John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 2
John Retcliffe

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Die letzten Ceremonien waren vorüber, die Menge der Neugierigen, die bis zu dem Kirchhof gelangt waren, verlief sich, während die Indier mit ihren Fackeln um das Grab zurückblieben.

Der Lord hatte den Arm des Preußen gefaßt.

»Lassen Sie uns gehen, es ist Zeit. Wir können diesen würdigen Herrn von Audh, der nicht einmal das Vergnügen eines Königlichen Harems gehabt hat, wie seine Vorgänger, doch Nichts mehr nutzen. Und nun zu dem Dienst, den Sie mir leisten sollen. Wann wollen Sie nach Brüssel zurückkehren?«

»Sobald als möglich Mylord, sobald ich die Personen gesprochen habe, die ich aufzusuchen gekommen bin. Spätestens Sonnabend oder Sonntag mit dem Frühzug, wenn ich so lange hier mit Sicherheit bleiben kann.«

»Das ist eine leichte Sache – ich bürge dafür. Der Dienst um den ich Sie bitten werde, ist, eine Person glücklich aus Frankreich zu schaffen etwa als Ihren Diener. Ich sage Ihnen aber offen, die Sache ist nicht ohne Gefahr.«

»Desto besser.«

»Haben Sie eine Legitimation aus Brüssel?«

»Nein! Ich bin bei Exquelines heimlich über die Gränze gegangen und habe den Umweg über Reims gewählt.«

»Das wird auf dem Rückweg nicht nöthig sein, es handelt sich darum, so rasch als möglich die Gränze zu überschreiten.«

»Sagen Sie mir Ihren Plan!«

»Wir müssen es auf alle Gefahr wagen, den Brüsseler Zug zu nehmen. Er geht um 9 Uhr ab. Sie werden Paris mit jener Person um 7 Uhr zu Wagen verlassen und erst in Creil einsteigen, als kämen Sie vom Lande. In Douai verlassen Sie wieder den Zug, und dann ist es Ihre Sache über die Gränze zu kommen. – Sie dürfen Nichts dabei sparen, Sie haben plein pouvoir, die besten Pferde zu kaufen und sie zu Tode zu reiten.«

»Ich hoffe, die Sache einfacher zu bewerkstelligen, wenn mein Begleiter nur ein guter Fußgänger ist!«

»By Jove – ich versichere Sie, er wird laufen als ob die Sohlen ihm brennten. Ich sage Ihnen die näheren Umstände nicht, um Ihnen eben volle Ruhe zu sichern und Sie vor unnützer Verantwortlichkeit zu bewahren. Wir sprechen ausführlicher darüber. Wenn Sie eben noch kein Unterkommen in Paris haben, wird der Ort, wohin wir gehen, der beste sein.«

»Und wohin führen Sie mich, Mylord, wenn ich fragen darf?«

»Gerade an keinen, wie ich glaube, in Betreff der Tugend und Mäßigkeit sehr empfehlenswerten Ort, in eine der Schänken jenseits der äußeren Boulevards, wo es heute Abend laut genug zugehen dürfte, da ein guter Theil von Paris nach dieser Seite des neuen Ninive gelockt worden ist. Ich erwarte dort Jemand, mit dem ich mich wegen der Angelegenheit besprechen kann!«

Sie gingen weiter den Boulevard des Amandiers entlang, bis sie in die Nähe des Pas Rosier kamen.

Trotz der Abgelegenheit der Gegend war der Ort ziemlich belebt. Die Schaulustigen, welche sich auf die Nachricht von der bevorstehenden Hinrichtung in der Nähe von La Roquette versammelt hatten, verbrachten die Nacht in den Kneipen, um sich am nächsten Morgen zu überzeugen, daß sie sich vergeblich bemüht hatten. Andere Gruppen kamen vom Père-Lachaise und mischten sich unter diejenigen, welche der Ruf der Wein-Kneipe, die der Sakristan dem Lord zum Rendezvous bezeichnet hatte, direkt dahin zog.

Obschon es in der Fastenzeit und daher jede öffentliche Tanzlustbarkeit verboten war, wußten die Besucher des Rosier d'or oder »Goldnen Rosenstrauchs«, wie die Kneipe aller Botanik entgegen hieß, sich vollkommen zu entschädigen und die Polizei drückte willig ein Auge zu, weil sie gewiß war, hier immer die besten Nachrichten und geeigneten Falls einen sichern Fang zu machen.

Die Kneipen aller Länder für so gemischte Gesellschaft ähneln sich in dieser Zeit der modernen Gleichmacherei so sehr, daß wir uns die nähere Beschreibung des Goldnen Rosenstrauchs ersparen können. Nur in der Gesellschaft und den Vergnügungen ist noch einige Charakteristik zu finden, aber auch diese verschwindet immer mehr; denn die Spitzbuben und Courtisanen von Paris verkehren eben so gut in Berlin, wie in Mabille, und die Thugs der Dschungeln haben ihre Mordschlingen den Garottiers von London gebracht. Auch der politische Revolutionair ist jetzt überall, in New-York wie in Warschau und Neapel ein gewöhnliches Wild, und der Cancan hebt die Unterröcke in Algier wie in Wien!

Dennoch war noch viel Charakteristisches im »Rosier d'or

Ein Vorzug derartiger pariser Kneipen ist der Umstand, daß die Gesellschaft, – selbst wenn die Hefe der Vorstädte dort verkehrt, – selten einseitig ist, sondern immer ein buntes Bild der verschiedensten Stände bietet.

Wir haben bereits erwähnt, daß der Rosier d'or in einer Sackgasse des Boulevard des amandiers liegt. Das vordere Haus, durch die bunten Laternen gekennzeichnet, war einstöckig, als gewöhnliche Tabagie für die spießbürgerlichen Stammgäste der Nachbarschaft eingerichtet. Aber neben dem gewöhnlichen Hausflur befindet sich eine Einfahrt, die zu dem Hofraum, dem Sommergarten und den Lokalitäten führt, welche durch einen Seitenflügel mit dem Vorderhause verbunden und der eigentliche Aufenthalt der Gäste sind.

Ein großer Saal ist mit Tabacksrauch, mit den Dünsten von Wein, Branntwein und Speisen und der Musik zweier Harfenistinnen und einer Flöte gefüllt.

Wer den Cancan in seiner Vollkommenheit, das heißt den Matratzenball en debout sehen will, der besuche den rosier d'or .

Die Pariser Polizei hat etwas mehr zu thun, als sich für gewöhnlich um die Decenz in einer öffentlichen Tanzkneipe zu kümmern. An den privilegirten Orten wie die Clauserie de lilas, Chateau rouge, Mabille u. s. w., transportirt man die Extravaganten ohne viel Lärmen hinaus und das Publikum nimmt nicht die geringste Notiz davon, weil Jedermann weiß, daß ihm im nächsten Augenblick dasselbe passiren kann. In den Kneipen der Vorstädte hat man noch nicht einmal diese Rücksicht – sobald nicht geradezu die Nudität regiert, läßt man das Völkchen treiben, was es will.

Es ist überhaupt schlimm, wenn die Polizei die Moralität machen soll!

Im Rosier d'or verkehren nicht die Loretten der Straße Breda und der Chaussee d'Antin. Selbst die Grisetten des Quartier latin haben, wenn sie mit ihren »Männern« nicht eine Extrapartie machen, ihre Vergnügungsorte jenseits der Seine weit bequemer. Aber es giebt in Menilmontant und den anstoßenden Quartieren verschiedene Fabrik-Etablissements, die Hunderte von Mädchen ans dem Volk beschäftigen, und das ist immer ein guter und frischer Schlag, der es mit den Bewohnerinnen der Straße Breda und mit den Grisetten der Magazine in der innern Stadt aufnehmen kann.

Er hat keine so seinen Hände, keine so großen Ansprüche, aber bessere Hüften!

Außerdem fehlt es nicht an pikanten Elementen, bei denen nicht blos das Fleisch den Vorrang hat.

Die kleineren Boulevard-Theater senden ihre Rekruten und selbst ihren Stamm hierher.

Der Wein im Rosier d'or ist kein blauer, sondern für einen Franken die Bouteille wunderbar gut und rein. Der Wirth, Monsieur Carabouche, muß ganz besonders die Kunst verstehen, den Octroi zu betrügen; die Fremden, die hierher kommen, die Routiniers des Café anglais und des Palais Royal, die sich einfinden, um Brautschau zu halten über die tägliche neue Einwanderung aus dem Elsaß und der Champagne, die in Menilmontant ihre Hauptstation hat, locken die dramatische Speculation in Tricots.

Es ist ein alter Grundsatz, dessen Wahrheit namentlich die Verschwörer von Profession kennen, daß in der größten Oeffentlichkeit die sicherste Verborgenheit ist.

Monsieur Carabouche stand mit den Polizeibeamten seines Quartiers auf einem vortrefflichen Fuß. Er hinderte sie nie daran, irgend einen oder den andern Besucher seiner »Kränzchen« vielleicht mitten in einer Quadrille oder bei einer Flasche Champagner zu drei Franken beim Kragen zu nehmen, und nach einer der nächsten Mairieen mit der Aussicht auf Bicêtre oder das Bagno zu bringen, – ja er gab ihnen selbst außer freier Zeche die vortrefflichsten Fingerzeige, aber das that seiner Beliebtheit und seinem Renommée nicht den geringsten Eintrag; denn er lieh auf Pfänder, namentlich an dramatische Künstler, für die er eine besondere Vorliebe zeigte, brauchte willig die Kreide und man wollte wissen, daß er – wo es in seinem Interesse war, – ein Geheimniß auch sehr gut zu bewahren verstand.

An Tagen oder vielmehr in Nächten, wie die heutige, war der Rosier d'or überfüllt. An solchen Tagen führte Madame Carabouche, eine kleine dicke, aber sehr rührige Frau mit einer unermüdlichen Zunge das Regiment am Schanktisch des Vorderhauses und Herr Carabouche regierte in dem Salon, wie Madame gegen die Nachbarschaft den großen Raum des Hintergebäudes zu nennen liebte.

Wir müssen der Persönlichkeit des Herrn Carabouche einige Worte widmen.

Er war ungefähr sechszig Jahr alt und führte das Geschäft seit fünfzehn Jahren. Bis dahin war er zuerst einer der Gehilfen des Todtengräbers von Père Lachaise und dann Leichenbitter oder Begleiter der Trauerkutschen gewesen.

Seine Körperconstitution eignete ihn dazu ganz vortrefflich. Alles an ihm war lang und mager, der Körper, der Kopf, die Nase, die Hände, die Beine – es gab keine Linie an ihm, die nicht in die Länge gegangen wäre, gerade wie bei seiner kleinen runden Frau Alles in die Breite ging. Selbst die Augen, die mit Ausnahme der Chinesen bei gewöhnlichen Menschenkindern eine horizontale Richtung in dem Gesicht nehmen, und der Mund, der gewöhnlich die Quere zu laufen pflegt, schienen bei ihm diese gewöhnliche Richtung verloren zu haben, um nicht dem Ganzen zu widersprechen.

Man wollte wissen, daß er in seiner Jugend Taschendieb gewesen wäre, weil aber schon damals seine Physiognomie allzu kennbar erschien, das Geschäft hatte aufgeben müssen. Da er durch irgend einen Zufall seiner Erziehung fertig mehrere Sprachen redete, war er mit Gentlemen oder Kunstreitern und Schauspielern auf Reisen gegangen und eine Reihe von Jahren gänzlich verschollen, bis er plötzlich bald nach der Juli-Revolution und der Thronbesteigung der Orleans wieder in Paris erschien und sich nach den verschiedenen Wechselfällen des Lebens seltsamer Weise in die Karriere des Kirchhofs warf.

Die Eigenthümlichkeiten des Herrn Carabouche hörten übrigens mit seinem äußeren Ansehen noch keineswegs auf.

Aus jeder Periode seines Lebens hatte er gewisse Angewohnheiten behalten.

Für gewöhnlich war er trübselig und melancholisch, ja die Leute, die ihn bei seinem Wiedererscheinen in Paris gekannt hatten, waren der Meinung, daß Etwas schwer auf seiner Seele lasten müsse, weshalb er auch einen so melancholischen Stand ergriffen hätte.

Er besaß merkwürdiger Weise eine sehr schöne Stimme und war ein geübter Sänger.

Nun konnte man ihn in ein und derselben Viertelstunde irgend einen lustigen Chanson aus einer der neuen Operetten, wie sie die Schauspieler und Schauspielerinnen bei ihm trällerten, wiederholen hören, wenn die lustige Gesellschaft ihn dazu verführte. Im nächsten Augenblick aber fiel er plötzlich, wie um die Sünde abzubüßen, in einen schauerlichen Grabgesang, schlug sich die Brust und bekreuzte sich zum großen Gaudium seiner übermüthigen Gäste.

