Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Warum der Müller wieder in seinen Stiefelschaft guckt; wie aus einer Metze ein Scheffel wird; warum Hinrich Abschied nimmt, und warum Friedrich der Meinung ist, daß die Frauensleute wohlfeil werden.

Als am anderen Morgen Müller Voß auf seiner Gielowschen Mühle aus dem Bett gekrochen war, saß er wieder mit dem Kopf in der Hand und sah nachdenklich in den Stiefelschaft. »Mutter,« fragte er zuletzt, »Hab' ich mich gestern mit Hinrich erzürnt, oder hat mir das geträumt?« – »Ih wo, Vatting,« sagte seine Frau »du hast ihn ja immerzu geküßt und hast ihn immer deinen lieben Sohn genannt, und dem Friedrich hast du viel Geld versprochen, wenn du erst ein reicher Mann wärest, und das sollte nun so lange nicht mehr dauern.« – »Mutting, dann hab' ich sehr dummes Zeug angegeben.« – »Das sagt' ich dir schon gestern abend; aber da wolltest du es nicht Wort haben.« – »Gott soll mich bewahren!« rief der Müller, »ich komme ja aus den Dummheiten gar nicht heraus!« Friedrich kam herein: »Guten Morgen, Müller! Guten Morgen, Frau! Ich komme bloß herein, Müller, um Ihnen zu sagen, daß ich mir die Sache überlegt habe; ich will das Geld, das Sie mir gestern abend versprochen haben, noch eine Zeitlang bei Ihnen auf Zinsen stehen lassen, bis ich es notwendig brauche.« – »Hm!« rief der alte Müller und rutschte auf dem Stuhl hin und her. – »Ja,« sagte Friedrich; »aber ich hätte wohl eine andere Bitte: Wollen Sie mich nicht zu Ostern ziehen lassen, obschon es außer der Zeit ist?« – »Wozu? Was hast du vor?« – »Ich wollte heiraten.« – »Was, du heiraten?« – »Ja, Müller, ich heirate Schulz Besserdichs Fiken, die jetzt auf dem Schloß dient; und wenn Hinrich Voß unsere Fiken heiratet, und wenn unsere beiden Schwiegereltern nichts dagegen hätten, dann, habe ich mir so gedacht, könnten wir ja an einem Tage Hochzeit machen.« – Dies war denn nun dem alten Müller doch zu stark: »Du Schnorrer ...!« rief er, sprang auf und griff nach dem einen Stiefel. – »Halt, Müller!« sagte Friedrich und richtete sich auf; »die Redensart paßt nicht für mich und nicht für Sie. Wie es mit mir steht, weiß ich seit drei Tagen, und wie es mit Hinrich und unserer Fiken steht, weiß ich seit gestern nachmittag; ich lag hinter ihnen im Krett und habe alles mit angehört.« – »Vatting,« rief die Müllerfrau, »dies wäre das beste!« – »Das verstehst du nicht!« rief der Alte und schalt in der Stube herum. – »Na, Müller,« sagte Friedrich und ging aus der Tür, »überlegen Sie sich die Sache; was mein Schwiegervater ist, der geht auch schon seit vorgestern abend in Ueberlegung herum.« – »Du kannst deinen Schein kriegen,« rief der Müller hinter ihm her, »aber erst zu Johanni.«

Warum war denn der alte Müller so böse? Er mochte doch Hinrich gerne leiden; er selbst hatte in den letzten Tagen oft daran gedacht, daß Hinrich und seine Fiken für einander paßten; er selbst hatte ihn seit gestern seinen ›lieben Sohn‹ genannt; aber das war es eben: gestern abend hatte ihn der Punsch zum reichen Mann gemacht, und heute guckte er als ein Bettler in seinen Stiefelschaft; und wenn auch Itzig sich umstempeln ließ und bis Ostern wartete, so war das nur eine Galgenfrist. – »Vatting,« sagte die Müllerfrau, »dies wäre das beste, was unserer Fiken und uns passieren könnte.« – »Mutter,« sagte der Alte, und es war ein Glück, daß er noch keine Stiefel anhatte, sonst hätte er vor Aerger mit den Beinen gestrampelt, »ich sage dir, das verstehst du nicht! Was? Ich sollte Jochen Vossens Sohn, der mit mir im Prinzeß liegt und mit einem großen Beutel Geld im Lande herumreist, mein Kind geben – mein bestes, liebstes Kind! – und sollte zu ihm sagen: da hast du sie, aber mitgeben kann ich ihr nichts, denn ich bin ein Bettler? – Nein, Mutter, nein! Ich sollte die Lappen borgen, worin mein einziges Kind, meine kleine Fiken, vor dem Traualtar stände? – Nein, nein, erst muß ich wieder in ordentlichen Umständen sein!«

