Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Initial Die Morgendämmerung hatte schon die Dächer kalkweißer Helle übertüncht und die Nacht mit ihren verblaßten Sternen mit einem grauen Sacktuch zugeworfen, als es sich auf dem Borynahof zu regen begann.

Jakob kroch von seiner Pritsche herunter und guckte vor den Stall. – Auf der Erde lag Frühreif und alles war noch in Grau getaucht, aber schon fing im Osten das Morgenrot an aufzuglühen und die Wipfel der bereiften Bäume rot zu färben. Er reckte sich behaglich, gähnte noch ein paarmal und ging hinüber in den Kuhstall, um Witek zuzuschreien, daß es Zeit sei aufzustehen, aber der Junge hob nur etwas seinen schlaftrunkenen Kopf und murmelte: »Gleich, Jakob, gleich!« und preßte sich fester an seine Lagerstätte.

»Schlaf noch was; armer Kerl, schlaf nur!« Er deckte ihm den Schafspelz über und humpelte davon; man hatte ihm einst das Bein am Knie durchschossen, darum hinkte er stark und schleppte den einen Fuß nach. Er wusch sich am Brunnen, glättete mit der Handfläche die spärlichen, zausigen Haare, die ihm in filzigen Zotteln um den Kopf hingen, und kniete auf der Schwelle des Stalles zum Morgengebet nieder.

Der Bauer schlief noch; in den Fenstern des Wohnhauses entzündete sich der blutige Schein des Morgens, und dichte weiße Nebel zogen sich langsam von den Weihern zurück, schaukelten schwerfällig und rafften ihre zerrissenen Fetzen zusammen.

Jakob bewegte den Rosenkranz zwischen den Fingern und betete lange, seine Blicke aber liefen durch den Hof, an den Fenstern des Wohnhauses entlang, über den Obstgarten, dessen tiefster Teil noch im Dämmer lag, von Apfelbaum zu Apfelbaum, wo die Früchte groß wie Fäuste hingen; dann warf er irgend etwas nach der Hundehütte, die dicht bei der Tür stand und traf den weißen Kopf Waupas, so daß der Hund aufknurrte und sich zusammenrollte, um wieder weiterzuschlafen.

»Sieh einer, bis die Sonne 'raus ist, will er schlafen. Das Biest!« und er warf zum zweitenmal nach ihm. Der Hund kroch heraus, streckte sich, gähnte, wedelte mit dem Schwanz und setzte sich hin, um sich zu kratzen und mit den Zähnen im dichten Pelz Ordnung zu schaffen.

»... Und dieses Gebet spreche ich dir und allen Heiligen zu Ehren, Amen!« Er schlug sich lange gegen die Brust, und sich erhebend sagte er zu Waupa:

»Hela! olegantes Viech, sucht sich die Flöh' zusammen, wie'n Frauenzimmer vor der Hochzeit.«

Da er aber ein fleißiger Mensch war, machte er sich gleich an die Morgenarbeit, rollte den Wagen aus der Scheune hervor, schmierte ihn, tränkte die Pferde und füllte ihnen Heu nach. Sie fingen an zu schnaufen und mit den Hufen zu stampfen. Dann holte er aus der Banse etwas Spreu, gut mit Hafer vermengt und schüttete ihn der Stute, die im Verschlag abgesondert stand, in die Krippe.

»Friß, Alte, friß! 'n Fohlen wirst du haben, da brauchst du Kraft, friß!« Er streichelte sie über die Nüstern, so daß die Stute ihm den Kopf auf die Schulter legte und liebkosend mit ihrem Maul nach seinen Zotteln griff.

»... Bis Mittag fahren wir die Kartoffeln ein, und gegen Abend muß man in den Wald Nadelstreu holen/brauchst nichts zu fürchten, die Streu ist leicht und gejagt wirst du nicht ...«

»Und du Faulpelz, kriegst einen mit der Peitsche über, paß du auf, der Hafer sticht den Gauner,« redete er zum nebenan stehenden Wallach, der den Kopf zwischen den Brettern des Verschlages durchschob, um zur Krippe der Stute zu gelangen/er langte ihm einen kräftigen mit der Faust auf den Hintern, daß das Pferd zur Seite sprang und aufwieherte.

»So ein Judenpferd! Fressen würdest du selbst reinen Hafer, aber für die Arbeit bist du nicht zu haben; ohne Peitsche geht das Luder nicht von der Stelle! ...«

Er umging ihn und sah nach der Jungstute, die ganz zuletzt an der Wand stand und schon von weitem ihm den kastanienbraunen Kopf mit einer weißen Blesse an der Stirn entgegenstreckte und ganz zart zu ihm herüberwieherte.

»Still man, Kleine! Freß dich satt, sollst den Bauer zur Stadt fahren!« Er drehte sich einen Büschel Heu zurecht und putzte ihr die besudelte Flanke. »So 'ne große Stute, soll schon bald zum Hengst kommen, und so'n Schwein! Gleich wie 'ne Sau muß sie sich einschmieren,« redete er vor sich hin und wandte sich nach den Schweineställen, die quiekenden Schweine herauszulassen. Hinter ihm kam Waupa und versuchte ihm in die Augen zu gucken.

»Willst was zu essen? Hier hast ein Stück Brot, da!« Er holte ein Stück Brot hervor und warf es ihm hin, der Hund fing es auf und flüchtete ins Hundehaus, denn die Schweine stürzten auf ihn zu, um ihm den Bissen zu entreißen.

»Hale, diese Schweine, ganz wie manch' Mensch, nur immer Fremdes an sich bringen und 'runterschlingen.«

Er trat in die Scheune und sah lange auf die am Balken hängende Kuh.

»Wenn es auch nur ein dummes Tier ist, sein Ende hat's doch gefunden. Morgen werden wir Fleisch zu Mittag haben ... Das ist auch alles, was von dir übrigbleibt, daß der Mensch sich Sonntags sattessen kann ...«

Er seufzte auf im Gedanken an das gute Essen und schlurfte davon, um Witek zu wecken ...

»Gleich geht die Sonne auf ... Es ist Zeit, die Kühe auf die Weide zu treiben.«

Witek murmelte etwas, wehrte sich, schmiegte sich an den Schafspelz, mußte aber schließlich doch aufstehen und kroch schwerfällig und schlaftrunken im Hof herum.

Der Bauer hatte die Zeit verschlafen, denn die Sonne war schon aufgegangen, hatte den Reif gerötet und entzündete Feuerscheine in den Gewässern und Fensterscheiben, aber aus dem Wohnhaus kam niemand zum Vorschein ...

Witek saß auf der Schwelle des Kuhstalls, kratzte sich emsig und gähnte zwischendurch, und als die Spatzen von den Dächern zum Brunnen herunterflatterten und im Trog mit den Flügeln plätschernd zu baden begannen, setzte er eine Leiter an und stieg unter die Traufe, um nach den Schwalbennestern zu sehen, in denen es heute eigentümlich still war.

»Sind sie erfroren, oder was?«

Er fing an, behutsam die erkalteten Vögelchen herauszuziehen und sie unters Hemd an seine Brust zu stecken.

»Jakob, wißt ihr, die leben nicht, oh!« Er lief nach dem Knecht und zeigte ihm die steifen, abgestorbenen Schwalbenkörperchen.

Aber Jakob nahm sie nur in die Hand, legte sie gegen das Ohr, pustete ihnen in die Augen und sagte:

»Die sind nur steif, war auch ein Morgenfrost, der sich sehen lassen kann, daß die dummen Dinger nicht eher in die warmen Länder gegangen sind / na, na ...« Er kehrte an seine Arbeit zurück.

Witek setzte sich inzwischen vors Wohnhaus an der Giebelseite nieder, weil die Sonne da schon schien und die geweißten Wände übergoß, auf denen die Fliegen anfingen herumzukriechen; er zog die Vögel hervor, die, durch seinen Körper erwärmt, sich schon etwas bewegten, hauchte sie an, öffnete ihnen die Schnäbel und tränkte sie aus dem eigenen Munde / bis sie sich belebten, die Augen öffneten und ihm zu entschlüpfen versuchten; dann hielt er die Rechte lauernd gegen die Wand, langte sich hin und wieder die eine oder andere Fliege, fütterte einen Vogel und ließ ihn los.

»Fliegt hin zur Mutter, fliegt!« flüsterte er, die Schwalben beobachtend, wie sie sich auf den First des Kuhstalls setzten, sich mit den Schnäbeln putzten und wie zum Dank zwitscherten.

Und Waupa saß vor ihm und winselte possierlich; sobald ein Vogel aufflog, warf er sich ihm nach, lief einige Schritte und kehrte auf seinen Beobachtungsposten zurück ...

