenken.«

»Das fehlte nun noch, mein Hab und Gut zu verschenken!« rief Boryna verbissen aus, »und wem dazu noch, dem Gut, das so viel Wälder und Boden hat!« dachte er weiter, als er auf den Marktplatz trat. Gleich darauf stieß er von ungefähr in der Hutmacherreihe auf Jagna.

Sie stand da mit einer dunkelblauen Männermütze auf dem Kopf, und handelte noch um eine zweite.

»Seht mal her, Matheus, der Rote sagt, sie ist gut, und gewiß betrügt er...«

»Pik nobel, is wohl für Jendschych?«

»Ja, für Jendschych, dem Schymek hab' ich schon eine gekauft.«

»Wird sie denn nicht zu klein sein?«

»Grad so 'n Kopf wie ich hat er.«

»Gäbst schon einen feinen Bursch' ab...«

»Vielleicht nicht?« rief sie keck und schob die Mütze ein wenig aufs Ohr...

»Auf der Stelle würden sie dich hier dingen...«

»Ho-la... nur bin ich zu teuer für den Dienst.« Sie fing an zu lachen.

»Kommt drauf an, wem... mir würdest du nicht zu teuer sein...«

»Und Feldarbeit, die tät' ich auch nicht...«

»Für dich würd' ich schon mitarbeiten, Jagusch, das tät' ich,« flüsterte er ihr etwas leiser zu und sah sie leidenschaftlich an, daß das Mädchen betroffen zurücktrat und, ohne weiterzuhandeln, für die Mütze bezahlte.

»Habt ihr die Kuh verkauft?« fragte er nach einer kleinen Pause, nachdem er etwas zu sich gekommen war und von dieser Wohligkeit aufatmete, die ihm, wie Branntwein, den Kopf benommen hatte.

»Sie haben sie für den Priester nach Jeschow gekauft, und die Mutter ist mit den Organistenleuten eben fortgegangen, denn sie will einen Knecht dingen.«

»Dann könnten wir doch auf ein Gläschen Süßen irgendwo eintreten!...«

»Wie denn das?«

»Muß dir doch hier kalt geworden sein, Jagusch, kannst dich was wärmen...«

»Wie sollt' ich denn... mit euch Schnaps trinken gehen!...«

»Na, denn sollen sie ihn hierher bringen, können ihn auch hier trinken, Jagusch...«

»Gott bezahl's, es war gut gemeint, ich muß aber nach der Mutter sehen.«

»Ich werd' dir helfen, Jagusch...« meinte er mit gedämpfter Stimme und ging voraus. Er arbeitete sich so mit den Ellenbogen durch, daß Jagna ungehindert hinterdrein durchs Gedränge ging; doch als sie zwischen die Leinwandzelte kamen, verlangsamte sie den Schritt, blieb hier und da stehen und ihre Augen entbrannten im Anschauen all der Dinge, die hier ausgebreitet lagen.

»Das sind dir aber mal Herrlichkeiten, du lieber Jesus!« murmelte sie, vor den Bändern stehenbleibend, die oben befestigt waren und im Winde wie ein greller Regenbogen flatterten.

»Welches meinst du, Jagusch, such' es dir aus,« sagte er nach kurzem Zögern, seinen Geiz überwindend.

»Hale, dieses gelbe, geblümte, wird schon seinen Rubel kosten, oder selbst zehn Silberlinge!«

»Kehr dich nicht dran, nimm nur...«

Aber Jagusch riß sich gewaltsam los und ging zum zweiten Stand weiter, nur Boryna blieb einen Augenblick zurück.

Hier waren wiederum Tücher und Stoffe für Mieder und Jacken.

»Mein Jesus, so viel Herrlichkeiten!« flüsterte sie bezaubert vor sich hin und tauchte die zitternden Hände immer wieder in grüne Atlasgewebe und rote Samte, bis es ihr vor den Augen wirr wurde und ihr das Herz vor Lust hüpfte. Und diese Kopftücher! Seidene, ponceaufarbene mit grüngeblümter Borde, ganz goldige, wie die heilige Monstranz, und blaßblaue wie der Himmel nach dem Regen, und weiße, und die allerschönsten, die changierenden, die wie das Wasser beim Sonnenuntergang gleißen, und leicht, wie aus Spinnweben! Nein nein, sie hielt es nicht mehr aus! sie fing an, sie anzuprobieren und sich im Spiegel zu besehen, den die Jüdin ihr geschäftig vorhielt.