So geht es oft in der Welt: ein großes Glück hängt dicht vor einem; er braucht nur zuzugreifen, und wenn er die Hand ausstreckt und es fassen will, dann ist die Hand mit Ketten gebunden, und die Ketten sind in längst vergangenen Zeiten geschmiedet, ohne daß er's gewahr geworden ist, und sie sind weit hinter ihm festgemacht, so daß er sie nicht losmachen kann, weil seine Hand nicht so weit reicht. Des Müllers Kette war sein Prozeß und wohl auch seine schlechte Wirtschaft in früheren Zeiten, und als er nun nach dem Glück greifen wollte, da hielt sie ihn zurück, und er erboste und ereiferte sich vergebens. Er hätte sie nun wohl mit einem entschlossenen Hiebe durchhauen können, dann hätte er aber zeitlebens das Kettenende durch die Welt schleppen müssen, wie ein entlaufener Zuchthäusler, und das litt seine Ehre nicht.

Der alte Mann konnte einen jammern; er ging jedem aus dem Wege und hantierte für sich alleine in Mühle und Stall herum, als wollte er an diesem Tage alles nachholen, was er seit langen Jahren versäumt hatte. Endlich wurde er erlöst; mein Onkel Herse kam, heute aber in bürgerlichem Aufzug: »Guten Tag, Voß. Na, unsere Sache ist in Richtigkeit.« – Aber dem Alten war heute nicht leichtgläubig zumute, und er sagte kurz angebunden: »Ja, wer's glaubt, Herr Ratsherr.« – »Wenn ich es sage, Müller Voß,« sagte der Herr Ratsherr und holte ein Paket Schriften aus dem Wagen und ging mit dem Müller in die Stube, »dann muß man's glauben, denn ich bin heute hier als Notarius publicus.« – »Mutter,« sagte der Müller, »laß uns allein, und du, Fiken, steck uns erst ein Licht an.« – Das hätte nun nicht gerade nötig getan, denn es war heller Tag; aber der Alte hatte gesehen, daß der Herr Amtshauptmann bei einem Gerichtstag immer einen Wachsstock brennen hatte, und so wollte er es auch haben, denn dies schien ihm sicherer, weil es vollständiger war. Und damit ging er an seinen Schrank und holte seine Brille heraus und setzte sie sich auf, was ebenfalls nicht nötig war, denn er konnte keine geschriebene Schrift lesen; aber ihm war doch so, als könnte er mit der Brille besser aufpassen; und darauf setzte er einen Tisch mitten in die Stube und zwei Stühle dazu.