Wie mit seinem Gesang, so ging es auch mit seiner gewöhnlichen Redeweise, ausgenommen, daß er die Citate aus der Begräbnißmesse mit frivolen Redensarten aus allen Ländern und allen Sprachen zu variieren liebte, die er vor seinem Gräberposten frequentirt hatte.

Dieses Original von einem Kneipenwirth stand in abgetragenem schwarzem Frack und Beinkleidern mit weißer, oder vielmehr ursprünglich weißer Cravatte hinter dem Schänktisch des großen Saales und bemühte sich eifrig, Wein, Punsch und Liköre einzuschenken, oder die Größe der Portionen zu überwachen, die etwa dem scharfen Auge seiner runden Ehehälfte vor dem Verlassen der Küche entgangen waren.

Es war kurz vor 1 Uhr, als der Lord mit seinem Begleiter in den Goldnen Rosenstrauch eintrat, zunächst in das Billardzimmer des Vorderhauses.

Wir wissen, daß seine Herrlichkeit ganz absonderlich für absonderliche Gesellschaft eingenommen war, und der erste Blick in das Innere belehrte ihn, daß er deren hier in der merkwürdigsten Weise finden könne.

Um das Billard her standen etwa fünf bis sechs Männer mit langen bis auf die Erde von ihren Hüten herabfallenden oder um die Arme gewickelten Trauerfloren in schwarzer Kleidung, statt der in den Ecken lehnenden Trauerstäbe die Billardqueues in der Hand, Cigarren im Munde und eifrig beschäftigt, eine Boule zu spielen.

Andere in gleichem Kostüm saßen an den Tischen, spielten Karten und tranken Wein zu zehn Sous die Flasche, um sich von den Strapatzen des Kirchhofs zu erholen. Es waren die Leichenbitter, die so eben den König von Audy zu seiner letzten Ruhestätte auf der Höhe des Père Lachaise gebracht hatten und hier sich bei einem alten Kollegen von den Anstrengungen erholen wollten.

Die Gesellschaft am Tisch hatte zwischen sich zwei der indischen Diener, die sie mit hierher geschleppt hatte und die bereits civilisirt genug waren, um sich den vom Koran ihnen verbotenen Wein von Paris schmecken zu lassen, während sie sich durch Pantomimen mit ihren schwarzen Gastfreunden verständigten. Die armen Kerle in ihren bunten Gewändern, barfuß, mit den braunen hagern Gesichtern und den langen Bärten nahmen sich höchst seltsam in dieser Gesellschaft aus, die durch einige Bürger, meist Gärtner und Angestellte an den großen Schlachthöfen und Bildhauer vervollständigt wurde, Klassen, welche besonders in der Nähe der Boulevard des Amandiers und der Höhen von Lachaise vertreten sind. Doch befanden sich offenbar auch viele Personen aus den entfernteren Stadttheilen dort.

Die Unterhaltung drehte sich natürlich um das Leichenbegängniß und die Hinrichtung.

»Zwei Points – Fillebarde! Sie sind gemacht,« sagte sich vergnügt die Hände reibend ein kleiner runder Kerl, zu dessen feistem, blühend rothem Gesicht der Trauerflor in vollstem Widerspruch stand. »Ich habe mir sagen lassen, daß diese indischen Heiden die Gewohnheit haben, ihre Weiber an ihre Leichname zu binden und sich mit ihnen verbrennen zu lassen. Was mir an der Sitte nicht gefällt, das ist, daß sie mit dem Verbrennen der Frauen erst bis zu ihrem Tode warten müssen, andernfalls wäre ich entschlossen, nach Indien zu ziehen!«

»Du bist ein Don Juan, dicker Granget,« erwiederte sein Gegenpart. »Ich werde es meiner Gevatterin Nanon sagen, daß Du sie zum Scheiterhaufen verdammst, während der Kaiser die Italiener doch blos guillotiniren läßt!«

»Bah! Auf Ehre, es würde mir und ihm Nichts nutzen bei Madame Granget, denn ihre Zunge wäre im Stande, noch aus dem Korbe des Meister Rothhemds heraus mit diesem Spectakel anzufangen und mich zu verleumden. Ich ziehe das Feuer vor!«

»Damit Du eine Junge heirathen kannst, – die schwarze Jeannette in dem Kranzladen an der Ecke der Straße Folie, ich kenne Dich Faublas der Jüngere!«

Der Dicke schmunzelte behaglich – »Was wollt Ihr, Messieurs, jeder Mensch hat seine Leidenschaften und Madame Nanon ist volle fünfzehn Jahre älter, als ich! Es lebe die Liebe, es lebe der Wein bis über die Gräber hinaus!«

Einer seiner Kollegen, ein großer magerer Gesell mit einer kupferfarbenen Nase, hob die Hände zum Himmel! »Apage Satanas!« rief er mit einer wahren Grabesstimme. »Dieser Granget ist eine Schande für unser Amt. Wir müssen Anzeige über ihn machen im Leichen-Büreau des Arrondissements, damit man über seine Moralität wacht!«

»Ich stimme dafür, daß er bei der nächsten Bewerbung um den Tugendpreis der Akademie abvotirt wird. Granget, ich verweigere Dir feierlich meine Stimme!«

Der Kleine mit dem Borsdorfer Gesicht hob sich auf die Zehen. »Ich bitte Sie, meine Herren, die Nase dieses Heuchlers Tourbillon zu betrachten! Glauben Sie, daß er dieselbe seinen Leichenwachen zu verdanken hat?«

»Nein! nein!« schrieen die Andern.

»Granget, Du verläumdest mich! Die Theilnahme an den Leiden der Wittwen und Waisen hat mein Haar grau gemacht und der scharfe Wind auf dem Kirchhof diese sonst bleichen Wangen geröthet!«

»Bah – lüge nicht! ich habe Dich selbst am vorigen Sonntag aus der Courtille nach Hause geführt, als Du Madame Colombine, die Leichenwäscherin, besucht hattest und nachher nicht mehr auf den langen Beinen stehen konntest!«

Ein schallendes Gelächter belohnte die Entdeckung. »Es war eine Ohnmacht!« rief der Lange, »meine schwachen Nerven waren angegriffen von der Geschichte, die sie mir über drei gesegnete Todesfälle in einer Familie während des Laufs einer Woche erzählt hatte! – Aber meine Herren, meine Herren! bedenken Sie, daß wir hier nicht allein sind und daß sie unserm hochachtbaren Stande, der gleich hinter der Geistlichkeit folgt, Schmach bereiten durch solche boshafte Reden!«

»Es ist wahr, Tourbillon hat Recht! Man muß die Standesehre wahren! Halte Dein Maul, Granget!«

»Was würde Carabouche dazu sagen, wenn er Euch gehört hätte!« näselte der Besucher der Leichenwäscherin.

»Carabouche! wo ist Carabouche? Madame, lassen Sie mir einen frischen Schoppen bringen und sagen Sie mir, wo Sie Ihren Gemahl haben, daß er seine Freunde vernachlässigt!?«

Die kleine dicke Frau schrie mit gellender Stimme nach dem Kellner.

»Was wollen Sie von Carabouche? Der arme Mann hat heute einen schweren Stand! Sie wissen, wie unglücklich es ihn macht, in der lüderlichen Gesellschaft zu sein, aber Jean-Pierre, unser Oberkellner, hat sich gestern das Bein gebrochen und die Herren vom Theater Beaumarchais feiern heute eine Taufe?«

»Eine Taufe? zum Henker! Die ganze Regie hat doch nicht etwa zusammen ein Kind gemacht?«

»Fi donc, Monsieur Granget, Sie sind abscheulich! ich werde Sie bei Madame Granget verklagen! Man ertheilt heute einer abscheulichen Sünderin, einer Novize des Ballets ihren Namen und Carabouche muß den Schänktisch überwachen!«

»Pardieu! Bei der Tugend der eilftausend Jungfrauen, da muß ich dabei sein! Carabouche wird Roger übertreffen!«

Der kleine Leichenbitter rollte den Trauerschleier um seinen linken Arm, nahm die Frackschöße in die Höhe und versuchte eine Pirouette zu schlagen, während er nach der Thür zum Garten eilte.

In einer Ecke saßen ein Paar ziemlich verdächtige Gestalten mit einem Mitglied des offiziellen Leichengefolges zusammen und tranken ihm eifrig zu.

Der Eine der beiden Fremden war ein Kerl von kolossaler Figur mit einem ungeschlachten finsteren Gesicht und einem keulenartigen Knüttel zwischen den Beinen, neben sich einen Bullenbeißer, dem er von seinem Abendessen zuweilen einen Knochen oder einen Bissen Fleisch zuwarf; der Andere äußerlich gerade das Gegentheil von ihm, denn er war klein und mager und hatte unter rothen Haaren ein wahres Fuchsgesicht.

Wer am Vorabend des berüchtigten blutgetränkten 2. Dezember mit gewissen Personen hinunter gestiegen wäre in die Steinbrüche von Montrouge, um die Schänke zur »Schönen Guillotine« zu besuchen, würde sich auch jetzt nach sieben Jahren wohl noch der beiden Persönlichkeiten erinnern.

»Also man hat den Sarg erst im Hofe des Hotel Lafitte zugemacht?« frug der Kleine, während er dem Leichenbitter auf's Neue einschenkte.

»Ja wohl, Monsieur! ich habe es selbst gesehen, wie die braunen Heiden die Leiche wuschen und allerlei ketzerische Ceremonieen mit ihr vornahmen.«

»Aber ich kann unmöglich glauben, daß man ihr all' den Schmuck, von dem Sie erzählen, gelassen hat, um ihn auf dem Kirchhof mit zu verscharren!«

»Ich will mich selber begraben,« schwor der bereits weinselige Leichenbestatter, »wenn ich nicht die funkelnde Krone auf seinem Kopfe mit Rubinen und Diamanten und Smaragden und wie der Putz der Vornehmen alle heißt, mit diesen meinen lebendigen Augen gesehen habe. Die Armbänder waren dreimal so dick wie die Stricke, mit denen Meister Calonne, der Todtengräber, die Särge in's Grab läßt, und die Ringe an den magern Fingern funkelten von lauter Juwelen! Es ist eine Schande, daß so viel Geld in der Erde verfaulen soll, aber diese Indier thun's nun einmal nicht anders, während sie uns mit einem Hundelohn abspeisen, die wir doch eigentlich den ganzen Staat des Leichenbegängnisses machen!«

Der würdige Repräsentant der audh'schen Familientrauer fing an zu schlucken, leerte das Glas noch einmal und legte dann das schwankende Haupt mit dem Trauerflor auf den Tisch.

Die Augen des Kleinen funkelten leuchtender als die Diamanten und Smaragden, von denen jener erzählt hatte.

»Was meinst Du, Nebukadnezar, flüsterte er. »Wollen wir morgen Nacht den Masematten handeln? Die Erde wird noch locker sein im Kniwer und die Arbeit gering.«

Der Riese schüttelte bedenklich den Kopf. »S'ist Jaske bessachern, Baal, sagte er, »die Galeeren sind uns sicher, wenn wir treife sind Ueberdies sind auf dem Bajes-aulem immer zwei Beileschmiere.

»Balmaure! wenn es so viele Awonim-tauwess gilt, was thun wir mit zwei Chajess? Wenn Du keine Courage hast, will ich's dem Gurgeljean verschlagen!«

»Was der Jean-Gorge thut, kann ich auch,« brummte mürrisch der riesige Wächter der »Schönen Guillotine« in den Steinbrüchen. »Packan macht den Einen stumm, ohne daß er einen Laut thut. Ihr wißt, Tête-Renard, daß er darauf abgerichtet ist!«

»Still Chammor, wer wird hier Namen nennen! Wir wollen weiter d'rüber kaspern nachher, es sind hier Orchims in der Nähe und halten die Ohren auf!«

Die Warnung bezog sich auf den Lord und seinen Begleiter, die an dem Tisch daneben Platz genommen und eine Flasche Wein bestellt hatten.

