Fritz Reck-Malleczewen
Die Dame aus New York
Fritz Reck-Malleczewen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An diesem Morgen wagt sie es, beim Ankleiden von Ward Whitenings Tod zu sprechen. Er antwortet nicht, er sieht sie an . . . nein, nie wieder mag sie diesem Blick begegnen. Im übrigen aber sieht sie ihn während der drei Tage, während derer sie noch in San Francisco bleiben, nur für kurze Stunden. Er ist bis in die Abendstunden abwesend, Gott mag wissen, wo er steckt. Kommt er zurück, so erscheint auf ihren Zimmern eine ganze Antichambre von Leuten, die den Earl of Hensbarrow sprechen wollen: alles Asiaten, alle mit einem harmlosen Ding in der Hand: Blumen, die er für sie bestellt hat, Kuriositäten, Gewebe. Es sind seltsame Gestalten, die da erscheinen: der typische Händler aus den Chinesenvierteln, der vom gesalzenen Merlan bis zum alten Schiffschronometer mit allen Schätzen der Erde handelt, chinesische Korrespondenten der amerikanischen Banken, die mit ihm stundenlang in seiner Muttersprache verhandeln. Aber sie wird, so harmlos diese Leute erscheinen, doch den Eindruck nicht los, daß dieser Mann mit den Zwergpapageien im Bambuskäfig einmal auf den Bänken von Harward gesessen hat, daß jener andere mit den Blumen, den der Earl of Hensbarrow so ostentativ schlecht behandelt, die Berufsbewegungen des verkappten Offiziers nicht verleugnen kann.

151 Was hat er? Was treibt er mit diesen Leuten? Sie weiß, daß die amerikanische Presse nicht aufhört, ihn mit allerlei dunklen Affären in Verbindung zu bringen, mit jener riesigen Geheimorganisation, die an der ganzen amerikanischen Westküste aus jedem asiatischen Kneipenwirt, jedem Lastträger einen Geheimagenten Ostasiens macht. Und da seit der Geschichte von Simson und Delila die Neugierde des Weibes nicht geringer geworden ist, legt sie sich am letzten Tag in scheinbarem Schlaf auf die Lauer und wird schließlich darauf aufmerksam, daß er das Seidenpapier der eben übergebenen Orangen Blatt für Blatt zu seinem Schreibtisch trägt.

Sie sieht ihn über diese unscheinbaren Papiere gebeugt, er hantiert mit allerhand Werkzeug, mit Flüssigkeiten, die er in kleine Schalen gießt, mit Lupen . . . Gott weiß, was er eigentlich treibt. Als sie sich dann leise, leise heranschleicht, sieht sie auf diesen Papierfetzen blaue Linien, schöne, exakte Zeichnungen, wie sie sie von Parkers Plänen her kennt. Daneben türmen sich Papiere mit minuziöser Mongolenschrift, Akten mit dem Drachenwappen, Pläne, Photographien . . . und dort, ja dort erkennt sie auf der Photographie den Bau der Gatunschleuse, den sie vor vier Jahren gesehen hat, als sie mit Percyval Tarquanson die Kanalzone bereiste . . .

Sie denkt gar nicht daran, was diese Dinge für ihr Land, ihre Rasse bedeuten können. Nein, gottlob, ihre Neugier ist gestillt, sie weiß doch nun, warum er sich in Arbeiterkleidern in den dunklen Kneipen des Ostendes herumtreibt, weswegen er seine Absteigequartiere da irgendwo in dem unterirdischen New York verbirgt. Und nun verbirgt sie ihr heimliches Lauern unter einem zärtlichen Ueberfall auf den Dasitzenden, ja, ja . . . sie ist nur gekommen, um ihn ganz unvermutet 152 in die Arme zu schließen. Er gibt sich auch ganz harmlos, er zieht sie leidenschaftlicher denn je an sich, er läßt auch diese Papiere ganz ruhig liegen vor ihren Augen. Aber es ist doch gut, daß sie nicht weiß, was in diesem Augenblick hinter seiner Stirn vorgeht: nicht nur für Ward Whitening gibt es asiatische Gifte, und es bedeutet unter Umständen eine tödliche Gefahr, der unbefugte Mitwisser seiner Geheimnisse zu sein . . .

Am Abend erreicht ihn ein Telegramm. Er erklärt ihr in aller Kürze, daß sie weiter müßten, an die asiatische Ostküste . . . nach Singapoore zunächst, der holländische Postdampfer geht am nächsten Abend. Sie ist glücklich wie ein Kind, dem man ein neues Spielzeug reicht: Asien lockt, und dann wird sie ihn während der ganzen Ueberfahrt für sich allein haben, ohne diese fragwürdigen Gestalten und Papiere.

Am nächsten Tag gehen sie an Bord, bewegen sich zum erstenmal zusammen unter fremden Augen, sitzen bei Tisch mit der gleichgültigen Menschenfracht eines Ozeandampfers: da sind Ingenieure aus Uebersee, französische Gesellschafterinnen, die nach Saigon, und deutsche Bierbrauer, die nach Shangai fahren, spanische Missionspriester, Herr Jerome Napoleon Bonaparte, letzter Sproß des nach Amerika ausgewanderten Familienzweiges, kahlköpfig, dachsbeinig, friedlicher Weinhändler in Boston. Diese alle und die ganze übliche Komparserie von Falschspielern, Geheimagenten, Zuhältern. Man hat den Earl of Hensbarrow und seine angebliche Gattin ganz tief unten an einen Flügel der Hufeisentafel gesetzt . . . Frau Senator Petersens schwarze Kleider duften nach Kampfer, und Frau Generalkonsul Rickert fragt einen heimatlichen Kellner, wie teuer die Rundstücke in San Francisco sind, und tuschelt dann gleich mit 153 Fräulein Siebenschwanz über den gelben Mann und die weiße Frau.

Sie tuscheln alle. Der Earl of Hensbarrow bohrt in einem verhaltenen Wutanfall plötzlich seine Gabel in das Tischtuch, ruft, als man aufgestanden ist, den Obersteward und fragt, warum man ihm nicht den Ehrenplatz am Haupt der Tafel gegeben habe, der ihm als Mitglied einer in Amerika beglaubigten Botschaft gebühre. Der wallonische Kellner weiß nicht zu antworten, streift halb aus angeborener Frechheit und halb aus Verlegenheit mit einem kaum merklichen Lächeln das gelbe Gesicht des Earl of Hensbarrow. Der hebt ohne weiteres die Hand und schlägt zu, brutal und barbarisch, daß der andere sich schreiend auf der Erde wälzt. Es gibt ein allgemeines Hallo, man umringt die Gruppe. Der Earl of Hensbarrow steht da und ist zu einem neuen Schlage bereit, man hält sich trotz allgemeiner Proteste in gebührender Entfernung von ihm. Ein kleiner Schiffsoffizier mit rosigen Knabenwangen bietet der verlegen dastehenden Dame den Arm und will sie vom Kampfplatz fortführen. Der Kapitän kommt, ein alter Klappergreis, zwei japanische Offiziere nehmen die Partei des Earl of Hensbarrow. Rasse steht gegen Rasse. Er wütet wie ein Stier, er droht mit Repressalien, denen das Schiff im ersten chinesischen Hafen ausgesetzt sein würde, er erreicht es schließlich, daß man sich bei ihm wegen des Versehens entschuldigt. Sie begegnen dem Geprügelten, als sie über das Promenadendeck gehen, er steht mit verbundenem Gesicht da und duckt sich wie ein geschlagener Hund. »So«, denkt sie, »wird er auch dich schlagen, früher oder später. Aber was tut es? Er ist der Sieger, und man muß für ihn sein. Ja, man muß . . .«