»Da, kannst den Wind im Feld fangen,« murmelte Witek, und war so mit seiner Tätigkeit des Aufwärmens der Vögel beschäftigt, daß er gar nicht sah, daß Boryna um die Ecke des Hauses kam und vor ihm stehenblieb.

»Wirst du hier mit den Vögeln spielen, du Aas, was?«

Der Junge sprang auf, um davonzustürzen, aber der Bauer griff ihn fest ins Genick und knüpfte rasch mit der anderen Hand den breiten, harten Ledergurt ab.

»Nicht schlagen, nicht schlagen!« hatte er nur noch Zeit aufzuschreien./

»So'n Hirt bist du, was? So hütest du, was? Die beste Kuh hast zuschanden gemacht, was ... du Landstraßenbalg, du Warschauer Mistgeburt, du!« und er schlug sinnlos, wohin er traf, daß der Lederriemen sauste. Der Junge wand sich wie 'n Aal und heulte.

»Schlagt nicht! Mein Gott! Er macht mich tot! Bauer! ... O Jesus, Hilfe! ...«

Selbst Anna sah hinaus, was geschehen war, und Jakob spuckte aus und verschwand in den Stall.

Boryna aber prügelte ihn windelweich, er gerbte ihm seinen Verlust so wütig aufs Fell, daß Witek schon ein blaues Gesicht hatte und das Blut ihm aus der Nase lief. Er schrie gottsjämmerlich, riß sich wie durch ein Wunder los, griff mit beiden Händen hinten an die Hosen und rannte auf die Hecken zu.

»Jesus, sie haben mich totgeschlagen, totgeschlagen haben sie mich!« brüllte er und lief dermaßen, daß ihm der Rest der Schwalben herausfiel und auf dem Weg liegenblieb.

Boryna drohte ihm noch nach, umgürtete sich und kehrte ins Haus zurück, auf Anteks Seite eintretend.

»Die Sonne ist schon zwei Mann hoch, und du liegst noch herum!« fuhr er seinen Sohn an.

»Hab' mich gestern genug, wie ein Vieh, abgeschunden, da laß ich mir jetzt was zukommen.«

»Ich fahr' aufs Gericht ... hol' du die Kartoffeln ein, und wenn die Leute mit dem Ausnehmen fertig sind, dann sollen sie Streu harken, und du könntest die Pflöcke eintreiben, damit wir für den Winter die Wände mit Faschinen schützen.«

»Belegt euch das Haus selbst mit Faschinen, uns weht es hier nicht.«

»Du hast es gesagt ... Dann werde ich meine Seite belegen und du kannst frieren, wenn du so 'n Lüderjan bist.«

Er knallte die Tür zu und ging auf seine Seite.

Fine hatte schon Feuer gemacht und machte sich auf den Weg, die Kühe zu melken.

»Gib rasch das Essen, denn ich fahre gleich ...«

»Ich soll mich wohl zerreißen, zwei Arbeiten auf einmal kann kein Mensch tun,« meinte sie und ging.

»Nicht einen ruhigen Augenblick hat man, man kann nur immer den Leuten die Zähne zeigen!« dachte er und zog sich um, er war verärgert und aufgebracht. »Wie soll man denn auch nicht, dieser ewige Krieg mit dem Sohn, nicht ein Wort kann man sagen, sonst springt er einem mit den Krallen an die Augen, oder sagt was, daß man es bis in die Eingeweide fühlt. Auf niemanden kann man sich verlassen, nur schuften, immer wieder schuften!«

Der Ärger stieg in ihm, so daß er leise vor sich hin fluchte und mit seinen Kleidungsstücken und Stiefeln um sich warf.

»Gehorchen sollten die, und tun es doch nicht! Warum denn das?« überlegte er.

»Mir deucht, ohne einen Knüttel geht's nicht mit ihnen, und das nicht ohne einen derben! Lange schon haben sie es verdient, gleich nach dem Tode der Seligen, als sie anfingen, sich um das Land zu reißen,« aber er hatte es sich immer noch überlegt, um nicht im Dorf das böse Beispiel zu geben. Er war doch nicht der erste beste Bauer, auf dreißig Morgen saß er, und von Geburt war er auch nicht irgendeiner, Boryna doch, das weiß man! Aber mit Güte kommt man bei denen zu keinem Ende. Hier kam ihm sein Schwiegersohn, der Schmied, in Erinnerung, der alle im stillen aufhetzte und ihm auch selbst immerfort in den Ohren lag, daß man ihm sechs Morgen und einen Morgen Wald abschreiben sollte; auf den Rest würde er schon warten ...

»Wenn ich sterbe, meint er! Wart' du man, Luder, warte,« dachte er wütig. »Solange ich meine Knochen schleppe, wirst du nicht eine Parzelle zu riechen bekommen. Seht mal diesen klugen Mussiö!«

Die Kartoffeln brodelten schon stark auf dem Feuerherd, als Fine vom Melken zurückkam und sofort das Frühstück herrichtete.

»Fine, und das Fleisch sollst du verkaufen. Morgen ist Sonntag, sie wissen schon Bescheid im Dorf, da werden sie schon gerannt kommen; nur niemand was borgen. Die Keule laß für uns; Ambrosius wollen wir bestellen, der kann sie pökeln ...«

»Aber das kann doch auch der Schmied ...«

»Jawohl, und teilen würde der, wie der Wolf mit dem Schaf.«

»Magda wird sich grämen, von wegen weil es unsere Kuh ist und sie selbst davon nichts zu sehen kriegt.«

»Dann schneide für Magda einen Teil heraus und trag' es ihr hin, aber der Schmied soll nicht kommen.«

»Gut seid ihr, Väterchen, gut seid ihr.«

»Nana, Mädel, nana. Paß du hier auf und ich werd' dir schon 'ne Semmel mitbringen, oder sonst was Schönes.«

Er aß sein tüchtiges Teil, umgürtete sich mit dem Gurt, glättete mit bespuckter Handfläche die spärlichen, widerspenstigen Haare, nahm seine Peitsche und sah sich im Zimmer um.

»Daß ich nichts vergesse.« Er hatte Lust, in die Butze hineinzugucken, doch er hielt sich zurück, denn Fine äugte zu ihm herüber; so bekreuzigte er sich denn nur und machte sich auf den Weg.

Und schon auf seinem Wagen aus Weidengeflecht rief er, die Hanfzügel raffend, Fine zu.

»Wenn sie mit den Kartoffeln fertig sind, sollen sie gleich Streu harken gehen, die Quittung ist hinter dem Bild, 'ne Hainbuche oder eine Fichte können sie auch noch fällen/die kann man brauchen.«

Der Wagen ruckte an; er war schon zwischen den Hecken, als Witek an den Apfelbäumen vorübersauste.

»Das hab' ich noch vergessen ... prrr ... Witek! Prrr! Witek, bring' die Kühe auf die Wiese, paß' aber auf, sonst werde ich dich Biest so durchbläuen, daß du an mich denken sollst!«

»He-He, ihr könnt mir was ... küssen ...!« schrie er ihm trotzig zurück, hinter der Scheune verschwindend.

»Willst du noch hier das Maul aufreißen, hüte dich, wenn ich 'runter komm! ...«

Er wendete vom Heckenweg links ab auf die Straße, die zur Kirche führte, und gab der Jungstute einen Peitschenhieb, so daß sie gemächlich trabend auf dem ausgefahrenen steinigen Weg dahinzuckelte.

Die Sonne war schon ein weniges über den Hütten hervorgekommen und schien immer wärmer, daß die bereiten Strohdächer anfingen zu tropfen und zu dünsten, nur im Schatten, an den Zäunen der Obstgärten und in den Gräben lag noch der weiße Frost. Über den Weiher schleppten sich die letzten dünnen Nebel, und das Wasser fing an, unter seinen Nebelhäuten Glanz zu brauen und die Sonne blitzend zu spiegeln.

Im Dorfe begann das alltägliche Treiben: der Morgen war hell und kühl, und da der Frühreif die Luft erfrischt hatte, rührte man sich munterer und lärmender; haufenweise zogen sie auf die Felder; die einen gingen zum Kartoffelausnehmen, Hacken und Körbe schleppend, sie kauten noch an ihrem Frühstück; andere zogen mit dem Pflug auf die Stoppelfelder; etliche kamen, die Eggen auf ihrem Leiterwagen hatten und Säcke voll Saatkorn; und andere mit geschulterten Harken schlugen den Weg nach den Wäldern ein, um Nadelstreu fürs Vieh zu holen./Das Getöse und Geschrei von beiden Seiten des Weihers wurde immer stärker, denn auf den Wegen drängte sich das Vieh, das auf die Weide zog, Hundegebell und Zurufe drangen aus den niedrigen schweren Staubwolken, die sich von den taufeuchten Wegen erhoben.