»Nun – by Jove! ich glaube, Meister Joseph kennt meine schwachen Seiten, daß er mir hier das Rendezvous gegeben,« sagte der Lord. »In der That, die Gesellschaft ist originell genug. Der seelige Rajah von Audh hat sich gewiß nicht träumen lassen, wo sein Leichenschmaus einst gefeiert werden würde! – Puh, Frau Wirthin – das Zeug ist sauer wie Essig! Haben Sie keinen Burgunder, Volnay oder Chambertin? aber unvermischt, der Preis ist gleichgültig!«

Er warf einen Napoleons d'or auf den Tisch. Otto von Reubel heftete nicht ohne Besorgniß einen Blick auf die verdächtige Nachbarschaft, die bei dem Anblick der reich gefüllten Börse lange Hälse gemacht und sich zugewinkt hatte.

»S'ist ein Rother, aufgepaßt Neb! Vielleicht ist auf dem Nachhausewege noch Etwas zu machen!«

»Ein schuftiger Engländer? Dann stech ich den Kerl ab wie ein Schwein! Es lebe der Kaiser, wenn ich auch an den Dreibein glauben müßte!«

Der »Fuchskopf,« als er die Stimmung seines Werkzeugs sah, ließ Branntwein kommen. – –

»Ich möchte Sie bitten, Mylord,« sagte der junge Preuße zu dem Pair auf Englisch, »etwas vorsichtiger in dieser obscuren Umgebung zu sein. Es dürfte schon Ihrer Absicht mehr entsprechen.«

»Sie haben Recht, Sir,« meinte der Excentric, »Ihr Rath ist gut, aber ich weiß in der That nicht, was mir heute Abend ist und ich brauche wirklich einige Aufregung, um die Unruhe auszugleichen, die mich verzehrt.«

»Ich kenne das Nähere Ihres Vorhabens nicht, Mylord, aber wahrscheinlich ist es dieses, was Sie so in Spannung setzt.«

»Ah – bah! Dann kennen Sie Edward Heresford noch schlecht, junger Mann! Nein, die Sache, in der Sie mein sehr unwissender, aber sehr gefälliger Verbündeter sein wollen, könnte mich nur bester Laune machen, denn es handelt sich darum, einem Gegner einen Streich zu spielen und ein Paroli zu biegen für schuftigen Undank! Nein, die Unruhe, die mich verzehrt, – diese eigenthümliche Aufregung der Nerven ist anderer Art – ich erinnere mich, Aehnliches kaum ein einziges Mal empfunden zu haben, damals in Indien, vor der Schlacht von Ferozschah!«

»Wie, Mylord, Sie haben die Schlacht mitgemacht, in der unser wackerer Prinz Waldemar an der Seite Ihres Generals den Angriffen der Afghanen stand!«

»Goddam! ich war nicht zehn Schritt von ihm, als er so tapfer mitten unter dem Ansturm seinen Freund, den Arzt – wie zum Teufel war doch sein Name?«

»Hofmeister!«

»Richtig, Master Hofmeister sterbend in seinem Arm auffing. Seitdem habe ich Respekt vor den Preußen! Ich habe mir einen Ihrer tüchtigsten Künstler, den Maler Kretzschmer aus Berlin nach Schottland kommen lassen, um mir eine Copie seines Bildes über die Sache zu malen. Aber wie gesagt, am Vorabend der Schlacht, als ich mit dem Prinzen bei Lord Harding soupirte, überfiel mich auf einmal ein ähnliches Gefühl und am andern Morgen hatte ich einen Lanzenstich in der Seite, der mich drei Monat auf's Krankenlager warf! – Aber fort mit den Narrheiten – wir haben hier treffliche Gelegenheit, alle Gespenster, und wären es die drei Hexen Macbeths, zu vertreiben. Lassen Sie uns den Volnay austrinken, der für eine Barriere von Paris nicht schlecht ist, und nach den hintern Räumen gehen, um mit dem Wirth zu sprechen, an den ich gewiesen bin!«

Er schenkte das Glas voll und stürzte es aus, während er sich erhob.

»Apropos, sind Sie bewaffnet?«

»Ich habe es bei dem Zweck, den meine Reise hat, für besser gehalten, keine Waffen bei mir zu führen, um nicht in Versuchung zu kommen, sie zu brauchen.«

»Dann nehmen Sie diesen Revolver. Man kann nicht wissen, was Ihnen zustößt, wenn Sie diese Nacht hier zubringen müssen, und es ist besser, auf alle Fälle vorbereitet zu sein!«

»Aber dann sind Sie selbst waffenlos!«

»Bah – ich bin bekannter mit den Parisern und bleibe auch nur so lange, bis die Person kommt, die ich erwarte. Lassen Sie uns jetzt den Wirth aufsuchen.«

Er hatte sich rasch orientirt und ging seinem Begleiter voran durch die Thür, durch welche vorhin der kleine Leichenbitter verschwunden war.

Tête Renard bezahlte und folgte ihnen mit Nebukadnezar, der – seit er von seinem Meister gehört, daß der Fremde ein Engländer sei, – bei dem blinden Haß, der damals die Armee und die niedern Stände, von der Presse aufgereizt, wegen des Attentats erfüllte, – mit grimmigen Blicken die Beiden betrachtete.

Der Viscount trat in den Hof – der Lärmen, das Jauchzen ubermüthiger Lust, die ihm aus den hintern Lokalitäten entgegen schollen, zeigte ihm den Weg.

Sie traten in den »Salon,« wie Madame Carabouche den Ort zu nennen liebte.

Wir müssen ihnen um eine Viertelstunde vorangehen und uns mit der Gesellschaft des »Salons« bekannt machen. – –

Monsieur Carabouche war an seinem Schänktisch beschäftigt, den so eben zwei Pärchen belagert hielten.

Wir haben bereits erwähnt, daß wegen der Fastenzeit keine Tanzmusik stattfinden durfte.

Aber ein Sprüchwort sagt: »Wer gern tanzt, dem ist leicht gepfiffen!« und die Gesellschaft half sich mit dem Sprüchwort, bildete einen Kreis oder eine Chaine um die zum Tanz Angetretenen und pfiff aus Leibeskräften die Melodie eines Contretanzes oder eines Cancan. Wer nicht mit dem Talent zu pfeifen begabt war, sang wenigstens die Melodie. Ueberdies hatte sich ein musikalischer Bewohner der Courtille gefunden, welcher für solche Fälle eine schrille Pickelflöte in der Tasche trug, und dies mit den beiden Harfen genügte vollkommen.

Somit fehlte es nicht an der nöthigen musikalischen, wenn auch nicht immer harmonischen Unterstützung.

Nahe an der Schänke befand sich ein Tisch, dem Herr Carabouche besondere Aufmerksamkeit zu widmen schien.

An diesem Tisch saßen Herren und Damen in etwas derangirter, aber immer genialer Toilette. Die Herren hatten die Halskragen geöffnet, der Dickste sogar den Rock ausgezogen und sich theatralisch mit dem bunten Shawl einer der Damen drapirt, während ihr Hut windschief auf seinem bereits kahlen Kopf saß; – die Frauen trugen einzelne Stücke der Garderobe, die offenbar noch einer Rolle auf dem Theater angehörten, darüber ein Tuch im Kreuz gebunden oder einen eleganten, nur etwas zerknitterten und schmutzigen Paletot oder Bournous geworfen.

Sicherlich aber genirte in diesem Augenblick Rücksicht auf die Garderobe am Allerwenigsten die lustige Gesellschaft.

Man trank Wein, Punsch und Bier, ziemlich Alles durcheinander.

»Carabouche, eine Flasche Champagner, aber keinen Elsässer oder von Deiner Limonade gazeuse! ich kenne Dich, schuftiger Kirchhofswurm, wie Du Deine Gäste gern betrügen magst. Aber bei Venus und Terpsichore, beim ersten Versuch schleudere ich Dir mein Glas an Deinen Schädel!«

Der Sprecher war ein dicker stattlicher Mann von einigen vierzig Jahren, mit Brillantringen auf den fleischigen Fingern und dem rothen Band im Knopfloch.

»Dicker Duplessis, ich trinke mit Dir!«

»Komm her Kind, setz' Dich auf meinen Schooß – es ist Dein Ehrentag, Du sollst getauft werden, und ein so unschuldiger Täufling riskirt bei einem Junggesellen wie ich bin, Nichts.« Er zog das etwa siebenzehnjährige Mädchen mit den dunklen blitzenden Augen und den dreisten Manieren zu sich – aber sie drehte sich mit einer Pirouette aus seinen Armen und warf ihr rechtes Bein in die Höhe, daß die Fußspitze ihm den Hut vom Kopf schleuderte.

»Zum Henker – wenn Du einen Winkel von über neunzig Grad machen willst, so benachrichtige mich vorher, kleine Josephine, damit ich meinen Operngucker benutzen kann. Du sollst binnen acht Tagen die erste Tänzerin an St. Martin sein, da Mademoiselle Cournière nicht hier ist, wenn Du das Kunststück noch einmal machst!«

»Fi donc, dicker Schäker, wer wird so neugierig sein! Gieb Deinen Champagner her und laß uns darauf trinken, daß Dein Bericht über mein Debüt mehr Furore macht als der über das Köpfen der armen Sünder!«

»Die Heiligen mögen sich ihrer erbarmen!« erklang die melancholische Stimme des Wirth. »O Mademoiselle Durvant, wie können Sie so Profanes mit dem Tode zusammenbringen, Juventus nunquam virtus! Herr verschließe Deine Ohren dem Frevel!«

»Dummes Vieh!« sagte höchst gelassen der Journalist. »Glaubst Du, daß wir hierher gekommen sind, um Deine Litaneien anzuhören? Wein her, oder wir demoliren die Bude und attakiren die Keuschheit der Madame Carabouche. He Legnier, haben Sie den Scandal am Ambigu mit Madame Fleurette gehört?«

»Nein, Doktor!«

»Ei parbleu – sie hat den neu engagirten Liebhaber vierundzwanzig Stunden in ihrem Zimmer eingeschlossen, weil er bei seinem ersten Besuch wie Joseph den Mantel im Stich lassen wollte!«

»Tout Ie monde autrefois courut
Après la petite Ragonde;
A son tour la Vieille est en rut,
Elle court après le monde!«

»Bravo Papa Carabouche, ich sehe, Du, bist wenigstens noch nicht zu den Trappisten übergegangen,« lärmte die Tänzerin, ihr Glas dem Journalisten zum Füllen hinhaltend. Geschwind würdigster Sohn und Erbe aller Begrabenen, gieb uns noch einen Chanson zum Besten!«

»Papa Carabouche, Papa Carabouche ein Lied!« heulte die ganze Tafelrunde. Die Quadrille war eben zu Ende und Alles drängte nach dem Schänktisch.

Ein Kreis hatte sich um den ehemaligen Leichenbestatter gebildet.

»Ich bin ein armer Sünder, der sich mit diesem traurigen Broderwerb beschäftigen muß, um sein und seines Weibes Leben zu fristen!« weinte kläglich der Lange. »Störet mich nicht in meinem Beruf und haltet die Versuchung von mir! Exorcisco vos! Exorcisco vos

»Was wir uns daraus machen!« lachte ein kleiner beweglicher Mann mit einem türkischen Fez auf dem Kopf und so weiten Seemannsbeinkleidern, daß man drei solche Figuren hätte hineinstecken können. »Den Teufel über diesen Dummkopf von Garderobier! Wie kann er mir zu meiner heutigen Rolle die Hosen des dicken Bamboche geben! Ich bitte Dich, Celeste, hilf mir, sie dreifach umzuschlagen oder ich kann die nächste Quadrille nicht mit Dir tanzen!«

»Carabouche! Carabouche! Wein hierher! Beim heiligen Prinzen von Arkadien – die Bedienung ist heute hundeschlecht!«

»Madame Carabouche ist mit Zwillingen niedergekommen, sie kann die Küche nicht besorgen!«

»Nein – die Ratten von Popincourt haben sie gefressen!«

»Die Köchin ist mit einem Zuaven davongelaufen.«

»Pfui, es ist eine ehrbare Person – über fünfzig! Aber Carabouche läßt erst auf den Dächern die Katzen fangen, die er uns als Hasen braten will!«

»Ich habe neulich einen Rattenschwanz im Fricassee gefunden. Pfui, Carabouche!«

»Schäme Dich, Papa Carabouche!«

Der unglückliche Wirth hob die Hände in die Höhe. »O Ihr Lügner! Ihr Lügner! Wollt Ihr einen ehrlichen Mann in seinem Gewerbe zu Grunde richten, nachdem Ihr ihm seine letzten Sparpfennige abgeborgt habt?«

»Aus christlicher Liebe mit zweihundert Prozent!«

»Wucher ist verboten, Carabouche! – ich brauche zehn Napoleons!«

Der Leichenbitter warf einen raschen Blick auf den Sprecher, einen sehr liederlich aber zugleich sehr gentil aussehenden jungen Mann mit blondem Henryquatre.

