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Die Verhaftung.

Der Amerikaner stand zitternd an der Wand, wohin die Hand des Grafen ihn vorhin geschleudert. Seine Stirn und seine Haare waren von einem kalten Schweiß befeuchtet, seine häßlichen Schielaugen irrten ratlos in dem Zimmer umher; er schien einen Augenblick die Absicht gehegt zu haben, sich auf den Grafen zu werfen und ihm mit Gewalt die verhängnisvolle Zeichnung zu entreißen; aber die Probe von Kraft, die der Edelmann ihm gegeben, überzeugte ihn sofort, daß es ein vergebliches und gefährliches Beginnen sein werde.

Der Graf blieb vor dem Lager des Toten stehen, mit einem Blick stolzer Verachtung den erbärmlichen Gegner messend, die Arme über die Brust gekreuzt.

Plötzlich fiel der Amerikaner auf die Knie nieder, streckte die Hände flehend nach dem Edelmann aus und rief in jämmerlichem Tone: »Gnade, Herr! Ich sehe, Sie wissen alles und ich Narr habe Sie beleidigt. Aber Sie werden es mir verzeihen, Sie sind ein mächtiger vornehmer Herr, ein Fürst oder Graf, wie ich höre, und Sie werden einen armen Kerl nicht seines Glückes berauben wollen. Haben Sie Erbarmen mit mir, und geben Sie mir die Tasche.«

Der Graf schwieg einige Augenblicke. »Wenn ich es auch thun wollte, obschon es gegen das Versprechen ist. das ich dem Manne hier gegeben, es würde Ihnen wenig nützen, wenn Sie nicht wissen, wie Sie das Geheimnis verwerten sollen.«

»O ich werde es finden, ich werde die Spur verfolgen, ich werde Freunde finden, die mir helfen – nur das Geheimnis, das Geheimnis! Es ist mein Eigentum, ich habe mich in Schulden gestürzt, um ihm zu dienen, und er hat es mir versprochen und verkauft!« Er rang die Hände.

»Wohlan, geben Sie mir den Beweis Ihres Anrechts daran, und Sie sollen erhalten, was Sie verlangen.«

»Alles, alles! Euer Gnaden wissen, daß er es mir verkauft hat, daß ich sonst alles weiß, nur der Plan fehlt noch.«

»Dann beantworten Sie mir eine Frage. Nennen Sie mir Zeit und Ort, wo Sie die Mitberechtigten zu dem Schatz finden sollen.«

Der Yankee sah ihn mißtrauisch an. »Ich verstehe Euer Gnaden nicht. Ich bin der einzige Erbe des edlen Don José; er hat ihn allein gefunden.«

»Schurke! Ich dachte es mir. Du weißt nichts von der Sache, als was Deinen Handel mit ihm betrifft, und dafür bist du durch die Goldstufe reich entschädigt, die er in Deinen Händen gelassen hat. Der Tote hat mich in sein Recht eingesetzt.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes, Bursche, und nun verpeste diesen Ort nicht länger mit Deinen Lügen.«

Der Yankee sprang auf, seine schielenden Augen warfen einen Blick des tiefsten tödlichsten Hasses auf seinen Gegner.

»So wahr ich John Brown heiße und meine Mutter meines Vaters Weib war, das sollen Sie mir büßen! Der Sohn eines freien Landes wird sich an die Fersen des diebischen Edelmannes hängen gleich der Schlange, und ihr Biß soll ihn treffen, wenn er es am wenigsten denkt! Ich will verdammt sein, wenn Ihre Augen je die Goldhöhle sehen sollen! Verdorren soll Ihre Zunge, die das Wort der Weigerung ausgesprochen, und in den Staub will ich alles treten, was Ihnen lieb und wert! Fluch dem vornehmen Räuber, sein Herzblut will ich haben für die heutige Stunde! Triumphieren Sie nicht zu früh, denn Sie sollen sehen, daß John Brown nicht der Mann ist, der sich sein Recht und sein Eigentum nehmen läßt!«

Die kalte Ruhe, die der Graf diesen Drohungen gegenüber bewahrte, reizte den Wütenden noch mehr, und die Faust gegen ihn schüttelnd, rannte er nach der Thür.

Eben, als er dieselbe erreichte, wurde sie von außen aufgerissen, und Bonifaz stürzte offenbar in großer Erregung herein, während die Schauspielerin zitternd und mit bleichem Gesicht folgte.

Zugleich hörte man auf dem Vorplatz der Wohnung das Aufstampfen von Gewehren und das Klirren von Waffen.

»Die Gendarmen, Herr! Man fragt nach Ihnen, Herr Graf, man will Sie verhaften!«

Die junge Frau warf sich in seine Arme. »Um Gottes willen, Aimé was bedeutet das? Was ist geschehen?«

» Ventre Saint-gris! Was wird es sein? irgend eine Nachfrage oder eine Verwechselung! Sei ruhig, Suzanne, es hat in keinem Falle viel zu bedeuten.«

Er ging dem Offizier entgegen, der eben, den Amerikaner vor sich herstoßend, in das Gemach trat. Durch die offene Thür sah man auf dem Flur die blitzenden Bajonette und die bärtigen, noch vom Pulverdampf der Nacht geschwärzten Gesichter der Garden, welche die Treppe und jeden Ausgang besetzt hielten.

»Kein Mensch verläßt das Haus, bis ich es erlaube.« sagte barsch der Offizier. »Wer von Ihnen nennt sich Graf Raousset Boulbon?«

»Ich habe die Ehre, mein Herr,« sagte vortretend der Graf. »Was steht zu Ihren Diensten?«

Der Offizier wandte sich zu einem der Gendarmen um. »Ist dies der Mann, Jerôme?«

»Ja, Leutnant,« sagte der Gardist, der den Kopf verbunden und einen Arm in der Schlinge trug. »Ich erkenne ihn deutlich wieder.«

»Mein Herr,« fuhr der Offizier fort, »Sie haben diesen Morgen einen nichtswürdigen Rebellen, einen Barrikadenkämpfer der verdienten Strafe entzogen. Sie haben sich selbst als Rebellen gezeigt, indem Sie der bewaffneten Macht Widerstand geleistet. Wo ist der Mann, den Sie in diesem Hause verborgen haben?«

»Sie meinen einen armen Fremden, der von Ihren Soldaten bei der Rettung meines Sohnes auf dem Boulevards schwer verwundet worden ist?« fragte der Graf gelassen.

»Ich meine den Rebellen, den dieser Mann verfolgt hat, als er von Ihnen an seiner Verhaftung verhindert wurde. Geben Sie ihn auf der Stelle heraus!«

Der Graf trat zur Seite. »Sehr gern, wenn Sie dafür die Verpflichtung übernehmen wollen, ihn anständig begraben zu lassen, denn ich habe darauf mein Ehrenwort gegeben!«

»Es ist gut,« sagte der Offizier, indem er zu dem Bett tretend sich von dem Tode des Bedrohten überzeugte. »Der Bursch hat, was er verdient, und ich habe also nichts mehr mit ihm zu thun. Jetzt zu Ihnen, mein Herr! Sie gestehen also zu, Hand an einen Diener des Gesetzes gelegt zu haben?«

Der Graf lachte. »Wenn Sie diese Herren in der vergangenen Nacht als Diener der französischen Gesetze betrachten,« sagte er mit Humor, »und es als ein Verbrechen ansehen, wenn sich jemand von ihnen nicht den Kopf spalten lassen will, dann habe ich allerdings ein großes Vergehen begangen, indem ich mich in meinem Samariterdienst zur Wehre gesetzt!«

»Ohne Umschweife, kurz und gut! Haben Sie den Gendarmen hier vom Pferde gerissen?«

»Bewahre! ich habe bloß ihn und sein Pferd in den Rinnstein geworfen, um ihn ein wenig Höflichkeit zu lehren, mein Herr!«

»Dann verhafte ich Sie im Namen der Regierung!«

»Wie, mich? Man wagt es?«

»Wenn Sie der Graf Raousset Boulbon sind – gewiß, und ich glaube, man wird noch mehr wagen!«

» Mordioux! Darauf bin ich neugierig! und wer ist es, der den Befehl zu meiner Verhaftung gegeben hat?«

»Se. Excellenz der Kriegsminister, General St. Arnaud selbst,« sagte der Offizier.

