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Siebentes Kapitel

Cornelie saß in ihrem Zimmer an dem wurmstichigen Tisch, den sie ans offene Fenster gerückt hatte, und schrieb:

»Modelt die Frau sich nach der Kunst, oder ist die Kunst nur ein sichtbares Symbol für Umwandlungen im Wesen des Weibes?

Ruhevoll unschuldig blühten die heiligen Jungfrauen und die jungfräulichen Mütter der Primitiven, unbewußt der eigenen Lieblichkeit, gleich den Lilien auf dem Felde. Das Weib der Renaissance aber wurde das Weib-Siegerin. Königlich thronte sie auf dem Sessel ihrer Macht und ihre Macht ruhte auf der Begierde des Mannes. Das Wissen hatten die Jahrhunderte ihr verliehen, und es gab ihrem Lächeln einen satten Stolz, ihren Händen die sichere Haltung der Besitzenden.

In den Frauen des Rokoko zeigt sich schon der leise Zynismus, der alle Reize seiner Reichtümer durchforscht hat, dem die eigene Macht kein heiliges Geheimnis mehr ist, der leichtfertig zu spötteln beginnt über die Grenzen der königlichen Herrschaft – über ihre Allgewalt und ihre Unzulänglichkeit.

Das kokette Lächeln der gepuderten Reifrockdamen, die ihre wollüstigen Busen zur Schau tragen, wie die Insignien ihres fleischlichen und galanten Königreichs, birgt schon ein wenig Verachtung des Besiegten. In ihren lüstern blickenden Augen dämmert der noch in Scherz verhüllte Schmerz über eine Herrschaft, die ihrem Ende naht, weil das Weib ihrer überdrüssig zu werden beginnt.

Welche geheimnisvollen Gesetze treiben sie, den Gebieten ihrer unumschränkten Gewalt entschlossen den Rücken zu kehren?

Die Frau von heute, wie die Kunst sie in ihrer typischen Wesensart zu erfassen sucht, ist eine Gestalt der Sehnsucht geworden. Sie trauert weder, noch genießt sie – ihre ranken, schlanken Glieder dehnen sich nach etwas Unendlichem; die Linien ihres Profils bedeuten ein Lechzen nach dem Unaussprechlichen, ihre Augen suchen das Übersinnliche hinter den Dingen dieses Staubes ... Ihre Hände – müde und doch verlangend geöffnet – tasten unsicher nach Kostbarkeiten und Früchten des Wissens, die nur ihren Träumen sichtbar, über ihnen in blauen Lüften zu schweben scheinen – ihre Füße berühren nur noch flüchtig diesen Boden und streben nach unbekannten Fernen, wo in dunklen Tiefen die Erkenntnisse des Lebens ruhen, zu denen bisher nur der Mann den Schlüssel besaß. Genügt der stolzen unzufriedenen Frau unserer Gegenwart noch eine Herrschaft über die Sinne des Mannes, den sie liebt? Einer mystischen Vereinigung der Seelen und der Geister strebt sie, von dunklem Drange getrieben, entgegen. Und doch ahnt sie – eine neue Eva – schon, daß das Kosten von jener lockenden Frucht der Erkenntnis sie für ewig aus dem Paradiese ihrer Jugend und alles selig blinden Glückes vertreiben wird.«

Nachdem Cornelie diese Sätze beendet hatte, hielt sie inne und ruhte ein wenig. Resignierte Wehmut im Erfassen der auch für ihr eigenes Dasein so verhängnisvollen Wahrheit mischte sich mit dem Vergnügen an der Formel, die sie dafür gefunden.

Jetzt hörte sie, zum ersten Male wieder seit manchem Tage, vom Flur herauf ein Geheul und Gekreisch böser Weiberstimmen tönen. In der nächsten Minute wurde ihre Türe aufgerissen, das Annerle stürzte herein, durch Zorn und Weinen zerzaust, rot, geschwollen und fürchterlich entstellt.

»Die Sau!« schrie sie gellend, »das Aas von einem Weib! Die Augen, wenn ich ihr auskratzen könnt, dem Satansbraten!«

»Um Gottes willen – Annerle –, was ist geschehen –? Beruhigen Sie sich doch!«

»Beruhigen?« heulte Annerle, »oh, mei Freile Cornelie, was das Weib mir antan hat, die böse, böse Hex ... Hab' ich Ihnen nit gesagt – anonyme Brief' schreibt's, das Vieh ... An meine Leut' daheim! Und nun wissen's alle, wie's um mich steht – und daß ich zum zweitenmal in der Hoffnung bin ... Oh, mei Jesus ... Mei Mutter möcht gerad ins Wasser gehn vor Scham!«

Cornelie starrte sie an, eiskalt vor Schrecken.

»Das hat die Uffenbacher getan ...«

Annerle trocknete sich mit dem bereits völlig durchweichten Taschentuch das tränentropfende Gesicht.

»In der Kontitorei wissets sie's auch allbereits,« schluchzte sie. »Oh, mei Fräulein Cornelie, was hat unsereins zu leide.«

Auf der Stelle wollte das Annerle das Tränenhaus verlassen und dem Herrn Geheimrat ihr Leid klagen, doch die Toni vermittelte verständig, sie meinte, Annerle sei selbst unvorsichtig gewesen.

Und so blieb am Ende alles beim alten. Annerle nahm ihre Rache auf ihre eigne Art. Sie schleuderte der Uffenbacherin im Vorübergehen vergiftete Bemerkungen zu, über Personen, die wegen Absendung anonymer Schmähbriefe zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt waren. Eines Abends fand die Hebamme einen Zeitungsartikel, der sich mit einem solchen Falle beschäftigte, durch Stecknadeln auf dem karrierten Kopfkissen ihres Bettes befestigt. Diese Tat gewährte Annerle eine entschiedene Erleichterung.

Zuweilen seufzte sie noch: »Wenn ich jetzt als nur erfahre möcht', was der Herr Tirektor Häberle von mir denkt!«

Sie sollte es erfahren, und das wurde ein glorreicher Tag für das Annerle von Pfaffenhofen. Aus der Konditorei kam durch die Post eine runde Schachtel an ihre Adresse, die enthielt eine köstliche, mit bunten Früchten belegte Nußtorte. In weißen Zuckerperlen stand in ihrer Mitte zu lesen:

Dem Fräulein Anna
in unveränderter Verehrung und Hochschätzung
ein entsagender Freund.

Die zwischen den Kuchen waltende Freundin aber schrieb als Kommentar:

»Der Herr Tirektor Häberle läßt Dir herzlich Glück wünschen. Er fragte mich, womit er Dir eine Freud' machen könnt', da hab' ich gesagt, in Dei'm Zustand wär' man als arg auf Süßes. ›So nehmen wir eine Nußtorte, die hat sie immer am liebsten gegessen,‹ hat er gesagt – ›aber mit viel Früchten drauf – Sie wissen schon, Fräulein!‹ Und dazu hat er einen tiefen Seufzer getan, und ganz blaß ist er gewesen, und hat kein Wort geredt den ganzen Abend.«

Annerle strahlte. »Ein sehr anständiger Mann, der Herr Tirektor Häberle,« sagte sie in tadellosem Hochdeutsch, was bei ihr stets das höchste Maß der Anerkennung ausdrücken sollte.


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