Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Wie Friedrich dem Müller den preußischen Spruch ›Suum cuique‹ übersetzt und hinter dem Chasseur auf die Wilde-Gans-Jagd geht, und wie dem Müller klar wird, daß er sich in einen Bienenschwarm gesetzt hat.

»Müller,« sagt Friedrich, als sie aus dem Gehöft heraus sind und in den tiefen Weg kommen, »haben Sie schon einmal eine alte Frau gesehen, wenn sie einen Topf entzweigeschmissen hat und dann die Stücke aneinanderpaßt und sagt: ›So hat's gesessen‹?« – »Warum meinst du?« fragt der alte Voß. – »Oh, ich meine man,« sagt Friedrich und streift so leise mit der Peitsche über die Pferde hin, als war's in der Fliegenzeit. Der Müller sitzt in Gedanken. – Nach einer Weile fragt Friedrich wieder: »Müller, haben Sie mal einen Jungen gesehen, dem der Sperling aus der Hand geflogen ist, und der dann in die leere Hand hineinguckt und sagt: ›Oh!‹« – »Warum meinst du?« fragt der Müller, und Friedrich sagt: »Oh, ich meine man.« – Der Müller sitzt wieder still da, läßt sich allerlei durch den Kopf gehen, und setzt gerade ein schönes Rechenexempel im Kopf zusammen: was wohl um Ostern herum der Scheffel Roggen kosten würde, wenn er morgen dem Juden das Geld nicht gäbe – und kommt dabei sehr in die Brüche. – Sie fahren und fahren; endlich dreht sich Friedrich so halb auf dem Sack herum und fragt: »Müller, kennen Sie wohl das Sprichwort: ›Gieße kein schmutziges Wasser aus, ehe du reines hast‹?« – Der Müller fing nun an sich zu ärgern, und als er sich so eine Zeitlang bedacht hatte, was Friedrichs Fragen wohl eigentlich bedeuten sollten, warf er die Unterlippe empor und sagte: »Wie? dies sollen ja wohl Spitzen sein?« – »Spitzen?« fragte Friedrich zurück. »Bewahre! – Ich meine man. – Aber ich weiß noch ein anderes Sprichwort, das heißt: ›Was einer hat, das hat er‹ – und wir Preußen haben einen Adler im Wappen, und darunter steht ein lateinischer Vers, Suum cuique = jedem das Seine. der hört sich beinahe an, wie wenn man ein Ferkel in den Schwanz kneift, und was unser Feldwebel bei der Kompagnie war, der war ein weggelaufener Student und verstand den Vers und übersetzte ihn: »Halte fest, was du hast, und nimm, was du kriegen kannst‹. Der Spruch ist manchmal gut zu brauchen, vor allem in Kriegszeiten. – Prrr öh!« fügt er und dreht sich wieder auf dem Sack herum: »Müller Voß, verflucht soll der Schilling sein, den ich in meinem Leben meinen Mitmenschen gestohlen oder genommen habe! Und verflucht soll das Korn, Hafer oder Roggen sein, das ich meinem Brotherrn veruntreut habe; aber im Kriege ist es anders: der Türke und der Franzose ist der Reichsfeind, und ein Reichsfeind ist um kein Haar besser als der Erzfeind, und unser Herrgott lacht übers ganze Gesicht, wenn einer dem Teufel mal ordentlich auf die Hühneraugen tritt. Wie sagte der alte Hauptmann von Restorf? ›Dem Feinde muß in jeder Weise Abbruch geschehen.‹ – Müller Voß,« und er zeigte auf den Mantelsack – »dies wäre denn nun wohl so ein Abbruch.« – »Laß das!« sagte der Müller kurz angebunden, »die Sache ist abgemacht; ich will nichts mit der Geschichte zu tun haben, ich bringe das Geld zu Amt, und ich wollte, ich könnte den Franzosen mit hinbringen; Fiken meint auch, es könnte ein schlimmes Stück werden.« – »Mir nicht zuwider,« sagt Friedrich. »Jüh!« – und er gibt den Pferden einen Schlag – »einige hören auf Mannsleute, und andere auf Frauensleute; ich bin nicht sehr für den Rat der Frauensleute.« – »Ich sonst auch nicht,« sagt der Müller.

