John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 2
John Retcliffe

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Auf dem Schaffot.

Noch in der Nacht des Attentats waren von der Polizei die direkten Thäter ermittelt und verhaftet worden.

Wir haben in dem vorigen Kapitel bereits mitgetheilt, daß in dem – der Oper gegenüberliegenden – Café Broggi ein junger Mann gleich nach der That durch das ängstliche Fragen nach seinem Herrn sich verdächtig gemacht hatte, und verhaftet worden war. Sein Herr war angeblich ein Engländer, der im Hôtel de Saxe Cobourg in der Straße St. Honoré 223 wohnen sollte. Er selbst nannte sich Swiney.

Der Leser weiß bereits, daß der angebliche Swiney der Flüchtling Anton Gomez aus Neapel war. In Folge der obigen Angabe über seine Wohnung begab sich Nachts um halb 3 Uhr ein Polizei-Commissar in das Hôtel. Er fand in dem Bett desselben ein Mädchen, Namens Menager, des Verschwörers nach der That mit den Genüssen der Liebe harrend. Sie wurde verhaftet, später aber freigelassen, da gegen sie Nichts vorlag und man von einer pariser Courtisane nicht verlangen kann, daß sie einen Unterschied zwischen einem Legitimisten und einem Demagogen oder Kaisermörder macht. Man fand außerdem bei ihm einen Paß auf den angegebenen Namen und an 300 Franken. Sein Herr hieß angeblich Alsop und wohnte in der Rue Monthabor Nr. 10.

Sofort stattete die Polizei diesem ihren Besuch ab. Es war Orsini, den sie in der Person des Bierhändler Alsop fand. Er lag zu Bett, mit einer leichten Wunde am Kopf, die aber stark geblutet haben mußte. Man fand bei ihm einen von Palmerston unterzeichneten ältern Paß auf den angegebenen Namen, über 8000 Franken an Geld und im Stall ein ihm gehöriges Pferd. Der Verschwörer war seit dem 12. December in Paris und hatte sich Nichts abgehen lassen.

Pierri hatte bei seiner Verhaftung in der Straße Rossini das Hôtel des France et de Champagne, Straße Montmartre 132, als seine Wohnung genannt. Als sich die Polizei dahin begab, fand sie dort den angeblichen da Sylva, oder vielmehr Karl von Rudio, den Sprößling einer adligen heruntergekommenen Familie aus dem Venetianischen, halb angekleidet, auf dem Bett liegen. Durch ihn eben kam man auf die Spur Orsini's und seines Zusammenhanges mit dem Attentat, da bald ermittelt wurde, daß er die Stelle von Gomez (Swiney) im Hotel eingenommen hatte.

Somit waren in Zeit von einigen Stunden die vier politischen Mörder: Orsini und Gomez, Pierri und Rudio verhaftet, und ihr Zusammenhang unter einander ermittelt. Noch im Laufe des Tages hatte die Justiz auch trotz der bei allen gefundenen, theils von den englischen und portugiesischen, theils von den belgischen ausgestellten und von den auswärtigen französischen Behörden selbst vidimirten Pässen ihre wahren Namen ermittelt.

Als Orsini zuerst nach seinem richtigen gefragt wurde, antwortete er:

»Was thut der zur Sache? mein Namen ist Legion!«

Bereits am Freitag Vormittag konnten dem Kaiser genauere Meldungen über das Attentat gemacht werden.

Aber mit dem Rapport über das Attentat selbst und die Personen, die unzweifelhaft, nicht die Urheber, wohl aber die Ausführer gewesen waren, gingen andere Berichte ein, die eben so unzweifelhaft bewiesen, daß das Attentat nicht allein stand, sondern daß es sich um eine weit verzweigte Schilderhebung der revolutionairen Partei gegen das Kaiserthum handelte, die zum Sturz desselben sich mit verschiedenen ihrer sonstigen Gegner verbunden hatte.

Die Nationalen, die Rothen, die Kommunisten und die Orleanisten sollten an verschiedenen Punkten losbrechen. Nur von den Legitimisten fehlten die Beweise der Theilnahme, das schützte sie aber wenig vor dem Verdacht. Offenbar dachte jede der Parteien, wenn nur das Kaiserthum erst gestürzt sei, dann ihrerseits die andere entweder zu überlisten, oder mit Gewalt aus dem Felde zu schlagen. Für den ersten Zweck aber waren sie alle einig.

Durch Verrath, der bei einer durch äußerliche Umstände herbeigeführten Vereitelung stets bei der Hand ist, erfuhr die Regierung noch im Laufe des Tages den vollständigen Plan des Angriffs. Es erfolgten eine Menge Verhaftungen – in Paris in den nächsten Tagen mehr als zweihundertfünfzig. Eine große Menge von Fremden und bisher geduldeten politischen Flüchtlingen wurde mit der größten Strenge ausgewiesen.

Im Laufe des Tages meldeten aus den italienischen Herzogthümern, aus dem Kirchenstaat, Neapel und Madrid Telegramme, daß dort ebenfalls revolutionaire Aufstände hätten versucht werden sollen, aber unterdrückt worden waren.

Es fand deshalb am Abend in den Apartements des Kaisers eine Berathung seiner Vertrautesten statt. Der Kaiser selbst war unruhig und finster; – er, der nur so selten ein menschliches Wesen in das wahre Geheimniß seiner Politik und seiner Pläne blicken läßt, fühlte am meisten, daß er auf einem Vulkan stand, von dessen vernichtendem Ausbruch, wenn man ihm nicht zuvorkam, das Attentat und die mißlungene Revolte nur ein einzelnes Vorspiel gewesen war.

Das Feuer, das in diesem Boden gährte und kochte, hieß: die italienische Frage.

Der Kaiser begriff, daß er entweder drei Gegner zu vernichten, oder früher oder später ihnen scheinbar wenigstens nachzugeben haben würde, um ihnen desto stärkere Fesseln anlegen zu können.

Diese drei Gegner waren: Mazzini, – Cavour – und der Prinz Napoleon!

Der Kaiser durchschaute sie Alle!

Den Haß des ehrlichen Republikaners, des Phantasten für eine große italienische Republik!

Die diplomatischen Intriguen des großen Constitutionellen für die Machtvergrößerung des Hauses Savoyen, für das Eintreten Piemonts in die Zahl der europäischen Großmächte!

Endlich den glühenden, aber wohl versteckten und desto gefährlicheren Ehrgeiz des eigenen Verwandten, den die Geburt des Prinzen um die sichere Hoffnung auf den Thron von Frankreich gebracht hatte!

Er kannte sie Alle – Alle! –

In dem Conseil wurde beschlossen, das Attentat nur als einen vereinzelten Mordstreich der revolutionairen Partei zu behandeln und darauf den Prozeß einzuleiten.

Von der Revolution, von dem beabsichtigten Aufstand gegen das Kaiserthum sollte und durfte nicht die Rede sein. Alles, was darauf zielte, mußte in der Oeffentlichkeit unterdrückt werden. Weder die Franzosen, noch das ganze Europa, das noch immer mit einem geheimen Haß und Vorurtheil auf das neu erstandene bonapartistische Kaiserthum sah, durfte erfahren, auf welchen schwachen Füßen es stehe und wie sehr der Boden unter dem Thron des neuen Cäsar schwanke.

Daß die Revolution selbst und die zu dem Angriff mit ihr verbündet gewesenen Parteien nach dem Mißlingen ihres Planes davon schweigen würden, ließ sich annehmen.

Der Beschluß des Vertrauten-Conseils ist das eine der großen Geheimnisse, die in dem Prozeß Orsini gespielt haben!

Nach dem Conseil blieb der Kaiser mit seinem Stiefbruder, dem Grafen Morny, allein. Es war Mitternacht, als der Präsident der Deputirten-Kammer das kaiserliche Kabinet verließ.

Was sie da verhandelt, wird vielleicht die Welt nie erfahren, es müßte denn sein, daß die hinterlassenen Memoiren des Grafen – denn in dem Augenblick, wo der Verfasser des Buches dies Kapitel niederschreibt, hat der Herzog Morny seinen Platz in der alten Gruft der Könige Frankreichs in St. Denys bereits usurpirt, wie sein Halbbruder den Thron selbst! – daß also jene hinterlassenen Memoiren, die mit denen des Fuchses Talleyrand in zehn Jahren veröffentlicht werden sollen, darüber Auskunft geben.

Aber was für den strengen Beobachter genügt, das sind die Konsequenzen, das sind die Thaten!

Diese Thaten: Bagnères – Magenta – Solferino – Villafranka – Nizza – Savoyen – Aspromonte! sie haben zur Genüge die Geschichte jener Unterredung geschrieben!

Der Prozeß nahm seinen raschen Verlauf. Da man Mazzini und mit ihm die Revolution nicht anklagen wollte, nahm man einen Popanz, auf den man aus der Ferne und damit auf das englische Asylrecht für politische Mörder und Spitzbuben losschlagen konnte, den ehemaligen Marine-Arzt, Franz Bernard, einen französischen Flüchtling aus Carcassonne, der die Mitglieder des Attentats nur bis Brüssel begleitet und dort seine Haut salvirt hatte. Die Bemühung des Untersuchungsrichters hatte bald genug Material herausgefördert, um wenigstens die Mehrzahl der Angeklagten des politischen Märtyrerthums zu entkleiden.

Pierri war im Mai 1831 von dem Zuchtpolizeigericht zu Lucca wegen Diebstahls verurtheilt worden, zwei Jahre später wegen desselben gemeinen Verbrechens verfolgt nach Frankreich geflohen, hatte in Lyon, Avignon und Paris das Geschäft eines Mützenfabrikanten betrieben, später 1843, nachdem seine Frau wegen schlechter Behandlung sich von ihm getrennt hatte, in Algerien in der Fremdenlegion gedient, alsdann in toskanischen Diensten den Rang eines Majors erworben, von dem er entsetzt wurde, und sich 1848 der Revolution in Rom angeschlossen. Wir sind ihm dort in der Sitzung des Todtenbundes in Pietro San Montorio mit Orsini begegnet. Im Jahre 1852 aus Frankreich ausgewiesen, hielt er sich 1855 kurze Zeit in Düsseldorf auf und, kehrte dann nach England zurück, wo er später in Birmingham die Anfertigung der Sprengbomben leitete.

Gomez, seiner Lebensstellung nach ein bloßer Bedienter, aus Neapel gebürtig, hatte 1852 – 55 gleichfalls in der algierer Fremdenlegion, diesem Sammelplatz des Auswurfs Europas und Afrikas gedient, war dann in Marseille wegen Betrügereien zu Gefängniß verurtheilt worden und später nach England gekommen. Carl von Rudio hat, wie Orsini, wenigstens den Vorzug, ein geborner Revolutionair zu sein, denn auch sein Vater und seine Schwester wurden wegen Verschwörungen verfolgt. Er selbst trieb sich in Italien müßig umher, betheiligte sich an den politischen Excessen und kam 1856 nach England, von wo er selbst das Gerücht seines Todes verbreitete. –

Frau von Röbel war von Brüssel allein nach der Heimath und zu ihrem Gatten zurückgekehrt, der bei dem Wiederausbruch eines alten Uebels, das noch bis zu den Strapazen der Befreiungskriege zurück datirte, selbst dringend ihrer Pflege bedurfte. Das treue Mutterherz mußte die beiden Kinder zurücklassen, denn Rosamunde hatte sich mit dem ihr vom Vater überkommenen Zuge der Unbeugsamkeit, sobald sie einmal einen Entschluß gefaßt hatte, geweigert das Krankenlager des Informators zu verlassen, bis dieser ganz außer Gefahr war, und Otto hatte mit geheimer Befriedigung die Gelegenheit wahrgenommen, zu erklären, daß er die Schwester unmöglich verlassen dürfe und wenigstens an der Gränze über sie wachen werde.

Der tiefere Beweggrund – seine Leidenschaft zu der unglücklichen Carmen Massaignac – blieb freilich dem sorgenden Auge der Mutter nicht verborgen. Aber einerseits hatte die Fremde selbst trotz der kurzen abenteuerlichen Bekanntschaft ihr Herz gewonnen, andererseits kannte sie den Charakter ihres Sohnes zu gut, um nicht zu wissen, daß er auch in seiner Liebe den strengen Geboten der Ehre Nichts vergeben würde, daß er aber auch hartnäckig auf seinem Willen bestand.

Uebrigens war, drei Tage nach der Abreise der Familie von Paris Doktor Achmet selbst nach Brüssel gekommen und hatte der Edelfrau einen Brief der Fürstin Trubetzkoi überbracht, in welchem diese um die Erlaubniß bat, Rosamunde einige Wochen bei sich behalten zu dürfen, und versprach, wie eine Mutter oder ältere Schwester über ihr zu wachen. Doktor Achmet berichtete von dem günstigen Einfluß, den die Nähe und die Pflege der Geliebten auf den Zustand des Kranken geübt hatte, und die Dame konnte es nicht über das Herz bringen, das edle Opfer des Predigersohns mit dem strengen Gebot der Rückkehr an ihre Tochter zu vergelten.

So wurde denn beschlossen, von dem freundlichen Anerbieten der Fürstin Gebrauch zu machen, und Rosamunde erhielt von der Mutter Erlaubniß, so lange der Zustand des Patienten gefährlich wäre, bei der Fürstin zu verweilen. Doktor Achmet wollte sie dann nach Brüssel zu dem Bruder zurückbringen.

Dem Vater in der Heimath konnte die Edelfrau somit sagen, daß die Geschwister durch eine Einladung der Fürstin, die sich nicht hätte ablehnen lassen, noch in Paris für kurze Zeit zurückgehalten worden wären.

Weniger leicht und glücklich als auf dieser Seite war der Erfolg der Nachforschungen des Mohrendoktors nach seiner auf so geheimnißvolle Weise verschwundenen Pflegetochter.

In den ersten Tagen hatte, wie gesagt, die Polizei geradezu die Sache von der Hand gewiesen, theils weil man nicht an die Entführung einer Schauspielerin oder Reiterin ohne ihre Einwilligung glauben wollte, hauptsächlich aber, weil alle Kräfte mit der Verfolgung der Entdeckungen aus dem Attentat beschäftigt waren. Später machte er die Erfahrung, daß alle seine Bemühungen auf geheime Hindernisse stießen und ein im Stillen wirkender Einfluß dagegen operirte. Man machte ihm Versprechungen der genauesten Nachforschung, aber diese dienten nur dazu, ihn hinzuhalten.

Wer, der es eifrig und ernstlich mit einem Zweck meint, hätte nicht schon die Erfahrung gemacht, daß selbst in jeder Regierungsform es eine Freimaurerei, eine Macht giebt, an der gewöhnlich selbst der Wille des Monarchen scheitert, viel weniger die Kraft des Privaten: die sogenannte Büreaukratie. Wer nicht zur Freimaurerschaft des Beamtentums gehört oder den geheimen Schlüssel des Berges Sesam kennt, erlahmt an diesem Gezücht: die besten Kräfte, die erfolgreichsten Ideen, der redlichste Wille, ja die aufrichtigste Treue erschlaffen an der Phalanx der Beamtenherrschaft, denn selbst in Monarchieen regieren in Wahrheit nicht der König oder seine Minister, sondern die Cotterieen der Geheimen Räthe und ihre festgegliederte Beamten-Armee. Die Büreaukratie trägt die Schuld der meisten Revolutionen und hat in der Stunde der Gefahr schon viele Throne verlassen und verrathen, aber noch nie einen geschirmt.

Durch die Ernennung des Generals Espinasse zum Minister des Innern und seine eisernen Maßregeln, die er gegen die Presse in Folge des Attentats ergriff, wurde dem Doktor auch der Weg der Oeffentlichkeit abgeschnitten oder wenigstens so erschwert, daß er davon abstand. Mit jedem vergeblichen Schritt überzeugte er sich immer mehr, daß bei dem Verschwinden seines Schützlings eine geheime Macht im Spiel war, der er nicht offen die Spitze bieten, ja der er nicht einmal die Larve abzureißen vermochte.

Leider hatte Rositta, oder vielmehr Carmen, noch nicht Zeit gehabt, ihn von dem Inhalt ihrer Unterredung mit der hohen Dame in Kenntniß zu setzen, die allein vielleicht die Macht gehabt hätte, seine Nachforschungen wirksam zu unterstützen; denn sie war gleich nach ihrer Rückkehr nach der Oper gefahren, und der Oberst Graf Montboisier, den er einige Tage später in seiner Angst aufsuchte, hatte eine Mission nach Berlin und Petersburg erhalten, um die Antwort des Kaisers und der Kaiserin auf die Glückwunschschreiben des russischen Monarchen, des Prinzregenten von Preußen, und der frommen und erhabenen Königin dieses Landes zu überbringen, die an dem Krankenlager ihres Gemahls, den sie mit wahrhaft evangelischer erhabener Liebe und Treue pflegte, bei den eigenen schweren Sorgen Zeit und Theilnahme gefunden hatte, der jungen Kaiserin der Franzosen herzliche Zeilen zu senden.

Die Kaiserin Eugenie hat dies auch in späterer Zeit Elisabeth von Preußen niemals vergessen!

Der Hacene vermuthete sehr richtig, woher der Schlag gekommen war – aber was konnte er thun, welches Recht hatte er im äußersten Fall, hier einzuschreiten, selbst wenn er es hätte beweisen können, daß der eigene Bruder die Entführung veranstaltet hatte?! Es war Thatsache, daß Carmen Massaignac noch nicht mündig war, daß sie sich der Flucht aus der Obhut ihrer Verwandten und eines mindestens unpassenden umherstreifenden Lebens schuldig gemacht hatte, und daß nach dem Gesetz ihr älterer Bruder ihr mit jeder Machtvollkommenheit ausgerüsteter Vormund war.

Dennoch hatte der Doktor versucht, bis zu dem Senator zu dringen. Er wußte durch die Mittheilungen des ehemaligen Argelino genug, um wenigstens den Versuch machen zu können, den verbrecherischen Sohn einzuschüchtern: – aber als er sich in dem Hotel Massaignac melden ließ, erfuhr er, daß der Marquis mit seiner Gemahlin am dritten Tage nach dem Attentat eine Reise nach Italien angetreten hatte.

So blieb ihm denn Nichts übrig, als der Gunst des Zufalls, oder vielmehr der Hand Gottes zu vertrauen und einstweilen im Stillen seine emsigen Nachforschungen fort- und alle jene Hebel in Bewegung zu setzen, die sein früheres Wirken in Paris in Kreisen ihm an die Hand gegeben hatte, die oft für solche Zwecke weit nützlicher sind, als alle offizielle Macht der Polizei.

Von all' seinen Schritten und deren geringen Erfolgen hatte der Doktor Otto von Röbel brieflich in Kenntniß erhalten. Es bestand ein aufrichtiger und herzlicher Verkehr zwischen den Beiden, denn der junge Edelmann hatte dem älteren Freunde kein Hehl aus den Gefühlen gemacht, die ihn für die Verschwundene beseelten. Otto von Röbel verzehrte sich in ungeduldiger Aufregung und hundert Plänen in dem Exil, das ihm ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen auferlegt hatte.