Boryna wich den Herden behutsam aus, manchmal langte er einem Lämmlein, das zu dumm war, vor seinem Pferd auszuweichen, eins übers Fell oder verscheuchte ein Kalb, bis er alle überholt hatte; neben der Kirche, die herbstgelbe Linden und Ahorne wie mit einem gewaltigen Wall umschlossen, bog er auf die breite Heerstraße ab, die zu beiden Seiten von einer langen Reihe mächtiger Pappeln eingesäumt war.

In der Kirche wurde gerade die heilige Messe zelebriert, denn die Betglocke hatte zur Konsekration geläutet, und die Orgel tönte mit leiser Stimme. Er nahm den Hut ab und seufzte fromm auf.

Der Weg, den dichte Schattenstreifen durchschnitten, die die Stämme der Pappeln warfen, weil die Sonne von der Seite schien, war leer und mit gefallenem Laub so dicht bedeckt, daß die Löcher und Schneisen unter einer rostiggoldenen Decke lagen.

»Wioh, Kleine, wioh!« Die Peitsche sauste durch die Luft, und die Stute lief etwas munterer ein paar Klafter weit, aber dann ließ sie nach und schleppte sich langsam, denn der Weg stieg, wenn auch unmerklich, zu den Hügeln hinauf, auf denen die schwarzen Wälder standen.

Boryna, der durch die Stille, die ihn umgab, wie benebelt war, sah durch die Säulenreihe der Pappeln auf die im rosigen Morgenlicht gebadeten Felder, dann versuchte er über die Gerichtssache mit der Eve nachzudenken und auch über die Bunte, doch es überfiel ihn das Duseln so stark, daß er nicht gegen angehen konnte.

Die kleinen Vögel zirpten in den Zweigen und manchmal glitt der Wind mit leichten Fingern über die Schöpfe der Bäume, so daß hier und dort sich ein Blatt, wie ein goldener Falter, vom Mutterzweig löste und kreisend auf den Weg fiel oder auch auf die staubigen Disteln, die mit brandigen Blütenaugen trotzig in die Sonne starrten/und die Pappeln Huben an, miteinander zu reden, flüsterten leise mit den Zweigen und schwiegen ganz, als ob sie Dorfbasen wären, die beim Emporheben des heiligen Sakraments die Augen aufwärtsrichten, die Arme auseinanderbreiten und im Gebet aufseufzen, um gleich darauf in den Staub zu sinken vor der verborgenen Majestät in jener goldenen Monstranz, die über der Erde hing, über der heiligen, heimatlichen ..

Erst dicht am Wald wurde er ganz munter und hielt das Pferd an.

»Der geht nicht schlecht auf,« meinte er, die graue Ackerfläche gegen das Sonnenlicht beäugend, die die keimende Roggensaat wie mit einer kurzen rostroten Bürste bedeckte.

Ein gutes Stück Feld, und gerade neben meinem liegend, als ob jemand das mit Absicht so gemacht hätte. Den Roggen haben sie, deucht mir, gestern erst gesät. Er seufzte auf, die frisch zugeeggten Ackerbeete mit gierigem Blick umfassend und fuhr in den Wald hinein.

Das Pferd trieb er jetzt häufiger an, weil der Weg durch ebenes Gelände ging und härter war, aber das Wurzelwerk hatte ihn ziemlich durchwachsen, und der Wagen holperte darüber mit lautem Rollen.

Er war ganz wach geworden durch den herben, kühlen Atem des Waldes.

Der Forst war gewaltig und alt/als dicht gedrängte Masse stand er in der vollen Majestät seiner Jahre und seiner Kraft, Baum an Baum, lauter Kiefern fast, dazwischen oft eine breitästige, altersgraue Eiche, und Birnek zuweilen in weißen Hemden mit auseinandergeflochtenen gelben Zöpfen, da es Herbst war. Das geringere Buschwerk, Haseln, krüppelige Hainbuchen, zitternde Espen/ scharten sich um die roten mächtigen Stämme, die dermaßen mit ihren Kronen und Ästen ineinander verzweigt waren, daß das Sonnenlicht nur spärlich hier und da sich hindurchzwängte und wie goldene Spinnen über Moose und rostig-grüne Farnkräuter kroch.

»Immerhin sind hier vier Morgen mein!« dachte er, verschlang den Wald mit den Blicken und wählte schon dem Auge nach das Beste. »Herr Jesus wird's nicht zugeben, daß uns Unrecht geschieht/auch werden wir's selbst nicht zulassen, nein ... Das Gut glaubt, es ist viel, was wir beanspruchen, wir glauben, es ist wenig ... Darum sind meine doch vier und Jaguscha kommt ein Morgen zu ... dann haben wir vier und eins zusammen ... Wioh! Dumme, wirst Angst vor Elstern haben!« Er klatschte ihr leicht über den Rücken, denn auf dem verdorrten Baum, an dem Christi Marter hing, zankten sich mit wütigem Geschrei die Elstern, so daß die Jungstute die Ohren spitzte und stehenblieb.

»Elsternhochzeit/Regenzeit.« Er heftete ihr ein paar Peitschenhiebe an und fuhr im Trab weiter.

Es war schon gut nach acht, denn die Menschen auf den Feldern setzten sich gerade an die Frühstücks-Zweierkrüge, als er in Tymow einfuhr; die leeren Straßen des Städtchens waren mit baufälligen Häusern umstellt, die wie alte Hökerinnen über den Rinnsteinen voll angesammelter Schmutzhaufen saßen, zwischen denen sich Hühner, zerlumpte Judenkinder und Schweine tummelten ...

Gleich an der Einfahrt umringten ihn die Juden, und alsbald ging es ans Herumstöbern und Hineintasten ins Erbsenstroh unter dem Sitz des Korbwagens – ob er nicht etwas Verkaufbares mitbrächte.

»Fort, grindiges Pack! ...« murrte er, den Wagen nach dem Marktplatz lenkend, wo schon etliche Wagen mit ausgespannten Pferden daneben hielten, im Schatten alter zerzauster Kastanienbäume, die in der Mitte des Platzes im herbstlichen Absterben dastanden.

Dort brachte er auch seinen Korbwagen unter, spannte die Jungstute aus, stellte sie mit dem Kopf nach dem Wagenkorb hin, schüttete ihr Hafer in den Kober und versteckte die Peitsche unter dem Wagensitz. Nachdem er seine Kleider vom Stroh gereinigt hatte, ging er geradeswegs nach Mordka, wo die drei Messingteller glänzten, um sich ein wenig ausrasieren zu lassen. Bald darauf kam er glatt geschabt wieder zum Vorschein, nur auf dem Kinn hatte er einen einzigen Schnitt, der mit Papier verklebt war, durch das noch etwas Blut sickerte.

Die Gerichtssitzungen hatten noch nicht begonnen.

Aber vor dem Gerichtsgebäude, das gleich vorne am Marktplatz stand, gegenüber einer großen Kirche, die ehemals zu einem Kloster gehörte, wartete schon viel Volk. Sie saßen auf den ausgetretenen Stufen, oder scharten sich vor den Fenstern, um einmal ums andere ins Innere zu spähen; die Frauen hockten an den geweißten Wänden entlang, hatten die roten Schürzen vom Kopf auf die Schultern gleiten lassen und schwadronierten.

Boryna wurde, als er Eve mit dem Kind auf dem Arm entdeckte, wie sie im Haufen ihrer Zeugen stand, sofort wütig, denn der Jörn kam ihn leicht an, er spie aus und betrat den langen Flur, der das Gerichtsgebäude quer durchlief.

Linkerhand lagen die Gerichtszimmer und rechts hatte der Gerichtsschreiber seine Wohnung; gerade hatte Hyacinthus den Samowar auf die Schwelle gesetzt und schürte die Glut mit dem Schaft eines Krempstiefels so eifrig an, daß der Samowar wie ein Fabrikschlot qualmte und jeden Augenblick schnarrte eine verärgerte Stimme aus dem Hintergrund des qualmerfüllten Flurs.

»Hyacinth! die Stiefel für die Fräulein!«

»Gleich, gleich!«

Der Samowar brauste schon wie ein Vulkan und spie Flammen.

»Hyacinth! Wasser zum Waschen für die Gnädige.«

»Gleich doch, alles wird sich machen, alles!« Und schwitzend, halb von Sinnen jagte er im Flur herum, daß es dröhnte, kehrte um, schürte wieder und raste wieder zurück, denn die Gnädige schrie.

»Hyacinthus! Du Lümmel, wo sind meine Strümpfe! ...«

»Oh, du mein! Ein Aas, nicht 'n Samowar!«

Das alles dauerte ein paar gute Paternoster oder vielleicht auch so lange wie man einen Rosenkranz betet, bis schließlich die Gerichtstüren sich öffneten und das Volk die große weißgekalkte Stube zu füllen begann.

