Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Warum Bäcker Witt durch seinen Meerschaum-Pfeifenkopf mit ins Komplott kommt; warum Mamsell Westphal den Herrn Amtshauptmann für eine weiße Taube und Fik Besserdich für einen Gottesengel ansieht, und was für eine Meinung sie von dem französischen Auditeur hat.

Ging es auf dem Schloß schon ziemlich bunt her, so sah es in der Stadt noch viel bunter aus. Freilich, wenn so ein Haufen Einquartierung über eine kleine Stadt kommt, wenn die Bauern vom Lande und die Bürger aus der Stadt zu Hand- und Spanndiensten zusammengetrommelt werden, wenn hier der Jammer und das Elend weint und klagt, und dort der Uebermut sich breit macht – dann kann es nicht still hergehen wie in der Kirche. Aber als 1806 Murat und Bernadotte und Davout hinter dem alten Blücher herjagten, und er ihnen bei Speck und Waren die Zähne zeigte, als von Berlin das saubere Stichwort ausgegangen war: ›Ruhe ist die erste Bürgerpflicht‹ – da ging es ruhiger her als zu dieser Zeit; da war bloß von Befehl und Gehorsam die Rede. Da plünderten und brandschatzten die Herren Franzosen nach Herzenslust, und das Volk duckte sich, und einer schob sich hinter den andern, und die richtige Niedertracht gab sich allerwegen kund, denn ein jeder dachte an sich und seine Habseligkeiten, und Meister Kähler in Malchow sagte zu Frau und Kindern: »Ich muß mich retten – an euch ist nichts gelegen; ihr bleibt hier, wenn die Franzosen kommen,« – und lief ins Erlenbruch und kroch ins Rohr. – Faul und anrüchig war alles, von oben bis unten.

Die Zeiten sollten sich ändern. Die Not lehrt beten, aber sie lehrt auch sich wehren. Schill brach los und der Herzog von Braunschweig; in ganz Deutschland begann es zu spuken; niemand wußte, woher es kam; niemand wußte, wohin es führen sollte. Schill zog quer durch Mecklenburg nach Stralsund, auf Befehl von Bonaparte mußten ihm die Mecklenburger bei Damgarten und Triebsees den Paß verlegen; sie bekamen Schläge, denn sie schlugen sich hundsvöttisch schlecht. Ein Schillscher Husar nahm eine ganze Korporalschaft lange mecklenburgische Grenadiere gefangen. »Kinder,« rief er ihnen zu, »seid ihr schon gefangen?« – »Ne,« sagte der brave Korporal, »uns hat niemand was gesagt.« – »Na, dann kommt nur mit!« – Und sie gingen mit. – War das Feigheit? War das Furcht? Wer unsere Landsleute 1813 und 14 gesehen hat, wer etwas vom Strelitzschen Husarenregiment gehört hat, der urteilt anders. Wenn ein Stamm in Deutschland das Zeug hat, auf einem Schlachtfeld zu stehen, dann hat's der Mecklenburger. – Nein, es war keine Feigheit: es war der Unwille, gegen das zu streiten, was sie selbst im tiefsten Herzen trugen und wünschten. Es spukte in Mecklenburg; und als es in Preußen losbrach, war Mecklenburg das erste Land in Deutschland, das folgte. So ist es gewesen, und so muß es auch bleiben.

