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VI. Börne und Heine als politische Charaktere

»Börne ist ein Charakter, Heine ein Chamäleon«, so urteilte bereits im Jahre 1836 ein Zeitgenosse Gotthart Oswald Marbach, Über moderne Literatur, Leipzig, 1836, S. 233. über die beiden großen Publizisten des Vormärz. Wir haben gesehen, daß die Generation von 1840 jedenfalls nicht günstiger über Heine urteilte, daß sogar die besten Vertreter dieser Gesinnung heischenden Jugend sich gänzlich von dem Dichter lossagten, nicht nur, weil er manchmal nicht abgeneigt schien mit Preußen und Oesterreich zu paktieren, sondern auch, weil er sich nicht gescheut hatte das Andenken Börnes, jenes »Johannes Baptista der neuen Zeit« Gustav Mayer, Friedrich Engels in seiner Frühzeit, I 45. zu schänden.

So drängen sich auch uns jetzt verschiedene Fragen auf: Wie urteilen wir über Börne und Heine als politische Charaktere? Hatte der Zeitgenosse recht, der Börne als den charaktervollen Kämpfer feierte, während er Heine brandmarkte als das »Chamäleon« des damaligen politischen Lebens? Hatte man es tatsächlich mit zwei Kontrastfiguren zu tun, war also die Wertschätzung der Generation von 1830, die in Börne und Heine Dioskuren, Kampf- und Waffenbrüder sah, grundfalsch?

Und, sollte es sich heraus stellen, daß weder die Generation von 1830, welche die beiden als eine Einheit betrachtete, noch die Generation von 1840, die in ihnen nur Kontrastfiguren erblickt, recht gehabt hat, wie läßt es sich dann erklären, daß innerhalb einer so kurzen Spanne Zeit über zwei öffentliche Charaktere Urteile gefällt werden, die einander so schroff widersprechen?

Das sind alles Fragen, die erst dann zu beantworten sind, wenn es uns gelingt, auf Grund unserer Ausführungen über die politisch-literarische Tätigkeit Börnes und Heines das Bild der politischen Entwicklung eines jeden von ihnen zu zeichnen, eine Parallele zu ziehen, und Verwandtes und Gegensätzliches aufzuzeigen.

* * *

Börne ist ein Charakter, so urteilte Freund und Feind, so urteilte Mit- und Nachwelt. Sein Leben stand in vollstem Sinne des Wortes im Dienste der großen Sache der Freiheit, wie er diese nun einmal verstand. Als Motto seiner letzten Schrift, wählte er die Worte Bernardins de Saint-Pierre: Qui ne se subordonne pas à la patrie, sa patrie au genre humain, et le genre humain à Dieu, n'a pas plus connu les lois de la politique, que celui qui, se faisant une physique pour lui seul, et séparant ses relations personn elles d'avec les éléments, la terre et le soleil, n'aurait connu les lois de la nature«.

Es sind Worte, die Börne als Lebensdevise führen durfte: er hat danach gelebt. Auch Kritiker, die ihm sonst ablehnend gegenüberstanden, sehen in ihm den charakterfesten Kämpfer ohne Rast und Ruh. »Börnes Feder ist in das Blut seines Herzens getaucht, Börne ist von Grund der Seele ein edler, redlicher Mensch; er ist kein Komödiant, der sich den Dolch in die Brust stößt, weil er weiß, daß die Klinge desselben in den Griff zurückfährt«, so urteilt Marbach Marbach, Über moderne Literatur, S. 137 u. 140., der sonst gern über den »Börneschen Wahnsinn« spricht, und selbst Heine stellte ihm nach vielen Jahren das Zeugnis aus, er sei ein Ehrenmann gewesen, ehrlich und überzeugt Alfred Meißner, Heinrich Heine, Erinnerungen, Amsterdam, 1856, S. 59.. Konnte Heine dereinst von sich selber sagen: »Ich falle unbesiegt, und meine Waffen sind nicht gebrochen«, so hätte auch Börne, rückschauend auf sein Leben, mit Stolz auf die Waffen zeigen dürfen, die er dank seines ungebrochenen, geradsinnigen Charakters so würdig und wirkungsvoll zu führen wußte. Zusammenfassend dürfen wir sagen, daß der Glaube an die herzliche Aufrichtigkeit Börnes, an seine opferfreudige Hingabe, an sein Ideal, von niemand angezweifelt wurde. »An Kraft des Charakters überragte er bei weitem die meisten Menschen seiner Zeit«, schrieb Eduard Kolloff, der ihn aus nächster Nähe beobachtet hatte, im Jahre 1839 Ed. Kolloff, Börne in Paris, (Gutzkows Jahrbuch der Literatur, Hamburg, 1839, S. 159)., und was Kolloff hier niederschrieb, haben die Zeitgenossen wohl allgemein intuitiv gefühlt.

Diese Charakterfestigkeit ist eine der wichtigsten Ursachen, wodurch Börnes Wort in seiner Zeit einen so mächtigen Eindruck machte. Ebenso wie die Gestalt Schillers deshalb immer wieder so sympathisch imponiert, weil bei ihm die Einheit zwischen Kunst und Leben, Wort und Tat, vollendet durchgeführt ist, so wirkte auch auf die Zeitgenossen Börnes restlose Hingabe an die Ideale, die er predigte, so bezaubernd, daß man darüber vielfach den absolut negativen Charakter seiner Predigt übersah.

»So bin ich und das denk' ich und das will ich«, das ist, wir sind darin ganz mit Marggraff H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche, Leipzig, 1839, S. 217. einverstanden, das Motto, das für jeden der von Börne geschriebenen Aufsätze gilt, aber dieses Wollen läuft immer nur auf etwas Negatives hinaus: die Zerstörung des Metternichschen Systems. Bei diesem Denken vermissen wir nur zu sehr eine geschlossene Weltanschauung, eine bewußte theoretische Begründung seiner politischen Praxis.

Börnes ganze politisch-literarische Tätigkeit ist das Lebenswerk eines Moralisten, den mächtiges Gerechtigkeitsgefühl in die politische Arena getrieben hat. »Humanität, echte Philanthropie, Friede, Liebe und Glückseligkeit, dafür schwärmte Börne«, sagt Gutzkow Gutzkow, Börnes Leben, S. 356.. Unter dem Gesichtspunkt der Moral beurteilt er die Ereignisse in Welt und Leben, die Erscheinungen auf dem Gebiete von Kunst und Literatur. So läßt es sich auch erklären, daß er nicht versucht das, was er haßt, was ihn ärgert und entrüstet, zu verstehen, zu deuten und wenn möglich historisch zu erfassen. Er ist bitter und verdrossen, er poltert, er haßt aus Liebe, denn die Menschen sind unvernünftig, er will sie »aufklären und glücklich machen« Ebenda, S. 377..

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Die Neugestaltung der Gesellschaft wird in dem Augenblicke da sein, in dem die Masse genügend darüber aufgeklärt ist, daß sie das Joch der Fürsten, die, ganz in Rousseauischem Sinne, bei Börne immer »verdorben« sind im Gegensatz zu der »Masse«, nur abzuschütteln braucht.

»Die Masse ist noch so roh, so unreif für die Zivilisation«, dieser Ausspruch konnte ihm freilich nichts gelten; denn seine Antwort war immer die: »so cultiviert sie; zur Roheit ist die Menschheit nicht geschaffen« Beurmann, S. 144.. Es kam ihm also darauf an »die Menschen aufzuklären und glücklich zu machen« Gutzkow, Börnes Leben, S. 377.. Was die Vernunft begreife und als ausführbar erachte, so urteilte Börne, dazu müsse am Ende die Tat auch gelangen können Beurmann, S. 25., und wenn die Weltereignisse anders verliefen als dies nach seinen gedanklichen Konstruktionen geschehen sollte, wenn die Menschen sich nicht »durch Ueberredung leiten ließen«, so schimpfte er gegen die Fürsten, und polterte über die Schneckenhaftigkeit der Deutschen und war schließlich tief unglücklich darüber, daß es anders kam, als er erwartete Vgl. auch: Konr. Alberti, Börne, Leipzig, 1886, S. 140. ff.. Wir sehen uns hier weit entfernt von den Anfängen einer historischen Denkweise, wir verstehen, daß wir es mit einem Schriftsteller zu tun haben, der nur ideell zu denken pflegt.