»Monsieur Bertin, erster jugendlicher Liebhaber der »Variétés,« ich borge Ihnen Nichts mehr! Apage Satanas! Bezahlen Sie erst Ihre letzte Anleihe!«

»Fichtre! Ich folge dem Beispiel der Regierung und bin bereit, alle Jahre ein Prozent zu tilgen. Aber wenn Du mir auf diesen Ring nicht zehn heilige Napoleons borgen willst, kannst Du zusehen, wer heute meine Zeche bezahlt!«

»Unsinniger Jüngling, der Du in Dein Verderben rennst! Zeigen Sie den Ring her!«

»Es ist pariser Gold, er hat ihn in der Colonnade des Palais Royal gekauft! Er betrügt Dich Carabouche!«

»Zum Teufel! werdet Ihr schweigen? Es ist ein Geschenk der kleinen Herzogin von Chateaubris, die sich in mich als »Raoul« verliebt hat, und wenigstens fünfhundert Franken werth!«

Der Wirth hatte bereits den Ring in der Hand und betrachtete ihn nach allen Seiten. »Man hat Sie belogen, Monsieur Bertin – das Höchste, was ein ehrlicher Christ geben kann, sind fünfzig Franken!«

»Sage acht Füchse!«

»Ich müßte die Wittwen und Waisen bestehlen!«

»Hundert Franken denn! oder ich veröffentliche im Journal des Debats unter der Protektion Monsieur Duplessis die Liebesbriefe der Madame Carabouche an mich, die beweisen, daß sie Dich zum Hahnrei macht.«

Und Monsieur Bertin begann sofort den »Cocus« zu singen:

»Dans notre voisinage, où l'on voit tant d'abus,
Disait Lucas à son Comprère;
Sans vous compter, combien comptez Vous de cocus?
«

Der ehemalige Leichenbitter ließ sich verleiten und fiel sofort ein:

»Comment, sans me compter! reprit l'autre en colère.«

»Das Geld, das Geld, oder ich stürme die Kasse, wie ich die Tugend der Madame Carabouche gestürmt habe!«

Der Lange breitete seine Hände schützend über den Ladentisch. »Halt, halt! Sie sollen es haben Monsieur Bertin! O über die Verderbniß! Aber das Gericht wird kommen über Euch, mit Schrecken und Pestilenz und Eure Gebeine verstreuen über die Haide! Ihr Spötter und Ruchlosen! tempus fugit! Das Gericht ist nahe!«

»Resurgam!« lachte der Schauspieler, indem er von den fünf Goldstücken eins zwischen die Gläser warf. »Vier Flaschen Champagner, alte Unke! Es ist Zeit, daß die Taufe beginnt. Mademoiselle Josephine ich zahle das Weihwasser, aber ich muß die Ehre des ersten Cancan haben!«

Die Tänzerin sprang auf den Stuhl, ihr Glas in der Hand und setzte den Fuß sehr ungenirt auf die Lehne.

»Nichts da, ich muß freie Wahl behalten zu meiner Einsegnung. Duplessis ist mir zu ungeschickt und mit Dir Bertin, kommt man in schlechtes Renommee. Ich muß etwas Anständiges, etwas Exquisites haben! Hurrah – ich habe mein Theil! Musik Kinder, den Cancan von Sebastopol!«

»Was ist's – wer ist der Glückliche?« und Carabouche begann mit heller Stimme zu singen:

»Un jour que Madame dormait,
Monsieur baisait sa Chambrière!«

Mademoiselle Durvant war von dem Stuhl gesprungen und wie ein Jagdhund durch die Menge geschlüpft. In einem Augenblick hielt sie den kleinen dicken Leichenbitter beim Kragen, der eben neugierig in den Salon hineinlugte.

»Hierher, Monsieur! herein mit Dir schwarzer Posaunenbläser des Todes! Du sollst die Ehre haben, bei mir Gevatter zu stehen und den ersten Cancan auf meiner Kindtaufe zu tanzen. Ohne Sträuben Du kleines schwarzes Ungeheuer, oder ich zerzause Dein Kapitol!«

Sie zog und stieß ihn unter allgemeinem Gelächter bis zum Tisch der Schauspieler.

»Bei allen Unterirdischen, wen haben wir hier? einen Boten des Jenseits!«

»Granget ...« rief der lange Wirth, die Hände erhebend. »Wie kommt Ihr hierher, Gevatter, warum bleibt Ihr nicht bei Madame Carabouche? in coelo quies! – Laßt ihn los, Ihr Unholde, er ist von der Zunft und mein Gevatter!«

»Eben darum! jetzt soll er bei mir Gevatter stehen. Trink, alter dicker Junge. Zizine, binde ihm den Trauerhut fest auf seinen runden Schädel, er darf ihn beim Tanze um keinen Preis verlieren!«

Mademoiselle Durvant brachte ihrer neuen Eroberung ein großes Glas Champagner und nöthigte ihn, es in einem Zuge zu leeren, während ihre Kollegin ihm ein Paar rothe Bänder, die sie sich von der Haube ihres ländlichen Kostüms abriß, an den Hut mit den langen Trauerfloren steckte und diesen unter dem feisten Kinn zusammen band.

Der kleine Mann hatte freilich trotz des Prahlens unter seinen Kollegen eigentlich nur seine lüsterne Neugier befriedigen wollen und sich auf den Schutz seines Freundes und Gevatters Carabouche verlassen, und schnitt daher ein ziemlich albernes Gesicht; aber der Champagner, dessen Portion sofort von einer der andern Damen wiederholt wurde, machte ihm Courage und begann ihm über die Bedenklichkeiten fortzuhelfen.

Ueberdies setzte sich die hübsche Creolin auf seinen Schooß und begann ihn zu caressiren.

Der kleine Mann fing an mit den Augen zu zwinkern und den Mund wie ein verliebter Täubrich zu spitzen, während die Männer der Gesellschaft sich ausschütten wollten vor Lachen und Carabouche einmal über das andere den Teufel exorcirte und seinen ehemaligen Kollegen ermahnte, seiner Würde eingedenk zu sein, bis der Teufel ihn selber bei den Haaren faßte und mit irgend einem Witzwort der Gesellschaft verleitete, einige Verse eines liederlichen Couplets dazwischen zu streuen.

Während dieser Scene der leichtfertigen, aber genialen Gesellschaft in der unmittelbaren Nähe des Büffets waren die andern Kreise nicht müßig und Jeder amüsirte sich so gut und ausgelassen er konnte, ohne sich viel um den Andern zu kümmern.

Am entgegengesetzten Ende des Saales saß eine eben so laute Gesellschaft, wie die an der Schänke: Studenten mit ihren »Frauen,« die das Gerücht der Hinrichtung in diese Gegend getrieben hatte, Flaneurs aller Art, Grisetten, Handwerker bunt durcheinander. An einen großen Burschen von etwa dreißig Jahren mit frechem, übermüthigem Gesicht und bunter geschmackloser Garderobe, der den Ton an dem Tische lärmend angab und von seinen Eroberungen schwatzte, lehnte eine Frauengestalt, die nicht in den Kreis zu gehören schien.

Man sah ihr, trotz der sehr derangirten einfachen, aber eleganten Toilette die Dame aus den höhern Ständen sofort an. Sie war von schlankem, hohem Wuchs, hatte herrliches blondes Haar und blaue Augen, aber diese von einem dunklen Streifen umgeben.

Ueberhaupt war ihr freundliches und angenehmes, wenn auch nicht schönes Antlitz von krankhafter Farbe und Magerkeit. Ein rother Fleck auf ihren Wangen zeigte einen fieberhaften Zustand.

Ueberhaupt war ihr Wesen ein seltsames. Ihre Augen flammten in dem Glanz einer unnatürlichen Erregung, – dann plötzlich bedeckte eine dunkle Röthe Stirn und Wangen bis zum Busen hinab, als gelänge sie augenblicklich zur Erkenntniß ihrer Lage; sie blickte mit Zittern und Entsetzen auf ihre Umgebung. Aber im nächsten Moment schien eine unbekannte Erregung und das Feuer der Getränke, die ihr Galan ihr reichte, wieder eine wilde Leidenschaft durch ihre Adern strömen zu lassen, ihre Augen funkelten in wollüstigem Feuer, ihr Busen hob sich und sie preßte sich unwillkürlich an ihren Begleiter.

An ihrem Stuhl hing Hut und Schleier, den sie schon längst abgenommen.

»Laßt uns tanzen, tanzen!« rief sie plötzlich aufspringend mit fremdem Accent. »Rodolphe, mein Liebster, ich muß tanzen! ich will lustig sein!«

»Hussah! meine kleine Elsasserin! einen Cancan noch und dann zu Hause und zu Bett! Es lebe die Liebe, wenn man einen Freund hat, wie den schönen Henriot!«

»Sie hat den Teufel im Leibe!« sagte einer der Studenten. »Seit einer Stunde rast sie ununterbrochen!«

»Wo zum Henker hat der Bursche die Dirne aufgeschnappt? Mir ist, als hätt' ich sie schon im Gedränge am Louvreplatz gesehen!«

»Cancan! Cancan!«

»Lucas revenat au logis
Avec plusieurs gens de sa sorte!«

Das Mädchen, das bereits ihren Liebhaber am Arm gefaßt und empor gezogen hatte, blieb plötzlich stehen. Sie fuhr mit der Hand nach der Stirn, es war, als durchzucke sie ein elektrischer Schlag und ihr Gesicht färbte sich mit fliegender Röthe.

»Um Gotteswillen, wo bin ich?« sagte sie deutsch, indem sie den Mann, der sie umfassen wollte, mit Ekel von sich stieß. »Rühren Sie mich nicht an! Was ist mit mir geschehen – ich will fort von hier, nach Hause!«

Ihre Augen starrten mit unverkennbarem Entsetzen umher.

»Mach' keine Flausen, alberne Dirne,« sagte der Mann roh, ohne daß er die deutschen Worte verstanden hätte. »Bald hab' ich's satt und kann zehn andere Demoiselles haben, denn sie lecken sich die Finger nach dem schönen Henriot. Allons trink und dann noch einen Tüchtigen!«

Er setzte ihr das Punschglas an den Mund und das Mädchen trank einen Schluck – erst mit Ekel – dann sog sie das noch halbgefüllte Glas leer. Ihre Augen begannen auf's Neue zu funkeln. »En avant Rodolphe, au danse!«

Sie zog ihn in die Reihe, die sich bereits gebildet hatte »Die Taufe! die Taufe!«

»Wer hält das Kind?«

»Ich bin der Vater, ich beanspruche die Ehre!«

»Den Henker auch, dicker Duplesis, Sie lassen mich fallen!« rief der unschuldige Täufling.

»Wenn Du fällst, meine Liebe,« tröstete der Journalist, »so fällst Du auf denjenigen Theil, der am wenigsten Schaden leiden kann! Aber ich will mir einen Substituten kommandiren. Nicole, halten Sie ihr die Beine, aber hübsch anständig, ohne sich über die Knöchel zu verirren!«

»Nein – Nicole ist nichtswürdig! mein schwarzer Pathe soll es thun!«

»Mann des Grabes,« sagte der dicke Journalist pathetisch – »diese Ehre soll Ihnen widerfahren, indem wir hoffen, daß Sie den irdischen Versuchungen abgestorben sind und in dieser jungen Sünderin nur ein einfaches Wickelkind sehen, dessen unzüchtige Berührung im Code Napoleon verboten ist. Bei dem Haupte Orsini's, wickeln Sie ihre Unterröcke um die Knöchel und halten Sie fest. Wo ist der Pfaffe und das Taufbecken? Saint Just, – thun Sie Ihre Schuldigkeit!«

Der erste Komiker des Beaumarchais, ein hagerer Alter mit einem grauen Krauskopf, schlug eine Serviette um seine Schulter, Nicole griff eine Schüssel zum Gläserspülen von dem Schänktisch, goß das schmutzige Wasser Monsieur Carabouche über die Füße und leerte eine Flasche Champagner hinein.

»Ich bitte die verehrlichen Pathen, sich um den Täufling zu gruppiren! Haben Sie sich gruppirt?«

»Duplessis, kneipen Sie mich nicht, oder ich kratze Sie!«

»Es ist Dein schwarzer Liebhaber da unten, der Dich wie Blaubart an den Fußsohlen krabbelt!«

»Dann geb' ich dem Kerl einen Tritt vor den Magen!«

»Meine Herrschaften! meine Herrschaften! Senores und Gentlemen! Sie werden doch keine Todsünde begehen? Langue di Santi! Es ist eine Blasphemie der heiligen Kirche,« rief der Wirth. »Absolve, quaesumus Domine!«

»Halt's Maul!« befahl der Komiker. »Stillgestanden, ich beginne!«

In diesem Augenblick waren der Lord und sein Begleiter in den Saal getreten und näherten sich der ausgelassenen Gruppe.