Sofort nach der Abreise seiner Mutter hatte er von Brüssel aus zuerst an den Marquis von Massaignac, und als er durch Doktor Achmet erfuhr, daß dieser Paris verlassen hatte, direkt an den Grafen von Montijo geschrieben, sich auf die Ursach seines gezwungenen Ausbleibens von dem Duell berufen und ein erneutes Rendezvous an der Gränze angeboten, ja gefordert.

Die Antwort, die er erhielt, war von der Hand des Garde-Offiziers, welcher als Zeuge dem Duell mit dem Informator beigewohnt hatte, und lautete höflich aber kalt dahin, daß durch den Kugelwechsel mit dem Stellvertreter des Herrn von Reuble der Graf Montijo die nothwendige Satisfaction erhalten habe und weitere Erörterungen mit seinem Gegner ablehnen müsse.

Die ausweichende Antwort erregte den höchsten Zorn des jungen Mannes, aber er sah ein, daß er vorläufig Nichts dagegen machen könne, ohne in dem Licht eines hitzigen Knaben zu erscheinen. –

Der Prozeß wegen des Attentats hatte unterdeß seinen raschen Gang genommen.

Die öffentliche Meinung durch ganz Europa hatte sich so eclatant über das Verbrechen ausgesprochen, daß die französische Regierung auf sie gestützt es wagen konnte, allen Haß, allen Verdacht auf England auszuschütten. Morny hielt, nach einer gut gespielten Komödie mit dem Kaiser in den Journalen, eine donnernde Rede in der Deputirtenkammer gegen die englische Politik und ihr Asylrecht für politische Flüchtlinge, das aus England nichts Anderes mache, als den Heerd für Mord und Brand auf dem Continent. Die Offiziere der französischen Armee, schleuderten geradezu wüthende Herausforderungen gegen England und forderten Krieg! – die Journale zählten das Sündenregister Englands gegen Frankreich auf und erinnerten an den systematischen Mord des ersten Napoleon auf dem sonnversengten Felsen von Helena!

Daß sein Neffe einst selbst als politischer Flüchtling auf dem Boden Englands Schutz und Gelegenheit für seinen Fastnachtszug nach Boulogne gefunden hatte, schien man ganz vergessen zu haben!

Die englischen Journale, die bekanntlich verstehen, den Mund noch weit größer aufzureißen, blieben natürlich Nichts schuldig, und die entente cordiale von Sebastopol drohte einen argen Riß zu bekommen.

Der Prozeß hatte unterdeß seinen weitern Verlauf genommen; die Justiz ihrer Anweisung gemäß begnügte sich damit, die nothwendigen Zeugen in Frankreich, Belgien und England aufzutreiben, um die Anfertigung der Höllenmaschine, ihre Ueberführung nach Frankreich, die Verbindung der vier Verschworenen und die Vorgänge des Attentats selbst zu erweisen.

Anfänglich hatte Orsini die That nicht geleugnet. Seine Antwort: »Mein Name ist Legion!« bewies seine Entschlossenheit. Erst später und namentlich bei den Verhandlungen des Prozesses am 25., 26. und 27. Februar fand er es in seinem Interesse, zwar nicht den Entschluß und die Vorbereitungen zu dem Attentat, wohl aber seine direkte Theilnahme auf dem Schauplatz des Verbrechens, also das Schleudern der Bomben selbst in Abrede zu stellen. Dagegen weigerte er sich, das Geringste gegen seine Mitschuldigen auszusagen.

Pierri leugnete entschlossen. Er wollte Nichts von den Bomben wissen und die bei ihm gefundenen nur von Orsini zur Aufbewahrung erhalten haben. Gomez und Rudio überboten sich in jämmerlichen Lügen und Entschuldigungen und suchten durch die Anklagen der beiden Häupter ihr jämmerliches Leben zu erkaufen.

Der Name Mazzini wurde – wenigstens in der Oeffentlichkeit – nur selten in dem Prozeß ausgesprochen; von den mit dem Attentat verbundenen Revolutionsplänen war gar nicht die Rede. Die Gefangenen handelten hierin nach einer Instruction, die ihnen auf geheimen Wege zugekommen war; denn kein Kerker ist so sicher und fest bewahrt, daß List und Gold nicht den Weg da hinein finden sollten!

Chaix d'Estanges, der berühmteste Redner Frankreichs an der Barre des Gerichts, vertrat bei den Verhandlungen des Prozesses vor der Jury das öffentliche Ministerium, das heißt das Amt des Anklägers.

Von den Vertheidigern zeichnete sich nur der Orsini's, Jules Favre aus. Er hatte den Muth, nicht den Kopf seines Klienten vertheidigen zu wollen, sondern nur, wie er sagte »auf dessen unsterbliche Seele einen Strahl von jener Wahrheit zu werfen, die allein sein Andenken vor unverdienten Beschuldigungen beschützen könne!« Er verwarf das Verbrechen, aber vor und nach diesem Verbrechen suchte er seinen Clienten in die Toga des Schwärmers der Freiheit, des fanatischen Republikaners zu hüllen.

Das Gericht und den Prokurator überraschend, zog er die Abschrift jenes Briefes hervor, den Orsini am 11. Februar aus dem Gefängniß Mazas an den Kaiser gerichtet hatte und der das Bündniß von Plombières veranlaßte und Oesterreich die Lombardei gekostet hat und verlas ihn.

Wir kommen später auf diesen Brief zurück.

Um 5 Uhr Nachmittag (am 26.) zogen sich die Geschworenen zurück – ganz Paris harrte um und in dem Gerichtssaal, der mit den vornehmsten Frauen gefüllt war, ihrer Rückkehr, die um 8 Uhr erfolgte.

Ihr Spruch lautete, wie nicht anders zu erwarten stand, auf Schuldig.

Der Gerichtshof verurtheilte Orsini, Pierri und Rudio zur Strafe des Vatermords, das heißt zum Tode, indem sie barfuß, im Hemd und das Haupt mit einem Schleier verhüllt auf das Schaffot geführt werden und vor der Hinrichtung die rechte Hand verlieren sollten.

Gomez wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurtheilt.

Die Gefangenen hörten schweigend die Verkündigung – nur Rudio brach zusammen und mußte von den Gensdarmen beim Verlassen des Saales geführt werden.

Die drei zum Tode Verurteilten wurden am Tage darauf aus Mazas nach dem Gefängniß von La Roquette übersiedelt, vor dessen Thor die Hinrichtungen vollzogen werden.

La Roquette liegt auf der Straße des Todes – die Straße La Roquette ist der Weg zum Père Lachaise!

Alle Drei legten sofort die Kassation ein – selbst Orsini hatte die, Feigheit, sein Leben retten zu wollen!

Außerdem hofften sie auf Hilfe von Außen, auf einen Aufstand zu ihren Gunsten, der sie befreien sollte. In der That waren ihre Freunde auch nicht müßig, aber die Regierung war gewarnt und gerüstet. Ein versuchter Aufstand in Chalons sur Saone wurde rasch unterdrückt; in Paris und durch das ganze Land folgten zahlreiche Verhaftungen und als sich in der Nacht zum 5. März zahlreiche Volkshaufen auf dem Platz vor dem Gefängniß versammelten unter dem Ruf: »Vive la Rèpublique!« – »Vive Orsini!« und offenbar in der Absicht, die Kerkerthüren zu sprengen, war sofort das Militair bei der Hand und warf die Emeute zurück.

Aber das Alles waren sehr bedenkliche Zeichen und der Kaiser Louis Napoleon versteht sich bekanntlich auf die Vorboten des Sturms!

Die Schläge und Schutzmaßregeln der Regierung folgten rasch auf einander: – das Sicherheitsgesetz, die Einteilung Frankreichs in fünf große Militairbezirke mit je einem Marschall an ihrer Spitze.

Am 11. März hatte der Kassationshof das Gesuch der Verurtheilten verworfen.

Man erwartete die Hinrichtung, aber man glaubte nicht daran. Im Publikum hatten sich zahlreiche Gerüchte verbreitet, daß der Kaiser damit umgehe, die Verbrecher zu begnadigen, während die Minister sich energisch dagegen erklärten. Der grimmige Espinasse mit seinem Furcht und Schrecken erregenden Antlitz bestand vor Allem darauf.

Endlich hörte man, daß der Kaiser den Spruch des Gerichts bestätigt habe. Aber das schloß noch im letzten Augenblick die Begnadigung nicht aus und während Hunderte seit acht Tagen jede Nacht auf dem Platz La Roquette zubrachten, um das blutige Schauspiel nicht zu versäumen, erzählte man sich, daß die Kaiserin ohne Unterlaß ihrem Gemahl anliege, wenigstens Orsini zu begnadigen.

Es war ein ziemlich rauher Märzabend – Donnerstag den 11. Am Tage vorher, Mitfasten, dem privilegirten Vergnügungstag zwischen den nutzlosen, aber von der Mode zahlreich besuchten Bußpredigten, hatte sich ganz Paris wieder einmal ausgetobt und statt des politischen Geschwätzes Cancan getanzt. Man konnte sich noch nicht sogleich wieder in die Entsagungen der Fastenzeit finden und die Kaffeehäuser und Weinschänken waren überfüllt. Man feierte Mitfasten, während Grutry und Coqueret bereits wieder von der Kanzel ihre Donner schleuderten!

Vor dem großen Hôtel in der Rue du Faubourg St. Honorè Nr. 39 hielt ein Fiacre. Ein Mann von einigen dreißig Jahren mit blassem eckigen Gesicht und stechendem Auge sprang heraus und trat zu dem Portier.

»Mylord zu Hause, John?«

»Ja, Sir! Aber ich glaube nicht, daß er zu sprechen ist.«

»Das ist meine Sache. Master Blakburn ist doch im Vorzimmer?«

»Gewiß Sir! Gehen Sie nur die Seitentreppe hinauf, Mylord ist in seinem Kabinet.«

Der Fremde, der elegant in Schwarz gekleidet war, hielt sich nicht weiter auf, sondern schritt über den Hof des Hôtels nach dem Seitenflügel und stieg hier eine matt erleuchtete Treppe hinauf.

Er hatte eben den Vorflur des ersten Stocks erreicht und wollte an die nächste Thür klopfen, als diese sich öffnete und Master Blakburn, der erste Kammerdiener, einen Mann herausführte.

Dieser hatte eine hohe hagere Gestalt mit gefurchtem Gesicht und dem Greisenalter nahe. Als er des Fremden ansichtig wurde, zog er rasch den Kragen seines Mantels über das Gesicht, doch nicht schnell genug, um nicht dem Blick des eben Eingetretenen Veranlassung zu einem gewissen Erstaunen zu geben. Er grüßte kurz den Kammerdiener und ging rasch die Treppe hinab.

Der Diener war einigermaßen verlegen, als er den neuen Gast in das Zimmer führte, und diese Verlegenheit steigerte sich bei der Indiscretion, die sich derselbe zu Schulden kommen ließ.

»Bei allen schlimmen Geistern, Master Blakburn,« sagte er rücksichtslos – »das ist ein eigenthümlicher Besuch bei Mylord, wenn mich meine Augen nicht getäuscht haben! Wenn man das in den Tuilerien wüßte, dürfte das Verhältniß mit dem Kabinet von Saint-James leicht noch gespannter werden!«

»Oh Sir,« meinte der bestürzte Kammerdiener – »es war nur ein Reisender, Master Samwer, der in einer Paßangelegenheit kam!«

»Und der des Abends in einer Privataudienz von Mylord empfangen wird,« bemerkte gleichgültig der Frager.

»Ich hätte darauf schwören wollen, dies Gesicht öfter als einmal im Schweizer Kaffeehaus in London gesehen zu haben, wo er mir Signor Ma – Aber ich schweige schon,« beruhigte er die ängstliche Geberde des Kammerdieners. »Im Grunde geht es mich Nichts an und ich trage an der Last der Geheimnisse von Jenseits genug, um mich nicht noch mit dem thörichten der Menschen zu beladen. Melden Sie mich, Mylord hat mich zu sprechen verlangt.«

»Ich weiß, ich weiß, Sir, verziehen Sie einen Moment.«

Er trat in das Zimmer und hob einige Augenblicke darauf die Portiere.

»Treten Sie gefälligst ein Sir, Sie finden Mylord in seinem Arbeitskabinet.«

Der Fremde trat in das nächste Zimmer und ging langsam, ohne auf die Umgebungen auch nur einen Blick zu werfen, durch dasselbe nach der offenen Thür des nächsten, aus dem man sprechen hörte.

Auf der Schwelle blieb er stehen.

Es befanden sich zwei Herren in demselben, auf Lehnstühlen am Tisch vor dem Divan sitzend und beide rauchend.

Der eine, offenbar der Hausherr, eine breite aristokratische Gestalt von gereiftem Alter mit sehr ruhigen, fast phlegmatischen Bewegungen, erhob sich.

»Willkommen, willkommen, Master Hume!« sagte er, dem Eingetretenen die Hand reichend. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie sich einer besseren Gesellschaft entzogen haben, um mit uns armen Menschenkindern zu verkehren. Erlauben Sie mir, Sie einem Freunde vorzustellen. Master Alexander Hume, der berühmte Beherrscher der Geisterwelt, Freund Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen und des Herzogs von Hamilton, Herr Marquis von Casale!«

»Alias Graf Camillo Cavour, Premierminister Seiner Majestät des Königs von Sardinien,« sagte der Geisterbeschwörer ruhig, ohne eine Miene zu verziehen, »und Freund des Signor Mazzini, dem ich so eben die Ehre hatte, zu begegnen.«

Die beiden Herren sahen sich etwas verblüfft an, dann brach der Graf in ein lautes Gelächter aus, in das nach kurzem Besinnen der Gesandte einstimmte.

»Mylord Cowley,« sagte der Premier noch immer lachend, – »unser Incognito kann nur für gewöhnliche Menschenkinder gelten, aber nicht für Hellseher und Vertraute von Geistern. Aber Cospetto, Signor Hume, woher kennen Sie mich? Ich erinnere mich nicht, Sie schon bei uns in Turin gesehen zu haben und bin erst vor einer Stunde in Paris angekommen, ohne daß außer zwei Personen Jemand das Geringste davon weiß!«

»Herr Graf,« sagte der Geisterseher, »ich habe die Ehre gehabt, in vergangener Nacht als dritte Person in Ihrem Coupé zu sitzen!«

»In meinem Coupé?«

»Ja – zwischen Maurienne und Chambery, bis wohin Sie Ihren Secretaire Signor Manotti mitnahmen.« Der Minister starrte den Schotten erstaunt an.

»Per Baccho,« sagte er – »das ist stark und mir sehr unangenehm. Ich glaubte meine Abreise in das tiefste Geheimniß gehüllt, und nun sehe ich, daß irgend ein Verräther aus meiner nächsten Umgebung mir mit dem Telegraphen den Streich gespielt hat.«

Der Geisterseher hatte auf den Wink des Gesandten sich niedergelassen, so daß er beiden Herren gegenüber saß.

»Beunruhigen Sie sich nicht, Herr Graf,« sagte er lächelnd. »Sie denken in diesem Augenblick, Se. Majestät der Kaiser Louis Napoleon habe die Nachricht erhalten, ich hätte sie aus dieser Quelle und Sie nach einem Portrait erkannt. Aber dem ist nicht so. Se. Majestät der Kaiser weiß in diesem Augenblick so wenig von Ihrer Ankunft in Paris, wie von der Anwesenheit des Herrn Mazzini.«

»Aber dann erklären Sie mir – wie ist es möglich? Ich kann doch nicht an eine Zauberei glauben!«

Master Hume sah ihn ernst an.

»Sie sind aus Italien, Herr Graf, haben also doch oft von dem bösen Blick, der faccia cattiva gehört!«

»Gewiß – der größte Theil des Volkes hält an dem Aberglauben, aber das kommt von dem mangelhaften Schulunterricht und der systematischen Verdummung des Volkes durch die Pfaffen.«

»Shakespeare sagt: Es giebt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht begreifen können. Hier Mylord hat bedeutende Besitzungen in Schottland. Er wird Ihnen vielleicht einige Thatsachen von der Gabe des zweiten Gesichts erzählen können. Ich, Herr Graf, stamme aus Schottland durch meine Mutter. Aber haben Sie nie von jener seltsamen Macht gewisser Personen in Lappland gehört, ihren verkörperten Geist während eines geheimnißvollen Schlafs nach weit entlegenen Orten wandern zu lassen?«

»Nein; auch – erlauben Sie mir, es frei heraus zu sagen, – glaube ich an dergleichen nicht.«

»Nun Herr Graf,« bemerkte lächelnd der Geisterseher, »ein gescheiter Mann muß nie etwas verschwören. Vielleicht kann ich Sie eines Besseren überzeugen. Sie wissen also gewiß, daß Sie auf der Tour von Maurienne nach Chambery mit Ihrem Secretaire allein in dem Coupé erster Klasse waren?«

»Zuverlässig!«

»Sie trugen eine graue Reisemütze und noch von der Fahrt über den Mont Cenis einen Biberpelz. Sie unterhielten sich während der ganzen Nacht mit Signor Manotti über den Zweck Ihrer Reise.«

»Das ist leicht zu errathen. Aber wie zum Teufel wissen Sie meine Kleidung?«

»Weil ich mit Ihnen im Coupé war!«

»Das ist unmöglich!«

»Nun, so will ich Ihnen einige Worte wiederholen. Als Signor Manotti Sie frug, ob Sie sich für die Begnadigung Orsini's und seiner Gefährten verwenden würden, sagten Sie ...«

»Nun?« frug der Graf in der höchsten Spannung. »Sie sagten: den Teufel, ich denke nicht daran! ich wünschte, wir würden seiner Zeit Herrn Mazzini eben so los, wie diese vier Dummköpfe!«

Der berühmte Constitutionelle fuhr zurück, als hätte er einen Schlag bekommen, »Per Baccho!« sagte er endlich, indem er sich mit dem Taschentuch über die Stirn fuhr – »das ist in der That stark!«

»Wie Herr Graf,« frug der Gesandte – »waren das wirklich Ihre Worte?«

»Ich kann es nicht leugnen,« sagte der Minister kleinlaut – »Herr Hume wiederholt wörtlich.«

Der Gesandte lachte. »Wissen Sie, lieber Graf, wenn Herr Mazzini das gehört hätte, wie ich, möchte er doch etwas scheu werden!«

»Ei was,« sagte der Piemontese ungeduldig – »er weiß recht gut, was ich von ihm denke. Aber es ist mir unerklärlich, wie diese Unterredung hat belauscht werden können, denn ...«

Er brach ab.

Der Geisterbeschwörer lächelte seltsam. »Euer Excellenz trauen mir also noch immer nicht. Wenn es auch möglich gewesen wäre, Sie zu hören, so hätte man doch nicht sehen können, was Sie – kurz vor Chambery in Ihr Portefeuille, schrieben!«

»In mein Portefeuille? – Herr, sind Sie des Teufels?!«

»Sie hatten eben zu Signor Manotti gesagt: Er wird uns bluten lassen – ich kenne ihn! Aber es geht nicht anders – wir müssen Opfer bringen! Dann richteten Sie an Signor Manotti eine Frage, und notirten sich aus der Antwort Einiges in Ihr Portefeuille. Soll ich Ihnen vielleicht sagen, was Euer Excellenz geschrieben haben? Da Sie wahrscheinlich Ihr Portefeuille bei sich führen, können Sie die Wahrheit gleich erproben!«

»Nur heraus damit, Herr Hume!« drängte neugierig der Lord.