Als sie nun allein am Tisch und bei dem Licht saßen, las der Herr Ratsherr mit sehr deutlicher Stimme eine Schrift vor, wonach der Jude gegen des Herrn Ratsherrn Bürgschaft bis Ostern warten wollte, und als er diese gelesen hatte, legte er das Papier neben sich und sah den Müller mit einem Gesicht an, das sah aus wie: »Was sagst du nun, Flesch?« – Der alte Müller räusperte nun los mit ›hm‹ und ›ja‹ und ›aber‹ und kratzte sich in den Haaren. – »Müller Voß,« sagte mein Onkel sehr ärgerlich, »was soll das Gehuste? Hier steht mein Siegel drunter – sehen Sie, hier! – ein Hirsestengel, weil ich Herse heiße; ich hätte auch ein Fallgatter, darauf können stechen lassen, weil das auf Französisch ›herse‹ heißt, aber ich bin nicht für die Franzosen – und hier rund herum steht meine Befugnis: Not. Pub. Im. Caes., und hier steht die Unterschrift des Juden: Itzig; und was geschrieben ist, ist geschrieben.« – »Das sagt der Herr Amtshauptmann auch,« sagte der Müller, und sein Gesicht wurde viel heller, »was geschrieben ist, ist geschrieben.« – »Was der sagt, ist mir ganz egal, ich, Müller Voß, ich bin dazu gesetzt durch mein Amt, geschriebene Schriften kräftig zu machen durch mein Siegel. Und durch diese Schrift sind Sie bis Ostern aus aller Verlegenheit.« – »Ja, Herr, und ich bedank mich auch, aber was dann?« – Jetzt kam die Reihe zu räuspern an meinen Onkel. »Hm! Was dann? – Je – na! – Na, Müller Voß,« und sein altes gutes Gesicht warf seine ganze Amtsmiene als Notarius publicus zur Tür hinaus und setzte sich die größte Menschenfreundlichkeit als Brille auf seine hübsche Nase und sah den alten Müller und die ganze Welt freundlich an: »Na, Müller Voß, hab' ich bis Ostern Luft geschafft, kann ich ja auch weiter Rat schaffen, ich bin hergekommen, um reinen Tisch zu machen. Dazu ist es aber nötig, daß Sie mir alle Ihre Umstände erzählen und alle Ihre Papiere zeigen.« – Das leuchtete dem alten Müller auch ein, und er erzählte und erzählte, daß ein anderer Kopf, als meines Onkels Herse Kopf, ganz dumm geworden wäre, und er holte so viele Papiere heraus, daß einem anderen angst und bange geworden wäre; aber mein Onkel war sehr eigen in seinen Geschäften; er mochte gerne Rätsel lösen und Bindfaden auseinanderwirren: er hörte und las alles mit Geduld, aber es nützte ihn nichts. »Müller Voß,« fragte er endlich »ist dies alles?« – »Ja, Herr,« sagte der Müller und ließ die Ohren hängen, wie ein Kartoffelfeld, wenn der Nachtfrost drüber gegangen ist, »und dies ist noch mein Kontrakt mit dem Stavenhäger Amt.« – Mein Onkel nahm den Kontrakt und las ihn gedankenlos durch und sah ebenfalls aus, als wäre ihm die Petersilie verhagelt; aber auf einmal sprang er auf: »Was ist dies? – Wir sind damit durch, Müller – In Zeit von ein paar Jahren ist Er Millionär! Das ganze Stavenhäger Amt ist mahlpflichtig und die Stadt Stavenhagen dazu. Hier steht's in Paragraph vier, und was sagt Paragraph fünf? ›Für jeden Scheffel, den der Müller mahlt, kann er rechtlich einen Scheffel als Mahllohn beanspruchen.‹« – »'ne Metze, Herr Ratsherr!« rief der alte Müller und sprang ebenfalls auf, »von jedem Scheffel eine Metze!« – »Nein! ein Scheffel! Hier steht: für jeden Scheffel einen Scheffel als Mahllohn; und was geschrieben ist, ist geschrieben. Und hier hat der Amtshauptmann das Amtssiegel drunter gesetzt.« – »Herr Ratsherr, Herr Ratsherr, mir summt der Kopf, das ist ja doch nur ein Versehen.« – »Versehen ist auch verspielt, und was geschrieben ist, ist geschrieben; das hat der alte Amtshauptmann Ihnen ja selber gesagt!« – »Das hat er, Herr,« sagte der Müller, »ja, das hat er. Das kann ich beschwören!«

Und nun ging in dem alten Müller eine Aussicht auf Erlösung aus den Judenfingern auf, und eine Aussicht auf viele viele Scheffel Korn und auf viele viele blanke Taler, denn das ganze Amt war ja mahlpflichtig, das mußte ihm ja kommen. »Herr,« rief er, »das kann sich helfen – aber... aber ...« – »Voß,« sagte mein Onkel Herse, »was haben Sie mit Ihren Einwendungen? Die Sache ist klipp und klar.« – »Ja, Herr, aber ich meine nur – wie wird es dann aber mit den Säcken?« – »Mit den Säcken? Mit was für Säcken?« – »Mit den Säcken, worin mir das Korn gebracht wird. Das Korn kriege ich alles, aber wer kriegt die Säcke?« – »Hm,« sagte mein Onkel, »das ist eine schwere juristische Frage. Müller, daran hab' ich noch nicht gedacht, und im Kontrakt steht nichts davon; wenn ich Ihnen aber raten soll, dann behalten Sie sie vorläufig; denn was sagt das Lübsche Recht? › Beati possidentes‹. Das heißt auf Deutsch: was einer hat, das hat er. – Müller, ich habe ihm nun aus allem herausgeholfen, aber eins bedinge ich mir aus: reinen Mund! Ueber die Sache wird mit keinem Menschen gesprochen – hören Sie! – zu keinem Menschen! Mit Itzig werde ich sprechen, der muß Korn statt Geld annehmen, und zu Ostern wird dann alles klar sein, und dann, Müller Voß ...« – »Und dann, Herr Ratsherr?« – »Dann kommt der bare Ueberschuß. – Aber Müller, die Sache bleibt im geheimen!«

