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In Rom!

Der Carneval von 1861 – Fastnacht und Ostern fielen in diesem Jahre früh, am 12. Februar und 31. März – war in Rom unter ziemlich trüben Verhältnissen und mit weit geringerem Fremdenzudrang als gewöhnlich vorübergegangen. Die revolutionären und kriegerischen Bewegungen, die Italien seit dem vergangenen Sommer zerrissen, hatten ihre Schatten störend in das lustige Treiben geworfen, und die politischen Parteiungen im Innern der Stadt selbst taten das Weitere.

Das Treffen von Castelfidardo hatte den Stuhl Petri der Marken und Legationen vollends beraubt; nur noch das Gebiet von Rom, die Comarka, und die Legation der Campagna und Maritima, die auch bereits durch die Saisirungen der Piemontesen von Süden her bedrängt war, bildeten das weltliche Gebiet, so weit es eben die französische Besatzung gestattete und verteidigte. Die revolutionäre Propaganda in Rom verkündete bereits ganz offen die gänzliche Beseitigung aller weltlichen Macht des heiligen Vaters und das Einrücken der Sardinier für den 18. März.

Um die Reste dieser weltlichen Herrschaft kämpfte in diesem Augenblick die päpstliche Regierung nicht mit den Waffen, sondern mit den Schachzügen der Diplomatie und des kirchlichen Einflusses. – – –

An einem der ersten Tage des März rollte ein eleganter Hotelwagen aus dem spanischen Viertel her durch die Via nuova nach dem Monte Cavallo und hielt vor der Facade des Quirinal, des von Gregor VIII. begonnenen, von Sixtus V., Clemens VIII. und Paul V. vollendeten päpstlichen Palastes.

Auf dem Bedientensitz der Equipage saß ein Diener in griechischer Tracht und ein Groom von etwas seltsamem, affenartigem Aussehen, noch auffallender durch die neue englische Livree, in der er sich ziemlich unbehaglich zu fühlen schien. Der Grieche öffnete den Schlag, und der Insasse, ein Mann von etwa 30 Jahren, in elegantem Anzug mit croix d'honneur und dem Orden der Königin Isabella geschmückt, stieg aus und ging nach der Loggia Bernini's, von der herab der Papst den Segen erteilt, und von der herab der neue Papst dem Volke verkündet wird.

Seit dem 14. Februar, dem Tage ihrer Ankunft von Gaëta in Terracina, residierten im Quirinal der König Franz und die Königin Maria von Neapel.

Der Kavalier wandte sich nach seinem Diener. »Laß auf dem spanischen Platz halten, Mauro, und warte auf der Treppe, wir fahren später nach dem Zirkus Caracalla, Seespinne mag auf dem Wagen bleiben.«

Nach diesen Worten sprang der Ankommende, der Graf Don Juan von Lerida Vgl. Retcliffe, Biarritz. die breiten Stufen der Haupttreppe hinauf bis zu der Stelle, wo die breite Glaswand sich abschließt, und wo der schweizer Portier in aller Grandezza seiner Uniform mit dem riesengroßen Bambus steht.

»Zur Audienz bei Ihren Majestäten befohlen,« sagte der Graf, die Karte vorzeigend.

»Der Herr wollen sich durch diesche Korridor bemühn. Die Audienschia findet halt in dem Garte-Pavillon statt, wo Seine Heiligkeit de Dame Audienschia zu gebe pflege. Es seind holt scho mehre Herre da,« berichtete der Schweizer in seinem breiten Dialekt, und der Graf schritt vorwärts in der angedeuteten Richtung, seinem Begleiter den leichten Paletot zuwerfend.

Der Hofhalt des seines Landes beraubten jungen königlichen Paars war anfangs ziemlich spärlich eingerichtet und bestand damals außer den alten treuen Dienern, die in Gaëta bei ihm gewesen, hauptsächlich aus dem Personal, das der päpstliche Hofstaat dazu geliefert. Erst nach und nach hatten sich die vornehmen Legitimisten eingefunden, die bei dem Umschwung der Dinge in Neapel von dort geflüchtet waren und nun herbeieilten, um unterm Schutz der erwarteten Invasion auf ihre Güter und in ihre Würden zurückzukehren, mehr Egoisten und Spekulanten, als wirklich treue und opferbereite Anhänger des Königs.

Der Graf durchschritt die lange Flucht von Korridoren und Gemächern bis zu den Vorzimmern, die zu dem Pavillon in dem noch von Urban VIII. angelegten schönen Garten führen.

Diese Vorzimmer waren gefüllt mit Personen aus verschiedenen Ständen: geistlichen Würdenträgern, Offizieren der früheren neapolitanischen Armee, Nobili und Fremden. Der Türsteher überreichte die Audienzkarte des Grafen einem der Kammerherren, und dieser kam sogleich zu ihm.

»Ich habe die Ehre, den Herrn Condo von Lerida zu sprechen?«

Der Graf verneigte sich.

»Se. Majestät.« fuhr der Kammerherr fort, »sind eben noch beschäftigt mit Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal-Staatssekretär, und ich muß Sie daher, wie die anderen Signori bitten, zu verweilen. Vielleicht macht es Ihnen aber Vergnügen, sich unterdeß Seiner Königlichen Hoheit dem Signore Grafen von Caserta vorgestellt zu sehen, welcher mit einigen Herren im Nebenzimmer verweilt.«

»Ich bitte darum.«

Der Kammerherr führte ihn durch die Gruppen der Audienz-Suchenden nach dem Gemach und meldete ihn dort an.

Als Don Juan in das Zimmer trat, fand er den jungen Bruder des Königs, in Gesellschaft mehrerer Männer seine Zigarre rauchend, sitzen. Der Prinz stand sogleich auf und kam ihm entgegen.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mein Herr,« sagte er, »daß Ihr Besuch Seiner Majestät, meinem Bruder, Ihre Sympathien zu erkennen gibt; denn diesen erlauben Sie mir wohl Ihre Anwesenheit zuzuschreiben. Ich freue mich, dabei selbst Ihre Bekanntschaft zu machen, da uns Ihr Name bereits öfter rühmlich als der eines treuen Anhängers des Königtums genannt worden ist, den wir gern auch in unseren Reihen gesehen hätten.«

Der Graf verbeugte sich tief. »Euer Königliche Hoheit beurteilen mich allzuliebenswürdig, doch muß ich mir erlauben, zwei kleine Irrtümer zu berichtigen. Zunächst würde ich jedenfalls um die Gnade gebeten haben, mich nach der Audienz bei Seiner Majestät auch dem jungen Helden von Gaëta vorstellen zu dürfen, und dann bin ich weniger Monarchist, als ein arger Demokrat von meiner englischen Abstammung her und Mitglied aller revolutionären und Umsturz-Gesellschaften.«

»Oh, oh!« sagte lachend der Prinz, »mit solchen Demokraten und Revolutionären, die für den Sieg eines Bourbonen den Kopf wagen, wie man wissen will, können wirs schon aushalten! Sie kommen direkt aus Spanien?«

»Direkt – als Verbannter!«

»Wie? Sie sind aus Spanien verwiesen?«

»Da man aus irgend einem Grunde nicht Lust hatte, mich nach Centa zu schicken oder zu garottieren, hat Ihre Majestät, die Königin Isabella, die Gnade gehabt, mich nach Carthagena eskortieren zu lassen, wo glücklicher Weise meine Yacht wartete.«

»Das müssen Sie mir einmal näher erzählen, Herr Graf, ich liebe die Abenteuer. Und Sie kommen jetzt direkt von Carthagena?«

»Nicht ganz, Königliche Hoheit! Hätte ich nicht ein Versprechen zu lösen gehabt, um einen alten karlistischen Freund nach Navarra, einen Anbeter Ihrer Majestät der Kaiserin Eugenie nach Marseille und eine Dame von Rang nach Rom zu bringen, was mir längere Zeit, als ich gedacht hatte, fortnahm, so würde ich die Ehre gehabt haben, an Eurer Königlichen Hoheit Seite wenigstens noch einige Kugeln mit meinem alten Kameraden aus der Dobrudscha zu wechseln. So kam ich erst zwei Tage nach der Kapitulation nach Molo di Gaëta, hatte das Vergnügen, über die Anmaßung des Herrn Cialdini zu lachen, sah mir ein Paar Tage das neue Märtyrertum des Herrn Puerio in Neapel an und bin jetzt hier, um Seiner Majestät meine, und meines Schiffes Dienste anzubieten.«

» Caramba! das wäre ja prächtig! Da hätten wir ja, was wir zu der Expedition nach Calabrien brauchen,« sagte eine rauhe Stimme aus der Gesellschaft.

Der Graf sah sich um, der Sprecher, ein Mann in mittleren Jahren, von kräftiger Gestalt und in der Uniform eines neapolitanischen Generals war näher getreten.

»Sachte, sachte, General! Sie vergessen, daß wir uns verpflichtet haben, ein Jahr lang nicht gegen den Ré gentiluomo zu dienen!«

»Hol' ihn der Teufel und diese Kapitulation dazu! Es wird sich ein Ausweg finden.«

»Ich vergaß, Signor Conte,« sagte der Prinz höflich, »diese Herren mit Ihnen bekannt zu machen. Hier Se. Exzellenz der Herr General Tristany, der Herr Graf von Saint Brie, einer der tapferen französischen Kavaliere von der Freiwilligen-Compagnie, Kapitän Chevigné von der Armee Seiner Heiligkeit, der Herr Leutnant Riccardo – ich kann den deutschen Namen nicht gut aussprechen, und hier Kapitän Grimaldi, der Herr Abbate Calvati, endlich …«

»Genieren Sich Euer Königliche Hoheit nicht,« sagte lachend eine kräftige Stimme, »ein armer Briganten-Chef, durch die Gnade Seiner Majestät mit dem Titel als Kapitän beehrt; mein Name ist zwar eigentlich Antonelli, aber die Leute nennen mich zum Unterschied von meinem Namensvetter mit dem roten Hut und den violetten Strümpfen lieber Kapitän Tonelletto.

Don Juan verbeugte sich lächelnd ringsum. »Ich freue mich, in so ehrenwerter Gesellschaft zu sein, um so mehr, da sie mir verbürgt, bald Gelegenheit zu finden, mich ihrer würdig zu zeigen!«

Er hatte den ihm vom Prinzen angewiesenen Sitz eingenommen und betrachtete jetzt die Persönlichkeiten mit Interesse.

»Lieber Graf,« sagte der Prinz, »auch wenn wir Ihnen, einem Fremden, volles Vertrauen entgegen tragen wollen, dazu ist zunächst nur spärliche Aussicht. General Goyon sieht uns hier stark auf die Finger.«

»Ich hatte das Unglück, gefangen zu werden und bin auf Ehrenwort entlassen, um hier eine traurige Pflicht zu üben«, sagte der Kapitän Chevigné.

»Auch ich bin im Begriff nach Frankreich zurückzukehren, und hier, um mich von Ihren Majestäten zu verabschieden,« bemerkte der Graf von Saint Brie. »Der Krieg ist aus!«

»Aber Messina – Civitella del Tronto? – sie halten sich noch!«

»Wenn Sie Lust haben, sich noch einige Tage unter dem wackern Dominikaner Pater Donzilli. zu schlagen, Signor,« meinte der Bandenführer, »so bin ich bereit. Sie in das kleine Bergnest zu schmuggeln.«

»Der König, Herr Graf,« sagte der Prinz, »hat bereits dem tapferen Kommandanten die Erlaubnis gegeben, auf die Bedingungen von Gaëta hin zu kapitulieren. Der Ehre ist genug geschehen – er will kein längeres Blutvergießen.«

Es herrschte einige Augenblicke tiefe Stille zwischen den Männern, nur unterbrochen durch das Gesumme der Stimmen aus dem Nebenzimmer. Der Prinz nagte heftig an der Unterlippe – er hatte die Kapitulation von Gaëta, so notwendig sie auch geworden war, stets bekämpft.