Die Ursache aller Uebel in dieser menschlichen Gesellschaft ist nach diesem Idealpolitiker bloß eine Folge davon, daß die Freiheit noch nicht erobert worden ist. In unserer Besprechung von Börnes »Menzel, der Franzosenfresser« haben wir bereits darauf hingewiesen Vgl. S. 102., daß Börne selber das Wesen der Freiheit als etwas Negatives, als Abwesenheit der Unfreiheit, definiert. Die Freiheit ist ihm »die Gesundheit der Völker. Wenn der Arzt einen Kranken zu heilen sucht, kommt ihr dann, um ihn zu fragen: warum heilt ihr diesen Mann, ehe ihr reiflich überlegt, was ihr nach der Heilung aus ihm machen wollt? Er ist ein schwacher Greis, wollt ihr einen kräftigen Jüngling aus ihm machen? Er ist ein Bettler, wollt ihr ihn zum reichen Manne machen? Er ist ein Dummkopf, könnt ihr ihm Geist verschaffen? Er wohnt in der öden Lüneburger Heide, wollt ihr ihn nach Neapel bringen? Der Arzt antwortet euch: ich will ihn heilen; wie er dann seine Gesundheit benutzen könne, benutzen wolle, das ist seine Sache, das wird seine Bestimmung entscheiden. So auch spricht die Freiheit: ich gebe Völkern ihre Gesundheit wieder; doch wie sie die Freiheit benutzen wollen, benutzen können, das muß ich ihrem Willen und ihrem Schicksale überlassen. Wie ein gesunder Bettler, der an seiner steinernen Brotrinde kauet, glücklicher ist als der kranke reiche Mann, der an einem üppigen Tische schwelgt, so ist ein freies Volk, und wohnte es am eisigen Norden, ohne Kunst, ohne Wissenschaft, ohne Glauben, ohne alle Freuden des Lebens, und mit dem Bären um seine Nahrung kämpfend, so ist es dennoch glücklicher als ein Volk, das unter einem paradiesischen Himmel mit tausend Blumen und Früchten schwelgt, die ihm der Boden, die Kunst und die Wissenschaft reichen, aber dabei der Freiheit entbehrt. Nur die Freiheit vermag alle Kräfte eines Volkes zu entwickeln, daß es das Ziel erreiche, welches ihm auf der Bahn der Menschheit vorgesteckt worden« Börnes Werke, ed. Klaar, IV 90..

Es darf die Frage aufgeworfen werden, was Börne mit seiner vagen Freiheitsschwärmerei meint. Die Definition, die er selber gibt: »Abwesenheit von Unfreiheit«, kann uns doch schwerlich befriedigen. Was mag die tiefere Grundlage für diesen Kultus der Freiheitsidee sein?

In einem Zeitalter, in dem sich immer stärker die Anfänge einer kapitalistischen Entwicklung zeigen, in dem also neue produktive Kräfte ein freies Betätigungsfeld erheischen, was in der 1834 erfolgten Gründung des Zollvereins am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist Börne mit seinem Schwärmen für die Freiheit der Ideolog jener neuen Zeit, die auf sozialem und politischem Gebiete alle Hemmnisse zu überwinden hatte, die der Entwicklung des Industriestaats im Wege standen Vgl. dazu auch Seite 21 und 41..

Im Anfang unserer Abhandlung haben wir darauf hingewiesen Seite 9.), daß in den ersten Dezennien des vergangenen Jahrhunderts das damals revolutionäre Prinzip der freien Konkurrenz nicht nur auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens allmählich zur Anwendung kam, sondern daß auch im Leben des Individuums dieses Freiheitsbedürfnis sich immer stärker geltend machte. Börne fordert die Freiheit des Individuums, die Anerkennung seines Selbstbestimmungsrechtes. Börne ist hier der Fürsprecher des liberalen Bürgertums, das im vormärzlichen Polizeistaat auf politischem und sozialem Gebiete nicht zur freien Entfaltung gelangen kann. »Den Individualitäten die möglichst größte Freiheit der Entwicklung zu verschaffen, ohne daß sie sich wechselseitig hindern, das ist die Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft. Ich bin die Welt, kann jeder Mensch, und mit größerm Rechte sagen, als Ludwig XIV. sein l'Etat c'est moi gesagt. Durch alle Staaten geht jetzt nur eine einzige Landstraße, man muß Feldwege öffnen. Bestaubt, gestoßen, gequetscht steigen wir arme Fußgänger alle ins Grab; es war Platz genug auf beiden Seiten einander auszuweichen, aber wir haben den Weg nicht verlassen dürfen, den uns die Regierungen anempfohlen. Es wird zu viel regiert – hier ist das Uebel«, ruft Börne aus Börnes Werke, ed. Klaar, III 62..

Im Grunde gilt seine Kritik nur dem Staate Metternichs. Gutzkow sagt nachdrücklich, daß Börnes Haß sich vor allem richtete gegen das »ewige Bevormundetwerden, die Kontrolle, die Beamtenarroganz, die Demut, die uns dem verkörperten Gesetz gegenüber zugemutet wird, die polizeiliche Schinderei, der wir ausgesetzt sind« Gutzkow, Börnes Leben, S. 355..

Börne, der weder historisch, noch philosophisch geschult war, »fühlte nicht mit dem Kopfe, aber dachte mit dem Herzen« Holzmann, Börnes Leben und Werke, Berlin, 1888, S. 236.. So kam es, daß er auch nur unklare Ideen hatte über den Staat und dessen Entwicklung. »Ueberhaupt stimmt Börnes ›Theorie von Staat und Bürgertum‹ mit Rousseaus' ›Contrat social‹ zusammen. Sein Gefühl ließ ihn, um das Wesen des Staates zu bestimmen, von nichts Anderm ausgehen, als von den Menschenrechten.« Diese Bemerkung macht Gutzkow Gutzkow, Börnes Leben, S. 353.. Wir möchten hinzufügen, daß sich hier aufs neue zeigt, worauf wir bereits bei unserer Besprechung der rationalistischen Denkweise Börnes hingewiesen haben Seite 145., wie Börne geistig noch tief im 18. Jahrhundert stecken geblieben ist.

»Er war in tiefster Seele überzeugt«, sagt sein Freund Kolloff, Ed. Kolloff, (Jahrbuch der Literatur 1839, S. 156). »daß er ›für die Rechte, die mit uns geboren sind‹, für die heiligsten, unveräußerlichen Rechte der Menschheit streite und falle.«

Börnes Auffassung von der Freiheit als »einem angeborenen Recht« Börnes Werke, ed. Klaar, IV 221. deckt sich vollkommen mit den Anschauungen des vormärzlichen Liberalismus, der, ganz ein Kind der Aufklärung, das Naturrecht als die Grundlage seiner Staatslehre betrachtet. Der Staat entsteht durch Vertrag, in dem in Rousseauischem Sinne der Wille der Gemeinschaft zum Ausdruck kommt. Die Voraussetzung für die Verteilung der Rechte ist die auch von Börne anerkannte ursprüngliche Gleichheit aller Menschen. Die Idealform des Staates ist die Republik Joachimsen, Vom deutschen Volk zum deutschen Staat, S. 75..

Wenn Börne also mit großem Pathos über die Menschenrechte, über die Idee der Gleichheit sprach, die »ihm noch höher stand, als die Freiheit« Gutzkow, Börnes Leben S. 354., wenn er alle Institutionen, auch den Polizeistaat Metternichs, unter diesem naturrechtlichen Gesichtspunkt einer schonungslosen Kritik unterwarf Möckel, Der Gedanke der Menschheitsentwicklung im Jungen Deutschland, S. 22., dann machte er sich damit zum Sprachrohr des Liberalismus seiner Zeit; es ist der Grund, weshalb er in den Augen der Zeitgenossen als der Tribun par excellence, als der berufenste Interpret des liberalen Gedankens erschien, es ist auch der Grund, weshalb Heine verdammt wurde, weil man glaubte von ihm die Verkündigung desselben Evangeliums erwarten zu dürfen, während er ganz andere Töne hören ließ ...

