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Sechzehntes Kapitel

Annerle, die einmal wieder für einige Tage bei der Frau Uffenbacher eingekehrt war, weil sie nicht so recht wußte, wo sie sich sonst aufhalten sollte, war im Verein mit der Toni beschäftigt, das Zimmer des Fräulein Cornelie wohnlich herzurichten. Über das tabakduftige Kanapee ergoß Annerle ihr ganzes Veilchenparfüm, so daß eine neue Nuance in der Geruchssymphonie entstand, welche seine zerschlissenen Polster umspielte. Auf Tisch und Kommode prangten rot und blau die letzten Herbstblumen aus den bunten Vorgärtchen der Witwen in der unteren Dorfstraße. Die kleinen Fenster waren weit geöffnet, als sei es mit einem Male wieder Frühling geworden – so linde floß der Sonnenschein ins Zimmer, so warm spielten die Luftwellen um Cornelies Stirne. Noch immer war sie durch den strengen Befehl des Dr. Schwärzle ans Lager gebannt – sie wußte selbst nicht so recht, warum, denn sie fühlte sich frisch und wohl.

Und sie hatte sich auch geschmückt, in einem wunderlichen Stolz und Selbstbewußtsein – sie wollte keinen mitleiderweckenden Eindruck hervorrufen.

»Ha,« rief das Annerle, »jetzt hol' ich aber einen Spiegel, jetzt müssen Sie schauen, Fräulein Cornelie, 's ischt gerad' zum Staunen!«

Cornelie blickte in das Glas und war verblüfft über das in den zartesten Farben schimmernde Gesicht mit den dunkel leuchtenden Augen, das, umrahmt von einem seinen, alten, spitzenbesetzten Schleiertuch, wie ein ihr fremdes, unbegreifliches Bild auf den weißen Kissen ruhte.

Die Mädchen gaben ihr die kleine Gerda in die Arme, Annerle küßte sie hingerissen und flüsterte ihr ins Ohr: »Am End' gibt's doch noch eine Hochzeit!«

Cornelie schüttelte lächelnd den Kopf. Sie war über sich selbst verwundert – wie froh und leicht ihr zu Sinne war. Das schöne Kind an ihrer Brust war ihre Rechtfertigung – ihre Mutterschaft war wie ein goldenes Gitter um sie her.

 

Rudi Imgart kniete vor ihrem Bett, sein Kopf lag an ihrer Schulter, sie hatte den Arm um seinen Hals gelegt und küßte ihn auf das kurze blonde Haar. Ein Strom von mütterlicher Liebe ergoß sich aus ihrem Herzen, überflutete den Mann, löschte alle Vergangenheit, erlöste sie von jedem Haß, von jeder Kälte ...

Sie tauschten leise zarte Worte, wie Menschen tun, die sich hüten müssen, Wunden zu berühren. Aber Cornelie wurde fröhlich und sicher, während sie ihm das Kind zeigte und von ihm zu sprechen begann. Um sie her war es wie draußen in der Natur: ein linder, fast unheimlich süßer, warmer Sonnenschein, eine milde Frühlingsluft – in der man doch den Hauch von welkenden Blumen, von moderndem Laube spürt – den herben Duft des Herbstes.

Es war ein sanftes Staunen zwischen ihnen, daß es so schön war, wieder beisammen zu sein, und ein zitterndes Bangen, daß es ja doch nicht bleiben könne und ein inneres Danken, weil sie sich diese friedvoll goldene Stunde gegenseitig schenken durften.

Und dann wollte er Abschied nehmen.

Ein letzter Schrei der Sehnsucht stieg aus ihrem Herzen: »Bleibe noch bei mir – gehe noch nicht!«

Aber ihre Lippen flüsterten es nur leise und scheu und sie sah auch gleich, daß ein Schatten, eine Unruhe über sein Gesicht flog.

»Sieh' – was soll ich bei dir – du bist noch krank – du kannst mir jetzt nichts sein ...«

Ihre Augenlider schlossen sich für die Dauer einer Sekunde.

»Gewiß – du mußt wohl gehen,« sagte sie freundlich.