Der Premierminister war aufgestanden; so gefaßt und gewandt er auch sonst war – diesmal schien er alle Fassung verloren zu haben.

»Lassen Sie es gut sein, Herr Hume,« sagte er hastig. »Ich kann diesen Beweisen nicht widerstehen, so wenig ich mir die Sache erklären kann. Sagen Sie mir das Eine, wissen mehr Personen als Sie von dieser Unterredung?«

»Wissen? Nein! aber gehört hat sie eine zweite Person.«

»Und wer ist das?«

»Die Somnambüle!«

Der Minister that einen ziemlich undiplomatischen Athemzug. »Ach so,« sagte er, »also durch Somnambülismus haben Sie mich beobachtet?«

»Zufällig Excellenz. Bei der Entdeckung eines Mediums, wie mir noch kein zweites vorgekommen ist.«

»Wo geschah das?«

»Im Hôtel du Louvre, wo ich wohne!«

»Und keine andere Person war zugegen?«

»Keine Seele. Ein bloßer Zufall hat mich mit der jungen Dame in Berührung gebracht – oder vielmehr die Fügung der Vorsehung. Sie gehört zu den vornehmen Ständen und lebt in der Familie einer russischen Fürstin, die in dem Hôtel wohnt. Sie hatte wahrscheinlich von mir gehört und wandte sich mit einer Frage in Familienangelegenheiten an mich. Ich machte sofort die Entdeckung, daß sie in der auffallendsten Weise für das Fluidum empfänglich sei und manipulirte sie ohne ihren Willen!«

»Aber wie kamen Sie dabei auf meine Person?«

»Durch ein Album, das auf dem Tisch lag. Ich beschloß, die Wahl der Person dem Zufall zu überlassen, und schlug das Album auf. Das aufgeschlagene Blatt enthielt Ihr photographisches Portrait.«

Der Minister dachte einige Augenblicke nach.

So große Mühe sich auch der Gesandte geben mochte, bei der seltsamen Unterredung gleichgültig zu bleiben, vermochte er doch nicht, sein Interesse an den damit verknüpften politischen Beziehungen zu verbergen. Dem scharfen Auge des Piemontesen entging dies keinesweges.

»Das ist ein gefährliches Spiel, Herr Hume,« sagte er ernst. »Danach wäre Niemand vor Ihnen sicher!«

»O nein Excellenz – Alles hat seine Gränzen und hängt von Bedingungen ab. Wie ich bereits die Ehre hatte zu sagen, war es ein reiner Zufall, der mich durch das Medium gerade zum Zeugen Ihrer Unterredung machte und ich denke zu redlich und zu gleichgültig über Politik, um solche Entdeckungen zu verfolgen. Das größte Hinderniß dabei aber ist, daß Medien von einer Empfängniß wie das gestrige nur sehr selten gefunden werden, und daß ich nach dem heutigen Abend wohl schwerlich wieder so glücklich sein werde, eine ähnliche Gelegenheit zu haben.«

»Diesen Abend?«

»Ja! Die junge Dame, oder vielmehr ihr Beschützer haben sich auf meine dringenden Bitten entschlossen, einen einzigen Versuch machen zu lassen. Dies ist auch nur geschehen in der Hoffnung, dadurch Auskunft über jene Frage zu erhalten, welche die Dame an mich gerichtet hat und zu deren Lösung ich gestern keine Gelegenheit hatte, da ich noch nicht in Rapport dazu gestellt war.«

»Aber wenn sich das Frauenzimmer einmal dazu verstanden hat« bemerkte der Lord, »so wird sie sich wohl auch weiter überreden lassen.«

»Ich würde mich der Gefahr aussetzen, dafür erschossen zu werden. Der Mann, welcher sie in Schutz genommen, ein früherer Militair-Arzt, hat mir dies, obschon er seiner maurischen Abstammung nach selbst geheime Dinge und Kenntnisse liebt und achtet, in Stelle ihres Bruders sans gêne erklärt.«

»Und darf man fragen, wer sonst diesem Versuch beiwohnen wird?«

»Der Kaiser!«

Die beiden Herren fuhren gleichzeitig von ihren Stühlen auf. »By Jove!« sagte der Lord »da wären wir auf einmal am Ziel. Ist dies wirklich der Fall, Master Hume?«

»Ich hatte bereits die Ehre, es Ihnen zu sagen, Mylord. Der Kaiser wird mit dem Herzog von Hamilton der Sitzung beiwohnen, da ich ihn von dem seltsamen Phänomen in Kenntniß gesetzt habe.«

»Wo wird sie stattfinden?«

»Um neun Uhr in seinem Arbeits-Kabinet. Die Dame hat auf meine Bitte eingewilligt, da ich als Bedingung mir meinerseits die Wahl des Ortes vorbehielt.«

Der Gesandte hatte mit dem piemontesischen Minister einen Blick des Verständnisses gewechselt. »Hören Sie, Herr Hume,« sagte er dann – »ich habe Sie aus zwei Gründen zu mir bitten lassen. Der erste ist eine angenehme Nachricht für Sie, der zweite ein Dienst, den ich von Ihnen wünsche. Da Sie aber gerade so hellsehend sind, werden Sie vielleicht schon wissen, was ich Ihnen zu verkünden habe.«

Ohne den Spott zu beachten, der in den letzten Worten lag, antwortete der Amerikaner: »Mylord, mein Verkehr mit den Ueberirdischen zeigt mir nur das, was Andere betrifft, Nichts über mich selbst.«

»Desto besser! dann habe ich das Vergnügen, Ihnen mittheilen zu können, daß nach einer bei der Gesandtschaft eingegangenen Akte des Erbschaftsgerichts Ihnen von Mistreß Cavendish zu Bradford testamentarisch eine Jahresrente von 6000 Franks hinterlassen worden ist, wozu ich Ihnen von Herzen gratulire.«

»Ich danke, Mylord! aber sagen Sie mir das Wichtigere – womit ich Ihnen dienen kann?«

Die totale Gleichgültigkeit gegen das nicht unbedeutende Geldgeschenk imponirte selbst dem stolzen Pair. »Meine Bitte« sagte er sehr höflich, »ist folgende. Jedermann weiß, daß Sie unbeschränkten Zutritt zum Kaiser haben und einen gewissen Einfluh auf ihn besitzen. Es ist von Wichtigkeit, daß Graf Cavour noch diesen Abend eine geheime Audienz erhält; doch soll Niemand, selbst im Palast nicht davon wissen. Ich hoffte, Sie würden mir die Gefälligkeit erweisen, den Kaiser zu bewegen, einer Person, die sich nur ihm selbst nennen wolle, eine Audienz zu ertheilen. Mein Name darf jedoch dabei nicht erwähnt werden, eben so wenig der Umstand, daß Sie den Herrn Grafen erkannt haben. Sie sind Amerikaner, Master Hume, und ich brauche Ihnen blos zu sagen, daß Sie damit der Sache der Befreiung einer ganzen Nation von unwürdigen Fesseln einen großen Dienst leisten werden.«

»Herr Hume wird mich dadurch persönlich außerordentlich verpflichten« bemerkte der Graf.

Der Geisterseher hatte sich erhoben. »Euer Herrlichkeit wissen« sagte er ernst, daß ich vermeide, mich mit politischen Dingen zu befassen. Ich kann daher Ihren Wunsch nur in meiner Weise erfüllen.«

»Und die ist?«

»Se. Excellenz möge die Güte haben, sich um Punkt neun Uhr am ersten Thor der Tuilerien nach der Straße Rivoli einzufinden und uns dort zu erwarten.«

»Sie wollen ihn direkt einführen?«

»Sobald ich es an der Zeit halte, ja!«

»Herr Hume,« sagte der Graf, »zählen Sie auf meine Pünktlichkeit, ich werde zur Stelle sein.«

»Schön. Mylord, ich glaube, Sie bedürfen meiner nicht mehr – ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!« Er nahm das Dokument der Erbschaft in Empfang und verließ das Hôtel. Wir werden ihm sogleich wieder begegnen.

Die beiden Diplomaten waren kaum allein, als sie sofort die mit dem Eintritt des Geistersehers unterbrochene Unterhaltung wieder begannen.

»Es ist ein unangenehmer Zufall« sagte der Graf, »daß dieser Herr mich erkannt hat und Mazzini begegnet ist. Ich weiß in der That nicht, was ich von seinen Erzählungen denken soll.«

»Ich sträube mich selbst dagegen, an übernatürliche Kräfte zu glauben, und dennoch lassen sie sich an Hume nicht läugnen, obgleich von Zeit zu Zeit die Fähigkeit dazu ihm gänzlich verschwinden soll. Aber gleichviel, mein Gedanke, sich an ihn zu wenden, war ein ganz glücklicher und Hume ist bei all' seinem seltsamen Wesen ein Mann von Wort und Ehre. Sie werden den Kaiser sprechen, und ich freue mich, Ihnen dazu verholfen zu haben.«

»Die Verständigung mit Eurer Herrlichkeit war mir ebenso wichtig!«

»Keine Komplimente unter uns – lassen Sie uns offene Karten spielen. Es bestehen gewisse Verpflichtungen, die wir bei dem Krimkrieg gegen Sie eingegangen sind für Ihren Beitritt zu dem Feldzug. Ich sage Ihnen kein Geheimniß, wenn ich Ihnen ausspreche, daß England augenblicklich außer Stande ist, dem König Victor Emanuel, oder vielmehr dem Kabinet Cavour die gemachten Zusagen zu halten und die beabsichtigte Erhebung Italiens direkt zu unterstützen. Die Krim hat unsere gedienten Truppen decimirt, der unglückliche, noch lange nicht bekämpfte Aufstand in Indien, der Krieg in China und die Haltung der nordamerikanischen Union nehmen alle militairischen Kräfte in Anspruch. Auf der andern Seite müssen wir gerade wünschen, Frankreich möglichst nach einer andern Richtung beschäftigt zu sehen. Diese einfältige Attentat-Geschichte könnte wirklich zu den schlimmsten Folgen führen, obschon wir ganz unschuldig daran sind.«

Der Graf nickte beistimmend mit schlauem Lächeln.

»Die entente cordiale« sagte er, »hat in der That einen schweren Riß bekommen. Die Pyat'sche Brochüre und die französische AntwortDie bekannte damalige Brochüre »Louis Napoleon et l'Angleterre«, unter dem Namen Laguerrounière's erschienen, aber offenbar vom Kaiser selbst ausgegangen werden auch nicht dazu beitragen!«

Der Gesandte zuckte die Achseln. »Was kann das Kabinet machen gegen die Opposition? Die Stimmungen hüben und drüben sind sehr gereizt. Die Verschwörungsbill hat keine Aussicht, durchzugehn, selbst der Prozeß Bernard wird wahrscheinlich mit einer Freisprechung oder einer geringen Verurtheilung enden und dies die Erbitterung noch steigern. Die Presse thut alles Mögliche, das Feuer zu schüren und es bedarf in der That nur eines Funken in dem Pulverfaß, um den Ausbruch herbeizuführen!«

»Und unter diesen Umständen hält das Kabinet von Saint James die italienische Frage für einen vortrefflichen Ableiter?«

– »Wir leugnen es nicht. Ohnehin würde die Eifersucht Frankreichs nicht eine direkte englische Einmischung in Oberitalien zugeben. Wir sind deshalb damit einverstanden, daß Frankreich Piemont dort unterstützt, nur ...«

»Nun, Mylord?«

»Müßten Sie keine zu großen Verpflichtungen eingehen. Sie kennen die Pläne des Kaisers Louis Napoleon auf das mittelländische Meer!«

Der sardinische Minister beantwortete diese englische Anmaßung, die unter den obwaltenden Umständen vollkommen die Unverschämtheit der britischen Politik repräsentirte, nur mit einem diplomatischen Lächeln. »Ich denke, Mylord,« sagte er, »wir, nicht England, sind Diejenigen, welche den Preis zahlen müssen.«

»Ihre Constituirung« fuhr der Lord fort, die kleine Zurechtweisung überhörend, »wird uns ein bedeutendes Opfer kosten. Wir gehen damit um, Corfu aufzugeben.«

Das spöttische Lächeln zuckte wieder um den Mund des Grafen, diesmal ziemlich unverholen. »Sollte diese Politik« sagte er, »nicht weit eher Oesterreich zu Gunsten kommen, als uns?«

»Bah lieber Graf – die österreichische Marine wird nie eine Stellung einnehmen, die es uns wichtig macht, das adriatische Meer zu schließen.«

»Das ist sicher! Aber offen gesprochen, Mylord, ist es nicht sehr freundschaftlich für uns und schmeckt sehr nach einer gewissen politischen Achselträgerei. Verzeihen Sie, daß ich mich offen ausdrücke, – aber ich muß ganz bestimmt darauf bestehen, zu erfahren, in welcher Weise – 315 –

England die für unsere Hilfe im Krimkriege geleisteten Versprechungen zu erfüllen denkt?«

Der Gesandte spielte mit dem Crayon, den er in der Hand hielt. »Ich habe Ihnen bereits auseinander gesetzt, lieber Graf« sagte er, »daß wir im Augenblick außer Stande sind, anders, als mit unserm moralischen Gewicht und etwa der Lieferung von Waffen in der Lombardei Ihnen Beistand zu leisten. Aber wir sind bereit, unter gewissen Bedingungen Sie im Süden Italiens zu unterstützen.«

»Sie wollen uns also Neapel erobern helfen?«

»Das heißt – wir wollen Sie dabei durch gewisse Demonstrationen unterstützen. Zum Beispiel eine Flotte vor Neapel legen, ein Vorwand wird sich ja leicht finden, und bei einem Aufstand in dem unruhigen Sicilien, wo Alles gährt und nur auf das Signal wartet, die neapolitanische Marine verhindern, sich den Ausschiffungen zu widersetzen. Wir sind bereit, mit einer Anleihe, Waffen und Munition und der Zulassung von Werbungen den Aufstand zu unterstützen.«

»Also in der gewöhnlichen englischen Weise. Ich muß gestehen, Mylord, das ist allerdings sehr unter unsern Erwartungen! Und was beanspruchen Sie dafür?«

»O – sehr wenig. Die Abtretung einiger Schwefelwerke in Sicilien. Wir hätten Sicilien selbst beanspruchen sollen.«

»Euer Herrlichkeit wissen sehr wohl, daß dies einen Krieg zwischen England und Frankreich hervorrufen würde. Aber ich muß auch das Verlangen von Gebietsbesitz auf Sicilien überhaupt ablehnen und sage Ihnen offen, daß – kommt es zu einem Kriege mit Neapel in der Frage der italienischen Einheit, – der König Victor Emanuel lieber Beistand auf einer andern Seite suchen müßte. Das Einzige, wozu wir uns noch verbindlich machen würden, können nur gewisse Handelsvortheile sein, nicht aber das Aufgeben der Haupterwerbsquellen des Landes.«

Der Engländer erwiderte Nichts auf diese direkte Zurückweisung, als daß er darüber berichten werde, und ging dann zu einem andern Theil der Verhandlungen.

»Die Eifersucht zwischen Preußen und Oesterreich« sagte er, »sichert die Neutralität des ersteren, wenigstens so lange Sie nicht die deutschen Gränzen selbst bedrohen. Die Heirath der Prinzeß Royal und die schleswig-holsteinsche Frage geben uns den nöthigen Einfluß. Es bliebe demnach nur die Einmischung von Rußland zu berücksichtigen.«

»Darüber Mylord braucht sich das Kabinet von St. James keine Sorge zu machen. Rußland wird nicht interveniren, wenn die Macht Oesterreichs geschwächt wird.«

»Das weiß ich, das ist klar! Aber später – bei Neapel. Rußland hat aus der Haltung der Bourbonen beim orientalischen Kriege eine gewisse Verpflichtung der politischen Dankbarkeit.«

»Euer Herrlichkeit glauben gewiß am Allerwenigsten an ein solches Phantom. Die Sache hat uns allerdings ein kleines Opfer gekostet, indeß, es war nicht zu ändern.«

»Und darf man fragen, welches?«

»O gewiß, Mylord, – es kann überdies nicht verschwiegen bleiben. Se. Majestät der König Viktor Emanuel hat den unbedeutenden Hafen von Villafranca zwischen Nizza und Monaco an den Kaiser von Rußland zu einer Kohlenstation für die russischen Dampfer im Mittelmeer abgetreten.«

Der Schlag war so direkt, daß der englische Diplomat einige Augenblicke ganz verstummte.

So unbedeutend diese Gebietsabtretung an und für sich war, zeigte ihr Abschluß hinter dem Rücken des britischen Kabinets doch klar, wie sehr man den Einfluß Englands im Mittelmeer bereits gesunken ansah.

»Eine Kohlenstation? – Wahrhaftig! Ist dieser Vertrag denn bereits geschlossen?«

»Gewiß, Mylord – vollständig unterzeichnet. Die Uebergabe wird in Kurzem erfolgen.«

Die Miene des Grafen war so unbefangen, so vergnügt, daß es der englische Diplomat gar nicht wagte, Etwas darauf zu erwidern; er fühlte, daß er geschlagen war und daß es allein galt, ein möglichst gutes Gesicht zu der verdrießlichen Thatsache zu machen.

»Ich wünsche, daß Sie den Handel nicht zu bereuen haben, und die Aufgabe der Kabinette von St. James und der Tuilerien wird es sein, dafür zu sorgen, daß Rußland nicht etwa eine militairische Flottenstation aus dieser Erwerbung macht. Werde ich von Ihnen Nachricht erhalten lieber Graf, über den Ausgang Ihrer Verhandlungen mit dem Kaiser Louis Napoleon?«

»Gewiß, Mylord – die drei Mächte müssen dabei ja Hand in Hand gehen.« »Nur nicht, wie bei Villafranca – der Name ist etwas odiös. Ich sehe Sie also noch vor Ihrer Abreise?«

»Wenn es möglich ist, ja. Andernfalls erhalten Sie auf dem bisherigen Weg unserer Communikation sofort Nachricht. Und nun Mylord, habe ich nur die Bitte, dafür zu sorgen, daß Marquis d'Azeglio bei seinen Unterhandlungen mit den Banquiers der City und den Waffenfabrikanten in Birmingham von Ihrer Regierung unterstützt wird. Leben Sie Wohl, Mylord, und nehmen Sie meinen Dank für die rasche Vermittelung der geheimen Audienz.«

Die beiden Diplomaten hatten sich erhoben.

»Die Bestätigung des Urtheils ist also erfolgt?« frug der Piemontese noch an der Thür.

»Vor zwei Stunden, wie ich Ihnen bereits sagte.«

»Und die Hinrichtung?«

»Das werden Sie in den Tuilerien erfahren! Ich weiß es nicht. Man pflegt gewöhnlich 14 Tage dieselbe aufzuschieben!«

Die beiden Diplomaten drückten sich einander die Hände und schieden. Master Blakburn geleitete den in seinen Mantel gehüllten Premier des Königreichs Italien über dieselbe Stiege hinab, auf welcher er kurz vorher den ersten Verschwörer der apenninischen Halbinsel expedirt hatte.

Es war kurz vor 9 Uhr, als Doktor Achmet in Begleitung einer tief verschleierten Dame das Hôtel du Louvre verließ und nach dem nahen Portal der Tuilerien, welches zum Carousselplatz führt, ging.

