John Retcliffe
Magenta und Solferino - Band 2
John Retcliffe

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Es ist halb acht Uhr – zur selben Zeit etwa, als die Kaiserin von Frankreich die Audienz der Kunstreiterin Rositta so rasch beendete.

Wir führen den Leser aus den vergoldeten Gemächern der Tuilerien nach der Straße, deren Namen die Ueberschrift dieses Kapitels unsers Buches trägt, und die bald eine so blutige Berühmtheit erreichen sollte, daß sie sich würdig jenen andern Blutflecken der Geschichte von Paris anschließt, die man die Straße Laferronnerie,Heinrich IV. wurde bekanntlich am 14. Mai 1610 in dieser Straße (jetzt Rue St. Honoré 3) von Ravaillac ermordet. Boulevard du Temple,Aus dem Hause Nr. 50 richtete Fieschi am 28. Juli 1835 seine Höllenmaschine auf Louis Philipp. und vor Allem den Revolutionsplatz nennt, – nicht zu gedenken, daß eigentlich jeder Stein in Paris seine Mord- und Blutgeschichte hat.

Die Straße Lepelletier, – nach dem berüchtigten Grafen von St. Fargeau also genannt, der als früherer Präsident des Parlaments in dem Convent für die sofortige Hinrichtung Ludwig XVI. stimmte, und dafür am 20. Januar, 1793 von einem treuen Gardisten erstochen wurde, was ihm die sehr zweifelhafte Ehre des Pantheons einbrachte; – läuft parallel der Straße Lafitte von dem Boulevard des Italiens nach der Rue de Provence. An ihrer rechten Seite vor der Rue Rossini befindet sich das Gebäude der Oper, ein Werk des Architecten Debret, und in Jahresfrist (1821) erbaut, als das Gouvernement wegen der an der Thür des alten Opernhauses, Rue Richelieu, begangenen Ermordung des Herzogs von Berri die Demolirung dieses Gebäudes befohlen hatte. Nur der Ruf früherer Zeit stempelt es zu dem prächtigsten Theater Europas; denn in Wahrheit von Außen ver- und umbaut, im Innern schmutzig und unbequem kann es sich gar nicht mehr mit den Prachtgebäuden von Berlin, Dresden und andern Hauptstädten messen. Bekanntlich hat der Kaiser in neuester Zeit ein neues großartiges Opernhaus erbauen lassen, das die alte Suprematie wieder herstellen soll.

Der Eingang für den Hof befindet sich am Ende der grossen Marquise, welche das Parterre der Front nach der Rue Lepelletier zwischen den beiden vorspringenden Balkonbauten überdacht. Eine Estrade von breiten Marmorstufen läuft um die ganze Front und schützt das ins Theater strömende Publikum vor den anfahrenden Wagen.

Die Ristori sollte an diesem Abend als Maria Stuart auftreten. Man kennt das ergreifende Spiel der berühmten italienischen Tragödin in der Szene der Zusammenkunft mit Elisabeth.

Die mehr als gewöhnliche Erleuchtung des Opernhauses beim Eintritt des Abends verkündete dem Publikum, daß der Hof die Vorstellung besuchen werde. Zahlreiche Gruppen von Flaneurs und Schaulustigen hatten sich daher schon vor Beginn der Vorstellung (7½ Uhr) in der Straße und vor der Oper versammelt und vergrößerten sich mit jedem Augenblick. Es handelte sich eben nur darum, den Hof ankommen zu sehen, denn an die Erreichung von Eintrittbillets war nicht zu denken.

Unter dem sich versammelnden Publikum bemerkte man auffallender Weise viele Männer mit grünen wollenen Shawls um den Hals.

Ziemlich schräg über dem Opernhaus, auf der andern Seite der Straße befindet sich ein unbedeutendes Kaffeehaus, das zu jener Zeit die Schildinschrift trug: »Café français et italien – à la Ville de Naples« und von einem Italiener gehalten wurde.

Das Café war von jeher von einem sehr gemischten Publikum besucht, Fremden und Parisern, das in die Oper gehend und von dorther kommend für seine Erfrischungen die billigeren Preise dieser Restauration denen der großen Café's des Boulevard vorzieht.

Im Hintergründe des Hausflurs, abgesondert von den gewöhnlichen öffentlichen Verkehrsräumen und nur von vertrautern Gästen durch einen eigenen Eingang benutzt, befindet sich ein besonderes Zimmer.

In diesem Hinterzimmer waren in dem Augenblick, in welchem wir die Scene hier aufnehmen, vier Personen versammelt.

Dieselben saßen um einen Tisch, auf dem Wein und Gläser standen. Es waren Männer in verschiedenem Lebensalter, alle gut gekleidet, zwei davon, wenigstens einiger Eigenthümlichkeiten der Toilette nach, Engländer.

Die Unterhaltung erfolgte theils in italienischer, theils in englischer Sprache.

Der eine der beiden anscheinenden Engländer war ein Mann von etwa 39 bis 40 Jahren und von mittlererer Größe. Seine Haare begannen grau zu werden, sein Blick hatte etwas Durchbohrendes, seine Nase war kurz und kräftig gebogen, sein Mund fein mit sehr weißen Zähnen, wie sich beim Sprechen zeigte. Ein gewisses erhobenes Tragen des Kopfes deutete auf Entschlossenheit und Energie.

Neben ihm saß ein Mann von ungefähr 25 Jahren mit dickem energischem Kopf und starkem schwarzen Haar. Seine Schultern sind sehr hoch, die Gesichtsfarbe ist matt, der untere Theil des Gesichtes, noch mehr hervorgehoben durch Schnurr- und Knebelbart ist sehr hervortretend. Seine Redeweise in der Unterhaltung ist auffallend kurz und barsch. Von seinen Gefährten wird er wiederholt mit dem Namen Da Sylva angeredet.

Der Dritte, dessen Kleidung sehr einfach ist und noch mehr als die des zuerst Beschriebenen den Engländer affectirt, ist offenbar der Unbedeutendste von Allen; sein bartloses Gesicht ist frisch und hat einen ziemlich gutmüthigen Ausdruck.

Von ganz anderem Schlage ist offenbar der Letzte der Gesellschaft, zugleich der Aelteste, denn Haare und Bart, den er ganz, obschon kurz abgeschnitten trägt, sind bereits sehr grau und er muß mindestens fünfzig Jahre zählen. Sein Gesicht hat einen überaus entschlossenen Ausdruck und die Leidenschaftlichkeit, die seine Rede belebt, spiegelt sich in den leicht beweglichen Zügen. Man nennt ihn wiederholt Andrea.

Der junge Mann mit dem unbedeutenden Gesicht trocknet sich den Schweiß von der Stirn, der dort in großen Tropfen perlt, und stürzt mit einem Zuge das Glas, das vor ihm steht, hinunter.

»Cospetto! – ich wünschte die Sache wäre vorbei. Es hat sich gestern gezeigt, daß wir kein Glück damit haben, und wir sollten sie lieber aufgeben oder verschieben, bis Bernard eintrifft.«

»Bernard ist in Paris, so gut wie der Prophet!«

»Wie, Signor Felicio, Sie haben ihn gesehen? Aber warum ist er denn nicht bei uns? Warum sollen wir allein....

»Zuerst, mein lieber Swiney,« sagte der angebliche Engländer mit dem dunklen Haar und scharfen Blick, der so eben erklärt hatte, daß Bernard sich in Paris befinde, – »zuerst richten Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf, selbst wenn wir unter uns sind, sich nicht so häufig zu vergessen, und erinnern Sie sich, daß, was auch passiren möge, ich einzig und allein Master Alsop heiße. Was Monsieur Bernard betrifft, so können Sie versichert sein, daß er im rechten Augenblick zum Vorschein kommen wird.«

»Swiney hat ein Hasenherz,« meinte mit einem erzwungenen Lächeln da Sylva.

»Den Henker auch – wenn ich meinen Kopf riskiren soll, sehe ich nicht ein, warum Andere den ihren aus der Schlinge ziehen wollen!«

Der Mann, der sich Andrea nannte, sah den Furchtsamen mit einem drohenden Blick an. »Schweig, Bursche,« sagte er heftig. »Meinst Du, daß der Dolch der Brüder des Todes Dir weniger sicher ist, als die Guillotine? ich schwöre Dir, daß unsere Brüder Dich finden würden, wenn Du im letzten Augenblicke zurücktreten wolltest, und wenn Du im innersten Zimmer und unter den Wachen des Tyrannen selbst wärst oder in der fernsten Einöde Amerikas! Du hast den Eid geleistet, und mußt ihn halten.«

»Zum Henker, ich will es ja auch – aber ich darf mich doch beklagen, daß Der, welcher mich geworben, nicht selbst gegenwärtig ist. Ich bin Neapolitaner und glaube nun einmal an Vorbedeutungen. Oder nennen Sie es nicht eine solche, daß wir heute Morgen, trotz aller Mühe, die Plätze in dem Theater nicht bekommen konnten und dieser Schurke von Straßenfeger Sie und Signor Rud – da Sylva von dem Eingang fortgetrieben hat?«

»Was soll der unnütze Streit,« sagte mit strengem Ton der Mann, der sich Alsop nannte. »Wir sind nicht unter hundert Gefahren der Entdeckung hierher gekommen und allen Spionen der Polizei entgangen, um jetzt im Augenblick der Ausführung zu zögern. Ob in dem Opernsaal oder hier auf der Straße bleibt sich gleich – er ist verurtheilt zu sterben, und wird sterben.«

»Aber es kann das Leben vieler Unschuldigen kosten,« meinte da Sylva. – »Bedenken Sie, wenn es uns gelungen wäre, die Bomben in die Loge zu schleudern, was sehr leicht geschehen konnte, so wäre der Zweck erreicht gewesen!«

»Junger Mann,« sagte der angebliche Engländer finster, »erinnern Sie sich, daß während Sie in dem Hôtel de France und de Champagne sicher und ruhig schliefen, oder dieser Mensch da,« er wies auf den Neapolitaner – »in der Straße St. Honoré in dem Arm der Demoiselle Menager sich in Wollust berauschte, ich mit der Uhr und dem Thermometer in der Hand am Feuer stand, um das furchtbare Werkzeug der Rache einer ganzen Nation zu bereiten, jeden Augenblick gewärtig, daß eine Explosion mich und das ganze Haus in die Luft schleudern würde! Das Blut ist die wahre Taufe der Weltgeschichte – und wenn hundert Leben unter dem Eisenhagel unserer Geschosse verenden, – wenn nur das eine Leben darunter ist, das der Freiheit Italiens im Wege steht, so werden sie alle den Märtyrertod für eine große Sache gestorben sein!«

»Wir haben es geschworen und schon zu lange haben wir gezögert,« sprach heftig der Alte. »Jedes neue Opfer, das in Italien der Freiheit fällt, klagt uns der Schwäche und des Eidbruchs an! Er soll nicht lebendig die Schwelle des Theaters überschreiten! Wenn der Satan seinen Schützling beschirmt, wenn die Bomben ihn nicht in Stücke reißen, ihn und das Weib, das blinde Werkzeug der Priester, so müssen unsere Revolver und unsere Dolche das Werk vollenden. Es ist nur das Haupt der Natter, das wir zertreten – der Leib bleibt den Anderen und der morgende Tag wird blutig genug werden, daß man wahrlich nicht um ein Paar Dutzend Opfer mehr oder weniger fragen darf!«

»Genug der Worte,« sagte der Engländer. »Wir müssen unsere Dispositionen in anderer Weise treffen, da unsere Verabredungen durch den Zufall vereitelt sind.«

»Wir sind bereit!«

»Der Tyrann trifft gewöhnlich nach 8 Uhr ein. Der vorderste Wagen ist der des Gefolges, dann kommt die Eskorte.«

»Aber dann wird sie die Straße sperren und wir werden keine Gelegenheit finden!«

»Nein – sie wird nur die Verwirrung vermehren. Wir müssen ein Mittel finden, die rasche Abfahrt des ersten Wagens zu verhindern – dadurch stockt der Zug, der Wagen des Tyrannen muß in der Mitte der Straße halten und er ist in unseren Händen!«

»Und wie soll es geschehen?«

»Du, Swiney, stellst Dich dem Eingang gegenüber, mitten unter das Publikum, und so wie der Wagen hält, schleuderst Du Deine Bombe zwischen die Pferde des Wagens und die seiner feilen Söldner.«

Swiney nickte.

»Du, Antonio,« fuhr der Redner fort, »wirfst die zweite an den Wagen des Tyrannen, – das Andere ist unsere Sache.«

»Wo soll ich stehen?«

»Hinter dem Volk auf dem Trottoir, an meiner Seite. Sobald Du die Bombe geworfen, magst Du meinetwegen in den Flur des Hauses zurückspringen, damit Du durch die Stücke der meinen nicht verletzt wirst.«

»Es bleiben demnach noch drei?« meinte Swiney fragend, indem er auf ein Tuch deutete, das in einer Ecke des Zimmers einen Haufen von runden Gegenständen verdeckte.

Der Anführer, denn dies schien Alsop in der Gesellschaft zu sein, obschon ihm sein Gefährte Andrea Nichts an Energie nachgab, stand auf und hob das Tuch vorsichtig in die Höhe.

»Nehmt,« sagte er – »denn es wird bald Zeit sein und Brappi könnte herein kommen und Etwas merken. Obschon er ein Italiener ist und zu den Flüchtlingen hält, ist er doch eine niedere Seele und man darf ihm dergleichen nicht vertrauen. – Nehmt die beiden größeren, Antonio und Carlo – Andrea, hier ist Deine Waffe; dies sind die meinen!«

Er hob zwei Gegenstände auf und legte sie auf den Tisch. Es waren anscheinend zwei etwa handlange runde Cylinder von entsprechender Dicke, in dunkles Boy genäht.