»Aber sollten denn nicht die europäischen Mächte, die der Sache Seiner Majestät stets Sympathien gezeigt haben, Rußland, Spanien, Österreich, Preußen, selbst Frankreich –«

»Frankreich …?« Der junge Prinz lächelte bitter. »Der Herr Herzog von Gramont ist gestern bei meinem Bruder gewesen, und, wie mir die Königin antwortete, soll er in sehr feinen Wendungen gefragt haben, wie lange wir unseren Aufenthalt in Rom zu nehmen gedächten? und für den Fall der Abreise nach Baiern oder Österreich die Vermittelung seines Souverains angeboten haben, unser Privatvermögen vor jeder Beschlagnahme zu sichern. Nein, Signor Conte, Sie haben ja wahrscheinlich die Depesche gelesen, welche der König, mein Bruder, nach dem Fall Gaëtas an die Vertreter der europäischen Höfe gesandt hat?«

»Euer Königlichen Hoheit muß ich bemerken, daß ich über die Details der Abreise Ihrer Majestäten gänzlich im Unklaren bin.«

»O, es waren eben so erhebende, wie schmerzliche Augenblicke, die man sich nicht oft genug ins Gedächtnis zurückrufen kann. Hier haben Sie die Depesche,« er nahm ein Papier vom Tisch und reichte es dem Anglo-Spanier. »Lesen Sie, und Graf St. Brie wird die Güte haben. Ihnen zu sagen, wie wir schieden, da ich selbst zu sehr beteiligt bin.«

Der Graf las die Sätze seines Dokuments, das der Geschichte angehört:

 

»… Unter die politischen Gründe müssen die systematische Feindseligkeit Englands, der von dem Kaiser der Franzosen laut ausgesprochene Entschluß, den Grundsatz der Nichtintervention aufrecht zu erhalten, endlich die Unthätigkeit der übrigen Mächte gezählt werden, Gründe, die keine Hoffnung auf schnelle Hilfe zuließen … Unter diesen Umständen, als die Vertheidigung nur noch um einige Tage und um den Preis der größten Opfer hätte verlängert werden können, glaubte der König weit mehr als Souverain und als Vater, anstatt als General handeln zu müssen, um die letzten Schrecken der Belagerung seinen Truppen zu ersparen, die bereit waren, ihren letzten Blutstropfen für die Erfüllung ihrer Pflicht als Unterthanen und Soldaten zu opfern …«

 

Don Juan legte das Blatt nieder und sah erwartend auf den französischen Offizier.

» Ventre saint gris! was ist da viel zu erzählen!« sagte dieser. »Sie werden gehört haben, daß die, offenbar durch Verrat herbeigeführten Explosionen am 4. und 5. Februar bereits Breschen gelegt, welche die weitere Verteidigung unmöglich machten, obschon Herr Cialdini sie doch nicht zu benutzen wagte, und lasen eben selbst, warum der König die Kapitulations-Verhandlungen befohlen, während wir Fremden alle auf einen allgemeinen Ausfall drangen, um uns durchzuschlagen oder zu sterben.

Während der dreitägigen Verhandlungen weigerte sich dieser Mörder Cialdini, die Feindseligkeiten einzustellen und fuhr fort, den Platz mit Bomben und Granaten zu bedecken. Alle Bedingungen waren schon festgesetzt, es fehlte nichts weiter, um die Kapitulation zu erfüllen, als die Abschrift des langen Dokuments und die Formalitäten der Unterschrift, aber die piemontesischen Batterien verbreiteten dennoch den Tod in Gaëta, und die vom Verräter Guanarelli vorbereitete Explosion des Pulvermagazins der Transsylvania mußte erst noch Offiziere und Soldaten unter seinen Trümmern begraben.

»Man sagt – ich weiß es nicht, denn ich bin ein einfacher Soldat, kein Diplomat!« – der Redner warf bei dieser Erwähnung einen fragenden Blick auf den Abbé, der jedoch ruhig die Augen am Boden hielt, – »daß wenn sich die Festung nur noch vierzehn Tage hätte halten können, die Aufhebung der Belagerung in Folge anderweiter Intervention hätte erfolgen müssen. Genug, die Kapitulation war am 13. unterzeichnet, und am 14. sollte der Trümmerhaufe, den man die Festung Gaëta nennt, an den Schlächter Cialdini übergeben werden, der – merken Sie das wohl, mein Herr – jeden, der ferner noch für König Franz ficht, nicht als Soldaten, sondern als Räuber betrachten will.

»Graf Casella, unser Kriegsminister, hatte bereits am Tage vorher den französischen Konsul in Neapel telegraphisch um ein Schiff ersucht, und früh Morgens am 14. lief der Aviso-Dampfer »La-Mouette« in den Hafen ein.

»Die Anstalten waren rasch getroffen. Um 8 Uhr früh war die piemontesische Avantgarde in die Festung eingerückt und hatte laut der Verabredung des neuen Gouverneurs Generalleutnant Milon mit General Riducci Besitz von den Batterien der Landseite und vom Orlando-Berge genommen. Unsere Truppen hatten sich während der Nacht bereits auf die Seeseite zurückgezogen und bildeten von der Kasematte des Königs bis zum Steintor hinab Spalier, wozu jedes Korps der Besatzung eine Kompagnie gestellt hatte.

»Es mochte zehn Uhr sein, als das Balkentor der Kasematte sich öffnete und das königliche Paar zum letzten schweren Gange heraustrat.

»Ich sehe sie noch vor mir! Der König trug die einfache Offizier-Uniform, in der er sich fast immer bewegte, die Königin war schwarz gekleidet, auf dem kleinen weißen Hut wehte die grüne Feder, die uns so oft aus dem Pulverdampf der Batterien geleuchtet. Die Musik spielte die bourbonische Hymne mit ihren melancholischen Tönen – ich werde den Augenblick nie vergessen, und wenn ich Methusalems Alter erreichte! Wie die Meereswogen gegen die Klippen schwoll das tausend- und abertausendstimmige Viva il Re! viva la Regina! aus der Menge des Volkes und der Soldaten, als sie langsam vorwärts schritten zum Strande. Dann war kein Halten mehr! Ich sah selbst, wie die Tränen über die fahlen und benarbten Wangen der Soldaten rollten, als sie mit ihren von Kugeln und Strapazen zerrissenen Uniformen mit gesenktem Haupt zum letztenmal vor ihrem König präsentierten, und dann brachen die Linien, und alles drängte vor, die Hände, die Kleider des königlichen Paares zu küssen, – über das bleiche Gesicht des Königs flog ein Strahl von Stolz bei diesem Abschied der Tapfern, in seinem Auge lag wie Dank der tröstende Ruf: A rivederci!«

»Und solche Treue, solche Hingebung,« rief der Prinz heftig, »glaubt Herr Cialdini mit den Paragraphen seiner Konvention auslöschen und zur Verräterei stempeln zu können, wenn sie festhält an dem, dem sie geschworen!«

»Als die Königin an den Offizieren vorbeischritt,« fuhr der Franzose fort, »hatte sie nur die Kraft, die Hand zu erheben und zu flüstern: ›Vergesset uns nicht!‹ sie weinte heftig. Der König nahm sie in die Arme und flüsterte ihr Worte des Trostes zu, als er sie auf dem Deck des Dampfers am Steuerbord niederließ und neben ihr stehen blieb. Ihre Königlichen Hoheiten der Graf von Trani und Graf Caserta standen an den Mast gelehnt, aller Augen waren zurück gewendet nach der getreuen, unglücklichen Stadt, während über den Majestäten das königliche Banner der Bourbonen vom Hauptmast wehte und von der Bastion Citadella die Flagge Neapels sich unter dem Salut der Hafenbatterien drei Mal neigte zum letzten Ehrengruß.«

»Und das Gefolge des Königs?« fragte der Spanier.

»Es bestand aus ungefähr hundert Personen. Gesandte, Minister, unsere Generäle und Offiziere, die Diener des königlichen Hauses und etwa ein halbes Dutzend französischer Offiziere, darunter auch ich, die man für Adjutanten des Königs angesehen, und die Seine Majestät durch diese Anordnung den schweren Drohungen Cialdinis für die Nacht von San Agatha entziehen wollte. Admiral Persano kam mit seiner Flotte aus dem Hafen von Mola heran, um sich das ungefährliche Schauspiel dieser Einschiffung zu verschaffen, aber die »Mouette« nahm keine Notiz von seiner Begrüßung. Erst als die »Mouette« ihr Bugspriet wendete unter dem Wehen der Tücher, dem donnernden Hurra der Menge und hinter den Felsen der Trinita in den blauen Wogen des tyrrhenischen Meeres verschwand, sank die weiße Flagge der Bourbonen, und die Farben des neuen Frankreich stiegen an der Gaffel des Dampfers empor.

»Adieu, Gaëta!«

Der Prinz hatte mit zusammengezogenen Brauen dem Schluß der Erzählung zugehört. »Ich danke Ihnen, Herr Graf,« sagte er, »was Sie da gesprochen, wird mit Flammenzügen in unser aller Herzen eingegraben bleiben. Sie kehren zurück in Ihr Vaterland, vielleicht kommt auch dort einmal die Zeit, wo die Fahne der legitimen Könige sich wieder erhebt; dann werden gewiß noch die meisten von denen, die sich unter den bourbonischen Lilien auf den Wällen Gaëtas scharten, und die jetzt bereit sind, den Kampf gegen den Usurpator in den Schluchten der Abruzzen fortzusetzen, auch jenseits der Alpen gegen einen anderen Usurpator stehen. Nicht die Waffen der Piemontesen sind es, die Neapel besiegten und Rom stürzen werden – die selbstsüchtige Politik Englands war es, und die Perfidie des Mannes, der den Thron Frankreichs einnimmt. Beides wird sich rächen!«

»Das wird es!« sprach eine tiefe Stimme. Es war das erste Mal, daß der Mann gesprochen, den der Prinz von Caserta als den Kapitän Grimaldi bezeichnet, und den, da er gegen das Licht des großen Fensters gekehrt stand, der Spanier nur undeutlich hatte sehen können. Es war ein Mann von hohem Wuchs, dessen Gesicht tief gebräunt war, wie von der Sonne eines heißeren Himmelsstrichs. Seine Züge zeigten kühnen und entschlossenen Ausdruck, aber tiefer Ernst, ja finstere Schwermut sprach aus ihnen. Grimaldi, dessen feste militärische Haltung trotz der bürgerlichen Kleidung nicht zu verkennen war, stand im Anfang der Vierziger, und doch war sein Haupthaar bereits leicht ergraut; nur der nach albanesischer oder orientalischer Sitte um die Mundwinkel herniederhängende Schnurrbart war dunkel und wohlgepflegt.

»England,« sagte er, »wird nie aufhören, das Recht der Völker und der Einzelnen zu verhöhnen und Treu und Glauben mit Füßen zu treten, wenn es seiner Herrschsucht und seinen Krämer-Interessen paßt. Was sind ihm Bündnisse und Verträge, geschworene Eide, wenn es gilt, einen Vorteil zu erringen. Aber der Rächer schläft nicht, und von Osten her wird er auferstehen und im Osten das stolze Albion an seinem innersten Nerv fassen, wie es schon einmal geschehen ist. Glauben Sie mir, Hoheit, die sizilianische Schwefel-Spekulation Englands wird ihm über kurz oder lang am Ganges vergolten werden,«

Der Spanier hatte mit Erstaunen auf den Mann gesehen, der gesprochen, und der jetzt im vollen Licht stand; er wollte eben einen Schritt auf ihn zu tun, als der Prinz ihn unterbrach.

»Nicht die Perfidie Englands allein ist es, ich wiederhole dies, sondern ebenso sehr die Doppelzüngigkeit des Napoleoniden. Die Freundschaft Frankreichs ist ein gefährliches Ding und wird schwer bezahlt! Wir büßen sie mit dem Thron des schönsten Landes der Welt; Gott allein hat gewollt, daß wir sie nicht auch mit dem Leben zahlten. Ich fürchte, Senor Conde, auch Ihr Spanien, die Königin Isabella, wird sie teuer bezahlen. Wir gehen mit Ehren in die Verbannung; aber, meine Herren, der Kaiser Napoleon möge sich hüten, es kann leicht kommen, daß sein Spiel mit fremden Kronen einen Märtyrer macht, dessen Blut ihn dort oben anklagt und die göttliche Nachsicht erschöpft, sodaß der Fluch ihn selbst zerschmettert, ihn und sein Geschlecht!«

Der Prinz wandte sich nach einer Pause zu Lerida. »Warum betrachten Sie Herrn Grimaldi so aufmerksam, ja erstaunt?«

»Wenn mich nicht die Kleidung dieses Herrn, und sonst einige Umstände irre machten, würde ich sagen, ich hätte bereits die Ehre, ihn zu kennen.«

»Da Sie Beide, wie ich gehört habe, ein reiches Leben hinter sich haben, in das wir ja meist erst eintreten, wäre es wohl möglich, daß Sie einander schon getroffen hätten. Wenn Sie sich nicht erinnern, wird vielleicht das Gedächtnis des Herrn Kapitäns aushelfen.«

Der Bezeichnete lächelte eigentümlich. »Ich habe die Ehre gehabt, den Herrn Grafen gleich beim Eintritt in das Zimmer Eurer Königlichen Hoheit wiederzuerkennen, obschon unsere Begegnung in Indien nur flüchtig war!«

»Bei dem Schatten meines Oheims! General Maldigri, der tapfere Wessir und Führer der Gortschura der Rani von Ihansi!« rief der Conte. Vgl. Retcliffe, Nena Sahib.

