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Zweites Kapitel

Was Mamsell Westphal und der Uhrmacher mit einander sprachen, und warum Friedrich dem Franzosen die Knöpfe von den Hosen schneiden will und ihn nachher im Stavenhäger Oberholz zu Bett bringt, und warum Fiken den MaIchiner Kaufmann nicht genommen hat.

Als der Schloßhof leer war, marschierte der Uhrmacher mit Obergewehr und Untergewehr in Mamsell Westphals Speisekammer hinein, und Mamsell Westphal trocknete sich die Augen und sagte: »Herr Droi, Sie sind ein Engel der Rettung!« Sie nannte ihn nämlich immer ›Droi‹ statt ›Droz‹, weil sie glaubte, ›Droi‹ wäre richtigeres Französisch und die Leute gäben ihm nicht den richtigen Akzent. Der Engel der Rettung setzte nun seinen ›Schafschinken‹ an den Seifenbottich, hängte sein Käsemesser an den Fleischhaken, stülpte seine Bärenmütze auf das Butterfaß und setzte sich selber auf den Anrichteklotz, zog ein gewürfeltes Schnupftuch hervor, legte es sauber auf den Knien zusammen und fuhr sich damit zweimal sachte unter der krummen Nase durch; dann nahm er seine große runde Schnupftabaksdose heraus, streckte sie Mamsell Westphal hin und fragte: »Plaît-il?« – »Jawohl,« sagte Mamsell Westphal, »pläht'i mir das, denn, Herr Droi, ich habe sehr schlechte Augen, und seit dem vorigen Herbst sind sie immer schwächer geworden; ich hatte damals die große Krankheit, und die Doktoren gaben ihr einen hohen Namen; aber, Herr Droi, ich sage, das war das gewöhnliche miserable Stoppelfieber, und dabei bleibe ich! – So!« sagte sie dann und setzte vor Herrn Droz eine schöne gebratene Ente hin und eine Flasche Wein – aber von des Herrn Amtshauptmanns gutem – und machte einen Knicks, wie wenn einer im Wasser untertaucht, und sagte auch: »Pläht' i?« Na, dem Uhrmacher plähtite dies denn auch sehr und ihm wurde zumute, als wäre er ein wirklicher Engel, und Mamsell Westphals Speisekammer war im Vergleich mit seinen Pellkartoffeln und Speck ein Paradies, und als er bei der zweiten Flasche Wein war, redete er viel von dem schönen vin de Valengin und von ›der szöne Sweiz‹. Und Mamsell Westphal sagte: »Sie haben recht, Herr Droi, Schweiß ist 'ne schöne Sache, vor allem bei einem Schnupfen: ich trinke dann immer Fliedertee.« – »Ah!« sagte Herr Droz, »fierté! Oui, je suis fier von meine Land. Oh, Sie muß mal kommen in die Land, da singen die Vögel und da brummen die Bachen.« Na, mittlerweile war es dunkel geworden, und Fritz Sahlmann kommt in die Speisekammer und sagt: »Na, dies ist 'ne schöne Geschichte: der Herr Amtshauptmann läuft bei düsterer Nacht in bloßen Haaren im Garten 'rum und räsonniert vor sich hin, der Bürgermeister hat sich sachte aus dem Staub gemacht, Müller Vossens Friedrich hält nun schon 'ne ganze Stunde lang vor'm Tor und schimpft auf die verfluchten Patrioten und den Spitzbuben Dumouriez, und der Müller hält dem Franzosen die Faust unter die Nase und fragt, wo seine vier Mähren und seine sechs Ochsen geblieben seien, die die Franzosen ihm genommen, und der Franzose sitzt da und rippelt und rührt sich nicht und verdreht die Augen.« – »Fritz Sahlmann,« fragte Mamsell Westphalen, »rührt er sich nicht?« – »Ne, Mamselling!« – »Fritz Sahlmann, ich weiß, du hast zuweilen den Hasenfuß in der Tasche und trägst dich manchmal stark mit Unwahrheiten; ich frage dich auf dein Gewissen: rührt er sich gar nicht?« – »Ne, Mamselling – ganz und gar nicht!« – »Na, Herr Droi, dann kommen Sie! Dann wollen wir hinaufgehn und nach dem Rechten sehen. Nehmen Sie sich aber was von Ihrem Geschirr zum Hauen und Stechen mit, und wenn Sie sehen, daß er mir zu Leibe will, dann stehn Sie mir bei! Und du, Fritz Sahlmann, lauf zu Müllers Friedrich und sag ihm, er solle die Pferde absträngen und 'rein kommen; denn besser ist besser, und was einer gut tun kann, das wird zweien nicht sauer.«