Die Dame drängte sich scheu und dicht an ihren Begleiter, der ihr Muth einsprach.

An dem Ausgang des Hôtels hatte sie ein Herr erwartet; er sprach einige Worte mit dem Arzt und ging dann voran. Als sie in den großen Hof der Tuilerien traten, sahen sie einen Mann im Mantel an dem Gitter, das den innern Hof von dem Platze trennt, auf- und niedergehen.

Als die Drei näher kamen, trat er auf den Führer zu.

»Signor Hume?«

»Zu dienen. Haben Sie die Güte, sich uns anzuschließen, aber ich bitte im Voraus um Entschuldigung, wenn ich Sie einige Zeit im Vorzimmer warten lassen sollte.«

»Es kommt mir nur darauf an, unerkannt in die Appartements zu kommen.«

»Schön, Herr Graf, dann haben Sie die Güte, uns zu folgen.«

Die Schildwach am Eingang des Triumphbogens, welcher in den innern Hof führt, rief sie an.

»Halte-là Messieurs! on ne passe pas ici!«

»Doch mein Braver – hier ist die Karte!«

Der Geisterbanner zeigte die Erlaubnißkarte zum Eintritt nach Schluß der äußeren Zugänge.

»Passez!«

Der Garde-Zuave trat zur Seite.

Master Hume mit seiner Gesellschaft wandte sich sofort links, nach dem Pavillon de Flore, in dem sich die Gemächer des Kaisers befinden.

Sie traten in die Seitenthür. Am Fuß der Treppe wartete ein Lakai auf sie, der sie hinauf geleitete; oben, am Eingang der Vorzimmer, trat ihnen Thélin, der erste Kammerdiener des Kaisers, entgegen.

»Guten Abend, Monsieur Hume. Se. Majestät lassen Sie bitten, einstweilen in den blauen Salon einzutreten und alle Vorbereitungen zu treffen. Der Kaiser ist in diesem Augenblick noch dringend beschäftigt.«

Er öffnete die Thüren des nächsten Zimmers.

»Dieser Herr, Monsieur Thélin,« sagte der Amerikaner, »ist mein Begleiter, ich habe ihn nöthig heute bei der Experimentirung. Sie werden erlauben, daß er in dem Zimmer neben dem Salon zur Hand ist.«

»Sie haben zu befehlen, Monsieur. Will Madame nicht ablegen?«

Die junge Deutsche, die nur in ein großes Shawltuch gehüllt war, machte eine abwehrende Bewegung.

»Treten Sie ein!« –

Der Leser kennt aus einem der früheren Kapitel zum Theil die Einrichtung der Appartements der Kaiserin.

Die Räume im ersten Stock, welche der Kaiser bewohnt, sind dieselben.

Wir führen ihn in das kleinere Arbeitszimmer des mächtigen Geistes, das kalte Ueberlegenheit, Schlauheit und Muth gegenwärtig in vier Welttheilen die Geschicke von Nationen beherrscht, die anderen beeinflußt.

Der Kaiser saß an seinem Schreibtisch – vor ihm lagen geöffnete Briefe und mehrere Aktenstücke.

Er hatte das Kinn in die Hand gestützt; das schwere, verschlossene Gesicht war noch finsterer als gewöhnlich. – Dem Manne gegenüber, der allein mit ihm im Zimmer war, brauchte er nicht die eherne Maske, die sonst vor den spähenden Blicken so schroff seine Gedanken und Empfindungen verbirgt.

Louis Napoleon hatte sich seit der Zeit, da ihn unser Buch einführte, ja seit den Scenen, welche seine Vermählung einleiteten, bedeutend körperlich verändert. Die Gestalt hatte ein unvortheilhaftes Embonpoint angenommen, die Gesichtsfarbe war noch matter und ungesunder als früher. Nur selten fiel der Glanz eines freundlichen Gefühls über dies strenge eherne Gesicht, das seit dem Attentat noch finsterer geworden war.

Ihm gegenüber stand die ziemlich elegante, aber feste Gestalt seines Halbbruders Morny, mit der einen Hand auf den Tisch gestützt, in der andern eine Feder, die er dem Kaiser reichte.

Die Söhne der schönen und galanten Exkönigin von Holland schienen in dieser Stunde die Rollen getauscht zu haben. Der Präsident des Corps legislativ war sicher, entschlossen, kühn, – der Kaiser finster und mißtrauisch, wie immer, aber zugleich schwankend und unentschlossen, wie er nur selten ist.

»Höre mich an Louis,« sagte der Graf energisch. »Du weißt, daß mein Schicksal an das Deine geknüpft ist, daß ich mit Dir fallen würde. Man wird mir niemals den 2. Dezember vergeben. Saint Arnaud ist todt, ich habe jene Tage jetzt allein zu vertreten und ich will nicht die Verantwortung für die Ströme von Blut auf mich genommen haben, um jetzt unser Werk an einer thörichten Schwäche untergehen zu sehen. Wenn Du Orsini und seine Helfershelfer begnadigst, so sanctionirst Du damit die Revolution!«

»Ich bin ein Sohn derselben, Jules, vergiß das nicht!«

»Bah – die Phrase ist gut für ein Wahlmanifest, wenn man Präsident oder Kaiser werden will. Ist man das geworden, dann muß der Sohn der Herr seiner Mutter werden und zwar ein strenger Herr, oder die andern Kinder wachsen ihm über den Kopf. Die Meinung des Ministerraths war einstimmig – sie verlangen die Hinrichtung der Verbrecher. Meinetwegen begnadige Rudio und schicke ihn nach Cayenne. Er ist der ungefährlichste und von der Mazzinistischen Bande so lange als Verräther verfehmt und verfolgt worden, bis er sich zu dem Beitritt zu der schändlichen That entschlossen hat.«

»Aber die Kaiserin besteht auf der Begnadigung. Die wiederholten Drohbriefe, die sie empfangen hat, haben sie in Angst und Schrecken um das Leben ihres Sohnes gesetzt.«

»Madame Eugenie fürchtet blos die Zukunft, sie hat höchstens den Schreck zu rächen – es befinden sich aber in Paris über zweihundert Personen, die ihr Blut gerächt sehen wollen!«

Der Kaiser warf dem strengen Forderer einen raschen Blick zu. »Höre Jules,« sagte er – »ich glaube, Cayenne ist gerade nicht ein besseres Schicksal, als die Guillotine!«

»In Cayenne lebt man, aus Cayenne entkommt man, und eine blutige That fordert blutige Sühnung. Darf ich Espinasse den Befehl zur Hinrichtung schicken?«

»Ich weiß nicht, warum Du so eilst. La Roquette ist ein ganz sicherer Aufenthalt!«

»Sire,« sagte der Graf, plötzlich den Ton ändernd – »ich müßte Sie nicht kennen, oder Sie haben einen Hintergedanken dabei. La Roquette ist sicher, aber auch die Bastille hat man gebrochen. Erinnern Sie sich, daß wenn nicht die strengsten Präventiv-Maßregeln ergriffen worden wären, wir am 24. Februar eine blutige Revolte der Rothen gehabt hätten und daß in der Nacht zum 5ten wir noch die Versuche dazu gesehen haben.«

»Es wäre besser gewesen, wir hätten sie zum Ausbruch kommen lassen. Wir waren dann mit einem Mal damit fertig geworden!«

»Sire,« sagte der Graf sehr ernst, »man kann innerhalb zehn Jahren nicht mehr als ein Mal einen zweiten December machen!«

Der Kaiser schwieg einige Augenblicke. »Du hast Recht! – Aber Du kennst jenen Brief – er hat nicht so Unrecht! die Italiener sind eigentlich etwas schlecht behandelt worden.«

Der berüchtigte Brief Orsini's an den Kaiser aus dem Gefängniß, den Jules Favre, der Vertheidiger Orsini's bei der Verhandlung ganz unerwartet vorlas und der einen Fingerzeig für die folgenden Ereignisse giebt, lautet:
An Napoleon III., Kaiser der Franzosen. Die Aussagen, welche ich gegen mich selber in diesem bei Gelegenheit des Attentates vom 14. Januar anhängig gewordenen Prozesse gemacht habe, sind hinreichend, um mich in den Tod zu schicken, und ich werde denselben erdulden, ohne um Gnade nachzusuchen, sowohl deshalb, weil ich mich nicht vor Demjenigen demüthigen will, der die Freiheit meines unglücklichen Vaterlandes im Entstehen gemordet hat, als auch, weil in der Lage, in der ich mich befinde, der Tod für mich eine Wohlthat ist. Am Ziele meiner Laufbahn will ich dessen ungeachtet den letzten Versuch wagen, um Italien zu Hülfe zu kommen, für dessen Unabhängigkeit ich bis auf diesen Tag allen Gefahren getrotzt und zu allen Opfern bereitwillig die Hand geboten habe. Dieselbe bildet das unablässige Ziel meiner heißesten Wünsche, und dieser letzte Gedanke ist es denn auch, welchen ich in den Worten, die ich an, Ew. Majestät richte, niederlegen will. Um das jetzige Gleichgewicht in Europa aufrecht zu erhalten, muß Italien unabhängig gemacht, oder es müssen die Ketten, unter denen Oesterreich es in Sclaverei hält, fester geschmiedet werden. Fordere ich für Italiens Befreiung, daß das Blut der Franzosen für die Italiener vergossen werden solle? Nein, so weit gehe ich nicht! Italien verlangt blos, daß Frankreich nicht gegen dasselbe intervenire; es verlangt, daß Frankreich Deutschland nicht gestatte, Oesterreich in den Kämpfen, die alsbald erfolgen werden, zu unterstützen. Und dieses eben ist es, was Ew. Majestät thun können, wenn Sie wollen. Von diesem Willen hängen das Wohlergehen oder die Unglücksfälle meines Vaterlandes, das Leben oder der Tod einer Nation ab, welcher Europa zum großen Theil seine Civilisation verdankt. – Dieses ist die Bitte, die ich aus meinem Kerker an. Ew. Majestät richte, indem ich nicht ganz daran verzweifle, daß, meine schwache stimme Gehör finden werde. Ich beschwöre Ew. Majestät, dem Vaterlande die Unabhängigkeit wiederzugeben, die dessen Kinder im Jahre 1849, durch den Fehler der Franzosen selbst, verloren haben. Mögen Ew. Majestät sich erinnern, daß die Italiener, unter denen auch mein Vater war, mit Freuden ihr Blut für Napoleon den Großen überall, wohin er sie zu führen beliebte, vergossen haben; mögen Sie dessen eingedenk sein, daß sie ihm treu blieben bis zu seinem Sturze; mögen Sie nicht vergessen, daß, so lange Italien nicht unabhängig ist, die Ruhe Europa's so wie die Ihrige nur eine Chimäre ist! Möge Ew. Majestät dem letzten Zurufe eines Patrioten auf den Stufen des Schaffottes nicht das Ohr verschließen! Mögen Sie mein Vaterland befreien, und die Segenswünsche von Millionen Bürger werden Ihnen in die Nachwelt folgen!
Aus dem Gefängnisse Mazas, 11. Februar 1858.
Felix Orsini.

»Nicht mehr als sie verdienen. Die Italiener sind wie die Polen, unruhige Kinder, die das Geschenk der Freiheit nicht vertragen. Ueberdies Sire, steht es ja in Ihrer Hand, die Sache wieder gut zu machen. Man wartet in Turin ja nur auf Ihren Beistand!«

»Meinst Du?«

»Euer Majestät wissen das besser als ich. Ueberdies Sire, haben Sie die Erbschaft Ihres Onkels erst zum Theil erfüllt!«

»Du meinst Rußland!«

»Ja, Sire, der Flecken von 1812 auf den französischen Fahnen ist glänzend ausgelöscht. Außerdem ist England dabei gedemüthigt worden, und wenn Sie jetzt Sardinien unterstützen und die Oesterreicher aus Oberitalien werfen, so ist diese Demüthigung vollständig und der englische Einfluß an den Küsten des mittelländischen Meeres gebrochen. Sie haben dann mit zwei weiteren Factoren von 1813 und 15 die Abrechnung gehalten!«

»Meinst Du? – Du vergißt, Jules, daß dies eine alte Schuld ist, und daß die Neuzeit manchen neuen Posten in das Conto eingetragen hat. Man kokettirt in England mit mir nur, weil man mich fürchtet. Der brutale Hochmuth der Nation zeigt ihre wahre Stimmung. Wie bat man sich gegenüber dem Attentat benommen? Der Prozeß Bernard wird offenbar mit der Freisprechung oder einer ganz geringen Strafe des Halunken endigen; die RevolutionsbillDie in Folge des Attentats von Lord Palmerston eingebrachte Bill gegen Verschwörungen der Flüchtlinge, die in England Asyl gefunden. wird nicht durchgehen, alle Welt vom Lord bis zum Kesselflicker agitirt dagegen! und die Pyat'sche Brochüre sagt ganz offenkundig, wie man denkt!«

»Nun gut – was hindert Dich, mit England noch besondere Abrechnung zu halten? Die Zeit wird kommen, denn offenbar ist die englische Macht im Sinken und Amerika ist früher oder später der Dorn in seinem Fleisch. Aber vor Allem darf Frankreich Italien nicht aus den Augen verlieren, denn dort ist der Boden, wo seine politischen und blutigen Schlachten ausgefochten werden. Man besiegt den Germanismus nicht am Rhein oder der Spree, sondern am Mincio und an der Tiber!«

Der Kaiser war aufgestanden und einige Male in dem Zimmer auf und nieder gegangen; dann blieb er vor einer Karte Italiens stehen, die an der Wand hing. »Italien gränzt sehr nahe an Frankreich!« sagte er.

Der Graf lachte. »Gewiß, Sire. Deswegen waren wir auch stets so rasch dort!«

»Bedenke Jules, unsere Position in Rom beherrscht ganz Italien!«

»Und außerdem den heiligen Vater, das Schooskind Deiner Frau. Aber wer zum Henker räth Dir denn, Rom aufzugeben!«

»O dieses Haus Savoyen ist sehr ehrgeizig. Man müßte doch wenigstens wissen, für was?«

In diesem Augenblick ließ sich ein zweimaliges Kratzen an der Thür hören.

»Ah – Thélin! – Herein mit Dir!«

Der alte Kammerdiener trat ein.

»Ist er da?«

»Ja, Sire – im blauen Salon, wie Sie befohlen haben!«

»Und hat er sie mitgebracht?«

»Wen, Sire?«

»Parbleu – die Dame, das Frauenzimmer!«

»Ja, Sire! es ist eine Dame dabei, die tief verschleiert ist. Aber sie ist nicht das gewöhnliche – Medium, wie Herr Hume es nennt!«

»Es ist gut, Thélin! Sage Monsieur Hume, daß ich sogleich bei ihm sein werde! Jules, Du begleitest mich!«

»Wohin?«

»Nun zu Nichts weiter, als zu einer Sitzung mit Monsieur Hume. Er hat mich wissen lassen, daß er ein vortreffliches neues Medium aufgethan hat.«

»Sire, ich bitte Sie im Namen Frankreichs, zuvor diese Ordonnanz zu unterzeichnen!«

Er schob ihm das Papier zu, und reichte ihm zum dritten Mal die Feder.

Der Kaiser nahm sie – er tauchte sie ein und hob die Hand.

Sie wurde ihm festgehalten.

Eine zarte aristokratische Hand, die Hand seiner Gemahlin, hatte sich auf die seine gelegt.

»Sie werden nicht unterzeichnen, Sire!«

»Wie Eugenie – Du bist es?«

»Ja, Louis – ich bin Dein guter Engel! Begnadige sie – vergieb ihnen, wie ich es thue. Um unsers Kindes willen!«

»Ihre Majestät wollen mir die Bemerkung erlauben,« sagte Morny schroff, »daß dies Staatsangelegenheiten sind.«

»Oh, reden Sie nicht – ich weiß, daß Sie kein Gefühl haben außer für Blut und für Gold!« rief die Spanierin heftig. »Was kümmert es Sie, Sie wissen es nicht, was es heißt, ein Kind zu haben auf diesem blutumströmten, selbst von der Kirche verfluchten Thron! Wäre ich ruhig in meinem Privatleben geblieben, ich wäre hundertmal glücklicher als mit diesem Mann, der weder Frau noch Kind liebt!«

Der Kaiser sah einen jener leidenschaftlichen Stürme kommen, die nach der unglücklichen Ueberraschung des 14. Januar sich bereits mehrfach wiederholt hatten, und eilte, sich ihm zu entziehen.

»Du sollst uns begleiten, meine Liebe! Du weißt, daß ich ein wenig abergläubisch bin – ich will die möglichste Rücksicht nehmen gegen Deine Wünsche, aber ich verlange, daß Du ruhig bist!«

»Du rettest das Leben Deines Kindes, wenn Du Gnade walten läßt! Hörst Du – ich will es! Du bist mir Genugthuung schuldig für jene schändliche Scene, als ich Dich ...«

Der Kaiser hatte Thélin einen befehlenden Wink gegeben. Der finstere Zug zwischen seinen Brauen war plötzlich so schroff und tief geworden, daß selbst die leidenschaftliche Spanierin schwieg.

Er bot, ohne weiter ein Wort zu sagen, der Kaiserin den Arm und führte sie durch die Flügelthür, die Thélin devot aufwarf.

Der Präsident des gesetzgebenden Körpers folgte mit einem leichten Achselzucken.

Wir haben bereits erwähnt, daß der maurische Arzt und seine Begleiterin in den sogenannten blauen Salon, der nur durch ein kleines Zwischenzimmer von dem Arbeitskabinet des Kaisers geschieden ist, von dem ersten Kammerdiener Thélin, dem Zeugen so vieler wichtiger Wandelungen und Ereignisse eingeführt worden war.

Der Piemontese war in einem der anstoßenden Zimmer geblieben, nachdem er Master Hume seine Karte eingehändigt hatte.

Der Geisterbanner bewies, daß er in diesen Appartements eine sehr bekannte Person war. Er führte das Edelfräulein zu einem Sessel in der Nähe des Kamins und bat sie, hier Platz zu nehmen und sich durch Nichts stören zu lassen.

Dann unterredete er sich mit dem Arzt und dem bereits anwesenden Herzog von Hamilton. Sie hatten etwa zehn Minuten gewartet, als die Thür des Salons hastig geöffnet wurde, und der Kaiser mit der Kaiserin hastig eintrat. Hinter ihnen mit einer aus Spott und Mißvergnügen ziemlich deutlich zusammengesetzten Miene kam Graf Morny.

Louis Napoleon, sobald er eingetreten war, ließ den Arm der Kaiserin los und ging auf Hume zu.

»Da sind Sie ja, Monsieur Hume! und gerade zur rechten Zeit. Haben Sie das Medium mitgebracht?«

»Erlauben Euer Majestät mir, Ihnen die Dame zu präsentiren.«

Die Dame verbeugte sich – man konnte trotz des Hutes und Schleiers bemerken, in welcher Aufregung sie sich befand.