Hyacinth, jetzt schon als Gerichtsdiener, barfuß in hellblauen Hosen und in einer kurzen Jacke von der gleichen Farbe mit Messingknöpfen dran und mit einem roten schwitzigen Gesicht, das er immer wieder mit dem Ärmel wischte, machte sich eifrig hinter dem schwarzen Gitter zu schaffen, das die Stube in zwei Hälften teilte. Er schüttelte den Kopf, wie ein Pferd, das eine Bremse sticht, und die flachsblonden Haare fielen ihm wie eine Mähne über die Augen, oder er sah behutsam in die Nebenstube und setzte sich auf einen Augenblick am grünen Ofen nieder.

Es hatte sich soviel Volk hineingedrängt, daß man nicht einmal einen Finger dazwischenstecken konnte, sie drängten immer stärker gegen die Schranke an, die schon zu krachen anfing; das erst noch leise Stimmengewirr steigerte sich allmählich, bis es wie ein Sausen klang, das durch die Stube fuhr und zuweilen aufbrauste und hier und da zu einem deutlich vernehmbaren Gezänk wurde, bei dem die Kraftworte immer dichter fielen.

Unter den Fenstern babbelten die Juden, und ein paar Weiber erzählten laut von dem Unrecht, das man ihnen angetan hatte und weinten noch lauter dazu, aber man konnte nicht auseinanderkennen, wo und wer es war, denn Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge da, wie ein Roggenfeld voll roter Mohnblumen, über das der Wind streicht, und das aufschaukelt und raunt und rauscht, und dann stehenbleibt Ähre neben Ähre. Auch Eve, die den an die Schranke gelehnten Boryna erspäht hatte, fing an zu schreien und ihm giftige Bemerkungen zuzuwerfen, so daß er beleidigt und im scharfen Ton ihr antwortete.

»Schweig still, du Hündin, sonst werde ich dir deine Knochen nachzählen, daß dich die eigene Mutter nicht auskennt.«

Als Antwort darauf stürzte sich Eve mit gespreizten Krallen gegen ihn und fing an, sich durch das Menschendickicht hindurchzudrängeln, das Kopftuch rutschte ihr vom Kopf und das Kind begann zu schreien. Gott weiß, womit es geendet hätte, wenn Hyacinth, der Gerichtsdiener, nicht plötzlich aufgesprungen wäre und die Tür aufreißend gerufen hätte:

»Still, Aaszeug, das Gericht kommt! ...«

Das Gericht trat ein; voraus der dicke, hohe Erbherr auf Raciborowice, und hinter ihm zwei Schöffen und der Gerichtssekretär, der sich an ein Nebentischchen am Fenster setzte, die Papiere ausbreitete und zu den Richtern hinüberblickte, die hinter einem großen mit rotem Tuch bedeckten Tisch stehengeblieben waren und die goldenen Ketten um die dicken Nacken legten.

Es wurde still, nur die Stimmen der Leute, die auf der Straße vor den Fenstern sprachen, hörte man noch.

Der Erbherr legte die Papiere auseinander, räusperte sich, blickte auf den Sekretär und kündete mit tiefer weit vernehmbarer Stimme an, daß die Gerichte begonnen hätten.

Darauf las der Sekretär die auf diesen Tag fallenden Termine vor und flüsterte dann etwas dem ersten Schöffen zu, der es dem Richter weitergab, welcher bejahend mit dem Kopf nickte.

Die Gerichtssitzung nahm ihren Lauf.

Zuerst kam die Klage eines Flurjägers gegen einen Stadtfratz wegen Verunreinigung eines Hofes.

Er wurde in Abwesenheit verurteilt.

Dann eine Klage wegen Verprügelung eines Jungen, der die Pferde im fremden Klee geweidet hatte.

Man einigte sich/die Mutter bekam fünf Rubel und der Junge neue Hosen und eine neue Jacke.

Ein Termin wegen Einpflügens in ein fremdes Feld.

Vertagt aus Mangel an Beweisen.

Ein Termin wegen Waldfrevels im Walde des Richters; der Verwalter stand Zeuge/verklagt waren die Bauern aus Rokiciny.

Verurteilt zu Geldstrafen oder zum Absitzen/jeder für zwei Wochen.

Sie nehmen das Urteil nicht an, sie werden appellieren.

Und so laut fingen sie an über die Ungerechtigkeit zu schreien, denn der Wald war gemeinsam, mit Servituten belegt, daß der Richter dem Hyacinthus ein Zeichen machte und dieser donnerte los:

»Still, still da, hier ist das Gericht, keine Schenke.«

So ging ein Termin hinter dem andern vorüber, gleichmäßig wie Erdscholle nach Erdscholle und ziemlich ruhig; nur manchmal erhoben sich Klagen und Schluchzen oder auch ein Fluch, den Hyacinthus sofort unterdrückte.

Aus der Gerichtsstube waren schon einige gegangen, und doch war es abermals so gedrängt voll geworden, daß die Menschen, wie eine Garbe, zusammengepreßt standen, niemand konnte sich rühren, und die Hitze war so groß, daß man kaum Atem holen konnte, bis der Richter den Befehl gab, die Fenster zu öffnen.

Jetzt kam die Gerichtssache des Bartek Kosiol aus Lipce; wegen des Diebstahls eines Schweins bei Marziana Antonowna Patsches. Zeugen: dieselbe Marziana, ihr Sohn Simeon und Barbara Kleinhund ...

»Die Zeugen zugegen?« fragte ein Schöffe.

»Sind da!« riefen sie zusammen.

Boryna, der bis jetzt geduldig und für sich an der Schranke gelehnt hatte, schob sich etwas näher zur Patscheswittib heran, um sie zu begrüßen, weil sie Jagnas Mutter, die Dominikbäuerin war.

»Der Beklagte, Bartek Kosiol, näher vor die Schranke.«

Ein untersetzter Bauer, drängte mitten aus der Menge so heftig nach vorne, daß man zu fluchen begann, er träte die Leute und zerreiße die Kleidung.

»Still, Aaszeug, das hochlöbliche Gericht spricht,« schrie Hyacinth, den Bauer vorlassend.

»Seid ihr Bartholomäus Kosiol?«

Der Bauer kratzte sich besorgt über das dichte, in einer geraden Linie verschnittene Haar; ein dummeliches Lächeln verzog sein dürres ausrasiertes Gesicht, und die kleinen rotbebuschten Äuglein sprangen wie Eichhörnchen schlau von Richter zu Richter.

»Seid ihr der Bartholomäus Kosiol?« fragte der Richter abermals den schweigenden Bauer.

»Sehr wohl, dieser hier ist der Bartholomäus Kosiol zu dienen der hochlöblichen Gerichtsamkeit!« piepste mit einmal eine gewaltige Frau, die sich energisch vor der Schranke aufpflanzte.

»Und ihr, was wollt ihr?«

»Bin doch die Frau, euer Hochwohlgeboren zu dienen, die Frau von dem mageren Schlucker da, dem Bartek Kosiol,« und sie grüßte mit der Hand bis zur Erde, so daß die gezängelte Haube an dem Richtertisch haken blieb.

»Seid ihr Zeuge?«

»Zeuge sozusagen? nicht ni ..., nur euer Hochwohlgeboren zu dienen ...«

»Schmeiß' sie hinter die Schranke, Gerichtsdiener.«

»Zurück hier, Frau, hier ist kein Platz für euch ...« Er packte sie an den Schultern und schob sie hinterrücks der Schranke zu.

»Ich möchte die hochlöbliche Gerichtsamkeit untertänigst gebeten haben, weil Meiner nicht gut hören kann, sozusagen ...,« schrie sie.

»Zurück solange ich gut bin!« Sie schnaufte, so hatte er sie gegen die Schranke geschoben, denn sie wollte keinen Schritt im guten weichen.

»Geht hinaus, wir werden laut reden, dann hört er schon und wenn er auch nur euer Kosiol ist.«

Die Untersuchung begann.

»Wie ist der Name.«

»Hää? ... Name? ... Haben doch gerufen, den wissen Sie doch ...«

»Dummkopf. Wie ihr euch nennt?« forschte der Richter unerbittlich weiter.

»Bartek Kosiol, hochlöbliche Gerichtsamkeit,« warf die Frau dazwischen.

»Wie alt?«

»Hää? alt? ... kann ich das wissen! Wieviel Jahr' Mutter? ...«

»Zweiundfünfzig kann er schon im Frühjahr werden, mein' ich.«

»Hofbauer?«

»Ih ... schöner Bauer... drei Morgen Land und ein Kuhschwanz dazu.«

»Schon vorbestraft?«

»Hää? bestraft? ...«

»Ob ihr gesessen habt?«

»Im Kriminal meint ihr? ... von wegen Strafe? ... Mutter, war ich denn im Kriminal, he? ...«

»Das warst du, Bartek, das warst du, da haben dich doch die Biester von dem Gutshof wegen dem toten Lämmlein ...«

»Is wahr, is wahr ... auf der Weide habe ich ein verrecktes Lamm gefunden ... da hab' ich's mitgenommen, was sollen's die Hunde auseinanderschleppen ... verklagt haben sie mich, geschworen, daß ich gestohlen hab', das Gericht hat verurteilt ... Sie haben mich eingesteckt, da hab' ich auch gesessen ... Ungerechtigkeit, nur Ungerechtigkeit immer ...,« redete er dumpf und sah sich unmerklich nach seiner Frau um.