Der Graf ließ ein leichtes Pfeifen durch die Zähne hören. »Ah, parbleu, das ist etwas anderes. Ich sehe, die Sache wird ernst. Man hofft vielleicht bei der Gelegenheit der allgemeinen Massacre sich auch einigen guten Blutes zu entledigen, das dem Herrn Präsidenten der glorreichen französischen Republik für die Zukunft unbequem ist! Und wohin wollen Sie mich führen?«

»Vor das Kriegsgericht in der Kaserne am Quais d'Orsay!«

Ein Schrei des Schreckens antwortet auf die Ankündigung, zugleich mit einem höhnischem Triumphruf. Den Schrei hatte die junge Schauspielerin ausgestoßen, den frohlockenden Ruf der Amerikaner.

Der Offizier war dadurch auf diesen aufmerksam geworden. »Wer ist der Mensch?« fragte er.

»Oh, bloß ein Herr, der sich sicher ein großes Vergnügen daraus machen würde, mich hängen oder füsilieren zu sehen; aber ich hoffe, daß er es diesmal noch nicht haben wird. Fassung, Suzanne, und keine weibische Angst! ich wiederhole Dir, die Sache hat nichts zu bedeuten. Die Kaserne d'Orsay ist nicht weit vom Kriegsministerium, und ich denke, man wird einen Mann meiner Abkunft nicht so mir nichts dir nichts behandeln wie den ersten besten Straßen-Vagabonden!«

Die Schauspielerin warf sich in seine Arme. »Um Gottes willen, Aimé, gehe nicht fort von hier, sie werden Dich ermorden – ich lasse Dich nicht!«

»Machen Sie ein Ende, Herr Graf, oder ich muß Gewalt brauchen,« sagte barsch der Offizier.

Der Graf sah ihn mit Verachtung an. »Sie haben wahrscheinlich noch nicht lange die Ehre, die Epauletts zu tragen, sonst würden Sie sich eines passenderen Benehmens befleißigen. Ruhe, Suzanne, ich will, ich befehle es! Trage Sorge für das Kind und sei selbst unbesorgt. Schicke nach dem Leichenbestatter und laß für den armen Burschen da ein anständiges Begräbnis bestellen, sofern der Herr Präsident der Republik Frankreich ein solches in diesen Tagen gestatten wird. Bonifaz!«

»Ich begleite Sie natürlich, Herr Graf,« sagte mit entschlossener drohender Miene der Avignote.

»Du wirst hier bleiben und für Madame und Louis Sorge tragen, ich befehle es; zunächst aber wirf den Schurken dort aus dem Hause. Sie erlauben doch, mein Herr Leutnant?«

Ehe dieser noch antworten konnte, hatte der ehemalige Sackträger den sich sträubenden und zeternden Yankee beim Kragen des Rockes und dem Hinterteil seiner Unaussprechbaren gefaßt und ausgehoben und trug ihn durch die sich willig öffnende Reihe der über den Anblick lachenden Soldaten bis an die Treppe. Ohne sich im geringsten um die Gliedmaßen des würdigen Amerikaners zu kümmern, warf er ihn im Bogen gleich einem Wollsack die Stufen hinab und die umher postierten Soldaten, rasch auf die Sache eingehend, setzten die Beförderung nach der Straße fort.

Der Offizier, in der That ein Mann, der aus den niedersten Chargen hervorgegangen und deshalb um so brüsker und rauher aufzutreten gewohnt war, wo er zu kommandieren hatte, wurde durch das ungenierte Verfahren des Hausherrn und seine vornehme Ruhe doch etwas außer Fassung gebracht und glaubte einhalten zu müssen, um nicht etwa zu weit zu gehen und sich dadurch einer Rüge bei seinen Vorgesetzten auszusetzen. Er murmelte etwas, das wie eine Art Entschuldigung klang, und fragte, ob er einen Wagen holen lassen solle, um in diesem den Gefangenen nach der Kaserne d'Orsay zu bringen.

Der Graf sah ihn mit einem scharfen Blick an.

»Wie? Sie haben keinen Wagen bereit?«

»Ich habe keine besondere Order deshalb erhalten, aber es wird sich der Fehler sogleich verbessern lassen. Sergeant Lacroix!«

Ein Blitz spöttischer Überlegenheit und der Gewißheit des Erfolges flog über das Gesicht des Aristokraten. »Bitte, bemühen Sie sich nicht,« sagte er rasch. »Ich bin an der Spitze französischer Soldaten so oft in den Schluchten des Atlas marschiert, als ich noch die Ehre hatte, unter meinem Freunde, dem Marschall Bugeaud in Algerien zu dienen und bei Isly mein Kreuz zu erwerben, daß es mir nur Vergnügen machen kann, in der Mitte meiner Kameraden einer kleinen Gefahr nochmals entgegen zu gehen. Herr Leutnant, der Oberst Raousset Boulbon steht zu Ihrem Befehl.«

Die wie zufällige Erwähnung seines früheren militärischen Ranges und der Freundschaft des in der ganzen französischen Armee auch nach seinem am 9. Juni 1849 erfolgten Tode hochgeehrten Marschalls machte den Offizier noch mehr verwirrt, und er salutierte, als er mit einer Bewegung nach der Thür seinen Gefangenen einlud, voranzugehen.

Ein bedeutungsvoller, befehlender Blick fesselte die weinende und zitternde Frau an ihre Stelle und streifte zugleich bezeichnend den treuen Diener. Dann schritt der Graf mit elastischem Schritt aus dem Zimmer, es dem Offizier und der Wache überlassend, ihm zu folgen.

Draußen vor dem Hause sah er mit einem flüchtigen Blick den Yankee gegenüber in einem Winkel hocken und seine schmerzenden Glieder reiben; doch ohne Notiz von seinen Flüchen und Drohungen zu nehmen ging er weiter, den Boulevards zu. Der Offizier der Wache war an seiner Seite und die Gendarmen folgten in kurzer Entfernung.

Die Verhaftungen waren an diesem Tage so zahlreich und der Schrecken über die Ereignisse des Abends und der Nacht war noch so groß, daß niemand auf diesen einzelnen Fall achtete, bis sie auf die Boulevards selbst und zu den dort noch immer aufgestellten Truppen kamen.

Überall auf den Boulevards noch zeigten sich die Spuren des gräßlichen Gemetzels Vgl. Zehn Jahre, II. Teil. vom Nachmittag und Abend vorher und obschon die Leichen jetzt größtenteils fortgeschafft waren, zum Teil von den unglücklichen Hinterbliebenen, zum Teil von der Polizei, ragten doch noch an ein paar Stellen die Füße von Erschossenen, zu einem gräßlichen Wall übereinander getürmt, aus der Thür der kleinen Buden, wo man sie einstweilen niedergelegt, bis die Reihe des Transports an sie käme. Die Barrikaden am Boulevard Poissonnière und St. Denis waren fortgeräumt, die Passage war wieder frei, auf den Befehl der Polizei waren die Magazine und Kaffeehäuser sämtlich wieder geöffnet. Aber die Menge, die sich mit jener Neugier, die bei den Parisern selbst die größten Schrecken überwindet, an den Häusern hindrängte, trug noch vollständig das Gepräge der Scheu und Besorgnis und wurde von der Polizei und den Wachen immer im Gange erhalten.

An vielen Häusern sah man deutlich die Spuren des Geschütz- und Gewehrfeuers, an den Mauern Blutflecken, und wo die vertrockneten Lachen auf den Trottoirs oder in den Vertiefungen um die Bäume standen, machten die Leute scheu einen Umweg und warfen nur entsetzte Blicke auf die schrecklichen Zeugnisse eines Willens, der verstanden hatte, dieses Volk geborener Revolutionäre zu bändigen und einzuschüchtern.