Ein wahrhaft teuflischer Blitz zuckte aus den Augen Andrea's, als er den ihm bestimmten Gegenstand gegen das Licht erhob und in der Hand wog.

»Sie haben gerade genug Gewicht, um den Wurf sicher zu machen. TaylorWir müssen den Leser auf die spätere Darstellung des Prozesses in Betreff dieser und anderer Namen verweisen. wird sich über sein Werk wundern können, wenn er von seiner Wirkung in den Zeitungen liest!«

Alsop sah starr auf die Bomben. »Was weiß Taylor davon – er war das bloße Instrument! Sein Eisen wäre in der That Nichts denn das leere Metall, als welches es Georges und Zuguero so geschickt über die Grenze brachten, wenn der schwäbische BauerEs ist in der That erwiesen, daß die Verschworenen schon im Jahre 1856 das Geheimniß der Erfindung dieser neuen Höllenmaschine von einem jungen Mann in Karlsruhe kauften. mir nicht seine Erfindung verkauft hätte, die bestimmt ist, uns von allen Feinden zu befreien.« Er lachte grell auf. »Blickt hin, wie sie sich plagen und Belohnungen und Orden vertheilen, die Tyrannen der Völker, um für ihre Kanonen täglich neue Erfindungen zu schaffen, gegenseitig ihre feilen Söldnerheere zu vernichten – und hier liegt, von entschlossenen Männern gebraucht, was ihre Throne in die Wolken schleudern kann. Seid Ihr bereit Brüder und habt Ihr Euere Waffen?«

Die drei Verschworenen zeigten jeder einen Revolver, dann verbargen sie denselben wieder in der Tasche.

»Aber warum haben Sie uns die größeren Kugeln gegeben?« frug Swiney.

»Du bist ein Tropf! Siehst Du nicht ein, daß sie eine ausgedehntere Wirkung machen müssen und leichter unter die Menge zu werfen find, wo das Ziel gleichgültig ist?«

Der Neapolitaner schwieg.

In diesem Augenblick ließ sich an der Thür, die das Zimmer mit den vorderen Gemächern des Hauses verband, ein Ton wie ein leichtes Kratzen vernehmen.

Alsop und Andrea wechselten rasch einen Blick.

»Es ist Zeit, daß wir aufbrechen,« sagte der Erstere. »So laßt uns denn den letzten Trunk thun auf das Gelingen unserer That, von der noch die spätesten Enkel reden werden, wenn über unseren Gräbern Italien die Sonne der ewigen Freiheit leuchtet! Schenk die Gläser voll, Carlo von Rudio, als der Jüngste in der Cohorte des Todes!«

Der Mann, den er angeredet, und den sie bisher da Sylva genannt, goß die Gläser voll – er war in diesem Augenblick bleich wie der Tod, seine Hand zitterte so stark, daß der Wein über den Tisch floß.

Alsop faßte diese Hand über dem Gelenk und hielt sie wie mit einer eisernen Klammer fest.

»Du bist eine Memme, Carlo von Rudio,« sagte er streng. Laß den Propheten eintreten, Andreas, damit er sieht, mit welchen Leuten wir den Ruhm theilen sollen!«

Der ältere Verschwörer ging an die innere Thür, schob den Riegel zurück und öffnete.

Sofort trat ein Mann von hoher Gestalt ein. Er trug einen alten Militairmantel, den Kragen in die Höhe geschlagen, so daß er mit dem tief in die Stirn gedrückten Kasket fast das ganze Gesicht verbarg, von dem außer der kräftigen langen Nase und den dunkel blitzenden Augen nur ein langer Schnauzbart sichtbar war.

Der Fremde hatte, auch dem geübten Auge eines Mouchards gegenüber, ganz das Aeußere eines der zahlreichen alten Soldaten, die zum Theil als Commissionaire und Eckensteher ihr Brod in den Straßen von Paris verdienen. Darauf deutete auch das Schild an seiner Mütze und der geflochtene Tragstrick, den er unter dem Mantel um die Schulter trug.

»Gottes Tod,« sagte der Mann, ohne Weiteres an den Tisch tretend und mit einem scharfen Blick die Vier musternd, »ich glaubte schon, die Konferenz würde kein Ende nehmen. Es ist Zeit, Felicio, daß Jeder auf seinem Posten ist.«

»Der Prophet!« murmelte Swiney und stellte sein Glas wieder auf den Tisch.

»Signor Präsidente,« sagte Alsop – »wir waren im Begriff aufzubrechen, als wir das Zeichen Deiner Nähe vernahmen. Ich bat Andrea, Dich eintreten zu lassen; denn es scheint, daß diese Feiglinge im Augenblick der Gefahr zögern und sich fürchten, ihr Leben für die Freiheit einzusetzen!«

Der Fremde hatte den alten Mantel zurückgeworfen, er stand hoch aufgerichtet da. Es war eine hagere aber sehnige Gestalt, das Gesicht markirt, mit festem ruhigem Auge.

Wer bei dem Viscount von Heresford am Abend vorher gewesen wäre, als er in den Champs Elysées mit dem Cigarrenhändler sprach, würde eine auffallende Aehnlichkeit mit diesem in dem Eingetretenen gefunden haben. »Urtheile nicht zu rasch, Felicio,« sagte er ruhig in italienischer Sprache. »Es sind junge Männer, die noch nicht gelitten haben, was Dein Herz gestählt hat, – ihr Fleisch zittert vielleicht noch; aber ich weiß, ihr Wille ist stark und ihr Entschluß unverändert.«

Er hatte sein Auge ruhig auf die beiden jüngeren Verschwörer gerichtet, die seinen Blick nicht ertragen konnten und den ihren zu Boden richteten.

»Anton Gomez,« fuhr er fort, »Du weißt, was Du freiwillig geschworen hast?«

Swiney stammelte ein »Ja!«

»Wenn es Dir leid ist, kannst Du noch in diesem Augenblick zurücktreten!«

»Nein – niemals,« sagte hastig der Neapolitaner. »Seit ich Sie in der Nähe weiß, bin ich ruhig und zu Allem bereit. Befehlen Sie, was ich thun soll!«

»Nicht ich habe hier zu befehlen, sondern dieser Mann da,« er wies auf Alsop. »Aber es ist nicht genug, daß Du Deinen Eid durch Gehorsam lösen willst, Du mußt auch selbst bereit sein, Dein Leben für die heilige Sache der Freiheit zu opfern.«

»Ich bin's!« »Bedenke, daß man Dich ergreifen, mit allen Leiden des Kerkers foltern, auf das Schaffot bringen kann, um Dich zum Verrath zu zwingen!«

»Ich schwöre Ihnen, ich werde niemals Sie verrathen! Sie sind der Prophet!«

Der Fremde nickte. »Und Du Carlo von Rudio, dessen Väter im Senat Venedigs saßen, Sohn eines alten Geschlechts – ich entbinde Dich Deines Schwurs!«

Der junge Mann mit dem Stiergesicht wankte, als hätte er einen Schlag bekommen. Dann stürzte er plötzlich vor dem Fremden auf die Knie. Große Thränen rollten aus seinen Augen.

»Bei der Erde Italiens, Signor, thun Sie mir die Schmach nicht an! Nehmen Sie auf der Stelle mein Leben, aber vertrauen Sie mir. Ich will allein zu dem Wagen des Tyrannen gehen und ihn ermorden ...«

»Unsinniger! wir sind keine Mörder, sondern die Rächer eines gebrochenen Eides, die Rächer eines blutenden Volkes. Schick sie fort, Felicio – sie werden Beide auf ihrem Posten sein!«

Das Haupt der Vier winkte seinen jüngeren Gefährten. »Wir müssen einzeln das Haus verlassen. Versteckt sorgfältig die Bomben und wartet links auf dem Trottoir in der Menge. Ihr kennt Euere Pflicht!«

Ohne ein Wort dagegen zu sagen, nahmen die beiden Verschwörer die furchtbaren Waffen und verbargen sie, der eine unter seinem Mantel, der Andere unter seinem Rock.

»Deinen Segen, Prophet, wenn wir sterben sollten in unserm Werk!« bat der Neapolitaner.

Sie beugten sich vor dem Fremden, dieser machte rasch das Bundeszeichen mit dem Daumen und Zeigefinger über ihre Stirn und Brust.

»Im Namen des freien Gottes und der Freiheit Italiens, geht!«

Sie verließen Einer nach dem Andern ohne Geräusch das Zimmer durch den zweiten Ausgang.

Der Fremde setzte sich sogleich nach ihrer Entfernung nieder und wandte sich hastig zu den beiden Zurückgebliebenen.

»Jetzt zu Euch – denn die Augenblicke sind kostbar und der Verrath uns auf der Ferse. Glaubst Du, daß die Bursche ihre Schuldigkeit thun werden, Felicio?«

»Jetzt – ja! Sie würden selbst im schlimmsten Fall nur das verrathen, was sie selbst angeht.«

»Wohlan denn – es muß unter allen Umständen heute versucht werden. Beide Parteien lassen sich nicht mehr länger halten, alle Anstalten sind getroffen, die Führer bereit, obschon sie blind genug sind, um die Puppen in unserer Hand zu sein. Paris und Frankreich wird morgen Abend weder der Dynastie Orleans, noch einem neuen Bonaparte gehören, sondern der Freiheit! Aber die Gefahr ist dringend – die Polizei ist auf Eurer Spur!«

»Diavolo! was sagst Du!« Alsop hatte unwillkürlich nach dem Griff seines Revolvers gefaßt.

»Beruhige Dich, diesmal gilt's nicht Dir, sondern dem da!« Er wies auf Andrea. »Ihr wißt bereits, daß seine Rückkehr schon seit vierzehn Tagen von dem Gesandten in Brüssel signalisirt war. Es war unvorsichtig von Euch, so offen auf Jersey und in Brüssel mit Personen zu verkehren, die von der Polizei beobachtet werden. Nur ein glücklicher Zufall ist's, daß Ihr die Granaten unbemerkt über die Grenze gebracht habt. Aber diesen Mittag ist ein neues Telegramm eingegangen, aus London selbst, das vor einem Attentat auf den Tyrannen warnt. Der alte Palm wird schwach und bekommt Gewissensbisse. Pietri ist zwar ein Maulwurf, wenn er noch vor zwei Stunden bei dem Diner im Hôtel Lagrange sich rühmte, er müsse sich pensioniren lassen, weil sein Amt eine Sinecure geworden, aber nicht Alle sind so blind wie er, und unter den Mouchards sind Viele, die Dich kennen müssen, Andrea.«

Der Graubärtige beugte den Kopf. »Zum Teufel, das ist wahr! Aber was thun? – Es werden gewiß genug Polizeileute unter den Gaffern vor dem Eingang sein, und wenn ich erkannt werden sollte, ist Alles verloren!«

»Eben deshalb bin ich gekommen. Felicio und die beiden andern sind unbekannt in Paris – Du aber darfst Dich in ihrer Nähe und auf dem Schauplatz der That nicht zeigen.«

Der finstere Italiener knurrte wie ein Bulldogg, dem die stärkere Hand einen Knochen entreißen will. »Aber ich habe es geschworen. Du weißt – damals in San Pietro di Montorio, als seine Bomben um uns krachten. Jetzt sollen ihm die meinen um die Ohren springen und sein falsches Herz zerreißen!«

»Es muß sein – Du weißt, daß ich die Macht habe, Dich zu entbinden. Aber Du sollst wahrlich nicht müssig sein. Halte Dich in der Straße Rossini, und wenn Du den ersten Schlag hörst, so schleudere Dein Geschoß auf irgend ein beliebiges Haus – die Explosion in einer andern Straße wird die Verwirrung nur steigern und die Aufmerksamkeit theilen.«

Das ist wahr. Aber das Gas – ich sollte die Hauptröhren sprengen!«

»Sei unbesorgt – die Anstalten sind getroffen, die Flammen werden sofort verlöschen. Eine Stunde später müßt Ihr hinter den Barrikaden sein.«

»So ist die Revolution sicher?«

»Der Ausbruch wartet nur auf das Signal. Die Venta's der Rothen sind bereit, – auch die Polen. Von der andern Seite werden sich sofort die Orleanisten erheben. – Sie sind gut genug, die Soldaten so lange zu beschäftigen, bis dieser Affe seines Onkels proclamirt ist, der sich einbildet, wir arbeiteten für ihn. Ledru Rollin, Charras, Hugo können morgen Mittag schon in Paris sein, obschon es hier nicht an Führern fehlt. In Madrid, Neapel, Mailand und der Romagna bricht zugleich die Revolution aus. Garibaldi hat uns seinen entschlossensten Offizier geschickt und der Plan, den er entworfen, ist vortrefflich. Die drei Cohorten werden zu gleicher Zeit sich der Tuilerien, des Stadthauses und des Palais Royal bemächtigen und wenn der Pöbel den neuen Präsidenten der Republik ausschreit, dürften nur wenige Soldaten auf ihn schießen.«

»Wer ist der Offizier Garibaldi's?«

»Kapitain Laforgne – Du mußt ihn von Rom her kennen!« »Gewiß – aber eben deshalb,« sagte unzufrieden Alsop, »warum sind wir nie mit ihm in Berührung gebracht worden? warum erfahren wir überhaupt erst jetzt im letzten Augenblick der That die Details der Erhebung?«

»Weil die vollendete That sich nicht mehr ändern läßt. Die meisten dieser Leute aber, sowohl von den Unsern, als von den Bourgeois – Laforgne an der Spitze, – würden sich geweigert haben, wenn von einer That die Rede gewesen wäre, die sie Mord schelten, während sie nur Nothwehr und Vergeltung ist. Wir hätten nicht den zehnten Theil dieser Unzufriedenen in der Armee für den Aufstand gewinnen können, wenn wir unser Geheimniß ihnen preisgegeben hätten. Sie glauben an einen offenen Kampf mit der Bedeckung des Tyrannen, darin mag er fallen oder gefangen werden – aber sie dürfen von diesen da Nichts wissen. Ist es geschehen, werden die albernen Scrupel von selbst vorbei sein! Aber es ist Zeit – zum letzten Mal – seid Ihr bereit, Brüder des Bundes?«

Die beiden Verschworenen hatten ihre Hüte genommen und die furchtbaren Waffen eingesteckt.