Friedrich kommt denn nun auch herein und kriegt einen tüchtigen Schnaps und schüttelt sich, wie's nach einem großen Schluck Mode ist, und der Zug geht darauf vorwärts nach des Herrn Amtshauptmanns Stube. Friedrich voran, dann Mamsell Westphal, die den Uhrmacher untergefaßt hat, und zuletzt Fritz Sahlmann im Hintertreffen.

Als sie in die Stube kommen, sitzt der Müller am Tisch, hat zwei volle Gläser vor sich stehn und stößt mit dem einen an das andere, dann mit dem anderen an das eine und trinkt abwechselnd für zwei und grinst lustig über das ganze breite Gesicht. Den Rock hat er ausgezogen, weil ihm bei der Sache heiß geworden ist, auf dem Kopf hat er des Franzosen Kaskett mit dem langen Roßschweif und über seinen dicken Bauch hat er, so gut es gehen will, den französischen Säbel geschnallt. Der Franzos aber liegt lang ausgestreckt in der Sofaecke, hat des Herrn Amtshauptmanns baumwollene Schlafmütze auf und seinen rotgeblümten Schlafrock an, und der Spitzbube von Müller hat ihm statt des Säbels einen großen Flederwisch in die Hand gegeben, und damit fuchtelt der Chasseur stillschweigend in der Luft herum, denn reden kann er kein Wort mehr.

Als Mamsell Westphal zur Tür hereinkommt und die Bescherung sieht, setzt sie beide Arme in die Seite, wie's jede rechtschaffene ältliche Person, die auf rechten Wegen ist, eigentlich tun sollte, und fragt: »Müller Voß, was soll das? Was heißt dies? Und was bedeutet dies?« – Der Müller will antworten, gerät aber ins Lachen und bringt mit knapper Not heraus: »Komödienkram!« – »Was!« ruft Mamsell Westphal. »Ist das 'ne Antwort von 'nem Mann mit Frau und Kindern? Ist das ein Respekt vor seinem Vorgesetzten, solche Eulenspiegelstreiche in seiner Studierstube anzustellen? Herr Droi, kommen Sie mit!« Damit geht sie auf den Franzosen los, reißt ihm die Schlafmütze vom Kopf, schlägt sie ihm zweimal um die Ohren und sagte bloß die beiden Worte: »Die unschuldige Schlafmütze!« und: »Du Ferkel!« Dreht sich um und ruft: »Und Er, Friedrich, komm Er her und helf Er dem Kerl aus des alten Herrn Rockelor heraus; und Sie, Herr Droi, denn Sie werden sich darauf verstehen, nehmen Sie dem unklugen Müller den Suppentopf vom Kopf und schnallen Sie ihm den Säbel los!« Als dies denn nun geschehen war, sagt sie: »Und du, Fritz Sahlmann, du alte Plaudertasche, du Schnackfaß von der Ecke! Du unterstehst dich nicht und sagst dem Herrn Amtshauptmann, was mit seinen Kommoditäten hier passiert ist; denn er läßt sie sonst verbrennen, und was können der Schlafrock und die Schlafmütze dafür, daß alte Leute zu Jungens werden!« Dabei guckt sie den alten grinsenden Müller scharf an, steckt den Pfropfen auf die Weinflasche, setzt wieder die Arme in die Seiten und fragt: »Was nun?«

»Ich weiß!« sagt Friedrich, zieht sein Klappmesser aus der Tasche, macht es auf, geht auf den Franzosen los, reißt ihm die Montur auf und fängt an, ihm auf eine sehr sonderbare Art unter den kurzen Rippen herumzufummeln.