»Ihr seid angeklagt wegen Diebstahl eines Mutterschweins der Marziana Patsches! Ihr habt es vom Feld genommen, nach Hause getrieben, abgeschlachtet und aufgegessen. Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen? ...«

»Hää? Aufgegessen! Daß ich den lieben Gott nicht bei meinem Tode sehe, wenn ich sie gegessen hab' ... Oh, Herr, aufgegessen! ... Oh, über diese Welt, diese Welt, ich hab' sie aufgegessen!« rief er klagend.

»Was könnt ihr denn zu eurer Verteidigung sagen?«

»Verteidigung? ... sollt' ich was zu sagen haben, Mutter? ... Jawohl, ich weiß schon; ich bin nicht schuldig, das Schwein hab' ich nicht gegessen, aber dem Dominik sein' Wittib, mein' ich, bellt sich was, wie 'n Hund, daß man ihr nur so an die Schnauze langen sollte und verprügeln ... ah ...«

»Menschenkinder, hört ihn bloß ...,« stöhnte die Dominikbauerin.

»Das könnt ihr euch für später aufheben, erzählt nur jetzt, wie es kam, daß das Schwein der Patsches sich bei euch vorfand? ...«

»Das Schwein der Patsches ... bei mir? ... Mutter, was meint der hochwohlgeborene Erbherr? ...«

»Das ist doch wegen dem Ferkel, Bartek, das dir bis in die Hütte nachgekommen ist ...«

»Ich weiß schon, jawohl, ich weiß schon, ein Ferkel war das und gar kein Schwein, zu dienen dem Hochwohlgeborenen Gericht, man soll es hören, was ich gesagt habe, ich tu' es aussagen; ein Ferkel war es und kein Schwein; ein weißes Ferkel und schwarz gefleckt am Schwanz oder noch etwas tiefer.«

»Gut, wie hat sich das zu euch gefunden?«

»Zu mir, zum Beispiel? ... Gleich will ich alles gründlich erzählen, woraus sich ergeben wird vor dem hochlöblichen Gericht und vor allem Volk/daß ich nicht schuldig bin und die Dominikwittib/ein Zigeuner, ein Klatschmaul und eine verdammte Zunge ist! ...«

»Ich betrüge! Bei der allerheiligsten Jungfrau will ich erflehen, daß dich der Blitz trifft ohne die heilige Beichte!« sagte die Dominikbäuerin leise, mit einem schweren Seufzer zum Bild der Mutter Gottes aufsehend, und dann, da sie nicht länger an sich halten konnte, steckte sie die zusammengeballte dürre Faust ihm entgegen und zischte:

»Du Schweinedieb, du Räuber, du!« ... und sie spreizte die Finger, als wollte sie ihn greifen.

Aber Bartels Frau warf sich ihr kreischend entgegen.

»Was, schlagen möchtest du ihn, du Hündin, schlagen, du Hexe, du Rabenmutter deiner Söhne, du!«

»Ruhe!« rief der Richter.

»Maul halten, wenn das Gericht spricht, sonst kriegt ihr das Alleinsein zu schmecken!« bekräftigte Hyacinth, die Leinwandhose hochziehend, denn der Hosengurt war ihm geplatzt.

Es wurde gleich still, und die Weiber, die schon nahe daran waren, einander in die Schöpfe zu fahren, blieben stehen und bohrten einander mit den Blicken an, vor Gift nach Atem schnappend ...

»Redet, Bartholomäus, erzählt alles, aber bei der Wahrheit bleiben.«

»Die Wahrheit? ... die reine Wahrheit will ich erzählen, rein wie Glas, ehrlich will ich alles sagen, wie in der Beichte, wie 'n Hofbauer zu einem Hofbauer, wie man nur zu seinen Leuten spricht, denn ich bin ein Hofbauer vom Großvater und Urgroßvater her, kein Kätner, kein Prefessiant oder ein Stadtlump.«

»Das war so.«

»Guck' gut auf deine Gedanken, damit du nichts vergißt,« rief ihm die Frau zu.

»Nee, ich werd' es nicht vergessen, Magdusch, nee. Das war so. Ich geh' also ... ich glaube es war gerade Frühjahr... und hinter der Wolfskuhle, neben Boryna seinem Klee... ich geh' also und sage mein Gebet her, denn wenn ich so sagen soll, hatte man schon zum Ave geläutet ... Es nächtelte schon ... ich geh' also ... da hör' ich 'ne Stimme, oder keine Stimme? ... Du lieber Gott, denk' ich, grunzt es oder grunzt es nicht? ... Ich sehe hinter mich – nichts zu sehen, ganz und gar still.

Der Böse versucht mich oder was? ... Ich gehe weiter, weil mir aber etwas wie Ameisen über den Rücken kam, aus Angst, so spreche ich das Ave für mich hin. Es grunzt wieder! Sieh, denk' ich, nichts als 'n Schwein oder auch 'n Ferkel. Ich steig' etwas 'runter in den Klee und sehe mich um ... jawohl, irgend etwas kriecht sich, ich bleibe stehen/ das bleibt auch stehen, was Weißes, Niedriges und Langes ... und die Glotzen leuchteten ihm wie bei einer Wildkatze oder beim Schlechten ... Ich bekreuzigte mich, und da es mir nur so kalt über die Haut fuhr, mach ich, daß ich schneller vorwärtskomm'/versteht sich, weiß man denn, was sich in den Nächten herumtreibt? ... Und alle wissen es in Lipce, daß es in der Wolfskuhle umgeht.«

»Das is schon so,« erläuterte die Frau, »denn voriges Jahr, als der Kohlmeis dort nachts vorüberging, hat ihn irgendwas an die Gurgel gepackt und zu Boden geschmissen und so verhauen, daß der Mann zwei Wochen krank gelegen hat.«

»Sei man still, Magdusch, sei man still! Ich gehe also, ich gehe und gehe ... und dieses kommt immerlos nachgekrochen und grunzt!

Und da gerade das helle Mondlein herausgekommen ist, sehe ich / das ist ja nur 'n Ferkel und nichts Schlechtes. Ich wurde ärgerlich, was bildet sich das dumme Vieh ein / den Menschen bange machen, da hab' ich einen Zweig danach geschmissen und gehe heim. Ich ging auf dem Feldrain zwischen Michaels Rüben und Boryna seinem Weizen, und dann zwischen Tomeks Sommerkorn und Jasieks Hafer, den, mein' ich, den man voriges Jahr zum Militär genommen hat, und dem seine Frau von gestern her im Kindbett liegt ... Und das Ferkel wie 'n Hund immer wieder hinter mir drein, einmal nebenher, dann ab in die Kartoffeln der Dominikwittib, und hier wird geschnüffelt, und da wird geschnüffelt, und hier wird gegrunzt und da wird gequiekt, aber zurückbleiben, nein, immer wieder hinter mir drein ...

Ich biege auf den Fußweg, der querfeldein geht – und das Ferkel auch. Da ist mir aber die Hitze angekommen, denn Herr du meine Güte, so 'n Schwein, das ist vielleicht gar kein Schwein! Ich biege auf den Weg neben dem Kruzifix, und das Ferkel auch... Weiß war es, das sah ich, und weiter unten beim Schwanz schwarzgefleckt. Ich über den Graben, es kommt mir nach; ich über die Grabhügel hinterm Kruzifix/es kommt mir nach, ich auf den Steinhaufen d'rauf, und wie es sich mir zwischen die Beine schmeißt, da lieg' ich schon im Dreck so lang ich bin. Ich denk', es is besessen oder was soll passieren! ... Kaum hab' ich meine Glieder wieder zusammen / und das Ferkel, heidi den Schwanz hoch und in Sprüngen vor mir her! Renn' du nur, Pestige, hab' ich mir gedacht. Aber weglaufen, nee, immer nur vor mir her ist es gerannt bis zu meiner Hütte / ganz bis zu meiner Hütte, hochlöbliches Gericht, bis in die Umzäumung ist es reingegangen, in den Flur auch, und weil die Tür offen war, direktemang in die Stube... So helfe mir Gott, Amen!«

»Und dann habt ihr sie geschlachtet und aufgegessen, nicht wahr?« sagte der Richter amüsiert.