»Wir sind's – bis in den Tod! Es lebe Italien!«

»Dann vorwärts! Ein freier Gott und ein freies Vaterland! Brüder, ich weihe Euch mit diesem Kuß dem Siege selbst im Tode. Auf Wiedersehen in der Ewigkeit, hier – oder dort!«

Er küßte Beide feierlich auf die Stirn – einen Augenblick später hatten sie das Zimmer verlassen.

Der Zurückgebliebene schlug den Mantel wieder in die Höhe und wand einen grünen Shawl um den Kragen. Es war das Erkennungszeichen der Verschworenen. Nach einem sorgfältigen Blick umher, ob auch kein Gegenstand, der sie verrathen konnte, zurückgeblieben war, verließ auch er das Zimmer.

Die Garçons und die Gäste des Café waren in diesem Augenblick viel zu beschäftigt um sich um die Ab- und Zugehenden zu bekümmern. Alles stand an den Fenstern oder vor der Thür, um die Ankunft der kaiserlichen Equipage zu sehen. Das Haus ist zahlreich bewohnt und der Verkehr der Fremden, namentlich der Italiener, war zu jener Zeit in dem Café nicht unbedeutend.

Als der Mann in dem alten Militairmantel und mit dem Schilde des Commissionairs unbemerkt wieder auf die Straße gelangt war, blieb er einige Augenblicke stehen und sah sich aufmerksam um. Etwa zehn Schritte von sich zur Linken, hinter einer dichten Gruppe von Männern, Frauen und Kindern sah er den angeblichen Alsop stehen, neben ihm Rudio, etwas entfernter Gomez.

Die Beleuchtung des Opernhauses und der Straße war so glänzend, daß es fast tageshell und jedes Gesicht deutlich zu sehen war.

Der »Prophet,« wie sie ihn genannt hatten, ging, hinter den Zuschauerhaufen entlang und berührte dabei die Hände zweier Männer, die unter den Gaffern standen, welche die Sergeants de Ville auf dem Trottoir zurückhielten, damit der Straßendamm frei blieb.

Die beiden Personen trugen, wie der Unbekannte einen grünen Shawl und folgten ihm, ohne es auffällig zu machen. An der Ecke blieb der Kommissarius stehen und lehnte sich an das Haus.

Die beiden Männer traten zu ihm, als wollten sie eine jener gewöhnlichen Unterhaltungen beginnen, welche die Pflastertreter aller großen Städte lieben.

»Ora!« sagte der Eine.

»E sempre!« antwortete der Kommissionair. »Stellen Sie sich sofort in der Nähe der Separat-Anfahrt des Opernhauses auf, und wenn die erste kaiserliche Equipage anfährt, so verzögern Sie durch irgend ein Mittel um fünf Minuten die Weiterfahrt.«

»Es soll geschehen. Ist sonst noch Etwas zu thun?«

»Aufmerksamkeit auf Alles. Zu welcher Venta?«

»Zur achten!«

»Gut! – Wir treffen uns also um Mitternacht vor dem Hotel de Ville. Adieu!«

Er ging weiter und bog zur Rechten in die Straße Rossini ein. Hier begegnete ihm Andrea. Die beiden Männer tauschten nur einen Blick und der Unbekannte ging weiter.

Er war eben bis an die Ecke der Straße Drouot gekommen, und bog nach den Boulevards ein, als er plötzlich stehen blieb und einem Manne nachschaute, der auf der andern Seite der Straße mit raschen Schritten an ihm vorüber gegangen war.

»Verdammt!« murmelte er – »das ist Hébert! Er hat eine der feinsten Nasen der Präfectur und muß Andrea kennen. Ich hoffe, daß der Bursche sich nicht unvorsichtig exponirt und ihm in den Weg kommt, aber ich muß zusehen, sonst ist Alles verloren!«

Er drehte auf der Stelle um und ging dem Manne nach; aber an der Ecke der Straße Rossini versperrten ihm entgegenkommende Wagen den Uebergang und hielten ihn ein paar Minuten auf.

Als er endlich die Straße passirte, sah er etwa fünfzig Schritt entfernt einen Menschenknäuel.

So große Selbstbeherrschung der Unbekannte auch bewahrte, so vieles Mißlingen ihn auch schon im Leben gestählt hatte, eine Todtenblässe überzog sein Gesicht.

Er ging vorsichtig näher unter den sich sammelnden Menschen, denn in Paris wie anderwärts vereint das unbedeutendste Straßenereigniß in frequenter Gegend sofort Hunderte.

»Was ist denn hier geschehen?« frug er einen der Neugierigen.

»Ei – ich weiß nicht! Man wird einen Taschendieb verhaftet haben, deren sich immer eine Menge bei der Oper herumtreiben – oder es hat Jemand ein Bein gebrochen. Sehen Sie – das Erste ist richtig!«

Eben öffnete sich der Kreis, zwei Sergeants de Ville führten Andrea, ihn an beiden Armen festhaltend, heraus. Der Polizei-Commissair Hubert folgte ihnen.

»Führen Sie diesen Mann,« sagte derselbe laut, »sofort nach der Mairie des 9. Arrondissements und untersuchen Sie ihn dort aufs Genaueste. Geben Sie Acht, er ist ein entschlossener und gefährlicher Mensch; obschon er sich Andreas nennt und im Hôtel de France und de Champagne wohnen will, möchte ich meinen Kopf verwetten, daß er der Revolutionair Joseph Pierri ist, der uns annoncirt worden. – Gebe Gott, daß sein Umherstreifen hier kein Unheil bedeutet. Ich will schnell nach der Thür der Oper eilen und alle Sicherheitsmaßregeln treffen, denn der Kaiser muß sogleich kommen!«

Er eilte in die Straße Lepelletier.

In dem Augenblick, als ihn die Sergeanten, zu denen rasch sich zwei Polizeidiener in Civil gesellten, fortführten oder vielmehr stießen, hob der Gefangene zum ersten Mal das finstere Auge und ließ es über die Menge schweifen.

Sein Blick traf auf den Commissionair – mit Gedankenschnelle machte dieser ein Zeichen mit dem Daumen und Zeigefinger über Mund und Brust und trat dann zurück in den Schatten.

Der Gefangene warf stolz den Kopf zurück, ließ seinen spöttischen Blick über die Menge gleiten, die zum Theil, durch die Worte des Polizeiagenten zur Neugier angereizt, diesem gefolgt war, und schritt vorwärts.

Er hatte noch keine zwanzig Schritte gethan, als sich plötzlich ein starker, die Luft erschütternder Knall hören ließ.

Der Knall kam offenbar aus der Straße Lepelletier vom Opernhause her. Gleich darauf erscholl ein zeterndes Geschrei, dann ein zweiter, ein dritter Knall und ein furchtbares Geheul, als rängen hundert Menschen mit dem Tode.

Ein grimmiges, frohlockendes Lachen überflog die finstern Züge des Gefangenen; er versuchte mit plötzlichem Ruck sich aus den Händen seiner Wächter loszumachen, während Zetergeschrei und Geheul von der Straße Lepelletier herübertönte, aber obschon die Sergeanten von der Explosion verdutzt und erschrocken waren, gelang es ihm nur, die eine Hand frei zu bekommen, mit der er nach der Rocktasche fuhr. Aber schnell hatte einer der nebenstehenden Polizeiagenten sie gepackt und hielt sie fest.

»Zum Henker, Jerôme, ich glaube, Ihr habt dem Kerl Waffen gelassen! Sieh nach, was er in der Tasche da hat! Was mag da drüben geschehen sein, es ist ja ein Gejammer, als sei eine Höllenmaschine losgebrannt!«

»Einen Revolver haben wir ihm schon abgenommen, aber schau was der Bursche hier noch hat – es fühlt sich an wie eine Kanonenkugel – aber auf beiden Seiten spitzig. Ich glaube, es ist von Eisen, obschon es in Tuch genäht ist!«

»Werft's auf den Boden, dann werdet Ihr's sehen!« sagte der Italiener.

»Nichts da – Parbleu! Daß wir Narren wären! Schafft den Burschen fort zur Mairie, und wenn er nicht gehen will, braucht Gewalt. Ich muß wissen, was an der Oper los ist, der Lärmen wird immer ärger!«

Andrea wurde fortgeschleppt – aus allen Seitenstraßen strömte das Publikum, entsetzt, fragend, schreiend, nach der Straße Lepelletier. Der Ruf: »Der Kaiser ist ermordet! Eine Höllenmaschiene! Man steckt die Häuser in Brand!« erscholl aus tausend Kehlen und pflanzte sich bis auf die Boulevards fort.

Sehen wir, was unterdeß vor dem Eingang der Oper geschehen war und am nächsten Morgen schon auf den Blitzesschwingen des Telegraphendrahtes ganz Europa in Schrecken und Bewegung setzen sollte. – –


Wagen rasselten noch immer heran, Phaëtons, Tandems, Broughs, Fiakers, Equipagen; die Sergeants de Ville hatten in der That Mühe, die Ordnung aufrecht zu erhalten, denn die zahlreichen anwesenden Agenten der Polizei in Civil kümmerten sich nicht um den untergeordneten Dienst der Straßenordnung, begnügten sich, das Publikum zu mustern und bildeten die vordersten Reihen desselben. Es ist einmal Mode in Paris, zu spät in die Theater zu kommen, um möglichst Aufsehen zu erregen.

Aus einem vorfahrenden viersitzigen Wagen stieg eine muntere Herrengesellschaft: Lord Heresford, sein Schatten in Paris: Kapitain Peard, und zwei andere Herren, von denen der Eine der dicke Journalist Duplessis war, der damals bei dem Souper der Guerin die komische Figur spielte und seitdem Chef-Redakteur, noch dicker und noch mehr Gourmand geworden war.

»Ich hoffe, Montboisier ist bereits im Orchestre,« sagte der Lord. »Ich möchte in der That wissen, warum er uns mitten im Diner verließ.«

»Ich habe es Ihnen ja gesagt, Mylord, eine neue Liebschaft. Faronne, der Advokat von Maquet erzählte mir, als er bei Béfour eintrat, daß er ihn eben in einem Wagen mit einer verschleierten Dame gesehen.«

»Bah – Herr Faronne hat noch die Romane von heute Morgen aus dem Justiz-Palaste im Kopfe. Uebrigens ist der Prozeß ein Scandal für Herrn Dumas, und er verdiente ausgepfiffen zu werden, wenn er sich heute im Foyer blicken läßt. Er hätte Herrn Maquet wenigstens die 50 000 Franken zahlen sollen, nachdem er ihn um die Autorschaft des »Monte Christo« und der »Fünfundvierzig« betrogen hat.«

»Was wollen Sie, Mylord, eine gute Firma ist so viel wie das Einlagekapital bei einem Kompagniegeschäft. Ueberdies weiß unser Creole 50 000 Franken besser anzuwenden, als sie Herrn Maquet in die Tasche zu stecken. Aber wollen wir nicht eintreten, der zweite Akt muß schon begonnen haben. Die Ristori spielt in der That nicht ganz schlecht in der Tragödie.«

»Meinen Sie? ich will wünschen, daß die italienischen Tragödien immer Ihren Beifall finden mögen! – Aber lassen Sie uns noch einige Augenblicke in der frischen Luft verweilen, – der Latour des Herrn Béfour ist vortrefflich. Warum hat sich so viel Publikum hier versammelt?«

»Man erwartet den Kaiser« sagte der vierte Herr.

»Und deswegen so viele Leute!« meinte der Kapitän. »Die Pariser sind neugierig für Nichts. Ich werde mich auch im Schauspiel langweilen – es ist doch Alles bloß Komödie!«

»Zum Henker« meinte der Journalist, »wünschen Sie vielleicht, daß man Ihnen zum Dessert nach unserm Diner bei Béfour für Ihre acht Franken eine Maria Stuart in Wirklichkeit köpfen soll?«

»Warum nicht – in Dahomet hat man's umsonst gethan. Nun habe ich leider noch keine Gelegenheit gehabt, in Europa ein gekröntes Haupt sterben zu sehen. Ich wollte, ich hätte schon 1793 gelebt, da verlohnte es sich noch der Mühe, Beobachtungen zu machen. Nach dem fatalen Zufall von gestern wäre mir das Glück wirklich einen Ersatz schuldig. Goddam – was hatte dieser Dummkopf von Deutschen sich in den schönen Sturz der Miß Rositta zu mischen!«

»Die Journale sind heute voll des Lobes für die entschlossene Hilfe. Ich bedauere, daß ich nicht im Circus war« sagte der Journalist. »Ich hoffe, der junge Mann hat keinen Schaden genommen?«

»Montboisier versprach, bei ihm vorzufahren und ihn mit in den Circus zu bringen«, bemerkte der Lord. »Der junge Mann interessirt mich. Sehen Sie einmal, Stansfeld, wie diese guten Herren Pariser an Ordnung gewöhnt sind? Unsere Bursche würden sich vor Drury-Lane oder Conventgarden schwerlich so in Ordnung halten lassen!«

Das Bier brauende Parlamentsmitglied – denn die vierte Person der Gesellschaft war in der That der bekannte Beschützer Mazzini's, der vor einiger Zeit als Partisan und Kabinetsmitglied des alten Pam der Regierung Ihrer Majestät nicht geringe Kompromittirungen bereitet hat, machte eine sehr verächtliche Geberde.