»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Madame,« sagte der Kaiser, »daß Sie sich bereit gezeigt haben, meinen Wunsch zu erfüllen, die seltene Naturkraft, die sich bei Ihnen in so ausgezeichnetem Maße findet, selbst beobachten zu können. Wollen Sie nicht Hut und Schleier ablegen – seien Sie ganz ohne Sorgen, ich versichere Sie meines besonderen Schutzes.« »Sire,« fiel der Geisterbanner ein, – »es ist eine der Bedingungen, unter welchen sich die Dame zu der Sitzung verstanden hat.«

»Also ein Theil des Programms! Nun gut, ich füge mich. Und dieser Herr?«

»Der Begleiter der Dame, Doktor Achmet, früher Arzt bei den Garde-Zuaven Ihrer Majestät.«

»Der Mohrendoktor – Parbleu! ich erinnere mich und warum sind Sie aus dem Dienst getreten?«

»Sire, ich wurde vor Sebastopol gefangen genommen und kehrte erst nach längerer Zeit als Begleiter einer Dame zurück, die sich in Rußland unter meinen Schutz gestellt hatte.«

»Dieser hier?«

»Nein Sire, einer Landsmännin Ihrer Majestät, der Primadonna des Cirque, Sennora Rositta!«

Er hatte die Worte absichtlich laut gesagt, damit die Kaiserin dieselben hören sollte.

Seine Berechnung hatte ihn nicht getäuscht. Die Kaiserin, als sie den Namen hörte, kam sofort näher. Aber die Ungeduld des Kaisers schnitt jede weitere Erörterung ab.

»Wenn ich nicht irre, so haben Sie die Bedingung gestellt, den somnambulen Schlaf dieser Dame zugleich benutzen zu dürfen, um einige Fragen an sie zu richten?«

»Ja, Sire – unter dieser Bedingung, die dazu dienen soll, über das Schicksal einer uns theuren, in räthselhafter Weise verschwundenen Person Aufschluß zu erhalten, hat Fräulein de Reuble sich dazu verstanden, sich in magnetischen Schlaf bringen zu lassen.«

»Nun gut – das ist die beste Gelegenheit, sich von der Extase der Dame zu überzeugen. Sie werden demnach die Fragen beginnen. Wenn Sie mit Ihren Vorbereitungen fertig sind, Monsieur Hume, können wir anfangen. Setzen wir uns!«

Der Kaiser nahm die Hand seiner Gemahlin und führte sie zu einem Lehnsessel. Sein Wink befahl den andern Anwesenden, sich geeignete Plätze zu suchen.

Nur Hume selbst blieb stehen. Er befand sich dem preußischen Edelfräulein gegenüber, die von den seltsamen Verhältnissen aufgeregt sichtlich unter Hut und Schleier zitterte.

Der Magnetiseur ging nach einer der Fensternischen und holte dort einen kleinen Tisch, den er vor das Mädchen stellte.

»Bitte Madame, legen Sie Ihre linke Hand auf den Tisch.«

Das Edelfräulein that es.

»Nun sehen Sie mich an!«

Er begann vor ihr stehend die Manipulationen.

Nach zwei oder drei Minuten sah man das Mädchen rückwärts sinken mit dem Kopf an die Lehne des Sessels, ihre Hand blieb auf dem Tisch liegen, eine gewisse Steife und Starrheit verbreitete sich über alle Glieder.

Der Geisterbanner that noch einige Striche, dann hielt er inne.

Es war eine große Stille im Zimmer, Alle, selbst der ungläubige Spötter Morny, beobachteten den Vorgang mit Interesse.

»Sie schlafen, Madame?«

»Ja, mein Herr!«

Die Stimme der Somnambulen war schwach, aber deutlich verständlich.

»Sind Sie hellsehend?«

»Ich weiß es nicht!«

»Ich frage, ob Sie alle Dinge und Personen, körperliche oder unkörperliche, mit denen ich Sie in Verbindung sehe, sehen?«

»Ich glaube es. Es ist mir, als wäre mein Geist sehr frei. Fragen Sie!«

Der Geisterbanner wandte sich an den Arzt.

»Haben Sie einen Gegenstand bei sich, welcher der Person gehörte, über welche Sie das Medium befragen wollen?«

»Hier ist ein Handschuh, den sie am Abend vorher, ehe sie in so unerklärlicher Weise verschwunden ist, getragen hat!«

»Geben Sie her!«

Er schob den Handschuh unter die linke Hand des zurückgelehnt schlummernden Mädchens auf der Tischplatte.

»Was wollen Sie wissen?«

»Zunächst, ob sie lebt, oder ob ihr ein Unglück widerfahren ist!«

»Madame, suchen Sie die Person, deren Handschuh Sie in Ihrer Hand haben. Lassen Sie den Tisch für Sie antworten, wo es geht, um sich nicht zu ermüden. Haben Sie die Person?«

Obschon die Hand des Mädchens nur steif und unbeweglich auf dem kleinen, mit runder Bouleplatte und vergoldeten Füßen versehenen Tisch ruhte, zeigte sich doch nach einigen Augenblicken ein seltsames Phänomen.

Der Tisch gerieth in ein sichtbares Schwanken und gleich darauf klopfte der Fuß drei Mal deutlich auf das Parket.

Der Kaiser warf seinem Bruder einen bedeutsamen Blick zu.

»Befindet sich die Person in diesem Augenblick noch unter den Lebenden?«

Der Tisch wiederholte das Klopfen. Der maurische Arzt legte unwillkürlich nach morgenländischer Sitte die Hand auf's Herz.

»Sehen Sie die Person genau an. Können Sie uns dieselbe beschreiben?«

Die Somnambule machte eine leichte Bewegung. »Ah – ich kenne sie! – es ist die Dame, welche uns besuchte – die Sennora –«

»Welche Sennora?«

»Ich kann den Namen nicht finden – nein – aber ich sehe sie deutlich! Sie ist sehr blaß und hager – sie weint!«

»Um Himmelswillen wo – wo ist sie?«

»Können Sie sagen, wo die Person sich befindet?«

»Sie martern mich – ich weiß keine Namen – ich kann Ihnen nur beschreiben.« »Also – was sehen Sie?«

Die Antwort kam in Absätzen – aber die Worte waren deutlich.

»Eine enge Zelle – sehr häßlich – es sieht aus wie ein Kerker – das Fenster oben ist vergittert – sie trägt ein Kleid von grober Leinwand, ihr schönes Haar ist abgeschnitten. Sie sitzt auf dem Holzbett – blos ein Strohsack darauf – auf dem Tisch ein Krug mit Wasser und Brod – ein Kruzifix – das ist Alles!«

»Was thut die Person?«

»Sie hat die Hände gefaltet – ihre Augen sind geröthet – o wie sie hager und bleich ist. – Jetzt ...«

»Nun – geben Sie sich Mühe, genau zu sehen!«

»Ja, ja – jetzt steht sie auf, sie sucht einen Gegenstand im Stroh des Bettes – sie hat ihn. Er ist sehr schön!«

»Was ist es – können Sie die Sache nicht erkennen?«

»Es ist ein Ring, ein Ring – mit einem großen Diamanten – ein schwarzer Diamant – wie er funkelt im Schein der Lampe!«

Die Kaiserin hatte sich halb von ihrem Sitz erhoben bei den Worten – ihre Miene drückte die größte Theilnahme aus.

Der Kaiser warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Ein schwarzer Diamant? Vielleicht der Ihre Madame, den Sie am Abend des Attentats verloren?«

»Verzeihung Sire – Sie stören die Einwirkung!«

Der Kaiser lehnte sich zurück, aber der Arzt hatte sich fast ungestüm erhoben und den Arm des Magnetiseurs gefaßt. »Bei Allem, was Ihnen theuer ist, beschwöre ich Sie, fragen Sie sie, wo das Gefängniß ist, in dem die Schändlichen Carmen eingeschlossen haben. Den Ort, bitte ich Sie, den Ort!«

Der Amerikaner zuckte die Achseln. »Sie haben es bereits gehört, Mademoiselle kann nur Andeutungen geben, nicht Namen. Ich will versuchen, was zu erfahren ist. Was thut die Person jetzt, Madame?«

»Ich sehe deutlich – sie küßt den Ring! ihre Augen leuchten – es muß das Einzige sein, was man ihr gelassen, oder was sie verbergen konnte. Jetzt – sie lauscht – sie versteckt den Ring in ihrem Busen – die Thür geht auf – ah!«

»Was ist Ihnen?«

»Es ist ein fremdes Weib – sie sieht fast aus wie eine Nonne – sie bringt Wasser – sie spricht mit ihr –«

»Was? was sagt sie?« frug der Doktor, indem er die Hand der Somnambulen faßte. »Reden Sie, ich beschwöre Sie im Namen Ihres Bruders Otto!«

Ein Zucken lief über die Glieder des Mädchens, als litte sie einen plötzlichen körperlichen Schmerz. »Ich verstehe nicht Italienisch! – es ist Alles dunkel, ich sehe Nichts mehr,« sagte sie verdrießlich.

Sie verstummte und schien in tiefem Schlaf befangen.

Der Geisterbanner zog den Handschuh unter ihrer Hand fort. »Sie sind selbst schuld, wenn Sie nicht mehr erfahren haben,« sagte er zu dem Arzt. »Sie haben die Kette unterbrochen und wir müssen die Zeit benutzen, wo die Extase noch fortdauert, um zu Wichtigerem überzugehen.«

»Ich danke Ihnen, Herr,« erwiederte der Doktor halblaut. »Zum Glück habe ich jetzt wenigstens eine Spur, wo wir Carmen von Massaignac suchen sollen!«

So leise er gesprochen, so hatte das Ohr der Kaiserin doch den Namen gehört.

Sie wandte sich rasch nach dem Arzt.

»Sie sprechen von der Marquise Carmen von Massaignac?« sagte sie. »In welcher Verbindung steht das, was wir eben von der Somnambulen gehört haben, mit diesem Namen? ich wünsche es eines Umstandes wegen zu wissen!«

»Ihro Majestät haben zu befehlen. Die Person, von welcher die Somnambule so eben gesprochen hat, ist die junge Marquise von Massaignac, dieselbe, welche unter dem Namen der Kunstreiterin Rositta sich Ihrer Majestät Wohlwollens zu erfreuen hatte. Darauf gestützt, bitte ich Ihro Majestät um Schutz für eine Unglückliche, die wahrscheinlich ein Opfer der Habsucht und Tyrannei unwürdiger Verwandter geworden ist!«

»Ich habe gehört, daß die Kunstreiterin Rositta verschwunden war, aber ich glaubte nicht ...«

»Ihro Majestät schwöre ich, daß Rositta die Marquise von Massaignac ist, die durch verschiedene Umstände zu der Annahme dieser Rolle bewogen wurde. Seit dem Abend des nichtswürdigen Attentats ist sie auf geheimnißvolle Weise aus dem Opernhaus verschwunden.«

»Sire,« wandte sich die Kaiserin zu ihrem Gemahl, »Sie haben gehört, was dieser Herr erzählt. Ich bitte um Ihren Schutz für das unglückliche Mädchen. Den meinen hatte ich ihr bereits zugesichert und als Unterpfand ihr, wie ich jetzt zu meinem Bedauern gestehen muß, den Ring mit dem schwarzen Diamanten anvertraut.«

Der Kaiser zog bei der letzteren Mittheilung die Stirn in Falten, – sie berührte ihn offenbar unangenehm.

»Es thut mir leid, Madame,« sagte er, »daß Sie mein Geschenk nicht besser zu bewahren wußten!«

Aber er hätte offenbar klüger gethan, die Sache nicht zu erwähnen; denn wie immer fand er an der schönen Spanierin einen schlagfertigen Gegner.

Eine leichte Röthe überflog das Gesicht der hohen Dame, die sie unter dem Fächer barg. Dann neigte sie sich zu ihrem Gemahl hinüber.

»Sire, Sie belieben zu vergessen, daß ich den Ring an dem Tage fortgab, an welchem ich die Ehre hatte, einige Briefe der Mademoiselle Pierrefond Ihnen dafür wieder zu geben! ich bitte nochmals um Schutz für meine junge Freundin!«

Der Kaiser drehte ziemlich verlegen seinen Schnurbart. »Die Sache soll untersucht werden, verlassen Sie sich darauf. Morny, erinnern Sie mich daran. – Können wir zu den Gegenständen übergehen, Monsieur Hume, wegen deren ich Ihre Somnambule befragen will?« »Sire, die Extase ist wieder vollständig!«

Der Geisterbanner warf dem Arzt einen verständigenden Blick zu. Doktor Achmet trat in eine entfernte Fensternische.

»Aendern Sie das Experiment, Monsieur Hume,« sagte der Kaiser. »Wir wollen in unserer früheren Weise verfahren. Nehmen Sie den Psychographen.«

Der Amerikaner holte eine kleine runde Scheibe herbei, in deren Mitte sich eine bewegliche Nadel, fast wie eine Magnetnadel befand. Rings um die Scheibe liefen die Buchstaben des Alphabets.

»Wen rufen wir?«

»Euer Majestät mögen bestimmen. Sie wissen, daß die Citirung am Leichtesten bewirkt wird, wenn wir einen Gegenstand zur Hand haben, der dem Verstorbenen im Leben gehört hat.«

»Ich habe daran gedacht. Legen Sie diese Waffe in die Hand der Somnambulen. Sie gehörte der Person, die ich meine.«

Er nahm aus der Tasche des Rockes einen kleinen Dolch von ausgezeichneter florentinischer Arbeit, offenbar eine Waffe aus dem fünfzehnten oder sechszehnten Jahrhundert.

Hume nahm dieselbe und betrachtete einen Augenblick das Monogram auf dem Griff.

Darauf neigte er sich zu dem Kaiser und sagte flüsternd:

»C. B. Sire?«

Der Kaiser nickte. »Euer Majestät wissen, ich muß den Namen kennen!«

»Cäsar Borgia!«

Die Zwei Worte waren so leise gesprochen, daß nur Hume selbst sie zu hören vermocht hatte.

»Wollen Euer Majestät die Fragen mündlich stellen, oder niederschreiben?«

»Wir wollen sehen. Setzen Sie sich nur in Rapport!«

Der Magnetiseur hatte die kleine Waffe wie vorhin den Handschuh unter die linke Hand der jungen Dame gelegt.

Bei der ersten Berührung schauderte sie sichtbar zusammen.

Der Geisterbanner fixirte das Mädchen jetzt scharf mit seinen Blicken. Die Somnambule machte mehre unruhige Bewegungen, ohne die Finger von der Waffe zu nehmen – ihr Athem wurde schwer, fast stöhnend – selbst auf der kleinen zarten Hand zeigten sich große Schweißtropfen.

Plötzlich begann der Tisch wie früher zu schwanken.

Es war eine eigenthümliche Stille in dem Salon eingetreten, selbst der Fächer der Kaiserin rauschte nicht mehr.

»Sire,« sagte der Magnetiseur mit tiefer leiser Stimme, »er ist da. Sie können fragen!«

»Fragen Sie, ob er uns antworten will!«

»Madame – Sie haben die Frage gehört!«

Der Tisch, der bisher die zitternden Schwingungen fortgesetzt, blieb plötzlich ruhig und unbeweglich.

»Sie sehen selbst, Sire, er weigert sich!« »Er soll antworten. Lassen Sie das Fluidum stärker wirken und wenden Sie den Psychographen an!«

Der Amerikaner nahm die rechte Hand der Somnambulen und stellte die Spitze des Mittelfingers auf den Knopf der Nadel. In dieser unbequemen Stellung blieb die Hand, ohne sich zu rühren, als sei sie aus Marmor gehauen.

Plötzlich fing die Nadel an zu zittern und flog dann nach verschiedenen Richtungen in der Runde, indem sie an einzelnen Punkten mit der Spitze einen Moment verweilte, etwa wie die Zeiger der früher gebräuchlichen Telegraphen-Apparate.

Der Magnetiseur verfolgte aufmerksam mit seinen Augen die Bewegungen. Er hatte eine kleine Schiefertafel genommen, auf die er mit besonderer Geschicklichkeit die Buchstaben unter einander schrieb, bei denen die Nadel verweilte.

Im Augenblick, wo sie aufhörte, sich zu bewegen und er den letzten Buchstaben geschrieben hatte, überreichte er auch die Tafel dem Kaiser.

Dieser nahm sie und warf einen Blick darauf. Es waren sechs Buchstaben unter einander geschrieben. Die graue krankhafte Gesichtsfarbe des Kaisers verwandelte sich zu einer fahlen Blässe, – die im nächsten Moment einer unheimlichen Röthe Platz machte.

Gleich darauf warf er einen forschenden Blick umher, als wolle er sich vergewissern, ob auch Niemand die Wirkung beobachtet habe, welche jene sechs Buchstaben so plötzlich auf ihn gemacht hatten. Die einzige Person, welche außer dem Magnetiseur bei dem Platz des Kaisers den Ausdruck seiner Mienen hatte beobachten können und auch wirklich beobachtet hatte, war der Arzt gewesen. Aber er wurde von dem Vorhang des Fensters ganz bedeckt.

Im nächsten Moment war bereits die Aufregung des Kaisers vollständig überwältigt, nur die tiefere Falte zwischen den Brauen bekundete noch den Eindruck, den die sechs Buchstaben auf ihn gemacht, und mit einem raschen Strich hatte er sie von der Tafel gelöscht.

Diese sechs Buchstaben hatten gelautet: R I M I N I

Der Leser, der die erste Abtheilung unsers BuchesVillafranca. Berlin. I. Theil kennt, wird sich vielleicht des Kapitels im ersten Bande erinnern, das die Überschrift führt: »Der Gefangene von Ham« und an den Traum dieses Gefangenen.

Für andere Leser, denen unser Werk nicht genug Theilnahme eingeflößt hat, um es bis zu seinem Ursprung zu verfolgen, bemerken wir, daß am 25. März 1831, also siebenundzwanzig Jahre früher, der ältere Bruder des Kaisers an dem Thor von Rimini bei einem der zahlreichen Aufstände der italienischen Nationalpartei unter dem Säbel des ungarischen Husaren Andreas Palazsdy fiel! Die furchtbare Mahnung aus einer andern Welt – von jenem Schatten, dessen blutiger Name mit dem Tode des Herzogs von Gandia in der Geschichte befleckt ist, mußte auch auf einen ehernen Geist ihre Wirkung üben!

Dennoch bestand diese nur darin, daß der Kaiser sich erhob und an den Tisch trat.

»Fahren Sie fort, Herr Hume,« sagte er ruhig. »Geben Sie mir die Tafel!«

Der Magnetiseur überreichte ihm die Tafel und den Stift, der Kaiser schrieb drei Zeilen auf den Schiefer und reichte sie dem Amerikaner, der sie las und dann sogleich die Schrift auswischte.

»Wollen Euer Majestät die Antwort selbst entgegen nehmen?«

Der Kaiser nickte.

Der Beschwörer legte nach diesem Zeichen den Mittelfinger seiner linken Hand auf die der Somnambulen, sie zugleich mit seinem Blick scharf fixirend.

Der Körper des Mädchens erbebte unter neuen Convulsionen – zugleich fing die Nadel des Psychographen sich mit großer Geschwindigkeit an zu drehen.

Der Kaiser folgte ihr hastig mit dem Auge, während er zugleich so schnell als möglich einzelne Buchstaben auf die Tafel schrieb.

Die Bewegungen der Nadel dauerten etwa eine Minute, dann stand sie still. Der Kaiser hob die Tafel näher zum Auge und bemühte sich, die flüchtig geschriebenen Zeichen zu entziffern. Ein triumphirendes Lächeln zeigte sich einen Augenblick um den sonst so verschlossenen Mund.