Laube hat bereits darauf hingewiesen, wie sehr die Vorkämpfer des Liberalismus, Börne an der Spitze, nur »einem einzigen Gedanken lebend und mit der Zeit förmlich damit ›börnend‹« Laube, Geschichte der deutschen Literatur, Stuttgart, o. J. (1840?), IV 231., in grobe Einseitigkeiten verfielen. Laube erlaubt sich in bezug darauf noch ein anderes Wortspiel, in dem er bemerkt: »Die Uebertreibungen Börnes waren und sind nur der bornierten Partei unbekannt« Ebenda, S. 80.. Gewiß fehlt es ihm als politischem Schriftsteller mit einem Male an gründlichen Kenntnissen, ein ernstes Studium der politischen Verhältnisse geht ihm ab Geiger, Die deutsche Literatur und die Juden, S. 175 ff.. Er hat keine tiefere Einsicht in die Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens und der damit zusammenhängenden sozialen Struktur der Gesellschaft. In der Beurteilung der Tagesereignisse verfällt er manchmal in politische Kannegießerei, so daß er, wie wir geschildert haben Siehe S. 77 ff., immer wieder neue Enttäuschungen erleben muß.

Als er nach dem Abschluß der Julirevolution tief enttäuscht wurde, weil er bemerkte, daß mit dem Bürgerkönigtum die Freiheit keineswegs realisiert war, daß nur eine in der alten Kammer vertretene gesellschaftliche Klasse die Staatsgewalt selber in ihre Hände genommen hatte und daß das Königtum nur die festeste Stütze für die Herrschaft jener Klasse wurde, verurteilte er auch die konstitutionelle Monarchie und bezeichnete sich nachdrücklich als Liberalen und Republikaner –.

Börne und mit ihm viele Franzosen, Bewunderer der Julirevolution, die aus abstrakten Gründen die Ideen der Freiheit und Gleichheit vertraten, hatten sich, nachdem das Bürgerkönigtum sie enttäuscht hatte, die Frage gestellt, ob ein Königtum überhaupt mit jenen Ideen vereinbar sei; »da sie verneint ward, ergab sich als die durch die abstrakten Prinzipien der Freiheit und Gleichheit einzig und allein geforderte Staatsverfassung die Republik« Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, II 358 ff.. Für die Idee des Staates schwärmt er, wie wir gesehen haben Siehe S. 147., keineswegs. Er ist ihm, dem Individualisten, ein notwendiges Uebel, eine Schranke, die fallen wird, wenn dereinst eine schönere, glücklichere Menschheit diese Erde bewohnen wird. »J'aime mieux ma famille que moi, ma patrie que ma famille, et l'univers que ma patrie«, diese Worte Fénelons, die Börne seiner letzten Schrift vorangestellt hat, zeigen deutlich, wie wenig der Staatsgedanke ihm bedeutete.

Wie urteilt Börne nun über die Zukunft?

Der Tag wird kommen, an dem »die Freiheit« verwirklicht sein wird. Die ganze Geschichte ist ihm nur ein Ringkampf zwischen den beiden Mächten: »Herrschaft und Freiheit« Börnes Werke, ed. Klaar, IV 222.. Seit der französischen Revolution von 1789 ist die Menschheit sich dieses Kampfes bewußt geworden, und »man kann verhindern, daß Völker lernen, aber verlernen machen kann man sie nichts« Ebenda, IV 164.. Es kommt, nach Börne, nur auf die bessere Einsicht an, und die Freiheit wird da sein. » Dumme Geschichte ist ein Pleonasmus, die Geschichte der Menschheit ist nichts als eine Geschichte der Dummheit«, proklamiert er Ebenda, VI 291. in demselben Briefe, in dem er auch Heine als den Jesuiten des Liberalismus brandmarkt. »Aufklärung«, so hatte einst Kant definiert, »ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines andern zu bedienen, selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung zu bedienen. Sapere aude!« Für Börne herrscht die Unfreiheit, so lange die Dummheit nicht überwunden, so lange die politische Aufklärung nicht energisch genug durchgeführt ist.

In den verschiedenen Biographien Börnes hat man nach unsrer Meinung viel zu wenig darauf geachtet, daß Börnes politisch-literarische Tätigkeit fast ganz beherrscht wird, wenn auch ihm selber unbewußt, durch die rationalistische Geschichtsauffassung des 18. Jahrhunderts. Die Geschichte ist auch ihm etwas, was »gemacht« wird. Es ist die »Dummheit« der Unterdrückten, wodurch es den »Tyrannen« möglich ist die Freiheit zu ersticken, aber die politische Aufklärung hat bereits große Fortschritte gemacht, die Stunde der Befreiung muß also bald schlagen, und wenn er erfährt, wieviele Deutsche wieder nach Amerika ausgewandert sind, tadelt er diesen Schritt, denn »warum sich nicht noch wenige Jahre gedulden – wenige Jahre, welche die Begeisterung des Kampfes und die Freude mannigfaltiger Siege zu einer Stunde verkürzen werden? Denn wahrlich, nicht Jahre, nur Frühlinge werden wir zu zählen haben, bis das Jahr der Freiheit kommt. Amerika überlasse man den Fürsten, ihnen bleibe es eine Freistätte, und dort werden sie einst die Freiheit lieben lernen, wenn sie erfahren, daß sie selbst Tyrannen noch in ihrem verdienten Unglück schützt« Börnes Werke, ed. Klaar, VI 235..

Für Börne ist die Geschichte also nur ein Kampf zwischen den Völkern und den Fürsten. Von dem Gedanken an den Klassenkampf, an den künftigen Aufstieg des Proletariats, der von Heine bereits geweissagt wurde, hat Börne niemals eine Ahnung gehabt.

Es ist verständlich, daß jeder, der wie Börne überzeugt ist, daß die Geschichte sich machen läßt, auch die Revolution als das geeignete Mittel betrachten wird, »die Freiheit« zu verwirklichen.

Als er nach den Julitagen in Paris auch den Ausbruch einer Revolution in Deutschland mit Sicherheit erwartete, Vgl. S. 77. übersah er vollständig, daß sich eine Revolution nicht hervorbringen läßt, und zeigte also in unzweideutigster Weise, daß die Erkenntnis der historischen Bedingtheit alles gesellschaftlichen Werdens ihm gänzlich fehlte.

Wir hatten schon Gelegenheit darauf hinzuweisen Vgl. S. 109. wie viel tiefer Heine blickte, als er bereits in seiner Vorrede zu »Kahldorf über den Adel« deutlich aussprach, daß eine Revolution, die in historischer Folgerichtigkeit ausgebrochen ist, sich nicht nachmachen läßt. Später hat er sich in den »Französischen Zuständen« in dieser Beziehung noch viel prägnanter ausgedrückt: Eine Revolution läßt sich nicht machen. »Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will Heines Werke, ed. Walzel, VI 175.. Im Anschluß an diesen Gedanken kann, nach Heine, eine Revolution nur dann entstehen, »wenn die Geistesbildung und die daraus entstandenen Sitten und Bedürfnisse eines Volkes nicht mehr im Einklange sind mit den alten Staatsinstitutionen.« Der Hauptirrtum der deutschen Republikaner entstehe dadurch, daß sie den Unterschied beider Länder nicht genau in Anschlag brächten. Die Deutschen seien im Gegensatz zu dem französischen Volke noch nicht reif für eine Republik, bei ihnen lebe noch zu sehr der Glaube an Autoritäten, an eine hohe Obrigkeit, an die Polizei, und am meisten an Pergament Ebenda, VI 232 ff..

Börne aber verrannte sich immer mehr in seiner Revolutionsschwärmerei. Dieser Politiker, der, wie Proelß sehr treffend bemerkt hat, »das Temperament eines empfindsamen Lyrikers Joh. Proelß, Das Junge Deutschland, S. 102.« besaß, erblickt in der Verzweiflung über die vielen politischen Enttäuschungen, die er erleben muß, in der Revolution allmählich das einzige Mittel, wenn man je den Menschheitstraum realisieren soll; sie ist ihm eine heilige Sache geworden: »dem Trägen und Feigen aber leiht Gott nicht seine Kraft, sondern er verläßt ihn. Hilf dir selbst, dann wird dir der Himmel helfen!« Börnes Werke, ed. Klaar, VI 269.