Monsieur Saint Juste hatte die Faust bereits in dem inprovisirten Taufbecken und bespritzte den vielversprechenden Täufling drei Mal.

»Im Namen des Porte Saint Martin, des Ambigu und Beaumarchais taufe ich Dich, ungezogener Sprößling der Terpsichore zum Mitglied der noblen Zunft von den Tricots und Flatterhöschen! Möge es Dir nie an Einfaltspinseln fehlen, die Deine Wattons für Fleisch und Blut halten und ihre Börsen noch bereitwilliger in Stich lassen als ihre Unterhosen. Stehe auf, keusche Vestalin der Bretter und wandle hinfort auf den Theaterzetteln unter dem Namen – alle Teufel, wie soll sie denn heißen?

»Ambroise!«

»Nein – Georgine!«

»Esmeralda!«

»Es muß etwas Feines sein! Wie wäre es mit Klytemnästra oder Portiunkula?«

»Fi donc!«

»Halt – da ist's! Sie hat Finesse genug schon in dieser zarten Jugend, um die Männer auszuziehen, wenn diese sie ausziehen wollen! Ich schlage vor, den Täufling Finettezu heißen!«

»Finette! Finette!« schrie die Bande.

»Mademoiselle Finette« sagte der Journalist, »erheben Sie sich mit diesem Namen, wenn Sie nicht wünschen, auf dem Kopf zu stehen und der verehrten Gesellschaft ein Schauspiel zu geben; denn meine Arme sind eingeschlafen! – Teufel Mylord,« unterbrach er sich. »Sind Sie's wirklich? Wie zum Henker kommen Eure Herrlichkeit hierher?«

»Ein Mylord? Pardieu, da muß ich dabei sein! Dicker Duplessis, Du wirst mich ihm als Dein eben getauftes Kind vorstellen!«

Mademoiselle Finette, nach ihrem neuen nomme de bataille, schwang sich vermittels eines Trittes auf ihren schwarzen Pathen wieder in senkrechte Stellung und lorgnettirte den Lord und seinen Begleiter.

»Wahrhaftig – ein ganzer Gentleman und wenn er Pfunde hat und nicht knickrig ist damit, will ich ihn centnerweise lieben, – obschon mir der Andere lieber wäre.«

»Mylord,« sagte der Journalist, »erlauben Sie mir, mich für so manche interessante Stunde zu revangiren und Ihnen diesen Kreis achtbarer und unter Aegide weiland des Herrn Carabouche, ehemaligem Mitglied der hochehrwürdigen Leichenbitter- und Todtengräber-Zunft, jetzigem Ganymed dieses tugendhaften und respektablen Ortes zu präsentiren, wie sie eben bemüht sind in Erwartung des Abscheidens der Herren Orsini und Complicen diese sittsame Novize der Tanzkunst mit dem Champagner einer dramatischen Taufe zu begießen!«

»Uf!« rief der würdige Täufling – »war das eine lange Rede! Erhole Dich Dicker!« und damit schlug sie ihn mit der Fußspitze gegen den Leib, daß er laut aufkreischte.

»Satan von einem Frauenzimmer! ich werde Dich bei Gericht wegen eines Mordversuchs denunziren!«

»Pah – das für die Gerichte der ganzen Welt!« Sie schlug ein Schnippchen. »Edler Britte, wollen Sie mit mir den Täuflings-Cancan tanzen, obschon Sie nicht die Ehre haben, mein Pathe zu sein?«

Der Viscount lachte. »Nein, schöner Säugling, ich bin etwas zu steif dazu. Aber ich mache mir das Vergnügen, Ihnen als Pathengeschenk diese Nadel« – er nahm die kostbare Busennadel aus seiner Cravatte – »an die Brust zu stecken!«

»Carrajo!« sagte Carabouche – »dieser Engländer verdient auf dem Père-Lachaise begraben zu werden!«

Der Lord machte bei dem höflichen Wunsch eine unwillkürliche Bewegung, als träte er auf ein widriges Reptil und seine Hand zuckte nach der Stirn.

Im nächsten Augenblick hatte er jedoch die Schwäche bewältigt und die Tänzerin half ihm ohnehin darüber fort.

»König aller Mylords, Finette ertheilt Dir hiermit einen Passe partout aus ihre Gunstbezeugungen. Papa Carabouche, wenn Du nicht ein so infamer Wucherer wärst, würde ich dies Kleinod bei Dir in Versatz geben!«

»Ich schwöre Ihnen, Mademoiselle Finette – ich achte diesen Großinsulaner zu hoch, um nicht das Möglichste zu thun. In paradisum deducant te Angeli!« und er begann mit heller Stimme die bekannte Ballade zu singen:

O Richard! o mon roi!
L'univers t'abandonne;
Sur la terre il n'est donc que moi
Qui s'interesse a ta personne!

»Still Gräberunke! hörst Du nicht, daß sie den Cancan beginnen! Allons mein hübscher Junge – ich erzeige Dir die Ehre als Engländer, obschon Ihr mir meinen kleinen Louis mit den Spindelbeinen ermorden wolltet!«

»Mademoiselle,« sagte der Preuße höflich aber bestimmt, »ich bin kein Engländer und verstehe die französischen Tänze nicht!«

»Als Entschuldigung verspreche ich Ihnen, die Nadel bei Monsieur Carabouche mit hundert Pfund einzulösen!«

»Bei dem heiligen Cartouche! er ist der einzige Gentleman in der Gesellschaft! Hierher also Du schwarzes Ungeheuer! Finette, die Königin des Cancan, erzeigt Dir die Ehre, ihr Wort zu halten und mit Dir einen Schmeißer zu riskiren! Aber der Teufel soll Dich holen, wenn Du Dich nicht anstrengst!«

»Madame,« sagte der kleine Leichenbitter, sich in die Brust werfend, und vom Champagner zu jedem Exceß angefeuert, »ich hoffe, Ihnen Ehre zu machen!«

Er bot ihr die Hand und führte sie unter dem Gelächter der Uebrigen zu der Reihe, die sich bereits bei der seltsamen Musik gebildet hatte.

»Es lebe der Cancan! Vorwärts!«

Monsieur Carabouche war auf seinen Schänktisch gestiegen und sah aus, wie der schwarze Pfahl eines Galgens, während er mit tiefer Stimme den Baß zu dem jubelnden übermüthigen Gesange intonirte.

Die lange Reihe war in voller Bewegung, die Herren stampften und sprangen wie besessen, die Damen kniffen die Röcke zusammen und schlugen bis zu den Nasenspitzen der Tänzer die Spitzen ihrer Schnürstiefeln.

»Finette hat Recht, sie ist die Königin des Cancans! Seht, wie sie rast! Die Bocksprünge ihres Partners sind wirklich zum Todtlachen!«

»Sie hat Raçe, die Kleine! aber dort unten die große Blonde – kommen Sie einmal dahin, Monsieur de Reuble, dies Mädchen tanzt wie eine wahre Bachantin! So müssen die Mänaden sich geberdet haben!«

Sie traten einige Schritte weiter vor – plötzlich erscholl ein wilder, gellender Ruf.

»Rosamunde!«

Trotz des bachantischen Lärmens im Saale drang der Ruf weithin bis in die fernste Ecke.

Zugleich warf die kräftige Hand des jungen Preußen zwei Paare über den Haufen und er stürzte sich mitten zwischen die Reihe.

»Rosamunde!«

Ein schriller Aufschrei – die große blonde Tänzerin mit dem bleichen Gesicht blieb mitten in der Tour stehen, sie fuhr mit den Händen nach den Schläfen und schwankte wie ein Rohr. Ihre hellen blauen Augen fuhren wie irrsinnig umher.

»Um Himmels willen – diese Stimme! – Otto! Otto rette mich!«

Mit dem Sprung eines Löwen war er bei ihr.

»Heiliger Gott! wie kommst Du hierher? – Halte Dich an mich, Rosamunde! fort von hier!«

Der Tanz stand still, Alles drängte herbei. Er hatte sie mit beiden Armen umschlungen und aufgehoben, und versuchte, sie aus den Reihen zu tragen. »Fort da! Platz!«

»Daß ich ein Narr wäre, mir so den Mund zu wischen!« schrie der schäbige Elegant, der mit der Fremden zum Tanz angetreten war. »Für was hätte ich sie vom Chateau d'Eau bis hierher geschleppt? Laßt die Elsasserin los, langer Schlingel, oder Ihr sollt es mit mir zu thun kriegen!«

»Schmeißt den Störenfried 'raus! Was will der Bursche hier?«

Das Mädchen hing bewegungslos an des Bruders Halse, nur ein lautes Schluchzen verrieth, daß sie nicht in Ohnmacht gefallen war. Sein Gesicht nahm eine blasse, fast fahle Farbe an. Seine gleich denen der Schwester blauen Augen wurden starr und gläsern, ein unheimliches Licht schien aus ihnen emporzublitzen.

»Lassen Sie mich durch – geben Sie Raum!«

Aber die Menschenmauer verdichtete sich, lachend, trotzend, in vielen begann sich der böse Geist zu regen.

»Nichts da – für was habe ich sie tractirt? Die Elsasserin muß bei mir schlafen!«

Der schöne Henriot hatte das Wort kaum ausgesprochen, als ihn ein Faustschlag so gewaltig in's Gesicht traf, daß er der Länge nach den Boden maß.

»Canaille!«

Dies war das einzige Wort, das den Schlag begleitete. Aber die vor dem nun wirklich erschreckenden Anblick des jungen Mannes zurückweichende Menge erhob jetzt ein Zetergeschrei, und die Freunde des Monsieur Henriot schrieen, der fremde Tölpel habe ihn todt geschlagen.

Die Adern an der sonst so klaren, ruhigen Stirn Otto von Röbels waren blau angeschwollen – eine eigentümliche krampfhafte Bewegung zuckte um seinen Mund.

Es war jener Zustand, den schon einmal seine Mutter beschworen, in dem er sich aus der Luke des Schloßthurms zu Neuchâtel mit seinem damaligen Feinde gestürzt hatte.

Der Lord hatte sich näher gedrängt, als er seinen Begleiter in dieser Situation sah.

»By Jove, Sir, – was haben Sie da, was giebts?« frug er auf englisch.

»Mylord – ich muß hinaus – oder ich begehe einen Mord!«

»Ruhig! ruhig! was ist geschehen?«

Der Preuße hatte mit einem Schwunge die halb ohnmächtige, willenlose Gestalt des Mädchens auf seinen linken Arm geworfen. Zugleich erinnerte er sich an den Revolver, den ihm der Lord gegeben und riß ihn aus der Tasche.

»Platz da – wer mich anrührt, ist ein Kind des Todes!«

Man sah ihm an, daß der geringste Widerstand die Drohung auf jede Gefahr hin schrecklich zur Ausführung bringen würde.

»Um Himmelswillen, schießen Sie nicht, Röbel« rief der Lord. »Bedenken Sie, was Sie thun!«

»Mylord – es ist meine Schwester!«

»Dann fort – bringen Sie sie fort! ich decke Ihnen den Rücken!«

Der Viscount brach sich Bahn zu seinem Begleiter, indem er die Vorstehenden achtlos zur Seite stieß.

»Engländer! Engländer! Schlagt die Meuchelmörder todt, die falschen Hunde! die Giftmischer und Bombenschmeißer!«

Der Nationalhaß, durch das Attentat erregt und die Presse geschürt, brach in vollen Flammen aus. Vergebens hörte man Papa Carabouche, der übrigens an Schlägereien ziemlich gewöhnt war, von der Höhe seines Schanktisches fortwährend rufen: »In coelo quies! in coelo quies! – Cospetto! halten Sie Ruhe, meine Herrschaften, oder ich rufe die hohe Polizei!«

Der Preuße schien weder den Sturm um ihn her noch die letzten Worte seines Begleiters gehört zu haben. Langsam, den Revolver vorgestreckt, das jetzt wirklich ohnmächtige Mädchen auf seinem Arm, ging er auf die Menge, die unwillkürlich mehr von dem Anblick, den er bot, als von der drohenden Mündung des Pistols eingeschüchtert, ihm Platz machte, nach der Thür zu.

Der dicke Journalist hatte Geistesgegenwart genug, dieselbe rasch zu öffnen, und sie, als der junge Mann mit seiner Last hinaus geschritten war, zuzuschlagen.