Von Zeit zu Zeit hörte man aus dieser dahintreibenden Menge ein lautes Aufschluchzen, den Angstschrei eines gefolterten Herzens, und dann sah man vielleicht die Gestalt eines armen Weibes mit fliegenden Haaren und hohlen Augen, die sich durch die Menge drängte, und die Polizei, die Soldaten oder das Publikum in jammernden Worten fragte, ob sie nicht einen Toten oder Verwundeten gesehen, dessen Aussehen am Morgen vorher, als er noch ein kräftiger, rüstiger Mann gewesen war, sie beschrieb. Oder es drängte sich ein Mann durch die Menge, oft seiner Kleidung nach den besseren Ständen angehörend, dem die hellen Thränen über die bleichen Wangen liefen, ein Kind an der Hand, dessen Mutter er seit zwanzig Stunden vergeblich von ihrem zufälligen Gange nach den Boulevards zurückerwartete.

Es lag ein schwerer blutiger Nebel über dem sonst so munteren und bewegten Leben von Paris. Selbst die Offiziere der frischen Truppenteile, die ihre vom Blutbad erschöpften Kameraden abgelöst hatten und auf den Straßendämmen der Boulevards aufmarschiert waren, standen flüsternd beieinander oder saßen vor dem nächsten Kaffeehause im leisen Gespräch beisammen. An die Stelle des finsteren Hasses, des Übermutes, der am Tage vorher noch das Militär beseelt und der zu entsetzlichen Scenen geführt hatte, war eine Stimmung getreten, die den Empfindungen beim Erwachen nach einem wüsten Gelage glich.

Der Graf, eine Cigarre zwischen den Lippen, in der Hand die leichte Badine, die er am Morgen getragen, ging auf der freien Seite des Straßendammes, mit seinem Lorgnon von Zeit zu Zeit die Gruppen des Publikums oder die Offiziere der Truppen musternd, in der Entfernung von einigen Schritten gefolgt von drei Gardisten und neben sich den Offizier, der seine Verhaftung vorgenommen.

Erst jetzt bemerkte dieser den großen Fehler, den er begangen, indem er seinem Gefangenen gestattet hatte, den Weg durch die Straßen zu Fuß zu machen, statt ihn in einem verschlossenen Wagen zu transportieren.

Die bedeutende Persönlichkeit des Grafen konnte selbst in einem Augenblick, wo jeder mit sich und mit dem allgemeinen Schrecken der furchtbaren politischen That zu thun hatte, nicht unbemerkt bleiben.

Überdies nahm der ehemalige Deputierte die Gelegenheit wahr, wo er einen Bekannten unter der Menge oder dem Militär bemerkte, diesen auf das freundschaftlichste zu grüßen.

Aber noch immer schien er nicht gefunden zu haben, was er suchte. Vergebens hatte sein Begleiter ihm bereits zweimal den Vorschlag gemacht, einen Wagen zu besteigen. Der Graf lehnte es mit irgend einem Scherze ab und Gewalt wagte jener nicht mehr zu brauchen, um kein unnützes Aufsehen zu veranlassen.

Plötzlich an der Ecke der Rue Lepelletier gegenüber von Marivaux blieb der Graf stehen. Sein Adlerauge war auf eine Gruppe gefallen, die gegenüber vor dem Café sich gebildet.

Es waren mehrere Offiziere; vor ihnen, vom Sattel herabgebeugt, um ein Glas heißen Grog zu nehmen, hielt ein Stabsoffizier von eleganter Haltung, im mittleren Alter.

»Ah!« murmelte der Graf, »vortrefflich! Da ist Edgar Ney! Sie Sache konnte sich nicht besser treffen. Herr Leroy ist den Brüdern ein Dorn im Auge; er ist gerade der Mann, den ich brauche.«

Er wandte sich zu seinen Begleitern. »Sie erlauben wohl, daß ich mit dem Herrn Kommandanten dort einige Worte spreche.« Und ohne die Antwort abzuwarten, ging er hinüber nach der anderen Seite der Straße und legte die Hand auf die Kruppe des Pferdes.

»Guten Tag, bester Ney! Ich hoffe, Ihr Dienst ist in der vergangenen Nacht nicht so strenge gewesen, daß Sie zu ermüdet sind, um für einen alten Freund einen kleinen Weg zu machen. Überdies sehe ich, Sie reiten ja den ›Matador‹ und dem ist es von hier bis zum Hotel des Herrn Kriegsministers nur ein Sprung.«

Der Angeredete wandte sich um und streckte ihm erfreut die Hand entgegen. »Ah! Sie sind es, lieber Raousset! Ich freue mich herzlich, Sie zu sehen, denn ich fürchtete schon, Sie wären mit den Herren Lamoricière, Cavaignac und Barras in Vincennes!«

Graf Edgar Ney, dritter Sohn des berühmten Marschalls, war damals 39 Jahre, Kommandant und Ordonnanz-Offizier des Präsidenten, zu dessen Hauptstützen sein ältester Bruder, der Prinz von der Moskwa gehörte. Infolge des Staatsstreiches wurde er ein Jahr darauf Kavallerie-Oberst und Flügel-Adjutant des neuen Kaisers. Er war ein Mann von liebenswürdigem Benehmen und stattlicher Persönlichkeit.

»Sie sehen, lieber Graf,« sagte Boulbon, indem er auf seine Begleiter wies, »wenn man mir auch nicht die Ehre angethan hat, mich mit den Herren Cavaignac und Thiers zu rangieren, so giebt man mir doch jetzt meine Adjutanten.«

Ney sah erst jetzt die Gardisten und deren Offizier. »Was zum Teufel!« rief er aus, »Sie sind doch nicht im Ernst verhaftet?«

»Seit einer halben Stunde, gewiß, mein lieber Graf.«

»Und wohin bringt man Sie, ich frage für den Fall, daß man Sie besuchen will.«

»Nach der Kaserne d'Orsay vor das Kriegsgericht.«

Der Kommandant nahm die Cigarre aus den Lippen. Parbleu! Das wird Ernst! Kommen Sie hierher, Boulbon, zwei Schritte weiter, daß man uns nicht hören kann. Wissen Sie, was am Quai geschieht?«

»Wie sollte ich? Ich bin gestern von einem Ausflug nach Versailles zurückgekehrt, als die Geschichte hier schon zu Ende war und bin seit heute morgen in der Wohnung meiner kleinen Frau gewesen. In dieser Situation durch Paris geführt zu werden, wird mich populär machen und ist schon des Opfers einiger Stunden Haft wert.«

»Täuschen Sie sich nicht über die Gefahr,« sagte ernst der Offizier. »Renaud präsidiert dem Kriegsgericht und hat ohne weiteres schon dreiundvierzig Verhaftete, die ihm zugeführt wurden, verurteilt, auf dem Marsfelde erschossen zu werden. Man hat vor einer Stunde die Exekution an der ersten Hälfte vollzogen.«

Eine leichte Röte flog über das Gesicht des Bedrohten. »Es würde offenbarer Mord sein,« sagte er. »Indes, ich gestehe, an einen solchen Ausgang habe ich nicht gedacht.«

»Was haben Sie gethan, welche Veranlassung haben Sie zu Ihrer Verhaftung gegeben?«

»Bah! Nichts! Ich habe einen armen Kerl in meine Wohnung gebracht, der verwundet auf der Straße lag, und einen Gardisten, der mir dafür einen Hieb versetzen wollte, in den Rinnstein geworfen.«

»Zum Henker, das waren Sie? Man hat davon gesprochen. Ich hätte mir es denken können, denn niemand anders besitzt diese Herkulesstärke; aber ich will sogleich – Wissen Sie, wer Ihre Verhaftung befohlen hat?«

»General Saint Arnaud selbst.«

» Pesth! Dann ist Absicht dabei, und die Sache sieht schlimm aus. Er hat unbedingte Vollmacht; der Präsident hat sich seit 24 Stunden eingeschlossen, und niemand hat Zutritt zu ihm. Was ist da zu machen?«

Der Name des Kriegsministers hatte seine volle Wirkung gethan. Die Brüder Ney haßten seinen Einfluß ebenso, wie die beiden Canroberts; aber in diesem Augenblick hatte er die unbedingte Macht in Händen.