154 Bei der Abendmahlzeit, zu der er ostentativ erscheint, hat man ihm den Ehrenplatz zugewiesen. Man behandelt sie mit übertriebener Delikatesse, nach der Tafel entschuldigen sich, der Reihe nach, der Kapitän, der Obersteward, der Geschlagene. Man hat ihnen im letzten Augenblick die beiden Staatskabinen auf dem Oberdeck gegeben, zwei durch ein Wohnzimmer getrennte Räume. Er schlägt trotzdem seinen Arbeitsplatz hinten in seinem Schlafzimmer auf, wo ihn niemand von außen beobachten kann. Er sitzt schon wieder über seinen Papieren, expediert noch im letzten Augenblick ein Bündel Depeschen, er malt eine Stunde um die andere seine Hieroglyphen. Sie ist allein an Deck, als das Schiff eine Stunde vor Mitternacht ausgeht. Da zieht das Felsufer von Golden Gate vorüber, die rotierende Lichtmühle des Leuchtfeuers von Punta Bonita fegen schemenhaft über das Deck, Amerika, ihre Ehe, Vermögen, Geborgenheit, Geltung . . . alles versinkt hinter ihr.

Sie schläft lange, sie erwacht unsäglich froh, sie schmückt sich für ihren Geliebten. Seine Tür ist verschlossen, sie wird ihn also draußen in dem blaßblauen Morgen finden. Die See geht in leichter Dünung, Delphine reiten neben dem Schiff, nehmen die Wellentäler in breiten Fronten wie das Feld einer Hetzjagd. Die ersten Seekranken liegen in ihren Klappstühlen, . . . vorn, wo die letzten rostbraunen Fischersegel stehen, endet das blaßgrüne Wasser mit scharfem Strich, das Meer wird schwarz und grundlos wie der Styx. Der junge Steuermann, der sich gestern ihrer angenommen hat, kommt von der Brücke, sie spricht ihn an und erfährt, daß er der einzige Deutsche an Bord ist, ja, in Vegesack bei Bremen geboren, wo die größten Spitzbuben der Welt zu Hause sind. Sie erpreßt ihm lachend das Geständnis, daß er eine Freundin 155 in San Francisco und eine in Singapoore und eine dritte in Hamburg habe; er erzählt von den langen, langen Reisen der Salpeterbarken zwischen dem Lizzard und der Chileküste, wenn sechzig junge Mannsbilder sich nach Valparaiso sehnten und gegen das Ende einer solchen Reise bereit seien, übereinander herzufallen vor schlechter Laune, bis die erste Nacht in den Kneipen oben bei Chacabucabergen sie dann lammfromm mache. Ja . . . und daß man in Singapoore Wachen auf der Back aufstellen müsse, weil sonst die kleinen, giftigen Meerschlangen die Ankerketten hochkämen und daß die See hier nun schon zwanzigtausend Fuß tief sei.

Sie lacht und plaudert, genießt Sonne und Meer, den Rhythmus des arbeitenden Schiffes, das Losgelöstsein von Vergangenheit und Zukunft – weshalb ist ihr Geliebter nicht bei ihr?

Sie findet ihn auch auf dem Promenadendeck nicht, sie geht wieder in ihre Kabine, sie späht durch das Schlüsselloch seiner Tür. Da brennt noch das Licht. Er selbst sitzt, unerschöpflich in jedem Exzeß, noch immer über seiner Arbeit. Er öffnet, als sie leise klopft, er ist gleich wieder bei seinen Papieren. Sie steht da und bettelt, um diese gelbe Statue, die nun seit zwölf Stunden ohne Rast und ohne Nahrung dort sitzt, zum Leben zu erwecken.

Weiterschreibend und auch nicht für eine Sekunde seine Arbeit unterbrechend, antwortet er, und es ist besser, daß er in diesem Augenblick sich seines französischen Slangs bedient: »Prêt après une minute... déshabillez-vous!«

*

Gewiß, es ist ein Wechsel von Brutalität und Wollustparoxysmen, ein höllischer Tanz jener Laster, wie vor allen anderen Exoten der Chinese sie am 156 meisten kultiviert und die den Europäer meistens gründlich korrumpieren. Und wenn diese Frau unerniedrigt und unentweiht bleibt . . . Ja, es ist, äußerlich betrachtet, der Höhepunkt des Weges, den diese Violet Tarquanson noch zu gehen hat. –

Am Abend des fünften Tages steht sie allein auf dem menschenleeren Achterdeck. Die See geht, obwohl es absolut windstill ist, hoch mit ölglatten, schwarzen Wellen, über denen das graue Zwielicht der Unterwelt liegt. Hinter dem weißen Kielwasser, von Möwen umkreist, geht das Logg durch das Wasser: ein letzter Halt des vorüberrasenden Schiffes: man läßt sich hinab, man hascht vielleicht in einem Anfall von Todesangst nach dieser nachgeschleppten Stahltrosse, man schwimmt eine Weile, sieht das Schiff, auf dem man wohl erst morgen vermißt wird, verschwinden am Horizont. Man ist allein mit der ungeheuren unorganischen Natur. Man sinkt, zwanzigtausend Fuß tief, man wird zwischen Schlingpflanzen und fabelhaften Ungeheuern unten eine gelbe, weiche Puppe, man löst sich auf, man ist ausgelöscht . . .

Sie schilt sich sentimental mit ihren Todesahnungen, es ist gewiß nur der Nebel und das melancholische Licht. Sie geht auf das Bootsdeck, sie wird dort oben von dem jungen Offizier angerufen. Er hat eben das Glas abgesetzt . . . dort irgendwo im Westen kann man dicht über dem Wasser ein auf und nieder gehendes dunkles Ding sehen, überflutet im regelmäßigen Rhythmus des Seeganges von weißen Schaumfeldern. Ehe sie ihn gefragt hat, ist es heran: das tote, auf der Ladung nur noch schwimmende Wrack eines riesigen Seglers, kaum aus dem Wasser ragend, von jedem der schwarzen Wellenberge überwaschen. Klägliche Reste zerbrochener Deckaufbauten tauchen dann und wann auf, Maststumpfe, morsche Holzteile phosphoreszieren 157 im Halbdunkel, das Licht der Verwesung ist um dieses heillose Schiffsgespenst. Das Ganze gleitet blitzschnell vorüber, verschwindet im Dunkeln, legt sich in der nächsten Nacht schon dem nächsten Ozeandampfer in den Weg, schlitzt ihm vom Vordersteven bis zu den Schrauben den ganzen Leib auf, daß dieses törichte Konglomerat von Luxus und Maschinenwahnsinn in fünf Minuten zum Teufel fährt und vom Ozean zusammengedrückt wird wie eine rostige Konservenbüchse . . .

Verfolgt von dem Ahnen des Todes, der unsichtbar sie nun seit Monaten schon umschleicht, wird sie in dieser Nacht zu der letzten Hingabe getrieben, zu einem Krampf des Begehrens, in dem vielleicht durch eine dem menschlichen Sinn verborgene Verkettung doch wieder die Starre des Todes liegen mag.