Lord Heresford, der seinem Begleiter Schritt vor Schritt folgte, warf sich vor die Thür.

»Also Messieurs,« sagte er lachend – »es scheint, daß es den Engländern gilt? Nun, Goddam your eyes – das hier ist ein Kanal, den Niemand passiren soll trotz Cherbourg! Bleibt hübsch zurück, Kinder, wer nicht ein blaues Auge sich holen will!«

Er streifte ruhig seinen Rockärmel in die Höhe und setze sich in Boxerpositur.

»Auf ihn! auf ihn! Der Puddingfresser verhöhnt uns noch! – Schlagt ihn zu Boden, den englischen Lump! – Hinter dem Mädchendieb drein!«

Vergebens versuchte Duplessis und einige Verständige, selbst Meister Carabouche die Menge zu beruhigen. Der Erstere rief vergeblich, es sei der Viscount von Heresford, ein englischer Excentric und ein vornehmer Mann, ein Freund des Kaisers, den man schonen müsse.

Die Frauenzimmer kreischten bei dem Scandal, der kleine Tänzer Finette's hatte sich unter einen Tisch verkrochen und die Tänzerin selbst bemühte sich auf alle Weise, die Streitenden zu beruhigen; denn die Pfunde des Engländers waren ihr zehnmal wichtiger als jeder Zipfel von Nationalstolz.

Aber es waren viel zu viel überwiegende Elemente in der Gesellschaft, die den Krakehl liebten und wollten. Die Studenten hetzten und schrieen aus purem Uebermuth, die niederen Personen tobten aus der gewöhnlichen Brutalität und die Kunde, daß ein Lord – ein Engländer – sich ihnen so herausfordernd entgegenstellte, erhitzte die Gemüther.

Monsieur Henriot hatte sich bereits von dem Denkzettel wieder erholt und that alles Mögliche, um die verlorene Beute wieder zu gewinnen, ohne sich dabei einer weiteren Gefahr auszusetzen.

»Auf ihn! Schlagt ihn nieder, den englischen Lump!« Ein großer, kräftiger Bursche warf die Anderen zur Seite.

»Fort da! laßt mich an den Engländer! ich habe so manchen Ochsen erschlagen und werde wohl mit dem Beafsteak-Gesicht fertig werden!«

Es war ein kräftiger Schlächtergeselle von Menilmontant, aus der Normandie, mit Muskeln wie die Taue eines Schiffs und einem blutgewohnten und blutgierigen Blick.

Die Menge, die um so mehr Courage hatte, nachdem sie sich überzeugt, daß ihr einzelner Gegner keine anderen Waffen zur Abwehr führte, als seine Hände, jauchzte ihrem Vorkämpfer Beifall.

»Hurrah drauf, Kamerad, gieb's ihm tüchtig, dem Mylord!«

Der Schlächter hatte seinen Rock abgeworfen, den ihm bereitwillig Einer der Gesellschaft hielt und ging mit geballten Fausten auf den Viscount los.

»Daß sich Keiner untersteht, sich hineinzumengen!« brüllte er.

Der englische Excentric stand ruhig, den Oberkörper leicht zurück gebeugt in der Boxerposition. Seine Miene zeigte die ruhige spöttische Ueberlegenheit, die ihn bei weit ernsteren Gefahren nie verlassen.

»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte er fest. »Nicht ich bin es, der den Kampf beginnt! Ihre saubere Gesellschaft wird hoffentlich so anständig sein, ihn ehrlich führen zu lassen!«

»Hund von einem Briten! nimm das als Antwort!«

Der Schlächter stürzte sich auf die ruhige schlanke, anscheinend kaum des Widerstandes gegen solche brutale Kraft fähige Gestalt des Pairs, und führte einen furchtbaren Schlag nach ihm, der wirklich, wie der Schlag des Milo, einen Ochsen hätte tödten können.

Der Viscount parirte den Schlag mit seinem linken Arm, und den rechten vorwerfend, versetzte er seinem Gegner einen solchen Stoß mit der Faust zwischen die Augen, daß derselbe zurücktaumelte und von seinen Freunden aufgefangen werden mußte.

Einige Augenblicke darauf hatte das Wuthgeschrei seiner Kameraden ihn jedoch wieder zur Besinnung gebracht.

Er faßte nach dem Messerschärfer, der an einem Muschelgürtel an seiner Seite hing, und denselben wie ein Messer zum Stoß haltend, stürzte er unter einem Brüllen wie das eines wüthenden Stiers nochmals vorwärts.

Der Excentric erwartete ihn, den linken Fuß und den linken Arm vorgestreckt, ohne einen Laut von sich zu geben.

Seine Stirn war in zwei tiefe Falten zwischen den Brauen zusammen gezogen, die Zähne waren fest zusammen gebissen.

Wie ein wildes Thier sprang der Schlächter auf ihn ein, die stumpfe aber gefährliche Waffe zum Stoß vorgestreckt.

»Stirb Du englischer Mörder!«

»Dummkopf!«

Eine leichte Bewegung der Linken wandte den gefährlichen Stoß zur Seite. Zugleich traf die Faust des Lords so gewaltig gegen die linke Schläfe des Angreifenden, daß dieser im Halbbogen sich drehte und wie ein Sack zu Boden stürzte.

Aber fast im selben Augenblick erklang auch von allen Seiten der Ruf: »Nieder mit ihm! Schlagt ihn zu Boden! Hinaus mit ihm!« und von drei Seiten stürzte sich mit allerlei Waffen zum Handgemenge der ganze Halbkreis auf den Lord.

Ein Paar Minuten widerstand er mit kräftiger, energischer Verteidigung, mit dem Rücken gegen die Thür gestemmt, die er so mannhaft vertheidigte. Aber dann wurde seine Kraft überwältigt und er sank noch immer ohne einen Laut von sich zu geben und um Hilfe zu rufen in die Knie.

In diesem Augenblick wo die Kämpfenden einen wirren wüsten Knäuel bildeten, stieß Tête-Renard, der sich mit seinem Akoluthen von Beginn des Streites an unter der Menge befand, sein Werkzeug an.

»Vorwärts Neb! jetzt ist der Augenblick! Gieb's ihm unter der fünften Rippe! Die Börse steckt in seiner linken Rocktasche!«

Der Wächter der »Schönen Guillotine« stürzte sich in den Knäuel der Balgenden. Gleich darauf hörte man einen leichten Schrei.

Neb sprang zurück. »Ich habe sie! fort!«

Wie mit einem Zauberschlage löste sich die wirre wilde Masse. »Blut! – Blut! – Mord!«

Meister Carabouche schlug die Hände zusammen. »Dies illa, dies irae, calamitatis et miseriae! Herr erbarme Dich!«

Der Ruf Mord – der Anblick des Blutes, das im Nu viele Hände färbte und eine große Lache auf dem Fußboden bildete, stob sofort die Streitenden auseinander und ließ den Platz um den Lord frei.

Man konnte jetzt sehen, welches Unheil geschehen war.

Der Viscount hatte sich wieder auf ein Knie erhoben, die linke Hand stützte er auf den Boden, die rechte preßte er auf die Seite, während zwischen den Fingern unaufhaltsam dunkle Blutwellen hervordrangen. Auch von der Stirn rieselte ein Blutstreif aus einer Wunde, die ihm ein Stockhieb geschlagen hatte. Seine Kleider waren zerrissen und beschmutzt.

»Goddam« sagte er schwer. »Das war feiger tückischer Mord! Zum Teufel mit diesen Froschfressern – sie haben mir den Rest gegeben! – Helfen Sie mir auf, Duplessis, wenn Sie ein Gentleman sind, damit ich als ein solcher sterbe!«

Der dicke Journalist schreckensbleich und von allen Geistern des Weins verlassen, versuchte den Blutenden aufzurichten und sah sich nach Beistand um, aber der Kreis umher lichtete sich rasch und Jeder eilte, so schnell wie möglich aus dem Saale zu kommen, um nicht bei der unglücklichen Geschichte von der Polizei als Mitschuldiger oder Zeuge gefaßt zu werden. Nur zwei oder drei Personen, darunter Mademoiselle Durvant, die Tänzerin, die man Finette getauft, unterstützten ihn.

»Um Gotteswillen Mylord, ermannen Sie sich! es wird hoffentlich nicht so schlimm sein. Einen Arzt! Steht nicht da Ihr langer Esel, sondern schafft einen Doktor herbei!«

Die Ermahnung galt Monsieur Carabouche, der mit noch verlängertem Gesicht und die Hände ringend dabeistand und kaum wußte, ob er die Sterbe-Litanei oder irgend ein Lied seines gewöhnlichen Schlages anstimmen sollte. Endlich entschloß er sich, seinen Gevatter Granget unter dem Tisch hervorzuzerren und ihn mit einem Tritt und dem Auftrag nach vorn zu schicken, man möge schleunigst einen Doktor auftreiben.

Die Kunde von dem Unglück war unterdeß durch die Flüchtenden bereits in das Vorderhaus gedrungen und Madame Carabouche eilte mit großem Geschrei an der Spitze der noch anwesenden Leichenbitter und anderen neugierigen Gäste herbei, die nicht zu fürchten brauchten, durch ihre Gegenwart bei dem Streit selbst compromittirt zu werden.

Duplessis hatte mit Hilfe der Tänzerin und zweier anderer Personen – denn der Saal war jetzt völlig leer von den früheren Gästen, – den Pair auf den Sessel gehoben, den Carabouche aus seiner Schänke eiligst herüberlangte, als Madame auf dem Schauplatz ankam und bei dem Anblick des blutenden Mannes laut aufkreischte.

»Carabouche, Unglücklicher! was ist geschehen? was hast Du gethan? Heilige Ursula und Genoveva, was wird die Polizei dazu sagen! und sie erzählen gar, er sei ein Lord!«

»Lord oder Kesselflicker,« bedeutete zähneklappernd ihr würdiger Gemahl die Dame, »mors vincit omnia, Madame Garabouche, der Tod macht Alles gleich! Excultahunt domino ossa humaliata! Carambo! es ist eine ganz verfluchte Geschichte, aber ich kann Nichts dafür und werde für ein möglichst christliches Begräbniß sorgen!«

Der Verwundete war in Ohnmacht gesunken. »Einen Arzt! einen Arzt, ihr Narren!« wiederholte der Journalist. »Schafft wenigstens Essig und Wasser herbei, statt sich zu zanken. Mademoiselle Josephine haben Sie Ihr Flacon bei sich?«

»Hier ist es Dicker!«

Zugleich ließ sich eine ernste Stimme hören. »Was ist hier geschehen? Wer ist ermordet?«

Die hohe jetzt aufgerichtete Gestalt des falschen Sakristans war in den Kreis getreten.

»Ein Priester! oder wenigstens Einer von der Kirche! Gott sei Dank, daß dieser englische Mylord nicht als Ketzer zu sterben braucht!«

Der »Prophet« hatte die Vorstehenden zur Seite geschoben und einen raschen Blick auf den Blutenden geworfen. »Gütiger Himmel – Mylord Heresford! Was ist geschehen – wer hat das gethan?«

»Ein unglücklicher Streit – eine Prügelei um ein Frauenzimmer,« erzählte der Journalist. »Der Lord war erst kurz vorher eingetreten und vertheidigte einen Freund gegen die Menge, die ihn überwältigte. Ich hoffe, seine Wunde ist nicht gefährlich – wenn Sie etwas davon verstehen, mein Herr, wie es mir nach Ihrem Behaben scheint, so legen Sie einen Notverband an, bis es mir gelingt, einen Arzt herbei zu schaffen, denn die Wirthsleute scheinen den Kopf verloren zu haben!«

Der falsche Sakristan hatte in der That die Kleider des Verwundeten geöffnet und seine Brieftasche hervorgezogen, in der sich ein kleines wundärztliches Besteck befand. »Ich kann wenigstens die erste Hilfe leisten,« sagte er hastig. »Gehen Sie mein Herr, und suchen Sie einen Arzt herbei zu holen«, so schnell als möglich! Es ist ein großes Unglück!«

Der Journalist zog Madame Carabouche fast mit Gewalt mit sich fort, um von ihr die nöthige Auskunft zu erlangen.

Er hatte kaum den Saal verlassen, als der Sakristan den Kneipenwirth zur Seite winkte.

»Ora!« sagte er leise.

Meister Carabouche fuhr zusammen und sah den Verkleideten erschrocken an. Die Verkleidung selbst war indeß so meisterhaft, daß er Nichts entdecken konnte, was sein Erstaunen vermindert hätte.

»E semper!« antwortete er.