»Herre Jesus, Friedrich!« ruft Mamsell Westphal und springt dazwischen, »was? plagt Ihn der Böse? Er wird hier doch keinen Mord anstiften?« – » Diable!« sagt Herr Droz und reißt Friedrich den Arm zurück, und Fritz Sahlmann, der unverständige Schlingel, reißt das Fenster auf und schreit: »Herr Amtshauptmann! Herr Amtshauptmann, nun geht's los!« Schwabb! hat er einen an den Ohren, der ihm ganz bekannt vorkam, weil er täglich von Mamsell Westphals Sorte etwa drei bekam – das heißt: in Bausch und Bogen berechnet, denn gezählt wurden sie nicht.

Friedrich aber stand ganz ruhig da und sagte: »Wieso denn? Was meinen Sie? Denken Sie, daß ich Kinder fresse? Ich will ihm bloß die Knöpfe von der Hose abschneiden; denn so haben wir's immer gemacht, wenn wir welche gefangen hatten, als ich noch gegen die verfluchten Patrioten in Holland diente und gegen den Spitzbuben Dumouriez unter dem Herzog von Braunschweig in den neunziger Jahren.« Und zu Mamsell Westphalen gewandt: »Denn, Mamselline, dann können sie nicht schappieren; dann sinken ihnen die Hosen in die Knie.«

»Schäm Er sich, Friedrich, mir so was zu sagen!! Was gehen mich dem Franzosen seine Hosen an und seine Knie! Und von solchem Anblick will ich hier nichts wissen, und kein Mensch soll sagen, daß hier in des Herrn Amtshauptmanns Studierstube so was Despektierliches zu sehen gewesen ist. Nein, lieber wollen wir ratschlagen, wo wir mit dem Kerl bleiben!«

Da drängt sich Müller Voß nach vorne und will sich vor die Brust schlagen, schlägt sich aber weiter unten vor den Magen und sagt: »Bleiben? Was bleiben! Wo ich bleibe, bleibt er auch, und wir haben Brüderschaft getrunken, und er ist 'n richtiger Franzos, und ich bin 'n richtiger Mecklenburger, und wer davon was wissen will, der komme her!« Sieht sie alle der Reihe nach an, und als keiner was dazu sagt, klopft er dem Franzosen auf die Schulter und sagt: »Bruder! ich nehme dich mit!« – »Das ist auch das beste!« ruft Mamsell Westphal. »Dann sind wir ihn los ... Herr Droi, fassen Sie an!« – Und die eine ›grande nation‹ faßt die andere ›grande nation‹ an den Beinen, Friedrich hält ihn oben am Kopfende, Fritz Sahlmann trägt das Licht, Mamsell Westphal kommandiert das Ganze, und der Müller geht in einem kleinen Bogen hinterher.

»So!« sagt Friedrich. »Nun man hinten 'rein ins Krett! So! Da liege du man! Fritz Sahlmann, sträng' mir die Mähren an! Und Sie, Herr Droi, helfen Sie dem Müller hinauf; aber nehmen Sie sich in acht, daß er nicht das Gleichgewicht verliere; denn ich kenne ihn: er überschlägt sich!«

Als der Müller nun sitzt, fragt Friedrich: »Na? Alles an Bord?« – »Alles an Bord!« ruft Mamsell Westphalen. – »Na, denn man jüh!« sagt Friedrich. Kaum aber ist er ein paar Schritte weit gefahren, so ruft der Uhrmacher: »Alt! Alt! Friderik! Sie aben vergestern die Kamerad sein cheval, es stehn in die logis für die kleine poule.« – »Ja,« sagt Fritz Sahlmann, »es steht im Hühnerstall!« – »Na, dann hol's!« sagt Friedrich, »und bind's hinter den Wagen.«

Dies geschieht denn auch, und als sie noch dabei sind, kommt der alte Amtshauptmann von seinem Spaziergang aus dem Garten zurück und fragt, was hier los sei. »Nix nicht!« antwortet Mamsell Westphal. »Müller Voß hat bloß den Franzosen eingeladen, mit ihm zu fahren und die Nacht auf der Gielowschen Mühle zu bleiben.« – »Das ist denn eine andere Sache!« sagt der alte Herr. »Adjüs auch, Müller, ich werd' Ihm das gedenken.« Der Müller brummelt was in den Bart von sehr schönem, fruchtbarem Wetter, und Mamsell Westphal flüstert Fritz Sahlmann zu, er solle voraus laufen und den Säbel und Pferdeschwanz des Franzosen aus des Herrn Amtshauptmanns Stube holen, damit sie ihm nicht in die Augen fielen. »Bringe sie nur in meine Stube,« sagte sie, »und stelle sie hinter mein Bett.«