Und die Zeiten waren anders geworden. Unser Herrgott hatte im russischen Winter dem Franzosen die goldscheinende Schlangenhaut abgestreift. Er, der sonst als Herr herumgepocht hatte, kam als Schnorrer und Pracher zurück und wandte sich ans deutsche Erbarmen, und dieses schöne deutsche Gottesgeschenk bekam die Oberhand über den grimmigen Haß. Keiner wollte die Hand aufheben gegen den Mann, der von Gott geschlagen war; das Mitleid ließ vergessen, was er verschuldet hatte. Kaum aber hatte sich die frosterstarrte Schlange im warmen deutschen Bett wieder erholt, als sie auch wieder den Stachel wies, und die Schinderei sollte wieder losgehen. Aber das Gespenst in Niederdeutschland war zum Schatten geworden, und der Schatten bekam Fleisch und Bein und bekam einen Namen, und der Name wurde laut auf der Straße gerufen: »Aufstand gegen den Menschenschlächter!« – das war das Feldgeschrei. Aber das Feldgeschrei war kein Tagesgeschrei. Nicht ein Haufen unbedeutender junger Leute, nicht der Janhagel auf der Straße fing damit an – nein, die Besten und Vernünftigsten traten zusammen, nicht zu einer Verschwörung mit Messer und Gift, sondern zu einer Verbrüderung mit Wehr und Wort gegen angetane Gewalt; die Alten redeten das Wort, und die Jungen schafften die Wehr. Nicht auf offener Straße blitzte die erste Flamme empor; wir Niederdeutschen leiden kein Feuer auf der Straße; sondern ein jeder zündete es still in seinem Hause an, und der Nachbar kam zum Nachbarn und wärmte sich an seiner Glut. Nicht als ein Feuer von Tannenholz und Stroh, das zuletzt nur ein Häufchen Asche zurückläßt, schlug die Lohe zum Himmel – nein, wir Niederdeutschen sind ein hartes Holz, das langsam Feuer fängt, aber dann auch Hitze gibt. Und zu damaliger Zeit war ganz Niederdeutschland ein großer Kohlenmeiler, der in sich schwelte und glühte, heimlich und still, bis die Kohlen gar waren; und als sie frei waren von Rauch und von Flackerflammen, da warfen wir unser Eisen in die Kohlenglut und schmiedeten unsere Waffe und Wehre darin, und der Haß gegen den Franzosen war der Schleifstein, der machte sie scharf; und was dann kam, weiß jedes Kind auf der Straße, und sollte einer es nicht wissen, dann ist's deutsche Mannespflicht für seinen Vater, ihm das so einzubläuen, daß er seiner Lebtage es nicht vergißt.

Auch in unserer Gegend schwelte und rauchte der Kohlenmeiler, und die Franzosen rochen es in der Luft; sie fühlten bei jedem Schritt und Tritt, daß der Boden, auf dem sie marschierten, unter ihnen bebte wie eine Sumpfdecke: sie mußten erfahren, daß die sonst so demütigen Beamten und Magistratspersonen anfingen sich zu winden und zu sträuben und widerhaarig zu werden; sie sahen, daß Bürger und Bauer unbotmäßig geworden waren, und sie legten ihre Hand schwerer auf das Land. Das war nun nicht das Mittel, den obstinaten Sinn sanfter zu stimmen; das Volk wurde immer widerhaariger; die Befehle von den Franzosen und für die Franzosen wurden mit Absicht falsch verstanden; was sonst glatt gegangen war, war jetzt lauter Verwirrung. Zäh wie ein Riemen wehrte sich das Volk mit Listen von allerlei Art, und die Franzosen, die wohl merken mochten, daß ihr Regiment hier bald ein Ende haben würde, nahmen, was sie mit den Zähnen davon wegziehen konnten; denn der Soldat wußte, daß seine Offiziere es nicht besser machten.

So bald, wie er wirklich losbrach, hatten sie freilich keinen offenen Aufstand erwartet; hätten sie aber verstanden in den Gesichtern zu lesen, zum Beispiel nur in des alten Bäcker Witts Gesicht, als er von des Müllers Fuhrwerk aus der Scheune zurückgekommen war und nun über seiner Halbtür lag und seine Pfeife Tabak schmauchte und dabei so giftig spuckte und hinter den Franzosen hersah – sie hätten sich gehütet, den Bogen zu straff zu spannen. Zum wenigsten hätte der Franzose, der eben an ihm vorbeiging und ihm den silberbeschlagenen Meerschaumpfeifenkopf aus den Zahnen riß und in seinem Uebermut ruhig daraus weiterrauchte, sich schneller auf die Beine gemacht. Denn der Alte hatte kaum den Ruck in den Zähnen gefühlt, als er aus der Tür fuhr, so einen kleinen faustgroßen Stein auflas und diesen dem Franzosen ein bißchen unsanft in das Genick legte, sodaß dessen Kopf und der Pfeifenkopf in den Rinnstein rollten. Und gerade als der Herr Amtshauptmann mit seinem Weiberzug auf den Markt kam, schlugen Bäckergesellen und Franzosen und Nachbarn mit scharfen und mit stumpfen Dingern aufeinander los, bis ein Offizier dazwischen kam und sie auseinander brachte. Der alte Bäcker Witt wurde mit einem blutigen Kopf nach dem Rathaus geschleppt; denn er hatte sich an der grande nation vergriffen; und was er auch sagte, daß die grande nation sich an seinem Pfeifenkopf vergriffen hätte – nichts half, er mußte mit.