Sie fahren nun sachte weiter, und Friedlich fragt nach einer Weile: »Müller, was war das für ein schmucker Kerl, der heute in die Mühle hineinging?« – »Das war Jochen Vossens Sohn, mit dem ich den Prinzeß habe. – Gefällt er dir?« – »Ich habe ihn nur von hinten gesehen – ih ja, es gibt einen Grenadier.« – »Er sagt ja, er will sich mit mir vergleichen.« – »Dann gefällt er mir schon ein ganz Teil besser. Ein magerer Vergleich ist besser als ein fetter Prozeß.« – »Er will auf mich warten, bis ich wiederkomme.« – »So?« fragt Friedrich und dreht sich wieder halb um und sagt: »Müller, wissen Sie was? Er sollte sich lieber mit unserer Fiken vergleichen, das wäre das beste.« – »Wie meinst du das?« fragt der Müller. – »Ich meine man,« sagt Friedrich, und als er sich wieder umgedreht hat, biegt er sich vorne über und sieht scharf den Weg entlang, gibt dem Müller die Leine in die Hand, springt vom Wagen, bindet das Chasseurpferd hinten vom Krett los, und ehe der Müller noch recht weiß, was los werden soll, ist er mit der Mähre im großen Kölpiner Scheidegraben, biegt um eine Ecke und bindet das Tier an einen Dornbusch im Graben an, daß der Müller nichts von ihm sehen kann. – »Was hast du?« fragt der Müller, als er wiederkommt. – »Was ich habe? Ich habe nichts Gutes gesehen. Da hinten im Stavenhäger Stadtfeld kommen zweie angeritten, und als die Sonne ein bißchen hervorguckte, blitzte es so; das sind Franzosen, und wenn die hier ein Chasseurpferd mit Sattel und Zaum gefunden hätten, die würden nicht schlecht mit uns geredet haben.« – »Wahr ist's,« sagt der Müller.

So kommen sie ans Stavenhäger Oberholz, und Friedrich zeigt mit der Peitsche nach der Buche, wo noch das Stroh liegt, und sagt: »Da hab ich ihn hingelegt.« – »Wenn er doch noch dort läge!« sagt Müller Voß. – »Nicht zu verlangen, Müller! Denn heute nacht hat es Bindfaden geregnet, und in dieser Jahreszeit hält so eine Buche nicht recht dicht.« – »Das ist wahr,« sagt der Müller, und als sie noch darüber reden, kommen zwei Franzosen angeritten und fragen in ihrer Weise nach der Gielowschen Mühle, denn hier war ein Kreuzweg; und ehe der Müller was antworten kann, weist Friedrich sie rechts ab nach dem Cummerowschen Holz hinein, und als sie fragen: wie weit noch? sagt er: »'ne kleine Lieue,« – und die Franzosen reiten ab.

»Wie? plagt er dich, oder reitet er dich?« fragt der Müller und schüttelt den Kopf; »wenn die so weiter reiten, dann können sie ihr Lebelang die Gielowsche Mühle mit dem Schwanz angucken – aber wozu das?« – »Müller,« sagt Friedrich, »die Art trägt einem nichts ins Haus, und ich habe keine Lust, jeden Morgen zum ersten Frühstück aufgewärmten kurzen Kohl zu essen.« – »Wie meinst du das?« fragt der Müller. – »Oh, ich meine man. – Sehen Sie, Müller, wer weiß, ob die beiden, wenn sie nach der Mühle gekommen wären, sich nicht in unsere Stine verliebt hätten. Und es könnte ja auch möglich sein, daß sie ihr in den Kuhstall nachgegangen wären, und daß es ihnen im Stall ein bißchen beengt vorgekommen wäre, und daß sie unsere beiden letzten Milchkühe herausgezogen hätten; und wenn sie sie dann draußen gehabt hätten, hätten sie sie vielleicht in Gedanken vor sich hin getrieben, und dann wäre es mit der Milchsuppe des Morgens vorbei gewesen, und der grüne Kohl wäre an die Reihe gekommen, und ich mag den Kohl nicht.« – »Möglich wäre das,« sagte der Müller. – »Möglich ist es auch, daß es nicht den Kühen gilt,« sagt Friedrich. »Diese sind ein Paar von ihren Armeegendarmen; die suchen wohl was anderes, und ich glaube, es ist ein Glück von Gott, daß wir aus der Mühle heraus sind, denn – Müller, Müller, passen Sie auf! – sie suchen den Franzosen oder auch Sie selber! Wer weiß, was in Stavenhagen passiert ist! Da kann etwas ruchbar geworden sein – und wer weiß, ob Fiken nicht recht gehabt hat? Nun wollte ich selber, wir hätten den Franzosen.« – »Das sage ich!« ruft der Müller »das sage ich!« – »Hm,« sagt Friedrich, »gelegen hat er hier, und aufgestanden ist er, und hier ist er entlang gegangen; dies sind seine Spuren im tiefen Lehm, und sehen Sie, er hat das Stroh noch ein Stück Weges mit sich geschleppt, und nach Gülzow zu ist er gegangen. Nun will ich Ihnen das Pferd holen, und Sie fahren zu Amte und liefern Pferd und Mantelsack ab, und ich gehe hinter dem Franzosen her und greife ihn.«

Gesagt, getan. Das Pferd wird angebunden, und Friedrich geht durch das Oberholz nach Gülzow zu und sagt bei sich selber: »Dümurrjöh! ich habe dem alten Müller was Schönes angerührt, und unser Fiken ist doch ein kleines verteufeltes Mädchen, und wenn der Franzose noch zwischen hier und Greifswald zu finden ist, her soll er!«– –

