John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 2
John Retcliffe

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In der Rue Lepelletier

Ein rasender Beifallssturm erschütterte den Circus und donnerte hinter den flüchtigen Hufschlägen des Rosses drein, das die andere Seite der Estrade hinab sprengte.

Das wilde Reiterkunststück war geglückt – nur das scharfe Auge wahrer Sportsmen hatte den leichten Schlag der Reitgerte, die gewandte Zügelhilfe gesehen, mit denen die kühne Reiterin das treffliche Pferd unterstützte; – hinüber im gewaltigen eleganten Sprung ohne einen Moment des Zauderns, ohne einen falschen Hufschlag waren Roß und Reiterin geflogen!

»Da gehn Ihre Wetten zum Teufel, Kapitain,« sagte kaltblütig der Viscount zu dem kleinen Liebhaber des Halsbrechens anderer Leute, das Glas von dem Auge entfernend.

»Goddam – fünfzig Pfund! – aber ich hoffe, sie in fünf Minuten wieder zu gewinnen!«

»Cordioux! einen vollen Fuß der Hinterhuf über dem Rand! Ein excellenter Sprung! Es ist nicht zu zweifeln, sie nimmt die Barriere!«

»Brava! brava! bravissima! die kleine Hexe soll einen neuen Schmuck von Verdier haben!« Der Fürst war ganz aufgelöst von Entzücken und vergaß ganz seine Gebrechlichkeit, indem er sich reckte und streckte, bis ein Stich in der Hüfte ihn arg daran mahnte.

In der Loge der Fürstin Trubetzkoi hatte sich die Zigeunerin weit vorgelegt – ihre Augen funkelten Blitze, die Nüstern dehnten sich, die ganze Gestalt bebte förmlich vor wilder Aufregung, als sie sich zu der Herrin zurück wandte, und die kleinen scharfen Zähne glänzten wie die eines Wolfes.

»Teremtete! Die Pußta – die Pußta!«

»Still Feodora – mäßige Dich! – Um Himmelswillen, der Unvorsichtige! Sehen Sie den Herrn dort in der kaiserlichen Loge Herr Meißner! – das weiße Tuch in seiner Hand kann das Pferd im Nu scheu machen und dann ist sie verloren!«

Aber auch von anderer Seite war bereits die Gefahr bemerkt worden.

»Rasch! rasch Leute! die Barriere vor!«

Die beiden Stalldiener, welche die gefährliche Palissadenreihe einschieben mußten, waren im Nu an der Arbeit gewesen, so wie der »Matador« den Sprung gemacht hatte.

Der Mohrendoktor hatte eifrig mit Hand angelegt, um die schwere Barriere in die richtige Stellung zu bringen.. Davon sich erhebend fiel sein Auge auf den Spanier an der Brüstung der kaiserlichen Loge und das Tuch in seiner Hand. Er deutete darauf und machte ein dringendes bittendes Zeichen, denn die Fortdauer der wilden rauschenden Musik verhinderte das Hören seiner Worte.

Aber sein Wink wurde durch eine zweite energische, drohende Geberde des jungen Preußen unterstützt, der, auf der andern Seite der Estrade stehend, seinen Blick aufgefangen und verfolgt hatte.

Der Spanier antwortete mit einem hochmüthigen Lächeln und richtete das Lorgnon auf den Fremden, aber er ließ zugleich seine Hand mit dem Tuch unter die Brüstung sinken. In der kaiserlichen Loge selbst war der nur einen Moment in Anspruch nehmende Vorgang nicht einmal bemerkt worden – die Kaiserin hatte sich in ihren Fauteuil zurückgelehnt und hielt den Fächer vor das Gesicht, – die Gefahr der kühnen Reiterin schien großen Eindruck auf sie gemacht zu haben.

Auch die kleine Frau des kecken Partisan der Revolutionspartei hatte sich erschrocken die Augen verhüllt und abgewendet von dem gefährlichen Schauspiel, aber desto eifriger bewunderte ihr Gatte den Sprung.

»Caramba, Schätzchen – sie reitet wie ein Gaucho, – ich habe Aehnliches kaum in den Pampas gesehen! Aber Mordious! wie ist mir denn – bin ich blind gewesen? Das kann niemand Anderes sein als die kleine ...«

Der Name erstarb ihm auf den Lippen in dem neuen Interesse, das er an der Scene nahm, – aber er sollte gleich darauf einen schrecklichen Ersatz finden!

Alle die verschiedenen Scenen und Worte, die wir so eben beschrieben, hatten sich in die Frist kaum einer Minute gedrängt, – eine Todtenstille im Hause folgte dem donnernden Applaus und Aller Augen hingen wie magnetisch gefesselt wieder an dem Aufgang der Estrade, denn schon klangen auf dem Pflaster des Rundganges die Hufschläge des Matador.

Eine Secunde noch und die kühne Reiterin erschien in dem Eingang.

Das wackere Pferd mit den blähenden Nüstern, den fliegenden Mähnen und dem gehobenen Schweif war prächtig anzusehen – schöner noch die kecke Reiterin mit den von der Aufregung gerötheten Wangen, wie sie die funkelnden Augen auf das gefährliche Ziel gerichtet hielt, fest im Sattel, die Linke leicht im Zügel, die Rechte mit der Gerte gehoben.

»Hui – hop!«

Die Hufe des wackern Thiers donnerten auf den Bohlen, wie es die Terrassen in kurzen Sprüngen nahm.

Einen Moment noch – jetzt!

»Hop Matador – Hop!«

Der Schimmel hob sich zum Sprung –

In demselben Augenblick fiel flatternd das weiße Tuch aus der Hand des Spaniers von der Brüstung der kaiserlichen Loge grade vor ihm nieder.

»Carmen

Der Namen, mit heller schneidender Stimme gerufen, traf in das Ohr der Reiterin, als hätte sie ein scharfer Pfeil getroffen. Sie fuhr zusammen, sie starrte empor und in das boshafte dämonische Auge des Conde dicht über ihr – der entscheidende Augenblick war verloren.

Ein Schrei des Schreckens, des Entsetzens gellte durch das Haus – das Pferd schlug, auf den Hinterfüßen stehend wild mit den Vorderhufen durch die Luft – dann sprang es.

Der kräftige Spornstoß kam zu spät!

Der Matador erreichte dennoch im kräftigen Sprung die andere Seite der Estrade, aber die Hinterhufe streiften die Barriere und erreichten nur mit der äußersten Spitze den Rand der Estrade, an dem sie abglitten.

Einen Moment kämpfte das kraftvolle edle Thier, – aber vergeblich – in dem Angstruf des Publikums verhallte ein leichter Schrei der Unglücklichen – dann glitt das Pferd mit dem Hintertheil hinunter und überschlug sich.

Die Aufregung war entsetzlich – viele Damen fielen in Ohnmacht und Krämpfe, – Fäuste und Stöcke hoben sich drohend gegen die kaiserliche Loge, wo die hohe Frau das Gesicht in die Hände verbergend zurückgesunken war, denn Viele hatten den Fall des Tuchs gesehen, wenn auch nur Wenige den Ruf gehört hatten; die Stallmeister eilten in die Manège, die Musik hörte auf – man hörte nur gellende Schreie der Angst und des Entsetzens, das ganze Publikum hatte sich erhoben und die Männer sprangen über die Bänke und drängten auf den Schauplatz des furchtbaren Ereignisses.

Einer der Ersten war der Kapitain François. In dem Augenblick, als das Pferd sank und sich überschlug, setzte er seinen Fuß auf die Brüstung der Loge, sprang, die Untensitzenden zur Seite stoßend, über drei Bänke hinweg und in die Manège.

Aber zwei Männer waren ihm dennoch zuvor gekommen und ohne sie war jede Hilfe zu spät.

Der Mohrendoktor war der eine – Otto von Röbel der andere!

Die beiden Diener, welche die Palissadenwand hielten, die so furchtbar gefährlich oder vielmehr mit den scharfen Spitzen unbedingt todbringend, und zwar einen schrecklichen Tod, für die Stürzende werden mußte, standen erstarrt vor Schrecken und hatten jede Geistesgegenwart verloren.

Der Mohrendoktor warf sich gegen die Wand mit der ganzen Kraft des Körpers und stürzte sie um.

In demselben Augenblick war der preußische Edelmann schon über die Barriere gesprungen und stand neben dem hauenden Pferd – mit einem zweiten Sprung, gewandt, behend, wie die Löwin sich vor ihr gefährdetes Junge wirft, warf er sich zwischen das sich überschlagende Thier und die rückliegende Estrade, die Arme ausbreitend, wie um Roß und Reiterin aufzufangen, fest mit dem Fuß sich zurückstemmend.

Das Pferd überschlug sich auf den Hinterbeinen, die Reiterin hatte so viel Geistesgegenwart bewahrt, den Oberkörper zur Seite zu werfen und die Füße aus den Bügeln zu lösen – er fing sie in seinen Armen auf, aber der Stoß des fallenden Thiers war zugleich so gewaltig, daß er sich nicht halten konnte und mit seiner schönen Last zurückfiel.

Sein Kopf schlug auf eine der Planken, ohne daß er das Mädchen los ließ, das Pferd lag auf Beiden und hieb in die Luft.

In dem Augenblick war auch Kapitain François bei ihm.

»Tausend Teufel Otto, mein Junge, was hast Du gethan – Du blutest! Heran ihr Schurken – das Pferd herunter!«

Schneller als die Diener und Stallmeister hatte sich auf die schlagenden Hufe schon ein anderer Mann geworfen – Rudolph Meißner, der Hofmeister der Fürstin Trubetzkoi, der Predigerssohn aus der Heimat; – die Gefahr nicht achtend, versuchte er den Schimmel empor zu reißen, bis es ihm unterstützt jetzt von zahlreichen kundigen Händen gelang.

Der Mohrendoktor hatte bereits die Reiterin emporgezogen, François hielt den halbbetäubten Freund in den Armen.

»Rühre die Glieder mein Junge – probire ob Du Etwas gebrochen hast?«

»Nichts – Nichts – aber sie? lebt sie? ist sie gerettet?«

»Sie muß wohl – auf Deine Kosten! Du blutest stark – es war ein Teufelsstreich, aber das einzige Mittel! Eben trägt man sie fort!«

Es war zu viel selbst für die festen Nerven der kühnen Reiterin gewesen; in dem Augenblick, als sie sich von den Armen des jungen Mannes umfaßt gefühlt hatte und an seiner Brust liegend sein Gesicht über sich geneigt erblickte, war sie ohnmächtig geworden. Der Mohrendoktor half sie sorgsam aus der Manège tragen. Otto von Röbel hatte sich empor gerichtet, seine Augen folgten ihr, während das Blut in hellem Strom über seine Kleidung floß.

Der kräftige Widerstand hatte den Sturz gebrochen, der sonst bei der Stellung der Gerüste unfehlbar Rositta den Tod gebracht hätte. Im Niederfallen hatte der Kopf des jungen Edelmanns gegen den Balken der Barriere geschlagen und eine breite, wenn auch zum Glück nicht gefährliche Wunde war die Folge.

An die Fortsetzung der Vorstellung war vorerst nicht zu denken. Das Publikum verlangte ungestüm Nachricht über das Befinden der Sennora Rositta. Ebenso ging von Mund zu Mund die Frage, wer der Fremde war, der so kühn mit eigener Lebensgefahr die Reiterin gerettet hatte. Mehrere Aerzte, die sich unter dem Publikum befanden, eilten herbei, um ihm ihre Hilfe anzubieten und ihn zu verbinden. Aber der junge Preuße lehnte dankend mit Ausnahme von etwas Heftpflaster den Beistand ab, ließ sich von dem Freunde ein Tuch über die Wunde binden und setzte den Hut auf dieses. Er zögerte offenbar, sich fortzubegeben, obschon ihn Kapitain Laforgne fortzuziehen suchte, um durch seine Gegenwart Mutter und Schwester zu beruhigen.

Frau von Roebel war bei der raschen That ihres Sohnes und dem Anblick der Gefahr desselben ohnmächtig geworden und die junge Frau um sie beschäftigt, während Rosamunde sich aus der Loge drängte, um zu ihrem Bruder zu eilen.

Sie vermochte den dichten Kreis nicht zu durchbrechen, als eine ernste klangvolle Stimme, deren Ton ihr Innerstes erbeben machte, dicht neben ihr sich laut erhob:

»Ich bitte um Platz meine Herren für diese Dame, die Schwester Dessen, dem Sie die Rettung der Sennora Rositta zu danken haben.«

Sie stand bleich, zitternd in dem freien Gang, der sich sofort öffnete, ohne ihren Weg fortzusetzen. Ihr mildes frommes Auge traf auf das ernste Gesicht des Mannes, ihre Hand fuhr unwillkürlich nach dem Herzen.

»Rudolph!«

Der Secretair verbeugte sich, in seinem männlichen kräftigen Antlitz zuckte eine tiefe Bewegung, seine Augen suchten finster den Boden. »Fräulein von Röbel, Ihr Herr Bruder erwartet Sie. Ich danke Gott, daß er Ihnen denselben bewahrt hat!«

Er trat zurück mit einer Bewegung der Hand nach dem ehemaligen Freunde zeigend, der noch halb betäubt ihn und die Schwester anstarrte. Das Mädchen schwankte ihm entgegen und fiel todtenbleich mit einem Thränenstrom ihm in die Arme.

Er preßte sie an seine Brust. »Arme Rosamunde! – François mein Freund, ich bitte Dich, bringe sie fort; ich folge Euch sogleich.«

Sein Blick flog suchend nach dem Eingang der Manège, durch welchen die Stalldiener die Holzgerüste fortschleppten, und aus dem eben, gefolgt von einem Schwarm von Verehrern der schönen Primadonna des Circus der jüngere Déjean in die Manage trat.

»Meine Damen und Herren« sagte laut der Direktor, »ich kann Ihnen die erfreuliche Mittheilung machen, daß Sennora Rositta mit Ausnahme des gehabten Schreckens keine schlimmen Folgen von dem gefährlichen Sturz davon getragen hat und dem Publikum für seine Theilnahme dankt!«

Großer Applaus! »Die Dame! die Dame! Rositta selber!«

Mit jener naiven Rücksichtslosigkeit, die dem Publikum eigen ist, und die geradezu glaubt, daß schau- und darstellende Künstler keine Erschöpfung kennen dürfen, wenn es sich um sein Vergnügen handelt, forderte man ungestüm, zuletzt mit Pochen und Pfeifen das Erscheinen der Reiterin selbst.

Während der Direktor sich entfernte, spielten in dem Zuschauerraum selbst einige jener kleinen Zwischenscenen, die immer ein Drama begleiten und gewöhnlich unbemerkt vorüber gehen, während sie doch die eigentliche Entwickelung bilden.

Durch das noch immer stattfindende Gedränge am vorderen Zugang der Manège machte sich der Graf von Montboisier Platz und ging quer über den Raum, an dessen Ausgang nach den Garderoben er den Direktor einholte.

»Monsieur Déjean« sagte er höflich, »Sie werden mich verbinden, wenn Sie mir mittheilen wollen, ob die Sennora Rositta mich empfangen kann. Ich bin von Ihrer Majestät der Kaiserin beauftragt, mich nach dem Zustand der Verunglückten selbst zu erkundigen und ihr die Allerhöchste Theilnahme zu überbringen.«

Der gewandte Direktor, ein enragirter Bonapartist, war ganz Geschmeidigkeit und Dank für die erzeigte Ehre und führte den Grafen die Treppe hinauf nach den Garderoben.

So eben öffnete sich die Thür des Ankleidezimmers, in welches man Rositta zurückgebracht und der Mohrendoktor trat heraus.

»Der Herr Oberst Graf von Montboisier, Kammerherr Seiner Majestät,« sagte mit stolzer Betonung der Direktor, »wünscht sich zu erkundigen, wie sich Mademoiselle befindet. Ihre Majestät hat ihr die Ehre erwiesen, danach zu fragen.«

Ein leichtes spöttisches Lächeln flog über das verwitterte Gesicht des Arztes. »Ihre Majestät sind allzugnädig – Mademoiselle Rositta befindet sich bereits wieder besser und hat zum Glück nur einige unbedeutende Quetschungen davon getragen.«

»Ich habe Befehl,« sagte der Graf höflich, »die Dame selbst zu sprechen, wenn es möglich ist.«

»O gewiß, gewiß!« der Direktor riß ohne Weiteres die Thüre auf. »Der Herr Graf von Montboisier!«

»Auf Befehl Ihrer Majestät,« sagte entschuldigend der Oberst, indem er mit einer höflichen Verbeugung näher trat, da ein Blick in das kleine Boudoir ihn überzeugte, daß die Kunstreiterin, in einen weiten Bournous gehüllt, in der Causeuse saß und einen Besuch annehmen konnte. »Monsieur Déjean ist so gütig gewesen, mich zu versichern, daß Sie bereits im Stande sind mich zu empfangen, und ich darf ihn jetzt nicht länger der Pflicht entziehen, das Publikum einstweilen zu beruhigen, das stürmisch verlangt, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß seine reizende Primadonna weder Hals noch Arm bei dem überkühnen Wagstück gebrochen hat, dessen Gelingen offenbar nur ein tückischer Zufall verhinderte.«

Der Direktor verstand den Wink und zog sich zurück. Um den Lärmen des Publikums, der immer stürmischer wurde, kümmerte er sich herzlich wenig.

Die Dame hatte mit einer Handbewegung den Obersten eingeladen, auf einem Stuhl zur Seite der Causeuse Platz zu nehmen.

»Man ist sehr gnädig,« sagte sie, »an dem Schicksal eines so unbedeutenden Wesens Theil zu nehmen. Haben Sie die Güte, mein Herr, Ihro Majestät meinen Dank zu Füßen zu legen; Sie sehen selbst, daß ich unverletzt bin, allein ich bin äußerst besorgt über meinen Retter – ich sah im Augenblick als ich ohnmächtig wurde, Blut über sein Gesicht strömen und sandte so eben meinen alten Freund und Begleiter ab, sich nach ihm zu erkundigen.«

»Monsieur de Reubel wird sich glücklich schätzen, mit einer Wunde das Glück erkauft zu haben, Madame einen solchen Dienst leisten zu können.«

»Wie Herr Oberst – Sie kennen ihn?«

Die Röthe, welche dabei ihr Gesicht überflog, machte den gewandten Hofmann lächeln. »Für den Preis solcher Theilnahme,« sagte er galant, »würde ich mich auch gern unter die Hufe Ihres Matador werfen. Beiläufig, ein prächtiges Thier. Herr von Reubel ist ein junger preußischer Edelmann, der glaub' ich in der Schweiz verwundet wurde, und unsere Pyrenäen-Bäder gebraucht hat. Ich kannte vor mehreren Jahren seinen Bruder einigermaßen näher. Er befindet sich auf der Rückreise nach Berlin mit Mutter und Schwester hier.«

»Seine Mutter – seine Schwester! Heilige Madonna, welchen Schrecken müssen sie empfunden haben. O mein Herr, nicht wahr, was er für eine Fremde that, war sehr schön?«

»Ich darf ihm die Ritterlichkeit seiner That nicht schmälern, Madame, um so weniger, als wie ich höre, ein Landsmann von Ihnen so unglücklich gewesen ist, durch ein unwillkürliches Vergessen wahrscheinlich Ihren Unfall veranlaßt zu haben. Don Alvaro de Montijo hat sich dadurch die Ungnade der Kaiserin zugezogen, obschon er ihr Verwandter ist.«

Die Sennora schwieg – er erwartete vergebens eine Antwort.

»Ihre Majestät beabsichtigen wahrscheinlich Allerhöchst ihrer schönen Landsmännin – Madame sind ja, so viel wir wissen, selbst Spanierin?« – er beobachtete sie scharf bei der halben Frage – »ihre besondere Theilnahme zu beweisen, denn Ihre Majestät bewilligen Ihnen eine Privataudienz!«

»Mir?«

»Ja, Madame, Ihre Majestät erwarten Sie morgen Abend vor der Ausfahrt in der Oper in ihren Gemächern, wenn es Ihr Zustand erlaubt. Die Kaiserin will Sie ohne Aufsehen zu erregen sprechen, und ich habe Befehl erhalten, Sie morgen Abend um 7 Uhr zu ihr zu führen.«

Die Einladung machte offenbar dem gewandten Hofmann einiges Kopfzerbrechen, denn er beobachtete die Kunstreiterin auf das Genaueste.

Rositta dachte einige Augenblicke nach, dann sagte sie ruhig: »ich werde bereit sein, mein Herr und Sie erwarten.« Sie erhob sich. »Sie wissen wo ich wohne?«

»Wer sollte das Hôtel der gefeierten Schönheit des Tages nicht kennen, Madame. Hôtel Bristol am Place Vendôme. Ich beurlaube mich, um morgen gegen 7 Uhr Sie abzuholen. Doch –«

»Nun?«

»Ich glaube im Sinn meines Auftrags zu handeln, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, daß Ihr Empfang vorläufig ganz incognito bleiben muß!«

Sie bejahte durch ein Zeichen. Eben klopfte der Direktor wieder an der Thür.

»Sennora,« sagte er, auf das »Entrez!« vorsichtig den Kopf hinein steckend – »entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber es ist ganz unmöglich, das Publikum länger im Zaum zu halten. Man demolirt mir den Circus. Man hält unsere Versicherung, daß Sie sich wohl befinden, für Täuschung und will Sie durchaus sehen! Zwei Mal schon hat man meine Quadrille zurück gejagt!«

Der Kammerherr lachte. »Da sehen Sie unsre guten Pariser! Sie würden um ein Ballet Barrikaden bauen. Madame erlauben Sie mir, Sie wenigstens bis an die Gränze des Reichs zu begleiten, wo die Herrschaft unseres Monsieur Déjean beginnt!«

Sie hielt ihn tief erröthend zurück, indem sie die Hand auf seinen Arm legte. »Einen Augenblick Herr Graf, – wissen Sie wo Herr von ... Herr von Reubel wohnt? ich habe ihm mein Leben zu danken!«

Der Graf lächelte. »Ich würdige ganz Ihr gefühlvolles Herz. Monsieur de Reubel wohnt, wenn ich mich recht erinnere, in einem kleinen Hotel der Rue Saint Georges, in dem Hôtel d'Orient!«

»Ich danke Ihnen. Monsieur Déjean – ich bin bereit!«


Während der Kapitain Laforgne der Schwester des Freundes den Arm bot, um sie zurück zu führen, waren der Fürst Trubetzkoi mit dem Lord und mehrere der Cavaliere, die vorhin die kritische Jury über die Damen des Circus und die Zuschauer gebildet hatten, heran getreten. Der Fürst hatte so eben vergeblich bei der Garderobe der Kunstreiterin antichambrirt, sich aber mit den Nachrichten der Kammerfrau begnügen müssen. Aber er erzählte der Gesellschaft, daß Sennora Rositta sich den Fuß bedeutend verrenkt habe, daß er geholfen, ihr einen Verband umzulegen, und daß sie ihn vor ihrer Abfahrt nach dem Hôtel gebeten, sie ja des andern Morgens zu besuchen.