Auf dem Rathaus saß des französische Auditeur und hatte den alten Müller Voß im Verhör über den abhanden gekommenen Franzosen. Der Mantelsack mit dem Geld lag auf dem Tisch; der Oberst von Toll und mein Vater, als Bürgermeister, waren dabei anwesend. Mein Vater hatte die Geschichte, so weit er sie wußte, ganz der Wahrheit gemäß erzählt; bloß daß der Uhrmacher auf seinen Befehl den sechs Franzosen hatte bange machen müssen, hatte er verschwiegen; denn er dachte so bei sich: wozu? Der Uhrmacher wird's wohl selber sagen, oder wenn er's nicht sagt, dann muß er doch durch Mamsell Westphals Zeugnis frei kommen. Mit dem Müller stand die Sache aber schlimmer: er war von allen, die bei der Sache beteiligt waren, der letzte gewesen, der den Franzosen gesehen hatte; er hatte ihn nach seiner Mühle mitnehmen wollen, und der Kerl war nicht zu finden. Für ihn sprach, daß er sehr betrunken gewesen war, und daß er aus freien Stücken das Geld abgeliefert hatte, und daß auch das Chasseurpferd von ihm ohne Umstände, als in Bäcker Witts Scheune befindlich, nachgewiesen wurde. Als er diese Angaben gemacht und aus meines Vaters Fragen gemerkt hatte, daß ihm seine Betrunkenheit etwas nützen könnte, machte er eine grauliche und umständliche Beschreibung davon und blieb dabei, auf alle Fragen zu antworten: er wisse von nichts, denn er wäre rechtschaffen ›duhn‹ gewesen; wenn man aber Friedrich fragen wollte – der müßte alles wissen.

So stand die Sache, als draußen auf dem Markt die Schlägerei mit Bäcker Witt losging. Mein Vater sprang aus der Tür, um zum Rechten zu sehen, da wurde auch schon der alte Witt herangeschleppt, wobei er denn ab und zu mit seinem Geleite ein paar Knüffe wechselte und für seine ›Spitzbuben und Räuber‹ ein paar ›Bougre‹ und ›Sacré‹ eintauschte. Dadurch, daß er in die Gerichtsstube hineingeschleppt wurde, wurde es drinnen nicht eben ruhiger; er schimpfte, er schalt, und mein Alter hatte himmelsgenug zu tun, ihn nur halbwegs still zu kriegen. – »Meinen Pfeifenkopf, Herr Bürgermeister! Ein Erbteil von meinem Vater! Was? Und den mir vor meinen sichtlichen Augen aus den Zähnen zu reißen! Was? Bin ich ein Stavenhäger Bürger oder nicht?« – Die Franzosen schnatterten und sackerierten dazwischen; Oberst von Toll war hinausgegangen, und der Auditeur befahl, den Bäcker zu binden, auf den Wagen zu werfen und mitzunehmen; das Weitere würde sich finden; er hätte sich an dem Franzosen vergriffen, und das wäre genug. Da trat mein Vater ihm entgegen und setzte ihm auseinander: der Bäcker wäre ein ehrlicher Mann, er hätte Lasten und Kriegskontributionen getragen und sich nicht gegen das französische Regiment, sondern nur gegen einen gewöhnlichen Spitzbuben gewehrt; oder ob etwa die Franzosen jetzt schon silberbeschlagene Pfeifenköpfe für Kriegskontributionen ansähen? – Dies stieg dem Franzosen in die Krone; er schnauzte meinen Vater an und machte ihm begreiflich, er wäre selber gar nicht in allzu großer Sicherheit. Mein Vater war ein kratzbürstiger Mann, und wenn er einmal etwas für Recht erkannt hatte, war er so hartköpfig, wie ein richtiger Mecklenburger überhaupt nur sein kann. Das wüßte er, sagte er, daß heutzutage kein ehrlicher Mann in seinem eigenen Lande sicher wäre – er für sein Teil aber hielte es für seine Pflicht, seinem Bürger beizustehen in einer gerechten Sache, und das würde er tun, und wenn auch so viele Franzosen im Lande wären, daß man Schweine damit füttern könnte. – Der Franzose schäumte vor Wut und sprudelte den Befehl heraus, meinen Alten sogleich zu arretieren und aus der Stube zu führen. Als dies nun losgehen sollte, sprang der alte Bäcker Witt vor und schoß ein paarmal mit ›Schnurrer und Spitzbuben‹ dazwischen, und auch Müller Boß war schon dabei, Faust und Mundregister in Stand zu setzen, als der Oberst von Toll wieder hereinkam und, als er erfahren hatte, was der Lärm bedeutete, sagte er: der Bäcker hätte in der Pfeifenkopfgeschichte recht; er hätte sich draußen danach erkundigt, und die ganze Geschichte wäre eine Nebensache; aber der Bäcker wäre derselbe Mann, in dessen Scheune das Chasseurpferd stände, und es käme ihm vor, wie wenn hier in einem großen Komplott ein Mord begangen wäre – und dabei sah er meinen Vater sehr scharf an – und das sollte herausgebracht werden, dafür setzte er sein Leben zum Pfande; und wenn es hier nicht heraus zu kriegen wäre, dann wüßte er ein Plätzchen, wo es wohl herauskommen sollte – und das Plätzchen hieße Stettin.