Prächtig standen sie ihr, als ob sie die Morgenröte um ihr Flachshaar gewunden hätte, und ihre lichtblauen Augen flammten in solcher Freude, daß sich ein veilchenblauer Schatten von ihnen auf das erglühte Gesicht legte; sie lächelte sich zu, und so schön war sie und solche Jugend, solche Gesundheit strahlte sie aus, daß die Menschen nach ihr schauten.

»Eine vom Herrenhof in Tracht oder was?« tuschelte man.

Sie betrachtete sich lange und nahm mit einem schweren Seufzer das Tuch ab, doch fing sie an, darum zu handeln, denn obgleich sie das Geld nicht hatte, tat sie so, um sich noch länger daran freuen zu dürfen.

Sie ernüchterte sich schnell, als die Handelsfrau fünf Rubel sagte, und selbst Boryna wurde eifrig, um sie wegzulocken.

Sie blieben noch vor den Perlschnüren stehen / von denen es eine solche Menge gab, daß es schien, als ob die ganze Bude mit kleinen Edelsteinen benäht wäre; sie leuchteten und funkelten, daß es schwer war, die Augen abzuwenden /all die gelben Bernsteine, die wie aus duftendem Harz geformt waren, all die Korallenschnüre, wie aufgefädelte Blutstropfen, die Perlen weiß und groß wie Haselnüsse, und andere aus Silber und Gold ...

Jagusch probierte nicht nur eine an, sie wählte und wählte zwischen ihnen herum, und am schönsten bedünkte sie eine Korallenschnur; sie umwickelte viermal ihren weißen Hals damit und drehte sich zum Alten hin.

»Guckt mal her, na?«

»Die stehen dir schön, Jagusch! Korallen sind mir aber nichts Neues, denn in meiner Lade liegen noch zehn peitschenlange Schnüre von der Seligen her, so groß wie Felderbsen sind die ...,« sagte er mit Bedacht, wie von ungefähr.

»Was hab' ich davon, wenn sie nicht meine sind!« sie schleuderte jäh die Perlen weg und ging finster und traurig weiter.

»Jagusch, laß uns nur erst ein bißchen niedersetzen.«

»Aber, 's ist doch Zeit, ich muß nach der Mutter sehen.«

»Fürcht' dich nicht, sie fährt dir nicht weg.«

Sie setzten sich auf eine herausragende Wagendeichsel nieder.

»Fein großer Markt dieses Jahr,« sagte Boryna nach einem Augenblick, sich auf dem Marktplatz umschauend.

»Natürlich, nicht klein!« Sie blickte noch leidvoll zu den Krambuden hinüber und seufzte vor sich hin; aber die Traurigkeit fing schon an nachzulassen, denn sie sagte:

»Die Gutsherrschaft, die hat es gut ... Ich hab' die Gnädige aus Wola gesehen mit den Töchtern, die haben sich so viel gekauft, daß ein Lakai hinter ihnen her die Sachen tragen mußte! Das geht so jeden Jahrmarkt.«

»Is einer auf allen Märkten zu Gange/dem reicht's nicht lange.«

»Denen reicht's schon.«

»Solange die Juden was geben,« warf er knifflich ein, so daß Jagusch sich nach ihm umdrehte und nicht wußte, was sie ihm darauf antworten sollte, der Alte aber fragte leise ohne sie anzusehen:

»Waren sie mit Schnaps bei dir von Wojteks Michael, was Jagusch? ...«

»Sie sind gekommen und sind gegangen! ... So'n Dösköpf, und denn noch Brautbitter schicken,« lachte sie auf.

Boryna stand rasch auf, zog hinter dem Brustlatz ein Tuch hervor und noch irgend etwas in Papier Gewickeltes.

»Halt mal das, Jagusch, denn ich muß nach Antek sehen.«

»Ist er denn auf dem Jahrmarkt?« Ihre Augen wurden lebhaft.

»Beim Getreide ist er geblieben, dort in der Straße. Nimm dir das, Jagusch, das ist für dich,« fügte er hinzu, als er sah, daß Jagna erstaunt das Tuch beäugte.