»Hä! Geschlachtet und aufgegessen? ... Ja, was sollten wir denn tun? Ein Tag geht vorüber / das Ferkel geht nicht weg; eine Woche / es ist immer noch da, gar nicht wegzutreiben, und schmeiß' ich es raus, kommt es mit Gequiek wieder zurück ... Die Meinige steckte ihm zu, was wir über hatten, was sollten wir machen, verhungern lassen, ih nee, so was tut man doch nicht, ist doch auch 'n Geschöpf Gottes ... Das hochlöbliche Gericht ist klug, da wird es sich schon gerecht auslegen, daß ich armer Schlucker mit ihr so umgehen mußte! Niemand holt sie und zu Hause nichts zu essen / und gefressen hat sie, daß zwei andere nicht so viel verschlingen ... Noch 'n Monat und sie hätte uns mit Haut und Haar mit aufgefressen ... Was sollten wir tun? sollte sie uns / so haben wir sie selbst aufgegessen und dazu noch nicht die ganze, denn im Dorf haben sie's zu hören gekriegt, und die Dominikbäuerin hat geklagt, den Schultheiß hat sie mir ins Haus gebracht und weggeholt haben sie mir alles ...«

»Alles? Und die ganzen Hinterschinken, wo sind die geblieben, was? ...« zischte die Dominikbäuerin drohend hervor.

»Wo? Fragt mal den Krutschek und andere Köter. / Für die Nacht haben wir es in die kleine Scheune gebracht. Die Hunde, was so Biester für Witterung haben / und dabei hat die Scheunentür noch Löcher / haben sie 'rausgeschleppt und sich ein Fest gemacht, aus meiner mühseligen Arbeit, daß sie 'rumgelaufen sind dickgefressen, wie die reinen Herren.«

»Das Schwein ist, hast du nicht gesehen, von selbst ihm nachgelaufen, das glaubt ihm ein Dummer, aber nicht das Gericht. Diebsgesindel! und das Schaf, wer hat das dem Müller gestohlen und Hochwürden seine Gänse / was? ...«

»Hast du es gesehen, was? Hast du es gesehen!« kreischte Kosiols Frau auf, mit den Krallen heranspringend.

»Und die Kartoffeln aus der Kartoffelgrube vom Organist, wer hat sie? ... Und immerzu is im Dorf was weg, einmal is es man 'n Gänschen, denn wieder 'n Huhn, und dann wieder ein Stück Hausrat,« setzte sie unerbittlich fort.

»Du Aas! Und was hast du getrieben, wie du jung warst, man weiß, was stellt die Deine mit den Burschen an, das wirft dir niemand vor, und du kläffst noch wie 'n Hund ...«

»Hüte dich, an meine Jagna zu rühren! Hüte dich, sonst schlag' ich dir dein Maul bunt und blau, daß dir ... Hüt' du dich nur! ...« brüllte sie auf, bis ins lebendige Fleisch getroffen.

»Ruhig da, Krakeeler, sonst wird 'rausgeschmissen!« beschwichtigte Hyacinth, seine Hosen zurechtrückend.

Das Verhör der Zeugen begann.

Zuerst zeugte die Dominikbäuerin als Geschädigte / sie sagte aus mit einer leisen, andächtigen Stimme und schwor alle Augenblicke bei der Tschenstochauer Muttergottes, das Schwein sei ihrs, sie bekreuzigte sich und schlug sich vor die Brust / es wäre die lautere Wahrheit, daß Kosiol die Sau von der Weide gestohlen hätte, sie wolle aber keine Strafe dafür von seiten des hochlöblichen Gerichts, der liebe Herr Jesus möge ihm schon dafür nicht am Fegefeuer sparen; dagegen forderte sie aber mit mächtiger Stimme Gericht und Strafe für die Beleidigung, die die Kosiols ihr und Jagna vor allem Volke angetan.

Darauf zeugte Schymeck, einer von den Söhnen der Dominikbäuerin; die Mütze hing an den wie zum Gebet zusammengefalteten Händen und seine Augen waren ununterbrochen auf den Richter gewendet. Mit einer kläglichen, geistesabwesenden Stimme sagte er aus, daß die Sau der Mutter gehörte, sie wäre über den ganzen Körper weißlich gewesen und hatte nur am Schwanz einen schwarzen Fleck, auch ein zerrissenes Ohr habe sie gehabt, denn Boryna sein Waupa hätte sie im Frühjahr daran gepackt und sie hätte so geschrien, daß er, obgleich er in der Scheune war, es gehört habe ...

Dann wurden Barbara Kleinhund und andere aufgerufen.

Sie zeugten der Reihe nach und legten den Schwur ab, Schymek aber stand immerzu da mit der Mütze in den Händen und gaffte den Richter an; Kosiols Frau versuchte sich mit Geschrei, Verleugnungen und Flüchen durch die Schranke zu drängen, und die Dominikbäuerin seufzte nur das heilige Bild an und blickte auf Kosiol, dessen Augen herumsprangen, der herumhorchte und sich immer wieder auf seine Magdusch umguckte.

Das Volk hörte aufmerksam zu, und immer wieder schlugen Geflüster, bissige Bemerkungen oder Gelächter bis zur Balkendecke empor, so daß Hyacinth sie mit Drohungen beschwichtigen mußte.

Die Verhandlung dauerte ohne Unterbrechung bis zur Pause, während der sich das Gericht in die Nebenstube zurückzog, um zu beratschlagen. Das Volk war auf den Flur und vor das Haus getreten, um etwas Luft zu schöpfen: der eine um sich etwas zu stärken, der andere um sich mit seinen Zeugen zu besprechen, einer um sich über sein Unrecht auszubreiten, ein anderer wiederum um über die Ungerechtigkeit Klage zu führen und zu fluchen, wie das üblich ist bei den Gerichtsterminen.

Nach der Gerichtspause und nach dem Vorlesen der Gerichtssprüche kam Borynas Fall zur Verhandlung.

Eve stellte sich, das Kind schaukelnd, das in eine Schürze gewickelt war, vor die Richter und fing an, weinerlich und klagend das ihr geschehene Unrecht vorzutragen; sie wäre bei Boryna in Dienst gewesen und hätte gearbeitet bis ihr die Füße wie Klumpen wurden, nie hätte sie ein gutes Wort gehört, nicht mal 'ne eigne Ecke zum Schlafen hätte man ihr gegeben, und für das Essen hätte sie bei den Nachbarn herumlungern können, und ihren Lohn hätte er ihr zurückbehalten, und mit seinem eigenen Kind hatte er sie in die Welt hinausgejagt... und zuletzt kam ein heftiger Heulausbruch, und sie warf sich mit Geschrei vor den Richtern auf die Knie.

»Das hat er mir angetan! Das hat er, und dieses hier auch, das Kind ist sein, durchlauchtigstes Gericht!«

»Die lügt wie 'n Hund,« murmelte Boryna entsetzt.

»Ich lüge?! Alle wissen es doch, das ganze Dorf, daß er ...«

»Daß du 'ne Hündin und ein Rumtreiber bist ...«

»Und früher, hochwohlgeborenes Gericht, da nannte er mich Evka, seine Evusch und mit noch süßeren Namen, und Perlenschnüre brachte er mir, und oftmals 'ne Semmel aus der Stadt und sagte noch: hier hast du, Evusch, dich hab' ich am liebsten ... und jetzt, Jesu, mein Jesu! ...« sie brüllte los.

»So 'n Lügenmaul, vielleicht hab' ich dich noch mit dem Federbett zugedeckt und dir gesagt: schlaf, mein Evusch, schlaf! ...«

Die ganze Stube erdröhnte vor Lachen.

»Und habt ihr nicht vielleicht, nein? Wie 'n Hund vor der Tür habt ihr gewinselt, und was habt ihr mir da alles versprochen, ha?«

»Du mein Gott, Leute, daß der Blitz nicht solch Scheusal auf der Stelle trifft!« rief er fassungslos aus.

»Hochwohlgeborenes Gericht, die ganze Welt hat es gesehen, wie er war, ganz Lipce kann es bezeugen, daß ich die Wahrheit spreche. Ich war doch bei denen in Dienst, da hat er mir immerzu keine Ruhe gelassen. Oh, ich arme Waise, ich Arme ... Oh, mein unseliges Los ... Was konnte ich mich denn gegen solch großes Mannsbild wehren? ... Geschrien hab' ich, da hat er mich durchgeprügelt und gemacht was er wollte ... Wo soll ich denn nun abbleiben mit einem so kleinen Kindelchen, wo nur? ... Die Zeugen werden es sagen und bezeugen!« schrie sie zwischen Heulen und Jammern.

Die Zeugen hatten aber inzwischen nichts ausgesagt als Klatsch und Vermutungen, darum begann sie von neuem zu beweisen und zu überzeugen, bis sie zu guter Letzt als endgültigen Beweis, das Kind auswickelte und es vor die Richter legte; es strampelte mit den nackten Beinchen und schrie gottsjämmerlich.