Und wenn die politische Freiheit einmal erobert ist, so sind von allen Völkern gerade Frankreich und Deutschland dazu auserlesen die Führung der Menschheit zu übernehmen. Wir haben ausführlich geschildert, wie Börne in seiner Zeitschrift »La Balance« eine geistige Allianz zwischen Frankreich und Deutschland als eine Art Vorstufe für die Emanzipation der ganzen Menschheit befürwortet hat Siehe S. 91 ff.; vgl. auch Ras, Börne als Vermittler etc. (Neophilologus, III 274 ff.)..

Der Literatur war die Vermittlerrolle zwischen den beiden Kulturvölkern zugedacht, auf ästhetischem Gebiete sollte die gegenseitige Beeinflussung anfangen, und auf diesem Wege fortschreitend sollte sich dereinst eine deutsch-französische Kultureinheit bilden, zumal Frankreich und Deutschland schon so fest zusammenhängen, »daß sie sich schwerlich werden trennen lassen«. Börne erblickt in dieser geographischen Lage sogar »deutlich den Fingerzeig des Schicksals, daß beide Länder nur einen Staat bilden sollen«. Mit völliger Verkennung der historischen Entwicklung begeistert er sich an den Konstruktionen seines naiven Optimismus, indem er ausruft: »Und welch ein glücklicher Staat müßte das nicht werden, wenn sich die deutsche Natur mit der französischen vermählte und beide sich neutralisierten!« Börnes Werke, ed. Klaar, I 304..

Auch hier zeigt es sich wieder, daß Börne nur ideal zu denken pflegte, und die Art und Weise, in der er seine politischen Ideale und Forderungen ohne Rücksicht auf Geschichte und Wirklichkeit nur aus der Autonomie des Geistes herleitet, beweist zur Genüge, daß er über die weltbürgerlichen Ideologien des 18. Jahrhunderts nicht hinausgekommen ist. Der Freimaurer Börne predigt diesen vagen Kosmopolitismus in einem Zeitalter, in dem das Nationalbewußtsein erstarkt, in dem die Klassengegensätze sich verschärfen, in dem die realen Machtfaktoren auf jedem Lebensgebiete immer stärker beachtet werden.

Börne war gewiß nicht der einzige, der in der Begründung seiner Humanitätsideale wieder an die Aufklärung anknüpfte Lamprecht, Deutsche Geschichte, X 3. S. 478., aber dieser neue Marquis de Posa, dessen weltbeglückende Träume an der harten Wirklichkeit zerprallten, besaß eine sentimental und stark pathetisch veranlagte Natur, und als er, ein Desperado der Freiheit, schließlich »müde wie ein Jagdhund« nach einer Stütze für seinen Freiheitsglauben suchte, fand er diese in dem sozialen Christentum, oder wie Beurmann es ausdrückt, in »dem vernunftgeläuterten Katholizismus, wie er in Lamennais die Freiheit mit der Menschheit vermittelt« Beurmann, S. 81..

Die Behauptung Beurmanns, daß Börne sich deshalb mit wahrer Inbrunst Lamennais zuwandte, weil dieser die Freiheit auf einen sicheren, festen Grund basiert hätte Ebenda, S. 83., können wir nicht als begründet anerkennen, denn die Einzelheiten der zukünftigen Gesellschaft vermag Lamennais ebenso wenig wie Börne anzugeben. Das Volk hat ein Anrecht auf Hilfe des Staates und der Reichen, ebenso wie auf Freiheit, aber auch er kommt über solche schwachen Allgemeinheiten nicht hinaus Georg Adler, Das Volksbuch von Félicité de Lamennais, Leipzig, 1905, S. 19 ff..

Aber ganz abgesehen von dieser Vorliebe, die Börne in seinen letzten Lebensjahren für den Katholizismus Lamennaisscher Observanz empfand Vgl. S. 89 ff., darf man sagen, daß er es wirklich ausgesprochen hat, was seiner Zeit gemäß war. Wir werden noch sehen, daß sich dasselbe von Heine nicht ohne weiteres sagen läßt. Könnte es sein, daß das verschiedene Urteil, das die Generation von 1840 über die beiden Publizisten gefällt hat, mit ihrer verschiedenen Einstellung in Weltanschauungsfragen zusammenhängt?

In einer Zeit, da der deutsche Liberalismus, hinter dem nicht die Masse des Volkes, sondern hauptsächlich das gebildete und besitzende Bürgertum stand Stimmung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 47; Lamprecht, Deutsche Geschichte, X 3, S. 439 ff., seine ersten Schlachten lieferte, war Börne ein politischer Charakter, der durch seine Freiheitsliebe ohne gleichen, seine restlose Hingabe an die Sache des Fortschritts, auf dieses aufstrebende deutsche Bürgertum so mächtig eingewirkt hat, daß man ihn mit vollstem Rechte als einen Wegbereiter der Revolution von 1848 betrachten darf.

Warum mußte aber dieser Politiker in so heftige Fehde geraten mit jenem andren Rufer im Streite aus dem vormärzlichen Deutschland?

Um diese Frage endgültig zu beantworten, werden wir uns zunächst mit der Entwicklung von Heines politischen Anschauungen nach 1830 zu beschäftigen haben.

* * *

Es war im Mai 1832, als Heine an Varnhagen schrieb: »Was Sie mir in Betreff des St. Simonismus schreiben, ist ganz meine Ansicht. Michael Chevalier ist mein sehr lieber Freund, einer der edelsten Menschen, die ich kenne. Daß sich die St. Simonisten zurückgezogen, ist vielleicht der Doktrin sehr nützlich; sie kommt in klügere Hände. Besonders der politische Teil, die Eigentumslehre, wird besser verarbeitet werden. Was mich betrifft, ich interessiere mich eigentlich nur für die religiösen Ideen, die nur ausgesprochen zu werden brauchten, um früh oder spät ins Leben zu treten. Deutschland wird am kräftigsten für seinen Spiritualismus kämpfen; mais l'avenir est à nous«. Hirth, II 22.

Wir wissen bereits, daß Heine in Paris in persönliche Beziehungen zu den bedeutendsten Mitgliedern der sozial-religiösen Sekte der Saint-Simonisten getreten war.

Die »Kirche«, die seit dem im Jahre 1825 erfolgten Tode ihres Gründers zahlreiche Anhänger, speziell in den Kreisen der Intelligenz gefunden hatte, erlebte gerade eine Glanzperiode, als Heine nach Paris kam. Allein schon im November 1831 begann der Verfall derselben, als sich eine Spaltung in zwei Gruppen vollzog: Bazard wollte die Lehre Saint-Simons auf dem Wege der politischen Propaganda betreiben, Enfantin, der Freund Heines, wollte speziell die sozial-religiöse Seite des Saint-Simonismus in den Vordergrund stellen.

Heine wohnte den von Enfantin präsidierten Versammlungen in der Rue Taitbout bei. So war er auch in der letzten Versammlung anwesend, als am 22. Januar 1832 der Saal auf Befehl des Königs geschlossen wurde Betz, Heine in Frankreich, S. 36.. Der Saint-Simonismus in Frankreich nahm ein klägliches Ende Vgl. weiter: Lorenz von Stein: Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, II 2..

Was für uns aber das Wichtigste ist, ist die Tatsache, daß Heine von der Weltanschauung Saint-Simons so mächtig beeinflußt wurde, daß man zum Verständnis des Politikers Heine zunächst die Frage zu beantworten hat: Welche Ideen des Saint-Simonismus waren es, für die Heine sich »eigentlich nur interessierte«. Welche Ideen haben so mächtig auf Heine eingewirkt, daß seine politisch-literarische Tätigkeit nach 1830 ein wesentlich anderes Gepräge zeigt als die Publizistik Börnes in demselben Zeitraum?

Der Saint-Simonismus verlangte zunächst, daß das negative Werk der Revolution von 1789 eine positive Ergänzung erfahren sollte, denn die Zerstörung des feudalen Gesellschaftsgebäudes und die liberale Kritik des Bestehenden sei an sich unzulänglich eine Lebensgemeinschaft zu stande zu bringen, die in friedlicher Arbeit die Güter der Kultur für alle erreichbar machen könne.