»Mir gebt ihr das? ... wirklich für mich? Jesus, ist das fein!« schrie sie, das Band loswickelnd, gerade dasselbe, das ihr so gefallen hatte. »Hale, ihr spaßt wohl nur mit mir, wofür denn? So viel Geld ... und das Tuch ist reine Seide ...«

»Nimm, Jagusch, nimm, für dich hab' ich's gekauft; und wenn einer von den Burschen dir zutrinken will, dann tu' keinen Bescheid, was sollst du dich eilen ... und ich muß nun gehen.«

»Meins is es, das ist Wahrheit?«

»Was sollt' ich dir da was vorzigeunern?«

»Ich kann es noch gar nicht glauben.« Sie breitete immer wieder das Tuch und das Band auseinander.

»Bleib' mit Gott, Jagusch.«

»Gott soll's euch vergelten, Matheus.«

Boryna ging; Jagna breitete noch einmal alles vor sich aus und besah es, mit einem Male raffte sie es aber zusammen, um ihm nachzulaufen und es ihm wiederzugeben ... wie sollte sie von einem Fremden sich was schenken lassen, nicht mal verwandt oder mit der Mutter verschwägert war er ... Aber der Alte war nicht mehr zu sehen. Sie ging langsam davon, die Mutter zu suchen und befühlte behutsam und mit Behagen das hinter's Mieder geschobene Tuch. Sie war so erfreut, daß ihr die weißen Zähne nur so beim Lachen blitzten und die Wangen glühten.

»Jaguscha! ... Um der Barmherzigkeit willen ... arme Waise ... liebe Menschen ... wahrhaftige Christen ... Ave Maria für die toten Seelchen ... Jaguscha! ...«

Jagna kam zu sich und blickte umher, wer sie wohl rufen konnte und von wannen die Stimme käme; bald wurde sie Agathe gewahr, die an der Klostermauer, auf einem Strohhäufchen saß, da der Schmutz an dieser Stelle bis über die Knöchel ging.

Sie blieb stehen, nach einer kleinen Gabe suchend, und Agathe, erfreut über die Begegnung mit einer aus dem Heimatsdorf, machte sich eifrig dran, sie auszufragen, wie es da wohl in Lipce ginge ...

»Seid ihr schon so weit mit dem Kartoffelausnehmen?«

»Ganz und gar!«

»Wißt ihr nicht, was es bei den Klembs gibt?«

»Haben euch auf den Bettel in die Welt gejagt, und ihr seid noch begierig auf sie?«

»Weggejagt oder nicht weggejagt, selbst hab' ich mich fortgemacht, weil 's nötig war ... wieso denn auch, umsonst werden sie mir meine Ecke geben oder zu essen, wenn sie es selber nicht dick haben ... Und begierig bin ich auf sie, von wegen der Verwandtschaft ...«

»Und wie ist es mit euch?«

»Wie es so gehen muß, von Kirche zu Kirche gehe ich, von Dorf zu Dorf, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und bitt' mir bei guten Leuten hier und da ein Eckchen, einen Löffel Suppe aus, oder auch Geld. Die Menschen sind gut, lassen nicht den Armen Hungers sterben, nein. Wißt ihr vielleicht, sind die bei Klembs alle gesund?« fragte sie schüchtern.

»Sie sind gesund, und ihr, seid ihr nicht krank?«

»Ih ... wie man's nimmt, in der Brust zieht es mich immer, und wenn mich die Kälte ankommt, dann spuck' ich lebendiges Blut ... Nicht lange mach' ich's schon, nicht mehr lange. Wenn man nur bis zum Frühjahr durchhält und ins Dorf heim kann, so ... da zwischen seinen Leuten sterben/darum bitt' ich das kleine Jesuskind, einzig darum,« sie breitete die mit Rosenkränzen umwundenen Arme, hob das verweinte Gesicht und begann so inbrünstig zu beten, daß ihr die Tränen aus den geröteten Augen quollen.

»Sprecht ein Gebet für Väterchen,« murmelte Jagna und steckte ihr ein Geldstück zu.

»Das wird für die sein, die im Fegefeuer sind, für die Unsrigen bet' ich auch so schon immerzu und bitte zum lieben Gott für die Lebendigen und die Toten. Jagusch, und haben sie nicht mit Schnaps geschickt?«

»Sie sind schon gekommen.«

»Und keinen hat sie sich ausgesehen ...«

»Keinen. Bleibt mit Gott, und im Frühjahr guckt zu uns 'rein,« sagte sie noch schnell und ging zur Mutter, die sie in der Ferne mit den Organistenleuten daherkommen sah.