Die Unterredung wurde durch den Offizier des Gardes de Paris unterbrochen, der in steigender Verlegenheit ihre Dauer beobachtet hatte und endlich näher trat. »Ich muß Sie bitten, Herr Graf, unsern Weg fortsetzen zu dürfen, meine Order befiehlt Eile.«

Der Kommandant fuhr ihn barsch an. »Gehen Sie zum Henker, Herr, sehen Sie nicht, daß ein vorgesetzter Offizier mit diesem Herrn spricht? Treten Sie zurück, Leutnant! Sagen Sie mir schnell, Boulbon, stehen Sie gut mit Saint Arnaud?«

»Er liebt mich ungefähr, wie der Wolf den Hund, obschon er nicht zur Hälfte die gute Ursache kennt, die er dazu hat.«

»Dann steht Ihre Angelegenheit in Wahrheit schlimm. Die Thatsache des gewaltsamen Widerstandes gegen die bewaffnete Macht läßt sich nicht leugnen. Kann ich irgend etwas thun, Ihnen aus der Klemme zu helfen? Befehlen Sie ganz über mich.«

»Sie erinnern sich meiner Junggesellenwohnung?«

»Gewiß, Rue St. Honoré – wenn es noch diese ist, wo Sie uns vor vierzehn Tagen das vortreffliche Dejeuner gaben.«

»Sie ist es. Eilen Sie sofort dorthin und lassen Sie Sie sich – mein Diener ist abwesend – von der Hausmeisterin meine Zimmer öffnen. In meinem Schlafkabinett links steht ein Sekretär – hier ist der Schlüssel. In der zweiten unteren Schublade desselben werden Sie ein altes Portefeuille von grünem Saffian finden, verschlossen. Nehmen Sie dasselbe an sich und geben Sie mir Ihr Ehrenwort, wenn ich es in zweimal vierundzwanzig Stunden von Ihnen nicht selbst oder schriftlich durch eine vertraute Person zurückfordern sollte, es zu öffnen und die Dokumente der nächsten Deputiertenkammer vorzulegen.«

»Mein Ehrenwort darauf!«

»Dann befehlen Sie noch dem Leutnant dort, sobald er mich in der Kaserne abgeliefert, dem Minister die Karte zu überbringen, die ich ihm geben werde.«

»Das soll geschehen. Haben Sie sonst noch etwas?«

»Nichts, als daß Sie mir versprechen, übermorgen, wenn es Ihr Dienst erlaubt, nebst einigen Freunden mit mir bei Véry zu dinieren.«

» Parbleu! Sie müssen Ihrer Sache sicher sein, lieber Graf,« lachte der Ordonnanz-Offizier. »Aber ich will das Kreuz nicht tragen, wenn es mir nicht weit mehr Vergnügen machen soll, mit Ihnen eine Flasche alten Béaune zu leeren, als nach Ihrem Grabe auf dem Marsfelde zu suchen!«

»Ich bin überzeugt davon, und deshalb habe ich mich an Sie gewandt,« sagte der Graf. »Aber jetzt kann ich den Herrn dort wirklich nicht länger aufhalten, ich bitte deshalb, geben Sie ihm seine Instruktionen.«

Der Kommandant ritt zu dem Offizier. »Mein Herr, ich hoffe, Sie kennen mich. Ich bin der Graf Ney und im Stabe Seiner Kaiserlichen Hoheit des Prinz-Präsidenten. Sie könnten mich durch einen Dienst sehr verbinden.«

»Wenn es meine Order gestattet, mit Vergnügen, Herr Graf.«

»Sie müssen diesen Herrn an das Kriegsgericht abliefern?«

»Zu Befehl, Herr Graf.«

»Wohl, ich will Sie auch in Ihrer Pflicht nicht hindern. Aber, nachdem dies geschehen?«

»Ich habe Befehl, Seiner Excellenz dem Herrn Kriegsminister selbst über die Ausführung der Verhaftung zu rapportieren!«

»Das trifft sich ja vortrefflich und kommt meiner Bitte zuvor. Graf Boulbon wünscht sobald als möglich eine Karte mit einigen Worten in die Hände des Herrn Ministers gelangen zu lassen. Wollen Sie die Güte haben, dies zu übernehmen?«

»Ich sehe keinen Grund, warum ich dies nicht thun sollte. Meine Order lautet nur auf die Verhaftung.«

»So bitte ich Sie darum, dem Herrn Grafen gefällig zu sein, und wenn ich Ihnen irgend wieder dienen kann, so wenden Sie sich dreist an mich.«

Der alte Leutnant, der herzlich wenig Aussicht auf Avancement hatte, salutierte auf das höflichste. »Verlassen Sie sich auf mich, mein Kommandant.«

Ney wandte sich zu dem Gefangenen. »Jetzt, lieber Freund, ist alles geschehen, was ich thun konnte. In Betreff Ihres Auftrages seien Sie unbesorgt, in zehn Minuten soll er vollführt sein. Ich hoffe, Ihr altes gutes Glück wird Sie nicht verlassen.«

Der Graf reichte ihm unbekümmert die Hand. »Vielen Dank, vergessen Sie übermorgen Véry nicht. Das einzige, was ich Sie noch bitte, ist ein wenig Eile.«

Ney grüßte mit einem Wink nach der Offiziergruppe vor dem Café. »Auf Wiedersehen, meine Herren, mein Dienst ruft!« Dann winkte er dem Grafen bedeutsam zu und sprengte im Galopp dahin.

Der Graf sah ihm einen Augenblick mit ernstem Blick nach; er wußte sehr wohl, daß Tod und Leben für ihn von der zuverlässigen Ausführung des Auftrages abhängen konnte, wenigstens war er der Rache jetzt sicher. Dann wandte er sich zu seinem Wächter: »Wenn es Ihnen gefällig ist, wollen wir weiter gehen.«

Die kleine Gruppe mit dem Gefangenen setzte ihren Weg durch die Rue de Luxembourg über den Platz und die Brücke de la Concorde fort an dem Palast der Deputiertenkammer vorüber, auf dessen Stufen jetzt Militär lagerte, und kam ohne weiteren Aufenthalt zu der Kaserne, in welcher seit dem Morgen das Kriegsgericht sich in Permanenz erklärt hatte.

Bevor sie die Kaserne betraten und der Offizier seinen Gefangenen an die Wache ablieferte, hatte der Graf auf seine Visitenkarte einige Worte geschrieben und dem Leutnant nochmals das Versprechen abgenommen, sie sofort dem Minister zu überbringen.

Die Ceremonieen der Übergabe waren sehr bald erledigt. Von allen Seiten schleppten Militär- und Polizei-Patrouillen Verhaftete herbei und nach einer kurzen Notierung des Namens und der Umstände der Verhaftung wurden sie in den vorderen Hof gesperrt, dessen Ausgänge und Seiten durch starke Wachtposten mit geladenem Gewehr besetzt waren.

Der Offizier der Gardes de Paris, der die Verhaftung des Grafen vollzogen, machte sich alsbald auf den Weg nach dem Kriegsministerium in der Universitätsstraße, von dem in diesem Augenblick die militärische Diktatur in Paris und Tod und Leben seiner Bürger abhing. Denn nur unter der Bedingung der unbedingten und unverantwortlichen Machtvollkommenheit hatte St. Arnaud den Auftrag des Präsidenten Louis Napoleon zu jener furchtbaren, in die Geschichte Frankreichs mit Blut eingeschriebenen Ausführung des Staatsstreichs vom 2. Dezember übernommen, der jenem zum Kaisertum und ihm zum Marschallsstabe und zu einem ruhmlosen Ende in der Krim verhalf.

Der Leutnant schickte seine Meldung an den General und erhielt nach wenigen Minuten den Befehl, einzutreten.