»Ihre Wette, Peard,« sagte der Viscount, »ist also dennoch verloren. Ein verstauchter Fuß ist noch kein gebrochener Hals. Sie haben Unglück heute Abend!«

»Euer Herrlichkeit haben mir versprochen,« meinte der modernsirte Menschenjäger, »daß ich in Paris einige interessante Fälle sehen würde. Es ist wirklich schade – ich habe schon neun Männer, aber noch keine Frau den Hals brechen sehen, obschon ich ein Mal nahe daran war, als ein Sergeant meiner Compagnie die seine zwei Treppen hinunter warf. Aber diese Weiber haben ein Leben wie die Katzen!«

Der Viscount lachte. »Sie sind zu ungeduldig, Kapitain – wahrhaftig, wie ein junger Bräutigam. Es geht hier nicht so rasch wie in Dahomey, aber es ist interessanter, ich dächte, Sie wüßten das! Dieser junge preußische Bauer, den uns vorhin Montboisier vorstellte, hat Sie um Ihr Vergnügen gebracht, wahrhaftig, ohne selbst Ersatz zu leisten; denn dort steht er in Person und – very well – ich muß ihm die Hand drücken, denn er ist ein wackerer Bursche und ich habe selten Etwas entschlossener ausführen sehen, als diese That. Ich hätte Lust, ihn zu meinem Stallmeister zu machen!«

»Diable, Mylord – Sie haben Recht, schnarrte der Fürst, »aber ich komme Ihnen zuvor. Ich habe das erste Recht auf ihn, da mich die kleine Rositta mit ihrer Gunst beehrt, Ktschortu – ich will ihn auf meine Güter in der Ukraine schicken; seit die kleine Tunsa eigensinnig geworden, ist Niemand da, der so trefflich mit Pferden umzugehen versteht!«

Er war mit Hilfe des Stockes zu der Gruppe des jungen Preußen mit seiner Schwester heran getreten, um die sich mehrere Personen drängten, und tupfte ihn vornehm mit dem Stockknopf auf die Schulter. »Sie haben die Sache brav gemacht, Monsieur,« sagte er vertraulich. »Hier ist meine Karte, besuchen Sie mich morgen – wir wollen über Ihre Belohnung sprechen!«

Otto von Röbel sah ihn erstaunt an – Kapitain François brach in ein helles Gelächter aus.

»Mein Herr,« sagte der Preuße, die Karte zurückgebend, »Sie irren sich wahrscheinlich in der Person.«

»Ich bin der Fürst Trubetzkoi!«

»Das hindert nicht, daß Sie ein Einfaltspinsel sind,« sagte der Kapitain, dem Freunde die Antwort abschneidend. »Es ist Zeit, Otto, daß Du den Herrn nicht länger zum Schauspiel dienst – komm!«

Der junge Edelmann fühlte, daß er Recht hatte und wollte ihm folgen, während der Fürst unter dem Gelächter seiner Freunde ziemlich verblüfft da stand, als er seine Hand gefaßt fühlte.

Es war der Mohrendoktor, den er neben sich sah.

»Mein Herr,« sagte dieser, mit seinen großen dunklen Augen ihn aus dem sonn- und wetterverbrannten Gesicht anschauend – »ich habe gehört, daß Sie der braven Nation der Preußen angehören, zu der mich die Erinnerungen meiner Jugend ziehen; denn einem Ihrer Landsleute verdanke ich mein Leben. Wenn das Blut Achmets, des letzten Hacenen, Ihnen je nützen kann, so fordern Sie dasselbe, und er wird bereit sein, es Ihnen zu geben, wie Sie das Ihre willig gewagt für die letzte Freude, an der sein altes Herz hängt. Ich soll Ihnen den Dank eines jüngern bringen, welches Ihnen allein schuldet, daß es noch schlägt! Nehmen Sie dies Zeichen zum Pfande, bis die Geberin Ihnen selbst ihren Dank sagen kann!«

Er reichte ihm ein Bouquet, es war das Veilchen-Bouquet, das er selbst ihr geworfen, das sie bei dem wilden Ritt an ihrem Busen getragen, und das mit seinem Blute benetzt war.

»Leben Sie wohl, Monsieur,« fuhr der Arzt fort – »dies ist nicht der Ort, Ihnen weiter zu danken. Ich gehe, das Kind meines Herzens zu beruhigen, daß Gottes Hand auch seinen Retter bewahrt hat. Auf Wiedersehen, mein junger Freund, denn dort ist sie selbst!«

Ein donnernder Jubel erschütterte das Haus, denn in der That war am Eingang der Manège so eben Sennora Rositta an der Hand des Directors unter dem Tusch der Musik erschienen.

Der Enthusiasmus des Publikums war gränzenlos, als es sein Schooßkind, die gefeierte Künstlerin, zwar etwas bleich und angegriffen, aber desto interessanter im Nimbus der vorhergegangenen schrecklichen Szene wieder sah.

Die Tücher der noch anwesenden Damen wehten, die Galerien stampften und schrieen entzückt über die genossene Tragödie ohne Extra-Entrée, die Lions erschöpften sich in Brava's und Bravissima's und allen möglichen liebenswürdigen Exclamationen, und die Journalisten schwelgten in voraus in den Feuilletons, die mindestens acht Tage Stoff hatten. Wahrscheinlich, daß auch bereits mehr als einer oder der andere der Tonangeber der Moden an einen neuen Hut à la Rositta oder eine Garnitur à la Matador dachte! Paris liebt die Aufregung und die Extase für die Coryphäen des Tages, sei es auf den Brettern des Theatre Français, auf den erstürmten Wällen des Malakof, auf der Tribüne der Deputirten-Kammer, im Cancan der Clauserie de Lilas oder auf dem Schaffot.

Nur müssen sie diese Begeisterung eben nicht mehr als höchstens acht Tage in Anspruch nehmen!

Das Auge der Kunstreiterin, indem sie mit tiefer Verneigung dem Rasen des Publikums dankte, schweifte suchend über den glänzenden Raum. Einen Moment schien es Feuer zu sprühen, als er über die kaiserliche Loge flog, und ihre Hand zuckte krampfhaft in der des Direktors. Die Kaiserin hatte mit ihren Damen sofort nach dem unglücklichen Vorgang die Loge verlassen und in dem anstoßenden Salon nur so lange verweilt, bis der Direktor des Cirque dem Publikum verkündet hatte, daß Mademoiselle Rositta sich wieder erholt habe und kein weiteres Unglück zu beklagen sei; – aber im Hintergrund der Loge stand mit verschränkten Armen noch eine dunkle Gestalt, gleich als wolle sie dem Publikum trotzen, wie sie der sehr ungnädigen Entlassung der hohen Verwandtin getrotzt hatte, und trotz der Entfernung kreuzten sich die Blicke der Reiterin und des Grafen Alvaro wie zwei scharfe Stahlklingen. Im nächsten Moment aber trafen die sich stolz abwendenden Augen der Sennora auf die Gestalt, die sie gesucht, auf den Mann, dessen, stille aber glühende Huldigung an jedem Abend ihres Auftretens ihr nicht entgangen war, und der so kühn für sie das eigene Leben gewagt hatte.

Sie sah ihn, wie er am Eingang der Manege in dem dichten Haufen des Publikums stand, er fühlte ihren dankbaren Blick und als er jetzt zum zweiten Mal an diesem verhängnißvollen Abend das Veilchenbouquet an seine Lippen hob, wußte er, daß jener geheimnißvolle Strom, welcher über den Raum hinweg Seelen und Herzen verbindet, auch zwischen ihm und ihr eine Kette geschlossen, die nur der Tod brechen aber nicht vernichten konnte.

Die schöne Erscheinung war unter dem Applaus des Publikums hinter der fallenden Portiere verschwunden und aus der neu geöffneten brach der Zug der glänzenden Quadrille, während der Menschenstrom Otto hinaus aus dem Ausgang des Circus trug, denn der größere Theil der Zuschauer verließ jetzt denselben, nachdem die vornehmere Welt sich bereits schon vorher gleich nach dem Unfall entfernt hatte.

Hier traf er auch François mit den Damen seiner harrend, denn Frau von Röbel wollte, trotz des Zustandes ihrer Tochter, den Ort nicht verlassen, ohne sich überzeugt zu haben, daß ihr Sohn nur unbedeutend verletzt sei.

Sie bestand jedoch vergebens darauf, daß der junge Mann mit ihr zugleich in dem Wagen, den der Kapitain durch einen Commissionair holen ließ, nach dem Hôtel zurückkehre, und erst, als Laforgne ihr zusicherte, daß er Otto, der die bekannte Enge der pariser Fiakre vorschützte und erklärte, daß ein Gang in der frischen Luft ihm wohlthun würde, begleiten wolle, fügte sie sich mit mütterlich zärtlicher Besorgniß darein, voraus zu fahren.

Die beiden Freunde, von denen jeder so viel zu denken hatte, waren eben im Begriff, Arm in Arm nach der großen Allee der Elysäischen Felder einzubiegen, als zwei Herren in ihre Mäntel gehüllt, an ihnen vorüber gingen, um in ein Cabriolet zu steigen, das in der Nähe einer der fast Tageshelle verbreitenden großen Flambeaux vor dem Eingang hielt.

»Es thut mir leid, lieber Präfect,« sagte der eine der Herren, eine kleine hagere Figur, »daß ich sie belästigen muß, mich nach Hause zu bringen; aber der Wagen vom Dienst, in dem ich gekommen, hat unsere kleine Eugénie, der der Kopf unter der Krone gewaltig zu wachsen anfängt, begleitet und ich müßte sonst wahrhaftig einen Fiacre der Regie rufen.«

»Wir haben denselben Weg, Herr Graf,« sagte der hohe Beamte, der jedoch nur Zivil trug. »Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Sie an Ihrer Thür abzusetzen. Aber sagen Sie, was hatten Ihro Majestät?«

»Bah – eine Ihrer gewöhnlichen Launen. Sie bildet sich ein, ein zufälliger Ausruf, der mir entschlüpfte, sei die Ursache von dem Unfall dieser Reiterin gewesen. Apropos Rositta – wissen Sie etwas Näheres über diese Tagesschönheit, über die sich alle Welt in Paris den Kopf zerbrechen soll und die ich heute zum ersten Mal gesehen habe! – Aber lassen Sie uns hier ein Stück die Allee entlang gehen – Ihr Coupé kann uns dort in dem Fahrweg folgen, lieber Senator.«

»Sie geben mir da einen Titel, Herr Graf, der mir nicht zukommt.«

»Bah – ich habe in den Appartements des Kaisers einige Worte fallen hören. Aber um auf meine Frage zurück zu kommen, was wissen Sie von dieser Sennora Rositta, wie sie sich nennt? woher kommt sie?«

»Das ist bekannt genug, sie kommt zunächst von London. Aber sie war vorher in Petersburg. Vordem hat man Nichts von ihr gehört – ihr Paß ist in bester Ordnung.«

Der Graf, wie der Präfekt ihn genannt, zuckte die Achseln. »Gehen Sie mir mit Ihrem Paß, liebster Pietri – wenn die Polizei weiter Nichts weiß, als was in den Pässen steht!«

Es war in der That der Chef der pariser Polizei selbst, der alte corsische Bonapartist, der im Laufe der Vorstellung, auf die Nachricht von der Anwesenheit der Kaiserin, nach dem Circus gekommen war und beim Verlassen desselben am Ausgang auf Don Alvaro, ihren Verwandten, gestoßen war.

Der Präfect warf auf seinen Gesellschafter einen raschen forschenden Blick. »Da Sie sich für die Dame zu interessiren scheinen,« sagte er vorsichtig, »so kann ich Ihnen nur sagen, daß sie mit besonderen Empfehlungen an den russischen Gesandten hierher gekommen ist. Man will wissen, daß sie in Petersburg die Nachfolgerin der schönen Schauspielerin Frau von Bärndorf in der Gunst des Hofes gewesen ist und unter der besonderen Protektion eines der Großfürsten gestanden hat. So viel ich von der Dame gehört, ist sie keine leichte Eroberung, liebster Graf!«

Der Spanier zuckte ungeduldig die Achseln. »Das sind alles Dinge, die Ihnen jeder Pflastertreter von Paris sagen kann. – Mich interessirt die Person allerdings – aber aus anderen Gründen. Haben Sie die Sendung des Grafen Montboisier bemerkt?«

»Des Obersten? ich sah ihn aus der Loge nach den Garderoben gehen.«

»Meine werthe Cousine hat ihn zu der Reiterin geschickt.«

»Es war sehr gnädig von Ihro Majestät,« sagte vorsichtig der Präfect, »sich noch besonders nach dem Befinden einer solchen Person erkundigen zu lassen.«

»Ah bah – das war es nicht allein. Sie sprach wenigstens fünf Minuten mit ihm und hat ihm offenbar einen besonderen Auftrag gegeben.«

»Es ist möglich!«

»Hören Sie mich an, liebster Präfect. Sie wissen, wie leicht meine Cousine sich von Personen, für die sie Interesse faßt, mißbrauchen läßt und wie sehr dem Kaiser solche Aventüren unangenehm sind. Ich habe meine besonderen Gründe, diese plötzliche Laune zu verhindern. Eine Liebe ist der anderen werth – Sie kennen meine Verbindungen bei Hofe und bei dem Prinzen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß bei der nächsten Ernennung der Senateurs Ihr Name dazu gehören wird. Aber ich muß wissen, worin der Auftrag meiner Cousine für diese Mademoiselle Rositta bestanden hat.«

Der künftige Senateur sann einige Augenblicke nach, gleich als überlege er seine Mittel, dann sagte er mit Bestimmtheit; »Sie werden es bis morgen Mittag erfahren, Herr Graf!«

»Gut – ich verlasse mich darauf und rechnen Sie in jedem Fall auf mich. Sie wissen, daß Sie Gegner genug haben und ein scharfes Ohr und Auge in der Nähe meines hohen Verwandten wird Ihnen den Freundschaftsdienst vergelten. Ich denke, wir können nun einsteigen!«

Der Präfect machte eine zustimmende Bewegung und indem sie sich zu ihrem Wagen wandten, begegneten sie zum zweiten Mal den beiden Freunden, die Arm in Arm langsam nach dem Place de la Concorde zugingen.

In dem Schein der Gasflammen erkannte der spanische Graf die beiden Gesichter.

»Caramba!« sagte er stehen bleibend und auf die unverschämteste Weise die beiden Freunde lorgnettirend, – »sieh da, da ist ja wahrhaftig der kleine Ritter unserer Reiterin, der sie so geschickt bei ihrem Salto mortale in seinen Armen auffing. Schade, daß die türkischen Beinkleider uns das hübsche Schauspiel schmälerten. Und wie ich sehe, in der guten Gesellschaft eines Kunstreiters aus den Pampas meines ehemaligen Schwiegervaters.«

Die Worte waren so laut gesprochen, die hochmüthige Weise, mit welcher der Graf stehen bleibend die Freunde fortwährend ansah, war so beleidigend, daß Beide sofort ihren Schritt hemmten.

Eine zornige Gluth färbte das Gesicht des Kapitains und er wollte auffahrend auf den Beleidiger losschreiten, als er seinen Arm mit starker Hand festgehalten fühlte.

»Halt, François – bei unserer Freundschaft! Das ist meine Sache!«

Der Preuße trat auf den Spanier zu, den sein älterer Gesellschafter vergebens nach dem harrenden Wagen zu ziehen suchte.

»Lassen Sie uns immerhin einige Augenblicke verziehen,« lächelte er höhnisch – »es scheint, daß wir einige Belehrung über die Reitkunst hören sollen.«

»Mein Herr,« sagte der Preuße fest – »es scheint Ihre Absicht, mich herausfordernd zu beleidigen!«

»Der Graf Gusman de Montijo, mein Lieber,« sagte der ehemalige Verlobte der schönen Argentinerin stolz, »fordert die Stallmeister des Herrn Déjean nicht heraus!«

Das Gesicht Otto von Röbels war ruhig – aber es begann jene eigenthümliche Blässe, das blaue sonst so freundliche Auge jene kalte Starrheit anzunehmen, die Jeder, der solche nordische Charakter kennt, nur mit Besorgniß wahrnimmt.

»Herr Graf Gusman de Montijo,« fuhr der Preuße fort – »da Sie beliebt haben, sich mir vorzustellen, so sage ich Ihnen, daß Sie die Ehre haben, mit einem preußischen Edelmann zu sprechen. Mein Name ist, wie Ihnen diese Karte zeigen wird, Otto von Reubel. Wäre ich aber auch nicht einmal einer der Stallmeister, sondern einer der Stallknechte des Herrn Déjean, so würde ich mich immer noch besser dünken, als ein Grand von Spanien der für sein Entrée in den Circus glaubt, boshafter als ein feiger Mörder handeln zu können!«

Der Gesellschafter des Grafen trat einen Schritt vor, als wolle er sich zwischen die beiden Streitenden drängen.

»Mäßigen Sie sich, mein Herr, – dieser Cavalier ist ein naher Verwandter Ihrer Majestät der Kaiserin!«

»Ich habe diesen Herrn in der Kaiserlichen Loge gesehen, und bedauere, daß die Kaiserin von Frankreich einen Banditen in ihrer Nähe dulden konnte. Sie mein Herr werden bis morgen Mittag die Dame, die ich vor den Folgen Ihres tückischen Streiches zu retten die Ehre hatte, um Verzeihung bitten, andern Falls ...«

Der Graf lachte spöttisch auf. »Nun mein junger preußischer Amadis – andern Falls –«

»Werde ich Sie, da ich jetzt Ihre Adresse weiß, aufsuchen und vor ganz Paris ohrfeigen!«

»Schurke!«

Das Wort war kaum ausgesprochen, als eine derbe Ohrfeige auf der mageren Wange des Spaniers klatschte.

Der Beamte warf sich dazwischen. »Unsinniger – was unterstehen Sie sich – ich werde Sie auf der Stelle verhaften lassen, ich bin der Polizei-Präfect von Paris!«

»Ich glaube, daß Signor Pietri zuerst Edelmann gewesen ist, bevor er Präfect wurde,« sagte der Kapitain fest. »Wir haben hier nicht mit der Polizei zu thun, sondern mit der Züchtigung eines unverschämten Beleidigers.«

Der hohe Beamte schien in der That zu fühlen, daß er hier eine falsche Rolle spielen würde und daß die beiden Fremden in ihrem Recht waren; denn er begnügte sich, den anfangs wie betäubt von der kräftigen deutschen Ohrfeige dastehenden, dann aber in ohnmächtiger Wuth mit den Zähnen knirschenden und in seiner Muttersprache die wildesten Verwünschungen und Drohungen sprudelnden Cavalier mit Gewalt nach dem Wagen zu drängen, weil die Scene, obschon sie in einer Seiten-Allee gespielt hatte, bereits Aufsehen zu erregen und Zuschauer zu versammeln begann.

»Gehen Sie, meine Herren, entfernen Sie sich sogleich – wir werden Sie zu finden wissen!«

»Ich werde die Botschaft dieses Herrn erwarten!« sagte der Preuße stolz. »Komm François!«

Sie gingen Arm in Arm weiter, ohne ihren Schritt auch nur um einen Grad zu beschleunigen. Erst als sie in einiger Entfernung waren, zog der Kapitain, der auch die kürzeste Beraubung seiner Freiheit in diesem Augenblick mehr als alles Andere fürchten mußte, den Freund rascher vorwärts und sah sich nach einem Wagen um.

Es war Monsieur de Pietri unterdeß gelungen, seinen Begleiter zu dem seinen zu führen. »Um Himmelswillen, Graf, was fiel Ihnen ein! ich kann Ihnen nicht verbergen, daß Sie die Scene selbst hervorgerufen haben – es ist unmöglich, die Sache zu vertuschen, ich werde dem Kaiser davon Anzeige machen müssen!«

»Nicht eher, als bis ich sein Blut gesehen,« knirschte der Spanier. »Er soll es mir büßen, er und seine Metze! – den Andern überlasse ich Ihnen!«

»Den Namen des Einen kennen wir – wer ist der Zweite?«

»Ein niederträchtiger Revolutionair – ein Vertrauter Garibaldis!«

»Wissen Sie das gewiß?«

»So gewiß ich Sie vor mir sehe! ich traf ihn zwei Mal im Leben – obschon ich in diesem Augenblick seinen Namen vergessen habe – einmal in Montevideo, das andre Mal an dem Abend, als meine Verlobte verschwand – er ist offenbar dabei im Spiele gewesen, denn ...«

Er unterdrückte die Fortsetzung seiner zornigen Worte.

Der Präfect schob ihn in den Wagen und blickte sich hastig um. Dann hielt er den Finger an den Mund und ließ ein kurzes scharfes Pfeifen hören.

Augenblicklich kamen von beiden Seiten des breiten Fahrweges zwei Personen herbei.

»Kennen Sie mich?«

»Euer Excellenz selbst!« sagte der Eine devot.

»Gut! haben Sie beobachtet, was dort eben vorgegangen ist?«

»Zu Befehl Excellenz« – berichtete der, welcher den Präfecten erkannt hatte. »Dort drüben ist mein Posten. Ich bemerkte einen kurzen Streit – aber die Sache ist so gewöhnlich in den Alleen, daß ich keinen Grund hatte, mich einzumischen.«

»Die beiden Männer, die ihn veranlaßten« sagte der Präfect mit dem scharfen Blick des Polizeibeamten, »sind jene Allee entlang gegangen – der Eine eine große schlanke Figur, mit einer Binde um den Kopf, da er im Circus sich verwundete, der Andere kleiner, von soldatischem Wesen; dieser trägt einen grauen Zuaven-Burnus, der Erstere einen dunklen Paletot. Folgen Sie ihnen bis zu ihrer Wohnung, namentlich dem Kleinern! Morgen früh genauen Rapport!«

»Zu Befehl Excellenz!«

Der Präfect war in das Coupé gesprungen.

»Fort, Andrée! In der Rue St. Honoré 60 hältst Du an!«

Der Wagen rollte davon und der hohe Beamte fuhr fort seinem Gesellschafter, der mürrisch schwieg, lebhafte Vorwürfe zu machen, während die zwei Spürhunde der hohen Polizei sich bereits auf den Weg gemacht hatten und die Allee durchstreiften.

Die beiden Freunde hatten eben den Platz de la Concorde erreicht, als ein Fiacre, der an ihnen vorbeigefahren war, auf den Ruf des Insitzenden hielt, und der Schlag rasch geöffnet wurde.

»Monsieur de Reubel!«

»Steigen Sie ein – es handelt sich um Ihre Freiheit – geschwind!« fuhr die Stimme in deutscher Sprache fort.

Otto von Röbel hatte sie erkannt.

Es war die des Freundes seiner Jugend, des Mannes, welcher noch immer das Herz seiner Schwester besaß.

»Was wollen Sie von mir – ich denke, wir haben Nichts mehr mit einander zu schaffen!«

»Um Himmels, willen, Herr von Röbel« sagte der Secretair der Fürstin, »welcher schreckliche Irrthum uns auch getrennt haben mag, steigen Sie ein so schnell als möglich – die Spione der Polizei sind auf Ihrer Ferse, es gilt vor Allem, diesen Sie zu entziehen!«

Der Kapitain verstand durch den Umgang mit dem jungen Preußen bereits genug Deutsch, um den Sinn der Aufforderung zu begreifen.

»Vorwärts Otto, wenn es ein Freund ist, der uns warnt, müssen wir die Gelegenheit benutzen. Du weißt nicht, was auf dem Spiele steht!«

Er schob ihn fast mit Gewalt in den Wagen. »Boulevard Poissonnière, Ecke des Montmartre, aber rasch!« rief er dem Kutscher laut zu und schwang sich in den Wagen, denn eben näherten sich einige verdächtige Gestalten. Der Kutscher hieb auf sein Pferd und der Wagen rollte rasch davon.

Erst nachdem sie die Madelaine passirt hatten, wandte sich der Secretair zu den Beiden und bediente sich jetzt der französischen Sprache.

»Ich bitte Sie um Verzeihung meine Herren, daß ich mich auf diese Weise in Ihre Angelegenheiten gemischt und Sie fast mit Gewalt entführt habe. Indeß Sie werden es für gerechtfertigt halten, wenn Sie erfahren, daß ich Ihren Streit in der Allee der Avenue Gabriel mit angesehen habe und dann hörte, daß der größere der beiden Herren, mit denen Sie den Wortwechsel hatten und der wahrscheinlich ein Polizeibeamter sein muß, mit einem Zeichen Leute zu seinem Wagen rief, ihnen Ihr Signalement gab und sie beauftragte, Ihnen zu folgen. Ich nahm sofort den nächsten Fiacre und eilte in der Hoffnung, Sie zu treffen, voraus!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete, er das Wagenfenster, sah hinaus, ob sie etwa in bemerklicher Weise verfolgt würden, und befahl dann dem Kutscher, als hätten sie sich besonnen, nach der Rue Augustin zu fahren.