»Das hochwohlgeborene Gericht wird selbst sehen, wessen es ist; da, grad' dieselbe Kartoffelnase und auch die Triefaugen grad' so grau, wie seine ... Wie ein Ei aufs andere, das ist 'n Boryna, kein anderer! ...« rief sie.

Aber auch das Gericht konnte sich nicht länger vor Lachen halten, und das Volk johlte vor Vergnügen. Man sah das Kind an, dann wieder den Boryna, und immer wieder fielen die Bemerkungen:

»Schöne Jungfer das, wie 'n geschundener Hund!«

»Boryna ist 'n Witwer, mag er sich mit der verheiraten, kriegt er gleich 'n Hüterjungen mit ...«

»Und ruppig is' sie, wie 'ne Kuh im Frühjahr.«

»Was Feines, ja, aber erst mit Erbsenstroh ausgestopft und in die Hirse gesetzt / die Krähen wird sie vertreiben ...«

»Die Hunde laufen so wie so schon, wenn Evusch durchs Dorf kommt! ...«

»Und ein Mäulchen hat sie, wie mit Spülwasser begossen...«

»Weil sie eine gute Hausfrau ist, die wäscht sich nur einmal im Jahr, will doch Seife sparen ...«

»Den Juden heizt sie die Öfen, da hat sie keine Zeit, ist auch kein Wunder! ...«

Man höhnte immer bissiger und erbarmungsloser, sie aber verstummte und sah mit Augen eines gejagten Hundes von einem zum anderen. Sie schien etwas zu überlegen ...

»Still da! 'ne Sünde is es, so über die Arme herzuziehen!« rief die Dominikbäuerin so laut, daß alle verstummten, und manch einer kratzte sich beschämt den Schädel.

Die Klage wurde abgewiesen.

Boryna fühlte eine gewaltige Erleichterung, denn wenn er auch nicht schuldig war, so hatte er doch vor dem Gerede der Leute Angst, na ja, und auch deswegen, daß er hätte zahlen müssen/denn das Gesetz ist nun mal so, daß niemand weiß, wen es beim Kragen fassen wird/den Schuldigen oder den, der recht hat. Das war nicht einmal oder zweimal, nein, zehnmal war es schon so.

Er verließ sofort das Gericht, und in Erwartung der Dominikbäuerin fing er an, die ganze Angelegenheit noch einmal zu überlegen und in sich abzuwägen. Er konnte noch immer nicht begreifen, warum und zu welchem Zweck Eve geklagt hatte.

»Nein, das ist nicht ihr Verstand und nicht ihr Kopf, das war irgendein anderer, der durch sie nach ihm langte, aber wer nur? ...«

Sie gingen zu dritt, er, die Dominikbäuerin und ihr Schymek, in die Schenke, einen Trunk zu tun und einen Happen zu essen, denn es war schon spät am Mittag. Und obgleich ihm die Dominikbäuerin leichthin erwähnte, daß er sich bei seinem Schwiegersohn, dem Schmied, für die Klage der Eve bedanken müßte, konnte er es doch gar nicht glauben.

»Was sollte der davon haben?«

»So viel, daß er euch reizen will, daß er euch Kummer besorgt, und daß die Leute über euch lachen. Manch einer ist so, daß er dem anderen zum Spaß die Haut vom Leibe schinden möchte.«

»Das ist mir doch merkwürdig, das mit Eve ihrer Verbissenheit! Denn ich hab' ihr nichts zu Leid getan, und noch für die Taufe von dem Wechselbalg hab' ich Hochwürden einen Sack Hafer gegeben...«

»Die dient beim Müller, dieser aber geht in Kumpanie mit dem Schmied ... versteht ihr? ..

»Verstehen tu ich's, aber ich kann mich gar nicht darin auskennen! Trinken wir noch einen!«

»Gott bezahl's, Matheus, trinkt zuerst!«

Sie tranken mal und noch einmal, aßen das zweite Pfund Wurst mit einem halben Laib Brot. Der Alte kaufte eine Semmelreihe für Fine, und sie schickten sich an, aufzubrechen.

»Setzt euch bei mir 'rauf, Dominikbäuerin, es wird einem mieß so allein, wir können zusammen reden ...«

»Recht gern, nur will ich noch einen Sprung ins Kloster machen, 'n bißchen beten.«

Sie ging, kam aber in der Dauer von zwei Paternostern wieder zurück, und sie fuhren ab.

Schymek zuckelte gemächlich hinterdrein, denn er hatte einen alten Klepper vor dem Wagen, und die Sandwege waren schlimm. Da er aber duselig war, denn er hatte nicht die Gewohnheit zu trinken, und weil ihn die Gerichtsverhandlung mitgenommen hatte, so wackelte er schlaftrunken in seinem Korbwagen hin und her, und wenn er zu sich kam, riß er die Mütze vom Kopf, bekreuzigte sich fromm und murmelte, geistesabwesend den Schwanz seiner Mähre anstarrend, als wär' er das Gesicht des Gutsherrn aus der Gerichtsstube: »der Mutter ihre Sau, ganz weißlich, nur am Schwanz der schwarze Fleck ...«

Die Sonne bog schon nach Westen, als sie in den Wald einfuhren.

Sie redeten kaum viel, obgleich sie nebeneinander auf dem Vordersitz saßen.

Hier und da sagte eins ein Wort, da es doch nicht Sitte ist, nebeneinander wie Murmeltiere zu sitzen, aber es war nur grad so viel, daß der Schlaf ihnen nicht ankam und die Zunge nicht trocken würde ...

Boryna trieb die Jungstute an, denn sie hatte den Gang verlangsamt und war vor Müdigkeit und Hitze bis zur Hälfte der Flanken mit Schweiß bedeckt. Hin und wieder pfiff er vor sich hin und schwieg sich aus. Er schien etwas durchzukäuen, wägte etwas in seinem Innern ab, kalkulierte und blickte oft, aber unmerklich, zur Alten hinüber, auf ihr ausgedörrtes, wachsbleiches Gesicht, das zu länglichen Runzeln erstarrt war. Sie bewegte den zahnlosen Mund, als ob sie im stillen betete; manchmal zog sie die rote, über den Kopf geworfene Schürze tiefer in die Stirn, denn die Sonne schien ihr in die Augen und blieb dann wieder unbeweglich sitzen, nur ihre dunkelgrauen Augen glühten.

»Seid ihr schon mit den Kartoffeln fertig, ha?« begann er schließlich.

»Versteht sich. Die haben dies Jahr nicht schlecht getragen.«

»Wird gut sein, wenn ihr Jungvieh aufziehen wollt.«

»Einen jungen Eber hab ich in die Mastkoje getan, zu Fastnacht kann man ihn brauchen...«

»Gewiß, gewiß ... ich höre, Raphus sein Walek hat mit Schnaps zu euch geschickt? ...«

»Das haben schon mehr... aber das Geld hätten sie sich sparen können ... für solche ist meine Jagusch nicht zu haben, nee...«

Sie hob den Kopf und bohrte sich mit Sperberaugen in ihn hinein, aber Boryna, der doch ein Mann in Jahren war, nicht irgendein Windbeutel, zeigte ein gleichgültiges, kühles Gesicht, aus dem nichts herauszulesen war. Lange sprachen sie kein Wort, als wollten sie in diesem Schweigen ihre Kräfte aneinander messen.

Boryna war es nicht recht, als erster anzufangen, denn wieso denn, er war doch schon in Jahren und der erste Bauer in ganz Lipce; und wie konnte er denn kurzweg sagen, daß ihm Jagusch recht war?... Er hatte doch seine Ehre und seinen Verstand ... aber da er von Natur aus heißen Blutes war, konnte er kaum an sich halten vor Arger, daß er so aufpassen und im Bogen um den Brei herumgehen mußte.

Die Dominikbäuerin meinte ihn etwas zu durchschauen und zu erraten, was ihm so wider den Strich ging und mißmutig machte, aber nicht mit einem Wörtlein half sie nach. Mal sah sie ihn an, mal schaute sie vor sich in die Welt, in die Himmelsweiten, und sagte wie unabsichtlich:

»Eine Hitze haben wir, wie zur Erntezeit.«

»Wie ihr sagt.«

So war es auch, denn den Weg umgaben die mächtigen Wände des Forstes, die weder Luft noch den leisesten Windzug vom freien Feld durchließen, und die Sonne hing gerade vor ihren Köpfen und brannte so, daß die lechzenden Bäume bewegungslos dastanden und die Köpfe matt neigten. Nur hin und wieder ließen sie ein paar bernsteingelbe Nadeln gleiten, die wirbelnd auf den Weg niedersanken. Der pilzige Duft, der von den Kolken kam, der Geruch des Eichenlaubs stieg ihnen in die Nasen.