Mein Vater, Müller Voß und Bäcker Witt erhielten nun Befehl, hinaus zu gehen; sie wurden in einer anderen Stube unter Wache gehalten, und der Herr Amtshauptmann wurde hereingerufen. Der alte Herr kam gerade aufgerichtet und stattlich, wie sich 's für einen ersten Beamten und ein gutes Gewissen gehört, mit dem Ziegenhainer in der Hand, zur Tür herein. Einer von den Franzosen wollte die Tür hinter ihm zumachen; aber so ging das nicht: Mamsell Westphal klemmte sich mit Nachdruck durch die Tür, und hinter ihr her schoben sich Fik und Karline in ihrem breiten Fahrwasser mit hindurch; denn sie wollten auch nicht, wie sie sagten, zum Spektakel für die Leute zwischen all den alten Franzosenkerls auf der offenen Diele stehen; und Mamsell Westphal sagte, als sie sich durchklemmte: »Musjöh Franzos, parduhn! Wo der Herr Amtshauptmann bleibt, bleibe ich auch; denn er ist mein Schutz.«

Als der alte Herr hereinkam, drehte der Oberst sich um und sah aus dem Fenster. Der Auditeur fragte nun den Herrn Amtshauptmann durch den Dolmetscher, wer er wäre, und wie er hieße. – »Ich bin erster Beamter hier im Stavenhäger Amt, und mein Name ist Jochen Weber,« – und damit legte er Hut und Stock auf den Stuhl. Bei dem Namen ›Jochen Weber‹ war es, wie wenn der französische Oberst hellhörig würde; er drehte sich halb um und sah den alten Herrn an, und es war, als wollte er ihn nach etwas fragen; doch unterließ er es und sah wieder aus dem Fenster.

Dem Herrn Amtshauptmann wurde nun bedeutet, er solle sich setzen. »Ich danke Ihnen,« sagte er; »zu meiner Bequemlichkeit bin ich hier nicht hergekommen, und im Verhör zu sein, ist eine zu ungewohnte Sache für mich, als daß ich sie im Sitzen abmachen könnte.« – Er erzählte nun auf Befragen von dem ersten Auftreten des Chasseurs und alles, was er davon wissen konnte; und, schloß er seine Rede: wenn man dem Müller daraus ein Verbrechen machen wollte, daß er geholfen hätte, den Kerl betrunken zu machen, dann träte er selber vor den Riß, denn auf sein Geheiß, hätte der andere sich auf die Sache eingelassen, und er wäre sein Vorgesetzter. – Hier lachte der Auditeur höhnisch auf und meinte, es sei spaßig, daß der Bürgermeister erst für seinen Bäcker, und daß der Amtshauptmann jetzt für seinen Müller eintreten wolle. – »Und darüber lachen Sie?« fragte der alte Herr so ruhig, als hätte er mit Fritz Sahlmann zu tun; »ist das in Frankreich nicht so? Sind in Ihrem Lande die Beamten nur dazu da, den Leuten das Fell über die Ohren zu ziehen? Müssen sie ihnen nicht in einer gerechten Sache beistehen? Und ist es nicht eine gerechte Sache, wenn man sich einen Räuber und Spitzbuben, der die Gewalt hat, mit ein paar Flaschen Wein vom Halse schafft?«