Die Freiheit an sich sei kein Glück für die Menschheit, die wahre Freiheit sei nur möglich durch eine der Gesamtheit dienende Entwicklung der materiellen und geistigen Kräfte Vgl. Carl Grünberg, »Sozialismus und Kommunismus« im Wörterbuch der Volkswirtschaft, 3. Aufl., Bd. II; Muckle, Die großen Sozialisten, Leipzig, 1919, II 32 ff..

In einer Zeit, wo der Liberalismus allenthalben für die schrankenlose Durchführung des Prinzips der Freiheit auf wirtschaftlichem und politischem Gebiete eintrat, wo das »Laissez faire, laissez aller« zum Losungswort der Zukunft erhoben wurde, wollte Saint-Simon die fessellos wirkenden Kräfte organisieren, und er entwirft deshalb den Plan zur Gründung eines Staates, in dem die beiden größten Mächte des neuen Jahrhunderts, die Industrie und die Wissenschaft, die Führung haben sollten. Saint-Simon war also jedenfalls kein rationaler Utopist wie Fourier und Owen Vgl. Muckle, »Neues Christentum« von Saint-Simon, Leipzig, 1911, S. 20.; er ging vom Bestehenden aus und hat die Industrie und die Wissenschaft in ihrer künftigen geschichtlichen Bedeutung sehr wohl erfaßt.

Die Herrschaft in Staat und Gesellschaft sollte nicht dem Adel und dem hohen Beamtentum anvertraut werden, sie sollte vielmehr den »Industriellen« übertragen werden, wozu, nach seiner Auffassung, alle gehören, die sich mit einer auf Erwerb gerichteten und der Gesamtheit nützlichen Tätigkeit beschäftigen. Bourgeoisie und Proletariat werden also als eine der feudalen Reaktion feindlich gegenüberstehende Masse aufgefaßt Muckle-IJzerman, Socialistische Denkers, Amsterdam, 1924, S. 119 ff.. Durch eine genossenschaftliche Bindung glaubte Saint-Simon in seinem Industriestaat auch die Interessengegensätze zwischen Unternehmern und Arbeitern, die sich als Begleiterscheinung des modernen Kapitalismus bemerkbar machten, beseitigen zu können. Die Unternehmer sollten freiwillig, aus Nächstenliebe, auf ihre Vorrechte verzichten. Durch die Wissenschaftler und Industriellen sollte eine friedliche Lösung der sozialen Konflikte herbeigeführt werden, durch welche die ganze bürgerliche Gesellschaft bedroht wurde. In der Konstruktion seines Industriestaates kommt unverkennbar sehr stark das Kulturinteresse des Bürgertums zum Ausdruck Max Adler, Wegweiser, Studien zur Geistesgeschichte des Sozialismus, Stuttgart, 1919, S. 115 ff..

Für diesen Teil des Saint-Simonismus interessierte sich Heine eigentlich verhältnismäßig wenig. Sieht man aber von der technischen Seite des Problems ab, so kommen dennoch in den obigen Gedanken Saint-Simons soziale Anschauungen zum Ausdruck, mit denen Heine sich von ganzem Herzen einverstanden erklärte, da sie ja seiner eignen geistigen Haltung vollkommen entsprachen. Wie wir bereits gesehen haben, treten als führende Mächte in der Gesellschaft bei St. Simon nicht länger Adel und Geistlichkeit auf, sondern die Industriellen und die Männer der Wissenschaft. Nicht die Privilegien der Geburt, sondern nur das Talent sollte also ausschlaggebend sein. Dies war ein Gedanke des Saint-Simonismus, der Heine mächtig anziehen mußte, den wir auch in seinen politisch-literarischen Schriften wiederholt ausgesprochen finden Siehe S. 119 ff.. Daß alle Vorrechte der Geburt beseitigt werden sollten, daß die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende nehmen sollte, das waren alles Gedanken, die seiner demokratischen Gesinnung vollkommen entsprachen. Aber der Saint-Simonismus formulierte auch noch den positiven Gedanken, der den geborenen Romantiker, in dem die Bewunderung für die Heroen, die Führer der Menschheit, so stark lebte, ganz besonders ansprechen mußte: die Anerkennung der bevorzugten Stellung, die dem Talent und vor allem dem Genie eingeräumt werden soll; im Zukunftsstaat sollte eine soziale Elite mit der Herrschaft betraut werden.

In unserer Besprechung von Heines Hinneigung zur Monarchie haben wir bereits ausführlich auseinandergesetzt, daß nur scheinbar ein Widerspruch zwischen Heines demokratischer Gesinnung und seiner aristokratischen Verherrlichung der großen Individualitäten existiert.

Heine mußte sich durch den Saint-Simonismus beglückt fühlen, denn hier fand er gleichsam die Berechtigung seiner eignen aristokratischen Künstlerinstinkte begründet, hier war der Beweis erbracht, daß der Kultus des Genies sich sehr wohl mit einer demokratischen Ueberzeugung vereinigen läßt Lichtenberger, Heine als Denker, S. 132 ff..

Auch Saint-Simons Kritik des Liberalismus war nur eine nachträgliche Begründung von Heines Ansichten. In dem Postulat von der Notwendigkeit einer sozialen Hierarchie lag zugleich die Anerkennung der natürlichen Ungleichheit der Menschen, und damit wurde auch über die Gleichheitsphrasen eines Börne und Konsorten das Urteil gesprochen. Heine fühlte sich mit den Saint-Simonisten abgestoßen durch die Freiheitsforderung auf Grund der »angeborenen Menschenrechte«, eine Forderung, durch welche das Problem der sozialen Freiheit wohl gestellt, aber nicht gelöst wurde.

Bei Saint-Simon finden wir bereits die Erkenntnis des Unterschiedes zwischen politischer und sozialer Verfassung und der relativen Nebensächlichkeit ersterer der letzteren gegenüber Max Adler, Wegweiser, S. 112.. Heine hatte ihnen daher auch die Einsicht zu verdanken, daß die Frage Republik oder Monarchie in der jetzigen Gesellschaft verhältnismäßig von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Aus demselben Grunde konnte er auch nicht im Geiste des süddeutschen Liberalismus die Verfassung als eine Art Fetisch gegen soziale Uebelstände betrachten Vgl. S. 23.. Obschon er den Treubruch des preußischen Königs in der Verfassungsfrage geißelt, ist ihm doch die Erkenntnis aufgegangen, daß mit der Erledigung der Verfassungsfrage das soziale Problem keineswegs gelöst ist. Heine hat schon etwas von dem geahnt, was Lassalle meinte, als er sagte: »Verfassungsfragen sind ursprünglich nicht Rechtsfragen, sondern Machtfragen; die wirkliche Verfassung eines Landes existiert nur in den reellen thatsächlichen Machtverhältnissen, die in einem Lande bestehen; geschriebene Verfassungen sind nur dann von Wert und Dauer, wenn sie der genaue Ausdruck der wirklich in der Gesellschaft bestehenden Machtverhältnisse sind.« Ferd. Lassalles Reden u. Schriften, herausgeg. von Ed. Bernstein, Berlin, 1892, I 497..

All diese sozialen Anschauungen des Saint-Simonismus haben ohne Zweifel Heines Denken befruchtet oder ihn in seiner Ueberzeugung bestärkt. Mehr noch als für diese aber hat Heine sich für »die religiösen Ideen« des Saint-Simonismus interessiert, »die nur ausgesprochen zu werden brauchten, um früh oder spät ins Leben zu treten« Siehe S. 155.. Diese religiös-ethische Seite des Saint-Simonismus ist es, die im wesentlichen Heines Auffassung über die Entwicklung der Kultur bestimmt hat, eine Auffassung, durch die natürlich auch seine politische Stellungnahme bedingt wurde.

Schon wenn wir den Politiker Heine vom Standpunkt der sozialen Seite des St. Simonismus beurteilen, erscheint uns sehr viel in seiner Haltung in ganz anderm Lichte, als es in der Kritik Börnes erschien. Noch viele andere scheinbare Widersprüche werden sich lösen, der Konflikt Heine-Börne uns noch verständlicher werden, wenn wir auch die Einwirkung der religiösen Seite des St. Simonismus auf Heines Weltanschauung in Betracht ziehen.