Der Jonier schüttelte seine Hand. »Es freut mich, Sie hier wieder zu sehen; ich hörte von Ihren tapferen Handlungen. Doch jene Titel und Namen sind dahin mit Jenen, die sie gegeben – ich bin nur der einfache Kapitän Grimaldi, als der ich vor fast zehn Jahren nach dem fernen Osten ging, die Feinde meines Vaterlandes am Ganges zu bekämpfen.«

»So ist die edle Rani auch ein Opfer jenes furchtbaren Krieges geworden?«

»Sie hat es vorgezogen, ehe sie sich in die Hände ihrer Todfeinde gab, den Flammentod, dem wir sie einst entrissen, unter den Trümmern ihres brechenden Palastes zu suchen. Zwei dunkle Schatten aus jenem Lande der Sonne haben meinen einsamen Weg zur Heimat begleitet.«

Der Jonier trat zurück und nahm seinen früheren Platz wieder ein; der Spanier wandte sich an den jüngeren Franzosen. »Kennen Sie vielleicht aus Paris einen Offizier Boulbon?«

»Boulbon? daß ich nicht wüßte! Der Name Boulbon ist allerdings bekannt – aber sein Träger längst tot und vergessen.«

»Ich vergaß, er führte noch einen anderen Namen: Kapitän Louis Clement, genannt Boulbon, so stellte man ihn mir bei dem Herrn Herzog von Gramont vor einer Stunde vor.«

»Clement? Louis Clement? o ja – ich erinnere mich eines jungen Mannes dieses Namens, der in Paris, von der Frau Marschallin Saint Arnaud protegiert, in vielen Gesellschaften verkehrte und, wenn ich nicht irre, im Stabe des General Montauban mit nach China ging.«

»Dann ist es derselbe. Der Herzog von Gramont behandelte ihn mit vieler Aufmerksamkeit und nannte ihn wiederholt Herr Graf.«

»So müßte er ein natürlicher Sohn des bekannten Abenteurers sein, der zur Zeit der Präsidentschaft nach Mexiko ging oder geschickt wurde und dort zu Grunde gegangen sein soll. Aber wie kommt der Leutnant Clement oder Boulbon hierher?«

»Er ist auf dem Weg nach Paris, von General Montauban mit den bei Palikao erbeuteten Fahnen und anderen Dingen geschickt, sie dem Kaiser zu überbringen. Da augenblicklich kein französischer Dampfer in Alessandria lag, hat er das größere Gepäck dort zurück gelassen, ist mit dem Lloyd nach Brindisi gegangen und macht zu Lande den Weg. Sie können ja, wenn Sie wirklich, wie ich vorhin hörte, nach Frankreich zurückwollen, statt mit uns noch einige Abenteuer in den Abruzzen zu versuchen, mit ihm zusammen reisen.«

»Das würde mir viel Vergnügen machen. Leider muß ich in der Tat Italien verlassen. Seine Majestät der König Franz wollten uns Franzosen, die wir das Glück hatten, bei der Kapitulation auf der Mouette der Kriegsgefangenschaft mit zu entwischen, wie ich Ihnen vorhin erzählte, nicht gestatten, uns als außer dieser Kapitulation stehend zu betrachten, und ich bin der Letzte von meinen Kameraden, welcher sich zurückzieht.«

»Die Reise-Gesellschaft wird Herrn Boulbon-Clement gewiß sehr angenehm sein, um so mehr, als er unterwegs – ich glaube an den Küsten des roten Meeres – einen seiner Begleiter, einen Offizier, Herrn de Thérouvigne, verloren hat.«

»Henri? Der lustige Henri von den Husaren? Ich hörte, daß er mit nach China kommandiert war. O, das ist schade! Wie ging es zu? das muß ich mir erzählen lassen!«

»Ich weiß es selbst nicht, ich sprach Kapitän Boulbon nur einige Augenblicke. Aber gestatten Sie mir, meine Herren, einen Vorschlag zu machen, mit Erlaubnis Seiner Königlichen Hoheit.«

»Sprechen Sie, Graf! Ich sehe dort den Herrn Marchese, der Sie einführte, von dem Pavillon meines Bruders kommen, und wir werden daher nur wenig Zeit haben.«

»Eben deshalb, Königliche Hoheit! – Wir haben uns durch Ihre gütige Erlaubnis hier so eigentümlich zusammengefunden, daß es schade wäre, uns sogleich nach den Audienzen ohne nähere Bekanntschaft wieder nach allen Richtungen zu zerstreuen. Darf ich, obschon der Letzte der Erschienenen, die Herren einladen, den Abend zusammen als meine Gäste zu verbringen?«

» Per Baccho, Conte! Das ist ein trefflicher Gedanke, den ich selbst hätte haben können. Ich gebe meine Einwilligung, aber nur unter der Bedingung, daß ich auch dabei sein darf.«

»Eure Königliche Hoheit würden uns damit eine große Ehre erweisen.«

»Ach was! Das Vergnügen ist auf meiner Seite. Abbé, Sie kommen doch auch?«

»Ich entziehe mich nie einer liebenswürdigen und interessanten Gesellschaft, wenn mich nicht höhere Pflichten abhalten!«

»Und Sie bringen Ihre neue Bekanntschaft, den kleinen Kapitän Boulbon mit?«

»Ich hoffe es, Königliche Hoheit!«

»Es dürfte mir kaum möglich sein,« wandte der Jonier ein.

»Unsinn, Kapitän! Sie dürfen sich dem nicht entziehen! Ich verspreche Ihnen, wir unterhalten uns da weiter wegen des russischen Gesandten, und ich werde bis dahin die Meinung Seiner Eminenz erfahren haben – wann und wo treffen wir uns?«

Der Graf von Lerida wollte die Gesellschaft in sein Hotel einladen, aber das paßte den meisten, die mit den römischen Sitten bereits mehr vertraut waren, nicht. Schließlich einigte man sich auf den naiven Vorschlag des Brigantenhäuptlings, der den Herren etwas ganz Besonderes und Originelles zu zeigen versprach, über eine Trattoria in der Nähe des Corso und man setzte die Zeit auf 7 Uhr fest.

Der Kammerherr vom Dienst öffnete die Tür. »Meine Herren, Se. Majestät haben soeben die Eminenz entlassen, die Herren Kapitän Grimaldi und Chévigné haben die ersten Nummern der Audienz.«

»Ich werde Sie begleiten, meine Herren,« sagte der Prinz. »Also es bleibt bei unserer Verabredung!«

Die Anwesenden verbeugten sich, die Aufgerufenen folgten dem Kammerherrn und dem Prinzen.

Der Spanier hatte sich dem Abbé genähert. »Können Sie mir sagen, Signor Abbate, ob Se. Eminenz – wenn mir recht ist, habe ich doch darunter Se. Eminenz den Kardinal-Staatssekretär Antonelli zu verstehen, seine Wohnung im Quirinal hat?«

»Seine Eminenz haben zwar ihren besonderen Palazzo in der Stadt,« antwortete der Angeredete mit der größten Bereitwilligkeit, »aber eine Dienstwohnung und die Bureaux im Quirinal, wo Se. Eminenz sich während des ganzen Tages aufhält und auch die Audienzen gibt.«

»Ich verstehe! aber es ist mir nicht um eine öffentliche Audienz zu tun, ich habe dem Herrn Cardinal eine private Mitteilung zu machen.«

Der Abbé sah ihn forschend an. »Darf ich ohne zudringlich zu erscheinen, fragen, ob sie von Wichtigkeit ist?«

»Ich habe Ursache, zu glauben, daß Seine Eminenz sie dafür halten werden.«

»Dann, mein Herr, werde ich die Ehre haben, Sie nach der Audienz bei Seiner Majestät zu erwarten.«

»Ich danke Ihnen, Signor Abbate, und da Sie so gefällig und – ich will meine Meinung offen sagen, – hier so einflußreich zu sein scheinen, frage ich Sie direkt: Kann ich dem König hier nützlich sein, und wie und wo?«

Der Abbate sah den Spanier mit vorsichtigem, klugem Blick an. »Es würde töricht sein, Ihnen nicht zu sagen, Senor Conde,« sprach er auf Spanisch, »daß wir bereits hier von Ihnen gehört haben. Es ist mir deshalb auch nicht eingefallen, in die Heiterkeit Seiner Königlichen Hoheit, des Grafen von Caserta, einzustimmen, als Sie sich vorhin einen Demokraten und Freimaurer nannten. In den geheimen Archiven des Vatikans gibt es ein Fascikel, das Seine Herrlichkeit, den verstorbenen Herrn Viscount von Heresford, betrifft.«

Lerida sah den klugen Priester lächelnd an. »Ich sehe, meine Physiognomik hat mich nicht getäuscht, und ich habe den rechten Mann gefunden. Offen gestanden, Signor Abbate, ich hoffe dem erwähnten Fascikel noch einige nicht uninteressante Blätter hinzuzufügen; denn ich habe viel von der Natur meines Oheims, nur pflege ich gewöhnlich Handschuhe anzuziehen, wenn ich mit dem sogenannten Volk, das heißt mit dem männlichen Teil desselben, mich einlasse, aber ich brauche einem Mann von Welt, wie Sie, nicht zu versichern, daß auf der anderen Seite nichts über eine hübsche, feste Plebejerin geht! Auch habe ich keine Ursache, mich, wie mein Oheim, mit der Kirche nicht gut zu stehen; nein, umgekehrt, mein Vater war immer ein guter Katholik, und das ketzerische Blut meiner Mutter zeigt sich nur in anderen Auswüchsen. Aber Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Das ist nicht so leicht, wie Sie denken, Senor Don Juan! Was die Brigantaggia betrifft, so haben wir allerdings einige ganz tüchtige Korps, die schon während der Belagerung sich wacker geschlagen und den Piemontesen Abbruch getan haben.«

»Bitte, informieren Sie mich, wenn wir noch Zeit haben!«

»Ich glaube wohl! Eben hat man Herrn Tristany und den französischen Conte zur Audienz abgerufen, und wir brauchen uns vor diesem würdigen Mann und, wie ich glaube, auch vor dem Herrn Offizier« – er wies auf den Briganten und den Deutschen, – »in der Behandlung des Gegenstandes nicht zu genieren. Es ist gut, wenn der Letztere ohnehin darüber informiert wird,« fuhr er, die Sprache wechselnd fort, »denn der Signor wird manche unangenehme Erfahrung in Betreff der Camarilla machen, die dem unglücklichen Fürstenpaar selbst hierher gefolgt ist, und die jedes energische und einmütige Handeln verhindert.«

Der Graf wiegte sinnend das Haupt. »Welchen Zauber muß die Treue da haben, wenn sie selbst solche Zustände überwindet und sich opfert, ohne die Aussicht auf Erfolg.«

Der Abbé schwieg. Was auch sollte der Priester, der nur das Eine kannte: die Zwecke seiner Kirche, sagen auf diesen Ausbruch eines anderen Gefühls!?

»Also, Signor Abbate! ich bitte um Ihre Information.«

»Da ist zunächst die Truppe unseres Freundes Tonelletto und des Kapitän Chevigné. Sie bestand anfangs aus Soldaten der päpstlichen Armee, die sich nach dem Unglückstag von Castelfidardo in die Berge geworfen hatten und den Krieg auf eigene Hand fortsetzten. – Aber ich denke, sie wird sich jetzt auflösen, da Kapitän Chevigné infolge seiner Gefangennahme sich gebunden glaubt, untätig zu bleiben, und Tonelletto sich mehr zwischen Rom und den Bergen bewegt, als für die Leitung einer eigenen Truppe gut ist. Wohin geht Ihr zunächst, Capitano?«

»Nach Civitella del Tronto! Der Prinz will, daß ich den Brief überbringe und mit dem Pater Dominikaner selbst rede.«

»Sie hören es, es ist also Nichts für Sie, Signor Conte. Oberst de Luvarahat in der Abruzzo ulteriore gegen 800 Mann, meist alte Soldaten, und bei ihm ist ein tapferer Deutscher, der Major Graf Kalkreuth, aber es ist in diesem Augenblick schwer, zu ihm zu gelangen. – In der Provinz Terra di Lavoro kommandiert Major Graf Christen, der von Gaëta aus nach dem Überfall von St. Agatha dahin kommandiert wurde. Unter ihm dient der Capitano Luigi Alonzo Chiavone, ein tüchtiger Gebirgsmann.«

»Ein Lump ist er!« brummte der Brigant, »ein eitler Narr und Feigling – per Baccho! Euer Ehrwürden werden wenig Freude daran erleben!«

Der Abbate lachte. »Sie müssen wissen, Signor Conte, es herrscht eine alte Feindschaft zwischen den Beiden. Die Truppe hat Tüchtiges geleistet, denn sie verteidigte unter Anderm unsern Bergflecken Bauco siegreich gegen eine volle piemontesische Brigade, die von Nora her über unsere Grenze gedrungen war. Wie die Sachen jetzt stehen, beabsichtigt der König mit dem Befehl zur Übergabe der Citadelle von Messina und der Civitella del Tronto Oberst Luvara und Graf Christen abzurufen, und es wird dann allerdings die Brigantaggia einen andern Charakter annehmen – das ist, worauf die Herren aufmerksam zu machen ich für Pflicht halte.«

»Soll das heißen, daß der Krieg nicht mehr im Namen Seiner Majestät des Königs Franz weiter geführt werden wird?« fragte der deutsche Offizier.