»Es ist gut damit. Ich bin Euer Vorgesetzter. Wenn es sonst noch eines Mittels bedarf, Euch zum raschen Gehorsam zu bewegen, so wird, denke ich, die Erinnerung an Neapel und das Verschwinden eines gewissen deutschen Reisenden vor sechszehn Jahren auf dem Wege nach dem Vesuv genügen, von dem sein Diener allein zurückkehrte.«

Der ehemalige Leichenbitter war ganz fahl im Gesicht geworden und zitterte sichtbar. »Befehlen Sie, Herr – was soll ich thun? Sie werden einen armen Mann nicht unglücklich machen!«

»Ich denke nicht, wenn ich strengen Gehorsam finde. Zunächst schafft auf irgend eine Weise und so schnell als möglich diese Leute aus der Nähe des Kranken, bis wir sie etwa brauchen.«

»Alle – auch das Weibstück?«

»Auch diese! – Ich werde mich unterdeß mit dem Verwundeten beschäftigen.«

Der Wirth rief seine ehemaligen Kameraden zusammen und erklärte ihnen, daß es, wie er sich ausdrückte, in articulo mortis sei, und daß der Lord, sobald er wieder zu sich käme, von dem fremden geistlichen Herrn ermahnt werden solle, vor seinem Ende die Ketzerei abzuschwören. Damit trieb er sie und alle anderen Neugierigen nach dem andern Ende des Saales.

Der Sakristan hatte unterdeß die Wunde näher untersucht und die Blutung durch ein festes Umbinden mit seinem weißen Halstuch für den Augenblick gestillt. Sein Blick war sehr ernst und er schüttelte mehrmals den Kopf.

»Was sind für Leute hier gewesen?« frug er streng. »Der Stich ist offenbar von der geübten Faust eines Banditen geführt worden, denn er geht durch die Rippen von unten nach oben und ich fürchte, daß die Lebensorgane verletzt sind!«

»Ich schwöre Ihnen, Herr, ich weiß von Nichts!« stöhnte der unglückliche Wirth. »Es sind heute des Begräbnisses und der Hinrichtung wegen so viele Fremde hier gewesen ....«

»Genug! schweigt! Er kommt wieder zu sich. – Mylord, mein theurer Freund – ermannen Sie sich!« Er hatte dem Verwundeten ein scharfes Salz vorgehalten und seine Schläfe damit gerieben. Der Viscount schlug die Augen auf.

»Goddam!« sagte er leise, »ich meinte schon, es wäre zu Ende. – Ah – Sie sind es Signor! Das ist gut, so kann ich Ihnen wenigstens noch meine Aufträge geben. Es ist mir ein Unfall passirt und ich fürchte – der Excentric und rastlose Herumschweifer wird bald ein stiller Mann sein.«

Der »Prophet« antwortete weder auf die Frage noch auf den begleitenden Blick.

»Ich weiß, Signor Giuseppe,« sagte der Lord, »daß Sie ein halber Wundarzt sind. Bei Ihrem Geschäft lernt man das durch die Uebung. Sie kennen mich zur Genüge – also sagen Sie kurz und bestimmt, wie es steht!«

»Mylord – ich habe nach einem Arzt geschickt. Indeß – versuchen Sie einmal tiefer zu athmen.«

Der Verwundete that es – offenbar mit Anstrengung. Ein leichter hellrother Schaum trat auf seine Lippe.

Der Italiener beugte schmerzlich das Haupt. »Freund,« sagte er traurig – »Sie sind ein Mann! ich fürchte, Sie haben nur noch wenige Minuten zu leben. Wenn Sie irgend eine Bestimmung haben –

»Nein – meine Bestimmungen sind längst getroffen! Es ist nur einfältig, nach so mancher besseren Gelegenheit an einem Kneipenstreit sterben zu müssen, und doch ist das Wie? am Ende gleich. Kommen Sie hierher, Signor, – fassen Sie in meine Brusttasche und nehmen Sie das kleine Portefeuille. Es sind zwölftausend Pfund darin in Banknoten – die anderen Papiere verbrennen Sie. Es ist das Geld für die Rettung Orsini's. Apropos – ich schulde dem Mädchen da, der Tänzerin, die den Muth hatte, mir beizustehen, hundert Pfund!«

»Sie sollen bezahlt werden, Mylord, aber ....«

»Nun, wenn Sie den Streich nur so ausführen, wie er eingeleitet, bin ich überflüssig! Ich gehe wenigstens mit dem Vergnügen aus der Welt, an diesem Herrn Bonaparte mich revangirt zu haben. Sie waren im Gefängniß? Sie haben Alles vorbereitet?«

Das Sprechen wurde ihm offenbar sehr schwer, es war mehr ein Röcheln. Auf den befehlenden Wink des »Propheten« war der Wirth in scheue Entfernung zurück getreten.

»Mylord, wissen Sie – wem ich in La Roquette begegnet bin?«

»Nun – rasch, ich habe keine Zeit, lange zu rathen!«

»Dem Kaiser!«

»Damned! und – was – wollte er dort?«

»Ich weiß es nicht. Er war mit General Roquet, anscheinend incognito. Aber das Schlimmste ....«

»Nun?«

»Ich begegnete ihm, als ich den Gefangenen verlassen hatte und ich fürchte, er hat mich erkannt, oder wenigstens Verdacht!«

»Warum?«

»Sein spöttischer Blick sagte es mir.«

»Verdammt! aber – dann hätte er Sie verhaften lassen!«

»Nein – warum das? er ist zu klug zu dem Lärmen, den es gemacht hätte. Aber wenn er mich erkannt hat, weiß er, daß ich nicht ohne Zweck da gewesen bin und wird seine Maaßregeln treffen!«

»Hell and damnation über sein unverschämtes Glück! und besiegt zu sterben, – Edward Heresford – wie ein Hund, am Abend vor der Schlacht!« Er warf sich ungestüm zur Seite, das Blut aus der Wunde strömte auf's Neue – der Schaum auf seinen Lippen, wurde dichter.

»Mylord, Mylord! denken Sie an Gott!«

»Ich – bin fertig mit ihm – oder er – mit mir! – Gutenacht Giuseppe Mazzini – auch Ihre Zeit – wird kommen und Ihr Bau und all' Ihr Mühen sich als eitel erweisen! – Jetzt – ich fühle es – kommt der Tod – so heiß, so heiß!«

»Gott nehme seine Seele in Gnaden auf!« sagte tief ergriffen der Verschwörer. »Es stirbt ein wackrer Mann!«

Der Wirth – die Leichenbitter – die Tänzerin, sie waren alle wieder herbei getreten. Finette hielt das Haupt des Sterbenden.

Plötzlich versuchte dieser noch einmal, sich mühsam emporzurichten, ein sarkastisches Lächeln flog über sein Gesicht.

»Peard,« flüsterte er stammelnd – »Peard – wird sich – ärgern, – daß, daß er – mich nicht sterben sieht!« Er sank zurück in den Stuhl und schnappte nach Luft, ein Gurgeln in der Kehle, ein neuer Blutschaum auf den Lippen – er war todt!

So starb Edward Marquis von Heresford, ein Excentric vom reinsten Wasser, aber auch im besten Sinne des Wortes, einer der originellsten und bravsten Charaktere seiner Zeit. –

Als der Journalist gleich darauf mit einem aus dem Schlaf getrommelten Arzt herbeieilte und mit ihm mehre Polizeibeamte eintrafen, fanden sie nur seine Leiche, um welche die Leichenbitter des Père Lachaise, seine ominöse letzte Gesellschaft, standen und unter dem Vorsang ihres alten Kollegen die Litanei respondirten: Kyrie eleison! Ora pro eo!

Der Sacristan war verschwunden.


Der Freitag verging unter den widersprechendsten Gerüchten; – schon gegen Abend sammelten sich wieder große Menschenmassen in der Nähe von La Roquette, um ja des blutigen Schauspiels nicht verlustig zu gehen.

Bald sollten sie sich überzeugen, daß sie diesmal nicht vergeblich sich bemüht hatten.

Um 10 Uhr fuhren drei Wagen mit Balken und Bohlen beladen vor das Gefängniß – man begann bei Fackelschein das Schaffot aufzuschlagen.

Der Pöbel belustigte sich, hin und wieder die Carmagnole oder sonst ein mißliebiges Lied anzustimmen, und die Sänger wurden mitunter von den in Civil unter der ganzen Menge zahlreich anwesenden Polizei-Agenten beim Kragen genommen und eingesteckt. Im Ganzen verhielt man sich ziemlich ruhig, um den Platz und die Aussicht nicht zu verlieren.

Um 3 Uhr war das Schaffot von den Zimmerleuten beendet und die Gehilfen des Scharfrichters stellten ihre schreckliche Maschine auf und probirten ihren Gang.

Es war Alles in bester Ordnung – das Eisen fiel ganz excellent in seinen Fugen. Um 5 Uhr rückte das Militair, das zu der Hinrichtung kommandirt war, von Vincennes, von den Kasernen Popincourt und Bondy her an, säuberte den Platz und nahm seine Aufstellung.

Fünf Schwadronen Cavallerie besetzten die Zugänge des Gefängnisses; mehre Abtheilungen der Pariser Garde stellten sich an der Ausmündung der mit der Straße de la Roquette gleichlaufenden Straßen von den Straßen Basfroi und Popincourt auf, um den weitern Zudrang der Menge zu hindern, die sich von Minute zu Minute vermehrte.

Es war, wie wir wiederholen, Sonnabend, den 13. März. Das Urtheil des Assisenhofes des Seine-Departements war am 26. Februar gefällt worden. Das Attentat hatte am 14. Januar stattgefunden, die ganze Procedur also gerade zwei Monate gedauert.

Um 5 ½ Uhr erschienen der Direktor des Depôts der Verurtheilten und Abbé Hugon in der Zelle Orsini's, und der erstere theilte ihm mit, daß der verhängnißvolle Augenblick nahe sei. Orsini antwortete gefaßt, daß er bereit sei.

Hierauf gingen der Direktor und Abbé Nottelet in die nahe liegende Zelle Pierri's und sagten ihm, daß er sich zum Tode vorbereiten müsse. Karl von Rudio wurde die Umwandelung der über ihn gefällten Todesstrafe in lebenslängliche Zwangsarbeit mitgetheilt. Er fiel in Convulsionen, nachdem er während der ganzen Zeit in wahrhaft jämmerlicher Weise lamentirt und sein Schicksal beklagt hatte.

Das Benehmen der beiden Verurtheilten zeigte auch jetzt den Unterschied ihres Charakters, der sich bereits früher offenbart hatte.

Pierri befand sich in fortwährender Aufregung; er sprach und gestikulirte ohne Unterlaß, discutirte über Alles mit seinen Wächtern und suchte selbst in den Worten des Priesters einen Gegenstand zur Controverse. Bei der Mittheilung der nahen Vollstreckung des Urtheils zuckte er trotz aller Anstrengung, sich fest zu zeigen, zusammen und verlangte dann mit einer Miene, der er gewaltsame Fassung zu geben suchte, zu frühstücken, indem er bat, daß man ihm Rum in den Kaffee gieße. Er trank ihn mit fieberhafter Aufregung, die sich durch heftiges Gestikuliren und Ausrufe bekundete. Nachdem er Kaffee und Rum genommen, bat er dringend, ja zornig, um noch mehr Rum und Wein.

Die Angst vor dem nahen Tode kämpfte sich sichtlich in ihm mit dem Trotz seines Charakters.

Seit der Ankündigung der Verwerfung des Cassationsgesuches, also seit jenem verhängnißvollen Donnerstag Abend, an dem ihn der falsche Sakristan besucht, hatte Orsini eine finstere Ruhe bewahrt – er brütete offenbar in seinem Innern über die ihm gemachten Verheißungen und sprach nur wenig. Gegen den Abbè Hugon, der ihn am Freitag besuchte, benahm er sich ehrerbietig, hörte seine Ermahnungen an und erklärte, daß er sich über die französische Justiz in keiner Hinsicht zu beklagen habe und beichtete nach den Vorschriften seiner Confession. Die Begleitung des Geistlichen durch einen andern Ministranten machte ihn zwar anfangs unruhig und er erkundigte sich nach dem Mann, der ihm am Abend vorher in italienischer Sprache Trost zugesprochen; als der Abbé ihm aber erwiederte, daß der Sakristan einer benachbarten Pfarrei angehört und nur für seinen erkrankten Amtsbruder ausgeholfen habe, schwieg er, um den »Propheten« nicht zu compromittiren, und, darauf vertrauend, daß dessen erfindungsreichem Geist viele andere Wege zu Gebote stehen würden, in seine Nähe zu kommen. Da er es nicht wagen durfte, sich mit dem Aufseher, der ihm als Mitwisser und Mithelfer des Geheimnisses bezeichnet worden war, anders als durch allgemeine Winke zu unterhalten, hatte er sich bald auf sein Lager geworfen, und schlief, oder versuchte vielmehr zu schlafen; denn schwerlich kann in einem solchen Zustand und bei dieser verzehrenden Erwartung die Seele Ruhe finden, in wirklichen Schlaf zu versinken.