»Fragen Sie den Herzog von Valentinois,Cäsar Borgia wurde von Ludwig XII. von Frankreich mit dem Herzogthum Valentinois in der Dauphiné belehnt. ob auch in Rom?« sagte er hastig, ohne sich erst des Stifts zu bedienen.

Die Nadel bewegte sich nicht – auch der Tisch rührte sich nicht!

»Fragen Sie doch! fragen Sie doch!«

»Sire, ich habe bereits zwei Mal gefragt, und Sie haben die Antwort erhalten. Der Geist ist nicht mehr gegenwärtig. Sehen Sie das Medium an.«

In der That lag die Somnambule wieder ruhig im Sessel.

»Glauben Sie, Monsieur Hume,« frug der Kaiser nach einer Pause, »daß wir den Ruf noch einmal wiederholen könnten?«

»Nein, Sire – die Schatten sind sehr schwer zu bewegen, unserer irdischen Neugier überhaupt Rede zu stehen und ich fürchte überdies, daß die Somnambule eine Wiederholung nicht ertragen würde. Ich habe mein Wort gegeben, sie keiner Gefahr auszusetzen.«

»Aber das vorige Experiment, das Hellsehen an Lebenden, können wir wiederholen?«

»Ja, Sire. Es ist sogar wünschenswerth.«

Der Kaiser wandte sich an den Grafen Morny.

»Was sagst Du zu dem Allen, was Du hier gesehen hast?«

Der Präsident des gesetzgebenden Körpers lächelte etwas spöttisch. Wenn die Komödie Ihnen Vergnügen macht, Sire, so habe ich Nichts dagegen!«

»Du bist und bleibst ein Ungläubiger, selbst den eklatantesten Beweisen gegenüber. Du weißt nicht, was ich erfahren habe!«

»Sire – es ist spät – ich muß mich noch mit den Ministern verständigen. Wollen Sie die Gnade haben, die Ordre zu unterzeichnen und mich zu entlassen?«

»Welche Ordre?«

»Sie wissen – auf Ihrem Tisch!«

»Sei so gut, in mein Kabinet zu gehen und mir den Brief zu holen, der zur rechten Hand liegt.«

»Und die Ordre?«

»Du magst sie mitbringen!«

Der Graf verließ den Salon. Einige Augenblicke nachher, während deren die Kaiserin sich mit dem Herzog von Hamilton unterhielt, kehrte er zurück. Er hatte in der einen Hand zwei Papiere, in der andern eine Feder.

»Hier, Sire!«

Der Kaiser nahm den Brief, den sein Bruder ihm reichte. Als er ihn aufschlug, um ihn anzusehen, machte er eine leichte Bewegung der Ueberraschung.

»Dieser Brief lag zur Rechten?«

»Ja – ist es nicht der richtige?«

»Zufall oder Verhängniß!« murmelte der Kaiser. »Was es auch sei – ich will es benutzen! – Es ist richtig, Graf,« sagte er laut. »Nehmen Sie diesen Brief, Herr Hume, und verbinden Sie ihn mit dem Medium. Aber ich wünsche, die Somnambule selbst zu befragen – bringen Sie mich mit ihr in Rapport!«

»Durch mich Sire, oder direkt?''

»Direkt!«

»Dann Sire, wird es nöthig, daß uns der Schleier nicht stört, da Ihre Einwirkung natürlich geringer ist. Ich kann es verantworten, Euer Majestät das Gesicht dieser Dame zu entschleiern, aber ich habe mein Wort gegeben, daß Sie Niemand weiter sehen soll!«

»Dies wird nicht geschehen. Lieber Herzog, unterhalten Sie einige Augenblicke in jener Fensternische die Kaiserin – ich wünsche, das jetzige Experiment ohne Zeugen zu machen.«

Die Kaiserin hatte sich erhoben – sie hätte den Salon verlassen, wenn nicht die Worte des Grafen über eine Ordre und sein Drängen zur Unterschrift ihren Argwohn erregt hatten.

Sie nahm den Arm des Pairs und trat mit ihm in das entfernteste Fenster, indem sie dem Grafen winkte, sich ihnen anzuschließen. Sie wollte wissen, was das Blatt enthielt.

Der Kaiser, Master Hume und die Somnambule befanden sich jetzt verhältnißmäßig allein.

»Legen Sie diesen Brief unter ihre Hand!«

Der Amerikaner gehorchte. Indem er es that, schob er zugleich die Karte, welche er vor zwei Stunden im Palais der englischen Gesandtschaft erhalten, und auf die der Eigenthümer einige Worte geschrieben hatte, unter das Papier. »Jetzt Monsieur Hume, haben Sie die Güte, mich in direkte Verbindung mit dem Subjekt zu bringen und dann zurück zu treten.«

Der Magnetiseur hob den Schleier des Hutes auf – das blasse feine Gesicht Rosamundens von Röbel zeigte sich. Die Augen waren mit einem dunklen, fast violetten Rand umgeben und geschlossen.

Der Kaiser betrachtete die Somnambule einige Augenblicke, offenbar nicht ohne Theilnahme. Dann reichte er dem Magnetiseur die Hand.

»Fangen Sie an!«

Der Amerikaner bildete zwischen ihm und dem Medium eine Kette, die er nach und nach verkürzte. Zuletzt legte er die Hand des Kaisers auf die Stirn der Schläferin.

»Jetzt, Sire – verlieren Sie keine Zeit!«

Er trat zurück bis in die Mitte des Salons, so daß er von den leise gestellten Fragen und gegebenen Antworten Nichts hören konnte, während er seine Blicke auf Beide fixirt hielt.

»Suchen Sie die Person, die das Papier geschrieben hat, Mademoiselle,« sagte der Kaiser.

»Welches von beiden?«

»Was soll das heißen? Haben Sie denn zwei Papiere? Ich meine den Brief, den Sie unter Ihrer Hand halten.«

»Ja – ja – das ist die eine – ich habe sie – es ist weit dahin – jetzt – o es ist sehr kalt!«

Die Schlafende schauderte, als fröstelte es sie.

»Das will ich glauben – Kapitain Roß ist dort erfroren; aber ich bin nicht bange, daß mein lieber Herr Vetter sich allzusehr den Eisbären aufdrängen wird! Ich möchte schwören, daß er so wenig die Kälte liebt, als das Feuer – wenigstens hat er das Letztere zur Genüge an der Alma bewiesen. Fahren Sie fort – was sehen Sie?«

»Ein Schiff – es ist Eis ringsum – und Wasser – ein heller Himmel mit glänzenden Strahlen, die wie Raketen am Horizont aufschießen!«

»Ein Nordlicht ohne Zweifel!«

»Ich weiß es nicht, aber es ist, als ob der Himmel sich geöffnet hätte! –«

»Aber die Person – die Person!«

»Welche?«

»Zum Henker, die am Nordpol!«

»Sie sitzt am Tisch – in dem Salon des Schiffs. Ein Mann ist bei ihr. Er schreibt eifrig – sie diktirt ihm – –«

»Können Sie die Worte hören?«

»Ja – zum Theil.« –

»Wiederholen Sie dieselben!«

»»Wir sind auf der Rückfahrt – in drei Tagen hoffe ich in Bergen zu sein!«'«

»Wie, auf der Rückfahrt?«

»»Dort finde ich Ihre Briefe und schicke den meinen ab. Der Kapitain machte Umstände – aber ich wurde krank. Ich hoffe, Sie haben für den Fall, daß die erwartete und nothwendige Veränderung in Paris bereits erfolgt ist, meine Interessen wahrnehmen lassen. Italien kann sich ganz auf mich und meine Freunde verlassen – ich werde mein Wort halten. Ich trete zuerst wieder für Corsika auf. – Auch im andern Fall werde ich sofort nach meiner Rückkehr, wie wir ausgemacht haben, den Antrag auf die Zurückziehung der Truppen aus Rom stellen!«

– »Sieh, sieh – das wollte mein Herr Vetter? –«

»Sie stören mich – ich kann nicht mehr hören – der Brief ist geschlossen – die Person siegelt ihn – sie schreibt selbst die Adresse und legt ihn in ein Portefeuille.«

»Können Sie die Adresse lesen?«

»Die Adresse?«

»Ja!«

»Aber es ist ja dieselbe, wie auf der Karte! Er ist da!«

»Wer?«

»Der die Karte geschrieben hat!«

»Welche Karte?«

»Die ich in der Hand halte –«

»Eine Karte? Was steht auf derselben?«

»Warten Sie – ich strenge mich an – jetzt! Sire – »Ich bin hier und bitte um eine geheime Audienz!«

»Aber der Namen – die Adresse?«

»Ca – mill – Camillo – Comte de – Comte de Ea ...«

»Cavour?«

»Ja – Cavour!«

»Und der Schreiber der Karte ist hier?«

»Dicht neben mir – ich sehe ihn – in dem zweiten Zimmer von hier – ein kluges Gesicht –«

Der Kaiser konnte sich nicht länger halten, er faßte nach der Hand der Hellseherin, die noch immer starr auf dem Tische lag und die Papiere bedeckte, die er ihr entriß.

Ein leichter Schmerzensruf entfloh den Lippen der Somnambulen, gleich, als sei gewaltsam ein Nerv verletzt oder von einem electrischen Schlag getroffen, und sie fuhr mit der Hand, die bisher so todt und unbeweglich gewesen, nach dem Herzen. Zugleich eilte der Amerikaner herbei.

»Um Gotteswillen, Sire – Sie können die junge Dame bei dieser Nervenüberreizung tödten mit der plötzlichen Erweckung!«

»Was liegt daran! – Wie kommt diese Karte in die Hand der Somnambulen, Monsieur Hume?«

Er hatte die Karte gelesen. Auf der Vorderseite stand der Name

Camillo Comte de Cavour.

Auf der Rückseite mit Bleistift geschrieben, was die Hellseherin eben gesagt hatte.

Das Auge des Kaisers war so finster, so durchbohrend auf den Amerikaner gerichtet, daß dieser trotz seiner gewöhnlichen Ruhe in Verlegenheit gerieth.

»Sire,« sagte er – »ich wollte damit einen Versuch machen, wie weit die geheimnißvolle Kraft der Somnambulen geht.«

»Aber wie kommen Sie zu dieser Karte?«

»Ein Fremder, der gehört, daß wir uns zu Euer Majestät begaben, hat mich am Eingang des innern Hofes dringend gebeten, ihm Zulaß in das Schloß zu verschaffen und diese Karte in die Hände Eurer Majestät zu bringen.«

»Sie haben sie gelesen?« Nein, Sire – Niemand als Euer Majestät hat einen Blick darauf geworfen.«

»Ihr Ehrenwort?«

»Mein Ehrenwort darauf!«

Der Amerikaner sprach die Wahrheit – er hatte die Karte nicht angesehen.

»Aber wo ist Derjenige, der Ihnen die Karte gegeben hat?«

»Im zweiten Vorzimmer Sire, bei Monsieur Thélin.«

Der Kaiser sann einige Augenblicke nach. Dann schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben.

»Gut denn! ich will den Mann sprechen. Haben Sie die Güte, wenn Sie diese Dame fortführen, Thélin zu sagen, daß er ihn über den zweiten Korridor in mein kleines Arbeitskabinet führen soll.«

Die Unterredung war bisher mit unterdrückter Stimme gehalten worden. Der Geisterbanner hatte dabei nur halb auf den hohen Sprecher gehört – seine Aufmerksamkeit galt dem Mädchen, das mit dem Erwachen aus dem Zustande der Betäubung kämpfte. Der Mohrendoktor, der bei dem Aufschrei seines Schützlings hinter der Gardine hervorgetreten war, eilte auf seinen Wink voll Besorgniß herbei. Beide waren um die Erwachende beschäftigt, deren bisher so blasse Wangen eine fieberhafte Röthe zu bedecken begann.

»Die Sitzung ist zu Ende,« sagte der Kaiser laut. »Meine Herren, das Experiment war ausgezeichnet, so merkwürdig, wie ich es noch nie gesehen habe. Sie werden die Güte haben, Monsieur Hume, der fremden Dame einstweilen bei ihrem Erwachen unsern Dank abzustatten.«

Die Kaiserin, Graf Morny und der Herzog waren näher getreten.

»Apropos Jules – hast Du die Ordre zur Unterschrift hier?«

»Hier, Sire!«

Der Graf reichte ihm Papier und Feder.

»Wann?«

»Sonnabend Morgen, Sire! Bis dahin werden alle Vorbereitungen getroffen sein!«

»Und Du stehst mir für Alles?«

»Wenn Sie die Maßregeln mir überlassen, mit meinem Kopf! ich kenne meine Pariser!«

»Gieb her! Aber nicht früher!«

Der Kaiser legte das Papier auf den nächsten Tisch und ergriff die Feder.

Die Kaiserin faßte nochmals seinen Arm.

»Louis, bedenken Sie, was Sie thun! Es handelt sich um Ihr Leben, um die Zukunft Ihres Sohnes!«

»Eben darum, Madame! Sie oder ich! – ich will meinem Sohn Frankreich hinterlassen, nicht meinem Vetter!«

Die letzten Worte waren so leise gesprochen, daß nur die Kaiserin sie hören konnte. Sie ließ sogleich die Hand von seinem Arm. Der Kaiser unterzeichnete mit einem raschen, kräftigen Federzug.

»Nimm! – Gute Nacht, meine Herren!«

Er reichte der Kaiserin den Arm und führte sie nach dem Schlafzimmer, aus dessen Kabinet eine Treppe zu den von ihr bewohnten Gemächern niederläuft.

Graf Morny und der Herzog entfernten sich durch den großen Eingang, während der Amerikaner Thélin herbeirief. –

Fünf Minuten später trat der Kaiser in sein kleines Arbeitskabinet, das Zimmer, zu dem außer Thélin selbst die Vertrautesten nur selten Zugang haben.

Ein Mann erhob sich von einem der Sessel mit tiefer Verbeugung.

Der Kaiser ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Das ist ein höchst unerwarteter Besuch, lieber Graf – und so geheimnißvoll! Was hat das zu bedeuten?«

»Sire,« sagte der Premierminister von Sardinien, – »ich komme, um Frankreich zwei neue Provinzen zu bringen!«

»Zwei Provinzen? – Das wäre! und welche?«

»Nizza und Savoyen!« –

Der Magnetiseur hatte dem Arzt ein Flacon gegeben, während er Thélin den Befehl des Kaisers überbrachte, um das scharfe Salz auf die Nerven der Somnambulen wirken zu lassen, die jetzt nach und nach wieder zum Bewußtsein kam. Dem apathischen Schlaf schien eine große nervöse Aufregung zu folgen, wahrscheinlich durch die unvorsichtige hastige Erweckung hervorgerufen, wie der Nachtwandler, der bisher sicher über die Dächer gestiegen ist, durch den erweckenden Zuruf in die Tiefe gestürzt wird. Der Puls des Fräuleins von Röbel ging fieberhaft – die schläfrige Starrheit des Blickes machte einem wilden, unruhigen Ausdruck Platz, der ganz mit dem sanften geduldigen Wesen, das ihr eigen, disharmonirte.

Doktor Achmet schüttelte bedenklich den Kopf. »Ich möchte fast, mein eigener Wunsch hätte mich nicht verleitet, Ihren Bitten nachzugeben, Monsieur Hume,« sagte er unruhig. »Der Zustand, in den die junge Dame versetzt worden, gefällt mir nicht. Ihr ganzes Nervensystem ist aufgeregt.«

»Aber wir haben für die Wissenschaft einen Erfolg gehabt, wie noch nie! Denken Sie, diese magnetische Kraft, dieses Zwingen des Ueberirdischen ...«

»Zum Henker mit Ihrem Ueberirdischen – ich wünschte, ich hätte Mademoiselle in dem Hôtel und ihrem Zimmer!«

»Eine kleine Dosis Opium zur Beruhigung der Nerven und ein tüchtiger Schlaf wird sie vollkommen wieder herstellen. Soll ich Sie begleiten?«

Das Edelfräulein schien sich so weit wieder körperlich erholt zu haben, daß es nicht nöthig war. Sie war aufgestanden und sah mit etwas wirren Blicken umher.

»Was ist mit mir geschehen, Doktor? wo bin ich? das ist nicht mein Zimmer ...«

»Erinnern Sie sich, liebe Rosamunde, daß Sie in den Tuilerieen sind – daß mit Ihrer Bewilligung von diesem Herrn ein Experiment mit Ihrer großen zufällig entdeckten somnambülen Kraft gemacht worden ist, um mir und Ihrem Bruder die Marquise Carmen entdecken zu helfen!«

»Ja, ja – ich erinnere mich – es mag so sein – aber führen Sie mich fort von hier in, die frische Luft – ich weiß nicht, wie mir ist – mein Kopf brennt, mein Blut ist in den Adern wie Feuer –«

»Es wird das Beste sein, Mademoiselle in die frische Luft zu führen,« rieth der Magnetiseur. »Ich werde mich morgen früh nach ihrem Befinden erkundigen.«

Der Arzt, sich selbst Vorwürfe machend, hatte die junge Dame in das Vorzimmer geführt, wo er sie in das weite Shawltuch hüllte. Dann nahm er ihren Arm und führte sie die Treppen hinunter aus dem Schloß.

Sie schritt, als sie über den innern Hof gingen, rasch und elastisch neben ihm her und der Arzt schlug ihr daher vor, zur Beruhigung ihrer Nerven nicht direkt den Ausgang nach der Straße Rivoli und dem Hôtel zu passiren, sondern nach der andern Seite zu gehen und an dem Quai der Seine entlang den Umweg um das Louvre zu nehmen.

»Ja, ja – Luft – Bewegung – ich will unter Menschen sein – mir ist als müßte ich laufen, tanzen ...«

Der Arzt sah sie mit Besorgniß an und faßte ihren Arm fester. Sie hatte den Schleier zurückgeschlagen, um die frische Nachtluft besser zu genießen, und er bemerkte mit Schrecken in dem hellen Licht der Gaslaternen, daß ihr Gesicht fieberhaft geröthet war und ihre Augen seltsam glänzten.

»Um Gotteswillen, Mademoiselle, beruhigen Sie sich, wir werden gleich zu Hause sein, und dann werde ich für die Linderung dieses Zustandes sorgen!«

Statt der Antwort begann das unglückliche Mädchen eine rasche Tanzmelodie zu trällern und ihn immer ungestümer fortzuziehen.

Doktor Achmet machte sich jetzt die lebhaftesten Vorwürfe, daß er das Experiment des Magnetiseurs gestattet hatte. Er begriff, daß die geheimnißvolle unnatürliche Anstrengung des Nervensystems statt wie in den meisten Fällen eine Erschlaffung und Apathie, hier eine Ueberreizung der Sinne hervorgebracht hatte, die namentlich bei weiblichen Wesen oft von den seltsamsten Extravaganzen begleitet ist, die dem sonstigen Wesen und Charakter der Individuen gänzlich widerstreben.

Sie waren auf dem Quai des Louvre eben bis zur Pont des Arts gekommen und der Mohrendoktor sah sich nach einem Fiacre um, die kurze Strecke bis zum Hotel lieber in diesem zurückzulegen, als über die Brücke ein Strom von Menschen daher kam.