Friedrich aber schlug jetzt auf die Pferde und jagte den Schloßberg hinunter in die Malchiner Straße hinein und sagte zu sich selber: »Dies ist das Probestück. Wenn der Müller bei diesem Pflaster und bei diesem Jagen auf dem Sack sitzen bleibt, dann kommt er heute abend auch allein vom Wagen herab.« Aber als er an die Scheunen kam und sich umsah, da lag der Müller zwischen dem vordersten und hintersten Sack und Friedrich sagte: »Ohne Hilfe kommt der nicht wieder 'runter« – und holte ein paar Säcke hervor und deckte ihm diese über den Leib, damit er sich nicht erkältete.

So kamen sie aus den Scheunen heraus, und die Pferde zogen den Wagen immer in sachtem Schritt durch den tiefen Weg und die finstere Nacht hindurch, und Friedrich kamen allerlei Gedanken. Zuerst fiel ihm die Müllerfrau ein, was die früher schon gesagt hatte, wenn der Müller alleine so ankam, und was sie jetzt wohl sagen würde, wenn er selbzweit so ankäme, und was Müllers Fiken wohl dazu sagen würde, und er schüttelte mit dem Kopf und sagte: »Keinen guten Gang geht's nicht.« – Und zum andern fiel ihm ein, daß es auch um diese Jahreszeit gewesen war und in solch einer Nacht, als er vor einem Dutzend Jahren von den Preußen aus Prenzlau desertierte, und daß er damals, bis er sich nach dem Stavenhäger Amt durchschlagen konnte, auch im Freien gelegen und sich mit einem Schlehdornbusch zugedeckt hatte. – Und zum dritten fiel ihm ein – und als ihm dies einfiel, da knirschte er mit den Zähnen – wie er mit dem Herzog von Braunschweig in Frankreich gewesen war, nichts auf dem Leibe, nichts in dem Leibe als die rote Ruhr, und wie die Franzosen ihn gejagt und gehetzt hatten, und wie so viele von seinen Kameraden an der Landstraße liegen blieben, und auch sein bester Freund, Krischan Krüger, und wie das Volk kein Erbarmen gehabt hatte. »Und die beiden schönen Braunen,« sagte er zu sich, »haben sie mir auch genommen, und ich muß hier mit zwei alten spattlahmen Schindern fahren? Und die sollen sich hier noch in dem tiefen Weg mit so einem Kanaillenvogel von Marodeur abquälen, der gar kein ordentlicher Militär ist? – Verfluchte Patrioten! Spitzbub – Dümurriöh!« – dies waren seine einzigen Flüche, wenn er böse war – »Purr, öh!« rief er und sprang vom Wagen und ging hinten herum und klinkte das Krett auf und packte den Franzosen an den Beinen und zog ihn halb aus dem Wagen, hockte mit der Schulter unter und trug ihn über den Graben in das Stavenhäger Oberholz und legte ihn unter eine Buche. – »Ja,« sagte er, als der Franzose anfing sich zu rühren, »es ist ja wohl ein wenig feucht, aber du bist inwendig feucht, warum denn nicht auch auswendig?« – und sah zum Himmel hinauf und sagte: »Für die letzten Tage im Februar ist es eine sehr schöne warme Nacht, und wenn der Kuckuck auch just nicht singt, so hab ich ihn doch vorigen Sommer in dieser Buche singen gehört, und – so Gott will – singt er dieses Jahr hier wieder.« – Und als der Franzose ein bißchen zusammenschauerte, wie wenn ihn fröre, sagte er: »Nicht wahr, Bruder, es ist ein bißchen kühl, und ich könnte dich nun hier schön zudecken mit einem guten Weidenprügel, und es würde nicht Hund noch Hahn danach krähen, aber ich will dir zeigen, daß ich ein christliches Herz habe,« und geht nach dem Wagen und holt ein paar Armvoll Stroh und wirft es über ihn und sagt: »Na, adjüs! Mitnehmen tu ich dich nicht, wozu sollen sich die Müllersleute und Fiken über dich ärgern!« Steigt auf den Wagen und fährt sachte nach Hause.