Otto von Röbel schwieg noch immer, aber der Kapitain reichte dem ehemaligen Studenten die Hand. »Ich habe zwar nicht die Ehre, Sie zu kennen« sagte er, »aber Sie haben uns wahrscheinlich einen großen Dienst geleistet, denn Sie haben uns die Freiheit zu handeln bewahrt. Lassen Sie gefälligst auf dem Börsenplatz halten, von dort werden wir leicht unbemerkt unsern Weg fortsetzen können. Selbst wenn die Spione gleich hinter uns einen Wagen gefunden haben, wird es kaum möglich gewesen sein, in dem Wagengedränge der Boulevards uns zu folgen.«

Es erwies sich in der That so, denn als sie an der Börse ausstiegen, bemerkten sie keinen Wagen, der ihnen gefolgt und sie konnten unbelästigt ihren Weg fortsetzen.

Rudolph Meißner begleitete sie nur einige Schritte, dann blieb er stehen.

»Ich darf Ihnen nicht weiter lästig fallen, meine Herren« sagte er, »und kehre nach meiner Wohnung im Hôtel de Louvre zurück, wo die Fürstin Trubetzkoi, in deren Dienst ich stehe, logirt. Haben Sie mir irgend eine Erklärung zu machen, Herr von Röbel, oder bedürfen Sie meiner Person, so werden Sie mich dort finden – daß ich Sie nicht aufsuchen darf, um selbst eine Erklärung Ihrer Worte gegen einen Mann, dem Sie doch sonst Ihre warme Freundschaft schenkten, zu erbitten, – das wissen Sie. Möge Gott Sie und die Ihren glücklich in unsere theure mir leider verschlossene Heimat zurückführen.«

Er verbeugte sich und ohne eine Antwort zu erwarten, entfernte er sich in der Richtung der Seine. Der Kapitain nahm den stummen Freund am Arm und zog ihn mit sich fort.

»Du sollst mir ein anderes Mal näher erzählen, Otto,« sagte er, »was es mit diesem Manne für eine Bewandniß hat. Einstweilen kann ich Dir nur sagen, daß er mir wenigstens einen großen Dienst geleistet hat, indem er uns den Spionen des Herrn Pietri entzog. Was Deinen Handel mit diesem gelben vertrockneten Spanier angeht, den ich aus früherer Zeit kenne, so ist er zwar sehr unangenehm, indeß, wenn Du ihn nicht geohrfeigt hättest, würde ich es auf alle Gefahr hin gethan haben. Ich bin ihm Eins schuldig für die schöne Carmen und hoffe ihn auszuzahlen, ehe wir 24 Stunden älter sind.«

»So darf ich darauf rechnen, daß Du mich secundirst?«

»Carraja! um mich der Sprache des sonnigen Montevideo zu bedienen – ich zweifle noch sehr, ob es dem werthen Vetter und Verkuppler der schönen Kaiserin von Frankreich so Eile und Ernst sein wird, sich dem Lauf Deines Pistols – denn auf ihre verdammten spanischen Degenfinten laß Dich nicht ein! – zu stellen. Er wird sicher erst alle andern Mittel versuchen, die Ohrfeige abzuschütteln und sich an Dir zu rächen. Aber ich denke, er wird nicht Zeit dazu haben und ich werde das Meine dazu thun. Befand sich die Adresse Deines Hotels auf der Karte, die Du ihm gabst?«

»Ja, Hôtel d'Orient, wohin wir gehen, denn Elise erwartet Dich dort!«

»Nicht so rasch, nicht so rasch, die Weiber können noch etwas warten, selbst meine kleine Frau. Es handelt sich um wichtigere Dinge. Ich werde diese Nacht nicht zu Hause schlafen!«

»Warum? – Du sprichst in Räthseln!«

»Das ist vorläufig mein Geheimniß. Genug, die Hand des Herrn Grafen von Montijo und die des Signor Pietri sind einstweilen noch ziemlich lang in Paris und es wäre mir sehr unangenehm, mich während des morgenden Tages etwa in der Präfectur oder gar zwischen den Mauern von Vincennes zu befinden. Am Gescheidtesten wäre es für Dich und für uns Alle, wenn Du meinem Rath folgtest, und morgen früh mit Deinen Damen und meiner kleinen Frau Paris verließest!«

»Unmöglich, Du weißt ...«

»Richtig, ich vergaß Sennora Carmen und daß Du jetzt für Deine Ritterthat Hahn im Korbe bist und den Lohn beanspruchen kannst.«

»Carmen – wer ist Carmen?«

»Cap de Bioux! ich dachte nicht daran, daß Du von der Geschichte Nichts weißt. Ich habe keine Zeit, sie Dir zu erzählen, denn ich muß jetzt nach meiner Wohnung und dann in das Hotel des Fürsten Czartoriski. Nur so viel kann ich Dir sagen, mein Junge, daß wir merkwürdiger Weise auch hier Nebenbuhler gewesen sind, wie bei meiner kleinen Frau, und daß, wenn ich Dich da ausgestochen habe, Du Dich jetzt bei Mademoiselle Rositta oder Carmen oder wie die schöne Marquise sich sonst nennen will, vollkommen revangirst.«

»Ich begreife keines Deiner Worte. Rositta – Carmen – die Marquise – ?«

»Ist vorläufig auch nicht nöthig, nur so viel laß Dir sagen, daß Du keinen schlechten Geschmack hast und daß das Schicksal in der That oft wunderlich spielt. Ich scheine zum Paladin für alle flüchtigen Schönen bestimmt, das heißt, ihr Entwischen vorzubereiten und dann im Stich gelassen zu werden. Nun – das eine Mal hat mir zu einer Frau verholfen und mich etwas vernünftiger gemacht. das andere Mal wird Dir vielleicht zu einer Frau verhelfen. In jedem Fall versprich mir, Dich morgen hübsch zu Hause zu halten und Dich nicht in Dinge zu mischen, die Dich Nichts angehen. Beruhige meine kleine Elise und bitte sie in meinem Namen, die heutige Nacht und den morgenden Tag in Eurem Hôtel zuzubringen, bis sie wieder von mir hört. Und wenn Du Mademoiselle Rositta siehst, so sage ihr, der Kapitain François Laforgne hätte ein treues Auge für seine Freunde und wäre noch heute wie damals, als er am Teich von Auteuil der schönen Marquise von Massaignac sein Wort gab, ihr beizustehen, – bereit, dies Wort mit Kopf und Hand zu lösen. Hier ist die Rue du Faubourg Montmartre, die Dich direkt nach Saint Georges führt und nun lebe wohl und Gott gebe – auf ein glückliches Wiedersehen!«

Er drückte dem Freunde die Hand – dieser versuchte vergeblich ihn festzuhalten.

»Ein einziges Wort noch, François – wenn der spanische Graf morgen seinen Secundanten schickt –«

»Caramba – so schieß ihn nieder, wenn er solche Eile hat, Du thust Dir und der schönen Carmen-Rositta den besten Dienst. Uebermorgen suche ihn andernfalls auf der Straße nach Spanien!«

Er war verschwunden; – betäubt, verwirrt von all' den Abenteuern des Abends und dem Gehörten rief der junge Preuße den nächsten Fiacre an und ließ sich nach dem Hôtel in der Rue Saint Georges fahren.


Don Alvaro hatte am Abend, sogleich nachdem er seine Wohnung betreten, ein Billet geschrieben und abgesandt.

Es war an den Marquis von Massaignac, den Gatten Cora Miron's gerichtet und lautete:

»Lieber Marquis!

Wenn Sie heute den Cirque Napoleon besucht hätten, wie ich, im Gefolge meiner sehr hochmüthig werdenden Cousine, würden Sie ein sehr merkwürdiges Schauspiel gesehen haben.

Das kommt aber davon, wenn man der Rival gekrönter Häupter sein will und nur Augen und Zeit hat für die kleine Pierrefond!

Das Testament des Herrn Obersten Marquis von Massaignac, der so zu rechter Zeit auf dem Marsfeld erschossen wurde, scheint den Gerichtshöfen von Paris nicht mehr viel Sorge machen zu sollen. Der zweite der drei Erben hat sich wieder gefunden.

Wenn der Herr Senateur von Massaignac Sehnsucht empfindet, seine verloren gegangene Schwester Carmen zu finden, um mit ihr die Reichthümer der Estancias von Montevideo zu theilen und ihr Rechenschaft abzulegen über deren Verwaltung seit fünf Jahren, wird er nur nöthig haben, sich die Adresse der berühmten Kunstreiterin Rositta zu erbitten.

Das Erkennen war gegenseitig, und zwar in einem famosen Augenblick. Ich glaube, auch die Kaiserin hat meine durchgegangene Verlobte wieder erkannt, denn es beliebte ihr, mich sehr unsanft anzulassen, für den kleinen Versuch, einen gewissen Don Alvaro Guzman de Montijo an einer sehr widerspenstigen und abenteurenden Schönen zu rächen und seinem Freunde das Vermögen der Massaignacs ungetheilt zu erhalten.

Genug, Carmen ist in Paris, die Kunstreiterin Rositta und sie sind eine Person. Daß sie so offen aufzutreten wagt, beweist, daß sie sich unter gutem Schutz weiß.

Leider ist unser guter Freund, Monsignore Corpasini nicht in Paris. Indessen befindet sich der Abbé Larivière hier und das Kloster der Schwestern du sacré coeur hat immer noch Raum für eine hartnäckige Sünderin.

Ich erwarte Sie morgen so zeitig als möglich, auch wegen einer anderen Angelegenheit. Es gilt, wenn es nicht zu umgehen ist, einen Degenstoß gegen einen Verehrer Ihrer schönen Schwester.

Auch der Bursche, der tolle Garibaldien, den wir vor fünf Jahren in Verdacht hatten, Ihre Schwester entführt zu haben, befindet sich hier. Der Satan hat die ganze Gesellschaft zusammen geführt.

Der Name des Garibaldien ist mir entfallen – wie hieß er doch? ich habe Pietri auf ihn gehetzt.

Komm Sie bald, ich erwarte Sie!«

Es war noch nicht zehn Uhr, eine Stunde, zu der das fashionable Paris sich gewöhnlich erst aus den Federn erhebt, – als der Senator Massaignac höchst erregt von der erhaltenen Nachricht in das Boudoir des Spaniers trat.

Don Alvaro kam ihm mit einem zweiten Briefe entgegen.

»Lesen Sie!«

Das Billet war von dem Polizei-Präfecten selbst, aber vorsichtig ohne Unterschrift, die Nachricht aber wichtig genug.

Der Marquis las folgende Nachrichten:

»Graf Montijo wird benachrichtigt, daß eine sehr hohe Person die Kunstreiterin heute Abend vor der Oper insgeheim in ihren Privatgemächern empfangen wird. Oberst Graf M. ist beauftragt, sie dahin zu führen.

Was den unangenehmen Streit des Herrn Grafen Montijo betrifft, so wird er 24 Stunden verschwiegen bleiben. Gegen den preußischen Edelmann und seine Familie läßt sich Nichts thun. Die Identität der anderen Person ist bisher nicht zu ermitteln gewesen.« Der Marquis knitterte erblaßt das Billet zusammen.

»Das wäre ein verdammter Streich! was ist da zu thun? – Und was ist es mit diesem Streit?«

»Ein Fremder, ein Deutscher, hat es gewagt, mich um Ihrer Schwester willen zu beleidigen. Ich muß ihn fordern, und deshalb bat ich Sie, zu kommen.«

»Sein Name?«

»Hier steht er, auf dieser Karte. Der Henker mag diese kauderwälschen Namen behalten.«

»Otto von Reubel,« las der Marquis – »der Name ist mir bekannt! Richtig, das ist die Familie, für welche mein Großvater in seinem Testament verrückter Weise das Legat ausgeworfen, auf das bis jetzt keine Ansprüche erhoben worden sind. Sie führen eine ausgezeichnete Klinge, Alvaro, so gut wie Grisi selbst, und ich hoffe, Sie werden die Sache mit einer hübschen Quart ein für alle Mal zu Ende bringen. Es ist wahrscheinlich Derselbe, der vor acht Jahren die Hand bei der Geschichte mit meinem unglücklichen Schwager im Spiel hatte.«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß er mit dem Burschen zusammen ist, der schon auf der Hacienda Ihres Vaters, als er fast noch ein Knabe war, mir entgegen zu treten wagte und hier sicher die Hand bei dem noch immer räthselhaften Verschwinden Carmens im Spiel hatte, obschon er Nichts davon wissen wollte, als er mit seinem langen Schlagtodt, dem amerikanischen Diener am andern Tage aus der Haft entlassen wurde. Sie erinnern sich – es war Canroberts wegen!Zehn Jahre. III. Band. Ein Ball in den Tuilerien. Carajo – daß ich bei meinen schlechten Namensgedächtniß auch auf den fatalen Namen nicht kommen kann!«

»Ei ich erinnere mich dessen sehr gut – der Abenteurer nannte sich Kapitain Laforgne, François Laforgne!« sagte der Senator hämisch. »Sie waren damals sehr eifersüchtig auf ihn wegen Carmens und haben damit meine eigenen Absichten gestört.«

»Einen Augenblick« unterbrach ihn der Spanier. »Es ist nöthig, daß ich Herrn von Pietri sofort den Namen melde. Mit dessen Hilfe wird er dem Burschen leicht auf die Spur kommen und uns von ihm befreien, denn seine Anwesenheit steht sicher mit dem Erscheinen Carmens in Verbindung.«

Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb ein kurzes Billet, das er siegelte und sofort durch seinen Kammerdiener fortschickte.

Dann kehrte er zu der Unterhaltung mit dem Marquis zurück.

»Lassen Sie uns nun bedenken, Massaignac« sagte er finster, »was wir zu thun haben. Sie wissen, wir waren damals, als ich der Verlobte Ihrer Schwester war, keine besonderen Freunde, weil Sie, – klar herausgesprochen – das Vermögen derselben lieber selbst behalten wollten, als es einem Dritten überlassen.«

»Sie gehen zu weit, Freund – ich glaubte nur...«

»Daß sich Carmen ganz vortrefflich für irgend ein in dem Anspruch auf Mitgift mäßiges Kloster eignen würde, um dort alle Tage für die Seele ihres so unglücklicher Weise und Ihnen zu so gelegener Zeit erschossenen Vaters zu beten. Sie werden sich erinnern, daß sein Tod damals von einigen eigenthümlichen, niemals ganz aufgeklärten Umständen begleitet gewesen ist und daß Sie leider selbst damals das Unglück hatten, die Ordre zur Füsilirung der Gefangenen nach dem Marsfelde zu überbringen.«Zehn Jahre. III. Band. Der 2. December.

Eine fahle Blässe überzog das Gesicht des Marquis. »Sie haben Recht – es war ein schreckliches Unglück!«

Seine Augen irrten ruhelos in dem Zimmer umher.

»Sie heißen ja wohl Guzmann, wie ich, lieber Freund?«

»Ja wohl – ich dächte, Sie wissen das, Graf!«

»Ich erinnerte mich blos, daß jener Vagabond, der mir das Rendezvous zwischen Ihrer Schwester und dem Abenteurer Laforgne verrieth und den ich dafür in meine Dienste genommen hatte, bis er es für gut fand, mit meiner Uhr und einigen anderen Werthsachen zu verschwinden, mir bei einer Gelegenheit erzählte, er sei an jenem Unglückstage auch auf dem Marsfeld gewesen und habe zufällig gesehen und gehört, wie ein alter stattlicher Herr einem jungen Offizier zu Pferde ein Papier übergeben und ihn dabei Guzmann genannt hat.«

Die Farbe wechselte in fliegenden Schatten auf dem widerwärtigen Gesicht des reichen Erben, er hatte offenbar alle Fassung verloren.

»Um Gotteswillen – Sie werden doch nicht etwa glauben ...«

»Ich glaube Nichts, lieber Senator und weiß Nichts. Ich erinnere mich ebenfalls nur, daß später von einer Begnadigungsordre die Rede war, die der Präsident einem alten Soldaten für seinen mitverurtheilten Sohn bewilligt hatte, und daß Herr Louis Napoleon, mein hochverehrter Vetter und jetziger Kaiser der Franzosen anscheinend sehr unwillig war, daß irgend einer seiner alten Freunde mit dem Leierkasten aus Versehen erschossen worden war. Sie wissen, lieber Marquis, ich liebe diesen hochverehrten Vetter und Kaiser keineswegs so überschwänglich, um ihm das Vergnügen zu machen, vielleicht an einem Prozeß à la Praslin seine Unparteilichkeit und Gerechtigkeit vor aller Welt zu zeigen. – Genug, liebster Senator, die Sache ist bloß eine zufällige Erinnerung und geht uns vorläufig Beide Nichts an. Sie wissen, daß wir seit der Flucht Ihrer schönen Schwester die besten Freunde sind, was Sie auch früher gegen mich haben mochten!«

Der unnatürliche Sohn trocknete sich mit dem Taschentuch die dicken Schweißperlen ab, die seine Stirn bedeckt hatten. »Gewiß, gewiß! Auf meine Ehre, Graf, Sie haben keinen wärmeren und aufrichtigeren Freund als mich. Wenn Sie die undankbare Landläuferin, meine Schwester, noch haben wollen, Tod und Teufel, ich will sie zwingen, daß sie nicht wagen soll, den geringsten Widerstand zu leisten!«

»Lentamente! Lentamente!« sagte spöttisch lächelnd der Graf. »Vor allen Dingen müssen Sie sich doch erst überzeugen, ob ich überhaupt noch Lust habe, Sennora Carmen nach der langen Irrfahrt zur Gräfin Montijo zu machen.«

»Wie Freund – ich glaubte, Sie liebten meine Schwester?« »In der That – Sie haben sich nicht geirrt, aber jetzt –«

»Nun!«

»Jetzt hasse ich sie!«

Der Senator sah ihn angstvoll an. »Aber bedenken Sie, Graf, – sie ist eigentlich noch immer eine gute Partie. Ihr Vermögen beträgt fast eine Million!«

»Ich weiß, daß es mehr als zwei Millionen beträgt« sagte mit verächtlichem Achselzucken über die habsüchtige Spekulation seines Genossen selbst nach der eben erhaltenen Lektion der Spanier. »Aber Sie sind ein Feigling, Massaignac und deshalb wissen Sie nicht, was Rache heißt! – Ich will mich an Carmen, Ihrer Schwester rächen, verstehen Sie mich? und deshalb überliefere ich sie in Ihre Hände, damit Sie Ihre frühere Absicht ausführen!«

»Ich verstehe Sie nicht ganz, Freund« baute besorgt der Erbe vor. »Wenn die Kaiserin wirklich Carmen ihren Schutz zuwendet – immer vorausgesetzt, daß Sie sich nicht irren und die Kunstreiterin wirklich die Verschwundene ist, was können wir dann thun?«

»Ich werde Ihrer Majestät meiner hochweisen Cousine dafür, daß sie sich in meine Angelegenheiten mischt, eine Pille zu schlucken geben, an der sie vollkommen genug haben wird. Haben Sie noch die Briefe, die Sie der Pierrefond entwendet haben?«

»Um Himmelswillen, was wollen Sie damit? Das sind zu gefährliche Dinge!«

»Nicht für uns, die wir keine Tölpel sind. Ich muß sie bis Mittag haben, um einen auszuwählen. – Und nun hören Sie, denn die Zeit drängt, und wir haben Manches zu thun. Hinter diesen Herrn Laforgne ist jetzt Signor Pietri gehetzt und er wird uns sicher nicht in den Weg kommen. Mit dem andern Burschen, einem jungen Laffen, will ich schon selbst fertig werden, wenn die Polizei sich ihn nicht vorher langt. Hier ist seine Karte, Sie werden sogleich bei ihm vorfahren, und ihm meine Forderung überbringen. Morgen früh 9 Uhr in Bois de Boulogne, bestimmen Sie das Nähere nach Belieben. Sennora Carmen Rositta wird morgen keinen galanten Ritter mehr haben, der ihre Reiterkünste unterstützt, aber ich denke, sie wird ihn auch nicht mehr brauchen, denn noch diesen Abend wird sie in unsern Händen sein!«

»Das ist unmöglich!«

»Es wird möglich sein! Wäre Monsignore Corpasini hier, so wäre die Sache leichter. Aber auch so wird sie gehen. Wie viel von dem Vermögen Ihrer werthen Schwester bestimmen Sie der Kirche?«

»Bester Freund – ich will sie ganz anständig ausstatten – gewiß, – aber ich denke, sie braucht ja nicht gerade in eines der anspruchvollsten und renommirtesten Klöster zu treten, – vielleicht in der Provinz, wo man weniger fordert!«

»Ich habe Nichts dawider,« sagte der Spanier hämisch, »daß Carmen sich in das Gelübde der Armuth fügen soll, da es mit dem der Keuschheit nach einer fünfjährigen Irrfahrt wahrscheinlich etwas zweifelhaft aussieht. Aber vergessen Sie nicht, lieber Marquis, daß wir die Hilfe der Kirche brauchen und diese ihren vollen Antheil haben will. Also bequemen Sie sich immerhin zu einem Drittel und wenn Sie das Vermögen Ihrer Schwester zu zwei Millionen rechnen, wird das ungefähr 6 bis 700 000 Franken betragen!«

Der Senator that einen tiefen Seufzer. »Es ist empörend« sagte er kläglich, »was diese Kirche für einen weiten Magen hat! Wenn man dann nur wenigstens ganz sicher ist vor allen weiteren Ansprüchen!«

»Das zweite Drittel ...«

Der Marquis sprang von seinem Stuhl auf. »Wie, Freund – ich dächte es wäre an dem einen genug! Ich habe mit den Nachforschungen nach der verlaufenen Dirne so viele Kosten gehabt und bin ohnehin in dem Testamente betrogen!«

»Das zweite Drittel,« fuhr der Graf fort, »bleibt natürlich Ihnen!«

»Aber der Rest – der Rest! ich bitte Sie, lieber Freund – Sie quälen mich!«

»Sollten Sie nicht einige Wechsel von einem Ihrer Freunde, einem gewissen Don Alvaro Guzman de Montijo aufbewahren, die Sie von den Juden der Koulisse in freundlicher Besorgniß für seine Ehre gekauft haben?«

Der Senator erröthete und sah sehr verlegen zu Bogen. »Es ist allerdings wahr, lieber Freund – Sie wissen, ich mache zuweilen einige kleine Geschäfte an der Börse, – es rührt dies von meinem Schwiegervater her und überdies macht ja jetzt alle Welt Börsengeschäfte, auch Morny! Aber es war allein, weil ich einen hochstehenden Namen nicht in den Händen schmutziger Jobber lassen wollte, daß ich einige Ihrer Wechsel eingelöst habe.«

»Alle, lieber Freund,« lächelte der Spanier. »Wenn meine Notizen richtig sind,« er nahm ein kleines Portefeuille aus einem Fach des Schreibtisches und öffnete dasselbe, – »so sind es sieben Wechsel in dem lumpigen Betrage von 156 000 Franken.«

»Ich glaube – es ist die Summe!« stammelte der Senator verwirrt.