Sie kamen aus dem Straßengewirr des Luxemburg und des Quartier Latin, um nach den Boulevards und der Straße La Roquette zu drängen. Die Nachricht von zwei merkwürdigen Schauspielen hatte sich rasch verbreitet; aus der Straße Lafitte sollte der große Leichenzug des Prinzen von Audh unter Fackelzug nach dem Pere Lachaise sich bewegen – vor dem Gefängniß La Roquette sollte das Schaffot gebaut werden.

Das waren zwei öffentliche Belustigungen in der Fastenzeit, die man sich nicht entgehen lassen durfte!

Wahrscheinlich wirkte noch eine dritte Ursache mit, welche Volksmassen nach jener Gegend drängte: – die Absicht eines neuen Versuchs zur Emeute, um die Gefangenen zu retten.

Studenten, Arbeiter, Bürger, Grisetten, Flaneurs und Taschendiebe, jene unheimlichen Gestalten, welche die Cité, das Quartier Latin, Vaugirard und das Arrondissement de l'Observatoire auch auf dieser Seite der Seine bei jedem Zusammenströmen des Volks ausspeien, – Alles war auf den Beinen. Wer Paris kennt, weiß, wie rasch sich die Menschenmasse durch den geringsten Anlaß vermehrt, und ein lustiger Schwarm, der aus einem Wirthshaus kommt, oder der Zank zweier Höckerinnen genügt, um Hunderte und Tausende neugierig zu versammeln.

Der Strom der Menge drängte an dem Quais nach dem Stadthaus entlang, um von dort durch St. Antoine und nach dem Bastilleplatz zu ziehen, wo man den Leichenzug vorüber kommen sehen oder ihn bis La Roquette begleiten konnte.

Mit Schrecken bemerkte der Arzt, daß seine Begleiterin an diesem Menschenstrom und diesem Lärmen ein besonderes Vergnügen zu empfinden schien und ihre Aufregung sich damit steigerte.

»Lassen Sie uns warten Mademoiselle,« bat er, »bis die Menge vorüber ist. Sie wird sich auf dem Platz des Louvre zerstreuen.«

»Nein, nein – kommen Sie – es thut mir wohl – ich bin so aufgeregt – so lustig – ich muß sehen –«

Sie hatten die Ecke des Louvre und des Platzes vor der Kirche St. Germain l'Auxerrois erreicht, von deren Thurm einst die Glocke das schaurige Signal zur Bartholomäusnacht gab, als hinter ihnen drein im raschen Trabe eine Abtheilung der berittenen Garde-Municipale ankam, um sich gleichfalls nach den Boulevards zu begeben und dort die Chaine für den Leichenzug zu bilden.

Die Colonne der Wächter der öffentlichen Sicherheit spaltete rücksichtslos den Strom des Publikums – Alles stürzte zur Seite, lachend, schmähend und scheltend oder Witze reißend mit der lustigen und leidenschaftlichen Beweglichkeit, die dem pariser Volk eigen ist.

»Gute Geschäfte Kameraden! Habt hübsch Acht, daß der Meister Bäcker Monsieur Orsini nicht um einen Kopf länger macht, Louis möchte dann zu kurz kommen!«

»Sie sollen die Diamanten der seligen Familie Audh bewachen! der Ko-ih-noor wird dem Sarge des Prinzen vorausgetragen!«

»Dummkopf – die Engländer haben ihnen längst Alles gestohlen. Er läßt sich blos in Paris begraben, weil's ihm in London zu theuer ist!«

In das Kreischen eines Frauenzimmers, das eine fremde Hand in ihrer Tasche fühlte, mischte sich das Pfeifen und Jauchzen der Straßenjugend, das Gelächter der Studenten, die mit ihren »Frauen« am Arm übermüthig umherdrängten.

Dazwischen ließ ein Schalk oder ein Politiker, sicher für seine Person unter der Menge, den so sehr verpönten und bereits in der Nacht zum 5ten mit scharfen Säbelhieben bezahlten Ruf hören: »Vive Orsini! Vive 1e République!«

Die Polizei-Agenten, die unter jedem Menschenschwarm sich befinden, drängten sofort nach der Stelle, von wo der Ruf erschollen war und faßten eine oder zwei unschuldige Personen; – einer der letzten Garden, diensteifrig, spornte sein Pferd in die Menge.

»Hurrah für den Kaiser und Seine Hoheit den seeligen Prinzen von Audh! – Vorwärts, vorwärts, oder wir kommen zu spät!«

In diesem Augenblick fühlte der Doktor, daß seine Begleiterin sich von ihm losriß.

»Mademoiselle – Rosamunde – wo wollen Sie hin?« Aber der Gardist mit seinem Pferde war bereits zwischen ihnen – auf der andern Seite mitten in dem Gedränge konnte er einen Augenblick noch ihre Gestalt sehen, dann schloß sich die Woge.

»Lassen Sie mich durch – lassen Sie mich durch – Mademoiselle – sie ist unbekannt in Paris! ...«

Ein lustiger Student umarmte ihn, daß er sich nicht rühren konnte. »He alter Bursche, laß sie laufen! sie hat sich wahrscheinlich einen Jungen genommen, und das ist der Lauf der Natur! Wir Mediziner wissen das! Keine Eifersucht heute, morgen kommt das Täubchen sicher ganz unbeschädigt wieder in den Taubenschlag, wenn Du sie gut gewöhnt hast, und spielt Dir noch einen Marsch dazu auf! Ventre saint gris! ich kenne meine Pariserinnen!«

Die ganze Gesellschaft lachte.

»Lassen Sie mich los, Herr – es ist meine Tochter!«

»Ah – bah! – oder eine Nichte! So spricht jeder alte Sünder!«

»Wenn Sie ein Student der Medizin sind, so achten Sie wenigstens den gleichen Stand – ich bin selbst Arzt!«

Der Bruder Studio ließ ihn sogleich los. »Hollah – das ist etwas Anderes! – ich bitte um Entschuldigung, aber Jugend hat nun einmal keine Tugend! Louison und ich stellen uns zur Disposition, um Ihnen suchen zu helfen!«

Aber Doktor Achmet war bereits in der Menge verschwunden.

Diese begann sich auf dem Platz nach allen Seiten zu theilen. Einige folgten den unschuldig Verhafteten, andere eilten den innern Straßen zu, die meisten folgten der früheren Absicht.

Doktor Achmet eilte voll Angst über den Platz, von Gruppe zu Gruppe; – er rief wiederholt den Namen des Edelfräuleins und frug die Begegnenden, ohne auf den Spott zu achten, dem er sich aussetzte – aber trotz des hellen Lichts der Laternen – nirgends war eine Spur der jungen Deutschen zu entdecken.

Endlich kam er zu der Ueberzeugung, daß sie getrennt von ihm sich wahrscheinlich direkt nach dem Hôtel begeben hatte. Die Entfernung war nur gering und Fräulein von Röbel lange genug in Paris, die Umgebung des Louvre überhaupt zu bekannt, um sich hier verirren zu können.

Sobald der Gedanke in ihm aufgetaucht, eilte er in das Hôtel zurück und befrug den Portier.

Der Portier war seit einer Stunde nicht von dem Thor gewichen – aber er hatte Nichts von der Rückkehr der Dame gemerkt.

Bei den Hunderten, die in dem großen Hôtel aus- und eingingen, konnte er sie aber leicht übersehen haben – Doktor Achmet eilte nach den Zimmern der Fürstin.

Die einzige Person, die um den Ausgang, wenn auch nicht dessen näheren Zweck gewußt hatte, war Tunsa, die seit jener Scene am Lager der Verwundeten eine leidenschaftliche Verehrung und Hingebung für die Deutsche gezeigt hatte. Rosamunde beherrschte diese wilde dämonische Natur gerade durch den Zauber ihrer weiblichen Milde und Ruhe und konnte mit ihr ausrichten, was selbst der Fürstin nicht gelang, gegen die sich trotz ihres Schuldbewußtseins oft ihr Trotz erhob, wenn auch gleich nachher wieder die demüthigste Zerknirschung folgte. Der Fürstin selbst hatte man von, der Absicht des Fräuleins und des Arztes Nichts zu sagen gewagt, weil sie sicher sich dagegen erklärt haben würde.

Tunsa eilte sofort in das Zimmer der Deutschen und überzeugte sich, daß diese noch nicht zurückgekehrt war. Auch sie gerieth in die größte Besorgniß, obschon man jeden Augenblick erwartete, die Verlorene jetzt wieder eintreten zu sehen. Doktor Achmet rannte auf's Neue nach dem Platz am Louvre, er drang sogar bis an den Eingang des Pavillon Marsan, um sich bei der Dienerschaft zu befragen, ob die Fremde vielleicht dahin zurückgekehrt sei.

Es schlug 12 Uhr, als er erschöpft von dem Suchen und der Sorge endlich in das Hôtel wieder eintrat. Tunsa und mehre Diener der Fürstin erwarteten ihn am Thor – Rosamunde von Röbel war noch immer nicht zurückgekehrt, die Fürstin, der man ihr Vermissen nicht länger hatte verschweigen können, in größter Besorgniß darüber. –

Die von der ostindischen Compagnie ihres Thrones und Gatten beraubte Königin von Audh war zur Zeit des Attentats im Hôtel Lafitte gestorben und einige Tage darauf mit indischem Pomp beerdigt worden.

Seit dem Begräbniß der Rachel am 11. Januar hatte kein Leichencondukt so die Neugier der Pariser in Anspruch genommen. Um so mehr mußte neben dem Attentats-Prozeß die Nachricht Theilnahme finden, daß der Prinz Aboul-Wasser-Kadir-Mirza-Mohamed-Ali-Bahudan, der auf die Nachricht von dem Tode seiner unglücklichen Schwägerin von London nach Paris geeilt und im goldnen Königsmantel von Audh mit seinem jungen und schönen Neffen Mirza dem Sarge seiner Schwägerin nach dem Père Lachaise gefolgt war, jetzt die Anmaßung der indischen Krone in England selbst mit dem Tode gebüßt hatte und von seinem Neffen nach Paris gebracht worden sei, um an der Seite der entthronten Königin seine einfache Ruhestätte zu finden.

Daß ein solches Schauspiel halb Paris in Allarm setzte, war nicht zu verwundern. Das Begräbniß hatte erst am Nachmittag stattfinden sollen, war aber dann auf die spätere Abendstunde festgesetzt worden.

Die Boulevards von der Straße Lafitte ab waren mit harrenden Menschenmassen bedeckt und die Polizeibeamten hatten Mühe, den Fahrdamm frei zu halten. In dieser Menge wiederholten hin und wieder einzelne Redner die Mittheilungen der Tagesblätter über die unglückliche Königsfamilie von Audh und die vergeblichen Bemühungen der verstorbenen Fürstin, ihres Schwagers und ihres Sohnes – des jungen Prinzen Mirza – in London Gerechtigkeit für den Raub ihrer Krone und die Gefangenhaltung ihres Gatten in Calcutta zu erlangen.

Die Königen war darüber gestorben – und den Mann, der sich muthig als ihren Nachfolger proklamirte, hatte wenige Wochen nachher das gleiche Schicksal erreicht.

Man erzählte sich, daß der Prinz Mirza, von dessen Schönheit namentlich die Frauen viel zu sagen wußten, mit der Leiche seines Oheims nach Paris geflüchtet sei, um den Giften der ostindischen Kompagnie und ihrer Helfershelfer zu entgehen. Andere wollten wissen, daß der berühmte birmanische General d'Orgoni, ein geborner Franzose, den jungen Prinzen den Mördern in London entführt habe.

Die Erinnerung an das Attentat vom 14. Januar frischte sich dadurch von Neuem auf und wiederholt hörte man aus der Menge den Ruf: »Nieder mit den englischen Meuchelmördern!«

Die pariser Polizei hütete sich sehr wohl, gegen diese Stimmung einzuschreiten. Man brauchte sie für den nächsten Tag!

Die Wogen des Volkes gingen bis zum Bastille-Platz, hier aber war der Eingang zur Straße La Roquette von Militair abgesperrt unter dem Verwand, den Weg für den Leichenzug frei zu halten.

Dies war die Ursach zur Verbreitung des Gerüchts, daß die Hinrichtung der verurtheilten Italiener schon am nächsten Morgen erfolgen solle, und das Schaffot bereits gebaut würde.

Uebrigens hatten schon seit drei Tagen oder vielmehr seit drei Nächten Haufen von Liebhabern solcher blutigen Schauspiele in der Nähe des Gefängnisses in den Schänken, ja auf der offenen Straße bivouacquirt, um ja die ersten Zuschauerplätze bei der Tragödie zu haben! – –

Der Bastilleplatz war des Zusammenströmens auf den Boulevards wegen verhaltnißmäßig leer, und selbst die Jongleurs und Bänkelsänger, die bis spät in die Nacht hinein hier ihre öffentlichen Vorstellungen geben, vermochten nicht, das sonst so bereitwillige Publikum zu fesseln.

An der nördlichen Seite des Gitters, welches die Juli-Säule einschließt, ging ein Mann auf und nieder, in einen langen Mantel gehüllt, von großer stattlicher Figur. Auf der andern Seite des Gitters schien er einen Gefährten zu haben, denn auch hier wanderte ein Mann im Paletot, den Hut tief in die Augen gedrückt, rastlos auf und nieder. Sein Schritt war elastisch und kräftig, wie er der Jugend angehört.

Mehrmals kreuzten sich die Wege der Beiden und dann suchte der forschende Blick des Aelteren das Gesicht des Anderen zu erspähen, das dieser jedes Mal abwandte.

Beide schienen entweder einander zu beobachten, oder eine andere Person zu erwarten.

Endlich bei einer Wendung, die sie wieder einander gegenüber brachte, gelang es dem Mann im Mantel das Gesicht des zweiten Spaziergängers fest in's Auge zu fassen.

Er blieb sogleich stehen.

»Wenn ich mich nicht sehr irre, Sir,« sagte er freundlich, »so kennen wir uns? – Sie sind der junge Preuße, der am Abend des Attentats im Foyer der Oper verhaftet wurde und der am Tage vorher sich so wacker im Circus benommen hatte?«

Otto von Röbel, denn dieser war es wirklich, den seine Ungeduld heimlich nach Paris zurückgetrieben hatte und der mit dem straßburger Abendzug in Paris eingetroffen war, sah unwillig und erstaunt auf den Frager.

»Mein Herr, wenn Sie ein Polizei-Spion sind, so verrichten Sie Ihr Handwerk. Ich werde meinen Namen nicht verleugnen!«

»Ein Polizist? – Goddam – das ist originell! es geht mir wie den Spitzbuben, ich bin ein geborner Antipode jeder Polizei! Wenn ich mich Ihnen denn vorstellen muß, in dem heraldischen Taschenbuch der Herrn Waterford und Comp. figurire ich als Seine Herrlichkeit der Viscount von Heresford!«

»Mylord – ich bitte tausend Mal um Entschuldigung – in dem Mantel und dem breitkrämpigen Hut erkannte ich Sie nicht gleich.«

»Das ist wahr – ich dachte im Augenblick nicht an die Maskerade. Es geht mir wie Ihnen, ich habe keine Lust heute Abend, mich mit einem Policeman zu boxen; denn wenn mir recht ist, glaube ich doch gehört zu haben, daß man Sie ausgewiesen hat?«

»Ja, Mylord! aber ich danke dem Zufall, der mir Gelegenheit giebt, Ihnen für die freundliche Weise Dank zu sagen, mit welcher Sie in einer, meine Person betreffenden Sache meinem armen Freunde beigestanden haben.«

»Ah – Sie meinen das Duell? – zum Henker, ich habe in meinem Leben deren so viele gesehen, daß die einzelnen nicht der Erinnerung werth sind, als um zu beweisen, daß in dieser albernen Welt der Schuft gewöhnlich den Sieg über den ehrlichen Mann davon trägt, wenn eine kräftige Hand nicht hin und wieder einen Riegel vorschiebt. Aber Ihr Freund, der sich beiläufig wie ein braver Kerl benommen hat, ist außer Gefahr und in voller Besserung!«

»So hörte ich mit Freude, und um mich davon zu überzeugen und zugleich eine mir nahe stehende Person zurückzuholen, bin ich heimlich nach Paris gekommen.«

»Nehmen Sie sich in Acht – im Hôtel du Louvre fehlt es nicht an geheimen Polizei-Agenten, die Alles ausspioniren, und es ist gerade nicht angenehm, wenn auch ganz interessant, unter Polizei-Eskorte über die Gränze gebracht zu werden, wie mir zwei Mal passirt ist, das eine Mal in Rußland unter dem seeligen Kaiser Nicolaus, das andere Mal unter Herrn Thiers, weil ich ihn im Cercle des Herrn Odilon-Barrot einen alten Spitzbuben in's Gesicht genannt hatte!«

Der junge Preuße mußte unwillkürlich über die naive Mittheilung des Excentric lachen. »Um dem zu entgehen, Mylord! beabsichtige ich auch nicht, ohne Weiteres das Hôtel zu besuchen, da Herr Espinasse sehr mißtrauisch gegen die Fremden sein soll. Ich habe deshalb durch einen Commissionair gleich nach meiner Ankunft mittels einiger Zeilen einem Freunde die Bitte übersandt, mich hier zu treffen.«

Der Lord horchte auf das Geräusch, das wie eine Woge aus dem Innern der Stadt herüber schwoll.

»Es geht mir, wie Ihnen, auch ich habe mir an der Juli-Säule ein Rendezvous mit einer Person gegeben. Aber wenn uns unsere beiden Leute noch lange warten lassen, möchten sie uns schwerlich finden; denn das Gewühl dieses neuen Spektakelstückes des Herrn Bonaparte kommt immer näher.«

»Sie meinen den Leichenzug des Königs von Audh? ich wußte Nichts davon, sonst hätte ich einen andern Platz gewählt. Ich warte seit einer Stunde, aber Doktor Achmet kann wahrscheinlich nicht durchdringen.«

»Man dringt immer durch, wenn man ein paar gute Fäuste besitzt und einen Rock zu verlieren hat. Was diese Begräbniß-Komödie betrifft, die man mit irgend einem indischen Bettelprinzen aufführt, wie sie am Ganges schockweise herum laufen, so würde sie wahrhaftig nicht in Szene gesetzt worden sein, wenn es Herrn Louis nicht gerade paßte, einmal wieder auf die Engländer schimpfen zu lassen. – Aber – voila – da kommt der Mann, den ich erwartete. Auf Wiedersehen denn Sir und gute Verrichtung!«

Der Britte nickte mit dem Kopf dem jungen Edelmann einen Gruß und ging einem Mann entgegen, der in einen langen schwarzen Rock gekleidet wie ein Geistlicher oder wenigstens wie ein Angehöriger der Kirche, ein Packet in ein weißes Tuch gehüllt tragend von der Seite des Boulevard Bourdon langsam herankam.

Ein flüchtiger Blick, den der junge Preuße, indem er sich sogleich diskret entfernte, auf den Ankommenden warf, zeigte ihm, daß dies ein alter Mann mit langem weißen, auf seine Schultern herabfallenden Haar war, der eine große Brille trug. Seine Gestalt war von der Last der Jahre und Krankheit gekrümmt.

Der junge Deutsche setzte sein Auf- und Niederwandern auf der andern Seite des Denkmals fort.