Boryna jedoch kehrte langsam zu Antek zurück, zum ersten, weil's ein großes Gedränge war, und zweitens, weil ihm Jagusch immerfort in seinen Gedanken stand, aber bevor er hinkam, traf er auf den Schmied.

Sie begrüßten sich und gingen schweigend nebeneinander her.

»Wollt ihr mit mir nu aber endlich mal zum Schluß kommen, häh?« fing der Schmied scharf an.

»Womit zum Beispiel? Dasselbe hättest du mir auch in Lipce sagen können.« Der Ärger überkam ihn.

»Die ganzen vier Jahre wart' ich schon doch.«

»Und den heutigen Tag mußtest du dir aussuchen! Dann warte noch deine vierzig, bis ich wegsterbe.«

»Selbst die Leute raten mir schon, daß ich beim Gericht petitionier' ... aber ...«

»Petitionier' du! Ich kann dir auch noch dazu sagen, wo man die Klagen schreibt und werd' dir für 'n Schreiber einen Rubel geben.«

»Aber ich denke, daß wir im guten uns einigen werden ...,« drehte der Schmied schlau bei.

»Das ist wahr, wenn's nicht mit Krieg/versucht man's mit Frieden.«

»Das begreift ihr selbst nicht schlecht.«

»Ich brauch' da weder Krieg noch Frieden mit dir.«

»Das sag' ich immer meiner Frau als erster, daß der Vater für die Gerechtigkeit ist.«

»Jeder holt die Gerechtigkeit hinzu, der sie als Gevatterin braucht/ich brauch' das nicht, denn ich weiß nichts von Schuld,« sagte er hart, so daß der Schmied klein wurde, da er ihm von dieser Seite nicht beikommen konnte, und als ob nichts geschehen wäre, sagte er in einem ruhigen und bittenden Ton:

»Ich würde einen trinken, wollt ihr spendieren? ...«

»Gewiß. Warum denn nicht, wenn so 'n pikfeiner Schwiegersohn bittet, dann gibt man selbst 'ne ganze Quart aus,« höhnte er etwas, in die Eckschenke eintretend. Dort war auch schon Ambrosius da, aber er trank nicht und saß mürrisch und trübsinnig in der Ecke.

»In den Knochen reißt es mich, wir kriegen gewißlich schlechtes Wetter,« klagte er.

Sie tranken ein- und zweimal, aber schwiegen sich an, denn sie hatten genug Wut aufeinander in den Eingeweiden.

»Wie auf einem Begräbnis trinkt ihr da herum!« ließ sich Ambrosius vernehmen, mit Recht giftig, daß sie ihn nicht mit aufgefordert hatten, denn er hatte seit früh noch so gut wie nichts im Magen.

»Wie soll man da reden. Der Vater verkauft heute so viel, da muß er aufpassen, wem er das Geld auf Prozent gibt ...«

»Matheus! Ich sag' es euch, Matheus, daß unser Herr Jesus ...«

»Ob Matheus oder nicht Matheus; nimm du dich für! So 'n Haderlump! Immer mal los mit der Brüderschaft, Schwein mit dem Schweinehirt,« er erboste heftig.

Und der Schmied, der schon zwei Starke hinter sich hatte, wurde großspurig und sagte eindringlich:

»Nun sagt mal das Wort, Vater/gebt ihr oder nicht?«

»Es bleibt dabei; ins Grab nehm' ich es nicht mit, und vorher lasse ich kein' einen Morgen ab. Auf den Altenteil zu euch geh' ich nicht ... noch sind mir die ein/zwei Jahre, die ich übrig hab', lieb.«

»Dann findet mich ab.«

»Ich hab's gesagt, hast du's nicht gehört?«

»Nach der dritten Frau sieht er sich um, was sind da die Kinder,« knurrte Ambrosius.

»So wird's auch sein.«

»Wenn's mir gefällt, heirat' ich. Willst du es mir verbieten?«

»Verbieten hin, verbieten her, aber ...«

»Wenn's mir gefällt, schick' ich gleich morgen mit Schnaps.«

»Schickt nur zu, ich habe nichts dawider. Gebt mir doch wenigstens das Kalb, das von der Bunten nachgeblieben ist, dann helf' ich euch selbst. Ihr habt schon euren Verstand und werdet begreifen, womit ihr am besten fahrt. Nicht ein- und nicht zweimal hab' ich der Meinen vorgestellt, daß euch nur die Frau fehlt, damit kein Ruin in die Wirtschaft kommt ...«