»O – gewiß! Seine Majestät haben das volle Recht, ihre Offiziere zu ernennen, – aber …«

»Bitte die Wahrheit, Signor Abbate!«

»Diese Offiziere führen den Krieg wohl im Namen des Königs, aber doch auf eigene Hand! Es hat sich bis jetzt eine einheitliche Leitung nicht erzielen lassen – General Tristany ist allerdings in diesem Augenblick hier, um mit dem Oberbefehl der Streitmacht Seiner Majestät in dem Königreich Neapel betraut zu werden, aber ich fürchte, er wird viele Schwierigkeiten finden, diesen Oberbefehl aufrecht zu erhalten.«

»Aber warum stellt sich Seine Majestät nicht selbst an die Spitze des Widerstandes in den Abruzzen? Warum sendet er nicht den Grafen von Caserta?«

Der Abbé zuckte die Achseln. »Seine Majestät haben zu traurige Erfahrungen gemacht mit dem Abfall Derer, auf deren Treue er gebaut hatte. Die Königin wollte es tun, und dieser wackere Mann ist hier, einen letzten Versuch zu machen, aber ich fürchte, Seine Eminenz der Herr Kardinal Staatssekretär haben eben dem König die Entscheidung des heiligen Vaters überbracht, daß die königliche Familie dann das Asyl in Rom aufgeben müsse.«

»Und warum?«

»Wir sind selbst in einer sehr prekären Lage, von der Habgier des Königs Victor Emanuel und seiner Minister bedroht, die auf jeden Vorwand lauern, sich der letzten Reste des päpstlichen Gebietes zu bemeistern. Ein solcher Vorwand würde aber die offene Unterstützung des Kampfes sein, – und dann kann dieser eben nur von hier aus geleitet werden. Für das, was im Geheimen geschieht, hat die Polizei der Regierung Seiner Heiligkeit keine Verantwortlichkeit – außerdem ist dafür die französische Schutzmacht da, diese mag es verhindern, so gut sie kann. Wir müssen uns den Rücken decken.«

Der Spanier lachte. »Signor Abbate, die Politik der heiligen Kirche bleibt immer die alte, das heißt, die der Hintertüren! – Der König Franz von Neapel ist nur ein neues Beispiel zu der Geschichte in Spanien, wo man es weder mit der Königin Isabella, noch mit dem Infanten Don Carlos verderben wollte. Hüten Sie sich, daß die römische Doppelzüngigkeit nicht einmal zu ihrem eigenen Verderben ausschlägt.«

Der Abbate richtete sich stolz empor. »Die heilige Kirche,« sagte er, »ist unfehlbar und tut immer das Rechte. Sie kann der blinden Auslegung der Laien trotzen. Aber,« fuhr er fort, und Stimme und Haltung sanken wieder zu der milden einschmeichelnden Süße herab, »Eure Herrlichkeit Senor Don Juan Lerida machen da der armen Kirche einen Vorwurf, der auch den Kämpfer der Legitimität, der zugleich Freimaurer und Revolutionär par excellence ist, nicht minder treffen würde.«

»Bravo, Signor Abbate, ich habe es gern, meine Klinge mit einem scharfen Gegenstoß zu kreuzen. Zum Dank müssen Sie mich heute abend in die gegenwärtige kleine Chronik der heiligen Stadt einweihen; ich meine nicht über die parente irgend eines der Herren Kardinäle – warum sollte ein so ehrwürdiges rottalartes Kirchenlicht nicht auch Verwandtinnen haben, wie jeder andere vom Weib geborne Mensch; aber die Anwesenheit der rotbehosten Herren von der Seine geht doch sicher nicht so spurlos vorüber, daß nicht einige kleine Anekdötchen von Marcheso R. oder der Principessa H. verlauten sollten! Ich habe in den hinterlassenen Papieren meines Oheims einige recht pikante Histörchen gefunden, und da die Nonnenklöster in Rom noch nicht aufgehoben sind …«

» Apage! apage!« rief der Abbate mit komischer Salbung. »Sie reden schrecklich ketzerisch, Signor Conte, und ich müßte Sie eigentlich dem heiligen Gericht denunzieren. Aber da kommt glücklicher Weise Seine Exzellenza, der Herr Kammerherr Ihrer Majestäten, Sie zur Audienz abzuholen, und ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn Sie bei so frevelhafter Gesinnung nicht reüssieren.«

»Aber trotz dieser Bußpredigt werden Sie mich erwarten?«

»Ich werde unterdeß die Erlaubnis nachsuchen!«

In der Tat wurden der Graf und der deutsche Offizier in diesem Augenblick zu der Audienz entboten.

Die beiden Herren hatten kaum das Zimmer verlassen, als die ganze glatte, joviale Haltung des Geistlichen sich änderte. Ein stolzer, ja fast drohender Blick folgte den Beiden. »Streiter der heiligen Kirche wollen sie sein, Kämpfer des legitimen Thrones und des Rechts, und sind doch nur Knechte ihrer Lüste und Leidenschaften, die ihr eigenes Ich verfolgen, ihre Wünsche und Zwecke. Dieser Mensch, der prahlt mit seinen Lastern und seinen Sünden, dem das Ich sein Gott und des Lebens Wollüste sein Glaube, ist freilich noch nicht einer der Schlimmsten und Gefährlichsten, aber auch er in seinem Hochmut, der spottend niedersieht auf den Priester, der ihm nur zum Spiel und Mittel dient, er soll dem Demütigsten und Niedrigsten zum Werkzeug werden für das große Werk der Verherrlichung und Allmacht der Kirche! Und wenn er es wagt, ihr zu widerstreben, sich loszureißen von dem Bande, das sie hält über Alle, – von dem frei sie zu fliegen denken über Länder und Meere, weil sie es nicht fühlen, weil es nicht sichtbar ist ihren blöden Augen! – wenn er es wagt, es zu zerreißen – dann soll er fallen in seinem Hochmut, wie sie Alle verderben mögen, die rütteln wollen an dem gewaltigen Bau der Kirche des Herrn!«

Die Worte waren gemurmelt, während er am Fenster stand und dem Manne nachschaute, dem sie galten. Dann wandte er sich zu dem Briganten, der gleichgültig am andern Ende des Zimmers lehnte und den Wölkchen seiner Zigarre nachsah.

»Komm hierher, Tonelletto,« sagte er, »ich weiß, Du bist ein treuer Sohn der Kirche und hast ihr schon wichtige Dienste geleistet.«

» Eh! warum sollte ich nicht? hab' ich doch einen Kardinal zum Vetter, und ich bin sicher, er hätte mich längst garottieren lassen trotz der Verwandtschaft, wenn ich nicht ein guter Soldat der Kirche geworden wäre.«

»Wir wissen es! und die Regierung Seiner Heiligkeit ist deshalb für manche andere kleine Sünden nachsichtig gewesen. Se. Eminenz will Dir sogar sehr wohl, wenn er auch nicht persönlich mit Dir zu verkehren liebt. Wie Du mir vertrautest, hast Du bereits in Gaëta versucht, den König und die Königin zu bewegen, sich an die Spitze der Freiwilligen in den Gebirgen zu stellen?«

»Ich tat es, und ich sage Ihnen, Signor Abbate, es ist noch meine Meinung, daß es das Vorteilhafteste gewesen wäre. Wir hätten die Civitella zum Stützpunkt gehabt, die jetzt so nichtswürdiger Weise den Piemontesen übergeben werden soll, und alle die wilden Burschen, die Sie heute sehen werden, hätten sich beeilt, dem König Franz zu gehorchen, statt daß sie jetzt, die heilige Jungfrau weiß, was, tun werden.«

»Die ich heute sehn werde? Was soll das heißen?«

»Sie erinnern sich, Signor Abbate, daß die Exzellenza's verabredet haben, sich in dem Café Constanza in der Via Condotti ein Rendez-vous zu geben.«

»Leider hat Seine Königliche Hoheit das Erscheinen selbst zugesagt. Man wird für ein besonderes Zimmer sorgen müssen.«

» Per Baccho! ich weiß Besseres! Wenn die Signori die Constanza bloß als Versammlungsort betrachten und mir erlauben wollen, sie in einer Bettole Weinhaus. meines Schlages, die nicht sehr entfernt davon liegt, zu bewirten, so stehe ich Ihnen dafür, daß ihre Exzellenz in nichts belästigt und auf das Diskreteste behandelt werden und dabei doch nach Belieben ganz interessante Bekanntschaften machen sollen.«

»Was verstehst Du darunter?«

» Eh – Nichts, Signore Abbate, als daß in einem der Zimmer, – es sind deren drei, Signore – eines für die allgemeinen Gäste, eines für mich und die Freunde der Brigantaggia und ein reservierter Raum für die vornehmen Herren, die auch zuweilen dahinkommen – in Geschäften! – also, daß in meinem Gemach eine Gesellschaft von Burschen versammelt sein wird, die dem König Vittore Emanuele, wenn es verlangt wird, den berüchtigten Knebelbart ausreißen oder die Engelsburg stürmen könnten.«

» Lente! lente! – Aber was sind das für Bursche?«

»Eh, Signore, sie sind aus den Provinzen und expreß hierher gekommen, um zu hören, welche Antwort mir Seine Majestät heute für mich und sie geben wird. Es sind sechs Bursche, fähig, den Teufel aus der Hölle zu schlagen und jeden Augenblick fertig, eine tüchtige Bande Briganti zu bilden, wenn auch – was ich gestehen muß, – nicht grade sehr für militärische Disziplin eingenommen.«

Der Abbate hatte nachsinnend mehrere Male mit dem Kopf genickt. »Es könnte passen. Ihre Namen?«

»Da ist erstens Cipriano, er heißt eigentlich Dalla Galla, aus der Gegend von Capua, eigentlich ein Halsabschneider, aber ein Kerl von unbestrittenem Mut; dann der Pilone, der schon jetzt eine kleine Bande auf dem Vesuvio hält, und einen Engländer oder einen neapolitanischen Bankier im Handumdrehen in die Berge entführt und seinen Freunden Nase, Ohren und Finger stückweise zuschickt, wenn sie zaudern, das Lösegeld zu zahlen. Dann Domenico Coja – wir nennen ihn Gentrilli aus dem Majenardi Gebirge in der Provinz Molise, und vor Allem Piccione Täubchen. – aus dem Abruzzo ulteriore, aber er ist eher ein Habicht als eine Taube. Auch hat Crocco-Donatello aus der Basilicata den Coppa Der Becher. gesandt, der eine berittene Bande bilden will. Corpo di Christi! ich verlasse mich lieber auf meine eigenen Beine. Den Sechsten kenne ich zwar nicht, aber er soll auf der Appischen Straße sein Wesen haben und den Rothosen arge Nasen drehen.«

Der Abbate hatte immer mehr überlegt. »Es ist gut, Capitano, wir werden kommen, aber sorge, daß dies unbemerkt geschehen kann. Wie heißt die Bettole?«

»Die Colombaia Taubenschlag.; sie liegt jenseits des Corso nach dem Tiber.«

»Ich habe davon sprechen hören; sie steht in schlimmem Ruf.«

»Nicht für ehrliche Leute, Signore, und der Wein ist vortrefflich.«

»Hast Du sonst noch Geschäfte?«

»Nur einen Besuch noch mit Kapitän Chevigné bei dem armen Irländer, der in dem Kloster der heiligen Rosalia durch den Schuft von Pinelli seine Schwester verloren hat. Der arme Mann, der sie erschossen, ist in unserer Gesellschaft.«

»Ich hörte von dem Ereignis. – Jetzt zu wichtigeren Aufträgen.«

»Ich erwarte Ihre Befehle, Riverenza!«

»Die heilige Kirche braucht Geld!«

»Wer, Riverenza, brauchte das nicht!«

»Schweig! Es ist eine bedeutende Summe, die auf dem gewöhnlichen Wege nicht erzielt werden kann, und doch ist es eine echte und gerechte Steuer, die dem Verrat und der Empörung gegen die Gesetze Gottes auferlegt werden soll.«

»Dann, Signore, je höher, je besser!«

»Sie betrifft zwei angesehene Namen, obschon sie von jenem verfluchten Volke abstammen, das den Heiland ans Kreuz schlug.«

»Ich begreife! Schufte von Juden!«

»Sie sind es nicht mehr dem Namen nach! Aber sie haben für den Preis der Befreiung aus dem Ghetto durch diesen künftigen König von Italien ihm die Mittel verschafft, dies zu werden. Ihre Strafe sei die Steuer, welche die heilige Kirche ihnen auferlegt.«

»Wie viel?«

»Vorläufig fünfzigtausend Scudi von Jedem. Was Du darüber erpressen kannst, magst Du zur Ausrüstung Deiner Truppe behalten.«

»Ich, Signore?«

»Du selbst! Das Consiglio dei Tre Vergl. Biarritz, I. Abteilung. Band 3. hat es befohlen, und ich habe den Auftrag erhalten. Dir die Mittel dazu an die Hand zu geben.«

»Das ist etwas Anderes, Signore; was das Consiglio dei Tre befiehlt, muß geschehen. Ich weiß, daß es mein Leben kosten würde, wenn ich nur mit einem Gedanken widerstrebte. Also haben Sie die Güte, mir zu sagen, was ich zu tun habe.«

»Zunächst – bist Du im Stande, zwei Personen so heimlich in irgend ein Versteck zu schaffen, daß sie spurlos verschwunden bleiben können?«

»Nichts leichter als das, Signore. Wir haben seiner Zeit unter dem Mascherato ganz andere Dinge ausgeführt.«

»Ich weiß, daß Du mit jenem Verfluchten zu tun gehabt hast, dessen Neffen wir heute die Hand drücken müssen. Indessen, erinnere Dich, daß Rom von französischen Posten besetzt ist und man selbst bei einem Mißlingen des Streiches glauben soll, er sei von den Republikanern ausgeführt.«

»Ich verstehe. Wer sind die beiden Personen?«

Der Abbate gab ihm einen Zettel, auf dem zwei Namen standen.