Der Müller versprach das, und der Herr Ratsherr reiste wieder ab, und Hinrich und Fiken sahen noch, wie er vom Wagen aus dem Alten zunickte und den Finger auf den Mund legte.

»Fiken,« sagte Hinrich, »mir ist die Heimlichkeit nicht gegeben, ich muß reinen Wein einschenken; ich geh' jetzt zu deinem Vater und melde mich ihm.« – »Tu das,« sagte Fiken. Hätte sie aber gewußt, wie es mit dem Alten stand, sie hätte ihn wohl noch warten lassen.

Mit dem Alten stand es aber ganz wunderlich. Heute morgen war er ein Bettler und wollte sein einziges Kind nicht ohne Mitgift weggeben; heute abend war er ein reicher Mann, und sein einziges Kind brauchte nicht jeden zu nehmen; sie konnte eine Madam werden, so gut wie nur eine. Für seinen Kopf war der Wechsel zu rasch gekommen, er wußte nicht recht, was mit ihm vorgegangen war; dazu kam nun noch eine heimliche Angst, daß nicht alles so wäre, wie es sein müßte, und eine große Unruhe, daß das, was geschehen sollte, nicht recht wäre. »Aber,« sagte er dann zu sich selbst, »der Amtshauptmann hat selber gesagt: was geschrieben ist, ist geschrieben; und was recht ist, muß der Ratsherr besser wissen als ich.«

War er schon in ruhigeren Zeiten schwer zu einem Entschluß zu bringen, so war das in diesem Augenblick gar nicht möglich. Als Hinrich seinen Antrag vorgebracht hatte, fing er an vom Prozeß zu reden und sagte, Hinrich sollte ja nicht glauben,, daß er ein ruinierter Mann wäre. Ihn hätten viele in den Fingern gehabt, die ihn hätten untertauchen wollen, aber noch schwämme er oben. Hinrich sagte darauf: er hätte es gut genug im Sinn; er hätte sich so gedacht, die beiden Schwiegereltern sollten in Ruh und Frieden bis an ihr seliges Ende bei ihm wohnen, und der Müller sollte ihm seine Fiken geben, und seinen Pachtkontrakt sollte er ihm verkaufen. Da fuhr aber der alte Müller auf! Das glaubte er wohl, dazu hätte Hinrich wohl Lust! Aber niemand sollte: ›Holt Fisch!‹ rufen, ehe er welche hätte; er ließe sich auch nicht von einem Krabbenwagen überfahren, noch dazu von so einem jungen Burschen, wie Hinrich wäre. Seinen Kontrakt! Seinen Kontrakt wollte er behalten, und wenn ein König um seine Fiken freite! – Auf eine solche Rede war Hinrich nach allem, was vorgegangen war, nicht gefaßt gewesen; ihm stieg ebenfalls die Hitze zu Kopf, und er sagte hastig, der Müller sollte ja oder nein sagen, ob er ihm seine Tochter geben wollte oder nicht. Der Müller drehte sich kurz um, sah aus dem Fenster und sagte: »Nein!« Hinrich drehte sich auch um und ging aus der Tür, und eine halbe Stunde nachher hielt Friedrich mit Hinrichs Fuhrwerk auf dem Müllerhof; als er aber Hinrich rief, kam der mit Fiken aus dem Garten, und Fiken sah sehr blaß, aber auch sehr gefaßt aus und sagte: »Hinrich, das Wort, das ich dir gesagt habe, das halte ich – und halte du es auch!« Er nickte mit dem Kopf und drückte ihr die Hand, ging auf die Müllerfrau zu, die vor der Tür stand, sagte ihr ein paar Worte zum Abschied, stieg auf den Wagen und fuhr langsam vom Müllerhof.