Unterdes hatte das Kriegsgericht in der Kaserne seine Verhandlungen fortgesetzt, die äußerst summarisch waren und den Angeklagten kaum mehr Gelegenheit zur Verteidigung gaben, als die berüchtigten Schreckensgerichte unter Fouquier-Tinville. Es waren etwa fünf oder sechs Fälle seit der Ankunft des Grafen verhandelt und sie hatten sämtlich mit dem Spruch »Zum Tode durch Erschießen verurteilt« geendet, als der Name des Grafen aufgerufen wurde.

Der Graf trat mit vornehmer Ruhe in den mit Militärs, Gardisten und Polizeipersonen dicht gefüllten Saal und vor den Tisch, an dem das Gericht saß. Ein Blick genügte, ihm die unangenehme Überzeugung zu geben, daß unter den Mitgliedern des Gerichtes kein einziger war, mit dem er in vertraulicher Beziehung gestanden, und auf dessen Beistand er hätte rechnen können. Selbst der General, der dem Gericht präsidierte, war ihm nur vom Sehen bekannt. Das Gerücht bezeichnete ihn als enragierten Bonapartisten und unbeugsamen harten Charakter.

»Ihr Name?« fragte der Präsident.

» Aimé, Graf von Raousset Boulbon Bourbon,« sagte der Verhaftete, in dem letzten Worte das alte Recht seiner Familie auf die Königliche Abstammung wahrend, »Oberst in der Königlichen Armee von Frankreich und Mitglied der Assemblée für den Komtât Venaissin. Als solches protestiere ich gegen meine ungesetzliche Verhaftung.«

»Wir kennen hier weder eine Königliche Armee, noch eine noch bestehende Assemblée. Die Armee ist die der französischen Republik und die Assemblée ist durch das Dekret des Präsidenten aufgelöst. Ihre Berufungen, mein Herr, sind schlecht genug.«

»Die Auflösung ist ein Gewaltstreich und ungesetzlich. Meine Kollegen haben vor Frankreich, vor ganz Europa gegen diesen Mißbrauch der Gewalt protestiert!«

»Ich habe nicht Lust, mit Ihnen darüber zu streiten. Ihr Protest beweist Ihre hochverräterische Gesinnung. Sie sind angeklagt, einen Barrikadenkämpfer der Verhaftung entrissen und die bewaffnete Gewalt selbst angegriffen zu haben. Wo ist der Zeuge?«

Der Gardist, den der Graf zu Boden geworfen, trat vor. Er hinkte und hatte den Kopf und den Arm mit Binden umwickelt.

»Ist dies der Mann, der Euch bei Ausübung Eures Dienstes überfallen und zu Boden geworfen und einen verwundeten Rebellen gewaltsam befreit hat?«

»Der Teufel hole seine Faust!« sagte mürrisch der Gardist, »ich habe bei dem Sturz den linken Arm gebrochen, und mein Knie ist in kaum besserem Zustande. Ich werde mein Lebelang ein Krüppel bleiben.«

»Dann habt Ihr nur die verdiente Lektion für Eure Impertinenz empfangen, mein Bursche,« sagte der Graf. »Wer hieß Euch, den Säbel gegen mich erheben? Ich habe einzig Notwehr geübt.«

»Zeuge, antwortet bestimmt auf die Frage. Ist dies der Mann, der Euch diesen Morgen angegriffen und verwundet hat?«

»Gewiß, mein General, ich erkenne ihn genau wieder.«

»Tretet ab. Angeklagter, Sie sind überwiesen des Angriffs auf die in der Unterdrückung des Aufstandes begriffene Macht und des Einverständnisses mit den Rebellen. Haben Sie noch etwas zu sagen, das den Spruch des Gerichts ändern könnte?«

»Da Sie wahrscheinlich Ihre Instruktionen über meine Person von Herrn von Saint Arnaud oder von noch höherer Stelle haben,« sagte der Graf mit kaltem Hohn, »so würde alles unnütz sein, was ich Ihnen zu sagen hätte. Ich verzichte darauf.«

Das finstere Gesicht des Generals wurde bei der tief verwundenden Ironie dunkelrot, und der grimmige Blick, den er auf den Angeklagten schleuderte, verkündete im voraus den Spruch des Gerichtes.

Ohne auch nur den Grafen aufzufordern, zurückzutreten, holte der Vorsitzende diesen ein. Die Entscheidung währte keine zwei Minuten. Der General winkte dem Protokoll führenden Auditeur.

»Schreiben Sie, mein Herr: Durch einstimmigen Beschluß des Kriegsgerichtes ist der frühere Oberst Aimé Graf Raousset Boulbon wegen Beteiligung am Aufruhr und thätlichen Angriffs auf die bewaffnete Macht …«

»Graf Raousset Boulbon! Wo ist der Herr Graf?« unterbrach eine helle, laute Stimme den Spruch des Gerichtes. Die Zuhörer-Menge an dem Eingange öffnete sich, und ein Stabsoffizier, der soeben eingetreten, schritt hastig vor.

»Entschuldigen Euer Excellenz die Unterbrechung. Hier ist eine Order des Oberst-Kommandierenden. Ich bin beauftragt, den Herrn Grafen von Raousset Boulbon augenblicklich zum Herrn Kriegsminister zu führen.«

Der General biß wie ein Bulldogg, dem die gefaßte Beute aus den Zähnen gerissen werden soll, die Lippen, als er das Billet las.

»Nehmen Sie den Gefangenen, Herr Kommandant, die Verkündigung des Urteils ist vorläufig ausgesetzt. Man führe den nächsten Angeklagten vor.«

Der Graf machte dem Gericht eine hochmütige Verbeugung. »Es wäre ungeschickt, meine Herren, wenn ich sagen wollte: auf Wiedersehen! Ich empfehle mich Ihnen also und wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag. Mein Herr, ich bin zu Ihrer Disposition.«

»Dann erlauben Sie mir, Herr Graf,« sagte höflich der Offizier, »Sie durch die Kaserne zu führen, es wird unsern Weg bedeutend abkürzen, und ich habe deshalb bei der Eile, die der Herr Kriegsminister hatte. Sie zu sprechen, unterlassen, einen Wagen mitzubringen.«

Der Graf winkte lachend mit der Hand. »Lassen Sie uns gehen. Die Promenade zu Fuß, die ich heute bereits gemacht, scheint mir recht gut bekommen zu sein.«

Er ging dem Offizier voran aus dem Saale. Obschon seine Miene keine Spur davon verriet, mochte doch seine Brust von einer schweren Last erleichtert sein. Der arme Subaltern-Offizier hatte seine Schuldigkeit gethan; er aber wußte, daß er jetzt das Spiel in seiner Hand hatte.

Zehn Minuten später befanden sich der Graf und sein Führer im Kriegsministerium, das zwischen der Rue de l'Université und der Rue Saint Dominique lag.

Die Höfe, Korridore und Bureaux waren mit Ordonnanzen, Adjutanten, Militärs jeden Grades und Polizeibeamten gefüllt, die unaufhörlich kamen und gingen, um Rapporte zu bringen oder Befehle zu holen von dem Manne, der in diesen Tagen das Schicksal von Paris und das Leben seiner sämtlichen Bewohner in Händen hielt. Denn wenn auch erst später jene furchtbare Bedingung, unter der Saint-Arnaud die Unterdrückung des Widerstandes übernommen hatte, bekannt wurde, jene Bedingung, die ihm gestattete, ganz Paris in Asche zu legen, so wußte man doch bereits, daß er sich ausbedungen hatte, daß der Präsident sich in keiner Weise einmische und er jede Vollmacht über Leben und Tod habe.

Der General hatte sein Wort gelöst, der Aufstand war niedergeworfen, die Hauptstadt zitterte vor diesen furchtbaren Maßregeln und war gebeugt für lange Zeit; aber das Blutbad, das dieses Resultat herbeigeführt, und das schreckliche Gericht, das folgte, waren so ungeheuerlich, daß die Geschichte kaum etwas Ähnliches aufzuweisen hat.