»Sie werden also dabei immer noch ein vortreffliches Geschäft machen, denn ich glaube kaum, daß Sie hunderttausend Franken dafür gegeben haben. Diese nichtswürdigen Wucherer schinden den Adel förmlich! Gerade wie damals, als Sie das erste Mal meine kleinen Schulden unter der Hand hatten zusammenkaufen lassen, weil Sie gehört hatten, daß Madame Eugénie, meine schöne Cousine dieselben bezahlen wolle.«

Der edle Marquis mit dem schönen ruhmvollen Namen aus der Kaiserzeit sah kläglich zu dem Peiniger auf. »Ich glaubte Ihnen einen Dienst zu leisten, lieber Freund, – gewiß – Sie werden mich nicht unbillig finden wegen der Wechsel, ich ... ich will nur rechnen, was ich baar bezahlt – auf Ehre ... wir wollen uns arrangiren!«

»Es wird um so nöthiger sein, als meine werthe Cousine diesmal sich schwerlich bequemen wird, meine Kassirerin zu machen« sagte der Graf kalt, »namentlich nach dem kleinen Auftritt im Circus!«

Der vornehme Speculant starrte ihn an. »Um Himmelswillen – Sie glauben doch nicht, daß diese Ungnade ...«

»Von längerem Bestand sein wird? Allerdings lieber Senator – ich bin dessen ganz gewiß und deshalb entschlossen, mich zu arrangiren. Sie sollen Nichts verlieren dabei. Sie wissen aus unserer Unterhaltung, daß ich in Spanien ein Gut besitze, das Erbgut der Montijo – in der Provinz Valencia!«

»Sie haben mir davon gesprochen!«

»Ihro Majestät die Königin Isabella hat seit der Heirath meiner verehrten Cousine den Sequester auf das Besitzthum der verbannten Mitglieder ihrer Familie aufgehoben und hier sind die Urkunden über mein Eigenthumsrecht.«

»Aber was hat das Alles mit den Wechseln und Carmen zu thun? Wollen Sie denn nach Spanien zurückkehren?«

»Ich denke nicht daran! Aber ich will Ihnen einen vortrefflichen Handel vorschlagen. Wenn Sie zurückkommen von diesem Herrn de Reubel, wollen wir uns auf dem Boulevard im Café Anglais treffen und dann zu meinem Notar fahren. Sie haben 150 000 Franken für mich ausgelegt, ich verkaufe Ihnen mein spanisches Gut Montijo für 800 000 Franken und Sie zahlen mir den Rest mit 650 000 baar oder in Wechseln aus. Sie machen da ein ganz vortreffliches Geschäft!«

Der junge Marquis saß einige Augenblicke wie niedergedonnert da, ehe er sich nur zu einer Antwort aufraffen konnte. »Aber zum Henker, das Nest, das Sie mir anbieten, ist noch keine tausend Franken werth. Ich habe sichere Erkundigungen darüber – ein alter Trümmerhaufen in irgend einer steinigen Sierra!«

»Ich sehe, welchen großen Antheil Sie an mir genommen. Der Preis des Gutes liegt auch keineswegs in dem materiellen Werth – aber bedenken Sie die Ehre – das Stammgut Ihrer Majestät der Kaiserin von Frankreich!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich ein solcher Narr wäre,« platzte der Senator heraus. »Das hieße ja mein Geld gradezu zur Thür hinaus werfen! Was geht mich das Stammgut der Kaiserin von Frankreich an!«

»Gewiß sehr wenig, lieber Freund,« erwiderte kalt der Spanier. »Ich erinnere mich, daß Sie keine besonderen Sympathien für die Familie Bonaparte haben können, wie Ihr leider so unglücklich verstorbener Vater, der Herrn Louis Napoleon eine Million gesandt haben soll zur Kandidatur für die Präsidentschaft. In der That, der Kaiser hat dieser Freundschaft eigentlich schlecht gedankt, indem er keine strengeren Nachforschungen über die Ursachen des Todes des seligen Herrn Marquis von Massaignac anstellte.«

Das häßliche Gesicht des Erben, des Sohnes und Mörders des alten napoleonischen Kriegers spiegelte alle Farben bei dieser so ominösen Erinnerung.

»Siebenmalhunderttausend Franken – es ist unbillig für ein spanisches Steinfeld, auf dem höchstens ein Paar Ziegen Futter finden. Hören Sie, Graf, – sein Sie vernünftig – Sie sollen die Wechsel zurück haben!«

»Glauben Sie, einen Bettler vor sich zu haben? ich will Nichts von Ihnen geschenkt, sondern habe Ihnen einen Kauf vorgeschlagen. Aber da wir nicht Handels einig werden, ist es besser, ich wende mich direkt an den Kaiser und – wenn ich ihn nur ein wenig zu interessiren verstehe – wird er sicher Ihre Wechsel einlösen. Haben Sie die Güte, Marquis, jetzt den Auftrag an den Preußen auszuführen.«

»Und Sie wollten wirklich sich an den Kaiser wenden?«

»Warum nicht, da mich meine Cousine im Stich läßt!«

»Aber Sie werden von keinen andern Dingen mit ihm sprechen?«

»Da wahrscheinlich von Ihrer Schwester die Rede sein wird, sehe ich nicht ein, wie man die Erinnerungen an den seligen Herrn von Massaignac wird vermeiden können.«

Der würdige Sohn lief wie ein Verzweifelter in dem Salon auf und ab und schlug sich wiederholt vor die Stirn.

»Nehmen Sie Dreimalhunderttausend für den Steinhaufen!«

»Ich wiederhole Ihnen, Sie beleidigen mich und meine Familie!«

»Aber – wenn nun das Duell einen unglücklichen Ausgang nehmen sollte?«

»Zum Henker – dann mag aus Montijo werden, was da will! Damit Sie sehen, daß ich Sie nicht drängen will, soll der Contrakt erst morgen Mittag in Gültigkeit treten!«

Der Sohn des Haciendero begriff, daß er sich fügen müsse, und die Aussicht auf einen ihm günstigen Ausgang des Duells beruhigte ihn einigermaßen.

»Werden Sie mich wenigstens von weitern Ansprüchen dieser liederlichen Dirne befreien?«

»Mein Wort darauf!«

Der würdige Genosse des Spaniers stieß einen tiefen Seufzer aus. »So mag es denn sein – ich werde das Gut kaufen! erwarten Sie mich im Café Anglais!«

»Gut – ich wußte es im Voraus, daß Sie Lust haben würden, spanischer Grand zu werden und in den Cortes zu sitzen. Aber jetzt beeilen Sie sich, lieber Marquis, denn ich möchte diesen preußischen Junker nicht warten lassen. Ich bitte, vergessen Sie auch die Briefe der Pierrefond nicht!«

Der Senator hatte sich erhoben und machte sich bereit, den theuren Freund zu verlassen. In der Thür blieb er noch einmal stehen.

»Sie glauben also, daß wir uns heute Abend schon die Dirne vom Halse schaffen können?«

»Ich hoffe es!«

Der vortreffliche Bruder rieb sich vergnügt die Hände. Wenn das Glück ihm wohl wollte, konnte er mit einem Schlage Beide los werden, die Schwester mit ihren Erbansprüchen durch die Rachsucht des Spaniers, diesen selbst am andern Morgen durch die Chancen des Duells.

»Verlassen Sie sich ganz auf mich, Freund, ich werde Alles aufs Beste ordnen. Unterdeß treffen Sie Ihre Anstalten!«

Er ging. Der Graf sah ihm mit einem Blick nach, der Bürgschaft gab, daß er den Charakter seines Genossen vollkommen zu würdigen verstand.


Als der Marquis von Massaignac in dem kleinen Hôtel der Rue St. Georges eintraf, fand er vor der Thür desselben eine glänzende Equipage halten, und als er seine Karte an den jungen preußischen Edelmann schickte, wurde er ersucht, einige Augenblicke in das Zimmer desselben zu treten, da Otto von Röbel sich eben bei den Damen befand.

Hätte der Senator geahnt, wer in jener Equipage gekommen und sich eben im Kreise der Familie befand, er würde schwerlich von seiner Mission, die ihn von einem gefährlichen Freunde befreien konnte, so befriedigt gewesen sein.

Eine Viertelstunde vorher war die Kunstreiterin Rositta in Begleitung ihres alten Freundes, des maurischen Arztes, vor dem Hôtel vorgefahren, und hatte Frau von Röbel um die Erlaubniß bitten lassen, ihr einen Besuch zu machen.

Obschon die Stimmung der Familie sie wenig zum Empfange von Besuchen willig machte, – denn Rosamunde war noch immer leidend und die kleine Kapitainsfrau voll Besorgniß über das Ausbleiben jeder Nachricht von ihrem Gatten, auch Frau von Röbel in den Vorurtheilen ihres Standes ohnehin nicht geneigt zum persönlichen Verkehr mit den Damen von der Kunst – ließ ihre Herzensgüte doch eine Abweisung nicht zu; denn sie fühlte, wie sehr es das junge Mädchen schmerzen müßte, ihren Dank kalt zurück gewiesen zu sehen. Daß sich die Sennora damit zuerst an sie wandte, statt an den jungen Mann selbst, erregte überdies von vorn herein eine günstige Stimmung für sie und das Wesen des Doktors, welcher den Boten der Dankenden machte, hatte etwas so Ernstes und Würdiges, daß es ihr unmöglich gewesen wäre, seine Bitte abzuschlagen.

Einige Augenblicke nachher führte der Doktor Achmet die schöne Kunstreiterin in den Salon, in dem die Familie versammelt war.

Sennora Rositta trug ein Kleid von schwarzer Seide mit dem Rebozo, ohne weiteren Schmuck als eine einfache goldene Kette und eine gleiche Spange um das feine Handgelenk ihres rechten Armes, deren Medaillon ein Veilchenbouquet von Emaille zeigte. Eine gleiche Broche und Ohrgehänge schmückten Brust und Hals und in ihrer Hand hielt sie ein Bouquet von frischen Veilchen.

Die Kunstreiterin ging mit der Ruhe und eleganten Haltung einer vornehmen Erziehung und zugleich mit der Bescheidenheit eines jungen Mädchens auf die ältere Dame zu, nahm ihre Hand und küßte sie, ehe Frau von Röbel es verhindern konnte.

»Madame,« sagte sie bewegt, »nächst dem Schutz der heiligen Jungfrau verdanke ich dem Muth und der edlen Aufopferung Ihres Herrn Sohnes ein Leben, das, so unbedeutend es auch ist, doch für einen alten und treuen Freund einigen Werth hat. In seinem und meinem Namen komme ich zu Ihnen, Madame, um Sie zu bitten, die Fürsprecherin meines Dankes bei dem Retter dieses Lebens zu sein!«

Die Edelfrau sah mit einem gewissen Erstaunen, aber zugleich mit einer rasch entstehenden warmen Theilnahme auf das schöne Mädchen; denn jener feine Instinkt, welcher das Talent edler Frauen ist, ließ sie sogleich erkennen, daß sie hier nicht mit einer der gewöhnlichen Naturen zu thun habe, welche in der Athmosphäre des öffentlichen Beifalls, sei es auf den Brettern oder in der Manege ihre höchste Aufgabe suchen und deren äußerer bestechender Glanz so häufig die bloße Tünche für Gewöhnlichkeit oder Rohheit ist.

Frau von Röbel ließ freundlich ihre Hand dem schönen Besuche.

»Wenn Sie dem Dienst, den mein Sohn Ihnen leisten konnte, und der Gott sei Dank, so glücklich für ihn abgelaufen ist, einigen Werth beilegen, Mademoiselle,« sagte sie mild, »so erinnern Sie sich, daß Gott Ihnen das Leben und diese schöne Gestalt nicht gegeben hat, damit Sie beide selbst in Ihrer Kunst in frevlen Wagnissen auf das Spiel setzen. Es sollte mir herzlich leid thun, wenn ich später einmal hören müßte, daß Ihnen ein Unglück zugestoßen sei!«

Die Kunstreiterin sah der alten Dame fest und klar in's Auge. »Madame,« sagte sie ernst, »ich verspreche Ihnen, nie mehr jenes Wagniß zu unternehmen, obschon der gestrige Ausgang nur die Folge einer niederen Bosheit war. Sein Sie versichert, daß ich jene Schaustellung einer Kunst, die in meiner Heimath das Eigenthum jedes Kindes ist, nicht aus Eitelkeit und Uebermuth treibe und daß ich den Heiligen danken werde, wenn ich sie nicht mehr nöthig habe. Und jetzt, Madame, erlauben Sie mir, diese Blumen meinem Lebensretter anzubieten, als das einzige Geschenk, was ein Mädchen in meiner Lage zu machen wagen kann!«

Und jetzt zum ersten Mal, seit sie den Salon betreten, richtete die Kunstreiterin ihr großes schönes Auge auf den jungen Mann, der hinter der Causeuse stand, auf der seine Schwester ruhte, und einen Schritt auf ihn zutretend, überreichte sie ihm mit einer leichten Verneigung den Veilchenstrauß.

Otto von Röbel hatte verlegen und befangen der Scene beigewohnt. Er hätte sich gern entfernt, aber er fühlte, daß dies nicht ging und sein Herz schlug fast hörbar, indem er die schöne stolze Erscheinung, die er bisher nur im blendenden Licht der Glasflammen, auf feurigem Roß, umrauscht von dem Beifall der Menge bewundert hatte, jetzt so mädchenhaft fromm und fast demüthig vor sich sah.

Und als sie jetzt sich ihm näherte und bei der Ueberreichung des Bouquets, dessen Bedeutung nur ihm verständlich war und ihn wie ein Rausch überkam, ihre Hand mit dem feinen duftigen Handschuh die seine berührte, da durchbebte es ihn auf's Neue wie gestern bei der magnetischen Kreuzung ihrer Blicke, und er wußte, daß er sein Herz verloren habe, um ein Herz zu gewinnen.

Es waren nur wenige Worte, die Rositta dem jungen Mann sagte, dann mit dem Takt edler Weiblichkeit wandte sie sich wieder zu den Frauen, die alle drei sichtbares Gefallen an ihr fanden und sie einluden, in ihrer Mitte Platz zu nehmen, während der Mohrendoktor den jungen Mann ansprach und seinen flüchtigen Dank von gestern in warmen herzlichen Worten wiederholte.

Es schienen in der Kunstreiterin zwei Naturen vereinigt, so ganz anders erschien sie hier dem Kreise bescheidener und edler Weiblichkeit sich anschmiegend, während auf dem Sattel ihres Rosses sie ganz die kühne, freie, stolze ja übermüthige Amazone war.

Welches war der wahre Charakter dieses schönen und räthselhaften Wesens? war es die gewandte Herrschaft einer Künstlerin über sich selbst, oder hatte der Ernst des Lebens einer ursprünglich übermüthigen, starken und freien Natur auch Milde und Demuth gelehrt?

Der junge Mann wußte nicht, wie sehr er mit diesen Gedanken, diesen unbestimmten Empfindungen die Wahrheit getroffen hatte. Aber er begriff mit tiefer innerer Befriedigung, daß die schöne Fremde, die bei aller mädchenhaften Bescheidenheit sich doch so sicher und mit dem Takt der besten Erziehung und Gesellschaft bewegte, nicht eine der gewöhnlichen mit glänzender Tünche bestechenden aber profanen Erscheinungen sein konnte, welche das sogenannte Künstlerthum bietet, und daß ihre Vergangenheit nicht in der Manège eines Circus gelegen haben konnte.

Dem wohlthuenden sonoren Klang ihrer jetzt zum ersten Mal gehörten Stimme, dem heiteren Lachen lauschend, mit der sie den Frauen die kleinen Scenen und Rivalitäten des freien Künstlerlebens beschrieb, mußte er sich Gewalt anthun, dem Gespräch zu folgen, in das ihn der Begleiter der Dame verwickelt hatte, so sehr dessen ruhiges schwermüthig ernstes Wesen und das Fremdartige, was in seiner Erscheinung und selbst seiner Sprache lag, ihn auch anzog.

Der Mohrendoktor sprach zu ihm von seiner eigenen Heimath, Preußen, an der er einen großen Antheil zu nehmen schien, und erzählte ihm, daß er selbst in seiner Jugend während des Bürgerkrieges der Karlisten und Christinos einen preußischen Edelmann habe kennen lernen, dem er die Rettung seines Lebens, als er in die Hände fanatischer Gegner gefallen war, zu verdanken gehabt.

»Haben Sie seinen Namen behalten?« antwortete der junge Mann hingeworfen – »vielleicht ist seine Familie mir bekannt.«

»Er ist todt,« sagte der Moriske traurig. »Sein Name stand unter den Ersten und Edelsten in seinem Vaterlande, es war der Principe Don Felicio Lichnowski!«

»Der unglückliche Fürst Lichnowski? Derselbe, der in Frankfurt von einer Rotte Bösewichter ermordet wurde?«

»Ich habe gehört, daß er dennoch ein Opfer seiner Kühnheit bei einem Aufstand geworden, nachdem er ihm doch in Barcellona glücklich entgangen war. Ich war damals in dem Land, aus dem meine Väter stammen, in Afrika!«

Der Ausruf des jungen Mannes hatte die Aufmerksamkeit der Frauen erregt und sie wandten sich zu der Unterhaltung der Männer.

»Wenn Sie den Fürsten gekannt haben und so aufrichtigen Theil an seinem Schicksal nehmen, mein Herr,« sagte Otto von Röbel, »dann wird es Sie interessiren, zu hören, daß meine Mutter und meine Schwester an seinem Sterbebett waren und dem Unglücklichen die letzten Dienste leisteten!«Villafranca II. Band.

Der Doktor wandte sich lebhaft erregt zu den beiden Frauen.

»Mein Himmel, welche Aussicht eröffnet sich mir hier! Halten Sie mich nicht für neugierig oder zudringlich, meine Damen, wenn ich Sie frage, ob Sie sich alles Dessen erinnern, was an jenem Sterbelager vorging, was der Unglückliche sprach?«

»Die Scene war eine zu traurige, als daß sie je unserm Gedächtniß entschwinden könnte,« sagte die alte Edeldame. »Noch jetzt, nach zehn Jahren, erinnere ich mich deutlich aller Einzelheiten und Rosamunde weiß noch jedes Wort, denn sie war am nächsten bei ihm.«

Der maurische Arzt schien einen kurzen Kampf in seinem Innern zu bestehen – dann wandte er sich an das Fräulein.

»Erinnern Sie sich vielleicht, ob der Fürst in den Fieberphantasien einen Namen nannte – den Namen einer Frau ...«

»Der Unglückliche war, so lange ich um ihn blieb, bei voller Besinnung. Dennoch ...«

»Sprechen Sie; ich beschwöre Sie, Sie ahnen nicht, von welcher Wichtigkeit die Nachricht für mich ist!«

»Der Fürst,« sagte das Fräulein zögernd, »hat allerdings mehrmals leise vor sich hin, wie im Gebet oder als eine Erinnerung zwei Namen genannt, aber ich weiß nicht, ob ich berechtigt bin, die Geheimnisse eines Sterbenden einem Fremden zu wiederholen.«

»Ich ehre Ihre Rücksicht, aber ich glaube Sie genügen ihr vollständig und zugleich meinem Wunsch, wenn Sie mir sagen wollen, ob der Name darunter ist, den ich Ihnen nennen will?«

Das Fräulein von Röbel nickte zustimmend.

Der Arzt beugte sich zu ihr nieder, »Ximene?« flüsterte er.

»Es war der Name!«

Der Moriske preßte die Hand auf das Herz. »Arme Schwester!« sagte er leise. »Du bist jetzt vereint mit ihm im Himmel. Aber ich habe noch immer Deinen Schatten zu sühnen und Dein Kind zu suchen. – Fräulein,« fuhr er zu Rosamunden fort, »Sie haben mir einen großen Trost gewährt, wichtiger, als Sie denken; denn Sie haben das Andenken des Mannes, dem ich mein Leben schuldete, von einem schweren Vorwurf gereinigt. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht näher darüber aussprechen kann – das Grab deckt längst jene Verhältnisse, die Ihnen ohnehin gleichgültig und unbekannt sind. Aber ich bitte Sie, mir noch eine Frage zu beantworten, wenn es Ihnen möglich ist.«

»Gern, mein Herr!«

»Hat der Fürst auf seinem Sterbebett irgend Jemandem noch sein Vertrauen geschenkt oder Aufträge hinterlassen?«

»Wir sind nur so lange bei ihm gewesen, bis man ihn aus der Bethmann'schen Villa nach dem Hospital am Bleichgarten brachte. – Dort hat er der letzten Pflicht genügt und kurz vor seinem Tode einen Priester seines Glaubens empfangen.«

»Und wissen Sie zufällig den Namen desselben? Es ist möglich, daß wir binnen Kurzem nach Deutschland kommen, und ich möchte ihn aufsuchen.«

»Ich habe durch einen Zufall gehört, daß es kein Geistlicher aus Frankfurt gewesen ist, sondern ein unbekannter fremder Priester, der auf der Durchreise in Frankfurt war. Er muß Ihr Landsmann gewesen sein, denn man erzählte uns, da wir uns für die letzten Augenblicke des Unglücklichen interessirten, daß er mit dem Fürsten Spanisch gesprochen habe.«

Frau von Röbel bestätigte die Mittheilung Ihrer Tochter.

Der Arzt hatte bei dieser Nachricht die Farbe gewechselt, sein sonst so mildes freundliches Auge nahm einen finstern drohenden Ausdruck an und er versank in tiefes Nachdenken, während Otto von Röbel ablenkend die Unterhaltung aufnahm und auf andere Gegenstände brachte, aber er wurde darin durch einen der Aufwärter des Hôtels unterbrochen, der in den Salon trat.

»Mein Herr,« sagte der Diener, »der Herr Senateur Marquis von Massaignac läßt um die Ehre bitten, Ihnen seine Aufwartung machen zu dürfen.«

»Der Marquis von Massaignac? ich habe nicht die Ehre, den Herrn zu kennen. Es ist wahrscheinlich ein Irrthum.«

Da Alle auf den Diener sahen, hatte Niemand bemerkt, daß die Kunstreiterin bei der Nennung dieses Namens erbleichte und die Hand ihres Begleiters faßte, gleich als suche sie Schutz bei diesem.

»Fassung, Kind,« flüsterte der Doktor in spanischer Sprache. »Wir werden gleich sehen, was die Sache zu bedeuten hat.«

»Der Herr Marquis,« berichtete der Diener, »hat ausdrücklich Ihren Namen genannt und mir diese beiden Karten für Sie gegeben.«

Er überreichte dem jungen Edelmann zwei Visitenkarten, – die eine enthielt den Namen und Titel des Besuchenden, in der anderen erkannte Otto von Röbel seine eigene – offenbar dieselbe, die er gestern dem von ihm so schwer Beleidigten gegeben hatte. Die Erinnerung daran, die er über der Gegenwart der Kunstreiterin ganz vergessen hatte, fuhr ihm wie ein Blitz durch den Kopf.

»Führen Sie den Herrn in mein Zimmer,« befahl er; »ich werde sogleich die Ehre haben, zu erscheinen. – Es ist Nichts, Mama,« fuhr er zu der ihn fragend anschauenden Mutter fort – »ein Herr, den Oberst Montboisier adressiren wollte, um eine Partie zu besprechen.«

»Du bist im Irrthum, Otto,« sagte die Dame mild, »oder verbirgst mir Etwas. Erinnerst Du Dich nicht des Namens des Marquis von Massaignac?«

»In der That, es ist mir so,« erwiderte der junge Mann erröthend und schon im Begriff, sich zu entfernen.

»Es ist derselbe, dessen Vater Ferdinand bei seinem Aufenthalt in Paris so freundlich aufnahm während der Sohn ihn später so hart wegen der leichtsinnig eingegangenen Schuld verfolgte.«

Otto von Röbel war in der Thür stehen geblieben, seine Stirn röthete sich, das Auge blitzte.

»Wir haben doch keine Verpflichtungen mehr gegen ihn, Mutter?«

»Nein – Ihr wißt, wir haben sie mit der schweren Hypothek auf unserm Gute erkauft.«

»Er gehört demnach zu der Familie, die uns durch Kapitain Laforgne jene Anerbietungen machen ließ und uns dann so niedrig vergalt. Sei ruhig, Mutter, ich bin ein Röbel und werde meines Vaters würdig handeln.«

Die Bemerkungen zwischen Mutter und Sohn waren in deutscher Sprache gemacht worden. Obwohl die Kunstreiterin dieselbe nicht verstand, war sie doch mit kaum verhehlter Angst und sehr erregt den Worten gefolgt, während der Arzt, der aus seinen Studien genügend Deutsch verstand, um den Inhalt der Bemerkungen zu begreifen, aufmerksam und erstaunt sie anhörte. Als jedoch der junge Mann den Namen Laforgne nannte, erhob sich die Kunstreiterin rasch.

»Entschuldigen Sie meine Indiskretion, mein Herr,« sagte sie hastig – »ich verstehe zwar Ihre edle Sprache nicht, aber ich glaube in Ihrer Rede den Namen: Kapitain Laforgne gehört zu haben?«

»So ist es, Mademoiselle. Er ist der Gatte dieser Dame, die Ihnen meine Mutter wohl nur deshalb nicht besonders vorgestellt hat, weil sie als ein Mitglied unserer Familie betrachtet wird. Er war gestern mit uns im Circus und der Erste, der mir beistand, Sie bei dem Unfall unter dem Pferd hervorzuziehen.«

»François Laforgne? Derselbe, der, fast ein Knabe noch, die kühnen Züge des Generals Garibaldi in Montevideo mitmachte?«

»Derselbe!« Er sah sie erstaunt an, denn die seltsamen flüchtigen Andeutungen des Freundes am vorigen Abend fielen ihm ein.