»Wißt ihr, es ist mir und auch andern verwunderlich, daß ein Großbauer wie ihr einer seid, der doch nicht den ersten besten Verstand hat, und so viel Grund und Boden, und so reputierlich bei ein und jedem beisteht, gar keine Ehrsucht auf ein Amt hat...«

»Ihr trefft recht, gar keine Ehrsucht hab' ich. Was soll mir das? Schultheiß bin ich ganze drei Jahr gewesen, da hab' ich bar Geld zugezahlt. Und was hab' ich mich und meine Gäule dabei abgeschunden! was hab' ich mich gegiftet, was für Scherereien hab' ich gehabt/ein Hund, der auf 'm Feld Wache halten soll, hat's nicht schlimmer. Und Niedergang war in der Wirtschaft, lauter Verlust, so daß mir die Meine nicht ein gutes Wort gegönnt hat...«

»Die hatte auch ihren Verstand, aber ein Amt zu haben ist doch 'ne Ehre und ein Profit.«

»Danke schön. Vor dem Gendarm mußt du den Rücken krumm machen, den Schreiber um die Beine fassen, und den ersten besten Esel vom Amt auch ... Große Ehre! Werden die Steuern nicht bezahlt, wird eine Brücke schlecht oder ein Hund toll, kriegt einer eins mit einer Runge über den Schädel/wer hat da Schuld?... Der Schultheiß hat Schuld, der Schultheiß muß es ausbaden! Jawohl, das ist Profit. Gerade genug Hühner und Eier und manche Gans hab' ich zum Schreiber und aufs Kreisamt getragen ...«

»Wahr ist es schon, aber dem Pietrek stößt die Schulzenschaft nicht auf, nein; Feld hat er zugekauft und eine kleine Scheune angebaut, und Pferde hat er, die reinen Elefanten!...«

»Das stimmt, man weiß nur nicht, was davon übrigbleibt, wenn er sein Amt niederlegt...«

»Glaubt ihr?...«

»Ich hab' so meine Augen und merk' schon manches.«

»Großschnauzig ist er und selbst mit Hochwürden rupft er manche Katz, denn Frieden kann er nicht halten.«

»Und daß ihm alles gelingt/das ist nur durch die Frau. Er amtiert und die hält alles in der Faust.«

Sie schwiegen wieder gut ein Paternoster lang.

»Und ihr, schickt ihr denn nicht mit Schnaps zu einer?...« fragte sie vorsichtig.

»Ii... bei mir brennt's nicht mehr nach den Weibern, zu alt bin ich dazu...«

»Redet nicht, was ihr selbst nicht glauben könnt. Alt ist nur, wer sich nicht rühren kann, dem man den Löffel an den Mund heben muß und der auf der Ofenbank hockt und aufs Ende wartet... Ich sah euch neulich, wie ihr einen Sack Roggen schlepptet.«

»Na ja, derb bin ich noch, aber welch eine würde mich wollen?...«

»Wer nicht selbst probiert/was weiß der? Seht zu!«

»Alt bin ich, die Kinder wachsen heran und die erste beste nehm' ich nicht.«

»Macht nur 'ne Verschreibung beim Notar, und die Beste wird schon nichts gegen euch haben ...«

»Der Verschreibung wegen! Da hat man die Schweinerei! Für die paar Morgen würde selbst die jüngste den Bettler vor der Kirchtür heiraten...«

»Und die Mannsleut', die gucken nicht nach dem Heiratsgut?«

Antworten tat er nicht mehr, zog aber der Jungstute einen solchen über, daß sie vom Platz weg in Galopp fiel.

Sie schwiegen lange.

Erst als sie aus dem Wald auf die Felder gekommen waren und unter den Pappeln, die am Wegrand standen, entlang fuhren, brauste Boryna, in den es inzwischen gegärt und gewühlt hatte, auf.

»Für die Hunde ist eine solche Einrichtung in der Welt! Für alles mußt du zahlen, für das geringste gute Wort selbst! Schlecht ist es und schlechter kann es gar nicht sein. Die Kinder selbst ziehen gegen die Eltern los, keiner gehorcht mehr und alle fallen sie übereinander her, wie die Hunde.«

»Das kommt davon, weil sie dumm sind und nicht bedenken, daß sie allesamt unter die heilige Erde kommen.«

»Kaum ist der eine oder der andere ausgewachsen, und schon gebraucht er sein Maulwerk gegen die Väter, sie sollen ihm sein Erbteil geben. Über die Älteren machen sie sich nur lustig! Bande, das Dorf ist ihnen zu eng, die alte Ordnung paßt ihnen nicht mehr, selbst die Tracht ist schon manchem genierlich!«

»Das ist alles so, weil sie Gott nicht mehr achten ...«

»Darum, und auch nicht darum, aber es steht bös!«

»Und zum Besseren geht's nicht, nein.«

»Wie soll es auch gehen, wer wird sie dazu zwingen?«

»'ne Strafe Gottes! denn die Stunde des Gerichtes unseres Herrn Jesu wird kommen, und sie wird kommen.«

»Aber was vorher noch an Volk zugrunde geht, das bringt niemand wieder ein.«

»Solche Zeiten, es wäre besser, die Seuche käme über das Land.«

»Zeiten, ja, aber die Menschen sind auch dran schuld. Und so einer wie der Schmied zum Beispiel? Oder der Schulze? Mit Hochwürden zanken sie 'rum, hetzen die Leute auf, streuen Sand in die Augen und die Dummen glauben's.«

»Dieser Schmied, das ist mein Gift, obgleich er mein Schwiegersohn ist ...«

Und so klagten sie gemeinsam über die schlechte Welt und sahen auf das Dorf, das zwischen den Pappelbäumen ihnen immer näher rückte.

Nahe am Friedhof leuchteten schon von weitem die roten Gewänder der in Reihen arbeitenden gebückten Frauen, über denen wie ein zarter Flor der Rauch lag, und bald begann der Windhauch ihnen das dumpfe eintönige Klatschen der Flachsbrechen zuzutragen, das aus dem Wiesengrund kam.

»Die Zeit ist gut zum Flachsbrechen. Ich steig' da ab; meine Jagusch ist dazwischen.«

»Ist mir kein Umweg, ich fahr' euch 'ran ...«

»Gut seid ihr, Matheus, daß es mich wundernimmt ...« Sie lächelte verschmitzt ...

Er bog vom Pappelweg auf einen Feldpfad ab, der bis zur Friedhofspforte hinlief und fuhr sie bis zu der Stelle, wo unter der steingrauen Mauer, im Schatten der Birken und Ahorne und im Bereich der Kreuze, die sich von den Grabhügeln zu den Feldern herüberneigten, etliche Frauen emsig den getrockneten Flachs brachen, so daß der Staub wie Dunst über ihnen hing und die langen Fasern sich ins gelbe Birkenlaub verknüpften und an den schwarzen Armen der Kreuze hängenblieben; nebenan an den aufgesteckten Ruten trocknete man über Gruben, in denen Feuer brannten, den feuchten Flachs.

Die Flachsbrechen klappten rasch, und die ganze Reihe der Frauen beugte sich immer wieder in kurzen und raschen Stößen, nur hin und wieder reckte sich die eine oder die andere gerade, klopfte ihren Büschel Flachs von den letzten Acheln frei, wickelte ihn zu einem Kogel oder zu einer Puppe zusammen und warf sie vor sich auf ein ausgebreitetes Leinentuch.

Die Sonne, die schon bis zu den Wäldern gerollt war, schien ihnen direkt ins Gesicht, aber das störte sie nicht – denn die Arbeit, das Gelächter und die frohen Reden ließen keinen Augenblick nach.

»Glück zu bei der Arbeit!« rief Boryna nach Jagna hinüber, die gleich vornean am Flachs hantierte; sie trug nur ein Hemd und ihren roten Beiderwandrock, und um den Kopf ein Tuch gegen den Staub.

»Gott bezahl's!« gab sie ihm fröhlich zurück. Sie sah mit ihren leuchtenden blauen Augen zu ihm auf, und ein Lächeln durchflog ihr schönes sonnengebräuntes Gesicht.

»Is trocken, Töchterchen, was?« fragte die Alte, die geschwungenen Flachsbündel betastend.

»Trocken wie Pfeffer, er bricht schon ...,« wieder lächelte sie dem Alten zu, daß es ihm durch und durch ging; er schlug mit der Peitsche durch die Luft und fuhr davon, aber fortwährend sah er sich nach ihr um, obgleich sie schon längst außer Sicht war, so lebhaft stand sie vor seinen Augen ...

»Ein Mädel wie eine Hinde ... Paßt gerade recht ...« überlegte er.

 


 << zurück weiter >>