Damit hatte er denn nun wieder dem Kalb ins Auge geschlagen. Räuber und Spitzbube und ein französischer Chasseur, das waren zwei Dinge, die sich nicht zusammenreimen konnten, oder besser gesagt: wollten. Der Oberst hatte sich vom Fenster abgewandt und ging mit großen Schritten hinter dem alten Herrn auf und ab, der Auditeur fuhr ihn mit harten Worten an; der Herr Amtshauptmann blieb ruhig, ging an den Tisch, holte aus dem Mantelsack des Franzosen einen silbernen Löffel heraus, hielt diesen dem Auditeur hin und sagte: »Sehen Sie hier dies Wappen! Ich kenne es und kenne auch die Leute, die es führen. Diese Art Leute verkaufen ihre silbernen Löffel nicht, und nach meiner Meinung hat ein ehrlicher Soldat was anderes zu tun, als Handel mit silbernen Löffeln zu treiben.« – Hiergegen war nun nicht viel zu sagen, der Auditeur machte also einen geschickten Seitensprung und kam auf den Uhrmacher und fragte den alten Herrn, wie dieser in die französische Uniform hineingekommen wäre, und was er Nachts auf dem Schloß zu tun gehabt hätte? – »Da fragen Sie mich zu viel,« sagte der Herr Amtshauptmann, »ich habe ihn das nicht geheißen; ich habe ihn nur am Abend, als der Müller mit dem Chasseur fortfuhr, flüchtig gesehen, und daß er die Nacht auf dem Schloß geblieben ist, ist gegen meinen Willen und ohne mein Wissen geschehen.«

Der Auditeur mochte wohl merken, daß mit dem alten Herrn nicht viel aufzustellen war; er brach die Sache ab und bedeutete dem Herrn Amtshauptmann, er könne gehen, solle sich aber nicht aus dem Rathaus entfernen. »Schön!« sagte der alte Herr, und drehte sich um. »Also bis auf ausgemachte Sache.«

Als er sich umdrehte und Hut und Stock nehmen wollte, hatte der französische Oberst seinen Stock in der Hand und betrachtete diesen so eifrig und doch so unsicher, wie wenn einer in der Zeitung seine Nummer mit dem großen Los findet. Und auf dem Stock war auch wirklich was zu lesen, denn er war aus des alten Herrn Jenenser Studentenzeit, und Name bei Namen war darauf eingeschnitten. Der Herr Amtshauptmann sah ihn einen Augenblick an, machte darauf ihm so eine flüchtige Verbeugung von oben herab und sagte: »Mit Verlaub, Herr Oberst, meinen Stock.« – Der Oberst fuhr etwas verlegen zusammen und gab ihm den Stock; und als der alte Herr aus der Stube ging, ging er ihm nach. Mamsell Westphal wollte ihm nun auch nach, und Fik und Karline schickten sich ebenfalls dazu an; aber »'alt! 'alt!« schrie der Auditeur, und wer nicht heraus kam, waren die drei Frauenzimmer.

Mamsell Westphal hat später oftmals und vielmals dieses Verhör und ihren Zustand darin erzählt; aber immer fing sie damit an: ihr wäre zumute gewesen, als hatte sie auf dem Stavenhäger Glockenturm gestanden, wo die Glocken hingen, und alle die Glocken, groß und klein, hätten ihr in die Ohren gesummt, und als der Herr Amtshauptmann von ihr fortgegangen wäre, wäre es gewesen, als flöge eine weiße Taube aus dem Schalloch, und sie hätte ihm nachspringen wollen auf Leben und Sterben; aber der Kerl, den sie Auditeur geschimpft, der hätte sie am Rocksaum festgehalten. »Und,« setzte sie dann hinzu, »Frau Meistern, ich habe ein gutes Dutzend von Auditoren Bezeichnung für die angehenden mecklenburgischen Domanialbeamten. gekannt, die der Herr Amtshauptmann alle zusammen in der Lehre gehabt hat, und es waren lauter lustige Vögel; aber so ein bunter Vogel, und so ein Galgenvogel, wie dieser französische Auditor, war nicht darunter; denn sehen Sie, Frau Meistern, der Kerl hatte einen bunten Livreerock an, und der Galgen stand ihm auf dem Gesicht.«