»Le Nouveau Christianisme«, die letzte Schrift Saint-Simons, die er als Erbe (1825) seinen Schülern übergeben hatte, beginnt mit dem Satze, daß das einzige, wahrhaft göttliche Prinzip der christlichen Religion der Grundsatz sei: »Die Menschen sollen sich gegenseitig als Brüder behandeln« Muckle, »Neues Christentum« von Saint Simon, S. 41 ff.. Die positiven Religionen haben den Inhalt des göttlichen Christentums zu einem menschlichen gemacht. Saint-Simon nennt sich nun einen Neuerer, weil er »unmittelbarer, als es bisher geschehen ist, aus dem Hauptgrundsatz der göttlichen Moral Folgerungen« ableite. So will er das »neue Christentum« in der Menschheit vorbereiten. Saint-Simon kritisiert dann zunächst den Katholizismus und den Protestantismus. Der positive Teil läuft darauf hinaus, daß er das Moralprinzip der Nächstenliebe dahin interpretiert, daß die ganze Gesellschaftsordnung »auf die Verbesserung des sittlichen und leiblichen Loses der ärmern Klasse hinarbeiten soll«. Damit ist die Religion eine soziale Religion, eine Diesseitsreligion, geworden: sie will, über das mittelalterliche Dogma und den Protestantismus hinwegschreitend, den Gläubigen nicht auf ein metaphysisches Lebensziel verweisen, sondern bereits im Diesseits die Brüderlichkeit verwirklichen.

Nach dem Tode des Meisters haben seine Schüler Bazard und Enfantin die Gedanken des »Nouveau Christianisme« weiter entwickelt Vgl. Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, II 208 ff.. Die positiven Religionen sind nicht nur durch ihre soziale Unfähigkeit zerrüttet, sondern auch dadurch, daß sie ein wichtiges Moment im Dasein des menschlichen Geschlechtes nicht zur berechtigten Auswirkung kommen lassen, nämlich den Trieb des Genusses. Hier also wieder eine Betonung der Vollwertigkeit des diesseitigen Lebens, hier deshalb auch eine Rehabilitation des Fleisches, denn sowohl das Fleisch wie der Geist ist von Gott geschaffen. Der Sieg über diesen christlichen Dualismus muß errungen werden. Die neue, Saint-Simonistische Religion wird auf jedem Gebiete die Harmonie bringen, wird vereinen, was das Christentum getrennt hat. Es werden nicht mehr die Gegensätze zwischen Geist und Materie, arm und reich existieren, denn »Gott ist«, sagt Enfantin, »alles was ist; alles ist durch ihn und in ihm«. Der alte Gott ist durch den pantheistischen Gott ersetzt worden.

Heine war beglückt durch diese Lehren, denn wie viele Seiten seines Wesens wurden nicht dadurch befriedigt! Als Demokraten mußte es ihm ganz besonders gefallen, daß hier so strenge Kritik am Christentum wegen seiner sozialen Impotenz geübt wurde. Als Dichter starker Sinnenfreudigkeit war diese Diesseitsreligion mit ihrer Vergöttlichung alles Irdischen ihm »eine große, gottfreudige Frühlingsidee, die, wo nicht besser, doch wenigstens ebenso respektabel ist, wie jene triste, modrige Aschermittwochsidee, die unser schönes Europa trübselig entblümt« Heines Werke, ed. Walzel, VI 464. und sein Bekenntnis zu der neuen Religion Enfantinscher Prägung spricht er klar aus in den begeisterten Worten:

Auf diesem Felsen bauen wir
Die Kirche von dem dritten,
Dem dritten neuen Testament;
Das Leid ist ausgelitten.

Vernichtet ist das Zweierlei,
Das uns solang betöret;
Die dumme Leiberquälerei
Hat endlich aufgehöret.

Hörst du den Gott im finstern Meer?
Mit tausend Stimmen spricht er.
Und siehst du über unserm Haupt
Die tausend Gotteslichter?

Der heil'ge Gott, der ist im Licht
Wie in den Finsternissen;
Und Gott ist alles, was da ist;
Er ist in unsern Küssen.

Im Saint-Simonismus fand Heine die Elemente, die seiner Sehnsucht nach sozialer und religiöser Befreiung der Menschheit am meisten entgegenkamen. Er hat versucht seine neu gewonnene Weltanschauung abzurunden und hat sie uns hinterlassen in seiner Schrift »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« (deutsch: 1835), die er auf eine Anregung Enfantins hin ursprünglich für das französische Publikum geschrieben hatte.

Das Buch, aus dem wir die für den Politiker Heine charakteristischen Ideen hervorheben wollen, hat, wie er in der Vorrede zur zweiten Auflage nachdrücklich bemerkt, eine »patriotisch-demokratische Tendenz«. Der Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist ihm der Saint-Simonistische Gedanke von dem ewigen Widerspruch zwischen Geist und Materie. Er sieht die ganze Kulturentwicklung als einen Kampf zwischen dem Spiritualismus, der ausschließlich den Geist verherrlicht, und dem Sensualismus, der die Rechte des Körpers verteidigt. Waren, wie wir gesehen haben, für Börne Herrschaft und Freiheit die Triebkräfte der Geschichte, so sind es für Heine die Gegensätze Spiritualismus und Sensualismus Vgl. Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, S. 143 ff.. Ebenso wie St. Simon teilt er die Menschheitsgeschichte in verschiedene Perioden ein. Zwei Phasen hat die Menschheit bis jetzt durchlaufen: die heidnisch-sensualistische und eine christlich-spiritualistische. Die ältere der beiden Kulturstufen ist die pantheistische. Der Mensch lebt dann in engster Beziehung zur Natur, seine Mysterien und Symbole beziehen sich auf einen Naturdienst: die ganze Erscheinungswelt ist vergöttlicht.

Das Christentum aber hat, um sie zu bekämpfen, diese Ansicht verkehrt, es hat also die Natur entgöttlicht. An die Stelle einer durchgötterten Natur trat eine durchteufelte, die früheren Heiligtümer des Volkes wurden in Stätten der häßlichsten Teufelei verwandelt.

Dennoch war die christliche Religion »eine Wohltat für die leidende Menschheit, sie war providentiell, göttlich, heilig. Alles, was sie der Zivilisation genützt, indem sie die Starken zähmte und die Zahmen stärkte, die Völker verband durch gleiches Gefühl und gleiche Sprache, das ist sogar noch unbedeutend im Vergleich zu jener großen Tröstung, die sie durch sich selbst den Menschen hat angedeihen lassen. Ewiger Ruhm gebührt dem Symbol jenes leidenden Gottes, des Heilands mit der Dornenkrone, des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der in die Wunden der Menschheit herabrann.« Heines Werke, ed. Walzel, VII 202.

Ueberall aber steht »dem guten Christus der böse entgegen; die Welt des Geistes wird durch Christus, die Welt der Materie durch Satan repräsentiert, und die ganze Erscheinungswelt, die Natur, ist demnach ursprünglich böse« Ebenda VII 200..

Die, welche Christus nachfolgen wollten, hatten also auf alle Freuden des Leibes und der Materie zu verzichten. Im Mittelalter »spazierte der wahre Christ mit ängstlich verschlossenen Sinnen in der blühenden Natur umher« Ebenda VII 204.. So machte das Christentum das Erdenleben zu einem Leidensweg, des Lebens Ziel lag nur im Jenseits, und diese Idee des Christentums hat sich »wie eine ansteckende Krankheit, unglaublich schnell über das ganze römische Reich verbreitet, das ganze Mittelalter hindurch dauerten die Leiden, manchmal Fieberwut, manchmal Abspannung, und wir Modernen fühlen noch immer Krämpfe und Schwäche in den Gliedern« Heines Werke, ed. Walzel, VII 200..

Der Versuch, die Idee des Christentums zur Ausführung zu bringen, ist demnach fehlgeschlagen, »diese Religion war eben allzuerhaben, allzurein, allzugut, für diese Erde, wo ihre Idee nur in der Theorie proklamiert, aber niemals in der Praxis ausgeführt werden konnte« Ebenda VII 261..