In diesem schweigenden Entsetzen der Umarmung wütend seinen gigantischen Fechterleib umschlingend, sieht sie ihm ins Gesicht. Da ist in seinen Augen etwas von der Trauer des Tieres oder des Halbgottes, die die Vollendung ahnen und nie finden. »Ah, du«, stammelt Violet Tarquanson und weiß selbst nicht, was sie sagt . . . »ah, du, daß ich dich zum Menschen machen könnte!« – – –

*

In dieser Nacht erwacht sie von einem schweren Schlag, der draußen gegen die Wand der Kabine schmettert . . . Dann ein gewaltiges Rauschen, in dem alle Geräusche des Schiffes ersterben, und dann das Abrinnen großer Wassermassen in nächster Nähe. Sie weiß sehr wohl, was das bedeutet: eine ungeheure See, die bis zu ihnen herauf auf das Promenadendeck, ganz dicht bis zu ihrem warmen geborgenen Lager geklettert ist. Sie läßt sich hin und her werfen von den gewaltigen 158 Bewegungen des Schiffes, hört das irrsinnige Rasen der periodisch aus den Wellentälern auftauchenden Schrauben, weiß, daß das schweres Wetter bedeutet, und genießt doppelt die wohlige Wärme des Lagers, die Nähe des Geliebten, die Tritte zu ihren Häupten . . . Ja, das ist wohl der rotbäckige, junge Offizier aus Vegesack bei Bremen, wo die größten Spitzbuben zur Welt kommen. Man weiß sich gut geborgen und schläft wieder ein mit einem Lächeln um den Mund.

Es ist dann genau sechs Uhr früh und mithin noch ganz dunkel, als sie von neuem in die Höhe fährt von einem entsetzlichen klirrenden Schlag, unter dem für eine Sekunde das ganze Schiff zittert. Im selben Augenblick beginnt da unten, unter den Teakholzdielen des Zimmers ein donnerndes Rasen, das sie sich nicht erklären kann. Man hört die Maschinentelegraphen klingeln, Durcheinanderlaufen auf der Brücke, auf den Gängen, und dann ist es plötzlich, trotz des Brüllens der See, merkwürdig still: die Maschinen, die diese Fahrt seit zehn Tagen begleitet haben mit ihrem Viervierteltakt, stehen plötzlich still. Da weiß sie denn, daß etwas Katastrophales, etwas Unwiderrufliches geschehen ist, und richtet sich auf.

Gut, das ist also der Tod! Der Tod mitten heraus aus dem Leben, aus der Orgie, vom letzten Gipfel herab, den sie mit ihrem Weiberdasein hat erklimmen können! Sie fühlt, daß sie bleich ist, als sie das Licht andreht, und fühlt doch eine feierliche, fremde Ruhe, von der sie bisher nie etwas gewußt hat. Sie geht in sein Zimmer und findet ihn auch jetzt noch in abgrundtiefem tierischen Schlaf liegen, sie beugt sich über ihn und küßt seinen Mund: »Ja, ich danke dir.«

Im selben Augenblick, als er dann erwacht, öffnet sich die Tür. Ein Quartermeister erscheint und 159 erklärt mit schöner, tiefer Stimme, daß keine Gefahr sei, daß er aber ersuchen müsse, die Schwimmwesten anzulegen, die sie unter den Betten finden würden.

Unwillkürlich muß sie lachen über die anzulegenden Schwimmwesten und die abgeleugnete Gefahr. Der Mensch steht noch immer da und schickt sich an, seinen Spruch zu wiederholen, der von diesen merkwürdigen Herrschaften da scheinbar nicht richtig verstanden ist. Der Earl of Hensbarrow richtet sich wütend auf. »Stop your nonsens!« Und der Messingleuchter fliegt durch die Luft, der Mann mit der Uniformmütze weicht noch zur rechten Zeit aus und verschwindet und ist schon vor der nächsten Kabine.

Ganz unten, aus der Tiefe des Schiffes, kommt metallisches Dröhnen, wie von gewaltigen Hammerschlägen. Was ist dort? Was? Der Earl of Hensbarrow steckt sich gähnend eine Zigarette an. Aber zwischen den grellen Weiberschreien, die aus der langen Flucht der unteren Kabinen kommen, hört man jetzt das Fluchen des armenischen Geldwechslers nebenan, der Gott und die Welt, dieses Schiff und den Großvater seines Erbauers verflucht. Sie springt auf, wird im nächsten Augenblick von dem schweren Seegang, in dem das außer Kurs geratene Schiff hilflos treibt, umgeworfen. Sie richtet sich stöhnend auf, kleidet sich langsam und sehr sorgfältig an. Die Kabine vor ihr verlassend, die Hände gleichgültig in den Taschen, fragt er, ob sie nicht das Schwimmzeug nehmen wolle.

»Wozu?« Und sie denkt an die Riesentrommeln der brüllenden See dort draußen, die ihr mit einem Schlage das Rückgrat zerbrechen werden. Sie ist auch jetzt ganz ruhig. Aber dann sieht sie sich doch hilflos nach ihm um. Ja, es wäre so schön gewesen, zusammen zu sterben, in der Götter Namen in einer letzten höllischen Umarmung!

160 Schneeböen fahren ihr entgegen, als sie die Tür öffnet, füllen sofort das eben noch warme Zimmer mit tödlichem Eishauch. Die See, die unter diesen Wolken nadelscharfer Kristalle geht, ist ein ungeheueres Chaos grüngrauer Berge, ein entsetzliches Räderwerk, Menschenleiber zu mahlen . . . ach, dieses Fleisch, das eben noch so inbrünstig die Gebete der Wollust gestammelt hat!

Dennoch entschlossen, ihre elegante Haltung nicht einzubüßen, tastet sie sich vorwärts auf dem schräg liegenden Deck, begegnet einem vor vierundzwanzig Stunden noch sehr tadellosen Kabinennachbarn. Er ist im Nachthemd, ein wachsbleiches Gesicht sieht sie verständnislos an, der Tod hat alle Blasiertheit zum Teufel gejagt. Hinter ihr droht seine in der Fistel sich überschlagende Stimme, man werde sich beim Kapitän, beim Reeder, beim amerikanischen Konsul beschweren. Sie wartet noch, wo dieser Instanzenweg enden wird: da reckt es sich mit seltsamer Langsamkeit bleigrau in jäher Steilheit neben ihr auf, trennt ein weißes Gischthaupt ab und läßt es klatschend niederfallen. Sie hört ungeheure Wasserströme um sich rauschen, sie fühlt es an sich zerren, sie hält sich verzweifelt an der Kabinenwand fest. In dieser Pause der Atemlosigkeit, die unendlich lange währt, ruft sie innerlich nach dem Geliebten: »Wo bist du? Wo? Weshalb umarmst du mich nicht, du? Wo sind deine Liebkosungen, du?«

Da weicht das Wasser. Der Herr hinter ihr ist umgerissen, er wird, ein klägliches Bündel, gegen die Schanze geworfen und rafft sich auf und läuft haltlos brüllend davon. In diesem Augenblick erst geschieht es, daß sie von unten die irrsinnigen Schreie der Panik hört. Zugleich sieht sie vorn, an dem hinunterführenden Treppenaufgang den jungen Offizier stehen. Sie will ihn ansprechen; aber auch sein Auge streift sie 161 teilnahmslos, er erkennt sie nicht mehr. Sie sieht eine Waffe in seiner Hand . . . ah, er verteidigt den Ausgang zu den Booten! Zu diesen Booten, die ja doch niemandem nützen können, die zerschlagen werden von der ersten See, die sie dennoch alle erstreben: diese Damen am Fuße der Treppe, die ihre Kinder schreiend hochhalten, diese gestern noch sehr galanten Herrn im untadeligen Pyjama, die vor zwölf Stunden noch mit diesen selben Damen geflirtet und Schöffelbord gespielt haben auf einem sauberen Deck, die aber jetzt doch mit hartem Griff diese Damen an die Kehle fassen und würgen, nur um als erste oben bei den Booten zu sein. Ach, diese gut gepflegten Hände, die sich gegenseitig zerkratzen, einen schreienden Säugling beiseite schlagen . . . und dort auf der dritten Stufe schon, den Booten die Nächste, die wohlbeleibte Dame im Unterrock, die plötzlich mit einem Fußtritt von ihrem eigenen Mann, ihrem schreienden apoplektischen Mann hinabbefördert wird auf Deck, unter die Füße der anderen!