In einem der Korridore, die zu den Haupt-Bureaux und der Antichambre des Ministers führten, begegneten der Graf und sein Begleiter dem Offizier des Kommandos der Gardes de Paris, der die Verhaftung des Grafen vollzogen hatte. Die Rollen schienen jetzt gewechselt zu haben, denn der Mann war offenbar selbst in Haft, und ein anderer Offizier trug den ihm abgenommenen Degen in der Hand. Der Verhaftete warf im Vorübergehen dem Grafen einen grimmigen Blick zu und murmelte eine wilde Verwünschung; aber ehe sich dieser nach der Ursache seines Unglücks erkundigen konnte, waren sie getrennt und der Adjutant führte seinen Gefangenen vorwärts. Gleich darauf traten sie in die Antichambre des Ministers, die mit Beamten und Stabsoffizieren gefüllt war.

Der Adjutant, der den Grafen mit der größten Höflichkeit behandelt hatte, bat ihn, sich hier niederzulassen und zu warten, indes er dem General seine Ankunft zu melden gehe. Dennoch bemerkte jener recht gut, wie ein Augenwink des Offiziers die Umstehenden auf ihn aufmerksam machte und ihn ihrer Wachsamkeit empfahl.

Der Graf brauchte jedoch nicht lange zu warten, der Adjutant erschien schon nach fünf Minuten wieder und ersuchte ihn, zu folgen, da der General ihn sofort empfangen wolle.

Sie gingen durch ein zweites Vorzimmer, in dem mehrere Sekretäre eifrig beschäftigt waren, und an dessen Ende öffnete der Adjutant die Thür zur Arbeitskabinett des Ministers und ließ seinen Gefangenen eintreten.

Die Thür schloß sich hinter ihm, und der Graf sah sich allein mit dem Minister.

Jacques Arnaud, oder wie er jetzt hieß Leroy de Saint-Arnaud, war zu dieser Zeit bereits fünfzig Jahre, denn er war 1801 geboren, der Sohn einer wohlhabenden Bürgerfamilie von Paris. Der Gamin kannte das Pflaster seiner Vaterstadt vollkommen und ebenso die Schwächen und Neigungen ihrer Bewohner. Seine Jugend war eine äußerst stürmische und wilde gewesen, von jeder Leidenschaft bewegt, und sein Alter nicht viel besser. Er trat 1816 in die Königliche Leibgarde, aus der er jedoch bald toller Streiche wegen als Unteroffizier in das 49. Linienregiment versetzt wurde. Auch hier mußte er aus gleichen Ursachen den Dienst quittieren und trat erst 1831 wieder in das 64. Linienregiment, wo er Fechtmeister und bald zum Leutnant befördert wurde. Im Jahre 1836 ging er zur Fremdenlegion, jenem Sammelplatz aller Unbändigkeit und des Auswurfs der Nationen, und hier begann für ihn durch rücksichtslose Verwegenheit und Gewissenlosigkeit jene glänzende Laufbahn, die ihn zu den höchsten Stellen und Würden führen sollte.

1838 zum Kapitän und Ritter der Ehrenlegion, 1840 zum Bataillonschef ernannt, diente er ein Jahr bei den Zuaven und war 1844 bereits Oberst. Jeder seiner afrikanischen Feldzüge im Lande der Kabylen und in den Gebirgen des Atlas war durch glänzende Waffenthaten und Energie, aber auch durch seine furchtbare Grausamkeit und Strenge bezeichnet. Im Jahre 1847 wurde er Brigade-General und erhielt das Kommando der Division von Konstantine. 1851 als Bonapartist nach Paris berufen, vertraute der Präsident ihm das Kommando der zweiten Division der Armee von Paris an und ernannte ihn im Oktober zum Kriegsminister.

Als solcher war er der unbedingte Anhänger des Prinzen, weil in dessen Erhebung allein sein unbeschränkter Ehrgeiz und seine tiefe Verschuldung ihn die Ziele seiner Zukunft erkennen ließen. Louis Napoleon erkannte ganz die Notwendigkeit eines solchen Werkzeugs ohne Furcht und Gewissen, aber das Werkzeug selbst kannte auch seine Unentbehrlichkeit und ließ sich seine Dienste schwer bezahlen.

Aber selbst die bedeutenden Summen, mit denen dies geschah, waren nicht imstande, seine Verschwendung zu decken, denn er war ein sehr leidenschaftlicher Spieler und immer in Schulden. Es ist später nicht verborgen geblieben, mit welchen Mitteln Louis Napoleon ihn für die Ausführung der Dezember-Tragödie gewonnen hat, und wie der General sich dabei zu sichern wußte.

Als der Graf in das Kabinett trat, saß der Minister vor seinem Arbeitstisch, anscheinend mit dem Lesen eines dringenden Rapportes beschäftigt und ohne dem Eintretenden die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Es war offenbar, daß er ihn seine Abhängigkeit fühlen lassen und ihn demütigen wollte. Sein ohnehin finsteres breites Gesicht mit den schlappen Wangen und der grauen ungesunden Farbe war in strenge Falten gelegt und nicht sehr geeignet, Vertrauen und Mut zu machen. Auch die Umgebung des Generals hatte wenig Gefälliges; sie war mehr als einfach, seiner rauhen, an Strapazen und Anstrengung gewöhnten Soldatennatur entsprechend: ein spärliches Meublement mit einigen lederbezogenen Stühlen, Karten und Waffenmodelle und einige Schränke mit ähnlichen Gegenständen.

Zu seinen Füßen lag ein großer arabischer Wolfshund mit gelbem, zottigem Fell, wie man sich deren zu den Panther-Jagden in den Wildnissen des Atlas bedient.

Das Tier hob bei dem Eintritt des Grafen den Kopf, zeigte ein etwas morsches Gebiß und stand auf, indem es ein dumpfes Knurren hören ließ.

Der Graf wußte sogleich, welches Betragen er anzunehmen habe. Er trat mit voller Unbefangenheit dem Hunde einen Schritt entgegen und klopfte ihm furchtlos den Kopf.

»Oh Nero, guter Freund, ich hoffe doch. Du wirst Deinen alten Bekannten nicht vergessen haben, seit Du der Hund eines Ministers geworden bist. Guten Tag, General, ich sehe, Sie haben das treue Tier noch immer, obschon es gewiß seine fünfzehn Jahre auf dem Rücken haben muß. Er erinnert Sie sicher an lustigere Tage, als wir sie jetzt haben.«

Der Minister hatte gezwungen bei dieser indolenten Anrede den Rapport weggelegt und sah den Redner mit einem finsteren Blick an.

»Es scheint, mein Herr,« sagte er ärgerlich, »Sie beschäftigen sich überhaupt lieber mit den Erinnerungen der Vergangenheit, als daß Sie den Pflichten und Forderungen der Gegenwart Rechnung tragen.«

» Ventre saint-gris, General, da haben Sie unrecht. Ich kann Sie versichern, ich bin das reine Kind des Augenblicks, ich genieße das Leben, wie es sich mir bietet und quäle mich nicht mit Sorgen für die Zukunft.«

»Ich glaube, daß Sie das auch nicht besonders nötig haben werden, Herr Graf,« bemerkte höhnisch der General.