» Demonio – seh ich recht? Signore Abbate, das geht über meinen Witz und ich fürchte über meine Kraft! Der Fürst, der Bankier Seiner Heiligkeit selbst, und der Andere, wie ich zufällig weiß, der der französischen Gesandtschaft!«

»Eben dieselben!«

Der würdige Brigante kratzte sich hinter den Ohren. »Ich gestehe, Signor – das geht über meinen Verstand. Der Palazzo des Fürsten ist von einer solchen Schaar von Dienern gefüllt, daß es mehr als Wahnsinn ist, auch nur daran zu denken, ihn dort heraus zu holen. Und mit dem Andern hetzen wir uns die ganze französische Polizei auf den Hals.«

»Aus diesem Grunde muß sie gar keine Zeit haben, zu suchen. Die beiden ehrenwerten Herren müssen morgen früh wieder in ihren Betten oder mindestens in ihren Komtoiren sein und Du auf dem Weg ins Gebirge.«

»Das wäre recht schön; ich begreife nur nicht, wie es geschehen soll.«

»Kennst Du in der Stadt irgend ein sicheres Haus, das mit den kleinen Katakomben in Verbindung steht?«

»Mehr als zehn, Signore Abbate! Wenn Sie mich nicht verraten wollen an die Dogana Zoll, Zollbehörde. …«

»Sei nicht albern!«

»So würde ich Ihnen sagen, daß die Colombaia selbst auf einem der äußersten Ausläufer der kleinen Katakomben steht, der unter dem Fuß hinweg bis zu den Gewölben des Kastells und der alten Peterskirche gehn soll.«

»Sind in dem Hause, in dem die Spelunke sich befindet, Zimmer zu vermieten?«

»Eine ganze Etage, Riverenza, die der Wirtin gehört. Der Eingang zu dem Hause befindet sich auf der Fontanella, während die Bettole in einem Hinterhause der Seitenstraße liegt.«

»Desto besser. Und kann man von diesem Hinterhause nach jener Wohnung gelangen?«

»Ich glaube ganz bestimmt. Es wohnt in jenem Hause die englische oder amerikanische Dame, welche die Sposa des armen Irländers ist, dem man seine Schwester getötet hat, und ich war bereits zwei Mal bei ihr; das Haus gehört einer Witwe, welche Wohnungen vermietet und sie hat dieser Tage einen neapolitanischen Nobile an die Luft gesetzt, weil er ihr keine Miete zahlte.«

»Die Hausnummer?«

»Oh – Sie können nicht fehlen, Signore, das Haus liegt an der Leoncino, und es steht ein Bild der heiligen Jungfrau über der Tür.«

»Nun höre mich an. Die Gelegenheit paßt. Es ist heute eine Versammlung im Palazzo Borghese und die beiden Personen werden dort sein. Ich weiß das Mittel, sie zu dem Gange nach dem Hause in der Fontanella zu bewegen, und sie werden Schlag 10 Uhr dort sein. Bist Du ihnen persönlich bekannt?«

»Gott behüte, Signore!«

»Andernfalls hilft eine Maske. Kannst Du Dich auf einen Deiner Gefährten verlassen?«

»Wie auf mich selbst!«

»So verseht Euch mit ein Paar tüchtigen Knebeln und guten Stricken. Du wirst Deine letzten Instruktionen an Ort und Stelle erhalten. Ich werde Dir Deinen Posten anweisen. Jede der bezeichneten Personen wird besonders erscheinen, eine halbe Stunde später als die andere. Auf ein dreimaliges Händeklatschen tretet Ihr ein, und bleibt an der Tür stehen, bereit über den Mann herzufallen, wenn die Dame, die sich im Zimmer befindet, Euch das Zeichen dazu gibt. Die Sache muß ohne Lärm geschehen, und die Person sofort nach dem Versteck in der Katakombe gebracht werden, ohne daß man es merkt. Es muß Alles geschehen sein, ehe der Zweite kommt. Stellt die Person gutwillig die Wechsel aus, die Du fordern wirst, so wird sie ungekränkt entlassen.«

»Aber sie wird sich beeilen, die Wache zu rufen!«

»Sei ohne Sorge; es geschieht nicht. Nur dürft Ihr in Worten und Haltung nicht verraten, daß Ihr zu den Briganten des Königs gehört. Das wäre die eine Deiner Aufgaben.«

» Per Baccho, Signor Abbate, Sie sind nicht sparsam!«

»Die zweite ist nicht so dringend. Du wirst gehört haben, daß die Republikaner am 14. vorigen Monats bei der Ankunft des Königs allerlei Unfug getrieben haben, der zuletzt das Einschreiten der Franzosen nötig machte.«

» Si, Signore!«

»Sie sind schlau genug gewesen, die ganze Demonstration unseren guten Freunden in roten Hosen selbst in die Schuhe zu schieben und sich des Fraternisierens mit den Truppen zu rühmen, was leider nicht ohne Grund ist. Der Kaiser Napoleon hat darüber Herrn Guyon eine Nase gegeben und dieser eine Proklamation erlassen, in der er sich die Freundschaft der Republicanos verbittet und mit einer Vermehrung der Garnison droht, wenn die Exzesse sich wiederholen sollten. Nun würde dem heiligen Stuhl eine solche im gegenwärtigen Augenblick nicht unangenehm sein, denn das Treiben der Aufwiegler nimmt eine immer drohendere Gestalt an, und sie werden von Außen her in jeder Weise unterstützt. Ein kleiner Zusammenstoß und eine Beleidigung der französischen Truppen würde grade jetzt sehr nützlich sein.«

»Eine bloße Schlägerei?«

»Hm! es kann auf ein Paar Dolchstöße nicht ankommen, um so weniger, als die Herren Offiziere etwas allzudreist in die Familienverhältnisse der guten Römer sich mischen. Unsere Leute vertragen darin eine Portion, aber es gibt doch auch welche, die eifersüchtig sind und unter Anderem gehört dazu ein gewisser Signor Ruperti, der einer der ärgsten Schreier ist, aber nicht einmal weiß, daß während er allabendlich in den Klubs und Volksversammlungen das große Wort führt, ein junger Husaren-Offizier seiner Frau die Zeit vertreibt, und während der Mann zur Haustür hereingeht, über den Balkon verschwindet.«

»Und wo wohnt dieser republikanische Hörnerträger?«

»Nicht weit von dem Schauplatz Deiner anderen Abenteuer, in der Nähe der Santa Luigi in der Villa Seroja.«

» Optime!«

»Ich denke, die Antwort, die Du von Ihren Majestäten bekommen wirst, kann ich Dir im Voraus sagen. Ich muß jetzt zu Seiner Eminenz, aber jedenfalls erwarte mich, wenn Du von Deiner Audienz kommst.«

Der Abbate verließ durch eine Seitentür das Gemach, in dem jetzt mit seinen Gedanken beschäftigt der Brigante allein zurückblieb.

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Don Juan und der noch sehr junge deutsche Offizier waren von dem Kammerherrn vom Dienst durch den Garten zu dem Pavillon des Königs geleitet worden. Der Palazzo-Quirinale ist ein gewaltiger Bau, der über tausend Gemächer und Säle zählt, der Garten weit und prächtig, mit uralten Baumgruppen, langen, schattigen Gängen von Buchsbaum und Epheuwänden, Wasserkünsten, Grotten und Statuen. Die junge Königin hielt sich in ihrem Exil hier am Liebsten auf, war doch hier Licht und frische Luft, statt der dumpfen Gewölbe der Kasematten, in denen sie so lange dem Tode und jeder Not hatte trotzen müssen. Freilich – ihr Palazzo Reale mit dem Blick über den prächtigsten Golf der Erde, ihr herrliches Sorrent oder das königliche Caserta – selbst die schönen Stätten der Jugend, die ernste und doch so heitere Majestät der Alpentäler! – ach – wie anders war es hier in der ewigen Stadt! Sie hatten bald den Pavillon erreicht, der sonst zu den Audienzen des heiligen Vaters, jetzt zu denen des entthronten königlichen Paares diente. Am Eingang kamen ihnen die beiden Franzosen und der neapolitanische General entgegen.

»Es ist vergeblich,« zürnte der Letztere, »jede Energie scheint mit dem Fall dieser Festung begraben und erloschen. Was nützt es, daß der König mich zum Oberbefehlshaber in den occupierten Provinzen ernannt hat, wenn er den Krieg bloß in seinem Auftrag führen lassen, wenn er sich nicht selbst an die Spitze stellen will! Es ist nicht bloß mit einem wenn auch noch so heldenmütigen Dulden einer Belagerung getan; ein Monarch, der sein Recht behaupten will, muß auch ein Mann der Tat sein. Und das ist es, was dem unglücklichen und sonst so liebenswürdigen Geschlecht der Bourbonen immer gefehlt hat. Glaubt der König sich durch politische Rücksichten oder den Wortlaut der Kapitulation, der doch gar nicht von seiner Person spricht, gebunden, nun, so möge er überhaupt den Kampf für die Wiedereroberung seines Reichs bis auf eine günstigere Zeit verschieben – in diesem kleinen Gebirgskriege verzetteln wir unsere Kräfte und werden wirklich früher oder später zu Briganten werden. – Denken Sie an meine Worte! Diese intriguante und feige Gesellschaft, die sich jetzt wieder um ihn gesammelt hat, und deren Habsucht an das Mitgefühl Europas spekuliert, wird ihn schließlich auch in Rom im Stich lassen, wie sie es in Gaëta getan, wenn er erst ausgepreßt ist wie eine Zitrone. Addio, meine Herren – ich will wünschen, daß ich mich irre, aber ich fürchte, es wird kommen, wie ich voraus gesagt. Wenn ich kann, suche ich Sie diesen abend auf. Für Sie, Signor Riccardo, habe ich wenigstens ein Kapitäns-Patent erreicht, die Kompagnie müssen Sie sich selber schaffen. Sie sollen mit dem Spitzbuben Chiavone am Lago Fucino operieren.«

Der General ging, nachdem er den Anderen die Hand gedrückt, ärgerlich davon.

Dem Enthusiasmus der jüngeren Offiziere und Parteigänger konnte freilich die Erfahrung und Voraussicht des älteren Mannes nicht behagen, sie bestanden auf ihren Hoffnungen und trauten ihrem Mut und Eifer unmögliche Erfolge zu.

Als die Reihe der Audienz an den Grafen von Lerida kam, wurde er in das runde Gemach geführt, in dem sich der König und die Königin befand, letztere in Gesellschaft ihrer treuen und aufopfernden Freundin, der Gräfin Jurien de la Gravière, die mehr als einmal während der Belagerung von Terracina in einer Barke nach der Festung gekommen war, um den armen Kranken in den Spitälern Erfrischungen zu bringen.

Auch der junge Graf von Caserta befand sich noch bei den Majestäten und übernahm sogleich die Vorstellung des Spaniers.

Der König reichte ihm sehr freundlich die Hand. »Man hat mir gesagt, daß Sie ein treuer Anhänger des Hauses Bourbon und hierher gekommen sind, weil in diesem Augenblick mein Vetter in London nach den traurigen Schlägen, die seine Familie in Triest getroffen haben, wohl kaum in der Lage sein wird, von Ihren Diensten Gebrauch zu machen. Ich gestehe sogar, daß diese Pause des nun schon so lange währenden Kampfes in Spanien mir nicht unlieb ist, da ich auch der Königin Isabella für ihre Unterstützung Dank schuldig bin. Ich wünschte in der Tat, es ließe sich ein Weg der Vermittelung finden.«

»Ich darf Euer Majestät gestehn, daß dies der Wunsch der meisten Spanier ist, um so mehr, als die Zahl der Prätendenten sich mehrt.«

Der König sah ihn erstaunt an. »Wie meinen Sie dies, Signor Conte?«

»Es sind vorläufig nur Gerüchte, Majestät. Euer Majestät hoffte ich noch in Gaëta zu finden, und ich kenne die Mannschaft der beiden Schiffe, die ich zu kommandieren die Ehre habe, genug, um überzeugt zu sein, daß keine Blokade mich gehindert haben würde, zu Eurer Majestät zu gelangen.«

»Es ist vielleicht besser so, und ich bin Ihnen ebenso dankbar. Mein Bruder sagte mir bereits von Ihrem freundlichen Anerbieten, und es verdient dies um so größere Aufmerksamkeit, als es uns in diesem Augenblick grade an allen Transportmitteln zur See fehlt und die französischen und sardinischen Kreuzer allen Verkehr hindern.