Als er ein Stück von der Mühle weg war, rief ihm etwas nach; und als er sich umsah, kam Friedrich quer über eine Ecke Roggensaat zu ihm heran: »Hinrich, wo fahren Sie hin?« – »Nach Stavenhagen.« – »Bleiben Sie die Nacht da?« – »Ja, ich dachte, ich wollte die Nacht bei Bäcker Witt bleiben, denn ich wollte noch erst mit dem Herrn Amtshauptmann reden.« – »Das muß ich einen verständigen Einfall nennen. Hinrich; und ich habe heute abend auch noch was in Stavenhagen auf dem Schloß zu tun, und möglicherweise habe ich mit Ihnen auch noch zu reden, und darum, Hinrich, fahren Sie nicht früher ab, als bis ich gekommen bin; ich komme aber erst spät, wenn alles in Ordnung ist.« Hinrich versprach also, er wolle auf ihn warten, und fuhr nach Stavenhagen.

Unterwegs begegnete ihm Bäcker Witt, der mit einer Drömte Zwölf Scheffel = [ca. 1200 Liter] Weizen nach der Mühle fuhr, und sagte: »Na, Hinrich, fahren Sie nur bei mir vor; mit der Abendzeit bin ich auch wieder zu Hause, dann schnacken wir ein bißchen miteinander.«

Ja, ja! Ja, ja! es war schon lange Abend, und der Bäcker war schon lange zu Hause; aber Hinrich war noch immer bei dem alten Herrn auf dem Schloß. Friedrich war auch schon gekommen und aufs Schloß gegangen, und der alte Witt sagte zur Strübingen: »Strübingen, auf der Mühle sind Geschichten passiert, das sollst du sehen; daß die Alte sitzt und weint, das hat gerade nicht viel zu bedeuten, denn die Tränen sitzen ihr ein bißchen lose; aber daß Fiken bei des Alten Schelten und Dummheiten still herumgeht und gar nichts sagt, sieh, das will mir nicht gefallen; und der Alte hat heute wieder seine richtigen Schrullen – aus dem ist nicht klug zu werden. Als ich ihn fragte: ›Gevatter, wann kann ich mir das Mehl holen?‹ sagte er: ›danach muß ich erst meinen Kontrakt fragen.‹ Und als ich sagte, ich brauchte das Mehl notwendig nächste Woche, sagte er, das wäre ihm ganz egal, er ginge nach seinem Kontrakt; und als ich wegfuhr, rief er mir nach, wenn mir mit dem Mehl ein wunderliches Stück passieren sollte, dann sollte ich nur zum Ratsherrn Herse gehen, der würde mir wohl die Sache auseinandersetzen, wenn er's für gut hielte.« – »Das ist ja schnurrig,« sagte Frau Strübing.