»Ah bah, Sie meinen, weil Sie mich in einer Stunde auf dem Marsfeld erschießen lassen wollen mit einigen Dutzend armer Teufel. Aber das Verdikt ist noch nicht ausgesprochen und daher so gut als existierte es nicht. Ihr Adjutant kam gerade zur rechten Zeit, lieber General, er ist ein liebenswürdiger Mann, der mir alle Höflichkeit bezeigte, gerade wie der Offizier der Gardes de Paris, den Sie mir heute morgen schickten, und der die Güte hatte, alle meine Wünsche auf das freundlichste zu erfüllen.«

»Der Henker hole den Einfaltspinsel!« brach der General los. »Ich glaube, Sie wollen noch Ihren Spott mit mir treiben. Ich habe den Dummkopf nach Vincennes geschickt, und er soll sofort in ein Regiment nach Cayenne oder an die marokkanische Grenze gesteckt werden, weil er Sie wie ein Narr durch Paris geführt und Sie der halben Stadt gezeigt hat, statt Sie auf die kürzeste Weise nach der Kaserne zu spedieren.«

Der Graf lachte und zog einen Stuhl an die andere Seite des Tisches. »Das sollte mir herzlich leid thun um den Mann, lieber General, und ich bitte um Gnade für ihn. Sie erlauben – es läßt sich besser so plaudern. Also Sie haben im Ernst vor, General, mich erschießen zu lassen?«

»Ich pflege nicht viel Federlesens zu machen mit Rebellen, vornehm oder gering. Dussoubs und Madier, die auch sogenannte Volksvertreter waren, sind gleichfalls erschossen.«

»Auf den Barrikaden, General!«

»Das ist gleich. Sie sind ebenfalls beim Widerstande gegen die bewaffnete Macht und die Regierung betroffen. Das Kriegsgericht ist über Ihr Urteil einig.«

»Man wird es ändern oder zurücknehmen, General,« sagte der Graf kalt, »es bedarf ebenso nur eines Winkes von Ihnen, wie es der in Betreff meiner Verurteilung war.«

»Wie? Sie denken doch nicht –«

»Ich weiß, daß ich auf den speziellen Befehl Seiner Excellenz des Herrn Kriegsministers, General Leroy de St. Arnaud, verhaftet worden bin. Indes, mein Herr, mögen Sie und der Prinz wohl bedenken, daß man nicht ohne Aufsehen einen Mann erschießt, in dessen Adern das Blut der legitimen Könige von Frankreich fließt. Ganz Paris weiß in diesem Augenblick bereits, daß der Graf Raousset Boulbon verhaftet worden ist, weil er sich von einem Gendarmen nicht gutwillig den Kopf wollte spalten lassen.«

Der künftige Marschall antwortete nur mit einem Knurren.

»Lassen Sie uns aufrichtig mit einander reden, General,« fuhr der Graf fort, »liegt Ihnen gar so viel daran, daß ich erschossen werde?«

»Ich sichere nur dem Gesetz und der Ordnung ihren Gang.«

»Ich acceptiere das. Da Sie als Minister mit den Gesetzen so vertraut sind, werden Sie mir gewiß auch sagen können, was auf Fälschung von Quittungen steht, die in amtlicher Eigenschaft ausgestellt sind; z. B. ich setze den Fall, über Lieferungen für ein Regiment in Algerien, von denen das Depot nie ein Stück zu sehen bekommen hat. So viel ich weiß, verjähren dergleichen Dinge erst in zehn Jahren?«

Das Gesicht des Ministers färbte sich dunkel, und er warf einen wilden, drohenden Blick auf sein Gegenüber. »Was soll das heißen?« sagte er barsch, »wollen Sie mich beleidigen?«

»Gott bewahre, General, Sie wissen, daß ich ein großer Verehrer Ihres Mutes und Ihrer Talente bin, noch von Algerien her, wo wir zusammen dienten. Aber, wie gesagt, ich lasse mich gern belehren, selbst in meiner Todesstunde.«

Der General erhob sich, kurz, kalt. »Wenn das alles ist, Herr Graf, was Sie mir zu sagen hatten, so bedaure ich, daß wir beide unsere Zeit verloren haben. Fügen Sie sich in das Unvermeidliche, das Urteil muß in einer Stunde vollstreckt werden, ich bin außerstande, es zu ändern.«

Er machte eine kalte Verbeugung und griff nach der Klingelschnur über seinem Arbeitstisch.

»Einen Augenblick noch, General. Ich habe noch eine Kleinigkeit auf dem Herzen. Wissen Sie, daß ich die Ehre habe für 10 000 Franken Ihr Gläubiger zu sein?«

»Wieso?«

»Ich kaufte bei Gelegenheit einen von Ihnen ausgestellten Wechsel.«

»Nun, wenn die Sache in Ordnung ist, wird man ihn an Ihre Erben zahlen, mein Herr,« sagte der Minister höhnisch, indem er die Bewegung wiederholte.

»Es hat keine so große Eile, der Wechsel ist längst verfallen, und ich kaufte ihn nur aus leidenschaftlicher Liebhaberei für Autographen. Er datiert noch vom Jahre 1846; ich glaube, es war damals, als Sie das Kreuz der Ehrenlegion erhielten, General.«

Der General hatte die erhobene Hand sinken lassen. »Ich erinnere mich nicht; ich war damals allerdings etwas verschuldet, indes das kann jedem passieren.«

»Sie hatten Unglück im Spiel, und Monsieur Renneville, der Intendant, war ein sehr glücklicher Spieler.«

»Wie? Sie haben den Wechsel von Renneville gekauft? Er sagte mir doch, daß er ihn vernichtet habe?«

»Ich kaufte ihn einen Tag vor seinem unglücklichen Duell mit dem Baron d'Estalet. Wie gesagt, es handelte sich für mich nur um das interessante Autograph des Acceptanten.«

Der General fuhr mit der Hand über die Stirn, auf der ein kalter Schweiß perlte.

»Ich bin bereit, das Papier einzulösen – sogleich – auf der Stelle!« sagte er.

»Ich bedaure, General, ich führe meine Autographensammlungen nicht bei mir. Sie befinden sich in einem besonderen grünen Portefeuille in der linken Schublade meines Schreibtisches in meiner Privatwohnung in der Rue St. Honoré.«

Eine dämonische Freude blitzte über das finstere Gesicht des Ministers, und er erhob rasch die Hand.

»Oder befanden sich vielmehr,« fuhr der Graf fort, ruhig mit einer Feder auf dem Tisch vor ihm spielend. »Ich habe das Präsens mit dem Imperfekt verwechselt; Sie haben doch meine Karte erhalten, General, in der ich um die Audienz bat?«

»Hier ist sie; aber ich muß gestehen, daß mir die drei Worte unverständlich waren. Das bewog mich, Ihnen die Audienz zu gewähren.«

»Ich glaube es Ihnen gern, ich schreibe schlecht, meine Erziehung ist darin merkwürdig vernachlässigt worden. Wenn ich mich nicht selbst irre – ich kann oft meine eigenen Hieroglyphen nicht entziffern – so ist das erste ein Datum.«

Der General hatte sich wieder auf seinen Sessel fallen lassen, er trocknete sich die Stirn.

»Nichtig, es ist das Datum der Lieferungs-Quittung für das Gouvernement Constantine vom 6. März 1844, Von dem ich Ihnen vorhin sagte. Das andere sind zwei Namen – Freunde von mir, nur ist der eine leider tot, Renneville, von dem wir vorhin sprachen; der andere aber erfreut sich der besten Gesundheit – Herr Edgar Ney.«

»Und was bedeutet sein Name hierbei?«

»Nur soviel, daß Sie sich wegen der Einlösung des Wechsels gefälligst an ihn wenden wollen. Seit einer Stunde befindet sich der liebe Graf im Besitz jenes grünen Portefeuilles. Aber ich habe sein Ehrenwort, daß er es erst öffnen wird, wenn ich in den nächsten 48 Stunden es nicht selbst von ihm zurückfordere.«

Der General rückte unruhig in seinem Sessel umher. Er hielt seine Augen fest auf den Boden gerichtet.

Beide schwiegen kurze Zeit.