»Sire, die englische Flagge deckt unsere Ladung.«

Der König lächelte. »Ich höre, daß Sie halb Engländer, halb Spanier sind. Indes hat das Kabinet von St. James so perfid an mir gehandelt, daß ich keine Rücksicht zu nehmen brauche. Welches sind diese Schiffe und wo ankern sie?«

»Meine Yacht Victory in Civita Vecciha, der Schooner San Martino augenblicklich noch an der spanischen Küste.«

»Sie werden durch General Clary weiteres hören, einstweilen erlauben Sie mir, Ihnen meinen Dank für Ihren Besuch zu sagen und Sie der Königin vorzustellen.«

Die Königin saß mit der Freundin an einem Tisch, auf dem die Adresse der Münchener Damen und der am Tage vorher durch einen besonderen Abgesandten ihr überbrachte goldene Lorbeerkranz mit der Widmung deutscher Fürstinnen ruhte.

Das Aussehen der jungen Königin war noch sehr leidend. Nur wenige wußten ja, was unter den Trümmern der so heldenmütig verteidigten Veste für sie begraben lag, aber dennoch schien diese sinnige Gabe ihrer deutschen Schwestern einen tiefen und stärkenden Eindruck auf sie gemacht zu haben, und ihre Augen ruhten mit einem gewissen Stolz auf den 34 goldenen Blättern, welche die Namen der edlen Spenderinnen trugen, während auf der Schleife in blauer Emaille der Name » Gaëta« zu lesen war.

So leichtfertig der spanische Abenteurer auch war und dachte, so wenig Empfänglichkeit er auch für wahre Frauenwürde haben mochte, und obschon seine Sympathien bisher nur den körperlich schönen und die Sinnlichkeit reizenden Frauen gegolten, vor der ruhigen Würde und Trauer dieser jugendlichen Königin fühlte er sich doch gebeugt und ergriffen, und das ritterliche Blut seiner Vorfahren wallte hoch in seinen Adern, als er sich auf die zarte kleine Hand niederbeugte, die sie ihm zum Kusse reichte.

»Wir haben der ergebenen Freunde so wenige,« sagte freundlich die Königin, »daß wir denen, die uns in unserm Unglück aufsuchen, um so dankbarer sein müssen. Möge es Ihnen niemals an wahren Freunden fehlen, Herr Graf.«

Der Spanier hatte sich erhoben, er sah an dem huldvollen Zeichen der Königin, daß die Audienz zu Ende war, und verließ, von dem Grafen Caserta bis zum Ausgang begleitet, den Pavillon. Draußen im Garten begegnete ihm bereits der Briganten-Kapitän, mit dem er nochmals das Rendez-vous für den Abend verabredete, worauf er sich beeilte, den Abbate aufzusuchen.

»Seine Eminenz,« sagte der Abbé, »obschon sehr beschäftigt, haben mir befohlen, Eure Herrlichkeit ihm zuzuführen. Darf ich bitten, mir zu folgen!«

Es blieb dem Grafen nicht verborgen, daß der junge Geistliche ihm seinen englischen Titel gab, und er beschloß, eine entsprechende Haltung anzunehmen. »Ich werde Seine Eminenz hoffentlich nicht lange aufhalten, da ich vor unserem Rendez-vous heute Abend, von dem ich mir übrigens viel Unterhaltung verspreche, noch den Circus Caracalla besuchen will, der, wie ich gehört habe, der Schauplatz einiger Abenteuer meines verstorbenen Onkels gewesen ist.«

Der Abbate verneigte sich lächelnd. »Signor Mascherator ist noch in dem Andenken vieler. Schade, daß man damals nicht wissen konnte, welcher vornehme Herr sich unter dieser Maske verborgen hatte.«

»Ei, wir wollen heute Abend den Kapitän Tonelletto etwas plaudern machen. Ich liebe es gleichfalls, mich zuweilen unter Spitzbuben und Gurgelabschneidern zu amüsieren.«

»Euer Herrlichkeit Geschmack soll aufs Beste befriedigt werden, der Kapitän hat mir eine recht hübsche Galerie versprochen.«

Sie waren jetzt an den Gemächern des Kardinals, und der Abbate bat den Kavalier, einige Augenblicke in einem zu einer Art Kanzlei dienenden Vorzimmer zu warten, in dem mehrere Personen in geistlichem Gewande mit Schreiben beschäftigt waren, kehrte aber sogleich zurück und führte den Grafen durch ein zweites leeres Zimmer in das Bureau des Kardinals.

Dies war ein ziemlich großes Zimmer und schien nach dem Arrangement der Möbel zu den gewöhnlichen geschäftlichen Audienzen des Staatsmannes zu dienen, der seit vierzehn Jahren die weltliche Politik des Kirchenstaates leitete.

Der damalige Kardinal-Diacon Giacomo Antonelli war am 2. April 1806 in Sonnino bei Terracina geboren, war also fünfundfünfzig Jahre. Er war schon einer der Günstlinge Gregor XVI. und bereits 1845 päpstlicher Finanzminister. Anfangs, wie sein nachheriger Gebieter Pius IX., der ihn 1847 rum Kardinal erhob, liberalen Ideen und Reformen zugetan, wurde er bald ihr entschiedener Gegner und veranlaßte den Papst, auf den er so großen Einfluß übte, daß ihn die Italiener nach der Rückkehr von Gaëta (1850) den »roten Papst« nannten, zu all den harten und strengen Maßregeln in Kirche und Justiz, welche die päpstliche Herrschaft bald so unbeliebt machten und die sehr viel zu den politischen Umwälzungen im Lande beigetragen haben. Kardinal Antonelli ist übrigens noch heute ein entschiedener Gegner des französischen Einflusses, der schon wiederholt Anstrengungen machte, ihn von den Staatsgeschäften zu verdrängen, und auch keineswegs ein besonderer Gönner der Jesuiten-Partei.

Der Kardinal, ein Mann von etwas massiven Gesichtszügen und unter großer Geschmeidigkeit eine zähe kalte Willenskraft bergend, stand mit der Hand leicht auf einen Tisch gelehnt, der mit verschiedenen Papieren bedeckt war, als der Kavalier zu ihm eingeführt wurde, und erwiderte höflich aber etwas kühl dessen Verbeugung.

»Eure Herrlichkeit erweisen mir die Ehre, mich zu besuchen und es wird mich freuen, wenn ich die Macht haben sollte, Ihnen einen Dienst zu erweisen. Ich bitte Eure Herrlichkeit, Platz zu nehmen.«

Er wies nach einem Sessel. »Verzeihen Euer Eminenz, daß ich mich beeile, einen Irrtum zu berichtigen. Ich bin Spanier von Geburt und Namen und nur in England von meinem Oheim, dem Viscount von Heresford, erzogen, dessen Titel mein Vetter geerbt hat.«

»Man hatte mir gesagt, daß Ihre Besitzungen in England lägen.«

»In der heutigen Zeit der Umwälzungen ist der Besitz sehr unsicher, und mein Oheim ist so vorsichtig gewesen, mir ihn an verschiedenen Stellen zu hinterlassen, zum Beispiel in Biscaya, in Piemont und allerdings auch in England. Gegenwärtig muß ich freilich als Engländer auftreten, da man mich aus Spanien verbannt hat.«

»Verbannt?«

»Als Karlist, und als solcher habe ich es gewagt. Euer Eminenz meine Aufwartung zu machen.«

»Seine Heiligkeit hat in diesem Augenblick allerdings nicht besondere Ursache, mit dem Ministerium der Königin Isabella sehr zufrieden zu sein.«

»Aus diesem Grunde hatte ich auch Gelegenheit genommen, jenes Codicill des verstorbenen Königs Ferdinand XII. zu stehlen, welches das Thronfolgerecht der Königin Isabella wieder aufhob, und dessen Duplikat, wie Euer Eminenz nicht unbekannt sein wird, sich in dem geheimen Archiv des Vaticans befinden muß.«

Trotz seiner großen Selbstbeherrschung konnte der Kardinal eine Geberde der Überraschung bei diesem ungenierten Geständnis nicht unterdrücken. »Ich muß sagen, Signor Conte, ich verstehe Sie nicht!«

»Nehmen Euer Eminenz an meiner Offenherzigkeit keinen Anstoß. Ich wiederhole Ihnen, ich hatte versucht, im Interesse meines königlichen Freundes und Namensvetters, des Infanten Don Juan Carlos, des jetzigen rechtmäßigen Königs von Spanien – wenn – doch davon später! – das letzte Testament des Königs Ferdinand zu stehlen, das in Gegenwart des Kardinal Bernini in der Nacht vom 28. zum 29. September 1833 ausgenommen worden ist, und dessen Duplikat im Vatikan verwahrt sein muß!«

»Aber, Signor, was reden Sie – ein solches Geheimnis, wenn …«

»Ist eben kein Geheimnis mehr, und das eben ist's, wovon ich Eure Eminenz in Kenntnis setzen wollte!«

Der Kardinal sah ihn erstaunt an und suchte sich zu fassen. »Ihr Oheim, Herr Graf,« sagte er endlich, »liebte es, Excentricitäten zu begehen – grade nicht sehr zu unserem Behagen, und ich muß annehmen, daß sein Neffe diese Neigung geerbt hat. Wenn wirklich etwas Wahres an Ihrer Selbstanklage ist …«

»Ich bitte, glauben Exzellenz jedes Wort davon …«

»Aber ein Diebstahl …«

»Eminenz, eine Krone stiehlt man nicht! Das einzig Törichte an der sonst vortrefflich eingeleiteten Geschichte war nur, daß ich mich habe erwischen lassen. Da weder der Herr Erzbischof von St. Jago de Cuba, noch die fromme Schwester Patrocinio dabei gewesen sind, so wäre es allerdings möglich, daß die Nachricht davon Eurer Eminenz noch nicht zu Ohren gekommen ist, und in dieser Annahme eben habe ich mir erlaubt, Euer Eminenz zu behelligen, um Ihnen zu sagen, daß Ihre Majestät die Königin Isabella und der Herr Marschall O'Donnell, der die größte Lust hatte, mich erschießen zu lassen, den Inhalt des Testamentes jetzt kennen, aber darüber durchaus keine Besorgnis zu empfinden scheinen.«

Der Kardinal biß sich auf die Lippen.

»Das würde allerdings die Depesche von heute Morgen erklären. Darf ich fragen, Signor Conte, wann Ihre angebliche Entdeckung geschah?«

»Am 23. Februar. Die Königin war so gnädig, aus Gründen, die sie wohl am besten kennen mag, mich einfach aus Spanien fortzujagen, was mir auf die Dauer freilich nicht konvenieren kann. Ich habe daher ein anderes Mittel zur Hand, das ihr vielleicht mehr Besorgnis einflößen könnte, aber freilich auch den armen Infanten, oder vielmehr den König Don Carlos etwas tangieren möchte. – Da ich aber nur ein einfacher Privatmann bin, so habe ich mich entschlossen, es lieber in die weiter reichende Hand der Kirche niederzulegen, die davon nach ihrer Weisheit Gebrauch machen kann.«

»Sie sprechen in Rätseln …«

»Eigentlich geschieht dies – ehrlich gesprochen, – weil die heilige Kirche bereits das beste Stück dieses Geheimnisses in der Hand hat, wenn nicht …«

»Nun?«

»Wenn die Prinzessin Giuliana von Spanien nicht bereits das Zeitliche gesegnet hat.«

Diesmal zeigte das Erstaunen, der Schrecken des Kardinals sich ganz offen, und er erhob sich hastig von seinem Sessel.