Und dann brüllt es auf in allem Gekreisch, es flucht in sieben Sprachen, man hört plötzlich dumpfe Schläge auf weiche Körper, Schläge, die sie an ein Schlachthaus in Chicago erinnern, wo sie einmal gesehen hat, wie man Schweine vom Leben zum Tode befördert: eine Maske vor den Augen des Tieres, das Tier sieht den Tod nicht, ein Hammerhieb auf den Dorn der Maske . . . das Tier ist tot . . .

Nein, nein, das Tier brüllt lauter. Und nun erst sieht sie da einen der nackten schwarzen Kohlentrimmer, die hier absolut nichts zu suchen haben auf dem Promenadendeck . . . dann noch einen und noch einen. Gewaltige Fäuste heben sich, fallen nieder auf wohlfrisierte Häupter, in blasse Gesichter – Wasserfetzen 162 waschen schwarze Blutbäche ab. Ein riesenhafter nackter Menschenaffe bringt den Fuß auf die Treppenstufe, das Affengesicht verzerrt sich, er brüllt wie ein Stier. Da hebt neben ihr sich der Arm mit der Waffe, und die Waffe zieht eine feine Rauchbahn, und mit dem kurzen Peitschenknall ist der Affe verschwunden.

Sie fühlt sich unfähig, den Todeskampf dieser armen Menschen anzusehen, die nicht sterben können. Sie tastet sich wieder nach hinten über das Deck, sieht vor sich eine dunkle Gestalt, ganz ruhig, weit entfernt von dem Wahnsinn dort unten. Sie erkennt den spanischen Priester, der ihr bisher so scheu ausgewichen ist während der Fahrt, sieht das Buch in seiner Hand, sieht seine Lippen sich bewegen, hört in dem Höllenlärm nichts und weiß doch, daß er Sterbegebete murmelt. Die Gebete der Kirche, die dem Tod eine Kerze in die Hand gibt, den sanften Schein eines freundlichen, quallosen Sterbens. Und einen Augenblick ist es, als strecke die Hand sich nach ihr, eine weiche, freundliche Hand, die alles in die Ferne rückt: das kreischende Weib und den Neger mit der Eisenschaufel in der Hand und das verendende Tier mit der Maske über dem vorwurfsvollen Blick . . . Ja, auch den Jammer des sterbenden Tieres. Aber da schreit eine andere Stimme in ihr, daß nach der Lust der Tod komme, daß es selbstverständlich und natürlich so ist, daß es jämmerlich ist, im Tode den Gott zu rufen, den man lebend, tötend, hurend nicht gekannt hat. –

Dem Priester entgegengehend, sieht sie in ein mittelalterliches, trauriges Mönchsgesicht, und lacht plötzlich, den Sturm übertönend, ein Lachen, das sie nie gelacht hat, das gellende freche Lachen der Dirne.

In diesem Augenblick geschieht etwas Seltsames. Vorwärts sich kämpfend über Deck, mit dem Instinkt der Lebensgier die überkommenden Seen vermeidend, 163 sieht sie sich von einem Mann überholt, einem uniformierten Mann, der ihr etwas ins Ohr schreit. Daß keine Gefahr mehr ist, schreit der Mann. Oben gellt eine Glocke. Unten schreien, brüllen, posaunen von Blechtrichtern getragene Stierstimmen, daß keine Gefahr ist. Die Glocke oben klingelt wieder, im Abgrund ächzt es immer schneller, im Viervierteltakt beginnt die Maschine wieder zu arbeiten. Ja, sie springt an, unbegreiflicherweise springt sie an, und man muß noch einmal, als das Schiff sich aufrichtet, gellend und frech auflachen über den betrogenen Tod.

Ueber das Deck, herunter von der Brücke, kommt ihr Geliebter, und ihr Geliebter ist ruhig wie ein Gott, und der Tod kann ihm nichts anhaben. Das Schiff kommt wieder in Fahrt, man kann gehen und lachen. Und man fällt hin, wie man ist – ein schöner, stolzer Mensch ohne Götter und fällt ohnmächtig dem Geliebten in die Arme.

*

Dieser Sturm in jener Liebesnacht, die ihre dunkelste und letzte ist, dieser Sturm ist eine jener Katastrophen, die mit fabelhafter Schnelligkeit über den Erdball rasen, gigantisches Unheil anrichten, durch die Zeitungen fahren und nach zwei Tagen vergessen werden. Ein riesiger Luftwirbel rast von Kamtschatka südostwärts, deckt in Japan drei Riesenstädte ab, ersäuft mit einer phantastischen Sturmflut in Java eine Viertelmillion Menschen, wirft, über den Pacific brausend, sechzig Wracks auf den Sand, ersäuft irgendwo einen modischen Passagierdampfer mit Turnhallen, Schwimmbädern und Wintergärten, trägt seine letzten Ausläufer bis vor die Redaktionen der großen Blätter: gelesen . . . ein Frühstück verdaut . . . vergessen . . .

164 Das Schiff, auf dem Violet Tarquanson ihrem weiteren Schicksal entgegenfährt, hat eine der beiden Schraubenwellen gebrochen, auch die zweite Maschine ist dadurch für einige Zeit dienstunfähig geworden. Das Schiff treibt eine Weile in der groben See, nimmt Wasser über, erlebt eine Panik. Und diese Panik kostet immerhin einem schwarzen Trimmer das Leben, bedenkt ein Dutzend gepflegter Bürger mit Hiebwunden und Beinbrüchen und hinterläßt bei denen von diesen Generalkonsuln, Generalbevollmächtigten und Generalagenten, die in ihrer Todesangst ihre Frauen gewürgt, einen Säugling mit der Faust geprügelt, eine Flirtbekanntschaft ins Gesicht geschlagen haben . . . Ja, bei ihnen hinterläßt der Sturm wohl Erinnerungen, an denen sie ihr ganzes Leben zu schlucken haben. Im übrigen aber ist die Todesangst in vierundzwanzig Stunden vergessen, man pflegt seine Seekrankheit, man klingelt nach den abgehetzten Stewards und läßt sich heiße Kompressen auf den schmerzenden Schädel legen, und ist sich klar darüber, daß der Tod eine Angelegenheit ist, die immer nur den anderen angeht, nie einen selbst . . . nein, gewiß nicht . . .