»Es sind lauter Mouchards, Mylord! Man hat mich versichert, daß an solchen Abenden an hundert dieser Halunken die Wache in der Oper haben. Es ist eine Tyrannei sonder Gleichen für eine civilisirte Nation! Alle diese Kerle mit den grünen Shawls gehören zur geheimen Polizei.« Der Lord sah ihn mit einem eigentümlichen Lächeln an. Sie sprachen ungestört, da der Journalist mit Kapitän Peard in einen Streit über die Vorzüge der Guillotine vor der englischen Hinrichtungsweise durch den Strang gerathen war.

»Aber erlauben Sie mir die Bemerkung Sir, Sie tragen ja selbst einen solchen Shawl!«

Das Parlamentsmitglied erröthete einigermaßen. »O ich, Mylord, das ist etwas Anderes. Niemand wird mich für einen Mouchard halten.«

»Das nicht – aber ... die Wahl des Tuches ist jedenfalls nur zufällig!«

»Nicht so ganz, Mylord, nicht so ganz! Ein anonymes Billet, das ich diesen Morgen empfing, hat mich ersucht, heute und morgen einen solchen Shawl zu tragen.«

»Und Sie glaubten wahrscheinlich, daß es das Zeichen zu einem galanten Rendezvous sein sollte?«

»Dies oder eines politischen! Sie wissen, Mylord, man wendet sich häufig in geheimen Interessen an mich! Aber ich sehe, daß man sich einen schlechten Spaß mit mir gemacht hat, und ich will sogleich ...

Der Viscount legte die Hand auf seinen Arm, der schon sich nach dem Tuch erhob, um es abzunehmen und einzustecken.

»Nicht so hastig, werther Sir! ich glaube, Sie irren sich in der Uniformirung der Myrmidonen des Herrn Pietri. Sehen Sie her!«

Er zog aus der Seitentasche seines Rockes ein grünes Tuch.

»Wie Mylord, Sie auch?«

Der Viscount zuckte die Achseln. »Lieber Herr Stansfeld« sagte er spöttisch lächelnd, »Sie sehen, daß Sie nicht allein Verbindungen haben, und nicht den Geheimnißvollen gegen mich zu spielen brauchen! Wenn mich nicht sehr Alles trügt, wird es heute Nacht oder morgen früh zu einigen Schlägen zwischen der Demokratie und den Soldaten des Herrn Bonaparte kommen, und da ich den Spaß gern in der Nähe ansehen möchte, habe ich in diese Tasche, wie Sie sehen, das diesmalige Erkennungszeichen Ihrer Freunde, und in die andere Tasche eine kaiserliche Kokarde gesteckt. Sie sehen, ich bin für beide Theile vorbereitet.«

»Aber, Gott soll meine Augen verdammen, Mylord, ich weiß wahrhaftig von Nichts! Man hätte mich doch unterrichten müssen! Für was bin ich denn eigentlich nach Paris gekommen?«

»Vielleicht, um zu bestätigen, daß Ihr Freund Alsop ein Commissionär Ihres trefflichen Bierverlags ist! Sie müssen das schon mit Ihren Freunden abmachen, daß man gegen einen Mann von Ihrem Eifer und Ihrem Gewicht so hinterm Berge hält. Aber ich kann Sie versichern, daß wenn Ihre lieben Freunde, die Herren Mazzini, Ledru Rollin und so weiter sich nicht etwas mit dem Barrikadenbau beeilen, sie Herr Pietri trotz seiner Schläfrigkeit vielleicht morgen schon beim Kragen nehmen wird, und wahrscheinlich auch Sie dazu, obschon Sie so vortreffliches Ale brauen!«

Der Dummkopf, der sich seit Jahren von den Mazzinisten brauchen läßt und sein Geld an sie wegwirft, konnte sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen, daß ein Hochtory mehr wissen sollte als er, – aber er hatte keine Zeit, diesem Erstaunen weiter Ausdruck zu geben; denn von den Boulevards her kamen im gestreckten Galop zwei Vorreiter in der kaiserlichen Livree gesprengt, und hinter ihnen drein rasselten Wagen und der scharfe Trab eines Kavaleriepikets auf dem Steinpflaster.

Der Wagen, welcher hinter den beiden Vorreitern kam, und vor dem Separat-Eingang des Opernhauses halten blieb, enthielt die beiden Palastdamen der Kaiserin, die sie bei dem Besuch der Oper begleiten sollten, und den dienstthuenden Kammerherrn. Die drei Personen stiegen eilig aus; als aber der Kutscher weiterfahren wollte, um der kaiserlichen Equipage Platz zu machen, wollte das Handpferd weder Zügel noch Peitsche gehorchen, schlug hinten aus gegen den Wagen und versuchte mit wüthendem Schnauben über die Deichsel zu springen.

Wie sich später ergab, war in dem Gedränge, das sich vor den Pferden gebildet hatte, dem einen das brennende Ende einer Cigarre in die Nüster geschoben worden.

Die zuspringenden Bedienten und einige Polizeiagenten suchten das Pferd zu beruhigen und dem Kutscher zu helfen, die Anfahrt frei zu machen.

Indeß ward dadurch jener Aufenthalt veranlaßt, den der Unbekannte von den beiden Männern verlangt hatte. Hinter der Equipage der Hofdamen war in vollem Trab die Eskorte des kaiserlichen Wagens angekommen, ein ziemlich starkes Detachement der Municipal-Gardisten, Garde-Lanziers unter der Führung eines Offiziers.

»Platz! Platz!«

Aber der erste Wagen konnte noch immer nicht von der Stelle gebracht werden.

Mehrere andere Polizei-Agenten sprangen zu, aber die Eskorte mußte bereits halten und hinter ihr die kaiserliche Equipage, in der der Kaiser und die Kaiserin im Fond saßen, auf dem Rücksitz der General Roquet.

Endlich fuhr der erste Wagen weiter. Das Kommando des Offiziers erklang:

»Abgeschwenkt! – Links! – Rechts!«

Aber ehe die Pferde noch aus den durch den Aufenthalt dicht aneinander gedrängten Reihen in Gang gebracht werden konnten, flog aus dem Publikum ein dunkler Gegenstand zwischen das vorletzte Glied der Lanciers und fiel auf das Pflaster.

In demselben Augenblick erfolgte ein erschütternder Knall. Pferde und Reiter stürzten über einander – ein lauter Aufschrei aus zwanzig Kehlen! –

Ehe er noch die Luft durchzittert hatte, folgte ein zweiter, noch stärkerer Knall, ein noch entsetzlicheres Wehgeheul. Das eine Pferd vor dem kaiserlichen Wagen sprang in die Höhe, das andere stürzte sogleich zu Boden, – der Kutscher wurde von seinem Sitz geschleudert, alle Fensterscheiben am Opernhause und den Häusern gegenüber bis in das dritte Stockwerk klirrten auf das Pflaster, die Flammen der Gaslaternen am Opernhause verloschen mit einem Male. –

In das gellende Hilfgeschrei, in den Ruf: Flieht! Flieht! Rettet den Kaiser! donnerte eine dritte Explosion. Während das zweite fürchterliche Geschoß gerade unter den Pferden des kaiserlichen Wagens explodirt hatte, war die dritte Bombe, von der sichern Hand Alsops geschleudert, unter den Wagen selbst gefallen.

Ein furchtbares Jammergeschrei erfüllte die Luft, Alles umher war einige Augenblicke fast finster, denn die Erschütterung der Luft hatte die meisten Gaslaternen an den Häusern ausgelöscht, während die an der Front des Opernhauses, wie sich später erwies, durch das Zudrehen eines Haupthahnes sämmtlich erloschen waren. Eine unbeschreibliche Verwirrung herrschte in dieser Finsterniß in der Straße, Blutende, Todte, schlagende Pferde, herbeistürzende Menschen im wilden Knäuel durcheinander.

Auf dem mit Blut und zuckenden Körpern bedeckten Trottoir stand ein Mann, das Blut rann in dunklem Strom von seiner eigenen Stirn – er hob die Hand – die Hand hielt einen dunklen Ballen. – – –

In diesem Augenblick fiel der Lichtstrahl aus einer von einem entschlossenen Polizeiagenten auf's Neue an der Häuserreihe entzündeten Gaslaterne durch die zerbrochenen Scheiben auf die Gruppe vor ihm – einen Mann, der eine blutende Frau vom Boden aufhob.

Der Schein der Gasflamme beleuchtete das kräftige, offene Gesicht dieses Mannes, das Schrecken und Abscheu wieder spiegelte.

Der Andere auf dem Trottoir trat einen Schritt zurück und ließ den Arm sinken.

»Er – beim Himmel – mein Retter von Mantua!« murmelte er. »Der Teufel selbst führt ihn gerade jetzt hierher! Und dennoch –«

Er wollte den Arm wieder erheben – aber es war bereits zu spät.

Drei, vier neue Gasflammen leuchteten auf – die Polizeiagenten mit ihren Revolvern und Dolchen umringten den kaiserlichen Wagen, – hundert Augen suchten zwischen der gräulichen Mordscene.

Der Mann mit der verwundeten Frau stand bereits vor dem blutenden Verschwörer.

»Helfen Sie mir diese Dame in ein Haus bringen. Aber Sie bluten selbst – wie – sehe ich recht? Signor Or...? –«

»Still! – wollen Sie mich verderben! Helfen Sie mir selbst fort von hier aus dem Gedränge – ich bin verwundet!«

Der Deutsche, der Secretär der Fürstin Trubehkoi und Informator ihres Kindes, der auf das erhaltene Billet Otto von Röbels eben auf dem Wege war, ihn in der Oper aufzusuchen, als die furchtbare Blutscene sich ereignete und die Stücke der explodirenden Bomben um ihn her sprühten, seine Kleider zerreißend, ohne ihm jedoch mehr als einige Hautwunden zuzufügen, hatte die verwundete Frau in die Arme aus dem Haufen herbeieilender Personen gelegt und faßte den falschen Alsop am Arm.

»Kommen Sie – stützen Sie sich auf mich! Geschwind, oder Sie sind verloren!«

Der blutende Verschwörer stützte sich schwer auf seine Schulter; er fühlte, daß er allein nicht von dieser Mordstätte flüchten könne.

Dennoch zögerte er einen Augenblick.

»Der Kaiser? – was ist mit dem Kaiser?«

»Die Mörder haben ihr Ziel verfehlt« sagte der Deutsche streng. »Der Kaiser Louis Napoleon hat so eben mit der Kaiserin den Wagen verlassen. Kommen Sie!«

Er führte ihn die Häuser entlang nach der Rue Rossini hin, wo das Gedränge der herbeiströmenden Menschen weniger groß war, als von den Boulevards her.

Als sie in der nächsten Straße waren und nach der Rue Lafitte sich wendeten, blieb der Erzieher stehen.

»Mein Herr –« sagte er kurz, »sind Sie in der That der Flüchtling von Mantua?«

»Ja, Herr, Sie gaben mir damals das Leben und die Freiheit. Sie gehören Ihnen. Rufen Sie die Häscher – ich bin Ihr Gefangener!«

»Signor Orsini«, sagte der Deutsche kalt, »ich bin ein Kämpfer für die Freiheit wie Sie, und habe ihr mehr als das Blut geopfert, das von Ihrer Stirn fließt. Aber ich bin kein Meuchelmörder und will mit Meuchelmördern Nichts weiter zu thun haben. Sie sind der ersten Gefahr entronnen – fliehen Sie, wenn Sie können, ich habe Nichts mit Ihnen weiter zu schaffen – Gott wird über Sie richten!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und ließ den Italiener auf der Straße stehen.

Dieser starrte ihm einige Augenblicke finster nach, dann suchte er seine Kräfte zu sammeln und seinen Weg fortzusetzen, nachdem er die Bombe und den Revolver, den er trug, in einen dunkeln Winkel der Straße niedergelegt hatte.

Aber er konnte bald nicht weiter. In der Straße Lafitte schleppte er sich in die Apotheke Vautrain, wo er mit mehreren Andern flüchtig verbunden wurde. Als er heraus kam, sprach er den ersten ihm Begegnenden an:

»Wenn Sie ein Christ sind, Herr, so helfen Sie mir bis zum nächsten Fiakre; ich bin schwer verwundet, wie Sie sehen!«

Der Mann, auf den der Verschwörer gestoßen, war der Bürger Decoilly. Er bot mit der Gefälligkeit und dem Eifer, die den Franzosen auszeichnen, dem Schwankenden seine Unterstützung und geleitete ihn zu dem Fiakrestand an der Rue de Provence.


Der Schauplatz des abscheulichen Verbrechens bot unterdeß ein erschütterndes Bild.