Nach der Ankündigung der Vollstreckung des Urtheils durch den Direktor verließen die Aufseher die Zelle und Abbé Hugon blieb mit dem Verurteilten einige Augenblicke allein. Er benutzte sie, um ihm nochmals Muth, Ergebung und Vertrauen auf die Verzeihung Gottes anzuempfehlen.

Dann trat der Direktor wieder ein – ihn begleiteten zwei dem Verurtheilten unbekannte Aufseher.

Jetzt zum ersten Mal erbebte der Italiener und begann einen unglücklichen Ausgang zu fürchten. Er warf einen unruhigen Blick auf die Männer und bat um ein Glas Rum.

Man brachte es auf einen Wink des Direktors, der das ernsteste Schweigen beobachtete. Orsini, der wahrscheinlich unterdeß bedacht, daß die Abwesenheit des von seinen Freunden gewonnenen Aufsehers für die Vorbereitungen der Flucht nothwendig sei und der Umtausch der Personen ja erst bei der sogenannten Toilette erfolgen sollte, bat, das Glas auf das Wohlsein des Direktors leeren zu dürfen.

Dann ging er festen Schrittes zwischen den beiden Aufsehern nach der Kapelle des Gefängnisses, wo er zum ersten Mal nach der öffentlichen Verhandlung ihres Prozesses seinen Gefährten und Schicksalsgenossen Pierri wiedersah.

Orsini kniete neben dem Priester nieder und betete anscheinend sehr andächtig – vielleicht für das Gelingen seiner Flucht – vielleicht – – Gott allein weiß es!

Jetzt hörte man die Uhr auf der Kapelle des Gefängnisses ausheben und schlagen.

Mit welchen Gefühlen mögen die Verurteilten diesen Schlägen, der sie jeder näher zur Ewigkeit brachte, gelauscht haben.

Es schlug Eins – Zwei – Drei – Dreiviertel auf Sieben.

In einer Viertelstunde mußte für Orsini Alles entschieden sein; – er erhob sich ohne Mahnung ungeduldig von seinen Knieen.

Man mußte Pierri erinnern, aufzustehen, da die Zeit zu ihrer »Toilette,« jenem furchtbaren letzten Akt vor dem Eisen selbst gekommen war.

Die Aufseher führten die Verurtheilten bis an die Schwelle der Kapelle.

Jenseits derselben standen zwei Männer in Schwarz gekleidet; es waren die beiden Scharfrichter von Paris und Rouen. Mit der Berührung dieser Männer waren sie dem Schaffot verfallen.

Ehe die Verurteilten die Schwelle überschritten, reichten die beiden ehrwürdigen Geistlichen ihnen noch einmal die Hand, sie nahmen gleichsam Abschied von ihnen, denn sie sollten sie erst bei dem furchtbaren Gange wieder sehen.

Felix Orsini trat rasch und kühn über die Schwelle – er hoffte ja hinter ihr das Leben zu finden; Pierri zauderte, dann, all' seinen Trotz aufbietend, folgte er. Der traurige Zug schritt langsam durch den Gang – Orsini warf rechts und links suchende Blicke.

Eine Minute nachher waren sie an die Stelle gekommen, wo die Gänge sich theilten. Die Thüren von zwei größeren Zellen standen offen – in jeder derselben stand ein Schemel in der Mitte bereit und befanden sich zwei Personen in kurzen anschließenden ledernen Jacken.

Orsini warf einen unruhigen Blick umher, aber er beruhigte sich, als er sah, daß die beiden Aufseher, die bisher speziell zu seiner Bewachung bestimmt gewesen waren, unter den andern Personen standen, die hier der Verurtheilten harrten. Nur war der Eine – derselbe, welchen er im Vertrauen wußte, – sehr blaß und unruhig und hielt die Augen zu Boden geschlagen. Indeß der Verurtheilte wußte Nichts von den Spezialitäten seiner Rettung, und nur, daß der Wechsel der Personen während der nächsten Minuten vor sich gehen solle.

In diesem Augenblick trat der Direktor vor und zog ein Papier aus der Brusttasche.

»Herr Jerôme Jean Letrain, Nachrichter der Justiz von Paris, ich übergebe Ihnen den hier anwesenden Joseph Andrea Pierri auf Befehl der Behörde der öffentlichen Sicherheit, um ihn zur Vollstreckung des Urtheils vorzubereiten.«

»Sie irren, Herr Direktor,« sagte der Mann, – »ich soll das Urtheil an dem andern Gefangenen vollstrecken.«-

»Nein. Befehl des Kaisers! Emile Gauthier Barolle, Nachrichter der Justiz von Rouen, ich übergebe Ihnen den hier anwesenden Felix Orsini, zu gleichem Zweck! – Gehen wir!«

Obschon er noch immer nichts Bestimmtes wissen konnte, durchzuckte doch eine furchtbare Ahnung den Gefangenen.

Aber es war zu spät, um sich in anderer Weise zu vergewissern. Er biß die Zähne zusammen und trat in die Zelle.

Hinter ihm traten der Nachrichter von Rouen, der Direktor des Gefängnisses und die beiden Gefangenwärter ein, die diesen Morgen den Dienst übernommen hatten. Der Mann, den ihm der »Prophet« als Mitwisser bezeichnet hatte, rührte sich nicht.

Die Aufseher schlossen sofort die Thür und stellten sich vor dieselbe. In dem Augenblick, wo die Thür sich schloß, erfaßten auf einen Wink des Meisters die beiden Henkersknechte den Verurtheilten und nöthigten ihn, sich auf den Schemel in der Mitte der Zelle niederzusetzen.

Er warf einen stieren, angsterfüllten Blick umher – die Zelle hatte an der Seite einen zweiten Ausgang.

Er athmete hoch auf.

Indeß hatte das schreckliche Werk begonnen – Niemand sprach, man hörte nur das schwere Athmen des Verurtheilten und das Knirschen der Scheere, die seine schwarzen, krausen Haare im Nacken abschnitt, um dem furchtbaren Eisen Platz zu machen. Der zweite Gehilfe band ihm mit einer dünnen festen Hanfschnur die Hände.

Als dies geschah, überfiel ihn auf's Neue die Ahnung der Wahrheit. Er versuchte sich zu erheben und frug leise: »Warum das? – ich denke ....«

»Bleiben Sie ruhig sitzen,« sagte der Nachrichter. »Es muß sein!«

Fast willenlos ließ er die Knechte in ihrer gräßlichen Handtirung an seinem Körper fortfahren. Einer der Knechte zog ihm die Schuhe und Strümpfe aus, der zweite brachte einen großen und dichten schwarzen Schleier herbei.

Jetzt – jetzt mußte der Augenblick gekommen sein!

Der Nachrichter nahm den Schleier und hing ihn über das Haupt des Verurtheilten, daß er in langen Falten über das Gesicht niederfiel.

»Erheben Sie sich, Felix Orsini!«

Er stand auf – er zitterte vor Aufregung.

»Kommen Sie!«

Der Nachrichter faßte seinen Arm und führte ihn auf die zweite Thür zu.

Die Thür öffnete sich.

Jetzt – – –

Er trat über die Schwelle – ein leises Murmeln von Stimmen brauste wie Wogendonner an seine Ohren – dann hörte er eine gellende, fast schreiende Stimme, welche kurz abgebrochen zu ihm sagte:

»Nun! mein Alter!«Historisch, wie überhaupt die ganze schreckliche Scene.

Er erkannte die Stimme seines Genossen Pierri, und als er, so weit es der dichte Schleier gestattete, um sich blickte, sah er sich in einer geräumigen Halle und diese von Gefängnißbeamten, Wachen, den Geistlichen und anderen Personen gefüllt.

Jetzt erst begriff er, daß er verloren war, daß ein Verrath oder ein Mißlingen aller Anstalten ihn unwiderruflich dem Schaffet überlieferte.

Er that einen Schritt, als wollte er sich gegen die Menge stürzen, ein leichtes Stöhnen entrang sich, kaum gehört von den Nächststehenden, seinem Munde. Dabei fielen ihm vielleicht die Worte seines furchtbaren Meisters ein: Dann halten Sie Ihren Eid und sterben Sie wie ein Mann!

Er schien sich gewaltsam zu fassen. Gleich darauf antwortete er mit fester Stimme seinem Todesgefährten: »Ruhe! Ruhe!«


Als der Henker Pierri den Schleier auf den Kopf legte, sagte dieser mit fieberhaftem Lachen: »Ei, man putzt mich, wie eine alte Kokette!« und als man ihm die Schuhe auszog, da die Verurtheilten den letzten Gang mit nackten Füßen antreten sollten, wiederholte er: »Es ist gut, daß ich mir gestern die Füße wusch!« – –

Es war zwei Minuten vor 7 Uhr, als die Thore von La Roquette sich öffneten.

Gleich darauf begann im Innern des Gefängnisses eine Glocke zu läuten und der schreckliche Zug trat heraus.

Pierri, mit nakten Füßen, das Haupt mit dem schwarzen Schleier bedeckt, ging voran; Abbé Nottelet führte ihn. »Seien Sie unbesorgt,« sagte Pierri, obschon er zitterte, zu ihm, »ich habe keine Furcht, ich gehe auf den Calvarienberg.« Als er aus der Pforte des Gefängnisses trat, begann er das Lied der Girondisten:

»Mourir pour la partie etc.«

Orsini, gleichfalls nackten Fußes, das Haupt verschleiert, folgte mit dem Abbé Hugon.

Am Fuße des Schaffots, auf dem der Nachrichter von Caën sie erwartete, verlas der Huissir Janvier den Urtheilsspruch.

Als dies geschehen war, stiegen die beiden Verurtheilten die Stufen hinan. –

Ueber den Platz hin klang die vibrirende gellende Stimme des fanatischen Mörders:

»Frères, pour une cause sainte,
Quand chacun de nous est martyr,
Ne protérons pas une plainte,
L'Italie un jour dout nous bénir.
Mourir pour la patrie!
C'est le sort le plus beau, le plus digne d'envie

Die Kommandanten der Truppen erhoben die Säbel, die Trommeln wirbelten. – Die Knechte des Henkers stürzten sich auf den Italiener und warfen ihn auf das verhängnisvolle Brett.

Im Nu war er angeschnallt – das Brett rasselte in den Fugen vorwärts ...

»Mourir...«

Ein Wink – ein Blitz fuhr nieder – ein Schlag ...

Der Flüchtling von Mantua schien alle Energie seiner Jugend in diesem Augenblick wieder gefunden zu haben. Der Meuchelmörder und seine Furcht waren verschwunden, nur der Mann, der für seine Meinung stirbt, war geblieben. Er sprang einen Schritt vor und mit einer energischen Bewegung schleuderte er den verhängnißvollen Schleier von sich.

»Franzosen – ich bin Orsini! Es lebe Italien! es lebe Frankreich

In diesem Augenblick erhob sich, auf den Schenkel eines Lastträgers tretend aus der fernen Menge eine dunkle Gestalt und schwenkte ein rothes Taschentuch.

Ein bitteres verächtliches Lachen flog über das bleiche Gesicht des Revolutionairs. Ohne eine Bewegung zu machen, überließ er sich den Händen der Henker.

Wenige Augenblicke und der warme Strom des Lebens spritzte aus hundert Quellen!

Durch die Reihen der Militairs aber donnerte das Kommando:

Vive l'Empereur!

Zwei Stunden später kam der »Prophet« finster und bleich in den heimlichen Versteck, den er seit vierundzwanzig Stunden bewohnte, von seiner Sicherheit und Verborgenheit vollkommen überzeugt.

In dem versteckten Hinterzimmer auf dem Tisch lag ein Brief.

Die Adresse lautete: Master Alsop!

Der große Verschwörer stutzte, als er diese Adresse las. Er wußte, daß er das Zimmer vor seinem Weggehen sorgfältig verschlossen hatte.

Dann öffnete er rasch das Couvert. Es enthielt ein Blatt, auf dem Blatt standen die einzigen Worte:

»Der Kaiser Napoleon wird binnen Jahresfrist an Oesterreich den Krieg erklären.«

Schluß des zweiten Bandes.


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