»Hast du das so gesagt, Michael? ...«

»Die heilige Beichte soll ich nicht erleben, hab' ich das nicht gesagt. Dem ganzen Dorf rat' ich doch, was jedem not tut, und soll nicht wissen, was ihr braucht!«

»Du lügst, du Halunke, daß es nur so raucht, kannst aber morgen kommen, das Kalb kannst du kriegen, denn wenn du bitten tust/dann laß ich mit mir reden; und willst du mit mir rechten/kriegst du 'n zerbrochenen Stecken oder noch was Schlimmeres ...«

Sie tranken noch einen, den der Schmied schon spendierte; er hatte noch zur Gesellschaft Ambrosius zugeholt, der sich befriedigt zu ihnen heransetzte und solche possierlichen Erzählungen zum besten gab, solche Witze machte, daß sie immer wieder in ein Gelächter ausbrachen.

Sie freuten sich nicht lange aneinander, denn jeder hatte es eilig zu den Seinen und mußte noch verschiedene Angelegenheiten erledigen; so gingen sie in Frieden auseinander; aber der eine glaubte dem andern nicht einmal so viel, wie die Breite eines Fingernagels.

Sie kannten sich gut, wie weißgescheckte Pferde, und durchschauten einander wie Glas.

Nur noch Ambrosius blieb zurück und harrte der Gevattern und Bekannten, ob ihm nicht jemand noch ein halbes Maß spendieren wurde, denn dem Hund ist auch 'ne Fliege gut, solange er keinen Knochen kriegt; das Trinken das paßte ihm schon, selbst aber wurd' es ihm schwer, sich eins zu spendieren, was kein Wunder war, denn er war doch nur ein Küster.

Und der Jahrmarkt ging dem Ende zu.

Gerade zu Mittag leuchtete die Sonne auf, aber nur so viel, als ob jemand mit einem Spiegel über die Welt geblinkt hätte, dann versteckte sie sich hinter Wolken; und schon gegen Abend verdüsterte sich der Tag; große Regenwolken senkten sich tief, daß sie fast auf den Dächern lagen, und ein feiner Regen stäubte, wie durch ein dichtes Sieb. So fuhr man denn auch schneller auseinander/jeder eilte nach Hause, um noch vor Nacht und vor Einbruch des Unwetters unter Dach zu sein.

Auch die Händler nahmen die Buden rascher auseinander und packten sie auf die Wagen, denn der Regen peitschte immer dichter und wurde eisig.

Die Dunkelheit fiel schwer und naß.

Das Städtchen vereinsamte und verstummte.

Nur die plärrenden Stimmen der Bettler hörte man hier und da an den Mauern, und aus den Schenken klang Geschrei und Gezänk der Trunkenen.

Schon spät am Abend fuhren die Borynaleute aus dem Städtchen hinaus; sie hatten alles, was sie mit hatten, abgesetzt, verschiedenes eingekauft und den Jahrmarkt genossen, wie es sich gehört; Antek trieb die Pferde an und fuhr so scharf, daß im Straßenschmutz tiefe Furchen nachblieben; es war inzwischen tüchtig kalt geworden, und sie hatten alle nicht schlecht dem Glas zugesprochen. Der Alte, trotzdem er sonst geizig war und auf jeden Groschen erpicht, hatte sie heute dermaßen mit Speise und Getränk bewirtet und mit guten Worten traktiert, daß es verwunderlich war.

Es wurde schon völlig Nacht, als sie zum Wald kamen.

Dunkel war es, daß einer sich ruhig die Augen hatte ausstechen lassen können; die Regentropfen wurden immer dicker, und hier und da auf der Landstraße hörte man das Rollen der Wagen, das heisere Singen der Betrunkenen, und hin und wieder das Patschen langsamer Schritte durch den Schmutz.

Inmitten des Pappelwegs, über dem es dumpf sauste und wie vor Kälte ächzte, ging Ambrosius, schon ganz besoffen, von einer Seite nach der anderen torkelnd, manchmal stolperte er gegen einen Baum oder glitt in den Dreck aus; aber er erhob sich bald und sang immerzu aus voller Kehle, wie das so seine Angewohnheit war.

Ein solches Unwetter und eine solche Dunkelheit kamen auf, daß man die Schwänze der Pferde nicht erkennen konnte, und die auftauchenden Lichter des Dorfes nur wie blinzelnde Wolfsaugen zu sehen waren.

 


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