»Signor Conte …«

»Beruhigen sich Euer Eminenz, ich bringe nur die Mutter, eigentlich meine Tante, und wollte mich bei Euer Eminenz erkundigen, ob Sie mir nichts von der Tochter sagen können, damit wir sie nötigenfalls zur Königin von Spanien machen!«

»Signor, das geht zu weit! Rede ich mit einem Tollen? Respektieren Sie wenigstens meine kirchliche Würde!«

Der Graf hatte sich gleichfalls erhoben. »Ich glaubte, Euer Eminenz einen Dienst zu erweisen und bedauere, mich geirrt zu haben. Ich weiß nicht, ob der König Ferdinand von der heiligen Kirche wirklich von seiner zweiten Gemahlin, der unglücklichen Estella Prim, geschieden worden ist. Die Königin Christine wäre ja sonst eine Kebsfrau und die Königin Isabella ein Bankert; aber es würde der armen Frau wenig nützen, da ich sie als Wahnsinnige in den Kerkern der frommen Salesianerinnen an die Wand geschmiedet zurückließ, als ich meine Tante, ihre Infantin Tochter, dort stahl …«

»Sie stahlen …«

»Eigentlich paßt der Ausdruck nicht, ich ließ sie nur befreien, und sie befindet sich gegenwärtig bei mir. Aber, da sie behauptet, eine Tochter zu haben, die ihr von der Inquisition in Sevilla entrissen sein soll, so glaubte ich, bei Euer Eminenz am ersten eine sichere Auskunft über diese neue Cousine erhalten zu können.«

»Signor Conte,« sagte der Kardinal mit ruhigem Spott, »ich glaube in der Tat, daß Sie irre reden, oder daß Sie sich von einer gewandten Abenteurerin haben täuschen lassen. Ich zweifle nicht, daß der Viscount, Ihr Oheim, verschiedene Kinder in die Welt gesetzt hat, aber was diese mit der Königlichen Familie von Spanien zu tun haben sollen, begreife ich nicht.«

»Ich habe mich nur darin getäuscht,« sagte der Graf kalt, »daß ich Euer Eminenz in das Geheimnis eingeweiht glaubte. Daß die Tochter von Estella Prim und dem König Ferdinand, die Infantin Henrietta Bourbon mit meinem Oheim, dem Viscount von Heresford, kirchlich getraut worden, weiß ich, und der Trauschein ist seit kurzem in meinem Besitz, und hier …«

»Geben Sie!« Der Kardinal streckte hastig die Hand danach aus. »Es ist, versteht sich, nur die Abschrift,« sagte jener mit leichtem Spott, das Papier überreichend, »das Original ist in sicherer Verwahrung, und meine Tante, die Infantin Henrietta, hat zufällig sogar einen der Zeugen ihrer Trauung gefunden, den Kapitän Diaz Cavalho …«

Der Kardinal, der das Papier aufgeschlagen und gelesen hatte, hob den Kopf … »Diaz Cavalho …?«

»Auch Don Rosario Gusmann genannt, ein spanischer Kavalier, den ich gleichfalls das Glück hatte, an jenem Abend dem Transport auf die Galeeren oder an irgend einen andern Ort zu entreißen, wo man ihn im Geheimen verschwinden lassen konnte. Euer Eminenz sehen wenigstens, daß ich nicht ohne einige Berechnung mein Gesuch vorbrachte, und da Euer Eminenz die Angelegenheit unbekannt ist, so bitte ich um Verzeihung für meine Dreistigkeit und empfehle mich Euer Eminenz Gnade und Segen.«

Er machte eine tiefe Verbeugung und schritt rückwärts nach der Tür.

Der Kardinal hatte einige Schritte auf und nieder getan, jetzt wandte er sich nach dem Kavalier.

»Bleiben Sie!«

Der Graf trat näher.

»Nehmen Sie Platz – ich bitte.«

Ein leichtes Lächeln glitt über das Gesicht des Abenteurers, als er den früheren Sitz wieder einnahm.

»Ich erwarte die Befehle Eurer Eminenz!«

»Wollen Sie mir dieses Papier, die Abschrift des Trauscheins, überlassen, Herr Graf?«

»Mit Vergnügen!«

»Darf ich fragen, wo diese Dame, die Sie unter Ihren Schutz genommen, sich gegenwärtig befindet?«

»Unter dem Schutz der englischen Flagge, an Bord meiner Yacht im Hafen von Civita vecchia.«

»Und – darf ich fragen, was Sie mit ihr beabsichtigen?«

»Sie nach England zu bringen, da der heilige Stuhl sie nicht in seine Protektion nehmen will. Ich glaube, es wird Lord Palmerston nicht unlieb sein, ihre Ansprüche unter seinen Schutz zu nehmen und der Königin Isabella damit einige Verlegenheiten zu bereiten.«

»Signor Conte,« sagte der Kardinal, »ich kann Ihnen in dieser Sache keine Zusage machen, da ich mich natürlich erst über die Angelegenheit noch informieren muß, aber ich glaube. Sie werden gut tun, den Beschluß der Kirche erst abzuwarten, bevor Sie die Angelegenheit in die Hände einer ketzerischen Regierung legen. Erlauben Sie mir aber, noch eine andere Frage an Sie zu richten.«

»Ich stehe Euer Eminenz zu Diensten.«

»Sie nannten den Namen Cavalho, und ich finde ihn auch hier auf diesem Papier. Der Name ist mir nicht unbekannt. Können Sie mir Auskunft über denselben geben?«

»Die Cavalhos oder Gusmans,« sagte der Graf, eigentümlich angeregt von dieser Frage des Kirchenfürsten, »gehören zu den besten und ältesten Familien Spaniens, wenn Sie auch keine Granden sind. Die Person, die hier in Frage kommt, ist, wie ich gehört, der letzte Sproß des alten und reichen Geschlechts und diente im Kriege mit Don Carlos als Offizier unter den Christinos unter Narvaez und Esspartero. Ich bin ihm aus jener Zeit wenig Dank schuldig.«

»Wieso?«

»Weil er das Excekutionskommando kommandierte, das meinen in die Hände der Christinos gefallenen Vater – erschießen mußte.«

»Aber wie kamen Sie in Berührung mit ihm?«

»Der Leutnant Diaz Cavalho scheint später – wenigstens unter der Königin Isabella, obschon ich weiß, daß sie seinen Namen gar nicht kennt, in Ungnade bei den Machthabern gekommen und schweren Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein, deren Ursache ich nicht kenne. Er wurde auf der Flucht nach Frankreich oder später bei irgend einer Gelegenheit gefangen genommen, durch verschiedene Kerker umhergeschleppt und war eben im Begriff, lebenslänglich auf die Galeeren gebracht zu werden unter dem Namen eines Don Rosario Gusman, als ich durch Zufall ihn unter anderen mir näher stehenden Freunden aus den Händen der spanischen Justiz befreite, und ihn nach Marsaille brachte, von wo er sich nach Paris und London begeben wollte, soviel ich weiß, um sich dort nach seinem, auf etwas romantische Weise ihm wiedergewonnenen Vermögen umzusehen.«

»Sodaß er jetzt also sich in Paris befindet?«

»Verzeihen Eure Eminenz! aber es ist ein seltsamer Umstand dabei. Man hat Don Rosario Gusman, wie er sich jetzt nennt, die Landung in Frankreich verweigert, angeblich auf Requisition der spanischen Behörden. Die Telegraphen sind ein großes Übel.«

»Sodaß er jetzt …«

»Sich entschlossen hat, auf dem Landweg über Italien nach London und Paris zu gehen und ich zu meinem großen Bedauern ihn an Bord meiner Yacht mitnehmen mußte.«

»Und wo ist er? Hier in Rom?«

»Er befindet sich an Bord der Victory zum Schutz der Infantin Henrietta, die – ihre Tochter sucht!«

»In der Tat, Signor Conte,« sagte der Minister nach einigem Nachdenken, »Sie sind ein seltsamer Mann, dem die Abenteuer gleichsam zufliegen. Liegt Ihnen viel an diesem Senor Gusman oder Cavalho?«

»Gott bewahre, Eminenz, Sie wissen ja, daß er meinen Erzeuger erschießen ließ, an den ich zwar keine Erinnerungen habe, den ich aber doch verpflichtet bin zu lieben und zu ehren!«

»Wollen Sie mir gestatten, – denn ich gestehe Ihnen allerdings, daß die Angelegenheit der angeblichen geheimen Heirat des König Ferdinand mein Interesse erregt hat, eine vertraute Person, zum Beispiel den Abbate Calvati zu einer vertraulichen Unterredung mit der Dame an Bord Ihres Schiffes zu senden, damit ich dem näheren Bericht gemäß, den er mir erstatten wird, handeln kann?«

»Mit Vergnügen, Eminenz!«

Der Kardinal erhob sich und reichte dem Kavalier die Hand zum Kuß. »Dann empfangen Sie vorläufig meinen besten Dank. Man hat mir gesagt, daß Sie sich der Brigantaggia des König Franz anschließen wollen. Nehmen Sie zum Dank die Warnung, sich nicht unnütz zu exponieren. Die päpstliche Regierung kann natürlich nicht anders, als ihrem treuen Bundesgenossen, dem König Franz, in seinem Unglück Gastfreundschaft und allen ihr möglichen Beistand gewähren, soweit letzteres, ohne uns noch mehr zu kompromittieren, geschehen kann, da sein Feind auch der unsere ist; aber ich fürchte, daß ein solcher Guerillakrieg nur wenig materiellen Erfolg haben wird, wenn sich nicht eine der europäischen Großmächte der Sache des Königs von Neapel besser als bisher annehmen will.«

Der spanische Abenteurer küßte anscheinend sehr ehrerbietig die Hand des Kirchenfürsten und verließ das Audienzzimmer, aus dessen Vorgemach ihn der Abbé Calvati zurück nach dem Haupteingang geleitete.

Der Kardinal war kaum allein, als er in tiefem Sinnen stehen blieb.

»Ein Teufelsbursche – in was mischt er sich alles!« murmelte er. »Die spanische Geschichte ist Unsinn, höchstens für Skandal in der englischen und französischen Presse gut und um der Königin Isabella Geld abzuzwingen. Selbst wenn der verstorbene König nicht so vorsichtig gewesen wäre, seine geheime Ehe mit Estella Prim durch Papst Pius VII. kirchlich trennen zu lassen, ehe er sich 1816 mit der Prinzessin Maria Isabella Franziska von Portugal vermählte, was ihm damals doch so leicht gewesen wäre, so bliebe die Descendenz ohne jede Erbfolge-Berechtigung, da die Frau nicht ebenbürtig aus souveräner Familie war. Es ist also Torheit, darauf Ansprüche zu gründen, obschon man sie oder den Skandal gefürchtet zu haben scheint, wie die Einkerkerung dieser Frauen beweisen mag. Die Herren Jesuiten werden mit diesem Geheimnis, das man ihnen jetzt entrissen, keine großen Geschäfte machen und ich gönne ihnen den gehässigen Lärm für die Perfidie in Betreff des Testamentes; denn sicher haben sie sofort durch die Königin von dem Diebstahl des Duplikats erfahren, ohne daß ich bis jetzt davon unterrichtet war.«

Wiederum dachte der Prälat einige Augenblicke nach; dann fuhr er in seinem Selbstgespräch fort:

»Die Sache selbst ist schon wichtiger; in der Drohung mit dem geheimen Testament hielten wir die Königin in Schach, die zuweilen gewisse Anwandlungen zeigt, sich der Herrschaft des päpstlichen Stuhls zu emanzipieren. Nachdem der Inhalt bekannt geworden, kann man sich nicht mehr darauf stützen, und wir müssen in Spanien die Augen offen halten, denn die liberale Partei regt sich immer mehr. Vielleicht kann man dem Marschall O'Donnel ein Kompliment machen durch eine Anstellung seines Verwandten in der päpstlichen Armee. Ich werde mit Merode sprechen.

Aber jetzt zum Wichtigsten. Diese Nachricht ist nicht mit Geld zu bezahlen! Der Mann existiert also noch, und die Andeutungen, die uns früher darüber wurden, gewinnen nun Bedeutung. Ich erstaune in der Tat, daß man ihn so lange spurlos verschwinden lassen konnte. Ob die Jesuiten damit zu tun hatten? Doch nein – es ist nicht anzunehmen, längst würden sie darauf ihren Einfluß in Frankreich zu gründen versucht haben. Jetzt gilt es vor allem, die Person in unsere eigenen Hände zu bringen und uns dienstbar zu machen, ohne daß diese Spürhunde etwas davon erfahren! – Zunächst das minder Wichtige – das ist Sache Calvatis.«

Er schlug mit einem kleinen Stahlhammer auf eine Glocke, worauf aus der Kanzlei sofort ein Geistlicher erschien.

»Ist Abbate Calvati dort?«

»Der Herr Abbate ist eben aus den Zimmern Seiner Majestät zurückgekommen und wartet.«

»Laß ihn kommen!«

Gleich darauf trat der Abbate ein.