Nicht weit von der Mühle weckte er den Müller auf und machte ihn munter und sagte: »Müller, setzen Sie sich stramm auf den Sack, ich helfe Ihnen dann herunter.« – Der Müller richtete sich auf und sagte: »Ich bedank mich auch, Herr Amtshauptmann!« und sah sich wild um, wo er wäre, und fragte, was das für ein Gaul sei, der hinter dem Wagen herbammelte, und als er sich ein wenig besonnen hatte, griff er hinter sich in das Krett und fragte: »Friedrich, wo ist der Franzos?« – »Je, wo ist der!« sagte Friedrich und fuhr vor der Haustür vor, sprang vom Wagen und half dem Müller herunter, ehe die Frauen mit Licht kamen. Sein Herr krabbelte sich nach der Diele hinauf, und die Müllerfrau kam ihm entgegen und sagte: »Na, Vatting, wie ist's geworden?« – Der Müller stolperte über die Türschwelle in die Stube hinein, legte Hut und Handschuhe auf den Tisch, ging ein paarmal in der Stube auf und nieder, wobei er scharf die Dielenritze ins Auge gefaßt hatte, und sagte: »Das ist ein schwerer Gang!«

– »Das seh ich,« sagte die Müllerfrau. – Fiken saß hinterm Tisch und nähte Leinenzeug. – Und der Müller ging wieder stolz auf und nieder und fragte: »Seht ihr mir gar nichts an?« – »Genug,« sagte seine Frau. »Du hast wieder bei Bäcker Witt gesessen und hast deine bedrängten Umstände vergessen und deine Frau und Kinder, und hast dich in eine Zeche eingelassen.« – »So? meinst du? dann laß dir sagen: ein kluges Huhn legt auch vorbei. Nein, ich habe mit dem Herrn Amtshauptmann und dem Bürgermeister und einem französischen General, oder so was, Brüderschaft getrunken, und der Herr Amtshauptmann hat mir gesagt, er wollte mir's gedenken, denn dies ginge fürs Vaterland. – Und, Fiken, dir sag ich: schmeiße dich nicht weg! Das hast du nicht nötig! – Den Malchiner Kaufmann hättest du meinetwegen freien können; aber du wolltest ja nicht!« – Fiken sah von ihrer Näherei halb empor und sagte: »Vater, laß das doch, zum wenigsten heute abend!« – »Schön, Tochter; du hast recht, mein Kindting. Sieh, du bist ja mein einziges, denn wo sind Karl und Jochen? Ach, du lieber Gott! Aber ich sage bloß: schmeiß dich nicht weg! und weiter sag ich nichts. – Und, Mutter, unsere Geldsache? – Was sagt der alte Herr Amtshauptmann? – ›Müller Voß, ich will Ihm das gedenken‹. – Und dann der Franzose! Mutter, der Franzos! Wo, Donnerwetter, ist der Franzos? Er lag doch im Krett; Friedrich muß es doch wissen,« Und er reißt das Fenster auf und ruft: »Friedrich, Friedrich! Hörst du nicht?«

Friedrich hörte ihn recht gut; aber er plinkte mit dem einen Auge und sagte: »Ja, schreie du nur! – Wozu soll ich das erst sagen, was die Müllerfrau gut genug sehen kann? Ich werde mir nicht die Finger klemmen.« Damit band er des Franzosen Pferd an die Raufe und nahm ihm das Sattelzeug ab, und als er den Mantelsack aufhob, sagte er: »Teufel! ist der schwer!« – legte ihn in seine Futterkiste, schüttete seinen Pferden die letzte Fütterung ein, legte sich ins Bett und schlief, als wäre ihm heute nichts passiert.