Lord Heresford war dem alten hüstelnden Mann näher getreten. »Zum Henker, husten Sie sich nicht die Lunge aus, würdigster Signor – ich denke, Sie werden sie noch länger brauchen. Aber in der That, wenn ich Ihre Verkleidung nicht vorher gekannt hätte, ich würde Sie sicher nicht erkannt haben!«

Der Alte richtete sich mühsam an dem langen Stock empor, den er trug. Dann warf er einen raschen Blick um sich her und schien ein ganz anderer Mann geworden. »Wir haben zehn Minuten Zeit, ehe der Leichenzug kommt, Mylord, das wird genügen. Ich mußte Sie warten lassen, weil ich erst das Resultat dieser Unterredung des Grafen mit dem Tyrannen hören wollte.«

»Sie haben also den Grafen Cavour gesprochen?«

»Er hatte noch nicht zwanzig Schritte aus dem Thor der Tuilerien gethan, als ich an seiner Seite war, schwerlich sehr zu seinem Behagen.«

»Nun – und?«

»Der Graf erklärt sich ganz bestimmt gegen jeden neuen Aufstands-Versuch. Sie müssen einig geworden sein, aber der Teufel weiß, um welchen Preis. Cavour behauptet, daß der Bonaparte ein Jahr Zeit zu den diplomatischen und militairischen Vorbereitungen verlangt hätte.«

»Und was hat er in diesem Fall versprochen?«

»Drei Corps seiner besten Truppen am Mincio, seine eigene Anwesenheit und seine besten Generale!«

»Aber Rom?«

Der Verkleidete lachte bitter auf. »In Rom bleibt es vorläufig beim Alten, bis wir vielleicht ein Mal Garibaldi vom Süden her die Fremden hinauswerfen lassen. Die auf den Thronen verstehen sich immer, auch wenn sie sich wie zwei Wölfe beißen! – Der Graf erklärte mir ganz bestimmt, daß die Verhandlungen mit dem Prinzen abgebrochen werden müßten und daß sich die italienische Partei verpflichten müsse, Nichts gegen die Person des Tyrannen und gegen seine Regierung in Frankreich zu unternehmen. Nach den Vorgängen in Genua hätte ich diese Erklärung voraussehen können!« »Sie meinen die Verhaftung Hodge's?«

»Gewiß! Dowell-Hodge ist sehr unvorsichtig gewesen. Seine Papiere kompromittiren, ganz abgesehen von meiner Person, eine Menge unserer Freunde, und die Constitutionellen haben damit die Macht in den Händen, unsere Partei vor der Deputirtenkammer anzuklagen und die schädlichsten Maßregeln durchzubringen! Es bleibt uns im Augenblick Nichts übrig, als uns ruhig zu verhalten. Italien ist unser erstes Ziel, und ehrlich gestanden – wenn er in dieser Beziehung auch nur einen Theil seiner Zusagen hält, ist er uns mehr werth, als dieser politische Duckmäuser, der seine Kastanien mit unsern Händen aus dem Feuer holen will!«

»Meinetwegen – ich kümmere mich herzlich wenig, um Ihre politischen Pläne und welche Partei die Schläge bekommt, wenn es nur deren tüchtige giebt, bei denen man sich die Langeweile vertreiben kann. Ich werde einstweilen bis dahin nach Indien gehen! – Aber wie steht es mit der Hauptsache?«

»Was?«

»Nun Goddam, mit diesem Signor Orsini, dem erbärmlichen Meuchelmörder, für den ich noch keinen Finger rühren würde, wenn es mich nicht kitzelte, dem Herrn Bonaparte einen Streich zu spielen.«

»Der Graf zuckte die Achseln und erklärte, man müsse sie ihrem Schicksal überlassen. Ihre Aufopferung sei nothwendig für Italien.«

»Wissen Sie, ob das Urtheil bereits bestätigt ist?«

»Diesen Abend – Morny ist nicht eher gewichen und die Drohbriefe an Madame Eugenie haben demnach Nichts genützt. Es soll wieder eine jener mystischen Komödien des Amerikaner Hume im Pavillon stattgefunden haben – dieser Aberglauben ist wahrhaftig die einzige Schwäche, die man an ihm finden kann!«

»Dann ist keine Zeit zu verlieren, Espinasse ist ein alter Haudegen voll grimmiger Entschlossenheit und wird Royer zur sofortigen Vollstreckung nöthigen.«

»Deswegen eben sehen Sie mich hier, Mylord, in diesem Kostüm. Doch glaube ich nicht, daß man es wagen wird, die drei Tage abzukürzen. Die Verwerfung des Cassationshofes muß heute Abend den Verurtheilten publizirt worden sein. Dann hat Abbé Hugon das Recht, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht Zutritt zu verlangen und Sie sehen, daß ich diese Gelegenheit sofort benutzt habe. Wie weit sind Sie gekommen?«

»Es steht Alles gut. Die Klausel des Urtheils, daß sie als Vatermörder – dieser Herr Bonaparte ist wirklich ein vortrefflicher Vater seines Volkes! – mit verhülltem Gesicht auf das Schaffot gebracht werden sollen, ist ein glücklicher Umstand.«

»Aber wann soll die Verwechselung stattfinden?«

»Bei der sogenannten Toilette des Henkers. Sie wird an jedem der Verurtheilten in einer besonderen Zelle vorgenommen werden. Von dem Augenblick an, sieht Niemand mehr ihr Gesicht. Nur ein Aufseher, der Scharfrichter und seine Gehilfen sind dabei zugegen!«

»Und der Bursche, der das angenehme Geschäft hat, die Stelle Orsini's zu vertreten?«

»Es ist ein Verbrecher, der längst den Tod erleiden sollte, der aber lange krank im Lazaretth gelegen. Man wird ihn darin sterben lassen. Der Kerl erwartet nichts Anderes, als hingerichtet zu werden und wird den Teufel Etwas von der Verwechselung merken. Uebrigens ist das Sache des Meister Scharfrichters und ich müßte mich sehr irren, oder die Erfindung der eisernen Knebel, die sich zwischen den Zähnen erweitern, und einige feste Hanfschnüre um die Gelenke werden jede Gefahr der Entdeckung beseitigen.«

»In der That Mylord, der Gedanke, Orsini noch an der Treppe des Schaffots der heiligen Justiz zu escamotiren, ist kostbar und konnte nur in Ihrem Kopf entstehen. Aber ich glaube, daß er eben so kostspielig ist!«

»Goddam – zu was Teufel hätte ich denn das Geld, wenn ich es nicht zu meinem Vergnügen verwenden sollte? Der Spaß kostet zehntausend Pfund – das ist aber nicht zu theuer für die Genugthuung, Herrn Louis vor ganz Europa eine Nase zu drehen?«

»Die betheiligten Beamten werden sofort nach England flüchten?«

»Sie denken nicht daran! Wenn Orsini in gehöriger Sicherheit in Amerika wieder auftaucht, können sie meinetwegen die Geschichte mit dreister Stirn für eine Lüge erklären – der Kalk hat längst die Gebeine des unglücklichen Stellvertreters verzehrt und Herr Louis Napoleon wird so klug sein, zu thun, als ob die Geschichte mit seinem Willen passirt sei. Es thut mir nur leid, daß ich ihm nicht auch Pierri entführen kann – aber der Kerl ist in der That zu gemein, als daß es sich lohnte, auch nur eine Guinee an ihn zu verschwenden.«

»Wohl, Mylord, ich bin jetzt genügend informirt und in einer Stunde wird Orsini von Allem in Kenntniß gesetzt sein. Aber wie wird man ihn aus La Roquette bringen?«

»Er wird es mitten durch die Wachen als einer der Gehilfen des Meister Henker verlassen und zwar schon vor der Hinrichtung. Das ist eine Bedingung, die ich für das Geld gestellt habe. Man wird ihn sofort aus Paris bringen bis zur nächsten Station der Nordbahn. Um 3 Uhr ist er in Brüssel.«

»Sie werden ihn selbst begleiten?«

»Ich – nein! ich mag mit seiner Person Nichts zu thun haben! überdies will ich mir die öffentliche Gerechtigkeitspflege des Herrn Bonaparte ansehen – ich habe diesmal wirklich eine kleine Schwäche im Genre des sehr ehrenwerthen Kapitain Peard!«

»Sie haben also bereits eine sichere und unverdächtige Person?«

»Das nicht – ich will meinen Kammerdiener Brown wegen einer solchen Bagatelle nicht gern entbehren, überdies ist er auch zu gut allen Polizei-Agenten von Paris bekannt, weil er sich mit der Hälfte schon geboxt hat. Aber es wird sich bis dahin Jemand finden, der mir den Dienst erweist. – Warten Sie – ich glaube, ich habe die geeignete Person!« »Wen meinen Sie, Mylord?«

»Sehen Sie dort den jungen Mann, der auf der andern Seite des Gitters so beharrlich auf und nieder wandert?«

»Ja – er befand sich in Ihrer Gesellschaft, als ich kam. Wer ist er?«

»Ein – Tedesco, von der Ihnen verhaßten Nation, aber kein Oesterreicher! Er ist ein entschlossener, courageuser Bursche und braucht nur das Notwendigste zu wissen. Ich werde sogleich mit ihm sprechen. Jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen und den würdigen Abbé Hugon nicht warten lassen! Frischen Sie die Courage des Herrn Orsini gehörig auf, damit er bis zum entscheidenden Augenblick den Poltron spielt und Nichts von der Märtyrer-Glorie vor der Polizei einbüßt.«

»Verlassen Sie sich darauf, Mylord – er wird seine Instruktionen erhalten. Wollen Sie mich erwarten – es wird vielleicht nöthig sein, im Fall ich etwas Wichtiges im Gefängniß erfahren sollte?«

»Aber wo?«

»Ich denke, wir treffen uns in der Nähe des Gefängnisses, in Menilmontant. Kennen Sie am Boulevard des Amandiers die Pas Rosier?«

»Nein, aber ich werde sie finden.«

»Etwa in der Mitte der Straße ist eine Wein- und Tanzkneipe, es steht eine grüne Laterne vor der Thür. Die Gesellschaft besteht aus den verschiedensten Elementen und ist ziemlich lustiger Natur für die Nähe des Père Lachaise, aber wir werden dort unbehorcht und sicher sein, ich kenne den Wirth!«

»Well! Ich werde Punkt 1 Uhr dort sein, bis dahin wird das Begräbniß zu Ende sein und werden Sie Herrn Orsini beruhigt haben!«

»Auf Wiedersehen, Mylord! Sie Helfer in der Noth!«

»Auf Wiedersehen, Krone aller Verschwörer! dort kommt der Zug!«

Der falsche Gehilfe des Almoseniers von La Roquette humpelte nach dem Eingang der Straße, der Engländer ging rasch nach der andern Seite des Gitters, um durch die auf dem Boulevard Beaumarchais (St. Antoine) heranwogende Volksmenge nicht von dem Preußen getrennt zu werden, den er zum Helfer bei seinem kecken Streich ausersehen.

»Ihre fernere Wache Sir« sagte er, »ist nutzlos, der Platz wird gleich so dicht gefüllt mit Menschen sein, daß an das Auffinden eines Einzelnen nicht zu denken ist. Verschieben Sie Ihr Geschäft bis morgen und kommen Sie mit mir, um uns ein Begräbniß mit den Ceremonien vom Ganges anzusehen. Wenn wir noch fünf Minuten warten, werden wir mit der Menge auf diesem Platz eingesperrt bleiben! – Ueberdies habe ich Sie um einen Dienst zu bitten!«

Otto von Röbel hatte bereits eingesehen, daß sein Brief den älteren Freund nicht getroffen haben mußte, oder daß dieser verhindert worden sei zu erscheinen, und da er ohnehin nicht wußte, wo er die Nacht über bleiben sollte, entschloß er sich leicht, das Anerbieten des Lords anzunehmen.

»Wenn ich Ihnen wirklich einen Dienst leisten kann, Mylord,« sagte er höflich, »so befehlen Sie ganz über mich. Ich bin so tief in Ihrer Schuld für die Theilnahme, die Sie meinem Freunde bewiesen haben, daß Sie in jeder Sache auf mich rechnen können!«

»Ich halte Sie beim Wort, doch davon später. Jetzt Sir, kommen Sie!«

Beide gingen gleichfalls nach der Straße La Roquette, die das Militair und die Polizeiagenten abgesperrt hielten. Ein Fünffrankenthaler in die Hand eines der letztern gedrückt, verschaffte ihnen leicht den Durchgang, und der Lord blieb in der Nähe stehen, um die Ankunft des Zuges zu erwarten und diesem sich anzuschließen.

Er hatte Recht gehabt, – einige Augenblicke nachher war der große Platz von einer Menschenmenge überfluthet, die sich mit Schreien und Lärmen an der unerwarteten Schranke des Militaircordons vor der Straße La Roquette brach und dann nach dem Platz oder den Seitenstraßen zurückströmte.

Das dadurch veranlaßte Gedränge war arg, und die dem Zuge voran reitenden Municipal-Gardisten hatten Mühe, die Bahn für den Leichencondukt frei zu machen.

Der überaus lange und große Leichenwagen war von sechs mit rothen goldbesetzten Decken geschmückten Pferden gezogen. Auch über den Sarg, der unter dem Baldachin stand, war eine rothe goldgestickte Decke gebreitet. Zwölf Trauerkutschen eröffneten das Grabgeleit, hinter der letzten folgte zunächst der junge Thronerbe von Audh, zur Rechten auf den berühmten Abenteurer, den birmanischen General d'Orgoni, einen der grimmigsten Feinde der Engländer gestützt, zur Linken den Commandeur Lynch.

Ein allgemeines »Le pauvre garçon!« der Menge empfing die jugendlich schöne Erscheinung des Prinzen Mirza und in das »Ah qu'il est beau, le pauvre Prince«! der Frauen, mischte sich an vielen Stellen der energische Ruf: »A bas les anglais! mort aux meutriers!«

»Dieser Mann versteht sein Handwerk!« sagte der Lord zu seinem Gefährten. »Ich wette, daß mindestens hundert solcher Schurken von der Polizei bezahlt sind, hier Lügen über die britische Nation zu verbreiten. Ich wollte, ich hätte einen der Halunken im Bereich meiner Faust!«

Die Tagesblätter hatten bereits angekündigt, daß der unglückliche Thronerbe des indischen Königreichs in einem überaus kostbaren Gewände erscheinen würde, und in der That trug der Prinz Mirza einen kaftanartigen Ueberwurf, der mit Goldstickereien so überladen war, daß sich die ursprüngliche Farbe des Tuches gar nicht erkennen ließ. Ebenso war sein mit schwarzen Federn geschmücktes Barett, so daß man wirklich sagen konnte, er sei ganz in Gold gekleidet.

Ihm folgten vierundzwanzig vornehme Indier in ähnlichen nur nicht so reichen Gewändern von den buntesten Farben, darunter der Vezir des gefangenen Königs Mulvi-Mohamed-Kader, braune hagere Gestalten von düsterem Ansehen. Einen desto ungünstigeren Eindruck dagegen machte die darauf folgende ziemlich schmutzige und größtentheils barfuß laufende Dienerschaft mit ihren wilden Gesichtern; der Humor der schaulustigen Pariser hatte bald das Aussehen dieser Bande zum Zielblatt genommen und der Pöbel, der den Zug hinter den Fremden schloß, ließ es an Witzen über die armen Fremden nicht fehlen.

Die Chaine der Soldaten am Eingang der Straße La Roquette öffnete sich vor dem Zuge, ließ aber nur diesen passiren und schob seine Barrikade von Gewehrläufen wieder der nachdringenden Menge entgegen, die sich jetzt in den Nebenstraßen verlief.

Der Viscount und sein Begleiter hatten sich innerhalb der Straße dem Zuge angeschlossen, um die Ceremonien auf dem Kirchhof mit anzusehen. Als sie an dem Platz zwischen dem Mustergefängniß für jugendliche Gefangene zur Linken und dem neuen Strafhaus(nouveau Bicêtre – La Roquette) zur Rechten vorüberkamen, deutete der Lord auf die dunklen einförmigen Mauern des letzteren.

»Sehen Sie sich den steinernen Sarg dort an, Sir,« sagte er höhnisch – »meinen Sie wohl, daß ein Mensch seinen Wänden entlaufen könnte, ohne Flügel zu haben?«

»Es ist ein Gefängniß?«

»Yes – und eines der festesten in Frankreich, und jedenfalls besser bewacht, als Ham war, Herr Louis Napoleon versteht sich darauf!«

»Ich habe mir sagen lassen, daß es so entschlossene und schlaue Verbrecher giebt, daß kein Gefängniß sie halten kann. Ich habe einmal die Lebensbeschreibung eines solchen Mannes aus Ihrem eigenen Lande gelesen, Jack Sheppards!«

»Goddam – es war ein ganzer Bursche! Schade, daß man ihn zuletzt doch gehangen hat. Es ist nur etwas lange her!« »Sie haben in neuerer Zeit die berühmte Flucht Orsini's aus Mantua!«

»Das ist wahr. Aber es möchte Signor Orsini doch schwerer werden, aus diesen Mauern zu entschlüpfen!«

Der Ton des Excentric hatte unverkennbar etwas Spöttisches.

»Wie – der gräßliche Mörder sitzt hier?«

»Es ist La Roquette – er wartet auf die Guillotine. Aber warum schaudern Sie so über den Namen?«

»Mein Gott, hat er nicht an jenem Abend, an dem ich das Unglück hatte, selbst unter dem Verdacht der Mitwissenschaft um eine so abscheuliche That verhaftet zu werden, eine Menge schuldloser Personen schändlich gemordet, wenn er auch seinen nichtswürdigen Zweck nicht erreicht hat?«

»Das ist eben der Unterschied, junger Mann! Merken Sie sich die Lehre für's Leben – der Erfolg macht Alles! Der zweite December desselben Mannes, auf den Orsini seine vortrefflichen Bomben so ungeschickt schleuderte, war eben nichts Anderes, als ein vorbereiteter Mord en gros! – aber weil Herr Louis Napoleon aus drei- bis viertausend erschossener Männer, Weiber und Kinder sich einen Thron aufzubauen verstanden hat, deshalb nennt die Welt das Dezember-Gemetzel nicht einen Mord, für den man in La Roquette die Guillotine erwartet, sondern eine große historische That!«

»Sie reden sehr frei Mylord – es könnte gefährlich werden in dieser Umgebung!«

»Bah! ich kümmere mich um keine Polizei der Welt und habe mich so ziemlich mit der aller Staaten, die deren besitzen, geprügelt. Am Wenigsten um die pariser, der die handfesten Knüppel der londoner Policemen oder die langen Stöcke der Khawassen von Konstantinopel fehlen! Ueberdies denkt halb Frankreich dasselbe, wenn es auch unter Herrn Espinasse nicht die Courage hat, es zu sagen! – Aber á propos, wie steht es mit Ihrem Freund, wegen dessen Bekanntschaft Sie damals verhaftet wurden?«

»Kapitain Laforgne?«

»Ja! ich habe viel Braves von ihm gehört!«

»Er ist glücklich in die Schweiz gelangt und befindet sich jetzt bei seinem Freund und Wohlthäter dem General, Garibaldi auf einer Insel an der Westküste Ober-Italiens.«

»Ah – Caprera! ich habe davon gehört. Well! ich werde den General besuchen auf meinem Wege nach Indien und dem Kapitain Ihre Grüße bestellen!« – –


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