Bei Violet Tarquanson zeitigt diese Stunde schlimme Folgen. Sie liegt zwei Tage hilflos da, sie ringt im Fieber, indem sie die Pflegerin in den Haaren zerrt, verzweifelt mit Tarquanson, mit dem sie zu dinieren glaubt, lacht gellend, daß es in den Nachbarkabinen zu hören ist, über Ward Whitening, der mit einem Palmenzweig und goldenen Engellocken vor ihr steht . . .

Am dritten Tag ist ihr starker Körper mit dieser Krise immerhin so weit fertig, daß sie nach ihrem Freunde fragt. Die Pflegerin ist ein wenig verlegen und erwidert, daß der Herr gerade nicht da sei. Sie denkt an eine seiner Arbeitsorgien und gibt sich 165 zufrieden. Als sie aber am Abend die gleiche Frage stellt und sich schließlich die Antwort erbettelt, daß er seit drei Tagen, seit sie hier liegt, nicht mehr in seinem Zimmer gewesen sei, da beginnt sie unruhig zu werden. Sie heuchelt friedlichen Schlaf, erhebt sich, als die Pflegerin gegangen ist, und kleidet sich an. Sie fühlt eine tödliche Schwäche, sie taumelt, als sie das menschenleere, dunkle Deck betritt. Sie sieht zur Brücke hinauf, wo die Lichtarme des Scheinwerfers über die noch immer hochgehende See tasten, fragt hinten bei der Rudermaschine die Quartermeister, verirrt sich sogar auf das Vordeck zu den Ausguckposten, die da irgendwo im Dunkeln kauern und Windschutz suchen. Sie sucht die Bar nach ihm ab, wo Zuhälter einen Reverend im Poker betrogen haben, und schaut im Salon nach: der Earl of Hensbarrow ist nicht zu entdecken. Schließlich irrt sie durch die langen Gänge des Schiffsleibes, vorbei an den Kabinen zweiter Klasse, wo dickleibige Kneipenwirte, in wollenem Unterzeug auf den Betten sitzend, die Tür zu schließen vergessen haben. Sie geht vorbei an den Eisenwänden mit den Glasfenstern, durch die man tief unten das Spiel der Maschine sehen kann, gelangt endlich ganz nach hinten, in die Nähe des Zwischendeckes, wo galizische Juden mit resigniertem Blick sich vorüberdrücken und langbrüstige Niggerweiber auf den Gängen ihre Babys säugen. In diesem Kotwinkel, den es auf jedem Schiff gibt, wo die Türen von einer rätselhaften Schmutzschicht kleben, wo es nach billigem Fett und den Residuen der Seekrankheit und unsauberen Toiletten riecht und wo im Schatten einer staubigen Gerätekammer dienstfreie Trimmer mit den schmierigen Stewardessen des Zwischendecks Schäferstunden feiern – hier geschieht es, als sie schon resigniert umkehren will, daß sie plötzlich hinter einer Tür eine bekannte Stimme hört. Im selben Augenblick 166 wird diese Tür aufgerissen, ein betrunkener Mensch in schmieriger weißer Jacke, ein Steward dritter Klasse oder ein Krankenwärter der geschlechtskranken Matrosen wohl, taumelt grölend auf den Gang, stiert die elegante Frau an, lacht brüllend auf und schlingt plötzlich den Arm wie ein Menschenaffe um ihre Taille. Ehe sie ihn fortstößt, sieht sie hier, in der offenen Tür der Stewardmesse, bei trübem Licht in Dunstwolken schlechten Whiskys, Arm in Arm mit diesen weißbejackten, betrunkenen Knechten, die sie vor einer Stunde bedient haben – den Earl of Hensbarrow, den Enkel mongolischer und Walliser Ahnenreihen beim unterirdischen Zechgelage mit den Paria des Schiffes sitzen.

Während draußen der Betrunkene sie noch immer umschlungen hält, starren sie sich gegenseitig an, als erkennen sie sich nicht. Die ganze Gesellschaft stiert sie an, die Gesichter sind gespenstisch starr im Schein dieser Kohlenfadenlampe, die kaum die Rauchwolken durchbricht. Das Schiff holt über und wirft die Batterien leergetrunkener Whiskyflaschen um; die Flaschen fallen auf einen Betrunkenen, der unter dem Tisch liegt. Der Betrunkene erwacht, kriecht zwischen weggeworfenen Zigarrenstummeln und den Lachen des Erbrochenen hervor, sieht das Weib, kriecht mit einem Brunftschrei auf sie zu – es gelingt ihm, ihre Knie zu umfassen. Ein ungeheueres Gewieher der Männer unterbricht die Stille, weckt sie aus ihrer Erstarrung, sie schleudert den Kerl, der ihre Taille umfaßt hat, beiseite, daß er mit dem Schädel gegen die Eisenwand fliegt.

Die Männer staunen mit offenem Munde, der Earl of Hensbarrow, als einziger nach einer ungeheueren Zecherei noch völlig Herr über seine Glieder, stößt den Menschen am Boden mit dem Fuß beiseite, faßt die Frau in dem seidenen chamoisfarbenen Kleid wie eine 167 Puppe und trägt sie zu seinem Platz, setzt sie zu sich auf seine Knie. Dort sitzt sie und ist klug genug, aus dem vorgehaltenen Fuselglas zu trinken. Der Earl of Hensbarrow hält sie auf seinem Schoß, die Knechte müssen sehen, wie schön seine Geliebte ist. Ein Nachbar streckt den Arm aus, eine Hand mit schwarzen Nägeln kommt zu ihr, will ihren Busen liebkosen. Der Earl of Hensbarrow teilt eine fürchterliche Maulschelle aus, der Geschlagene hält sich ein schmieriges Taschentuch vor die blutende Nase. Der Earl of Hensbarrow liebkost sie, und während er sie liebkost, spricht er ein Wort, eine armdicke Zote, bei der die Schauerleute von Sankt Pauli erröten könnten.

»Sprich's nach!«

Sie sieht ihm ins Gesicht. Ja, er ist noch in der Gemeinheit schön, man muß seinen Willen tun.

»Sprich's nach . . .«

Die harte Hand ballt sich zur Faust, sie wird ihre Kehle zerdrücken.

»Sprich es nach, sage ich . . .«

Die Kellner starren gespannt mit offenem Mund. Da muß sie es nachsprechen. Die Knechte grölen. Die Flaschen klirren. Draußen auf dem Gang hört man den Kerl, der sie zuerst umarmt hat, sich übergeben. Sie stimmt in das Lachen mit ein, ihr Geliebter will es so. Als er dann das Glas hebt und trinkt, eine Menge hinuntergießt, die einen masurischen Bauern an Alkoholvergiftung sterben ließe, springt sie behend auf von seinen Knien.

Die Gespensterjagd ist hinter ihr auf dem Gang, sie wirft eine Eisentür zu und klemmt einem Verfolger die Finger ein, daß er aufheult. Sie kommt in reinlichere Regionen des Schiffes, zu den Kleinbürgern zuerst und dann zu den Bürgern. Als sie dem Fräulein Siebenschwanz aus Hamburg begegnet, die zur Entbindung 168 ihrer Schwester nach Singapoore fährt, da erst erkennt sie angesichts dieser weißleinenen Korrektheit, daß sie in der Hölle gewesen ist.