Nachdem der Versuch mißglückt war, hat das Christentum, »unfähig die Materie zu vernichten«, dieselbe »überall fletriert, es hat die edelsten Genüsse herabgewürdigt, und die Sinne mußten heucheln, es entstand Lüge und Sünde Ebenda VII 263.«. Wir aber leiden noch unter dem mißlungenen Versuch, die Idee des Christentums zur Ausführung zu bringen. Die Folge ist »unser jetziges soziales Unwohlsein in ganz Europa« Ebenda VII 261.. Das Christentum ist sogar mit der Zeit zu einer Stütze der Mächtigen geworden, »das gehaßte Schwert und das verachtete Geld« Ebenda VII 262. haben, da das Christentum praktisch ohnmächtig war, die Obergewalt errungen, und das Christentum mußte sich mit diesen Mächten verständigen. Aus diesem Verständnis entstand schließlich eine heilige Allianz zwischen den Kirchen und den Machthabern, »aber durch diese Verbindung geht die Religion des Spiritualismus desto schneller zu Grunde«.

Der Dichter verurteilt den Spiritualismus jedoch nicht absolut, er hat nur eine größere Meinung von der Gottheit »als jene frommen Leute, die da wähnen, er habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen« Ebenda VII 201.. Die Tage des Christentums sind gezählt, eben weil es unerfüllbare Forderungen stellte an die menschliche Natur und den Machthabern zur Stütze wurde.

Heine glaubt an den Fortschritt, er glaubt, daß die Menschheit zur irdischen Glückseligkeit bestimmt ist. Die Menschheit weiß, daß sie trotz all ihrer Anstrengungen das Christentum nicht verwirklichen konnte, sie wird jetzt praktisch, und »huldigt dem irdischen Nützlichkeitssystem, sie denkt ernsthaft an eine bürgerlich wohlhabende Einrichtung, an vernünftigen Haushalt und an Bequemlichkeit für ihr späteres Alter Heines Werke, ed. Walzel, VII 263.«. Die Materie wird rehabilitiert werden, ihre religiöse Heiligung und Versöhnung mit dem Geiste wird das Kennzeichen der pantheistischen Religion der Zukunft sein.

Wenn Heine also das materielle Glück der Völker befördern will, so geschieht dies keineswegs, weil er wie die Materialisten den Geist verachtet, es geschieht vielmehr, weil er weiß, »daß die Göttlichkeit des Menschen sich auch in seiner leiblichen Erscheinung kundgibt« Ebenda VII 265.. Er kämpft »nicht für die Menschenrechte des Volks,« wie ein Börne es tat, »sondern für die Gottesrechte des Menschen« Ebenda VII 266..

Die politische Revolution findet also in den Pantheisten Gehilfen, die jedoch ihre revolutionäre Ueberzeugung aus einer ganz andern Quelle schöpfen als die Liberalen. Sie wollen keineswegs wie »die tugendhaften Republikaner« auf alle köstlichen Genüsse dieses Lebens verzichten, im Gegenteil, sie verlangen gerade Nektar und Ambrosia, und den Nazarenern vom Schlage Börnes ruft Heine zu, »was schon ein Narr des Shakespeare sagte: ›Meinst du, weil du tugendhaft bist, solle es auf dieser Erde keine angenehmen Torten und keinen süßen Sekt mehr geben‹« Ebenda VII 266..

Die Saint-Simonisten, die dies auch erstrebten, standen in Frankreich auf ungünstigem Boden. Deutschland aber ist reif für den Pantheismus: er doch war schon immer die Religion der größten deutschen Denker gewesen. Deutschland, das seine Revolution im Reiche des Geistes schon längst erlebt hat Vgl. S. 108., ist dem Deismus, dieser »Religion für Knechte, für Kinder, für Genfer, für Uhrmacher« Heines Werke, ed. Walzel, VII 267. entwachsen. Die Deutschen sind frei. Die Deutschen wollen »keinen donnernden Tyrannen«, Heines Werke, ed. Walzel, VII 267. die ganze Menschheit ist »eine Inkarnation Gottes« Ebenda VII 265..

So steht nach Heines Meinung dem Durchbruch einer allgemeinen pantheistischen Welt- und Lebensanschauung in Deutschland nichts entgegen. Seitdem Luther und Lessing die Denkfreiheit erobert, begann mit Kants »Kritik der reinen Vernunft« in Deutschland »eine geistige Revolution, die mit der materiellen Revolution in Frankreich die sonderbarsten Analogien bietet und dem tieferen Denker ebenso wichtig dünken muß als jene«. Schon früher hatte, wie wir gesehen haben Vgl. S. 108., Heine, da er Kant als den deutschen Robespierre charakterisierte, diese Parallele zwischen der philosophischen Revolution in Deutschland und der politischen in Frankreich entwickelt. Mit Hegel ist die philosophische Revolution in Deutschland beendigt, denn dieser hat ihren großen Kreis geschlossen. In beiden Ländern erlebten wir also einen Bruch mit der Tradition. Stürzte dort »das Königtum, der Schlußstein der alten sozialen Ordnung« Heines Werke, ed. Walzel, VII 291., so stürzt in Deutschland »der Deismus, der Schlußstein des geistigen alten Regimes« Ebenda VII 291.: »Hört Ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder – Man bringt die Sakramente einem sterbenden Gotte« Ebenda VII 292..

Was die deutsche Philosophie geleistet hat, ist »eine wichtige das ganze Menschengeschlecht betreffende Angelegenheit« Ebenda VII 350.. Die philosophische Revolution bedeutet also »die Morgenröte des Sieges« Ebenda VII 281., sie ist die Voraussetzung für die kommende politische und soziale Revolution. Diese Ordnung findet er »ganz vernünftig« Ebenda VII 350., denn »der Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner« Ebenda VII 352..

Zwar kommt der Donner in Deutschland sehr langsam herangerollt, aber wenn die politische Revolution in Deutschland einmal ausbricht, so »wird ein Stück aufgeführt werden, wogegen die französische Revolution nur eine harmlose Idylle erscheinen möchte. Jetzt ist es freilich ziemlich still; und gebärdet sich auch dort der Eine oder der Andere etwas lebhaft, so glaubt nur nicht, diese würden einst als wirkliche Akteure auftreten. Es sind nur die kleinen Hunde, die in der leeren Arena herumlaufen und einander anbellen und beißen, ehe die Stunde erscheint, wo dort die Schar der Gladiatoren anlangt, die auf Tod und Leben kämpfen sollen. Und die Stunde wird kommen.« Heines Werke, ed. Walzel, VII 353.

Die Massen, die nicht mehr mit christlicher Geduld ihr irdisches Elend tragen, werden aber nicht bei der politischen Revolution stehen bleiben: »Der Kommunismus Im Sprachgebrauch des Vormärz hat das Wort Kommunismus etwa dieselbe Bedeutung wie heute »Sozialismus«, vgl. dazu Friedrich Engels in seiner Vorrede von 1890 zu dem 1848 von Karl Marx und ihm abgefaßten »Kommunistischen Manifest« (6. deutsche Ausgabe, Berlin 1903, S. 8). ist eine natürliche Folge dieser veränderten Weltanschauung, und er verbreitet sich über ganz Deutschland. Es ist eine ebenso natürliche Erscheinung, daß die Proletarier in ihrem Ankampf gegen das Bestehende die fortgeschrittensten Geister, die Philosophen der großen Schule, als Führer besitzen, diese gehen über von der Doktrin zur Tat, dem letzten Zweck alles Denkens, und formulieren das Programm« Heines Werke, ed. Elster, IV 149..

Nach der philosophischen Revolution folgt also die politische Revolution und darauf die soziale. Denn erst dann, wenn das materielle Glück durch die Massen erobert ist, erst dann, wenn nicht länger »das Elend den Leib, das Bild Gottes, zerstört oder aviliert, und der Geist dadurch ebenfalls zugrunde geht« Heines Werke, ed. Walzel, VII 265., wird die Menschheit in Wahrheit befreit sein. Das Endziel der Welt-Revolution ist »die Rehabilitation der Materie, die Wiedereinsetzung derselben in ihre Würde, ihre moralische Anerkennung, ihre religiöse Heiligung, ihre Versöhnung mit dem Geiste« Ebenda VII 263.. Dann werden »die glücklicheren und schöneren Generationen, die, gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer Religion der Freude emporblühen, wehmütig lächeln über ihre armen Vorfahren« Heines Werke, ed. Walzel, VII S. 201..