»Verzeihen Sie mir, – aber ich möchte Gewißheit haben – wissen Sie, ob er im Januar 1853 sich in Paris befand?«

»Mein Gatte war in dieser Zeit in Paris, Madame,« sagte die kleine Frau nicht ohne eine eifersüchtige Regung.

»O dann ist Alles gut – die Menge, der Schreck, meine Ohnmacht, oder ...« sie zögerte die wahre Ursach zu sagen – »dies Alles muß mich gestern verhindert haben, ihn zu sehen.«

»In der That, Mademoiselle,« sagte der junge Mann – »mein Freund machte mir Andeutungen, daß er Sie zu kennen glaube, – aber nannte einen anderen Namen – doch entschuldigen Sie, ich darf unmöglich meinen Besuch länger warten lassen.«

Sie war vor ihm stehen geblieben und legte jetzt, fast vertraulich, die kleine Hand auf seinen Arm. »Gehen Sie und kehren Sie bald zurück, denn ich habe Sie noch viel zu fragen; aber,« setzte sie leise und hastig hinzu, – »hüten Sie sich vor dem Mann, mit dem Sie jetzt sprechen wollen!«

Er antwortete ihr nur mit einem festen feurigen Blick und verließ das Zimmer.

Die Kunstreiterin wandte sich zu der über den Gang, den das Gespräch genommen, ziemlich erstaunten Edelfrau.

»Ich werde Ihnen seltsam und wohl zudringlich erscheinen,« sagte sie, die beiden Hände der Dame fassend und an ihre Brust drückend, – »aber ich bitte Sie, beurtheilen Sie mich nicht falsch. Ich kam hierher, Ihrem Herrn Sohn durch Sie meinen Dank für meine Lebensrettung abzustatten, und finde hier vielleicht Wichtigeres, aufrichtige Freunde einer schutzlosen Waise, die der Freunde bedarf. Es drängt plötzlich so Vieles auf mich ein – Gutes und Drohendes – daß ich Sie nur bitten kann, haben Sie Geduld mit einer Fremden und verschieben Sie Ihr Urtheil über sie.«

Die Edeldame hatte die Erregte zu einem Sopha geführt und sie genöthigt, dort Platz zu nehmen.

»Beruhigen Sie sich, Mademoiselle,« sagte sie mit freundlicher Würde – »der Schrecken von gestern hat noch Ihre Nerven erschüttert. Es soll uns freuen, wenn Sie durch unsere Vermittelung frühere Bekannte oder Freunde wiederfinden können. Der Gatte dieser Dame hat allerdings ein so bewegtes und ereignißreiches Leben geführt und so viele Länder und Nationen kennen gelernt, daß es leicht möglich ist, daß Sie ihm früher schon begegnet sind, da auch Sie wohl Ihre Kunst in verschiedene fremde Länder geführt hat. – Er ist gegenwärtig in Geschäften abwesend, aber mein Sohn oder seine Gattin werden gewiß Gelegenheit finden, ihn möglichst bald von Ihren Wünschen in Kenntniß zu setzen.«

»Kapitain Laforgne ist ein edler Mann und ich hoffe, seine Gemahlin wird mir ihr Wohlwollen nicht versagen. Ich habe Vertrauen zu ihm, denn er kennt mich aus einer anderen Zeit, als ich« – fügte sie mit mattem Lächeln hinzu, – »meinen Lebensunterhalt noch nicht als Kunstreiterin erwarb. Er genoß einst die Gastfreundschaft meines verstorbenen Vaters und war bereit, der Tochter des Mannes, der ihn und seine Freunde aufgenommen, später selbst mit persönlicher Gefahr einen wichtigen Dienst zu leisten, als ein Zufall oder vielmehr das Schicksal es anders wollte.«

»Daran erkenne ich François,« sagte mit einem gewissen naiven Stolz die kleine Frau – »auch wenn ich nichts Näheres davon weiß, Mademoiselle; denn ich kenne nur wenig von dem frühern Leben meines Mannes. Aber das weiß ich, daß er stets bereit war, allen Unglücklichen oder Beistand Bedürfenden Hilfe zu leisten!«

Die Augen der kleinen Frau funkelten ordentlich vor Vergnügen bei diesem Lobe ihres Gatten, und der Fremden war sofort ihre Sympathie zugewandt, mit der sie bei der ersten Erwähnung der Bekanntschaft etwas zurückhaltend gewesen war.

»Sie sind eine Spanierin, Mademoiselle?« frug die Edelfrau, um das Gespräch auf ein anderes Feld zu lenken und wohl auch, unter den eigenthümlichen Umständen, nicht ohne eine leicht verzeihliche Neugier.

»Nein, Madame,« sagte die Kunstreiterin, deren Blicke fortwährend unruhig an der Thür hingen, durch die Otto von Röbel sich entfernt hatte – »ich bin keine Europäerin. Halten Sie es nicht für einen Mangel an Vertrauen, daß ich in diesem Augenblick nicht mehr über mich selbst sagen kann, aber meine ganze Zukunft hängt gegenwärtig von meinem Schweigen oder vielmehr von einer Unterredung ab, die ich noch heute haben werde. Nur Eines bitte ich Sie, Madame, bewahren Sie einer Waise, die sich dessen nicht unwürdig fühlt, jenes freundliche Wohlwollen, das mich bei meinem ersten Eintreten in Ihren Kreis so wohlthuend berührt hat. Ich habe meine Mutter früh verloren, Madame, und seit langer Zeit ist es das erste Mal, daß ich zu den Herzen edler Wesen meines Geschlechts reden darf. Scheint mir doch Alles so wunderbar heimisch in diesem Kreise, ist mir doch, als wären die Züge dieser jungen Dame mir nicht unbekannt, ja selbst Ihr Namen, als er mir gestern als der meines Retters genannt wurde, schlug so auffallend bekannt an mein Ohr!«

»Rosamunde,« sagte lächelnd, und bei all ihrer Einfachheit doch ein wenig geschmeichelt über den Enthusiasmus des schönen Mädchens, die Edelfrau, »ähnelt sehr ihrem älteren Bruder Friedrich von Röbel, der vor sechs Jahren in Paris sich aufhielt. Die französische Zunge corrumpirt meist den Namen unserer Familie etwas stark.«

»Monsieur de Reubel – und vor sieben Jahren in Paris,« sagte heftig die Reiterin – »Heilige Jungfrau, dann ist ...«

Der Mohrendoktor sagte rasch einige Worte auf Spanisch zu ihr. Ihr großes funkelndes Auge flog fragend von ihm auf die Frauen.

Der Doktor nickte. »Es ist so, meine Tochter – ich verstand, daß diese Dame Deinen Retter so eben noch an Beziehungen zwischen seiner Familie und dem Marquis von Massaignac erinnerte.«

»Ewiger Gott, wie wunderbar sind Deine Wege! – Ja Madame, Gott hat es gelenkt, daß die Hand Ihres Sohnes das Pferd der armen heimathlosen Fremden bändigen und ich zu Ihnen kommen mußte. Schatten meines heimgegangenen Vaters, sei gesegnet, denn Du zeigst mir den Weg, Deine Schuld zu lösen mit meinem eigenen Glück!«

Sie hatte die gefaltenen Hände über die Brust gekreuzt, ihr Auge leuchtete in stillem Glück – verwundert, bestürzt schauten die deutschen Frauen auf sie, es schien ihnen Alles, was in der Zeit einer kurzen Stunde so fremd und ungewohnt in den, wenn auch leidensreichen, doch stillen Gang ihres Lehens trat, so abenteuerlich, daß es all der Güte in dem Herzen der Matrone bedurfte, um in dem Gebahren der heißblütigen Tochter des Südens nicht etwas Verletzendes, Abstoßendes zu finden.

Aber unwillkürlich dachte Frau von Röbel dennoch daran, daß das schöne Mädchen vor ihr eine Schauspielerin, eine Reiterin des Circus sei, was sie bereits zu vergessen angefangen, und sie zog sich fast unwillkürlich wieder in die Schranke einer kälteren Zurückhaltung.

Aber auch die Kunstreiterin begriff sofort mit dem feineren Instinct ihrer höheren Natur das Gefühl der Edelfrau und das Zweideutige ihrer Stellung.

»Madame,« sagte sie ehrerbietig, »ich fühle, daß mein Benehmen Ihnen Allen sonderbar vorkommen und selbst ein ungünstiges Licht auf mich werfen muß. Aber dieser Mann, einer der besten und edelsten Menschen und bis jetzt der einzige wahre Freund eines armen Mädchens, das den Kampf gegen Jene aufnehmen mußte, die durch die Bande der Natur und der Ehre verpflichtet wären, es zu schützen, – er wird Ihnen bestätigen, daß die Kunstreiterin Rositta Ihrer Achtung nicht unwürdig ist, ja, daß sie Anspruch hat auf Ihre Theilnahme; denn nicht die edle That Ihres Sohnes allein verbindet uns. Sie haben ein Recht, jetzt mein Geheimniß zu wissen, – ich bin ...«

Der Eintritt Otto's von Röbel unterbrach das Geständniß des Mädchens. Trotz seiner Bemühung, den Eindruck und Inhalt der eben geflogenen Unterhaltung nicht merken zu lassen, zeigte sich doch ein gewisser Ernst auf seiner freien Stirn und in seinen Augen.

Die der Mutter und der Fremden hatten sich sogleich forschend auf ihn geheftet. Er fühlte dies und ging sogleich auf seine Mutter zu, aber er redete sie in französischer Sprache an, damit auch Rositta seine Entschuldigung verstehen sollte.

»Herr von Massaignac hat sich bereits wieder entfernt, Mama. Es war Nichts als ein Auftrag des Grafen von Montboisier, des Freundes meines Bruders, den ich Dir bereits vorgestellt, und der uns so viele Freundlichkeiten bezeigt. Der Herr Marquis hatte es übernommen, im Vorüberfahren die Einladung des Obersten mir zu überbringen, ihn heute in der großen Oper zu treffen. Ich werde sogleich Billets für uns Alle besorgen, wenn Rosamunde uns begleiten kann.«

»Nein, mein Sohn,« sagte die Edelfrau – »wir sind Alle nicht in der Stimmung, heute das Schauspiel zu besuchen. Das soll Dich aber nicht daran hindern. Und hat Dir Herr von Massaignac Nichts weiter gesagt?«

Eine leichte Röthe überflog die Stirn des jungen Mannes. »O doch Mama, er erwähnte flüchtig, daß er unsere Familie kenne, und die Gelegenheit wahrgenommen habe, das Verfahren damals gegen Friedrich zu entschuldigen. Sein Notar habe ohne seinen Auftrag gehandelt.«

Die Edelfrau erhob sich. »Die Schuld ist bis zum letzten Sous bezahlt,« sagte sie stolz, »ich denke, wir schulden der Familie des Herrn Marquis von Massaignac keinerlei Verbindlichkeiten und haben ihr unsere Uneigennützigkeit genügend bewiesen. Ich hoffe, mein Sohn, Du hast diesem Herrn geantwortet, wie es Dein Vater von Dir erwarten darf!«

»Sein Sie unbesorgt, Mutter,« entgegnete der junge Mann finster, »ich trage den Namen Röbel und weiß, was ich ihm schuldig bin. Zwischen uns und dem Namen Massaignac ist jede weitere Annäherung unmöglich.«

Die alte Dame nickte zustimmend. »So ist es. Und nun mein Sohn, wird es gut sein, wenn Du Deinen Freund, Kapitän Laforgne, aufzufinden suchst, um seine Frau zu beruhigen. Er wird uns wahrscheinlich auch am Besten die Lösung manches Räthselhaften geben, das uns heute so unerwartet nahe getreten ist.«

Die Kunstreiterin fühlte, daß die kühlere Wendung ein Zeichen der Dame zur Beendigung ihres Besuchs war. Die letzten Worte des jungen Edelmanns schienen ohnedem einen besonderen, ihre noch im Augenblick seines Eintritts so lebhafte Erregung niederschlagenden Eindruck gemacht zu haben und ihr Blick suchte wie berathend das Auge ihres väterlichen Freundes.

Der Mohrendoktor winkte ihr zustimmend und bot ihr die Hand, um sie fortzuführen.

»Madame,« sagte das Mädchen sich ehrerbietig verneigend, »ich fühle, daß es Zeit ist, diesen Besuch zu beenden, aber ich hoffe, daß Sie mir erlauben werden, ihn vielleicht schon morgen zu wiederholen und dann, durch die Gegenwart des Gemahls dieser Dame unterstützt, alles das aufzuklären, was Ihnen heute seltsam und selbst unrecht an dem Benehmen einer Fremden geschienen haben mag, die hierher kam, um eine heilige Pflicht der gewöhnlichsten Dankbarkeit zu erfüllen, und hier mehr gefunden hat, als sie zu hoffen wagte. Nehmen Sie auch den Dank für Ihre Güte und glauben Sie, daß, wie Gott unsere Zukunft auch lenken möge, das Andenken daran und an die That Ihres Sohnes nie in meinem Herzen ersterben wird.«

Und mit einer Verneigung, die eine Fürstin geziert hätte, verließ sie den Salon.

Ein Wink der alten Dame, auf welche dieser Abschied nicht ohne Eindruck geblieben war, bedeutete den jungen Mann, die Fremde zu begleiten. Er führte sie die Treppe hinab durch den Flur nach ihrem Wagen.

Als sie an diesem standen und er ihr die Hand zum Einsteigen bot, wandte sich Rositta zu ihm.

»Monsieur de Reubel,« sagte sie ernst, »können Sie mich versichern, daß der Besuch des Marquis von Massaignac, vor dem ich Sie warnte, keine andere Bedeutung hat?«

»Ich versichere Sie, er kam in dem Auftrag eines Dritten!«

»Was Sie auch von mir denken mögen, ich muß Sie sprechen. Wenn Sie heute Abend die Oper besuchen, wie ich hörte, so suchen Sie mich in meiner Loge auf, ich werde Sie erwarten!«

Sie sprang in den Wagen – der Moriske drückte ihm herzlich die Hand und folgte ihr – die Equipage rollte davon. –

Wir müssen für einige Augenblicke zurückkehren zu der Unterredung des jungen preußischen Edelmannes mit dem Abgesandten des Grafen Guzman de Montijo.

Als Otto von Röbel sein Zimmer betrat, fand er den Marquis, den er bisher noch nie gesehen, in einem der Sessel behaglich seiner harren. Er entschuldigte sich mit kalter Höflichkeit, daß er ihn so lange habe warten lassen und bat um Mittheilung, was ihm die Ehre dieses Besuches verschaffe.

Der Marquis hatte den um mehre Jahre jüngeren Mann ziemlich insolent lorgnettirt, ehe er wieder Platz genommen. »Monsieur de Reubel,« sagte er hochmüthig, »ich sehe, daß ich mich geirrt habe in der Person, indem ich einen mir bereits bekannten Herrn Ihres Namens hier zu finden erwartete, mit dem ich vor etwa sechs Jahren hier in Paris zusammen traf, vielleicht ein Verwandter von Ihnen?«

»So viel ich weiß, mein älterer Bruder, mein Herr. Nach der Karte, die Sie mir mit der Ihren zu senden die Güte hatten, scheint Ihr Besuch jedoch Nichts mit früheren Verhältnissen zu thun zu haben, und ich bitte demnach, direkt auf den Gegenstand desselben zu kommen.«

Die Antwort war so ruhig und gemessen und von einem so ernsten Blick begleitet, daß der Marquis sich veranlaßt fand, sein legères Benehmen einigermaßen zu moderiren, das er angenommen, als er sich einem mehrere Jahre jüngeren Mann gegenüber gesehen, dessen Adel er nur mit Geringschätzung betrachtete.

»Sie begreifen, mein Herr,« sagte er höflicher, »daß es mir nicht angenehm sein kann, mich einer Person Ihrer Familie gegenüber zu sehen, da ohne mein Verschulden einige Mißhelligkeiten zwischen uns stattgefunden, wie gesagt ohne meine Schuld, da ich Geschäftssachen meinem Notar überlasse und erst später davon Kenntniß erhielt.«

»Zur Sache, wenn ich bitten darf,« sagte der preußische Edelmann kurz.

»Ich komme soeben darauf, mein Bester. Da diese Karte, wie ich annehmen darf, also die Ihre ist, habe ich einen Auftrag an Sie, den ich, wie gesagt, der obwaltenden Verhältnisse wegen, nur ungern angenommen habe; aber der Graf Don Alvaro Guzman de Montijo ist ein spezieller Freund, fast ein Verwandter von mir und Sie. werden demnach begreifen ...«

Der Preuße verbeugte sich kalt.

»Um also die Sache zu beenden – Sie scheinen den Herrn Grafen beleidigt zu haben, so daß er sich veranlaßt sieht, Satisfaction zu fordern.«

»Ich habe den Herrn Grafen Don Alvaro Guzman de Montijo einfach geohrfeigt,« sagte der junge Mann ruhig.

»Teufel – das ist stark! Dann kann also von einer Ausgleichung nicht die Rede sein! Ich habe die Ehre, Sie hiermit um Satisfaction zu bitten. Wir werden Sie morgen Vormittag um 9 Uhr im Bois de Boulogne am Mont St. Bernard treffen und dann leicht einen geeigneten Platz finden.«

Herr von Röbel verbeugte sich. »Ich stehe zu Diensten.«

»Da Sie gewiß die Botschaft bereits erwartet haben,« fuhr der Senator fort, »so bitte ich, mir Ihren Sekundanten zu nennen, um mit ihm das Weitere zu verabreden.«

»Ich bedauere, Herr Marquis,« entgegnete der junge Mann höflich, »daß ich Sie schon weiter bemühen muß. Ein Freund, auf den ich in der Angelegenheit rechnen durfte, ist augenblicklich abwesend und ich muß daher erst, da ich nur wenige Bekanntschaften in Paris habe, einen geeigneten Sekundanten suchen.«

»Ich bin vollkommen zufrieden, wenn Sie mir ihn morgen früh vorstellen. Als Waffen werden Ihnen Degen conveniren?« »Ich verstehe mich nicht auf die Stoßwaffe, sie ist in meiner Heimath nicht gebräuchlich!«

»Gut – um so besser, dann nehmen wir Pistolen. Ein Fünffrankenstück entscheidet für die Wahl der Waffen. Zehn Schritt Distance, gleichzeitiges Feuern und Wechsel von zwei Kugeln.«

»Sie üben zu sehr französische Höflichkeit, Herr Marquis,« sagte der junge Edelmann, dem Beispiel seines Besuchs folgend und sich gleichfalls erhebend – »ich kann diese Bedingungen kaum annehmen, denn sie benachtheiligen das Recht meines Gegners auf den ersten Schuß.«

»Nein, nein – das ist so Sitte bei uns und ich würde ganz bestimmt nicht davon abgehen. Der Graf ist ohnehin nicht der Mann, einen Gegner zu schonen, und ich kann Ihnen nur rathen, sich dies zu merken. Hier ist meine Uhr, um die Ihre danach zu stellen, und nun auf Wiedersehen morgen früh am Mont St. Bernard ...«

Er grüßte mit herablassender Höflichkeit, während er einen gewissen Ausdruck der Befriedigung in seinem häßlichen Gesicht nicht ganz verbergen konnte, und empfahl sich.«

Otto von Röbel geleitete ihn bis zur Treppe. Als er das unangenehme Gesicht nicht mehr sah, war es ihm förmlich, als sei ihm eine Last abgenommen. Er bedachte einige Augenblicke, was er seiner Mutter und den Damen gegenüber sagen wolle und trat dann wieder in den Salon.

Wir haben bereits das Ende der Unterredung darin mitgetheilt.

Als Otto von Röbel von seiner Begleitung der Kunstreiterin zurückgekehrt war, entzog er sich möglichst bald den Vermuthungen und Fragen der Damen und ging nach dem Café Anglais in der Erwartung, den Grafen von Montboisier dort zu treffen oder einen der anderen wenigen Bekannten, die er hatte, um einen Sekundanten unter ihnen zu suchen, da Kapitain Laforgne es so bestimmt abgelehnt hatte und er auch nicht wußte, wo er ihn suchen sollte. Er war zunächst in seine Wohnung gegangen und hatte dort von der Wirthin gehört, daß sein Freund gestern Abend sich nur kurze Zeit daselbst aufgehalten hatte und dann fortgegangen war, ohne bis jetzt ebenso wie seine Gattin zurückzukehren daß aber bereits im Laufe des Vormittags Personen sich nach ihm erkundigt hätten, die sie für Mouchards hielt.

Aber er fand Niemand und als er sich in die Wohnung des Obersten begab, sagte ihm der Diener desselben, daß sein Herr von Lord Heresford abgeholt worden sei und nur gesagt hatte, daß er den Abend in der Oper zubringen werde.

Der junge Mann kehrte nach den Boulevards zurück und setzte sich in einem der Kaffeehäuser nieder. Der Besuch der Kunstreiterin gab ihm so viel zu denken und bewegte jede Fiber seines Herzens so stürmisch. Nebenbei war es ihm aus mehr als einem Grunde unangenehm, für sein bevorstehendes Rencontre keinen zuverlässigen Freund zur Seite zu haben. Er dachte unwillkürlich an den älteren seiner Jugend, an Rudolph Meißner, den er gestern, auf einen, allerdings bittern Verdacht hin so schnöde behandelt, und der sich so edelmüthig gerächt hatte. Was Kapitain François in kurzer Andeutung über das Leben der Fürstin hingeworfen, machte ihn glauben, daß er sich übereilt haben könne, und indem er sich des ruhigen sichern Entgegentretens des alten Freundes erinnerte, war er immer mehr geneigt, seinem Verdacht zu entsagen und beschloß zuletzt, am Nachmittag durch ein kurzes ihn zu Nichts verbindendes Billet ihn zu einem Rendezvous in der Oper einzuladen, um im Fall er keine andere Person finden sollte, den Ehrendienst als Landsmann von ihm zu fordern.

Der Gedanke an das Rendezvous, das ihm die Kunstreiterin selbst für den Abend gegeben, das abenteuerliche Geheimniß, was sie nach den Andeutungen des Kapitains und nach ihrem eigenen Auftreten bei dem Besuch in seiner Familie zu umhüllen schien, drängte aber zunächst alle anderen Gedanken und Sorgen in den Hintergrund und beschäftigte ihn so ganz, daß die Stunden wie Minuten verschwanden und es bereits spät am Nachmittag war, als er sich nach flüchtig in einer Restauration eingenommenem Diner nach Hause begab, um die Seinigen nicht noch mehr zu beunruhigen, und sich zu dem Besuch der Oper umzukleiden.

Otto von Röbel fühlte, daß der gestrige und heutige Tag über sein Leben entschieden habe, daß sein Herz mit der vollen Gluth einer kräftigen unentweihten Jugend das fremde abenteuernde Mädchen – eine Kunstreiterin, die Heldin einer öffentlichen Schaubude liebte.

Und obschon er mit Angst und Besorgniß an den strengen Ernst und die ehrenhaften Vorurtheile seines Vaters, an den Schmerz seiner Mutter dachte, – an alle die Verwirrnisse und Leiden, die bereits das Verhältniß seines verstorbenen Bruders zu der armen Arbeiterin, die thränenreiche Liebe der Schwester zu dem bürgerlichen Freunde, die Nennungen und die Leichtfertigkeit seines zweiten Bruders über die Theueren gebracht hatten, konnte er sich doch nicht enthalten, sich mit ganzer Seele diesem Zuge des Herzens hinzugeben und sich immer fester in diesen süßen Traum zu verstricken.

Warum sollte er auch nicht? – endete doch vielleicht schon am nächsten Morgen die Kugel des Gegners jeden Zwiespalt zwischen Herz und Pflicht!