In der Nacht fühlt sie sich wieder sehr krank, sie fiebert wieder, die Gesichter sind wieder da. Da sitzt Percyval Tarquanson mit schwappendem Bauch in der Badewanne und der Marchese da Bisticci durchsticht ihn mit einer meterlangen Kanüle, daß er sterbend sie mit einem um Erbarmung bettelnden Hundeblick ansieht. Sie erwacht mit schmerzendem Kopf und sieht im Nebenzimmer den Earl of Hensbarrow in peinlich korrektem Anzug vor seinem Schreibtisch arbeiten. Er klingelt. Er gibt dem eintretenden Steward (vielleicht war auch dieser bei dem Zechgelage) eine Depesche für die drahtlose Station. Der Mann geht. Der Earl of Hensbarrow malt wieder seine kunstvollen Zeichen auf seine Spionagepapiere, er arbeitet auch nach dieser Orgie wie ein Zyklop. Man sieht ihm keine Spur der vergangenen Stunden an, man kommt zu der Erkenntnis, daß er aus Eisen ist und daß sich nichts gegen seinen Willen tun läßt.

Sie schläft wieder, sie erwacht nach einer Stunde in tödlicher Uebelkeit. Sie klingelt, sie läßt den Schiffsarzt kommen. Der alte feingliedrige Herr wagt es, in Gegenwart des arbeitenden Ungeheuers da laut zu sprechen. Der Earl of Hensbarrow, in seiner Arbeit gestört, fährt wie ein gereizter Stier auf. Der Alte streift sie mit einem bedauernden Blick und geht.

Als er fort ist, beginnt die Krankheit sie dreifach zu schütteln, sie wimmert, richtet sich auf, steht aus dem Bett auf, muß erbrechen und fällt schließlich erschöpft um. Als sie so liegt, schießt ihr der Gedanke an ein Kind durch den Kopf, das sie von ihm empfangen haben könnte . . . ah, einen fabelhaften Bastard zweier Rassen, der einmal die Welt in Scherben schlägt. Da 169 erinnert sie sich trauernd daran, daß sie ja seit zwei Wochen erst ihn besitzt. Der Traum ist fort, sie stöhnt vor Qual. Die Stewardeß, nach der sie geklingelt hat, will sie aufheben. Das Ungeheuer, von neuem aufgestört, springt herbei, sieht, daß sie häßlich, krank, besudelt ist, starrt sie mit den Zeichen ungeheueren Ekels an. Und dann geschieht das Ungeheuerliche, daß er sich niederbeugt, daß er nach ihr speit, der Speichel trifft ihre rotblonde Haarflut. Dann tritt er, mit einem Aufschrei tierischer Wut, mit dem Fuß nach ihr – in Gegenwart der fassungslosen Dienerin da.

Sie krümmt sich zusammen unter seinem Tritt und sieht ihn lächelnd an und erhascht die geballte Faust. »Du Armer . . . Ja, du hast recht . . . ich mute dir wirklich sehr viel zu . . .«

Da sieht der farbige Mann sie fassungslos an. Und während die vor Angst zitternde Pflegerin ihren geprügelten Leib säubert, dreht er sich auf den Hacken um und stürzt zur Tür hinaus. –

In der gleichen Nacht noch wütet sie gegen ihre Krankheit und findet sich lächerlich und beginnt ihren Körper zusammenzukrampfen und sich zu wehren. Sie steht auf, trotz des Protestes der Pflegerin. Da sie sich alt und häßlich vorkommt nach ihrer Krankheit, so schminkt sie sich und tritt ihm so entgegen, und erntet von ihm einen gleichgültigen, eiskalten Blick. Gut, sie muß also noch mehr für sich tun, sie muß sich sehr zusammennehmen. Sie läßt sich einen ganzen Tag lang von der Gymnastin kneten und fühlt sich schließlich wirklich einigermaßen gesund.

Am Nachmittag begegnet sie ihm oben auf dem Bootsdeck, Arm in Arm mit einer binsenschlanken Kreolin. Er geht vorüber an ihr, ohne sie anzusehen. Sie preßt die Nägel in ihr weißes Fleisch und schreit sich innerlich zu, daß sie ganz, ganz gesund werden 170 muß. In der nächsten Nacht ist er nicht in seiner Kabine. Nein, sie will nicht wissen, wo er ist.

Am nächsten Morgen ist das Wetter nach sieben schrecklichen Tagen endlich schön, der Pacific lächelt milde und sanft, wie ein Generalsuperintendent bei der Trauung eines notablen Brautpaares lächelt. Sie tritt aus der Kabine, sie ist mit der Krankheit fertig geworden, sie ist wieder schön und jung. Sie sieht vor dem Schiff eine dunkle Felsmasse über der leise atmenden See liegen, die Leute sagen, daß das Schiff zu Anker gehen wird, um seine Sturmschäden auszubessern. Die Luft ist warm und duftet nach Sonne und Meer. Die Bürger sind aus ihren Kabinen gekrochen, sie sind nicht mehr schmutzige, seekranke Menschenbündel, die nach überhetzten Stewards wimmern. Sondern sie sind seefeste Gentlemen, die zum erstenmal nagelneue Tropenanzüge tragen und mit Gläsern nach der einsamen Felsinsel drüben sehen. Der alte, runzlige Bootsmann schwenkt das Lot und ruft singend die Wassertiefe aus, und der junge Offizier mit dem braunen Kindergesicht unter der weißen Mütze, den sie vorn bei der Ankermaschinerie stehen sieht, ruft die Zahl zurück. »Fünfzehn Faden Wasser . . . zehn Faden . . .« Und dann rasselt der Anker wirklich in die Tiefe und das Schiff liegt ganz still. Man geht auf die andere Seite, wo man die Insel sehen kann. Da sieht man, daß diese Insel dem riesigen Haupt einer Steinsphinx gleicht, nicht in zufälliger Aehnlichkeit, sondern erschreckend und wahrhaftig ein riesenhaftes Tierhaupt ist, gemeißelt von einem Gigantenkünstler, dem die sechstausend Meter Wasser des Pazifik nur bis zu den Hüften gingen. Sie fragt nicht danach, sie hört nicht auf die Erklärungen, die man auf dem Deck darüber austauscht, sie hört nicht einmal den Namen dieser sagenhaften Thule, die vielleicht alle Jahrzehnt 171 nur von einem Schiffe gesichtet wird. Sie steht und staunt das große Felshaupt an, das da aus dem Wasser aufgetaucht ist.

Am Nachmittag, während unten im Maschinenraum die Hammerschläge dröhnen und sie den halbnackten Maschinenleuten in den Booten zusieht, die das Schiff mit ihren Werkzeugen umschwärmen, kommt der junge Offizier an ihren Liegestuhl: eine Partie nach der Insel kommt zustande, er hofft, sie werde dabei sein.

Sie ist in fünf Minuten fertig. Ihr Freund kommt nicht mit, er flirtet auch heute mit der Gattin des chilenischen Großindustriellen, er ist so sehr mit der neuen Frau beschäftigt, daß er sie nicht einmal bemerkt. Aber da sie weiß, daß Eifersucht klein ist, würgt sie ihre Bitterkeit hinunter und winkt ihm lachend noch aus dem Boote zu.

In Sonnenschein und Wasserdunst gleiten sie hinüber. Der spanische Priester ist dabei, ein Schweizer Ingenieur und der russische Archäolog, der in Java die prähistorischen Tempelbauten vermessen wird. Alles ist sehr still, man hört kaum die Ruderschläge der Leute. Sie sitzt, in ihren Mantel gehüllt, und träumt, daß sie dem großen Unbekannten entgegenfährt, der dort irgendwo auf der Insel haust. Dunstschleier, die das minutenlang verhüllen, zerreißen plötzlich; das Inselhaupt schießt, nun sie nahe sind, ins Gigantische empor.