Da kam Hinrich Voß zur Tür herein und sah sehr still und einerlei aus, und als der Bäcker von der Mühle anfing, und daß man ihm dort so sonderbar begegnet sei, brach Hinrich kurz ab und fragte: »Meister Witt, wollten Sie mir wohl einen Gefallen tun?« – »Warum das nicht?« sagte der Bäcker. – »Bei Ihnen kommen viele Leute, und Sie haben auch Stallraum; ich wollte meine Pferde und den Wagen verkaufen; wollen Sie mir nicht dabei behilflich sein?« – »Warum das nicht?« fragte Witt; »aber Hinrich,« setzte er nach einer Weile hinzu, und man konnte beinahe von außen sehen, wie er drinnen die Gedanken sammelte und zu einem Faden aneinanderknüpfte, woran er die Unterhaltung weiter spinnen wollte, »aber, Hinrich, das hat ja Zeit, die Pferde – die Pferde – sieh, jetzt sind sie wohlfeil. Warum? Je, was weiß ich! Wohl darum, weil keiner sicher ist, daß ihm der Franzose sie nicht über Nacht aus dem Stall holt; aber die Pferde – du sollst sehen – sie werden teuer; denn – du sollst sehen – in Zeit von ein paar Wochen marschiert alles gegen den Franzosen.« – »Das hab ich eben von einem Mann gehört, der es besser wissen kann, als wir beiden, Meister Witt, aber gerade darum will ich sie los sein.« – »Ja,« fiel Friedrich ein, der während der letzten Worte des Bäckers in die Stube gekommen war, »ja, die Gäule werden teuer, und die Frauensleute wohlfeil. Nach den Pferden wird viele Nachfrage sein, wenn's losgeht, und nach den Frauensleuten wenig; und wenn's vorbei ist, und die Hälfte der jungen Leute totgeschossen, noch weniger. – Und los geht's! Gestern in Neubrandenburg nahm mich einer beiseite, der sah aus, als hätte er die blauen Bohnen schon probiert; der sagte zu mir, nach meinem Aussehen hätte ich auch schon den Schafschinken geschleppt, und wenn ich Lust hätte, so wüßte er ein Plätzchen für mich. – Ich sagte, ich wollte mich besinnen; aber gestern ist nicht heute, heute brauch ich mich nicht zu besinnen. Ich bin von den Preußen desertiert – aber nur, weil ich bei meinem Hauptmann Kinder wiegen sollte; und gestern besann ich mich nur, weil ich dachte, ich würde mal meine eigenen Kinder wiegen; und heute besinn ich mich nicht mehr, sondern gehe gegen den Franzosen. – Und, Meister Witt, ich habe keinen auf der Welt, der nach dem Meinigen sieht; wenn Sie hören, daß ich von der Mühle fort bin, dann sehen Sie nach meiner Lade. Und nun adjüs, ich muß diese Nacht wieder nach der Mühle.«

Damit ging er. Hinrich ging ihm nach: »Friedrich, was heißt dies?« – »Was dies heißt?« fragte Friedrich, »das will ich Ihnen sagen: Wie der eine heißt, sieht der andere aus. Uns ist beiden dasselbe passiert, nur daß Ihre Fiken weint, und meine Fiken lacht. Ich bin ihr nicht jung genug. Na, schadet auch nicht! Dem Mann in Brandenburg war ich nicht zu alt, und was dem einen seine Eule ist, ist dem andern seine Nachtigall.« – »Friedrich,« antwortete Hinrich nun leise, »sprich nicht so laut. Du willst Soldat werden, und ich auch.« – »Was?« – »Still! Ja, ich auch. Ich habe keine Verwandten weit und breit und stehe alleine in der Welt; nun habe ich mit dem alten Herrn Amtshauptmann geredet, und der hat mir versprochen, ein Auge auf mein Eigentum zu werfen; meine Mühle in der Parchimer Gegend kann ich jeden Augenblick verpachten, und Pferde und Wagen verkaufe ich.« – »Hurra,« rief Friedrich, »Hand her, Kamerad! Dümurrjöh! Ich sah dir's gleich den ersten Morgen an, daß in dir ein Soldat steckte.« – »Ja,« sagte Hinrich, »das ist alles recht gut! den Willen habe ich, aber wo bleibt das Vollbringen?« – »Bruder, wenn einer was Schlechtes im Sinn hat, ist der Teufel gleich bereit, ihm den Weg zu zeigen; unser Herrgott wird sich vom Teufel nicht lumpen lassen, er wird uns die richtigen Wege wohl zeigen, denn es geht fürs Vaterland. – Sieh, ich kann nicht, bis Ostern muß ich bleiben; aber du fahre morgen gleich nach Brandenburg und frage in dem Wirtshaus, wo wir gewesen sind, nach einem stattlichen Mann mit einem grauen Schnurrbart und einer Narbe über die rechte Backe – du wirst ihn wohl finden, und bei dem melde dich und mich an: ›Friedrich Schult‹, und hätte schon gedient, brauchst aber nicht zu sagen, daß ich mal vorm Kinderwiegen desertiert bin, und wenn du's in Richtigkeit hast, dann gib mir Bescheid, dann komm' ich.« – »Das soll gelten!« rief Hinrich. »Und, Friedrich, du grüße euer Fiken von mir und sage ihr, sie sollte sich nicht stutzig machen lassen – was ich ihr gesagt hätte, das hielte ich.« – »Das will ich bestellen, und nun: gute Nacht!« – »Gute Nacht!« – Und als Hinrich noch so stand und auf Friedrichs Tritte horchte, da hörte er von der Apothekerecke her: »Dümurrjöh! Verfluchte Patrioten!«


 << zurück weiter >>