Mehr als hundertundfünfzig Personen – diese Zahl wurde später amtlich konstatirt, reicht aber noch lange nicht an die Wirklichkeit, da viele Personen theils bei der Verschwörung selbst kompromittirt, theils um mit der Untersuchung Nichts zu schaffen zu haben, dies verschwiegen – waren von den teuflischen Höllenmaschinen mehr oder weniger verwundet worden. Darunter allein eilf Municipalgardisten, zwölf Lanciers, drei Bedienten des Kaisers, einige dreißig Polizeiagenten – neun Frauen und Mädchen. Die Verwundeten, die Weiber und Kinder wurden in der Dunkelheit von den erschreckten Flüchtenden unter die Füße getreten. Von den Stahlstücken der zweiten Granate waren beide Pferde vor dem kaiserlichen Wagen getroffen worden, das eine stürzte gleich todt zu Boden, das andere mußte erstochen werden – mehrere Pferde der Escorte wälzten sich in ihrem Blut; – nach dem späteren Gutachten der Sachverständigen genügte jede der Granaten, hundert Menschenleben zu vernichten, – nur dem Umstand, daß die Mörder ihr Werk allzugut hatten verrichten wollen, daß sie die stählernen Bomben mit dem furchtbaren Explosionsstoff, dem Knallsilber, überladen hatten und so die Eisenhülle in zu kleine Splitter zerstoben war, ist es zuzuschreiben, daß nicht noch mehr Verwundungen tödtlich wurden.

Dennoch – die wieder angezündeten Gasflammen und die herbeigeschafften Fackeln warfen jetzt ein Helles Licht auf die Stätte der grausigen Metzelei – wälzten sich auf dem Pflaster viele auch nur leichter verwundete Personen mit wahnsinnigem Schmerzensruf und schrieen unter den Händen der Fortschaffenden: mais il y a poison! ah c'est du feu!

Die Leiden der Verwundeten waren so entsetzlich, daß man glaubte, die Mordwaffen seien noch mit Gift getränkt gewesen.

Ein Soldat zählte siebenundzwanzig Wunden, ein anderer zwanzig!

Der Wagen des Kaisers war von 76 Bombensplittern getroffen und an einer Seite durchlöchert wie ein Sieb, die starken Kupferbeschläge waren zerfetzt, zerbrochen, die Fenster zersplittert. Den General Roquet, der auf dem Rücksitz des Wagens saß, hatte ein Sprengstück am Nacken verwundet, zum Glück nicht gefährlich, – ein anderes Eisenstück hatte den Hut des Kaisers durchlöchert und ihn heruntergeworfen, dennoch – sagen wir nicht durch ein besonderes Glück oder einen merkwürdigen Zufall – sagen wir dreist: durch den Willen der Vorsehung! hatten die mörderischen Geschosse den Kaiser und dir Kaiserin selbst gänzlich verschont, nur ein Glassplitter des Fensters hatte die Wange des Beherrschers von Frankreich blutig geritzt.

Während der ganzen Fahrt von den Tuilerien bis zur Oper hatte die Kaiserin nur wenig an der Unterhaltung der beiden Männer Theil genommen. Sie war verstimmt und unzufrieden, es schien, daß eine jener kleinen häuslichen Scenen, irgend ein Wortwechsel vorgefallen war, die in den Ehen der Throne eben so gut spielen, wie in denen der Hütte.

In dem Augenblick aber, als der Knall der ersten Bombe die Luft erschütterte, warf sie sich mit dem Ruf: »Mon fils, mon pauvre fils!« vor den Kaiser und griff, die zum Schutz heranstürzenden Polizeiagenten für Verschwörer haltend, nach dem Revolver, der stets im Bereich seiner Hand in der Seitentasche des Wagens des Kaisers steckt.

Im nächsten Augenblick erfolgte die zweite und dritte Explosion; – die muthige Frau, die Spanierin von blauem Blut, deckte mit ihrem Leib den Gatten gegen die sprühenden Eisenstücke.

Die Hand Gottes deckte sich über sie! Die Agenten der Polizei sprangen zu dem Wagen des Kaisers, ihren Mäcen zu schützen – wir haben bereits gesagt, daß sie in den wenigen Schritten von den sprühenden Bomben Rudio's und Orsini's nicht decimirt, sondern halbirt wurden.

Die Uebriggebliebenen rissen den Schlag auf.

»Um Himmelswillen – sind Euer Majestät verwundet?!«

Es erfolgte eine Pause, ehe die Antwort kam: »Nein – ich glaube nicht. Ces miserables m'ont manqués encore une fois! Lassen Sie den Wagen umkehren! Nach den Tuilerien!«

Die Kaiserin sprang entrüstet aus dem Wagen, ohne irgend einen Beistand.

»Nimmermehr! Allons, Monsieur! Faisons nôtre métier et montons

Der Direktor der Oper war unterdeß herbeigeeilt, er bot zitternd der Kaiserin den Arm. Sie lehnte sich darauf, um die Stufen der Ballustrade emporzusteigen.

Der Kaiser hatte sich unterdeß von dem ersten augenblicklichen Schrecken erholt und war ausgestiegen, den General Roquet unterstützend. Er war jetzt ganz wieder der kalte, ruhig überlegende Diplomat.

»Sie haben Recht, Madame, wie immer! – Wir werden dem Schauspiel beiwohnen. Mein Herr – führen Sie die Kaiserin in den Salon der Loge. Ich habe hier meine Pflicht zu erfüllen.«

Indem der Direktor der Oper die Kaiserin zu ihrer Loge begleitete, wandte sich der Kaiser sofort zu der schrecklichen Scene und befahl die Fortschaffung und die mögliche Hilfleistung für die Verwundeten.

Er war wieder ganz der ruhige große Beherrscher, der Kaiser einer großen Nation, die – selbst in der Empörung – Nichts bedarf zu ihrem Wohlbefinden, als einer eisernen Hand.

In diesem Augenblick eilte der Graf v. Goyon, General-Adjutant des Kaisers, herbei und zog ihn bei Seite.

»Euer Majestät – ich fürchte das Schlimmste! Man hat den Marschall Magnan auf den Boulevards insultirt! Ueberall sammeln sich Menschenhaufen. Ich zweifle keinen Augenblick, man beabsichtigt eine Revolution!«

»Eine Revolte, wollen Sie sagen, Herr Graf«, antwortete ruhig der Kaiser. »Lassen Sie die Narren es probiren, wenn sie Lust haben, aber ich glaube es nicht. Eine Revolte hatte nur einen Sinn, wenn ihr Attentat gegen mich gelungen wäre. Helfen Sie mir, für diese armen Leute zu sorgen!«

Alles legte jetzt Hand an, um die jammernden und stöhnenden Verwundeten fortzubringen.

Dieselben wurden entweder nach den zunächst liegenden Häusern oder nach der Apotheke Gagnière geschafft. Ein zufällig in der Nachbarschaft anwesender Geistlicher leistete auf den Trottoirs den Sterbenden den letzten geistlichen Beistand.

Unter den schwer Verwundeten befanden sich der Gardist Batty und der Beamte Riquier, die schon am andern Tage in dem Hotel Lariboissiere starben, wohin man sie gebracht. Der amerikanische Kaufmann Haas und fünf andere Männer (Ruffin, Dusange, Chassard, Dahlen und Watteau) starben mehrere Tage später an den erhaltenen Wunden.

Von allen Seiten eilte jetzt Beistand herbei. Der Kaiser wich fast eine halbe Stunde lang nicht vom Platz und leitete selbst die Anstalten zur Fortschaffung der Verwundeten. Erst dann begab er sich nach dem Salon der kaiserlichen Loge, wo die Kaiserin ihn erwartete.

Die Escorte hielt noch immer auf der Straße und jetzt nach beiden Seiten das herbeidrängende Publikum zurück, um das Fortschaffen der verwundeten Menschen und Pferde zu ermöglichen. Vierundzwanzig Pferde der Lanziers waren von dem Eisenhagel verwundet, drei auf der Stelle todt geblieben.

Der kommandirende Offizier wandte sich jetzt an seine Leute.

»Ist Jemand noch verletzt?«

Eine gebrochene Stimme antwortete ihm.

»Ich, mein Offizier!«

Im nächsten Augenblicke sank der Soldat vom Pferde in die Arme seiner Kameraden.

Wenige Minuten später war er verschieden. Der Tapfere hatte unter den Waffen, auf seinem Posten, den Todeskampf gekämpft!

Kapitän Peard hatte zu seiner großen Befriedigung noch das Glück, zurecht zu dieser Scene zu kommen, nachdem er in den Nachbarhäusern und in der Apotheke Gagnière den Leiden der Verwundeten bei ihrem ersten Verband beigewohnt hatte, die – wie wir bereits erwähnt haben – schrecklich waren, da die Verletzungen wie Gift brannten und einen dem Wahnsinn ähnlichen Zustand hervorriefen.

Der Lord, der Journalist und das Londoner Parlamentsmitglied hatten auf der Rampe des Opernhauses der schrecklichen Scene beigewohnt, ohne glücklicher Weise schwer verletzt zu werden, da der Wagen des Kaisers und das Zuschauerspalier zwischen ihnen und den explodirenden Geschossen gestanden. Nur der Hut Master Stanfeld's war von einem kleinen Eisenstück gleich dem des Kaisers getroffen worden.

»Goddam!« murrte der das britische Reich regieren helfende Bierbrauer – »die Schurken haben mir meinen Hut verdorben, den ich diesen Morgen erst gekauft habe!«

»Sie haben immer Glück, Sir« antwortete der Lord. »Hier nehmen Sie den meinen, ich zahle noch zehn Pfund zu und werde ihn der Raritätensammlung auf meinem Landsitz in Schottland einverleiben zum Andenken daran, daß Herr Louis Napoleon ein ganz unverschämtes Glück hat. Wenn ich Ihnen rathen darf, Sir, so kaufen Sie keinen neuen in Paris, sondern warten damit bis London, wohin Sie morgen mit dem Frühzuge abreisen!«

»Wie, Mylord – Sie meinen doch nicht etwa – –«

Der Viscount hatte das honorable Parlamentsmitglied bei Seite gezogen. »Ich meine«, sagte er trocken, »Monsieur Pietri wird morgen sich alle Mühe geben, die kleine Fahrlässigkeit von heute wieder gut zu machen, und die Polizei wird alle Hände voll zu thun haben mit einer recht hübschen Anzahl von Verhaftungen. Man wird es stark auf die grünen Shawls absehen!«

Das Parlamentsmitglied band eiligst den seinen ab.

»Aber Sie selbst, Mylord, haben ja...«

»Bah – ich trage den meinen nur in der Tasche. Auch bin ich eine zu unbedeutende Person und von der lieben Pariser Polizei viel zu gut gekannt, um ihren Verdacht zu erregen. Es ist nicht wie bei Ihnen – man wird Sie offenbar mit den Barrikaden in Verbindung bringen; welche Herr Mazzini, Ihr ganz spezieller Freund und Schützling offenbar bei einem besseren Ausgang des kleinen Feuerwerks sicher bauen lassen wollte, und ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, daß in diesem Augenblick Lord Russel wegen des vortrefflichen Porters von Walsam Green eine Kriegserklärung an Frankreich machen wird. Die Krimm hat uns in der That etwas an Kriegsruf und Soldaten geschwächt.«

»Aber ich versichere Sie auf Ehre, Mylord, ich weiß ja von Nichts, man hat mir schändlicher Weise gar Nichts von einer Revolution gesagt!«

»Eben darum mein Bester! Die hohe Polizei faßt gewöhnlich nur die Personen, welche Nichts wissen! Doch – wie gesagt, das ist Ihre Sache, machen Sie das, wie Sie wollen!«

Er ging gleichgültig, als sei Nichts vorgefallen, nach seiner Loge, wo er um so bequemer saß, als Master Stansfeld es in der That für nützlicher gefunden hatte, sich sogleich nach seinem Hotel zu begeben, von wo er am nächsten Tage mit dem Frühzuge abreiste, ohne etwas Näheres über die Revolution erfahren zu haben. Monsieur Duplessis war seinem Geschäft nach auf die Jagd nach Details über das famose Attentat gegangen und Kapitän Peard konnte sich nicht eher von den Leidenden trennen, als bis die Aerzte ihn geradezu fortwiesen.

Das Publikum im Saal hatte zuerst geglaubt, es sei eine Gas-Explosion erfolgt, aber bald hatte sich von Bank zu Bank, von Loge zu Loge die Nachricht von dem Geschehenen, durch das Gerücht noch vergrößert, verbreitet und einen so allgemeinen Aufstand hervorgerufen, daß die Vorstellung unterbrochen werden mußte. Alles wollte nach den Ausgängen, doch wurde von den dienstthuenden Inspektoren der Austritt nicht verstattet, um das Gedränge auf der Straße nicht unnütz zu vermehren. Man begann sich erst zu beruhigen, als der Ober-Regisseur auf der leeren Bühne erschien und verkündete, daß beide Majestäten unverletzt seien und auf den ausdrücklichen Befehl des Kaisers die Vorstellung ihren Fortgang haben solle.

Dennoch hat die Ristori wohl nie vor einem unaufmerksameren Publikum gespielt, und als endlich der Kaiser mit der Kaiserin am Arm in der Loge erschien und bis an die Brüstung vortrat, wurde das Spiel zum zweiten Mal unterbrochen.

Ein ungeheurer Applaus – jener gewaltige Orkan, der bei politischen Anlässen aus der Menge bricht, gegenüber dem Windesrauschen des gewöhnlichen künstlerischen Beifalls – erhob sich aus allen Rängen, die Damen wehten mit ihren Tüchern, die Männer erhoben ihre Hände gegen die Loge und immer und immer wieder, während das kaiserliche Paar dankte, brach der gewaltige Zuruf aus und wollte bei dem so leicht erregbaren französischen Naturell fast kein Ende nehmen. Drei Mal mußten der Kaiser und die Kaiserin aus dem Hintergrund der Loge, wohin sie sich wieder zurückgezogen hatten, zur Brüstung treten.

Erst allmälig beruhigte sich der Sturm und konnte das gestörte Spiel wieder seinen Fortgang nehmen.