Alle Welt weiß, daß die schöne Kaiserin von Frankreich zur Zeit jener interessanten Umstände, auf welche der Kaiser Louis Napoleon so stolz war, die Erfinderin der Crinoline gewesen ist, jener umfangreichen Macht des Unterrocks, welche das starke Geschlecht auf allen Wegen und aus allen früher gewonnenen Positionen verdrängt. Ohne den Enthusiasmus der Fabrikanten, der Modehandlungen und der Schneider für diesen unnahbaren Wall weiblicher Tugend, das gelöste Prinzip des lenkbaren Luftballons und der Rheumatismen zu theilen, müssen wir doch bekennen, daß sie eine gewisse Berechtigung gewonnen hat und die Augen der Männerwelt sich der Art an die bauschigen Formen gewöhnt haben, daß Phantasie mit der Wirklichkeit verschmilzt und die Rückkehr zur antiken Plattheit eine Revolution hervorrufen könnte.

Die Jupes verdanken aber nicht allein diese Erfindung der schönen Herrscherin – diese ist in Wahrheit auch die Kaiserin aller Moden in Paris geworden, und da Paris trotz aller oppositionellen-socialen Versuche von Wien, Berlin, New Jork und selbst dem Dresden des Herrn von Beust sein Scepter in dieser Beziehung unbarmherzig über die ganze Welt streckt und den Rebozo der dunkelen Augen von Estremadura, den Jaschmak von Constantinopel, ja selbst den Schurz der Indianerin und die harmlose Tracht weiblicher Landeskinder Sr. Hoheit des Herzogs von Sachsen-Altenburg immer mehr verdrängt und bald zu den Bilderbüchern verwiesen haben wird, – somit die herrschende Fee auf dem Throne der Moden für die ganze Welt.

Es ist bekannt, daß die Salons der Kaiserin das Eldorado der Modehändler von Paris, der Künstler in Sammet, Seide und Juwelen, der Erfinder jener tausend thörichten Eleganzen sind, zu dessen Entscheidungen Alle mit Zagen emporsehen. Während der Geist des dritten Napoleoniden, wenn auch nicht des größten, so doch sicher des klügsten und scharfblickendsten von seinem Kabinet im ersten Stockwerk des Flügels der Tuilerien zwischen dem Pavillon de Flore und dem Pavillon d'Horloge, aus dem mittleren der berühmten Facade der Königin Katharina von Medicis, die Geschicke von vier Erdtheilen lenkt, hat die schöne Spanierin mit den aschblonden Haaren und den schwarzen Augen ihr unbestrittenes Reich des Luxus, des Geschmacks und der Eleganz in jenen Räumen des Parterre des südlichen Flügels aufgeschlagen, die unter denen ihres Gemahls liegen und früher von der, im Unglück wenigstens erhabenen Königin Marie Antoinette und später von Louis Philipp bewohnt wurden, den das in die Fenster einsteigende Volk daraus vertrieb, weil er zu constitutionell war und die Courage seinen Ministern überließ, die deren keine hatten.

Aus diesen Gemächern, die zum Theil nach der südlichen Blumenterrasse des Tuileriengartens, zum Theil nach dem Quai der Seine blicken, hat der luxuriöse Geschmack der Kaiserin einen wahren Zauberpalast gemacht.

Wir führen den Leser am Nachmittag des verhängnißvollen 14. Januar in diese, sonst nur den Auserwählten zugänglichen Räume.

Das Diner der allerhöchsten Herrschaften war seit zwei Stunden vorüber. Der Kaiser arbeitete mit einigen Vertrauten in seinem Kabinet. Es war bestimmt, daß er am Abend mit der Kaiserin in die große Oper fahren sollte.

Die hohe Frau befand sich in dem kleinen Salon vor ihrem Boudoir mit ihren Damen, beschäftigt, neue Stoffe auszuwählen, welche der Chef eines berühmten Modemagazins, die Ehre hatte, ihr vorzulegen.

Unsere Leserinnen werden uns hoffentlich eine kleine Beschreibung dieses Salons, eines Meisterwerks der Dekoration des berühmten Tapezierers Godillot danken.

Der Salon, nebst dem anstoßenden kleinen Arbeitszimmer der Kaiserin sind ihr Lieblingsaufenthalt. Beide liegen an und in dem Pavillon de Flore, und haben die Fenster nach der Terrasse.

Es war jetzt beinahe 7 Uhr, die Vorhänge waren geschlossen und mehrere große Astrallampen verbreiteten in dem mit jenem feinen Parfüm, das nach der Kaiserin seinen Namen führt, durchduftete von der Gluth des Kamins durchwärmte Gemach.

Die Vorhänge bestanden aus weißem Taffet, welcher bei Tage das Licht weniger durchdringen läßt als der Mousseline, mit goldenen Bienen besät, über den noch dichte zweite Vorhänge von rosa und schwarzem Brocat herabfielen.

Der Salon ist mit persischer Seide von einer matten Lilafarbe tapeziert, auf der Rosenbouqets eingestickt sind. Die Fütterungen der Thüren sind von glänzend polirtem Ebenholz, das mit Gold und Perlmutt ausgelegt ist.

Karnies und Decke sind von vergoldeter Stuckatur, von Medaillons unterbrochen, die kostbare Malereien und Amoretten mit Blumen spielend, enthalten.

Der Kamin ist von jenem schwarzen spanischen Marmor, der in den Pyrenäen gebrochen wird und durch seine Zeichnung von Goldadern so berühmt und so kostbar ist. In den halb abgerundeten vier Ecken des Salons erheben sich Piedestale von demselben Marmor, ebenso ein solches in der Mitte des Salons.

Auf den vier Postamenten in den Ecken stehen große Bronce-Gruppen von Lenoir, spielende Kinder darstellend; das breite Piedestal in der Mitte zeigt eine größere Gruppe: der Engel ein Kind überwachend. Um dieses Piedestal von schwarzem Marmor ist einer jener runden Divans angebracht, die man pâté nennt, mit demselben Stoff, Grau und Rosa überzogen, von dem die Drapirung der Wand ist. Ebenso sind alle anderen Möbel, die aus niederen Polstersesseln und Divans bestehen. Ein brüsseler Teppich von dunkelrothem Muster, weich und elastisch, wie die berühmten Gewebe Turkomanniens bedeckt den ganzen Fußboden.

Auf dem Sims des Kamins steht als einziger Schmuck eine große Pendüle von Bronce, ebenfalls von Lenoir modellirt und eine Gruppe von Amoretten darstellend.

Der Salon bietet in diesem Augenblick ein eigenthümliches Bild von malerischer Unordnung dar. Es ist die Zeit, welche die Kaiserin ihr Plauderstündchen nennt, und in der sie ihre Lieferanten und Modistinnen empfängt, oder mit dem kaiserlichen Kinde spielt. An diesem Abend vereinigte sich Beides, denn auf dem Teppich und den Möbeln lagen verschiedene Spielsachen mit kostbaren Stoffen in bunter Verwirrung umher. Das pâté in der Mitte, die Divans, Stühle und Tische waren mit Seidenzeugen, Modestoffen und prächtigen Shawls förmlich bedeckt. Mitten unter diesen, auf dem runden Divan saß die hohe Besitzerin dieser prachtvollen Räume, die schöne Kaiserin von Frankreich.

Es befanden sich außer ihr fünf Damen und ein Herr in dem Salon. Die devote Haltung des letzteren, die Art und Weise, wie er die verschiedenen Stoffe in ihr bestes Licht zu breiten suchte, oder jetzt zusammenlegte, – denn die ihm gewidmete Zeit war zu Ende, – bewiesen, daß er nicht ein wirkliches Mitglied dieses vornehmen Circels, sondern einer der Lieferanten des Hofes sei.

Es war in der That der zweite Chef des bekannten Hauses Worth und Boberg, des berühmtesten Mode- und Stoffmagazins von Paris. Die Kaiserin hatte so eben einen Stoff von rothem drap d'or aus der Hand gelegt, sie schien zerstreut und blickte häufig nach der Uhr auf dem Kamin, als sich ihr mit einer tiefen Verbeugung eine ältere Dame, groß, stattlich und ernst, von wirklich majestätischem Aussehen näherte.

Es war die Prinzeß von Eßlingen, die Schwiegertochter des berühmten Marschalls Masséna, der Aspern nahm und 1810 und 11 Wellington in Portugal und Spanien schlug, die Groß-Hofmeisterin (grand maitresse) des Hofes.

»Ich erlaube mir, Ihro Majestät zu erinnern, daß das Kind von Frankreich sich noch nicht zur Ruhe begeben hat.«

Die Groß-Hofmeisterin sprach die unbedeutenden Worte mit der Wichtigkeit, mit der etwa ein Marschall die Meldung einer Schlacht gemacht haben würde.

Die Kaiserin lächelte ein wenig. »Es ist wahr, liebe Prinzessin, ich hatte es beinahe vergessen. Aber diese Damen verwöhnen ihn, sonst hätte er sich schon bemerklich gemacht. Rufen Sie die Amme, liebe Brüat, und bringen Sie ihn mir, damit ich ihn noch küsse.«

Die Gruppe der Damen vor dem Kamin öffnete sich jetzt und man erblickte auf dem Teppich liegend einen kleinen etwa zweijährigen Knaben, der sich mit einem großen Gummiball umherrollte, während die Damen sich mit ihm neckten. Die eine von ihnen hatte ihm eben den Ball fortgenommen, er lag auf dem Rücken, strampelte mit Händen und Füßen, als eine ältere Dame, in Schwarz gekleidet, eine auffallende Erscheinung unter diesen prächtigen bunten Toiletten, ihn aufnahm und begann ein lautes Geschrei.

Die Dame achtete jedoch dieses Widerstandes nicht, sondern brachte den Kleinen zu der Kaiserin.

Madame de Brüat, die Wittwe des Admirals, war die Gouvernante des Prinzen, oder vielmehr des enfants de france, wie es nach der Wiederherstellung des alten Ceremoniels der legitimen Könige heißen mußte, wenn eben weitere Kinder vorhanden gewesen wären.

Der künftige Erbe der Napoleoniden schrie sehr unbekümmert um die Dehors dieses Salons noch immer fort, selbst in den Armen seiner Mutter, in denen er sich mit seinen Thränen fortsträubte.

»Sie hören, Monsieur Boberg,« sagte die Kaiserin lächelnd – »er hat eine kräftige Stimme. Diese Herren Zeitungsschreiber lügen demnach, wenn sie verbreiten, er sei stumm. Ist Madelaine da?«

Die kräftige Figur der Amme in der bäurischen Tracht, die sie beibehalten, trat alsbald vor.

»Geben Sie ihn nur her, Madame,« sagte sie sehr unceremoniel – »ich will ihn schon zur Ruhe bringen. Willst Du still sein, Poll, oder Loukou kommt!«

Ein flüchtiges Lächeln glitt über die Gesichter der Anwesenden bei dieser ungenirten Citirung des würdigen Vetters des Kindes in Stelle einer Art von Knecht Ruprecht; Monsieur Boberg suchte seine Ueberraschung zu verbergen, indem er sich auf den Stoff, den er gerade zusammenfaltete, nieder beugte. »Loulou ist fort, mein Kleiner,« sagte die Kaiserin, die bekanntlich weder den Prinzen noch seine Schwester, die etwas emancipirte Prinzessin Mathilde besonders leiden mag, – »die garstige Madelaine lügt. Er ist im Eis am Nordpol erfroren. Da, nimm ihn, bring ihn dem Kaiser und dann zur Ruh.«

»Monsieur Thélin ist unten gewesen und hat bestellt, daß Seine Majestät nicht gestört sein will,« erwiederte die Amme, die, obschon ihre Function längst beendet war, sich doch als erste Wärterin des kaiserlichen Kindes Vieles herausnehmen durfte. Merkwürdiger Weise war auf ihre Drohung mit Loulou der Knabe auch sofort ruhig geworden und schlang jetzt, als die Kaiserin ihn zärtlich geküßt und der Amme zum Forttragen gereicht hatte, seine Aermchen um den Hals der vertrauten Pflegerin.

Die Kindheit kennt glücklicher Weise noch keinen Rang und kein Ceremoniel, obschon leider genug geschieht, sie bei Zeiten zu Affen der großen Welt zu machen!

Madame Bruat begleitete den künftigen Vertreter des Bonapartismus – so Gott es will – zu seiner Wiege, welche die gute Stadt Paris ihm bekanntlich geschenkt hat und die etwas kostbarer ist, als jener Panzer der Schildkröte, welche die guten Bürger von Pau am 4. December 1553 Anton von Bourbon für den künftigen Heinrich IV. brachten.

Die Kaiserin wandte sich zu dem Modisten. »Lassen Sie die Stoffe hier, Herr Boberg,« sagte sie, »ich werde mit Madame Vignon die Auswahl treffen. LemonnierDer Juwelier der Kaiserin, der auch ihren prächtigen Brautschmuck von Rubinen und weißen Perlen verfertigt hat. hat mir heute Morgen einen neuen Schmuck gebracht von Malachit und mich gebeten, den Stein in Mode zu bringen. Es ist eine kleine Genugthuung, die wir den Russen für unsere Siege in der Krimm schuldig sind. Dieser braune Moirée wird sich gut zu dem hellen Grün machen. Senden Sie den Stoff zu Madame Vignon.«

Ein huldvolles Kopfnicken entließ den Besitzer der Herrlichkeiten, welche ihm alle Damen von Paris und somit der ganzen Welt zinsbar machen. Die Kaiserin sah wiederum nach der Uhr – es fehlten noch zwanzig Minuten zu Sieben. Sie schien offenbar sehr zerstreut oder gelangweilt.

Eine junge allerliebste Dame näherte sich ihr. Es war die Baronin de Pierres, Palastdame der Kaiserin, ein Schooskind der hohen pariser Gesellschaft, und eine Tochter jenes amerikanischen Generals Thorn, der die reizenden Soiréen im Hôtel der Madame Adelaide d'Orleans im Faubourg St. Germain gab – in demselben Hôtel, wo jetzt Herr Baroche sehr langweilige Gesellschaften veranstaltet.

»Ihro Majestät, Madame Vignon ist in dem Ankleidezimmer. Sie wünscht einige Entwürfe und angekommene Neuigkeiten aus London vorzulegen.«

»Ah – das ist schön – sie wird uns unterhalten. Sie hat immer Neuigkeiten neben dem besten Geschmack von Paris. Lassen Sie sie eintreten, liebe Baronin. Kommen Sie hierher, Marquise, Sie sollen mir prüfen helfen, was das Westend uns schickt.«

Die Angeredete war die Marquise de las Marismas, eine geborene Engländerin, aus der bürgerlichen Familie Macdonald, die Gemahlin des Marquis Alexandre, des Söhnen Aguados, eines vortrefflichen Ehemanns.

Sie ist ein Liebling der Kaiserin – nicht blos ihrer großen Schönheit wegen, sondern auch wegen der Abstammung ihres Gatten.

Die Baronin näherte sich und nahm auf einen Wink der Kaiserin auf einem Tabouret Platz.

Madame Vignon, die Modistin, war unterdeß eingetreten; eine Kammerfrau trug ihr mehrere große Cartons nach.

Gleich den Herren Worth und Boberg ist Madame Vignon Autorität unter der vornehmen Damenwelt von Paris. Sie hat das Hochzeitskleid der Kaiserin geliefert.

»Sieh da, unsere Vignon,« sagte die Kaiserin. »Was bringen Sie uns Neues aus den Moden und aus der Gesellschaft?«

Die Modistin verneigte sich ehrerbietig. »Ihro Majestät wissen, daß gerade Sie es sind, welche die Moden macht.«

»Ja, ungefähr so, wie der Kaiser Schlachten gewinnt, die Herr Pelissier oder Herr Mac Mahon schlägt. Man erzählt mir ja Außerordentliches von dem Luxus, den eine kleine Schauspielerin von einem der Boulevard-Theater treiben soll?«

»Ihro Majestät,« sagte die Modistin mit etwas verächtlicher Miene, ihre Cartons auspackend, »meinen wahrscheinlich Mademoiselle Bellangé?«

»Ich glaube, so ist der Name. Erzählten Sie mir nicht davon Madame de Montebello

Die Palastdame, Gemahlin des Generals dieses Namens, des vierten Sohnes des berühmten Marschalls Lannes, eine junge leidlich hübsche, aber sonst unbedeutende Dame, bejahte. »Ich hatte die Ehre, Ihro Majestät von dem Abenteuer der Marquise von Grézy d'Hornay zu erzählen!«

»Ich erinnere mich nicht mehr genau. Wie war es doch?«

Die geläufige Zunge der Modistin lief Madame de Montebello eilig den Rang ab. »Mademoiselle Bellangé hatte durch den Aufwand ihres Auftretens Aufmerksamkeit erregt, obschon ich Ihro Majestät versichern kann, daß ihre Toilette das wahre Parfüm des Geschmacks entbehrt und nur von Madame Délaune besorgt wird, einer Größe dritten Ranges. Aber trotzdem wünschte die Marquise von Grézy die Toilette jener Dame in Augenschein zu nehmen und beauftragte ihre Kammerfrau, dies möglich zu machen, als Mademoiselle bei dem Neujahrsaufenthalt des Hofes in Compiegne gleichfalls ihren Haushalt dorthin verlegt hatte. Denken Ihro Majestät, daß diese Person es gewagt hat, förmliche Verhandlungen darüber zu führen, als gelte es eine Angelegenheit der Politik des diplomatischen Corps!«

Die Damen hatten sich, höchst interessirt von dem kleinen Scandal, näher gezogen. Die Kaiserin nickte lächelnd der Modistin, die dabei fortwährend ihre Novitäten auspackte.

»Wissen Ihro Majestät, daß Sie die Herren Barriére und Capendu in Mode gebracht haben? Ihro Majestät haben neulich das Gymnase beehrt und sind von der Aufführung der Cendrillon so gerührt gewesen, daß Ihro Majestät während zweier Akte Thränen vergossen haben. Seit der Zeit muß jede Dame, die sich achtet, die Cendrillon gesehen und in Cendrillon geweint haben. Ich habe für 10 000 Franken Spitzen von Alençon kommen lassen für die Taschentücher a la Cendrillon! Das Glück des Herrn Barriére ist gemacht!«

Diesmal lachte die Kaiserin geradezu. »Sie vergessen über ihren Taschentüchern die arme Marquise, beste Vignon.«

»Bitte unterthänigst um Entschuldigung. Ich wollte nur zuvor die Ehre haben, diese neue Façon der Handschuhe Ihro Majestät vorzulegen. Sie sind so geschnitten, daß der Daumen nicht abreißen kann, und mit einer kleinen Agraffe, die zweckmäßiger zusammen hält, als die Knöpfchen.Später unter dem Namen »Josephinen-Handschuh« bekannt. Also das Resultat dieser unverschämten Verhandlungen war, daß Mademoiselle Bellangé eines Mittags ihrem Phaëton nach den Alleen fuhr und dabei ihre Rivalin, Mademoiselle Cora Pearl zu einem Wettritt aufforderte, und daß während dieser Zeit die Marquise mit mehreren Freundinnen, ja man will wissen, die Prinzessin Mathilde selbst, die Garderobe der Künstlerin bis in die kleinsten Details mit Muße in Augenschein nahm. Eine schöne Künstlerin – aber der Titel artiste dramatique ist für diese Damen unentbehrlich, weil er einen besonderen Reiz für die Herren hat.«

»Die Prinzessin Mathilde?« warf stolz die Großhofmeisterin ein – »ich glaube, Sie irren sich, Madame Vignon, Ihro Kaiserliche Hoheit sind über ein solches Interesse für die Garderobe einer Schauspielerin erhaben!«

Die kleine Vignon war sehr pikirt über die Zurechtweisung, um so mehr, als sie sehr wohl wußte, daß an diesem Ort die frühere Repräsentantin des kaiserlichen Hofes keineswegs sehr beliebt war.

»Die Frau Prinzessin hat wohl noch andere Dinge gethan. Man erzählt sich gar viele Sachen aus dem Luxembourg. Mein Gott, wir sind nun einmal das schwache Geschlecht und ich erinnere mich noch sehr wohl der Zeit, wo eine vornehme Dame 20 Louisdors gegeben hat für einen Galerie-Platz bei dem Banket der Socialisten!«

»Still, still,« sprach die Kaiserin – »Sie vergessen sich, Vignon. Zeigen Sie mir jenen Hut her!«

Die Großhofmeisterin war mit großem Aplomb und sehr unwillig von der Gruppe fortgerauscht und hatte sich in einen Fauteuil am Kamin niedergelassen.

»Etwas Neues, das Ihro Majestät vortrefflich kleiden wird. Es ist filzgraue Seide mit Hahnenfedern, über der Stirn ein turbanartiges Band von grünem Sammet, und eben solche Bindebänder. Ich beabsichtige, die Hahnenfedern in Mode zu bringen. Darf ich den Hut Ihro Majestät aufprobiren? Er macht sich zu dieser Robe von dunkler quergestreifter Seide vortrefflich!«

»Gut – ich werde ihn behalten und heute sogleich tragen. Doch Sie vergessen immer wieder unsere Anekdote, meine kleine Vignon. Es freut uns, unsere Cousine doch auch auf einer solchen Schwäche für Toilette zu ertappen, wenn die Toilette auch nur die Anderer ist!«

Es ist bekannt, daß die Prinzessin Mathilde die ihre mit mehr als Nonchalance behandelt.

Die Modistin hatte unterdeß aus eigener Machtvollkommenheit einen Capuchon-Mantel von grüngrauer Farbe, zu dem Hut passend, mit quer aufgesetzten bunten Streifen verziert, dazu gelegt. – Es war der Anzug, den die Kaiserin später an dem verhängnißvollen Abend trug.

»Halten Ihro Majestät es für möglich? – man denkt in London daran, den Crinolin aufzugeben und ihn mit gesteppten Röcken zu ersetzen. Aber ich bin daran, Madame Albert aus dem Felde zu schlagen, gerade wie wir die Engländer vor Sebastopol blamirt haben. Verzeihung, Frau Marquise, aber ich rechne Sie schon längst zu den Unsern.«

»Bitte, geniren Sie sich nicht, Madame Vignon,« lachte gutmüthig die Marquise. »Die Macdonalds waren von jeher Anhänger der Stuarts.«

»Ich denke, Lady Cowley einen Schlag zu versetzen, wenn wir ihr mit einer Erfindung zuvorkommen, die sie nicht nachahmen kann. Ich sinne seit zwei Nächten darüber, aber sie wird Aufsehen machen, auf Ehre!«

»Aber so kommen Sie doch heraus mit Ihrem Geheimniß,« sagte neugierig die Baronin. »Ist es eine Coiffüre a la Sebastopol?«

»Oh, Madame – was denken Sie von mir? Sebastopol ist längst vergessen. Es handelt sich allerdings um die Verbannung des Crinolins, aber nicht durch Jüpes, sondern durch einen ganz neuen Schnitt der Roben!«

Die Damen waren ganz Ohr – selbst die Kaiserin hörte auf, nach der Uhr zu sehen.

»Bitte, liebe Vignon,« tönte es von allen Seiten, »sprechen Sie! welcher Schnitt?«

Die Modistin machte eine majestätische Geberde. »Nein, meine Damen, – mein Geheimniß gehört zuerst Ihro Majestät. Man muß eine Gestalt haben, wie Ihro Majestät, um es recht zu begreifen. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, daß es sich um einen Keilschnitt handelt, der eine ganz neue Figur macht. Aber ich brauche noch eine Nacht, um mit mir in's Reine zu kommen! Ich bringe Ihro Majestät unterdeß eine andere Erfindung.«

Sie langte nach einen neuen Carton.

»Aber was hatte denn diese Mademoiselle Bellangé für die Ehre, ihre Garderobe zeigen zu dürfen, verlangt?« frug die Generalin Montebello.

»Oh – nichts weniger, als auch die Garderobe der Frau Marquise und der anderen Damen besichtigen zu dürfen, und ihre Kammerfrau hatte sich eine Gratifikation von 10 Napoleonsdor ausgemacht.«

»Ich hoffe, diese Person wird die Unverschämtheit nicht so weit getrieben haben, sich in das Kaiserliche Schloß zu drängen,« sagte die Groß-Hofmeisterin vom Kamin her, wo ihr trotz ihres Unwillens kein Wort entging.