»Es ist gut,« sagte endlich der Minister, »Sie werden natürlich nicht erschossen werden. Aber Sie müssen Frankreich verlassen. Ich kann es nicht anders machen dem Prinzen gegenüber.«

» Pardioux, ich erbat die Audienz hauptsächlich, um Ihnen meine Abreise anzuzeigen und um einige Empfehlungen des Gouvernements zu bitten.«

»Wie? Sie wollen Frankreich gutwillig räumen?«

»Pah, glauben Sie etwa, General, daß sich das Blut der Bourbons hier auf die Dauer mit dem des Herrn Flahault vertragen kann?«

»Aber wohin wollen Sie? Sie werden sich mit unseren Feinden verbinden. Sie werden zu Chambord gehen oder nach Richmond?«

»Ich denke nicht daran. Ich beabsichtige, da die Abkömmlinge des heiligen Ludwig doch nicht gut Privatleute bleiben können, den Bourbonen ein anderes Königreich jenseits des Meeres zu erobern.«

»Sie sind toll, Graf.«

»Es ist mein voller Ernst. Wenn Sie die Güte haben wollen, mich einigermaßen bei der mexikanischen Regierung zu akkreditieren, da heißt nur so lange, bis ich festen Fuß gefaßt habe, und den französischen Konsul in San Francisco anzuweisen, mir keine Hindernisse in den Weg zu legen, so denke ich binnen zwei Jahren vielleicht die Sonora zu einem recht hübschen Königreich unter bourbonischer Flagge gemacht zu haben. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf, daß die Flagge Frankreichs jede Begünstigung in meinem Hafen Guyaquil erhalten soll.«

Der Minister schüttelte den Kopf. »Man weiß in der That nie, wie man mit Ihnen daran ist,« sagte er. »Der tollen Streiche haben Sie schon genug gemacht und am Ende, was geht's uns an, wenn Sie sich irgendwo anders den Kopf einrennen wollen. Aber um auf jene Papiere zurückzukommen –«

»Der Graf Raousset de Boulbon giebt dem Herrn Leroy de St. Arnaud sein Ehrenwort, daß in dem Augenblick, wo er sich in Havre nach Amerika einschiffen wird, der geheime Gegenkontrakt vom 6. März 1844 und jener Wechsel, dessen Bezahlung ich freilich in Anspruch nehmen muß, da meine Kasse etwas derangiert ist, in die Hände der Person gelegt werden soll, die Euer Excellenz die Güte haben werden, zu bestimmen.

Der General sann einige Augenblicke nach. »Wann können Sie abreisen?«

»Ich habe übermorgen ein Diner bei Véry an Ney und einige Freunde verloren und kann natürlich nicht absagen. Es ist notwendig, General, in Betreff des Portefeuilles; aber am Tage darauf werde ich bereit sein.«

Der Minister war an eine Wandkarte getreten. »Der Dampfer von Havre nach New-Orleans geht am 8. ab. Ich werde durch den Telegraphen Befehl senden, Plätze für Sie zu reservieren. Wie viel bedürfen Sie deren?«

»O, Excellenz, ich reise ohne großes Gefolge, ich und mein aller Freund und Diener Bonifaz, ein treuer Avignote.«

»Und damit wollen Sie der mexikanischen Regierung die Sonora entreißen?«

»Warum nicht? Aller Anfang ist klein.«

»Gut, es ist nicht meine Sache. Sie werden die nötigen Empfehlungen an Monsieur Levasseur, unseren Gesandten in Mexiko, und an Monsieur Dillon, den Konsul in San Francisco an Bord finden. Bedürfen Sie sonst noch etwas?«

»Nichts, als daß Euer Excellenz mich wissen lassen, an wen ich jene Papiere auszuhändigen habe.«

»Sie kennen Madame Saint Arnaud?«

»Ich habe die Ehre gehabt, schon Fräulein Trazegnies d'Ittre meine ehrerbietigste Huldigung darzubringen.«

»Gut, ich werde ihr schreiben, daß sie ihre Rückreise von London über Havre macht.«

»So befindet sich also Madame de Saint Arnaud in London? Ich habe sie doch noch am Sonntag auf der Promenade von Longchamp begrüßt?«

»Still, Sie brauchten das nicht zu wissen, es war unvorsichtig von mir, darüber zu sprechen, und ich bitte Sie, der Sache nicht Erwähnung zu thun. Genug, es ist so, und Sie werden Madame zur Stunde der Einschiffung auf dem Dampfer finden. Sie wird Ihnen den Betrag des Wechsels aushändigen und die Papiere dafür in Empfang nehmen.«

Der Graf verbeugte sich zustimmend.

» Cordieu!« sagte der General, »ich hätte kaum gedacht, daß wir als so große Freunde scheiden würden. Aber nun, lieber Graf, Sie werden sich denken, daß meine Zeit kostbar ist, daher leben Sie wohl. Ich bin ein zu guter Franzose, um Ihnen nicht aufrichtig alles Glück zu wünschen, auch wenn Sie für die Bourbonen spekulieren sollten, obschon mir der Erfolg etwas problematisch erscheint.«

»Und ich, General, bin ebenfalls ein zu guter Franzose, um nicht bei meinem Unternehmen den Gedanken an den Ruhm und den Vorteil Frankreichs allen anderen Interessen voranzustellen. Deshalb sage ich Ihnen: wenn die Sache gelingt, so habe ich hier in dieser meiner Hand – so unscheinbar diese Ledertasche aussieht – ein Mittel, um die 700 Millionen der französischen Staatsschuld zu bezahlen. Doch das ist mein Geheimnis. Nur bitte ich Sie, ehe ich Sie verlasse, noch um zwei persönliche Gefälligkeiten.«

»Sprechen Sie,« sagte der Minister ganz erstaunt und mit zweifelhaften Blicken für den Verstand seines Besuches das Amulett verfolgend, das der Graf wieder in seine Brusttasche schob.

»Zunächst bitte ich Sie,« fuhr dieser fort, »da ich gehört habe, daß alle Leichen-Ceremonieen in diesen Tagen verboten sind, um die schriftliche Erlaubnis, einen armen Fremden, der infolge einer Operation bei mir gestorben ist, anständig auf dem Père Lachaise begraben zu lassen.«

»Ich werde den Präfekten anweisen, die Erlaubnis zu erteilen.«

»Dann, General, ich weiß nicht, ob Sie von meinem Verhältnis zu der kleinen Suzanne, der Soubrette am Saint Martin-Theater, gehört haben.«

»Ich erinnere mich. Pah, für einen Don Juan wie Sie ist das doch etwas Alltägliches.«

»Nicht so ganz; ich habe einen Sohn von ihr und liebe den Knaben. Ich werde morgen bei meinem Notar ein Instrument niederlegen, um ihn zu adoptieren; doch soll er meinen Namen nicht vor seinem zwanzigsten Jahre tragen. Er und Frankreich sind meine Erben, deshalb vertraue ich den einen dem anderen. Sie haben mich vorhin, als ich mit einer Milliarde um mich warf, während Ihnen sehr wohl bekannt sein muß, daß ich mich längst ruiniert habe, wie einen Verrückten angesehen. Ich kann Ihnen das nicht verdenken, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß, wenn mein Unternehmen glückt, ich die Gewißheit habe, daß ich wahrscheinlich noch reicher bin. Ich will, daß mein Sohn im Dienste Frankreichs erzogen werde und, wenn ich falle, meine Erbschaft mit ihm teilt. Das Ganze ist ein Geheimnis, aber ich werde Sorge tragen, daß eventuell selbst aus den Wildnissen der Sonora heraus mein Testament an das Ohr Frankreichs schlägt. Das Kind und seine Mutter bleiben hier, aber da ich mein Vaterland jetzt wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen verlasse, würde dem Knaben, der bereits einen tapferen mutigen Sinn zeigt, die männliche Leitung der Erziehung fehlen. Ich bitte Sie deshalb um eine Stelle für ihn in einer Militär-Erziehungsanstalt.«

Ohne eine Antwort zu geben, ging der Minister zu einem der offenen Repositorien und nahm ein Formular heraus, das er ausfüllte und dem Grafen reichte. Es war die Order zur Aufnahme des Knaben in die Ecole militaire.

»Leben Sie wohl, General,« sagte der Graf, indem er ihm die Hand reichte, »und empfangen Sie meinen Dank. Ich werde mich, wenn wir uns nicht Wiedersehen sollten, freuen, zu hören, daß Marschall Saint Arnaud die französischen Fahnen zum Siege geführt hat, auch wenn statt der königlichen Lilien die Tricolore oder die kaiserlichen Adler diese Fahnen bilden.«

Sie schüttelten sich die Hände und schieden.



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