Kaum war der Vorhang zum nächsten Mal gefallen, als sich Alles in die Korridore und das Foyer drängte, selbst die Damen der vornehmsten Gesellschaft verließen ihre Logen und füllten den berühmten Saal, wo in den Zwischenakten Alles zu verkehren pflegt, was Paris an Notabilitäten der Politik, der Kunst, der Wissenschaft und des Vergnügens aufzuweisen hat.

Es gab natürlich diesmal nur einen Stoff der Unterhaltung: die wahrhaft wunderbare Rettung des Kaisers und die Muthmaßungen über die Urheber des schändlichen Attentats. Man hörte ganz offen den Namen Mazzini, mehrere anwesende Offiziere ergingen sich in lauten Drohungen gegen England, das den Revolutionären des Festlandes stets seinen Schutz und Beistand gewähre. Von Anderen, namentlich den enragirten Bonapartisten, wurde der Verdacht gegen die Orleanisten oder die Bourbons geschleudert. Viele bezeichneten die Verbannten der Julitage als die Anstifter.

Wo irgend Jemand mit einer neuen Nachricht von dem Schauplatz des blutigen Ereignisses herbeikam, oder die Dreistigkeit hatte, eine Erfindung seiner Phantasie als Thatsache zu erzählen, sammelten sich rasch um ihn neugierige Kreise. Die tollsten Gerüchte begannen den Saal zu durchkreuzen. –

Der Lord stand in einer Gruppe, welcher der dicke Journalist eben seine Neuigkeiten zum Besten gab, als er Montboisiers ansichtig wurde, der eben in den Saal trat.

»Hierher, Oberst, und befreien Sie uns endlich von den Phantasiestücken des Herrn Duplessis. Der Spectateur wird morgen so viel Lügen bringen, daß ein nüchterner Mensch für ein ganzes Jahr sich den Magen daran verderben kann. Hat die Polizei des Herrn Pietri die Mörder erwischt?«

»Man glaubt, einen derselben zu haben«, berichtete der Kammerherr. »Ich war eben im Foyer der kaiserlichen Loge, als der Präsident selbst die Meldung brachte.«

»Goddam – wie sieht er aus? Hat er vielleicht Schwanz und Hörner, oder ist es ein tollgewordener Kosak, der sich für die Krimm revanchiren will? Sie sehen ja, diese Herren sterben vor Neugier und Peard beneidet bereits Monsieur Samson, oder wie gegenwärtig Ihr Kopfabschneider heißt, um den Platz auf den Brettern.«

»Man hat in dem Kaffeehaus gegenüber der Oper einen jungen Menschen festgenommen, der sich auffallend ängstlich zeigte und nach seinem Herrn forschte. Er nennt sich Swiney.«

»Pah – das ist Alles?«

»In einer Lade des Zimmers hat er einen Revolver zu verbergen gesucht. Man ist eben daran, seinem angeblichen Herrn in der Rue Montauban einen Besuch abzustatten.«

»Was ist der Bursche für ein Landsmann?«

»Ein Italiener. Das Wichtigere ist, daß ein Polizeikommissar fünf Minuten vorher, ehe die Bomben knallten in der Rue Rossini einen höchst gefährlichen Verschwörer, einen der Trabanten Mazzini's und Garibaldi's von 1849, verhaftet hat. Man hat bei ihm eine Art Höllenmaschine gefunden, wahrscheinlich von derselben Gattung, wie man sich deren bei dem Attentat bedient hat.«

»Sein Name?«

»Er giebt an, Andreas zu heißen, aber der Polizeikommissar Hebert, der gleich darauf vor der Oper verwundet wurde, behauptet auf das Bestimmteste, in ihm einen gewissen Pierri erkannt zu haben, der vor mehreren Jahren aus Paris ausgewiesen wurde und dessen Ankunft der Gesandte in Brüssel vor Kurzem signalisirt hat.«

»Ah – Major Pierri! Er hat in den Legationen sich bekannt genug gemacht, er ist ein Teufelskerl, der Nichts scheut!«

»Der Henker hole seine Majorschaft! Der Kerl ist ein Meuchelmörder der schlimmsten Art – mehr als hundert unschuldige Menschen den Mordgeschossen zu überliefern!«

»Und wie hat Meister Louis die Explosion vertragen?«

»Der Kaiser scheint mehr ergriffen als die Kaiserin. Wissen Sie, was sie in dem Salon zu ihm sagte, als das Publikum stürmisch ihre Gegenwart verlangte?«

»Nun?«

»Sie nahm seinen Arm. Kommen Sie, Sire, sagte sie, zeigen wir ihnen, daß wir mehr Muth haben als sie!« »In der That – sie ist eine Spanierin!«

Der Oberst gab ihm einen Wink. »Treten wir einige Augenblicke zur Seite, Mylord!«

»Sehr gern, lieber Graf. Was zum Teufel haben Sie so Wichtiges?«

»Mylord«, sagte der Oberst ernst, indem er ihn in eine der Fensternischen führte, »heute war Herr Stansfeld in unserer Gesellschaft!«

»Gewiß – Sie saßen ihm ja gegenüber!«

»Es ist mir unangenehm genug. Master Stansfeld ist der vertraute Freund oder vielmehr Beschützer des Signor Mazzini!«

»Mein Gott, alle Welt weiß das! Sein vortreffliches Ale bringt ihm viel Geld und er muß doch eine Verwendung dafür haben!«

»Es unterliegt bereits keinem Zweifel mehr, daß das infame Attentat von diesem Abend von den Mazzinisten ausgegangen ist. Man hat die sichere Nachricht, daß nach der Ermordung des Kaisers eine sozialistische oder orleanistische Revolte, vielleicht beides zu gleicher Zeit ausbrechen sollte und daß Mazzini selbst in Paris ist und den Mordanschlag geleitet hat!«

»Goddam – ich traue es ihm zu!«

»Wenn dem so ist, Mylord, dann könnte Herr Stansfeld in sehr unangenehme Verwicklungen gerathen. Es sind Befehle zu zahlreichen Verhaftungen gegeben!«

»Bah – unser Bierbrauer ist kein Narr und wird hoffentlich im Hotel der englischen Gesandtschaft logiren, wenn er nicht schon unterwegs nach Havre oder Calais sein sollte, obgleich ich Sie versichern kann, daß er so unschuldig an Allem ist wie der dümmste seiner Brauknechte!«

»Desto besser, Mylord – aber ...«

Er zögerte sichtlich, weiter zu sprechen.

»Ah – Sie meinen mich selbst?«

»Wenn Sie es selbst aussprechen, nun ja, Mylord – etwas Vorsicht wäre gut. Man weiß, daß Sie ein Gegner des Kaisers sind!«

»Ah bah – ich denke nicht daran! Monsieur Louis Napoleon ist für mich eine Art Seiltänzer, oder wenn Sie wollen, eine Art van Aken, der mit den Tigern und Hyänen experimentirt, und ich sehe einfach zu, wie lange ihm das glückt. Ueberdies war ich ihm noch eine kleine Revanche schuldig von den Dezembertagen her. Ich danke Ihnen bestens, lieber Graf, aber ich versichere Sie, Monsieur Louis ist viel zu klug, um mich zu belästigen und sich mit der englischen Nation zu verfeinden!«

»Sie vergessen Morny – er treibt den Kaiser!«

»Zum Teufel, was thue ich mit allen Bastarden der seligen Hortense, schönen Angedenkens! Herr Morny ist ein Spekulant, der gescheit genug ist, in seiner eigenen Familie zu suchen und befände sie sich auch am Nordpol. Seien Sie unbesorgt um mich! – Aber sehen Sie, was geht da vor? Das ist ja wohl Ihr kleiner Preuße von gestern Abend, den die Polizei da beim Wickel hat!«

Es hatte sich in der That am andern Ende des Saales eine Scene ereignet, die allgemeines Aufsehen verursachte.

Am Arm ihres alten Freundes und Begleiters war die Sennora Rositta in den Saal getreten, neben ihr, in intimem Gespräch, ging Otto von Röbel. Die Mordscene bildete natürlich auch unter ihnen, seit er sie in ihrer Loge aufgesucht, das Thema der Unterhaltung, aber doch hatte gar manches Wort eine weit höhere Bedeutung für das Paar.

Auf dem Wege durch den Saal trat ihnen ein Mann entgegen – es war der Sekretär der Fürstin Trubetzkoi.

»Verzeihung, Madame«, sagte er höflich, »daß ich Ihre Unterhaltung unterbreche und die Gelegenheit benutze, mitten unter all den schrecklichen Eindrücken meinen Glückwunsch darzubringen, daß Sie gestern dasselbe Glück gehabt haben, wie heute Ihre kaiserliche Landsmännin. Aber dieser Herr hat gewünscht, mich zu sprechen und ich stehe zu seinem Befehl!«

Der junge Edelmann war anfangs etwas verlegen, er wußte nicht gleich, wie er sich dem Jugendfreunde gegenüber, den er am Abend vorher so brüsk zurückgestoßen hatte, benehmen sollte. Aber bald siegte das ehrliche Rechtsgefühl in ihm. Er reichte dem Freunde die Hand.

»Ich glaube, Rudolph, ich bin gestern zu rasch gewesen, über Dich abzusprechen. Heute ist Alles Licht und Glanz in mir trotz der schändlichen That, die uns erschreckt. Ich bedarf Deines Beistandes, wenn Du vergessen kannst, daß ich Dich gestern beleidigt.«

»Mein Herz ist unverändert für Jeden, der den Namen Röbel trägt!«

»Gott sei Dank, wenn ich dies glauben darf. Aber erlauben Sie einen Augenblick, Sennora – ich habe sogleich wieder die Ehre, an Ihrer Seite zu sein!«

Er nahm den Arm des Informators und trat mit ihm zur Seite. Die Kunstreiterin, sofort von einer Menge ihrer Bewunderer aus dem Circus umringt, ließ sich auf dem nächsten Divan nieder.

Der Mohrendoktor drückte ihren Arm. »Ruhe, Kind und Kraft« flüsterte er leise. »Blick dort hinaus. – Rechts!«

Sennora Rositta schauderte. Durch die mittlere Thür war so eben der Conde Guzman de Montijo an der Seite des Marquis von Massaignac eingetreten.

Der Preuße hatte den wieder gewonnenen Freund aus dem Gedränge der Herren und Damen geführt.

»Du warst gestern Abend Zeuge einer Scene in den Elysäischen Feldern!«

»Leider! Ich hoffe, daß sie weiter keine schlimmen Folgen haben wird!«

»Ich werde mich morgen um 9 Uhr im Bois de Boulogne mit dem Grafen Montijo schießen.«

»Um Himmelswillen – mit dem Verwandten der Kaiserin?«

»Mit demselben. Er ist Derjenige, dessen Bosheit gestern jener Dame das Leben kosten konnte. Der Freund, den Du bei mir gesehen, ist abwesend, ich fürchte, in politische Intriguen verwickelt, und ich kann daher nicht auf ihn rechnen – andere Bekannte konnte ich nicht treffen, deshalb wandte ich mich an Dich, den Landsmann und Freund meiner Jugend, mir den Dienst zu leisten und mein Sekundant zu sein.«

»Verlaß Dich darauf – was habe ich zu thun?«

»Dort ist mein Gegner und sein Sekundant. Ich werde Dich dem Marquis von Massaignac vorstellen – das Uebrige ist Eure Sache.«

Er schritt durch die Gruppen mit dem Freunde auf den Senateur zu, der bei seiner Annäherung sofort seinen Begleiter verließ und ihm höflich entgegen kam.

Aber ehe sich Beide begegnet waren, veränderte sich plötzlich die Scene.

Der Spanier mußte schon beim Eintritt seinen Gegner von gestern und dem nächsten Morgen bemerkt haben, denn er gab einem Mann, der in der Nähe stand, heimlich einen Wink und deutete mit dem Auge auf den Preußen.

Eine Hand faßte den Arm Otto von Röbels, Als er sich umsah, stand ein Herr mit anfangs zugeknöpftem Paletot und finsterer entschlossener Miene vor ihm.

»Mein Herr«, sagte der Fremde, »ich bitte Sie, mir ohne Aufsehen aus dem Saale zu folgen. Ich habe mit Ihnen zu sprechen!«

»Mit mir? Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen, und bin eben beschäftigt!«

»Ohne Umstände – ich bin, wie Sie sehen, der Polizei-Kommissar der Oper, Dupret, und ersuche Sie, mir zu folgen!«

»Aber ich begreife nicht – ich habe Nichts mit Ihnen zu schaffen! Wenn Sie meine Legitimation verlangen...«

»Wenn Sie nicht augenblicklich folgen«, sagte der Beamte streng, »so werde ich Sie im Saale verhaften. Man macht mit Meuchelmördern und deren Genossen in Paris nicht viel Umstände!«

Der junge Edelmann wurde todtenblaß. Er wollte aufbrausen, aber der Gedanke an François und sein geheimnißvolles Treiben schoß ihm durch den Kopf. »Sie irren sich wahrscheinlich in meiner Person, Herr«, sagte er gefaßt. – »Graf Hatzfeldt, der Gesandte meines Königs, wird Rechenschaft für jede mir angethane Beleidigung fordern.«

»Das sind Redensarten und wird sich finden.«

Der Graf Montboisier war, wie wir bereits erwähnt haben, durch das laute Sprechen und das sich um die Streitenden sammelnde Publikum auf den Vorgang aufmerksam geworden und näher getreten.