»Ich werde auch erwartet, du weißt ...«

»Ja – ja ...«

Er küßte sie sacht. »Du bist mir nicht böse? Später – nicht wahr?«

Sie antwortete nicht, der Blick ihrer Augen ging an ihm vorüber und senkte sich auf das Kind an ihrer Seite.

Cornelie wußte nun, daß sie allein bleiben mußte. Und es war gut so.

 

Der Frau Uffenbacher zerrann ein lockender Zukunftstraum, als sie den Mann in der Lodenjoppe, den zerbeulten Filz auf dem kurz geschorenen Kopf, mit dem rüstigen Schritte des Wanderers, der nach fernen Zielen strebt, die Straße zum Bahnhof hinabgehen sah. Das war nun und nimmer der Lordmajor von London, und niemals würde sie in der goldenen Kutsche durch die jubelnde Menge fahren.

Aus Rache über die Enttäuschung steckte sie am nächsten Morgen die kleine Gerda mit dem dicken Ziehkind und dem Säugling der Luis in ein Badewasser.

Nach einer Woche rüstete sich Cornelie zur Abreise.

Das Annerle gestand ihr, daß der Hans am Tage von Corneliens Entbindung im Tränenhaus gewesen und ihr Stöhnen gehört habe, die Rose sei von ihm. Nun sei er mit einem Male bereit, dem Annerle eine Filiale einzurichten.

»Und für den Buben macht er's notariell – vierzigtausend Mark, wenn einmal sein Vater gestorben ist,« fügte sie hinzu. »Mei Hansel läßt sich nicht lumpen!«

Die Toni aber hatte von ihren Eltern die Erlaubnis erhalten, Weihnachten heim zu kommen, dann wolle man ihr verzeihen. Cornelie spürte, wieviel tiefer das junge Geschöpf noch im Boden des Elternhauses wurzelte als in der neuen Mutterschaft, die ihr kaum andere als unheimliche Gefühle erwecken konnte.

So sah Cornelie die beiden guten Kinder, die ihr zumeist lieb geworden waren, auf dem Wege zu sicherem, tüchtigen Leben. Cornelie umarmte sie innig, und mit heißen Tränen hingen die Mädchen ihr am Hals, als es zum Scheiden ging.

Einsam war sie gekommen, nun gab eine Schar seltsamer Freunde ihr das Geleit. Die Uffenbacherin, das kleine Fräulein würdevoll auf den Armen tragend, ging mit manchem guten Ratschlag und schier gerührt über die Feierlichkeit dieses Abschiedes an ihrer Seite. Es fehlte nicht die Hanne mit dem Versuchskind, das Annerle, die Toni und die Luis, die rote Barbe, die Cornelie heim begleiten sollte und ihre Freundin, die Fischerin. – Es traten auch der kleine Dr. Schwärzle und seine freundliche Frau mit Blumen und Abschiedgrüßen vor ihre Haustür. Fast wie ein Taufzug anzuschauen wandelte die lange Reihe Leut' die Landstraße zum Bahnhof hinab – die Landstraße, auf der Cornelie im Laufe dieses Sommers so viele Menschen mit so vielen Schicksalen beladen, hatte kommen und gehen sehen; vorüber an den Häuschen der Witwen mit den Vorgärten, darin im blassen Novembersonnenschein die Kinderwagen standen.

Hinter ihr blieb das Tränenhaus, das sich, seines sommerlichen Blütenschmuckes entkleidet, als die armselige, baufällige Hütte, die es in Wirklichkeit war, unter dem knorrigen Gerippe des alten Birnbaumes an die Hügelflanke schmiegte. Cornelie schaute zurück und umfaßte es mit einem langen, zärtlichen Blick.

Hier hatte ihr Glück die Augen zum Lichte geöffnet – hier hatte ihr Kind zum ersten Male gelächelt.

 

Vor dem Bahnzug stehend, nahm sie das kleine Mädchen aus den Armen der Uffenbacherin entgegen und drückte es mutvoll und freudig an ihr Herz. Liebkosend umfaßte ihre Hand sein festes, rundes Köpfchen, das ihr fast das Leben gekostet hatte, und dabei dachte die Mutter: Gott erhalte dir deinen harten Schädel und einen harten Willen geb' er dir dazu, denn beides kann ein Weib gebrauchen.

 

Ende


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