Als nun der Müller anfangen wollte, darüber zu schelten, daß Friedrich nicht käme, sagte seine liebe Frau: »Vatting, laß ihn – du bist müde, bist den Tag über auf dem Wagen herumgeschüttelt worden und hast dir's sauer werden lassen. Komm zu Bett; Fiken soll dir ein bißchen Bier warm machen, damit dir die Nachtluft nicht schadet.« – »Mutting,« antwortete er, »du hast immer recht – ich habe mich schändlich abstrapeziert, denn Geldsachen greifen immer an. Na, meine sind in der Ordnung – so gut wie in der Ordnung; denn der tzerr Amtshauptmann sagte: ›Müller Voß, ich werde Ihm das gedenken‹. Und morgen muß ich beizeiten wieder hin nach Stavenhagen.« Und damit geht er in die Kammer, legt sich nieder und eins zwei drei, schläft er los.

Mutter und Fiken bleiben noch eine Zeitlang auf, und Fiken sitzt still in Gedanken und näht emsig. – »Ja,« sagt die Mutter endlich, »Fiken, du bist fleißig, und ich lege die Hände auch nicht in den Schoß, und unser Vater hat seiner Lebtage gearbeitet und getan, was er konnte; aber was hilft das alles? Die schlimmen Zeiten wachsen uns über den Kopf, und was uns die Franzosen gelassen haben, das nehmen uns die Advokaten und die Juden; übermorgen sollen wir fünfhundert Taler an Itzig bezahlen, und wir haben keinen Schilling.« – »Vatting tut ja doch so, wie wenn er mit allem in Ordnung ist.« – »Kehr dich heut abend nicht an den; Abendrede und Morgenrede sind zweierlei; aber in einer Sache hat er heute abend recht gehabt: hättest du nur den Malchin« Kaufmann genommen!« – »Mutting,« sagt Fiken und legt ihre Hand leise auf die Hand ihrer Mutter und sieht ihr ruhig in die Augen: »Mutter, das war nicht der Rechte.« – »Mein Kind, ganz nach ihrem freien Willen heiraten heutzutage wenig in der Welt; irgend ein Haken ist immer dabei. Sieh, der Kaufmann hat sein gutes Brot, und wenn dein Vater und ich dich versorgt wüßten, dann wäre uns ein großer Stein vom Herzen genommen.« – »Mutting, Mutting, sprich nicht so! Ich sollte euch verlassen, wo ihr in Not seid! Und noch dazu auf eine unehrliche Weise?« – »Unehrlich, Fiken?« – »Ja, unehrlich, Mutter!« sagte Fiken, und man konnte ihr ansehen, daß ihr das Gespräch peinlich wurde; »denn als der Kaufmann um mich anhielt, dachte er, bei uns hinge viel aus, und darum wollte er mich haben; ich wollte ihn aber nicht betrügen, denn wenn du und Vater in eurer Güte mir's auch nicht gesagt habt, wie es mit uns steht, und daß wir arme Leute geworden sind, so habe ich es doch langst gemerkt. Nun wissen's die Leute so ziemlich alle, und wenn jetzt einer kommt und mich haben will, dann will er mich und nicht das Geld, und es ist ja möglich, daß er der Rechte ist.« Und damit stand sie auf und nahm ihr Nähgeschirr zusammen und küßte ihre Mutter: »Gute Nacht, Mutting!« – und ging in ihre Schlafkammer. Die Müllerfrau saß noch eine Zeitlang still in Gedanken und seufzte: »Recht hat sie, und unser Herrgott mag alles zum Besten regieren!« – Sie ging ebenfalls zu Bett, und alles lag in tiefer Ruhe; nur die Mühle, die drehte sich ohne Ruh und Rast und klapperte und jagte, und die Arme griffen nach links und nach rechts in wilder Hast, wie ein Mensch, der in Bedrängnis und Not sitzt und sich abarbeitet und sich quält, um heraus zu kommen aus dem Staub der Tagesfron; und vom Mühlrad troff das Wasser herunter, als war's der bittersaure Schweiß, und tief unten im Grunde da rauschte der Bach mit eintöniger Rede und eintönigem Sang: »Das hilft dir nicht! das hilft dir nicht! Ich bin dein Herz. So lange ich fließe mit Welle auf Welle, mit Wunsch auf Wunsch, so lange hast du keine Ruh. Wenn aber die Ernte kommt, und das Korn reift, dann wird mein Strom sachte fließen, dann macht der Müller das Wehr zu; dann steht alles still, und dann ist Sonntag.«


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