Das Antlitz verliert nichts von seiner Mächtigkeit, es ist grauenhaft wirklich gestaltet von den unbekannten Steinmetzen, so wirklich, daß man die langen Reihen der Meißelhiebe erkennen kann. Die Sphinx, aus dem Wasser gestiegen, ist unerträglich, man muß fürchten, daß sie unter dem Wasser einen gigantischen Schlangenleib fortsetzt, daß sie eine Pranke mit Schlamm und Meerungeheuern und den Resten 172 verlorener Menschenleiber hebt und zuschlägt auf das Boot mit den Lebenden da . . .

Der Schweizer Ingenieur erklärt die Insel für einen Bluff, das technische Problem sei selbst mit den Mitteln der modernen Technik nicht zu lösen – geschweige denn mit den primitiveren eines Urvolkes. Die Sphinx ist somit das Zufallsprodukt einer bizarren Basalteruption, die zugleich durch die Erosion des Meeres . . .

Da alles schweigt, fragt der Mann der Technik, ob jemand das bestreiten wolle. Oder was man sonst für Erklärungen habe?

»Gar keine.« Der Russe lächelt, als er antwortet; der Ingenieur meint, daß das ja auch ein Standpunkt sei, und beginnt Gummi zu kauen. Die blonde Frau träumt ihren Traum von Stille und Erstarrtsein im Garten des unbekannten Inselgottes weiter und erwacht erst, als das Boot gegen die Felsen stößt.

Eine Treppe, in den tintenschwarzen Stein gehauen, leitet sie in Zickzackbändern hinauf . . . tausend Stufen, wer weiß, wieviel. Unten klafft der Abgrund und das weinfarbene Meer, durchsichtig bis zu seinen Gründen. Die Treppe steigt und steigt, es ist nicht abzusehen, wo sie endet. In den Felsenwänden dehnen sich die wagerechten Riffe des Stirnbandes, man kann deutlich noch jeden Meißelhieb sehen: einen beim anderen, bis vielleicht in zwei Jahrhunderten ein ganzer, kilometerlanger Riß, von drei Generationen gespenstischer Steinmetzen gehauen, im Fels klaffte.

Der Russe legt den Finger in die Meißelmale. »Der Stein, sehen Sie, der Stein kennt das Geheimnis. Und wir, wir wissen es nicht, und werden es nicht wissen.«

173 Sie steigen weiter, und nun erreichen sie endlich das Plateau, den Scheitel des Hauptes. Steinbrüche klaffen, vor Jahrtausenden verlassen. Grünliche Gase quellen aus niederen Felsgrotten und lagern sich giftig und schwer auf den Boden, decken den schwarzen Fels mit gespenstischen Schleiern. Dann, im Grunde der Basaltbrüche, stoßen sie auf menschliches Gebein – unverwittert, vom Giftgas durch Jahrtausende erhalten, Schädel und Schienbeine und Frauenarme. Da liegen sie, zu gelblichen Flecken gehäuft, auf dem düsteren Stein, es sind Leichengebirge, Zeugen gigantischer Opfer, eines unfaßlichen, prähistorischen Mordens, wer mag es wissen . . .

Sie wagen nicht, in das Gas sich hinunter zu bücken. Sie trotten schweigend weiter, der Tod und das große Geheimnis lasten auf ihnen. Als sie dann um die Ecke der Basaltwand biegen, schießt es aus dem nächsten engen Tal auf: eine Mauer, aus mächtigen Blöcken gefügt, zweihundert Fuß hoch, für das Auge kaum faßlich. Block fügt sich auf Block, ein jeder zimmergroß, von Teufelsfäusten alles aufeinander gefügt, jeder stahlglatt, ehern, unbezwingbar. Der Ingenieur läuft an die Wand, klettert zur ersten Fuge, bricht sein Federmesser ab, das er gewissenhaft in den haarfeinen Spalt zu zwängen gesucht hat, kommt mit verstörtem Gesicht zurück.

Der Russe lächelt. »Sparen Sie sich die Mühe und gestehen sie sich's ein, daß diese Blöcke ihre Dampfkrane durchbiegen würden. Die Unbekannten haben sie aufeinandergetürmt, sie haben's gekonnt, und Sie, Sie können's nicht . . .«

Man geht die Mauer entlang, man stößt auf eine zweite, rechtwinklig zur ersten geführte. Das Innere des Tempels kann man noch nicht sehen, aber man 174 sieht oben in schwindelnder Höhe die Eukalyptusbüsche, die sich oben in die Mauer gekrallt haben . . . ein ganzer im Seewind rauschender Wald. Aber an der Stirn der Mauer springt aus dem Stein das basaltene, dreieckige Haupt einer Schlange hervor, und die Gifthaken wachsen abscheulich aus dem geschlossenen Maul. Der Ingenieur photographiert, der Priester unterhält sich mit dem Offizier, der Gelehrte beginnt von den Inkatempeln zu erzählen, die er bei Cusco gesehen hat, in dreitausend Meter Meereshöhe – aus noch größeren Blöcken gebaut, zu noch gigantischeren Mauern geschichtet, und jeden Block hat man heranschaffen müssen aus tiefen Tälern zu den einsamen Tempelhöhen. Und wenn die Werkmeister von damals nur Rollen und schiefe Ebenen gehabt hätten, dann hätten sie dreitausend Jahre gebraucht für jeden Bau, vorausgesetzt, daß ein ganzes Volk mitgebaut habe. Da man aber 56 solcher Tempel kenne, so hätte man . . .

Und er nennt die Zahl der Jahrtausende, die man gebaut haben muß, und sie fühlt einen Schwindel vor all den Geheimnissen und fühlt eine Hand, die sie in ein tiefes Loch hineinreißt, mitten durch den Erdball hindurch . . . Ja, ja, man kommt am ersten Schöpfungstag wieder auf der anderen Seite zum Vorschein.

Der Ingenieur hat die Zahl gehört und protestiert und läuft herbei und sagt, an diese Bauten zu glauben, hieße eben an das Wunder glauben. Der Russe zuckt die Achseln und erzählt ihr weiter von diesen gigantischen Bauten rings um den ganzen Pacific: auf den Südseeinseln, und hier, und auf den Galapagos, und den Aleuten – alles gebaut von dem unbekannten Mongolen, der es gewagt habe, auf offenen Booten den riesigen Ozean zu durchfahren, Amerika sich zu unterwerfen, Brücken zu bauen, die man heute nicht nachmachen könne, und Straßen, die heute noch 175 den ganzen Kontinent durchliefen, von Kanada bis zum Magalhães-Archipel . . .

Sie hört mit leuchtenden Augen zu. Es ist sein Volk, das das alles getan hat, und sein Blut ist allmächtig, und die Erde ist ihm untertan. Es ist herrlich, ihn zu lieben, es ist nicht möglich, ihm nicht zu dienen, ja, es ist unmöglich. Sie liebkost mit dem Blick diese Mauer, das Werk seiner Urahnen; das Schlangenhaupt bemerkend, fragt sie, welcher Gott hier verehrt worden sei. Da bricht der Priester das Schweigen: »Der Mongole ist ohne Gott. Dies ist die Welt ohne Götter.«

In diesem Augenblick biegen sie um die Ecke der Mauer und können hineinsehen in das offene Rechteck des Tempels. Aus dem einsamen Raum in der Mitte, hundert Fuß empor, schießt der Männlichkeit steinernes Abbild, ein riesiger Phallus – unverhüllt, von grausiger, hemmungsloser Wirklichkeit. Sie steht und erschauert. Der junge Steuermann ist rot geworden bis unter die Haarwurzeln, der Ingenieur tritt von einem Fuß auf den anderen.