»Ganz im Gegentheil, Madame, – Mademoiselle Bellangé rühmt sich, zwei Stunden lang in den Gemächern der Damen gewesen zu sein und die geheimsten Geheimnisse der Toilette der Frau Marquise gesehen zu haben. Sie hat die Kammerfrau derselben mit 20 Napoleonsdor bezahlt. Aber die Polizei hat ihren Wettritt mit Mademoiselle Cora Pearl dafür nicht gestattet!«

Die Kaiserin wandte ruhig den Kopf nach der Seite der Groß-Hofmeisterin.

»Sie werden die Güte haben, Madame, die Frau Marquise von Grézy d'Hornay von der nächsten Liste für Saint Cloud und Compiegne zu streichen. – Wie, liebe Vignon, eine Puppe? ist sie für den Prinzen? aber was soll er mit dieser Modedame, einen Soldaten hätten Sie ihm bringen sollen.«

»Entschuldigen Ihro Majestät«, es ist meine Modellpuppe. Ihro Majestät sprachen neulich von den Agraffen a la Pompadour?«

»Ich erinnere mich – es handelte sich um das Aufnehmen der Kleider.«

»In der That, Ihro Majestät, der Jupe ist bis jetzt viel zu wenig zu seinem Recht gekommen. Man muß ihn poussiren. Haben Sie die Güte, Frau Baronin, dieses Band um Ihre Taille zu legen!«

Die hübsche junge Frau schloß das einfache schwarze Band, an dessen beiden Seiten gleiche lange Schlingen herunterhingen, um ihre blauseidene Robe.

»So, Madame,« erklärte die Modistin – »man bauscht auf beiden Seiten die Robe durch die Schlinge« – sie ließ die That dem Worte folgen – »und der Zweck ist in der einfachsten Weise erfüllt.«

»Ei das ist allerliebst – sehr hübsch!«

»Es zeigt den Fuß und mit einem gut gestickten weißen Unterrock wird es sich nicht übel machen,« erklärte diktatorisch die Modistin. »Aber es ist zu einfach, zu bürgerlich und ich habe es darum Margarethenbänder genannt, nach dem Grethchen im Faust des Herrn Schiller, des berühmten Komödienschreibers der Deutschen. Ich bringe Ihro Majestät etwas Besseres. Sehen Sie diese Puppe!«

»Sie haben das Kleid aufgenäht!«

»Nein, Frau Generalin. Belieben Sie nur ihr Kleid aufzuheben und Sie werden einen Einblick in die neue und sinnreiche Maschinerie gewinnen.«

»Ah – vier Knöpfe und Schnüre!«

»Richtig! Sehen Sie, mit welchen geringen Mitteln Personen von Genie große Erfolge zu erzielen wissen. Bemerken Sie diese kleine Oeffnung vorn im Kleid. Der porte-jupe-Pompadour, wie wir ihn mit Erlaubniß Ihro Majestät nennen wollen, vereinigt Zweckmäßigkeit mit Eleganz. Er faßt die Robe gleichzeitig an vier Seiten, zieht sie nach Belieben empor und drapirt sie zugleich in sehr graziöser Weise. Man befestigt einfach vier Knöpfe an die Innenseite des Kleides, welche den Enden der vier Schnüre entsprechen. Ehe man das Kleid anzieht« – sie entkleidete das Modell – »legt man den Pompadour um die Taille, hängt ihn hinten ein und befestigt ihn vorn durch ein Band am Corset. Dann überzeugt man sich, daß die Schnüre in den Hülsen sich leicht bewegen lassen, zieht die Robe an und bringt die beiden Knöpfe des Pompadour durch die kleine Oeffnung vorn. Dann läßt man von der Kammerfrau das Ende jedes Schnürchen des Pompadour an die vier Knöpfe im Innern des Kleides hängen und – voilá tout! die Maschinerie ist fertig!«

Die Damen probirten sämmtlich die neue Erfindung an der großen Puppe, während die Modistin einige Exemplare ihres Werkes von grauem und weißem Moirée auspackte, das seitdem die Runde durch die Civilisation gemacht hat, denn die uncivilisirte Welt darf entweder nach dem strengen Gebot Mahomeds möglichst Wenig aufheben, außer vor den Ehemännern, und der übrige Theil trägt gewöhnlich Nichts, an dem der porte-jupe-Pompadour anzubringen wäre!

Man probirte rechts und links und im Ganzen und besprach lebhaft die neue Toiletten-Erfindung.

»Ihre Erfindung ist vortrefflich, liebe Vignon,« sagte die Kaiserin, »und ich bitte Sie, dieselbe bis zu dem nächsten Fest am Hofe aufzuheben. Ich beabsichtige, sie bei der Ball-Toilette anzuwenden. Sie werden dafür sorgen, liebe Vignon, daß die beiden Knöpfe vorn mit Blumen, gleich denen in der Coiffüre, verziert sind!«

In diesem Augenblick trat die spanische Kammerfrau der Kaiserin in den Salon und näherte sich ehrerbietig der Kaiserin, die sogleich aufstand.

»Bitte – einen Augenblick, meine Damen!«

Eine Handbewegung gab der Bitte den bestimmten Ausdruck. – Die Damen nebst der Modistin traten in ehrerbietige Entfernung zurück.

»Ist der Graf gekommen?«

»Zu Befehl, Ihro Majestät!«

»Allein?«

»Nein, Eine Dame begleitet ihn!«

»Hast Du sie gesehen?«

»Nein, Ihro Majestät, sie trägt einen Schleier.«

»Und wo sind sie?«

»Die Dame befindet sich Ihro Majestät Befehl gemäß in dem kleinen Arbeitszimmer, der Herr Graf wartet in der Antichambre des Pavillons, durch welchen sie eingetreten sind!«

»Gut. Bleibe hier und sieh zu, daß sich keine unberufenen Lauscher der Thür nähern.«

Die kurze Unterredung war in spanischer Sprache geführt worden. Die Kaiserin wandte sich jetzt wieder französisch zu ihren Damen, von denen ohnehin nur die Marquise de las Marismas Spanisch verstand.

»Meine Damen, ich gebe Ihnen auf eine halbe Stunde Urlaub. Marquise und Sie liebe Baronin werden mich in die Oper begleiten. Adieu, Madame Vignon und Verschwiegenheit in Betreff des Jupe.«

Eine gnädige Handbewegung entließ die Modistin. Die Kaiserin trat durch die südliche Thür, welche die Kammerfrau mit ehrerbietiger Verbeugung öffnete, in das anstoßende Zimmer. Dies war ein ziemlich schmales Durchgangsgemach und führte nach dem kleinen Arbeitszimmer. Die Kaiserin öffnete selbst die zweite Thür und trat ein.

Dies Zimmer, in das sich die Kaiserin häufig zurückzieht, und das nebst ihrem Schlafgemach nur wenige vertraute Personen betreten dürfen, bildet ein längliches Viereck, geht auf die Tuilerien-Terrasse und ist zu jeder Jahreszeit reich mit Blumen geschmückt. Es ist ganz mit mattem dunkelgrünem Taffet ausgeschlagen; die Thüren und Lambris sind von Elfenbein und Gold, die grünen Vorhänge mit rothem Atlas unterlegt und die Verzierungen daran von rothem Atlas und schwarzem Sammet. In dem Zimmer sind, nach der Angabe der Kaiserin selbst, die schönsten Gemälde und Kunstwerke vertheilt. Die Möbel sind von Ebenholz oder Elfenbein und ein kostbarer smyrniotischer Teppich bedeckt das Parquet. In diesem Gemach hat die hohe Frau alle ihre theuren Erinnerungen vereinigt, die zahllosen Geschenke und Gegenstände, die ihr in der Kindheit angehörten, Miniaturen und Photographieen von mehren Damen, die sie lieb hat, und gegenüber der Stelle, wo sie zu sitzen pflegt, das Portrait ihrer verstorbenen Schwester, der Herzogin von Alba, im weißen einfachen Kleide, von blühenden Gewächsen halb verhüllt, – jener Schwester, die ihr zwei Mal gestorben und die zwei Mal auferstanden ist, – das eine Mal dem Gatten und ihren Lieben, das zweite Mal Gott!

Wir erinnern den Leser daran, daß die Herzogin von Alba das traurige und merkwürdige Schicksal der Freiin Mathilde von Asseburg theilte, die im Scheintod begraben durch die freche Beraubung der Gruft wieder zum Leben erwachte und zu dem trostlosen Gatten im Leichengewande zurückkehrte.

Der Leser, der Florenz besucht hat, erinnert sich dort auch vielleicht der Villa della morta. Ginevra Amieri ging diesen Weg, indem sie, als jungfräuliche Frau gestorben und aus dem Erbbegräbniß der Amati wiedererstanden, vergeblich an das Haus ihres Vaters und ihres Gatten klopfte und ihre Zuflucht zu dem Palaste ihres Geliebten Rondinelli nehmen mußte.

Der Spruch der Gerichte und des Erzbischofs erklärte das Eheband der Todten für gelöst und gab die Neugeborene dem geliebten Manne, dem sie früher des Vaters Hochmuth verweigert hatte.Der Fall ereignete sich nach der Chronik im Jahre 1400.

Als die Kaiserin der Franzosen in ihr von dem Schein einer in silbernen Ketten hängenden Ampel von durchsichtigem Severs-Porzellan erleuchtetes Arbeitszimmer trat, erhob sich eine junge schwarz gekleidete Dame von einem der umherstehenden Sessel und schlug einen an dem, ihren üppigen Haarwuchs des Hinterhauptes fesselnden Goldkamm nach spanischer Sitte befestigten und Hals und Brust und zum Theil das Gesicht bedeckenden und bis auf die Taille herabfallenden schwarzen Spitzenschleier zurück.

Die Kaiserin trat rasch einige Schritte auf die Dame zu und streckte ihr die Hände entgegen.

»Carmen

Die Kunstreiterin, denn diese war es, beugte, als ob sie den freundlichen liebevollen Ausruf nicht gehört hätte, rasch ihr Knie vor der hohen Frau, faßte ihre Hand und zog sie an die Lippen. Die Kaiserin fühlte einen heißen Kuß und den Fall einer Thräne darauf, aber als sie die Knieende umarmen wollte, erhob sich diese und trat in ehrerbietiger Haltung zwei Schritte zurück.

»Empfangen Ihro Majestät den ehrerbietigsten Dank der Kunstreiterin Rositta,« sagte die Fremde mit bewegter aber fester Stimme, »für die gnädige Theilnahme, die Sie an meinem gestrigen Unfall zu nehmen die Gnade hatten!«

»Der Abscheuliche!« rief die Kaiserin. »Aber ich werde ihn dafür bestrafen! Hier sind wir unter uns, Du kannst Deine Maske fallen lassen und ich will Dir sagen –«

»Erlauben Ihro Majestät, Sie zu bitten,« sagte das Mädchen, »selbst in diesen Räumen nur die Kunstreiterin Rositta vor Sich zu sehen. Ihro Majestät wissen nicht, wie tief Ihre Gnade mein Herz rührt, und daß ich gern mein Leben zu Ihren Füßen lege. Aber eben, weil die Kaiserin von Frankreich zu hoch über der Actrice des Circus steht und das Geschick von Nationen mit in ihrer Hand liegt, darf diese Hand Nichts zu thun haben mit dem Kampf eines unbedeutenden Mädchens für ihre Freiheit gegen das Gesetz und gegen Personen, die dieser erhabenen Frau zu nahe stehen, um nicht jede Rücksicht fordern zu können.«

»Meine Mutter ... Sie haben Recht! Aber Mademoiselle Rositta wird der Kaiserin von Frankreich erlauben, daß sie die Kunst beschützt und sich gern einer kleinen Freundin erinnert, die sie einst recht lieb gehabt hat und deren Schicksale sie gern wenigstens aus drittem Munde hören möchte. Nehmen Sie jenes Tabouret, mein Kind, und setzen Sie sich – ich befehle es Ihnen.«

Die Kunstreiterin folgte ohne die geringste Verlegenheit, mit der Sicherheit einer Dame aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft, dem Befehl.

»Wie alt sind Sie, Mademoiselle Rositta, wenn Sie denn einmal diesen Namen vorziehen?«

»Ich werde in zehn Tagen vierundzwanzig Jahr – es fehlen mir also noch zehn Tage zu der Mündigkeit, oder zu dem Recht, über mich selbst bestimmen zu dürfen!«

»Ah – jetzt verstehe ich – und deshalb sind Sie in Paris! Das ist richtig! – So lange haben Brüder und Vormünder das Recht über die Hand einer Waise!« Die Kaiserin lachte. »Armer Vetter Alvaro, sie haben herzlich wenig Aussicht auf die Hand einer Erbin! Aber fürchten Sie nicht bis dahin einige Gewaltmaßregeln Ihrer, mir natürlich unbekannten Verwandten?«

»Die Kunstreiterin Rositta steht unter dem Schutz des pariser Publikums, was wahrscheinlich jene andere Person nicht beanspruchen könnte!«

»Das ist wahr – das Gesetz muß sein Recht haben! Die Kaiserin von Frankreich ist am ersten verpflichtet, das Gesetz zu achten. Ich kenne demnach nur die Kunstreiterin Rositta. Aber ist Ihnen nicht vielleicht in Ihrem gewiß sehr wechselvollen Leben der letzten fünf Jahre eine mir werthe Person aufgestoßen, deren Verschwinden mich lange beunruhigt hat. Ihr Namen war Carmen von Massaignac.«

»Dieselbe,« sagte lächelnd die Kunstreiterin, – »welche der Appelhof von Paris auf den Antrag des Herrn Marquis von Massaignac als verschollen aufgefordert hat, sich bis zum 1. März dieses Jahres zu stellen, widrigenfalls sie als gerichtlich todt erklärt werden würde!«

»Ja, ja, ich begreife! und deshalb ist die Kunstreiterin Rositta hier erschienen, um das Interesse ihrer Freundin wahrzunehmen!«

Die hohe Frau reichte dem Mädchen die Hand, die dieses nochmals küßte.

»Und nun erzählen Sie mir mehr von dieser Freundin, von diesem jungen Wildfang von jenseits des Meeres, die Paris noch immer für ihre Pampas hielt, während sie doch bestimmt war, sogar meine Verwandte zu werden, und die ein abenteuerliches Zigeunerleben dem Glanze des ersten Hofes von Europa vorzog!«

»Ihro Majestät zürnen ihr deshalb nicht?«

»Ah bah – hätte ich ihr denn sonst fortgeholfen? Ihre Flucht war sicher das Ergebniß einer geheimen Herzensneigung, und für so etwas sind wir Frauen, ob auf dem Thron oder in der Hütte ist gleich, immer sehr nachsichtig. Man zerbrach sich den Kopf damals, wer wohl der Entführer und glückliche Liebhaber sein könnte; denn der junge hübsche Offizier des General Garibaldi, den man dafür hielt, und den Othello-Alvaro durch die Polizei des Kaisers einsperren ließ, schien es merkwürdiger Weise nicht zu sein, weil er selbst die eifrigsten Nachforschungen nach der Verschwundenen anstellte. Oder war das nur Comödie?«

»Ich glaube in der That, daß die kleine Wilde der Pampas sich in Kapitain Laforgne hätte verlieben können, wenn sie Zeit dazu behalten hätte. Kapitain Laforgne befindet sich aber in diesem Augenblick wieder in Paris und ist der glückliche Gatte einer Anderen!«

»Dann habe ich mich getäuscht, aber um so räthselhafter ist mir jene Flucht!«

»Gott und die heilige Jungfrau wachten über einer Waise, indem sie ihre thörichte Handlung zu ihrem Glück lenkten und ihr Herz vor einer flüchtigen Neigung bewahrten, um es einer großen und wahren Liebe offen zu halten!«

»So liebt jetzt mein kleiner Schützling? und Carmen ist glücklich?«

»Sie liebt – obschon die Blüthe ihrer Jugend vorüber, zum ersten Mal wahr und tief, sie weiß, daß sie eben so wieder geliebt wird, um ihrer selbst willen, und hofft, den Mann ihrer freien Wahl glücklich zu machen!«

Ein leichter Seufzer floh über die Lippen der schönen Frau – sie wandte leicht das schöne Haupt zur Seite, und ein gedankenvoller Blick streifte das Bild ihrer verstorbenen Schwester.

Waren die Träume ihrer Jugend erfüllt? – die des Ehrgeizes, des Stolzes gewiß, denn selten hat eine Frau ein glänzenderes Loos aus der Urne des Schicksals gezogen!

»Erzählen Sie mir, wenn ich Sie darum bitten darf und es kein Geheimniß ist, das Schicksal jenes wilden Mädchens.«

»Ihro Majestät wissen, daß die Tochter des Obersten Fourichon de Massaignac durch ein Versprechen ihrer zu früh verstorbenen Mutter schon in ihrer Wiege dem Abkömmling einer berühmten spanischen Familie, dem Verwandten der hohen und geliebten Frau verlobt war, die auf dem Thron von Frankreich sitzt. Das mutterlose Mädchen wurde zuerst in Frankreich erzogen und sie hätte sich vielleicht willig dem Gebrauch gefügt, der die Hand reicher und vornehmer Erbinnen aus dem Kloster oder dem Institut heraus dem bestimmten Bräutigam giebt, ohne das Herz zu befragen. Aber die Zärtlichkeit eines gütigen unvergeßlichen Vaters rief das junge Mädchen schon in ihrem vierzehnten Jahre zurück in sein Haus, in ein freilich wenig civilisirtes, aber desto freieres und glücklicheres Leben, und indem sie ungehindert auf ihrem feurigen Renner durch die Apostaderas und Wälder Montevideo's streifte, bildete ihr Charakter und Wesen sich zu einer Selbstständigkeit, zu einer Liebe für die Freiheit, die gefährlich wurde für jeden Zwang.«

Die Kaiserin nickte. »Ich kannte sie so!«

»Zu jener Zeit kam Don Alvaro, ihr bestimmter Bräutigam nach Montevideo auf die Hacienda ihres Vaters. Carmen Massaignac war ein eitles Kind, das liebte, bewundert und geschmeichelt zu werden, und wenn auch der finstere intriguante Spanier ihr wenig gefiel, hätte sie sich doch nicht geweigert, das Gelöbniß ihrer verstorbenen Mutter zu erfüllen. Da ...«

»Nun?«

»Da kam ein Tag, an dem er sich ihr verhaßt machte, an dem edlere, würdigere Bilder vor ihr auftauchten.Villafranca« 3. Band Sie gingen zwar rasch vorüber, aber sie veränderten Vieles, denn Oberst Massaignac kehrte unmittelbar darauf nach Europa, nach Paris zurück und nahm seine Tochter mit.

Hier fand Carmen Freunde, wahre, edle Freunde, ihr Herz erschloß sich, und ihre Abneigung, ja ihr Haß gegen den Verlobten wuchs täglich. Ihr Vater liebte sie viel zu sehr, um sie zu einer ihr widrigen Verbindung zu zwingen, und wäre er am Leben geblieben, er hätte jenes ihr verhaßte Band sicher in der einen oder andern Weise gelöst.«

»Ich erinnere mich – der Marquis wurde das Opfer eines unseligen Zufalls in den blutigen Decembertagen!«

»Eines Zufalls?« – die Kunstreiterin sah finster vor sich hin, ihr Auge funkelte. »Carmen hat später oft gedacht, daß es mehr gewesen! Aber genug davon; mit dem unglücklichen Tode ihres Vaters, des treuesten Freundes des Kaisers Napoleon, war ihre Freiheit zu Ende. Don Alvaro hatte Freunde und Beschützer, die zur Vollziehung ihrer Heirath mit diesem drängten ...«

»Die Gräfin von Teba, meine Mutter,« schaltete die Kaiserin ein.

»Auf der andern Seite standen der Geiz und die Habsucht ihres bösen Bruders ihr zwar gegen die verhaßte Heirath bei, aber nur um sie zu zwingen, ihre Tage in einem Kloster zu verbringen und ihm das Erbe des Vaters allein zu überlassen. Da, von allen Seiten gedrängt, die einzige, mächtige Beschützerin, die sie hatte, in Verhältnissen sehend, die all' ihre eigene Aufmerksamkeit erforderten, beschloß sie, nach dem schönen Lande ihrer Geburt zu entfliehen, wo das Testament ihres Großvaters ihr ein selbstständiges, reiches Erbe sicherte. An jenem Tage, an welchem Eugenie Montijo den Thron Frankreichs gewann, wollte Carmen Massaignac Nichts als ihre Freiheit gewinnen. Sie hatte einen Freund gefunden in jenem jungen Offizier des Generals Garibaldi, den auf dem Ball selbst der Kaiser auszeichnete, und dieser hatte ihr versprochen, ihre Flucht zu fördern, und sie nach Montevideo zu geleiten.«

»Also doch! ...«

»Er war ein treuer und muthiger Freund, und Carmen hätte wohl ihn lieben gelernt, wenn das Schicksal sie nicht getrennt hätte. Er hatte Alles zur Flucht vorbereitet und wollte des Mädchens mit seinem Diener im Garten der Tuilerien harren. Die hohe Freundin des armen Mädchens, gerührt von ihrem Kampf gegen ihre Bedränger, befreite sie auf dem Ball des Palastes von den Spionen, die sie bewachten, und half so zu ihrer Flucht. In dem Gedränge der Equipagen der abfahrenden Gäste gelang es ihr, am Pavillon der Flora nach der Terasse des Gartens zu entschlüpfen und die Stelle zu erreichen, wo sie Kapitain François mit seinem Diener treffen sollte.«

»Nun – weiter – Sie machen mich in der That immer begieriger, den Ausgang dieses Abenteuers zu hören!«

»Der Kanadier Felsenherz, so hieß der Diener oder vielmehr Freund des Kapitains, einer jener kühnen und unbeugsamen Trapper aus dem Norden Amerikas, den Carmen gleichfalls schon in ihrer Heimath kennen gelernt hatte, erwartete sie auch wirklich an jener Stelle, aber seltsamer Weise in einem Zustand, den sich die Angsterfüllte nicht zu erklären vermochte. Er lag wie trunken oder todt am Boden und keine Bemühung des Mädchens vermochte ihn zu erwecken. Der Kapitain war nicht dort und in größter Angst wartete sie vergeblich, als plötzlich ein ihr fremder Mann unter den Bäumen hervortrat, sich ihr näherte und für einen Boten des Offiziers ausgab, dessen Hilfe sie vertraut hatte. Er trug zwar die Livree ihres Verlobten, aber er wußte sie zu überreden, daß dies nur zum Schein sei und da er sich in der That mit der Absicht der Flucht vertraut erwies und Umstände kannte, die eben nur Kapitain Laforgne ihm anvertraut habe konnte, ließ sich die Angsterfüllte glauben machen, daß dieser durch einen unglücklichen Zufall verhindert sei, zu erscheinen, und daß er sie zu ihm führen solle. Ein Packet mit männlichen Kleidungsstücken, das er bei sich hatte, überzeugte sie vollends und gab die Gelegenheit, unbemerkt mit ihm an der Seite des Pavillon Marsan durch die Wachen und durch das Gedränge der Wagen aus dem Garten nach der Straße zu entkommen.«

»Und war der Mann wirklich ein Bote jenes abenteuernden Offiziers?«

»Er war ein Schurke, ein niedriger Dieb, aber doch nicht ganz ohne Herz. Erst später erfuhr Carmen den Zusammenhang. Durch einen unglücklichen Zufall hatte er eine Unterredung des Mädchens mit dem Capitain Laforgne im Bois de Boulogne belauscht und die Absicht ihrer Flucht dem Grafen Guzman, ihrem Verlobten, verrathen, der ihn sofort als Spion in seine Dienste nahm. Aber er betrog diesen so gut wie das angsterfüllte Mädchen, und da er den Ort ihrer Zusammenkunft mit dem Kapitain Laforgne durch seine Schlauheit und List erfahren, wurde es ihm leicht, seinen Plan auszuführen. Dieser bestand in nichts weniger, als den unbesonnenen Flüchtling selbst zu entführen und dann wahrscheinlich an den Theil auszuliefern, der ihm den meisten Vortheil bot. Vielleicht auch, daß er von vorn herein die Absicht hatte, sie zu berauben und zu ermorden. Genug, es gelang ihm, den treuen Wächter, den Kapitain Laforgne an die Stelle des Rendezvous gesandt hatte, mit jenem Betäubungsmittel, das man Chloroform nennt, und dessen sich die pariser Diebe damals vielfach bedienten, in einen Zustand vollständiger Betäubung zu versetzen. In diesem beraubte er ihn der Kleider, die für Carmen bestimmt waren, und als sie dann erschien, überredete er sie, wie gesagt, leicht, daß der Kanadier betrunken, und daß er der Bote seines Herrn sei.«

»Aber was that er mit – mit der Unbesonnenen?«

»Als sie auf der Straße waren, führte er sie unter allerlei Vorwänden immer weiter und in dem nächsten Fiaker, den sie trafen, bis vor eine der Barrieren, ich glaube nach den Steinbrüchen von Asnières. Ihre Majestät wissen, daß die junge Argentinerin kühn und furchtlos war, aber dennoch ergriff sie Schauder und Angst, als sie in jene Schlupfwinkel des Elends und Verbrechens hinabsteigen mußte. Sie weigerte sich, aber es war zu spät; er zwang sie mit Gewalt, ihm länger zu folgen.«

»Der Schurke! Aber wie kam es weiter – wie entkam sie mit dem Leben?«

»Ich habe bereits gesagt, daß ein Mord weniger seine Absicht schien, als noch weitere Vortheile aus ihrer Gefangenschaft zu ziehen. Ja, er schien selbst eine gewisse Theilnahme für die Unglückliche zu empfinden und nahm sie in dieser Höhle der Verworfenheit gegen mehrere Genossen in Schutz. Carmen konnte, nach dem was sie sah, nicht länger zweifeln, daß sie unter Dieben und Mördern, dem Abschaum der Bevölkerung von Paris sich befand; die Furcht, die Seelenangst bemächtigte sich ihrer, all ihr Muth schwand bei dieser schrecklichen Ueberzeugung und sie verlor die Besinnung.«

»Armes Kind!« Die hohe Frau faßte die Hand der Kunstreiterin, als sei es ihr eigenes, nicht das Schicksal einer Dritten, das sie erzählte.