»Sie scheinen in der That im Irrthum, mein Herr«, sagte in diesem Augenblick der Secretär der Fürstin Trubetzkoi – »ich kenne diesen Herrn und leiste für ihn Bürgschaft!«

»Sie werden vielleicht in der Lage sein, das für sich selbst thun zu müssen, da Sie sich in seiner Gesellschaft befinden« bemerkte der Beamte streng. »Ich bitte Sie, mich nicht in die Lage zu versetzen, meine Leute rufen zu müssen!«

»Ei, Herr von Röbel«, sagte der Oberst – »was haben Sie, was giebt es?«

»Dieser Herr hat mir angekündigt, daß ich verhaftet sei!«

»Sie? wäre das heutige Attentat nicht, der Held von ganz Paris wegen Ihrer entschlossenen That von gestern! Was zum Teufel will man von Ihnen?«

»Ich weiß es nicht – oder vielmehr –«

Sein Auge war in diesem Augenblick dem lauernden Blick des Grafen Montijo begegnet, der unter den Zuschauern der Scene stand.

Er war selbst zu ehrenhaft, um trotz des Verdachts, der ihm durch den Kopf schoß, die Wahrheit für möglich zu halten und anzudeuten.

»Mein Herr«, sagte der Graf zu dem Kommissair, »ich bin der Oberst Graf Montboisier, Kammerherr Sr. Majestät des Kaisers. Ich habe die Ehre, diesen Herrn, einen preußischen Edelmann, der sich hier auf der Durchreise aufhält, zu kennen und verbürge mich nöthigen Falls für ihn.«

Der Beamte war bei der Nennung des Namens und Ranges dieses Bürgen weit höflicher geworden, aber er zuckte die Achseln und sagte mit Bestimmtheit: »Bei aller Achtung für Ihre Person, Herr Graf, bedauere ich, meiner Pflicht Folge leisten zu müssen. Die Verhaftung dieses Herrn geschieht auf speziellen Befehl des Herrn Polizei-Präfekten. So viel ich weiß, hat man ihn gestern in der Gesellschaft von Personen gesehen, die der Theilnahme an dem Attentat verdächtig sind; ich zweifle keinen Augenblick, daß es ihm gelingen wird, die nöthige Aufklärung zu geben – aber bis dahin muß ich den mir gewordenen Befehl erfüllen.«

Der Graf wandte sich an den jungen Mann. »Das ist eine sehr unangenehme Sache, Monsieur de Reuble«, sagte er höflich, »und ich bedauere, daß ich Ihnen die augenblickliche Unannehmlichkeit, diesen Herrn zu begleiten, nicht werde ersparen können. Aber es kann sich eben nur um eine Auskunft handeln. Ich bitte Sie, sich nöthigen Falls auf mich zu berufen, wenn ich Ihnen dienen kann – mein Kammerdiener sagte mir, daß Sie heute zwei Mal während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung waren ...«

Otto von Röbel verbeugte sich höflich. »Sie sind eben so gütig als ehrenhaft, Herr Graf. Ich wollte Sie um eine Gefälligkeit ersuchen, indeß hat sie dieser Herr, ein Landsmann, bereits übernommen und ich hoffe«, fuhr er lauter fort, »morgen ohne weitere Verhinderung davon Gebrauch machen zu können. – Beruhige meine Mutter und Schwester, Rudolph,« sagte er zu dem Freunde auf Deutsch, »und besorge alles Nöthige. So bald ich auf der Präfektur entlassen bin, suche ich Dich auf! Entschuldige mich bei der Sennora, ich bitte Dich! – Mein Herr, ich bin bereit, Ihnen zu folgen!«

Der Beamte, dem selbst das Aufsehen lästig war, das die Scene gemacht hatte, beeilte sich, mit dem Preußen den Saal zu verlassen, verfuhr aber in Folge der Einmischung des Obersten sonst mit der größten Höflichkeit gegen ihn. Das Signal zum Wiederbeginn der Vorstellung, das in diesem Augenblick in dem Foyer erklang, half die Neugier und Aufmerksamkeit des Publikums ablenken und überdies begriff man, daß diese Detinirung auf die Polizei unter den Konsequenzen des furchtbaren Ereignisses wahrscheinlich nicht die einzige sei.

Otto von Röbel hatte es absichtlich vermieden, bei seiner unfreiwilligen Entfernung aus dem Saal noch einen Blick nach der Stelle zu werfen, wo er die Kunstreiterin mit dem Arzt zurückgelassen hatte – es war ihm widriger als alles Andere, daß sie grade Zeuge dieser Scene gewesen sein mußte. In der That war sie auch der Beachtung der Sennora nicht entgangen und sie war um so erregter und besorgter, als ihrer verschärften Aufmerksamkeit, die der Mohrendoktor selbst auf den Grafen von Montijo und seinen Begleiter gerichtet hatte, das Zeichen nicht verloren gegangen war, mit dem der Erstere dem Polizei-Kommissar die Person des jungen Preußen heimlich angedeutet hatte.

Da ihr die Funktion des in Civil gekleideten Beamten unbekannt war, glaubte sie, daß die Bosheit des Spaniers ihren Lebensretter in irgend einen gefährlichen Streit verwickelt habe und beschwor eben auf das Dringendste den Arzt, dem jungen Manne zur Seite zu stehen und ihm zu folgen, als der Sekretär der Fürstin zu ihr heran trat.

»Madame«, sagte er hastig, »ich habe den Auftrag von Herrn von Röbel, ihn bei Ihnen zu entschuldigen. Ein unangenehmer Vorfall hat ihn zu einer schleunigen Entfernung genöthigt, ohne sich bei Ihnen beurlauben zu können!«

»Um Gotteswillen – reden Sie mein Herr, was ist geschehen? ich höre von einer Verhaftung sprechen – Sie ahnen nicht, wie wichtig es ist, daß ich die Wahrheit erfahre – Monsieur de Röbel hat mächtige Feinde hier!«

»Aber auch aufrichtige Freunde, wie ich sehe! Es ist allerdings richtig, Herr von Röbel ist wahrscheinlich aus irgend einem Mißverständniß verhaftet worden, eine Unannehmlichkeit, die vielen Fremden passiren kann.«

»Nein – nein« sagte die Reiterin heftig – »das ist es nicht. Er darf nicht aus den Augen gelassen werden, oder er ist verloren! Seine arme Mutter – seine Schwester –« »Ich werde sogleich in ihr Hotel gehen«, bemerkte der Secretär, »um Frau von Röbel von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu sehen und sie zu beruhigen!«

»Thun Sie das – sagen Sie ihnen, daß alles Mögliche aufgeboten werden soll, um ihn zu befreien. Ich habe ein Mittel dazu in Händen. Heilige Jungfrau, ich verdiente nicht zu leben, wenn ich es zu einem andern Zweck benutzen wollte.«

Sie wendete sich zu ihrem Begleiter und redete eindringlich in spanischer Sprache zu ihm. Er schien anfangs Etwas zu verweigern, endlich sich den Gründen, die sie angab, zu fügen.

Dann wandte sie sich wieder zu Meißner. »Sind Sie bekannt in Paris? Haben Sie Bekanntschaft auf der Polizei oder mit einflußreichen Personen?«

»Ich bin erst seit Kurzem hier und sehr unbekannt!«

»Dann, Papa Achmet, mußt Du gehen, Du siehst es ein und darfst keinen Augenblick verlieren. Dieser Herr wird mich zu meiner Loge begleiten und Du holst mich ab.«

Der Mohrendoktor zögerte noch, aber ein dringender, fast herrischer Wink der Dame entschied. Er entfernte sich eilig, um ihrem Verlangen gemäß Erkundigungen über die Haft des jungen Preußen einzuziehen.

Rudolph Meißner geleitete die schöne Fremde, dann beurlaubte er sich, um in das Hotel d'Orient zu gehen und Frau von Röbel von dem unangenehmen Vorfall in Kenntniß zu setzen. Der fünfte Akt der Tragödie hatte begonnen, als die Logenschließerin die Loge der Sennora öffnete und ihr ein flüchtig zusammen gefaltetes Billet überreichte.

Die Kunstreiterin war allein, ihre Unruhe, ihre Besorgniß hatten ihr nicht erlaubt, das fade Geschwätz und die Schmeicheleien jener Gesellschafter länger anzuhören, die sich berechtigt glauben, jede Künstlerin umdrängen zu dürfen, und sie hatte diesen Schwarm entfernt, darunter den Fürsten Trubetzkoi. Für das Schauspiel oder die kaiserliche Loge, heute der Brennpunkt alles Interesses und aller Operngläser, hatte sie nicht die geringste Aufmerksamkeit, diese war vielmehr fortwährend der Thür ihrer eigenen Loge zugewendet geblieben, durch die sie jeden Augenblick ihren väterlichen Freund oder den Landsmann ihres Lebensretters eintreten zu sehen hoffte.

Sie griff daher hastig nach dem überbrachten Billet, denn sie vermuthete mit Recht, daß es zu dem Gegenstand ihrer Besorgniß in Bezug stehe. Es war in französischer Sprache mit Bleistift von einer ihr unbekannten Männerhand geschrieben und lautete:

»Wenn Sie der Person, die Ihnen gestern das Leben gerettet, einen bedeutenden Dienst leisten wollen, so folgen Sie augenblicklich dem Ueberbringer, einem zuverlässigen Manne. Jede Zögerung macht die Sache unmöglich!«

Die Kunstreiterin, bei der raschen Entschlossenheit ihrer Sinnesart und der gewohnten Selbstständigkeit ihres Handelns, zögerte keinen Augenblick. Sie zog ihren Shawl um sich und verließ die Loge. Indem sie an der Thür derselben noch einen Blick auf den Saal warf, sah sie an der allgemeinen Bewegung, daß soeben das kaiserliche Paar sich zurückgezogen haben mußte. In dem Interesse dafür blieb natürlich auch das Verschwinden der Kunstreiterin in dem Orchester, dem Sammelpunkt der Lions, unbemerkt.

Die Sennora traf vor der Thür der Loge einen Mann in Civil.

»Sind Sie der Herr, der mir dies Billet überbracht hat?«

»Ja Madame!« Der Fremde öffnete seinen Paletot, die Kunstreiterin sah, daß er darunter die Uniform eines Polizeibeamten trug.

»Woher kommt der Brief? was ist geschehen? was kann ich thun?« fragte sie hastig.

»Madame«, sagte der Beamte höflich aber bestimmt, »ich bin nur beauftragt, Ihnen diese Zeilen zu überreichen und Sie an den Ort zu geleiten, wo Sie den Schreiber derselben finden werden, von dem ich nur weiß, daß er ein Fremder ist. Mein Dienst verlangt meine schleunige Rückkehr, ich muß Sie also bitten, sich zu entschließen, ob Sie mich begleiten wollen oder nicht.«

Die Kunstreiterin zögerte nur einen Augenblick, dann war sie entschlossen.

»Meinen Mantel, Madame!«

Die Schließerin selbst half ihr denselben umlegen. Dann bot der Beamte ihr den Arm, sie nach dem Ausgang der Oper zu führen.

Das Gedränge an der Thür war groß – das kaiserliche Paar hatte soeben das Haus verlassen, die Straßen waren dicht gedrängt voll Menschen und fast tageshell, denn mit Ausnahme der Häuser an der Unglücksstätte selbst strahlten alle Fenster in hellem Kerzenschein; ganz Paris war illuminirt; wo die kaiserliche Equipage vorüber kam, donnerte der Jubelruf der Menschenmassen, denn das feige Attentat, welches das Leben so vieler Unschuldiger gefährdet und vernichtet hatte, rief selbst bei Denen, welche keine Freunde des bonapartistischen Regiments waren, Entrüstung und Verdammung hervor.

Als der Beamte mit der Sennora im Ausgang der Oper erschien, gab er einem dort harrenden wie ein Sergeant de Ville gekleideten Mann einen Wink und dieser rief sofort einen Wagen zum Vorfahren.

Erst als die Kunstreiterin eingestiegen war und der Wagen eilig durch die Nebenstraßen hinrollte – wie ihr Führer ihr sagte, um das Gedränge auf den Boulevards zu vermeiden, – bemerkte sie, daß es eines jener geschlossenen Coupé's zu zwei Personen war, die in Paris fast in allen Straßen in besonderen offenen Remisen bei Tag und Nacht zum Dienst bereit stehen.

Die Vorhänge der Fenster waren geschlossen und als die Sennora einen derselben nach einiger Zeit zurückschob, bemerkte sie, daß sie eben über die Pontneuf fuhren und sich in das Straßengewirr des Marai's wendeten.

Wiederholt hatte sie ihren Begleiter gefragt, wohin er sie führen wolle und wie sie dem Verhafteten helfen könne; – der Beamte erklärte ihr, daß er nur im Auftrage eines Vorgesetzten handle, ohne Näheres zu wissen, und vermehrte dadurch ihre Besorgniß und zu gleicher Zeit ihre Entschlossenheit, dem Gefährdeten zu Hilfe zu kommen. Endlich bog der Wagen in einer ziemlich engen Straße in ein offenstehendes Thor ein und fuhr über das Pflaster eines Hofes.

Man schien ihre Ankunft erwartet zu haben, denn die Sennora hörte, wie sich gleich hinter ihnen das Thor schloß.

Nach einigen Augenblicken hielt der Wagen dicht vor einem großen dunklen Hause, der Beamte öffnete den Schlag und half der Dame aussteigen.

Sie befanden sich vor einer offenen Thür – Alles umher war dunkel, nur eine düster brennende Lampe erhellte matt einen langen Corridor.

»Kommen Sie Madame!«

Die Tänzerin schauderte – es war Alles so kalt, so öde, eine unerklärliche Angst legte sich plötzlich wie ein drückender Alp auf ihr muthiges Herz.

»Wo sind wir? wohin führen Sie mich?«

»Kommen Sie nur – wir sind zur Stelle, man erwartet Sie!«

Sie waren eine Strecke in dem Corridor hin gegangen, dann öffnete er eine Thür.