Der Priester ist unerbittlich. »Hat er aber Götter, so ist dieses einer.«

Da lacht sie ihm ein freches Lachen ins Gesicht: »Nun wohl, so dienen wir ihm!«

Und sie wendet sich ab von den verlegenen Europäern und fühlt, daß sie eigentlich nicht mehr ihres Blutes ist und geht raschen Schrittes wieder dem Boote zu, das sie zu ihrem Geliebten bringen wird. –

Dann, nach einer Stunde, steigt sie wieder das Fallreep des Schiffes in die Höhe. Aus den Küchenschächten riecht es nach heißer Margarine, und im Salon näselt eine stimmende Oboe. Fräulein Siebenschwanz fragt den diensthabenden Quartermeister, wie tief an dieser Stelle das Meer sei, Herr Leboucheur hält das Engagement des Credit Lyonnais in ägyptischer 176 Baumwolle für nicht so groß wie Mister Buttony, der Zelluloidgötzenbilder en gros für die polynesischen Inseln vertreibt. Und in der Bar, wo die Zuhälter schwatzen, versichert ein dorthin verirrter und leise betrunkener, mecklenburgischer Gutsbesitzer, daß aller Respekt im Volk flöten ginge, und daß neulich eine seiner Kartoffelgräberinnen ihn zu dutzen gewagt habe, als er . . . nun ja, als sie . . . hahahaha . . .

Die Bürgerlichkeit ihrer Rasse schlägt ihr wie ein dicker, schweißiger Dunstschwaden entgegen, den man mit dem Messer schneiden kann. Sie springt, nach dem Freund suchend, die Treppe zum Bootsdeck in die Höhe. Sie findet ihn nicht, läuft noch die nächste Treppe hinan, wo hinter der Wohnung des Kapitäns das einsame Sonnendeck ist, das heute, wo kein Offizier auf der Brücke steht, daliegt, menschenleer. Sie späht: auch hier ist er nicht. Es ist überhaupt niemand da. Doch: da steht ein baumlanger Matrose zwischen dem Kapitänsgig und dem Segelkutter, die verzurrt unter ihren grauen Persennings liegen. Der Mensch steht unmotiviert und verlegen da, sie muß plötzlich, als sie sich ihm nähert, an die Skandalgeschichte von Lilian Oilfeller denken, die zwischen Cherbourg und New York von ihrem Gatten überrascht wurde bei einem Rendezvous, das sie dem Zahlmeister des Schiffes oben zwischen den Booten gegeben hatte.

Sie nähert sich, in dem sie flüchtig an diese in New York viel belachte Geschichte denkt, dem Matrosen. Da steckt der Mann zwei Finger in den Mund und pfeift und nähert sich ihr in scheinbarer Harmlosigkeit und sagt, daß das Wetter schön sei . . . tja, und morgen, da werde es sich ja wohl nun auch noch halten. Im selben Augenblick hört sie hastiges Rascheln und eine halblaut fluchende Männerstimme, die sie kennt . . . und dann rast aus dem dunklen, heimlichen Winkel 177 zwischen den beiden verhüllten Booten Piquanita da Lebu vorüber, schießt pfeilschnell an ihr vorbei, und es ist nicht zu leugnen, daß ihre Frisur nicht in Ordnung ist. Sie fühlt, daß das Blut ihr aus dem Schädel weicht, sie bewahrt dennoch ihre Haltung und steht noch eine Weile an der Reling und geht dann langsam in ihre Kabine.

In ihrem Zimmer bricht sie dann doch zusammen, rafft sich gleichwohl wieder auf. Es ist lächerlich, eifersüchtig zu sein, es ist lächerlich, in dieser gestohlenen Stunde mehr zu sehen, als die Berührung zweier Menschen, die gestern noch nicht voneinander wußten, und morgen nichts voneinander wissen werden. Es ist lächerlich, und doch . . . Sie dreht sich im Kreis, sie findet sich nicht heraus aus dem Labyrinth. Sie nimmt den kaukasischen Silberdolch und schneidet, um die Qual zu betäuben, sich in die weiße Haut des Unterarmes. Es fließt ein wenig Blut, es schmerzt nur flüchtig, es hilft alles nicht, man muß die Seele schreien lassen in ihrer Qual . . .

Er kommt nach einer Stunde pfeifend, als sei nichts geschehen. Er wird, als sie einen Gruß kühl erwidert, aschgrau vor Wut, stellt sie wegen ihrer Indiskretion zur Rede, läßt sie nicht zu Wort kommen, wirft in seinem Rasen das Kristallgerät ihres Toilettetisches auf den Boden, daß die Splitter pfeifend umherfahren, faßt sie an der Kehle, schüttelt sie, wirft sie, als er den Widerstand ihres starken Körpers merkt, zu Boden, schlägt auf sie ein . . . zweimal, dreimal, stöhnt auf, als hätte ein wollüstiger Orgasmus ihn geschüttelt, und drückt den zierlichen Körper zu Boden. Sie zittert vor Angst, starrt ihm entsetzt in das verzerrte Gesicht und liegt so eine Weile wehrlos.

Er läßt sie liegen, er läuft wie ein Tier in seinem Käfig auf und ab, bleibt plötzlich vor der hilflosen 178 Frau stehen, beugt sich, als hätte die Macht des Widerspruches ihn von der einen Frau zur anderen getrieben, zu ihr nieder; und nun ist wieder in seinem Gesicht das zu sehen, wogegen sie machtlos ist, wofür sie nichts anderes hat als heißes Erbarmen: die Trauer des Tieres oder des antiken Meergottes, der stumm über die eigene Seelenlosigkeit klagt.

Da hat sie es plötzlich vergessen, was sie vor einer kurzen Stunde erlebt hat, und sie liebkost diese schreckliche, brutale Hand. Und wieder, wie in ihren ersten Stunden, hebt es zu singen in ihr an: Ist er nicht gewaltiger als alles, was sie kennt? Ist er nicht aus einem Stück gefügt, wie er ist . . . ein prachtvolles Tier, oder ein fischblütiger Triton, ungeheuerlich . . . ah, nicht zu umspannen mit eines Weibes Liebe?

Kamst du nicht über das Meer und bautest Dome, die keines Menschen Sinn begreift? Bist du nicht das große Weltengeheimnis . . . die Sonne, die Dunst küßt aus dem kühlen Meer, der Steppe süßen Dunst, wenn fern vom Feuer . . . fern vom Feuer unsere Stuten weiden?

Es ist tödlich, dich zu lieben, und du bist der Tod, wie du das Leben bist.

Wie aber fängt man es an, dir nicht zu dienen, dich nicht zu lieben, du . . .?

Und in Jubel und Grauen schreit sie plötzlich auf. Und verunstaltet, zerzaust von seinen Mißhandlungen, umfängt sie den fremden Mann, der eines anderen Weibes Duft noch an sich trägt.

*


 << zurück weiter >>