»Als Carmen Massaignac wieder zu sich kam,« fuhr die Kunstreiterin fort, »fand sie sich in eine enge in die Wand der Kalkbrüche eingehauene Zelle eingesperrt, auf einem dürftigen Lager, ihres Schmucks und aller Werthsachen, ja ihrer Ballkleider beraubt und dafür in ein schlechtes schmutziges Kleid gehüllt. Ihr Kopf war schwer und wüst, Fiebergluth brannte in ihren Adern und kaum vermochte sie, sich auf das Geschehene zu besinnen. Vergebens rief sie um Hilfe, rüttelte sie an der Thür – die Täuschung aller ihrer Hoffnungen war zu viel für sie und in einem schweren Fieber verlor sie nochmals das Bewußtsein ihrer schrecklichen Lage,«

»Wie, und solche schändlichen Verbrechen können in unserer unmittelbaren Nähe verübt werden, in der Hauptstadt Frankreichs?« zürnte die Kaiserin.

Die Sennora Rositta sah finster vor sich nieder. »Was weiß die Majestät auf ihrem strahlenden und mächtigen Thron von dem, was Elend und Armuth gebiert! Wird doch Schlimmeres geübt selbst unter den Reichen und Vornehmen aus Habsucht und bösem Herzen, Thaten, die selbst die Raubthiere der Wüste scheuen würden! Ja, Kaiserin von Frankreich, deren Weg durchs Leben nur mit Freuden und Blumen bestreut war, die arme Carmen Massaignac, an deren Wiege ja so wenig als an Deiner solch Lied gesungen war, hat seit dem Abend jenes glänzenden Festes in diesen Räumen, wo Eugenie Montijo jetzt die Herrin des schönsten Reiches der Welt ist, so viele Scenen des menschlichen Elends, der Schrecken und der Ströme von Blut und Schmerzen gesehen, daß ihr Herz in der Brust erbebte und sie gelernt hat, daß alle irdische Macht und aller Reichthum Nichts sind wie Spreu im Winde, wenn der Schutz der Heiligen nicht mit uns ist!«

Sie schwieg – auch die Kaiserin hatte die schönen schwarzen Augen gesenkt und die Stirn nachdenkend auf der Lehne ihres Sessels in die Hand gestützt.

Vielleicht dachte ihr starker Geist daran, wie unsicher bei aller Macht und allem Glanz und aller Klugheit seines Vaters das Loos des Kindes sein dürfte, das wenige Schritte von ihr in der goldenen Wiege schlummerte, die ihm die wandelbare Gunst der Stadt Paris geschenkt hatte.

Dann erhob sie den Kopf und sah auf das nur wenige Jahre jüngere und eben so schöne Wesen vor sich.

»Erzählen Sie mir weiter – Sie wissen nicht, wie sehr mein Herz Theil nimmt an dem Allen!«

»Als am dritten Tage Carmen Massaignac aus schwerer Krankheit wieder zum Leben erwachte, fand sie sich in einer ärmlichen aber reinlichen Stube und nicht mehr in jener Höhle des Lasters und Verbrechens. Eine alte, ehrbar aussehende Frau saß als Wärterin in ihrer Nähe und an ihrem Bett stand als Arzt der Mann, der seitdem ihr bester Freund, ja ihr Vater geworden ist.«

»Wer ist er?«''

»Ein Landsmann Ihrer Majestät, von den alten maurischen Herrschern Spaniens abstammend. Man nannte ihn Achmet den Hacenen. Unter dem Volk oder vielmehr unter den tapfern Soldaten Ihres Gemahls, des Kaisers, ist er unter dem Namen »der Mohrendoktor« bekannt.«

»Mir ist, als hätte ich den Namen nennen hören. Doch fahren Sie fort!«

»Frühere Beziehungen, ich glaube aus den Kriegen der Christinos und Carlisten, verbanden den würdigen Arzt mit dem Dieb und Vagabunden, der Carmen Massaignac in jene Höhle des Lasters und Verbrechens gelockt hatte. Als sie von der Aufregung und Furcht erkrankt war, hatte der Elende aus Mitleid oder noch immer seine Spekulation verfolgend den Arzt herbeigerufen, der sich nicht scheute, an das Lager der Armen und Verworfenen zu treten, und der Einfluß, den er noch immer auf den alten Dieb übte, der ihn aus dem Kriege her seinen Hauptmann nannte, hatte diesem bald das Geheimniß der Täuschung und Entführung des unglücklichen Mädchens entlockt. Er hatte sie an einen ruhigeren und geeigneten Ort bringen lassen und widmete ihr die aufopferndste Sorgfalt. Ihre Fieberreden in spanischer Sprache während der Tage der Krankheit hatten ihr sein besonderes Interesse gewonnen, und eine seltsame Verkettung der Umstände hatte ihn an jenem Ballabend sogar auf die Terrasse der Tuilerien und zu den Personen geführt, welche Carmen dort vergeblich nach ihrer Flucht gesucht hatte.

Doch das Alles erfuhr sie erst nach mehreren Tagen, als sie dem freundlichen Arzt, den selbst ein schwerer Kummer zu bedrücken schien, auf sein Zureden ihr Herz geöffnet und ihr volles Vertrauen geschenkt hatte. Er traf sogleich Anstalten, den Kapitain Laforgne, auf den sie alle ihre Hoffnung gesetzt hatte, aufzusuchen. Doch der Offizier Garibaldi's, der in jener Nacht durch ein Mißverständniß, oder wahrscheinlicher durch den Haß und die Eifersucht Don Alvaros mit seinem Diener verhaftet worden war, hatte zwar am andern Tage wieder entlassen werden müssen, da man ihm keine Schuld weder an dem Scheingrund jener Verhaftung, dem Tode eines Adjutanten des Kaisers, noch an Carmens Verschwinden nachweisen konnte, – aber der Verdacht des getäuschten Verlobten und des habgierigen Bruders hatten mit Argusaugen jeden seiner Schritte bewacht und er hatte zwei Tage nachher Paris verlassen und war nach Amerika zu seinem General zurückgekehrt, ohne von dem Schicksal des unglücklichen Mädchens eine Kunde erlangen zu können.«

»Aber warum kehrte die Unbesonnene nicht in den Kreis der Ihren zurück, als sie es vermochte?«

»Warum war sie geflohen? War nicht ihr einziger Zweck gewesen, den Fesseln einer verhaßten Verbindung zu entgehen und die Tyrannei eines entarteten Bruders zu täuschen? Sie war frei, sie hatte einen würdigen treuen Freund gefunden, und als dieser, nachdem sie kaum genesen, eines Tages zu ihr kam und mit Bekümmerniß ihr sagte, daß er plötzlich und gegen seinen Willen, wahrscheinlich durch den Einfluß eines mächtigen im Verborgenen wirkenden Feindes wieder zur Armee nach Algier auf eine der entferntesten Stationen zurück versetzt sei und ihr rieth, auf alle Gefahr hin zu ihrer Familie zurück zu kehren, da weigerte sie sich standhaft, dies zu thun; sie warf sich in seine Arme und flehte ihn an, sie mit sich zu nehmen und nicht zu verlassen, bis es ihr gelänge, unbehindert in ihre Heimath, nach Montevideo zurück zu kehren, und dort auf ihrem Erbe Sicherheit und Freiheit zu finden.«

»Welche Thorheit, welche romanhaften Ideen!«

»Ihro Majestät,« fuhr die Erzählerin fort, »kannten den Charakter des wilden eigensinnigen Mädchens und dies wird Ihnen ihr Thun erklären. Genug, der Doktor Achmet ließ sich von ihren Bitten bewegen, und da er Ordre erhalten hatte, sofort abzureisen, mußten alle Anstalten schleunig getroffen werden. Von ihrem Schmuck, den sie an jenem Ballabend getragen, hatte Carmen nur ein Paar Ohrgehänge durch die Drohungen des Doktors an die Diebe wieder erlangen können; denn der Mensch, der sie entführt, hatte, als er sah, daß er keinen Vortheil mehr aus dem Betrug ziehen konnte, seinen Dienst bei dem Grafen Gusman mit einem Diebstahl verlassen und war aus Paris geflüchtet. Der Verkauf der wenigen Juwelen aber reichte hin, denn ihr Beschützer selbst war arm, ihr die Mittel zu verschaffen, um ihn in Männerkleidung begleiten zu können. Sie ging ihm nach Marseille voraus, um keinen Verdacht zu erwecken, dort trafen sie wieder zusammen und haben sich seitdem nur ein Mal und zum Glück nur auf kurze Zeit getrennt.«

»Und wie geschah das?«

»Als die junge Abenteurerin,« sagte Sennora Rositta lächelnd, »vor Sebastopol in russische Gefangenschaft fiel.«

»Wie – so ist die wunderbar Erzählung, die man mir gemacht hat, wahr?«

»Es wäre für Carmen Massaignac schwer gewesen und hätte leicht auf ihren Wohlthäter ein falsches Licht werfen können, wenn sie jene Verkleidung beibehalten hätte. Deshalb beschlossen sie nach sorgfältiger Berathung, daß Carmen bei ihrer Ankunft in Algerien wieder die Kleidung ihres Geschlechts annehmen und von dem Arzt für die arme Waise eines Ansiedlers ausgegeben werden sollte, die er zu sich genommen. Der Doktor Achmet war in Algier sehr bekannt, er hatte an zehn Jahre dort zugebracht und besaß das Vertrauen Jussufs und anderer Generale. Es wurde ihm leicht, auf der Station, die ihm angewiesen war, das Mädchen bei der wackeren Frau eines Sergeant-Major unterzubringen und als das Regiment im Frühjahr 1854 nach der Krimm beordert wurde, folgte Carmen ihrem Beschützer, den sie nicht verlassen wollte, als die Cantinière eines Linien-Regiments in das Lager vor Sebastopol.«

»Unsinniges Kind!«

»Was wollen Ihro Majestät! Carmen Massaignac besaß Alles, was sie wünschte: ein freies unabhängiges Leben unter braven Männern, die jeden Augenblick bereit gewesen wären, so gut wie auf Canroberts oder Bosquets Befehl für sie in den Tod zu gehen. In der Schlacht an der Tschernaja gerieth Carmen in russische Gefangenschaft, und schon in der nächsten Nacht ließ sich ihr Freund, der bereits bei Inkermann durch seine aufopfernde Thätigkeit an den Verwundeten beider Parteien einmal in die Hände der Russen gefallen, aber von diesen ehrenvoll wieder frei gegeben war, zum zweiten Mal und freiwillig gefangen nehmen, um seinen Schützling nicht zu verlassen.«

»Ich wiederhole – das Alles klingt wie ein Roman von Herrn Dumas oder Montépin,«

»Und dennoch, gnädigste Frau, ist es die strengste Wahrheit. Aber das wirkliche Leben ist so reich an seltsamen Ereignissen, daß alle Erfindungen der Menschenphantasie nicht hinan reichen.«

»Die Kaiserin nickte zustimmend – auch sie hatte schwerlich in ihrer Jugend daran gedacht, noch auf dem Thron von Frankreich zu sitzen.

»Durch einen russischen Oberoffizier,« fuhr Rositta fort, »den er nach der Schlacht von Inkermann verbunden, gelang es dem Arzte, seinen Schützling wiederzufinden. Er erklärte sich bereit, getreu seinem erhabenen Beruf, da es in Sebastopol gleichfalls an Aerzten fehlte, in den Lazarethen und auf den Verbandstätten Dienste zu leisten, und Carmen begleitete ihn auf diesen blutigen und schrecklichen Wegen. O, gnädigste Frau, was ist aller Ruhm gegen das Elend und Leiden, das sie dort gesehen – unbeschreiblich, unfaßbar, zum Himmel aufschreiend über den Ehrgeiz der Mächtigen!«

»Sie vergessen, Kind,« sagte die hohe Dame ernst, »daß Sie zu der Kaiserin jener Nation sprechen, die für die Ehre stets bereit war, das Leben zu opfern!«

»Hatten Ihro Majestät wie ich an hundert Sterbelagern gesehen, wie auch jene rohen Krieger wüster Steppen für den bloßen Gehorsam, für den ehernen Willen eines Herrschers litten und starben, den sie vielleicht nie in ihrem Leben gesehen, – hätten Sie die zuckenden Glieder, von sprühenden Kugeln zerrissen – die entsetzlichen Leiden der Krankheit, die gebrochenen Augen mit der Frage gen Himmel: warum dies Alles? geschaut, – o, Madame, selbst auf dem Throne von Frankreich würden Sie anders über den Ruhm denken!«

Die Erzählerin hatte, ganz vergessend den Ort, wo sie sich befand, in den Schauern der Erinnerung das Gesicht in die Hände verborgen. Auch die Kaiserin schwieg, von den Worten tief ergriffen.

»Arme Carmen!« sagte sie endlich.

Die Kunstreiterin hatte den Kopf erhoben, die Thränen in ihren Äugen verschwanden.

»Und dennoch,« sagte sie mit tiefer begeisterter Stimme, »war es schön und Carmen Massaignac nicht umsonst die Tochter eines alten Soldaten. Sein Blut regte sich in ihr, wenn sie die Thaten von Aufopferung und Heldenmuth sah, mit denen diese Männer von Wall zu Wall, Schritt um Schritt den mächtigen Feinden jede Scholle Sebastopols streitig machten, selbst als die siegreiche Fahne Frankreichs schon auf den Trümmern des Malakof wehte. Mit den Fliehenden wurden der Arzt und sein Schützling über die zusammenbrechenden Brücken hinüber nach der Nordseite der Festung gerissen und hatten dort Gelegenheit, noch hundert Leidenden beizustehen. Unter ihrer treuen Pflege starb ein Stabsoffizier des General Gortschakof, der junge Fürst eines der georgischen Stämme am Kaukasus, und setzte die arme französische Cantinière sterbend zur Erbin seiner Habe, seiner Pferde, seiner Waffen und einiger Juwelen ein. So kam das Paar, nachdem der Friede geschlossen war, zuerst nach Moskau und dann nach Petersburg. Die Dienste des Doktor Achmet machten, daß man sie nicht als Gefangene behandelte und ihnen die Rückkehr nach Frankreich freistellte. Aber Carmen wollte nicht als Bettlerin dort erscheinen, sie durfte es überhaupt nicht eher, als bis sie ihre Freiheit geschützt und gesichert wußte, und deshalb mußte sie sich erst in der Ferne ein neues Leben gründen, wozu die wilde Erziehung ihrer Heimath ihr half.

Das, gnädigste Frau, ist das Leben, ist das Schicksal Carmens von Massaignac.«

Die Kunstreiterin schwieg; die Kaiserin sah ihr voll Theilnahme lange und freundlich in das offene bittende Auge.

»Und Carmen Massaignac,« frug sie endlich, »ist jetzt zurückgekehrt, um ihr Erbe zu fordern?«

»Sie wird es, sobald der Augenblick gekommen, auf die Gerechtigkeit des erhabenen Herrschers dieses Landes vertrauend. Sie wird es streng und unbeugsam, denn es ist das Vermächtniß ihres Vaters und soll nicht in der Hand des Mannes bleiben, den sie ihren Bruder nennen muß. Ihre Aufgabe ist eine ernstere, schlimmere, als die bloße Forderung ihres Erbes! Bis dahin muh die Maske, die sie trägt, sie schützen vor ihren Feinden; denn daß sie diese hat, auf Tod und Leben, das hat ihr der gestrige Tag bewiesen. Aber die Heiligen sind ihr gnädig, und indem sie einen neuen Freund gewonnen, für den ihr Herz laut und mächtig spricht, hat sie gesehen, daß auch alte Liebe und früheres Wohlwollen ihr erhalten geblieben ist!«

Sie beugte ein Knie vor der Kaiserin und küßte die ihr freundlich gereichte Hand.

»Stehen Sie auf, mein Kind,« sagte diese; »die Kunstreiterin Rositta steht von dieser Stunde an eben so wie Marquise Carmen von Massaignac unter dem Schutz der Kaiserin von Frankreich!«

Die Kunstreiterin erhob sich – in diesem Augenblick klopfte es zwei Mal leise an die Thür des Kabinets.

»Das ist Ines, meine alte Kammerfrau. Komm herein – was willst Du?«

Die spanische Kammerfrau der Kaiserin hatte auf das Zeichen der Erlaubniß sofort die Thür geöffnet und war eingetreten. Sie trug auf einem goldenen Teller einen zierlich zusammen gefalteten Brief in Rosa-Couvert.

»Was hast Du da, Ines, – war es so eilig?«

»Entschuldigen Ihro Majestät, es ist dieser Brief in einem Couvert an mich in die Antichambre gebracht worden und das Couvert enthielt einen Zettel, daß die Inlage sofort Ihro Majestät abgegeben werden sollte.«

»Gieb her! – Einen Augenblick, Mademoiselle, ich habe Ihnen noch einige Worte zu sagen.«

Die hohe Frau hatte sich wieder in ihren Sessel zurückgelehnt und erbrach den Brief; ein zweites Blatt fiel heraus. Die Kaiserin warf anfangs einen gleichgültigen Blick auf die Zeilen, aber im nächsten Augenblick überflog eine dunkele Röthe ihre weiße Stirn und ihr schönes Gesicht.

Sie griff heftig nach dem zweiten Blatt und durchflog es, ihre Augen funkelten, während sie aufsprang.

»Wo ist der Kaiser, Ines?«

»Um Gotteswillen, Ihro Majestät, was ist geschehen? was ist Ihnen?«

Sie stampfte mit dem niedlichen Fuß das Parquet. »Antworte – ich befehle es Dir! Hat die Amme ihm seinen Sohn wie alle Abende zum Kuß gebracht, ehe er in sein Bett gelegt wurde?«

»Ich weiß nicht – ich glaube nein – Thélin hat es untersagt – Se. Majestät sind beschäftigt und haben jede Störung verboten!«

»Gottes Blut – ich werde ihn stören!« Sie schritt hastig nach der Thür, die zu ihrem Schlafzimmer führt, ihre kleine Hand preßte krampfhaft die Papiere zusammen, während sie dieselben in den Busen schob, ihre Blicke schienen Flammen zu sprühen.

An der Schwelle blieb sie stehen – sie schien sich zu erinnern, daß eine dritte Person der Scene beiwohnte.

»Führe diese Dame wieder zu ihrem Begleiter zurück. Leben Sie wohl, Mademoiselle – halt! warten Sie!« Ihre Blicke flogen hastig umher und blieben durch eine Bewegung ihrer Hand auf dem blitzenden Strahl haften, mit dem ein Ring mit einem prächtigen Diamanten das Licht reflectirte. »Da – nehmen Sie – hier! Wenn Sie meiner Hilfe brauchen, wenn Sie mich sprechen wollen, senden Sie diesen Ring an Ines und – so wahr ich Kaiserin von Frankreich bin! – Eugenie Montijo wird Ihre Bitte erfüllen!«

Sie verschwand in der Thür ihres Schlafzimmers. Die Kammerfrau faßte die Hand der über den Auftritt Erschrockenen und zog sie hastig fort. »Kommen Sie, kommen Sie, Madame, der Herr Graf erwartet Sie!«

Rositta ließ sich fast willenlos fortziehen aus dem Arbeitszimmer der Kaiserin.

Einige Augenblicke blieb dieses leer, dann öffnete die spanische Kammerfrau wieder die Thür, schaute vorsichtig umher und trat hastig ein.

Die Thür des Schlafzimmers, durch welche ihre Gebieterin sich so stürmisch entfernt hatte, war halb geöffnet, die Kammerfrau schlich vorsichtig durch diese in das Schlafzimmer, that einige Schritte vorwärts und blieb dann lauschend stehen.

Aus der linken Ecke des ziemlich großen, mit geblümtem Seidenzeug ausgeschlagenen Gemaches führt eine Wendeltreppe von vergoldetem Eisen nach dem ersten Stockwerk in die Gemächer des Kaisers.

Diese Treppe führt in ein kleines Ankleide-Kabinet.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Kammerfrau horchend in der Mitte des Zimmers stehen blieb.

Durch die offene Wölbung der Treppe schallte ein ziemlich heftiger Wortwechsel herunter.

Die Heftigkeit kam von einer weiblichen Stimme – die andere, die eines Mannes sprach mit großer Zurückhaltung, mit Respect, mit serviler Ueberredung.

Aber sie verweigerte offenbar Etwas, das die andere Stimme verlangte.

Die spanische Kammerfrau schlich noch näher – sie stand beinahe am Fuß der Treppe und beugte horchend den Oberkörper vorwärts.

»Es ist der Kammerherr vom Dienst – Santissima Virgen! ich erkenne die Stimme!«

»Wollen Sie Platz machen von der Thür – im Augenblick – ich befehle es zum letzten Mal!«

»Es ist unmöglich – der strengste Befehl – –«

Ein eigenthümlicher Ton scholl herunter, ein zweimaliges doppeltes, rasches Klatschen.

Es war, wie wenn eine kräftige Hand eine Wange berührt.

Die Kammerfrau schlug gleichfalls unwillkürlich die Hände zusammen.

»Santa Brigitta – ich glaube gar – – aber par Dios! sie ist eine echte Spanierin!«

Man hörte oben eine Thür heftig zuschlagen – das war der letzte Ton. – –

Als die Kunstreiterin Rositta die Antichambre erreichte, wo der Kammerherr Graf Montboisier auf sie wartete, fiel ihr Auge auf den Ring, den ihr die Kaiserin gegeben.

Es war der schwarze Diamant – derselbe, den der Mohr La Muerte Aniella Garibaldi aus dem Körper ihres Kindes gebracht,Villafranca. I. Band. Der schwarze Diamant – den sie sterbend zu Rimini ihrem Gatten hinterlassen, – nach dessen Verkauf den Londoner Juwelier der Tod ereilt hatte, – das Geschenk des Kaisers am Abend seiner Verlobung,Zehn Jahre. III. Band. Ein Ball in den Tuilerien das Oberst Canrobert den Tod gebracht und das seitdem die Kaiserin, als verhängnißvoll für ihr Glück, nie von ihrer Hand gelassen.

Nur der drängende Augenblick konnte sie veranlaßt haben, es Rositta als Pfand anzuvertrauen!


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