Mamsell Westphal ging es, wie vielen ehrlichen Seelen: sie haben eine große Angst vor einer Gefahr, die in der Ferne droht; find sie aber erst mitten drin, dann spielen sie damit; sie sind wie die Mücken: den Rauch können sie nicht vertragen, aber das Feuer lockt sie an. Als sie sah, daß die Brücken hinter ihr abgebrochen waren, und daß die Sache zur Entscheidung kam, stemmte sie die Hände in die Seiten, trat vor und stellte sich auf dieselbe Stelle, wo der Herr Amtshauptmann gestanden hatte. »Denn,« sagte sie nachher, »ich hatte gesehen, daß er so stolz dort gestanden hatte, und sein Geist kam über mich.«

Der Auditeur fragte nun: was sie vom Uhrmacher wüßte. – »Ich weiß von ihm nichts, als daß er ein Deutschverderber ist, daß er zu Brot ›düh päng‹ und zu Wein ›düh wäng‹ sagt, und das ist das Ganze.« – Wie er in die französische Uniform gekommen wäre? – »Ich weiß nicht, wie er da hineinkommt, und weiß auch nicht, wie er da herauskommt; er wird es wohl so machen, wie die anderen Mannsleute alle.« – Warum er den Abend auf das Schloß gekommen wäre?

– »Aufs Schloß kommen viele Leute, und lauter ehrliche Leute, mit Ausnahme von denen, die die Gendarmen bringen; und wenn ich mich darum kümmern sollte, was die alle vorhaben, dann könnte der Herzog mich zum Amtshauptmann machen, und der Herr Amtshauptmann könnte dann die Küche befolgen.« – Warum der Uhrmacher am Abend nicht nach Hause gegangen wäre? – »Weil es ein Wetter war, worin man keinen Hund aus der Tür jagt, viel weniger einen Christenmenschen, und ich halte den Mann vorläufig für einen Christen, wenn auch für keinen richtigen; denn wie ich nur gehört habe, geht er des Nachts auf die Hasenjagd – warum nicht bei Tage, wie andere Leute? – und dann bedient er sich eines Schemels mit einem Bein, den er sich hinterwärts anschnallt, und jeder andere Christenmensch sitzt auf einem Schemel mit drei Beinen; und er hat unsere Karline zu dieser albernen Mode auf der Kuhweide verführen wollen; sie hat ihm aber gedient: wenn es in seinem Lande Mode wäre, so könnte er ja mit dem Pfahl hintenraus herumlaufen – sie aber wollte sich nicht auf dem Melkplatz zum Eulenspiegel machen.« – Warum sie aber den Uhrmacher heimlich in ihre Stube aufgenommen hätte? – Hier schwieg Mamsell Westphal still; das Blut schoß ihr glühend heiß ins Gesicht über die Unverschämtheit von dem französischen Kerl; das war die Frage, die sie auf die Flucht und auf den Räucherboden getrieben hatte; aber als sie in ihrer wirklichen Herzensangst nach einer Antwort suchte, kam ihr Hilfe. Fik Besserdich und Karline drängten sich an sie heran und schossen nun los: das wären Lügen! Das wären ausgestunkene Lügen! Und sie wollten's beschwören: ihr Mamselling hätte bei ihnen geschlafen, und sie wollten's dem Herrn Amtshauptmann sagen. Und wenn es so losgehen sollte, dann könne es ihretwegen losgehen. – Es gab einen greulichen Lärm, und wenn der Auditeur kaum Ruhe gestiftet hatte, dann gingen sie wieder los mit spitzen Redensarten, bis endlich die ganze Gesellschaft herausgebracht wurde.

»Frau Meistern,« sagte Mamsell Westphal nachher zur Weberfrau Stahl, »Sie wissen, ich habe mich immer geärgert über Fik Besserdichs loses Maulwerk; aber kein Gottesengel konnte mir in diesem Augenblick treuer zur Seite stehen, als sie mit ihrem Keifen. Frau Meistern, der Mensch soll das nicht verachten, was ihm zu Zeiten unbequem ist; wer weiß, wozu er's brauchen kann; und dazu gehört ein gutes Mundwerk und dabei bleib' ich. Und gedenken will ich's dem Mädchen.«


 << zurück weiter >>