Der Müller saß auf dem Wagen und fuhr nach Stavenhagen, und kratzte sich den Kopf und wunderwerkte, und allerlei ging ihm mit Grundeis. »Herr du meines Lebens,« sagte er, »wenn meine kleine Fiken nicht gewesen wäre, ich säße ja wohl schon in Block und Eisen, und 'raus bin ich noch lange nicht, denn der Teufel geht jetzt erst los, und regnen tut's nun auch schon, und das nicht schlecht.«

So kommt er zwischen die Stavenhäger Scheunen. Der erste, der ihm begegnet, ist Bäcker Witt; der hält mit einem Strohwagen vor seiner Scheune und sagt: »Guten Morgen, Gevatter! Wie, Donner? Wie kommst du zu einem Franzosenpferd?« – »Je, das sage man mal!« sagt Müller Voß und erzählt ihm die Sache in aller Kürze. »Das ist ein schlimmes Stück!« sagt Bäcker Witt; »denn die ganze Stadt liegt voll von Franzosen, und das Pferd kannst du nicht durchbringen, ohne daß sie's merken; ich rate dir, stell es hier in mein leeres Scheunenfach.«

Nun, das geschieht, und der alte Bäcker Witt zieht seinen krummen Messinghaarkamm von vorne nach hinten durch das graue Haar, schüttelt den Kopf und sagt: »Gevatter, du hast dich da in eine Sache eingelassen, von der du viele Ungelegenheiten haben kannst; und auf dem Schloß erst, da scheint es mir gar nicht richtig zu sein, denn der Herr Amtshauptmann hat sich heute morgen sein Herrenbrot zum Kaffee schon um acht holen lassen, statt sonst um elf; und Fritz Sahlmann sagt, Mamsell Westphal wäre feldflüchtig geworden; kein Mensch wüßte, wo sie abgeblieben wäre; und daß der Uhrmacher ins Bürgergehorsam geworfen ist, habe ich selber gesehen, und die Leute reden ja von Standrecht und von Totschießen.« – »Gott soll mich bewahren!« ruft der alte Müller. »In was für einen Bienenschwarm habe ich mich gesetzt! Aber das hilft nichts, den Mantelsack muß ich dem alten Herrn aufs Schloß bringen. Und, Gevatter, ich werde um die Stadt herumfahren bis nach der grünen Pforte des Schloßgartens und werde dort meine Pferde anbinden; geh mir nach und bringe das Fuhrwerk in Sicherheit, und sollten sie mich ins Loch bringen, dann fahre nach der Mühle hinauf und bringe es meiner Frau und Fiken glimpflich bei, und sage dem jungen Menschen, den du dort treffen wirst, er solle seinem Vetter zu Gefallen auf Mühle und Wirtschaft passen und die Fraunsleute nicht verlassen.« – Bäcker Witt verspricht ihm dies, und er fährt um den Schloßgarten herum, bindet das Fuhrwerk an und will den Mantelsack aufs Schloß tragen, da jagt des alten Pächters Roggenbom Kutscher, Johann Brümmer, durch die Pforte und schlägt auf die vier Hellbraunen, daß sie hinten ausschlagen und ihm den Dreck in die Augen schmeißen, und ruft: »Besser mir was ins Gesicht, als euch Striemen aufs Fell!« – Hinterdrein kommt der alte Zanner aus Gülzow mit seinen beiden Gelben und sagt: »Na, das fehlte noch! Schinderbande!« Und jagt im Galopp über den Amtsbrink. »Ja,« sagt der alte Ackersmann Adler aus Stavenhagen, hat seinen Sack über die Schultern genommen – denn das waren die damaligen Regenröcke – und schlagt seinem alten schwarzen Sattelpferd mit den Absätzen in die Rippen, »Kanonenfahren? Nicht wahr, Altsche, das wäre ein Geschäft für uns? – Nein, ich bringe euch ins Stavenhäger Stadtholz und binde euch in der Sandgrube an. 's ist ganz egal: zu fressen habt ihr zu Hause auch nichts. Aber regnen tut es ganz verflucht!« – Und als der Müller in den Garten kommt, da zieht und zerrt dort alles mit den Gespannen hinter den Büschen und hinterm Wall herum, und jeder will seine Mähren in Sicherheit bringen. – »Müller Voß,« sagt der Sohn vom Schulzen Besserdich aus Gülzow, »bring Er seine Pferde beiseite! Alles was ein bißchen klug ist, macht sich den schönen Regen zunutze, denn die Franzosen sind unter Dach und Fach gekrochen.« Der alte Müller geht aber stramm weiter und trägt seinen Mantelsack aufs Schloß.


 << zurück weiter >>