»Ein origineller Besuch, den Sie mir da gebracht haben.«

»Euer Eminenz scheint er doch nicht ohne Interesse gewesen zu sein.«

»Gewiß nicht – das haben Sie, wie Sie doch wohl andeuten wollten, aus der längeren Dauer unserer Unterredung gesehen. Hat er Ihnen Andeutungen über den Zweck gemacht, der ihn die Audienz nachsuchen ließ?«

»Nicht die geringste, Monsignore!«

»So werde ich Sie aufklären. Sie waren es ja, der auf den Befehl des Consiglio dei Tre die sechs Weiber bewachte, die man für gut gehalten, aus dem Kerker der ›Rosalia‹ wieder in die Welt zu entlassen, um unter den Feinden der Kirche Spionendienste zu verrichten!«

»Eure Eminenz erinnern sich, daß diese Frauen bereits nicht unwichtige Dienste geleistet haben, und daß vor Gaëta nur ein Zufall das Gelingen eines vorzüglichen Planes hinderte.«

»Ich erinnere mich, daß Sie von einer mir berichteten, einer Spanierin, die sich Giuliana nennt und sich für eine Enkelin des König Ferdinand VII. ausgibt. Sie hat bereits zwei Mal in Spanien durch ihre Intriguen Aufstände angezettelt, bis man sie der Welt entzogen hat.«

»Die Unsinnige glaubt noch immer an ihre Abstammung und prahlt damit. Sie machte einen Versuch, den englischen Abgesandten dafür zu gewinnen.«

Der Kardinal warf einen scharfen Blick auf den Sprecher. »Und was glauben Sie selbst, Abbate?«

Der junge Geistliche erwiderte ruhig den Blick. »Euer Eminenz wissen zu gut, daß ich mir nicht gestatte, eine eigene Meinung zu haben und mich begnüge, die Befehle meiner Vorgesetzten mit jenem Gehorsam auszuführen, der ein bloßes Werkzeug aus jedem treuen Gliede der Kirche machen soll! Das heilige Consiglio hat mich zum Überbringer und Vollzieher seiner Befehle gemacht, weiteres zu wollen, überhebe ich mich nicht.«

»Das ist sehr lobenswert von Ihnen, Signor Abbate,« sagte der Kirchenfürst, »und ich werde nicht verfehlen, diesen Gehorsam sowohl Seiner Heiligkeit als dem Consiglio gegenüber zu rühmen. Um so mehr wird es Sie überraschen, zu hören, daß die Büßerin Giuliana sich keineswegs mit Unrecht einer solchen Abstammung rühmt, daß der Herr Graf von Lerida ihre Mutter hierhergebracht hat mit den Beweisen ihrer loyalen Verheiratung, und daß diese nun von der Kirche ihre Tochter fordert. Es kommt nun darauf an, ob wir der Infantin Henrietta diese Tochter wiedergeben oder sie gänzlich verschwinden lassen wollen?«

Der Abbate verbeugte sich. »Ich denke, Euer Eminenz, das wird das heilige Consiglio zu entscheiden haben, dem ja, so viel ich weiß, solche Fragen unterliegen.«

»Unzweifelhaft! Indes, Signor Abbate, werden Sie gut tun, einstweilen die Person nach Rom zu bringen, damit sie zur Hand ist.«

»Die – Signora Giuliana befindet sich bereits hier.«

»Desto besser. Und die anderen?«

»Die Signora Elena ist in Turin, die Polin Matilda muß bereits in Warschau eingetroffen sein und wir dürfen ihre Berichte erwarten, die Französin Theresa ist noch mit der Pflege ihres Liebhabers in Neapel beschäftigt und bei ihrem Charakter ist wenig auf sie zu rechnen, der Sängerin Carlotta werden wir heute Abend bei dem kleinen Denkzettel bedürfen, von dem ich die Ehre hatte, Euer Eminenz heute Morgen zu sagen. Sie wird dann alsbald nach Berlin abreisen, und die Schwester Martina, die personifizierte Habsucht, beabsichtigt man später nach Belgien und nach Deutschland zu senden.«

Der Kardinal nickte zustimmend. »Der Plan ist mir bekannt, trauen Sie dieser Frau Gewandtheit genug zu?«

»Sie ist ein Satan im Intriguieren; die Börse ist ihr Feld. Die Verhältnisse sind augenblicklich günstig in Belgien und Österreich, um gewisse Unternehmungen hervorzurufen, welche der Kirche Kapitalien sichern; in dem Baron Dumonceau ist eine sehr geeignete Persönlichkeit gefunden. In Deutschland, Österreich und namentlich in Preußen wird die gegenwärtige Stagnierung aller Politik von der jüdischen Börse benutzt, sich Einfluß und Herrschaft zu sichern. Wir können wenig dagegen tun, denn die Tatsache läßt sich nicht leugnen, daß das Kapital bereits in ihren Händen ist. Wenn man gefährliche Feinde nicht besiegen kann, gebietet die Klugheit, sie wenigstens zu benutzen. Euer Eminenz als großer Politiker wissen selbst, daß der nordische Adel noch immer eine sehr kompakte und wichtige Phalanx bildet, die sich, mit geringen Ausnahmen, unserem Einfluß entzieht. Trotz des Fortschrittes der liberalen Ideen hat er immer noch ein gewisses Ansehen bei der Menge, das preußische Herrenhaus, ich wiederhole es, ist eine Macht, die diesen protestantischen Staat kräftigt. Indem man sein Ansehen im Volk untergräbt, schwächt man den Staat, dies geschieht aber am leichtesten, wenn man die Aristokratie in die jüdische Spekulation verwickelt, sie helfen läßt, das Vermögen des Mittelstandes der Börse zuzuführen und so ihr Ansehen im Volke untergräbt. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß auch die Börse selbst auf dies Mittel spekuliert. Wenn man die soliden Wälle um die Throne der Fürsten untergräbt, werden diese gezwungen sein, ihre Stütze in der Kirche zu suchen.«

»Es ist dies allerdings die allgemeine Politik,« sagte zustimmend der Kardinal, »die wir uns gegenüber dem Vordrängen des Liberalismus haben vorschreiben müssen. Sie wissen, daß ich mich nur mit den politischen Angelegenheiten beschäftige und das religiöse Gebiet nicht zu beeinflussen suche. Aber der Bemerkung darf ich mich nicht verschließen, daß der weltliche katholische Klerus, von den höchsten Stellen abwärts, überall eine große Neigung zeigt, mit diesen liberalen Bewegungen – ich will nur sagen zu kokettieren, um eine gewisse Unabhängigkeit von Rom zu gewinnen. Wir haben diese Erfahrung selbst an dem italienischen Klerus gemacht.«

»Euer Eminenz mögen unbesorgt sein, man hat ein scharfes Auge darauf und wird – natürlich im Einverständnis mit Euer Eminenz – die Aufmerksamkeit Seiner Heiligkeit darauf lenken und geeignete Mittel vorschlagen.«

Es zuckte leicht über das kluge Gesicht des Kirchenfürsten, aber er unterdrückte eine bittere Antwort und begnügte sich, zum ursprünglichen Gegenstand der Unterredung zurückzukehren.

»Es wird jedenfalls das beste sein, wenn die Kirche sich ihren Einfluß auf die Infantin Henrietta sichert. Dies wird einem so gewandten Mann, wie Sie es sind, nicht schwer sein, und ich ermächtige Sie daher, sich morgen nach Civita-vecchia und an Bord der Yacht des Grafen von Lerida zu begeben, der in der Frau die Gattin seines Onkels sieht, jenes Viscount von Heresford, der uns seiner Zeit so viel zu schaffen machte. Dort werden Sie in einer Unterredung mit ihr ihre Pläne und Absichten zu erforschen suchen, damit man danach weiter entscheiden kann.«

»Ich werde die Ehre haben, zu gehorchen. Haben Eure Eminenz mir noch weitere Befehle zu geben?«

»Nein, mein Sohn, ich glaube, Sie werden für heute mit der anderen Angelegenheit genug zu tun haben.«

Der Abbate verneigte sich demütig. Indem er dies tat, trat er einen Schritt näher heran.

»In betreff der Person des Grafen Cavour – der Bericht des Arztes …«

Der Prälat richtete sich mit einer gewissen Heftigkeit stolz empor. »Wiederholen Sie dem Consiglio, daß ich unbedingt mit dieser Angelegenheit verschont zu bleiben wünsche,« sagte er strenge. »Dieser Mann ist unser schlimmster Feind, aber die Entscheidung über sein Leben liegt allein in der Hand des Allmächtigen Gottes. Ich bin der Minister Seiner Heiligkeit des Papstes, aber kein … Gehen Sie jetzt, und nehmen Sie meinen Segen. Ich wünsche ungestört zu sein.«

Der Abbate küßte die Hand des Kardinals. Dann entfernte er sich. – –

Der Abbate hatte kaum das Gemach verlassen, als der Kardinal das rote Priester-Barett nahm und durch eine entgegengesetzte Tür das Gemach verließ. Er schritt durch zwei Zimmer und einen Korridor, in dem ein Nuntius müßig saß.

»Befindet sich Pater Salieri in meinem Kabinet?«

»Zu Befehl, Eminenz!«

Der Nuntius öffnete die Tür.

»Ich bin für niemand zu sprechen, bis ich schelle!«

Der Kardinal trat ein und ging durch die beiden, den Korridor von seinem Privat-Kabinet trennenden Zimmer bis zu diesem.

In dem Kabinet saß an einem der beiden großen Arbeitstische der Geheimsekretär des Kardinals, der Dominikaner-Pater Salieri.

Der Kardinal setzte sich an seinen gewöhnlichen Arbeitstisch, während der Pater an seine Seite trat, öffnete das Pallium und zog einen unter dem geistlichen Gewande an einer goldenen Kette hängenden Schlüssel hervor, den er seinem Geheimsekretär reichte.

»Die Abteilung ›Frankreich‹,« sagte er. »Öffne das geheime Fach und gib das Fascikel der Eugenie Montijo heraus. Weißt Du, Rafaelo, daß die Jesuiten sich wieder sehr zu regen anfangen? – Ich habe Ursach zu glauben, daß der Nuntius des Consiglio dei Tre, dieser Abbate Calvati, ein geheimes Mitglied des Ordens oder wenigstens von ihnen gewonnen ist.«

»Ich habe schon längst nicht daran gezweifelt, Monsignore.«

»Es wäre in der Tat unangenehm und würde uns nötigen, unsere Vorsicht zu verdoppeln. Erinnerst Du Dich des Namens eines Kapitäns Diaz Cavalho, auch Guzman genannt?«

»Don Rosario Guzman?«

»Derselbe.«

»Es müssen sich in den Akten einige Andeutungen finden, der Name ist in den Notizen über die letzte Beichte genannt, die der Vetter der Kaiserin von Frankreich, Don Alvaro Montijo ablegte, den im Herbst Neunundfünfzig ein deutscher Edelmann im Duell auf schweizer Gebiet erschossen hat.

»Wie hieß der Mann?«

»Es war ein Preuße, Otto von Röbel. Die Sache hängt mit der Affäre der Erbschaft des Marquis von Massaignac aus Südamerika zusammen, bei der diese habgierigen Gauner, die Jesuiten, ein so glänzendes Geschäft gemacht haben.« Vgl. Retcliffe, Villafranca und Magenta und Solferino

Der Kardinal nickte nachsinnend mit dem Kopf. »Sieh zu!«

Der Dominikaner war nach der Seitenwand des Gemachs gegangen, wo ein massiver, eine Anzahl Fächer zeigender Schrank in die Mauer eingelassen war, hatte die eine Abteilung derselben mit dem erhaltenen Schlüssel geöffnet und wählte unter verschiedenen dort aufgestellten Büchern und Aktenstücken eines aus, das er vor den Kirchenfürsten niederlegte. Der Kardinal blätterte darin.

»Andeutungen und nichts als Andeutungen!« sagte er seufzend. »Dieser Bericht des Pfarrers in Allschwyl besagt auch nichts, als daß der Erschossene, dem er die Sterbesakramente gab, allerlei gehässige Drohungen gegen seine Base, die Kaiserin, ausstieß, der er die Schuld an seinem Tode beimaß, und daß er dabei wiederholt den Namen Diaz Cavalho nannte. Hier ist ein Dokument, über das ich später mit Dir sprechen werde. Es datiert vom 10. August 1837 und führt den Kapitän Diaz Cavalho als Trauzeugen an. Nehmen wir an, daß er damals zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre alt gewesen ist. Die Kaiserin Eugenie, die denselben Familiennamen führt, wie er, Guzman, ist am 5. Mai 1826 geboren, war also damals 11 Jahr; als sie 1853 den Kaiser heiratete, war sie demnach 27 Jahr, der Kapitän also etwa 36 bis 38 Jahre, – das Verhältnis des Alters würde passen – und diese wichtige Notiz hier – aus der Reihe ihrer Liebschaften in den vierziger Jahren – wir müssen darüber Gewißheit – den Beweis dafür haben! – und die Politik des Kaisers Louis Napoleon läge in unserer Hand!« – Er wandte sich entschlossen zu dem Pater. »Du mußt mit dem nächsten Zuge nach Civita-vecchia reisen.«

»Zu Befehl, Monsignore.«

»Der Zufall hat diesen Mann, den Kapitän Diaz Cavalho Guzman, hierher geführt, er befindet sich an Bord der Yacht eines spanischen Abenteurers, des Grafen von Lerida, der hier in die Brigantaggia des König Franz treten will. Es gilt, den Kapitän Cavalho, ohne daß es auffällt, von Bord des Schiffes und hierher zu führen. Die Sache ist zu wichtig für das Interesse der päpstlichen Regierung, als daß wir Anstand nehmen dürften, selbst zu zwingenden Mitteln zu greifen, um uns genauere Kenntnis und die Beweise für die uns gewordenen Andeutungen zu verschaffen. Auf der anderen Seite aber muß das Geheimnis uns allein und vor den Luchsaugen jener Partei gewahrt bleiben, die sich zur Herrschaft in der Kirche zu bringen sucht.«

»Ich verstehe Euer Eminenz und werde danach verfahren. Ich hoffe, es wird nicht schwer sein, das Geheimnis dieses Mannes den Interessen der Kirche dienstbar zu machen, wenn man ihm ihren Schutz zusichert. Es ist in der Tat ein Glück, daß die weltlichen Machthaber der Erde Schwächen und Sünden haben, die sie zuletzt doch immer wieder der Oberherrschaft der Kirche unterwerfen werden. Die Brandrede des Prinzen Napoleon und die Broschüre des Herrn About brauchen in Paris ein Gegengewicht.«

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