»Treten Sie ein Madame – ich werde sogleich die Personen von ihrer Ankunft benachrichtigen.«

Die Kunstreiterin trat ein – sie war so aufgeregt, daß sie nicht bemerkte, wie hinter ihr die Thür sich schloß.

Das Zimmer war gewölbt, eben so düster, wie der Corridor von einer Ampel erleuchtet und in der Mitte durch ein eisernes Gitter getheilt.

Die Thür dieses Gitters stand offen.

Die Sennora Rositta hatte mit einem Blick alle diese Einzelnheiten überflogen, das spärliche Meublement, das nur in einem Betpult und einigen Holzschemmeln bestand, – das Gitter, – alles, dies schien ihr so bekannt, so klösterlich einfach – eine entsetzliche Ahnung überkam sie, sie drehte sich rasch um und wollte die Thür, durch die sie eingetreten war, wieder öffnen.

Es war vergeblich – die Thür war verschlossen.

»Warum wollen Sie sich entfernen, liebe Tochter?« fragte aus dem Hintergrund des Zimmers eine weibliche Stimme. »Treten Sie näher, wir haben viel mit einander zu reden und es wird gut sein, wenn Sie sich geduldig fügen! Danken Sie der heiligen Jungfrau, die Ihnen das Mittel gewährt, Ihr sündiges und schlimmes Leben abzulegen und Buße zu thun!«

Die Kunstreiterin starrte betroffen, verletzt auf die Erscheinung, die sich aus dem dunklen Hintergrund des Zimmers erhob, wo sie dieselbe bisher nicht bemerkt hatte.

Es war eine große hagere Frau, mit strengen finstern Zügen, in die einfache weiße Tracht der Camaldulenserinnen, jenes ascetischen Ordens gekleidet, der in neuerer Zeit in vielen Orten unter anderen Namen wieder aufgetaucht ist und sich durch seine Strenge und seine Ränke bereits eben so gefürchtet, als verhaßt gemacht hat.

Das goldne Kreuz auf der Brust zeigte der Kunstreiterin, die ihre Jugenderziehung in einem Kloster erhalten hatte, daß die Frau die Oberin war – und im raschen Gedankengang wurde ihr die Ueberzeugung, daß sie sich in einem Kloster oder einer jener klösterlichen Anstalten befinde, deren in Paris viele bestehen und sich meist der innern Aufsicht des Staates gänzlich zu entziehen wissen.

»Mein sündiges und schlimmes Leben? was wollen Sie damit sagen? Wo ist Monsieur de Reuble, zu dem man mich führen wollte?«

»Was haben wir in diesen heiligen Mauern mit fremden Ketzern und Rebellen zu schaffen! Ich sehe, man hat mich recht berichtet, es war die höchste Zeit, Sie auf Ihrem Wege zum leiblichen und ewigen Verderben aufzuhalten. Aber ich werde den mir gewordenen Auftrag mit aller Strenge meines heiligen Amtes erfüllen und es wird gut sein, wenn Sie sich sofort fügen und allen Gedanken an die sündigen Eitelkeiten der Welt und Ihren liederlichen Lebenswandel entsagen.«

»Madame Sie sind unverschämt! es scheint überhaupt hier ein Irrthum obzuwalten und ich ersuche Sie, diese Thür öffnen zu lassen, damit ich mich entfernen kann!«

»Verblendete – die Heiligen mögen Erbarmen haben mit Deiner Verstocktheit! Bist Du nicht die Person, die sich Rositta nennt und mit Springern und Gauklern ihr Wesen treibt?«

»In der That Madame – mein Name ist Rositta! Man hat mich aus der großen Oper zu einem ganz andern Zweck hierher geführt und ich bestehe darauf.«

»Aus dem Pfuhl der Sünde hat man Dich zur heiligen Buße geholt! Die, welche Macht haben über Dich, haben Dich unserer armen Anstalt überwiesen, damit Du gebessert werdest und durch Reue einst vielleicht gewürdigt werden kannst, selbst unter die Gemeinschaft eintreten zu dürfen.«

Die Sennora wurde todtenbleich und ihre Hand zuckte nach dem Herzen, gleich als hätte sie einen Stich empfangen. Im nächsten Augenblick aber hatte sie ihre volle Entschlossenheit wieder gefunden und trat mit blitzendem Auge einen Schritt auf die Klosterfrau zu.

»Also ein nichtswürdiger Verrath, der hinterlistige Versuch zu einer Beraubung meiner Freiheit? Hüten Sie sich Madame, daß ich nicht die Gesetze dieses Landes gegen Ihr Thun in Anspruch nehme!«

»Ich werde verantworten, was ich thue,« sagte die Oberin kalt. »Sie sind minorenn und der Beschluß Ihrer Familie hat Sie mir übergeben mit unbeschränkter Vollmacht!«

»Meiner Familie? ich kenne keine und will keine kennen. Ich bin frei und selbstständig! Zum letzten Mal – wollen Sie mir sofort die Thür öffnen lassen, oder soll ich mir einen Ausgang erzwingen?«

Die Oberin klatschte zwei Mal in die Hände.

Sogleich öffnete sich eine Seitenthür und zwei große kräftige Frauenzimmer mit harten männlichen Gesichtszügen traten ein.

»Führen Sie diese Person in ihre Zelle,« sagte die Nonne kalt – »nehmen Sie ihr diesen eitlen Putz, der ein Abscheu ist für ehrbare Augen und legen Sie ihr Rock und Kapuze der Büßerinnen an. Wenn sie nicht folgen will, so brauchen Sie Gewalt und binden sie. – Wenn Sie demüthig geworden sind, wie sich ziemt, werden Sie mich wieder sehen. Einstweilen nehmen Sie dies!«

Sie reichte der Entsetzten ein Papier und verschwand durch das Gitter.

Rositta starrte angstvoll auf das Blatt in ihrer Hand. Es enthielt nur zwei Zeilen, aber als sie dieselben gelesen hatte, ließ sie es fallen und schaute wild um sich.

Die Worte lauteten:

»Ich übergebe hiermit dem Stift vom Blutenden Herzen meine entartete Schwester zur strengsten Zucht bis zur Ablegung ihres klösterlichen Gelübdes.«

Ein Namen stand darunter – sie kannte ihn nur zu gut!

»Vatermörder! schändlicher Vatermörder! – willst Du auch mich opfern! Aber nimmermehr soll es Dir gelingen – ich kenne die Schlange, die ihr Gift gegen mich wendet! Aber Gott sei Dank, ich habe eine Beschützerin, an die Eure Bosheit nicht hinan langt und die heilige Jungfrau hat sie beschirmt vor Mörderhand, wie mich deren Gnade gerettet hat durch den theuren Freund!«

Sie wandte sich nochmals zur Thür – die beiden Weiber vertraten ihr den Weg.

»Na machen Sie keine Dummheiten,« sagte die eine von robuster voller Gestalt mit gemeinem Gesicht. »Hier geht's nicht heraus, sondern da! Sie haben gehört, was die hochwürdigste Frau befohlen hat, also fix!«

»Seelig sind die Reumüthigen,« setzte mit einem näselnden Ton die zweite hagere Person von noch abschreckenderer Häßlichkeit hinzu – »die lieben Heiligen haben Wohlgefallen an dem Lamm, das zur Heerde zurückkehrt. Thue ab die schnöden Flitterblumen aus Deinem Haar; die Palmen, mit denen die himmlischen Jungfrauen uns schmücken, sind kostbarer als Perlen und Edelsteine!«

Ihre lange knochige Hand streckte sich nach der dunklen mit einem blitzenden Diamant im Kelch geschmückten Rose, welche die Reiterin im Haar trug – die Sennora bebte zurück.

»Rührt mich nicht an, Ihr Elenden – laßt mich los!«

»Ach was – zugefaßt Schwester Benedikte! Wenn Du nicht hören willst, sollst Du fühlen!«

Die Megäre stürzte sich auf das entsetzte Mädchen, deren Hilferuf vergeblich an den dicken Mauern sich brach. Die magere Hexe hielt sie wie eine Spinne mit ihren Armen umschlungen, während die Andere das seidene Kleid ihr vom Leibe riß.

Ein entsetzliches widriges Ringen erfolgte, dann verstummte der Hilferuf zu einem leisen Stöhnen, als wenn mit einem Knebel der Schrei unterdrückt wird.


Wir haben bereits erwähnt, daß bei der Rückkehr des Kaisers nach den Tuilerien alle Straßen auf das Glänzendste erleuchtet waren. Eine ungeheure Volksmenge wogte auf den Boulevards, durch die Straße Richelieu und die Rue St. Honoré – überall hörte man den Ruf: »Vive l'Empereur! Vive l'Impératrice – à bas les meurtriers! à bas les républicains!« Aus dem Boulevard du Poissonnière bog ein Mann tief in den Mantel gehüllt mit raschen Schritten in die Rue du Faubourg Montmartre, als eine Hand ihn am Mantel faßte und ihn in die Gasse der Cité Bergère zog.

Der Fremde, der diese Vorsicht gebraucht, war eine hohe stattliche Gestalt. Als sie an der Ecke der Rotonde standen, ließ er zuerst den Mantel fallen. Es war der Unbekannte, der am Abend vorher im Cirque Dejéan den Kapitain Laforgne angesprochen und zu der geheimnißvollen Unterredung eingeladen hatte.

Der Mann, den er anhielt, war Kapitain Laforgne selbst. In der Miene der beiden Partisanen war Verdruß und Zweifel zu lesen.

»Unvorsichtiger,« sagte der Fremde zu dem jungen Offizier – »wie können Sie es wagen, in diesem Augenblick über den Boulevard zu gehen.«

»Caraï!« entgegnete der Kapitain wild, »ich scheere mich den Teufel um die Spione, wo Alles verloren ist! Hol' Sie der Henker!, hätte ich gewußt, daß ich einem gemeinen Meuchelmord zur Folie dienen sollte, ich hätte Paris seit 24 Stunden im Rücken. Schämen Sie sich Herr!«

Der Fremde richtete sich hoch und stolz auf. »Was fällt Ihnen ein, Herr Kapitain?«

»Pardioux!« Man hat mich hierher kommandirt, um einen Kampf auf den Barrikaden gegen die Tyrannei zu leiten, aber statt des offenen Angriffs bedienen Sie sich des Meuchelmords! Ich erkläre Ihnen, wie ich vor einer Viertelstunde Signor Mazzini rund heraus gesagt habe, daß ich damit Nichts zu thun haben will und sofort Paris verlassen werde.«

»Kapitain Laforgne, ich ehre und achte Ihre Gesinnung« sagte der Unbekannte stolz. »Kennen Sie mich?«

»Nein! Sie haben mir das Loosungswort gesagt, das Andere ist nicht meine Sache!«

»Nun wohl, ich schwöre Ihnen auf meine Ehre als Soldat, daß man mich so gut, wie Sie getäuscht hat. Man hat eine Revolution veranlassen wollen, indem man uns sorgfältig verheimlichte, durch welche verächtlichen Mittel man sie zu Stande bringen wollte. Sie sind ein Ehrenmann, es wird nur der Nennung meines Namens bedürfen, um Sie zu überzeugen, daß weder ich noch meine Partei Etwas mit dem Mordanschlag zu thun haben!«

Er bog sich zu ihm nieder und flüsterte ihm einen Namen in's Ohr.

Der Abenteurer fuhr betroffen zurück. Wie eifrig er auch geholfen hatte, Throne zu stürzen, er hatte doch Herz genug, ein erhabenes Unglück zu ehren.

»Wie – der Tapfere von Constantine? – Euer Königliche Hoheit ....«

»Still, still Kapitain, wenn Sie uns nicht beide nach Vincennes oder Ham bringen wollen. Es genügt, daß Sie nicht mehr glauben werden, ich hätte bei dieser Abscheulichkeit die Hand im Spiel. Ich sehe, daß unsere Partei gemißbraucht worden ist und nur dazu hat dienen sollen, die Verwirrung zu vermehren und die Kastanien für die Rothen aus dem Feuer zu holen. Ich fange an zu glauben, daß der gegenwärtige Beherrscher von Frankreich eben so viele Verräther um sich hat, als die Orleans und vor ihnen die Bourbonen hatten. Leben Sie wohl Herr Kapitain und nehmen Sie den Rath an, Paris so bald als möglich zu verlassen. Vielleicht treffen wir uns einst auf einem besseren Schlachtfeld und es soll mich freuen, selbst den Gegner dann begrüßen zu können.«

Er reichte dem Partisan der Revolution die Hand und verschwand in der nächsten Straßenbiegung.

Kapitain Laforgne setzte eilig seinen Weg fort. Er fühlte, daß es galt, Paris so rasch als möglich zu verlassen, und es kam jetzt nur darauf an, daß es ihm glückte, seine Frau ohne Verdacht zu erregen zu benachrichtigen und sie über ihr Verhalten zu instruiren.

In der Rue de Provence war ein Laden, auf dessen Inhaber er sich, wie er wußte, verlassen konnte.

Hier schrieb er ein kurzes Billet und ließ es durch den Vertrauten seiner Frau, auf deren unbedingten Gehorsam er sich verlassen konnte, bringen. Der Brief wurde richtig übergeben; er enthielt die Anweisung, sofort am andern Tage nach der Schweiz abzureisen und ihn entweder an einer bestimmten Station diesseits der Gränze oder in Neuchâtel zu erwarten.

Es versteht sich, daß die kleine von Angst und Besorgniß um den geliebten Gatten verzehrte Frau nichts Eiligeres zu thun hatte, als buchstäblich den Anweisungen ihres Mannes zu folgen.


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