Dies sind die vom Saint-Simonismus so stark beeinflußten Hauptgedanken von Heines Weltanschauung, wie sie in seiner »Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« wohl am prägnantesten zum Ausdruck kommen. Dem Politiker Heine können wir also nur gerecht werden, wenn wir eingesehen haben, daß in seiner entwicklungsgeschichtlichen Auffassung die politische Revolution bloß eine Etappe ist auf dem Wege, den die Menschheit bei ihrem Vorwärtsschreiten zu gehen hat. Welch ein gewaltiger Unterschied in der Einschätzung des Politischen bei Heine und bei Börne! Die Politik ist ihm nur ein Mittel, nicht das Ziel selber; die Menschheitsfragen, die mit Heines Idee der Revolution, als deren Apostel er auftritt, zusammenhängen, umfassen sehr viel mehr als die Sache der politischen Befreiung, denn, so schreibt er am 10. Juli 1833 an Laube, »diese Fragen betreffen weder Formen, noch Personen, weder die Einführung einer Republik, noch die Beschränkung einer Monarchie, sondern sie betreffen das materielle Wohlsein des Volkes. Die bisherige spiritualistische Religion war heilsam und notwendig, so lange der größte Teil der Menschen im Elend lebte und sich mit der himmlischen Religion vertrösten mußte. Seit aber durch die Fortschritte der Industrie und der Oekonomie es möglich geworden, die Menschen aus ihrem materiellen Elend herauszuziehen und auf Erden zu beseligen, seitdem – Sie verstehen mich. Und die Leute werden uns schon verstehen, wenn wir ihnen sagen, daß sie in der Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen und weniger arbeiten und mehr tanzen werden. – Verlassen Sie sich darauf, die Menschen sind keine Esel« Hirth, II 36..

Diese Gleichgiltigkeit in bezug auf die Frage der Staatsform, weil sie für die soziale und geistige Befreiung der Massen von untergeordneter Bedeutung ist, haben wir bereits früher bei den Saint-Simonisten und bei Heine konstatieren können. Nachdrücklich erklärt er in einem spätern Brief an Laube sogar: »In den politischen Fragen können Sie so viel Concessionen machen, als Sie nur immer wollen, denn die politischen Staatsformen und Regierungen sind nur Mittel; Monarchie oder Republik, demokratische oder aristokratische Institutionen sind gleichgültige Dinge, solange der Kampf um erste Lebensprinzipien, um die Idee des Lebens selbst, noch nicht entschieden ist« Brief vom 23. November 1835, (Hirth, II 86).. Aus diesem Standpunkt Heines ist nach unserer Meinung im wesentlichen der Konflikt Börne-Heine hervorgegangen. Die Verschiedenheit in der Art und Weise, in der die beiden politischen Schriftsteller die großen Zukunftsfragen beurteilten, die ihrerseits wieder bedingt wurde durch die Verschiedenheit ihrer Naturen, mußte diese Männer, die anfänglich ein gleiches Ziel zu erstreben schienen, nicht nur aus einander, sondern auch gegen einander treiben.

Auf Grund seiner oben geschilderten, vom Saint-Simonismus befruchteten, politischen Ueberzeugung, konnte Heine auch keiner politischen Partei beitreten Lichtenberger, H. Heine als Denker, S. 169.. Er hat ein ganz anderes Endziel vor Augen als Börne und seine Freunde: Heine wünscht den Sieg seiner neuen Religion, des pantheistischen Sozialismus Ebenda S. 194..

Die Republikaner, mit denen er sich doch im Kampfe gegen die Metternichsche Reaktion verbunden fühlt, verachtet er in gewissem Sinne wegen ihrer Beschränktheit in der Erfassung der sozialen und politischen Probleme. Ihre nichtssagende metaphysische Freiheitsidee, ihre Gleichheitsphrasen, sind ihm zu sehr verhaßt, als daß er sich als zu ihrer Partei gehörig betrachten könnte. In der praktischen Politik Börnes und der anderen Liberalen verurteilt er die Unklarheit dieser Kämpfer über das, was angestrebt wird, als Schüler Saint-Simons vermißt er in ihren Bestrebungen einen großen weltreformatorischen Gedanken, zu dessen Verwirklichung es sich lohnte eine organisatorische Tätigkeit zu entfalten. Wir haben bereits gesehen, wie Heine sich die Verwirklichung seiner eignen sozialen Ideale denkt. Er glaubt nicht, und hier haben wir einen sehr wichtigen Unterschied zwischen Heine und dem utopischen Sozialisten Saint-Simon, daß man die Machthaber durch Ueberredung zu einem Verzicht auf ihre bevorrechtete Stellung im Interesse der Gesamtheit bewegen könne; nur durch die Revolution kann das Ideal in Erfüllung gehen, und die politische Revolution wird aus der bereits erfolgten philosophischen Revolution hervorgehen: »Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner« Heines Werke, ed. Walzel, VII 352.. Und in sozialistischem Geiste verkündet der Tribun: »Wir haben die Lande gemessen, die Naturkräfte gewogen, die Mittel der Industrie berechnet, und siehe, wir haben ausgefunden: daß diese Erde groß genug ist; daß sie jedem hinlänglichen Raum bietet die Hütte seines Glücks darauf zu bauen; daß diese Erde uns alle anständig ernähren kann, wenn wir arbeiten und nicht einer auf Kosten des anderen leben will; und daß wir nicht nötig haben, die größere und ärmere Klasse an den Himmel zu verweisen« Ebenda, VII 140.. Sein Saint-Simonistisches Zukunftsideal faßte er dann später noch einmal zusammen in den Worten:

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was fleißige Hände erwarben.

Für die Verbreitung dieser Ideen hat Heine gekämpft, und mag er auch in spätern Jahren dem politischen Kampf skeptisch gegenübergestanden haben, mag auch manchmal sein Künstlertum und sein Tribunat mit einander in Konflikt geraten sein, seiner pantheistisch-sozialistischen Ueberzeugung ist er treu geblieben.

Die liberalen Zeitgenossen schalten ihn ein »Chamäleon«, da sie ihn nicht verstanden, auch nicht verstehen konnten. Ihre geistige Einstellung und damit ihre Zielsetzung war von der seinen durchaus verschieden.

* * *

Im Anfang unserer Abhandlung schilderten wir, wie die deutsche Jugend von 1830 Börne und Heine als eine Art Doppelstern betrachtete, als zwei Männer, die ein und dasselbe Ziel mit denselben Mitteln zu erstreben schienen Vgl. S. 48.. Wir hatten jedoch Veranlassung zu der Vermutung, es möchten sie mehr die Zeit und die Zeitereignisse, die äußeren Lebensumstände, auf eine Linie gestellt haben, als daß sie wirklich durch geistige Verwandtschaft zusammengeführt worden wären. Vgl. S. 54.

Jetzt, wo wir Börne und Heine als politische Schriftsteller im dritten Dezennium des vergangenen Jahrhunderts kennen gelernt haben, sind wir zu der Gewißheit gelangt, daß das Urteil der Generation von 1830 falsch war, daß in Börne und Heine sich sogar Gegensätze verkörpern, die so stark sind, daß demgegenüber die verwandten Züge in ihrem Leben und Streben fast ganz übersehen werden könnten.

Aber auch die Generation von 1840 hatte nur halb recht, als sie das Andenken Börnes, des Charakterfesten, zum Symbol erhob, während sie Heine nur als Talent wollte gelten lassen.

Wie haben wir, wie hat unsere Generation zu urteilen?

Auch wir haben Börne geehrt als Charakter, wir haben gezeigt, daß gerade um seines Charakters willen die Generation von 1840 in ihm ihr Vorbild erblickt, aber wir folgen ihr nicht in ihrer Verurteilung Heines als Politiker. Gewiß war Börne der Charaktervollere von beiden Möckel, Der Gedanke der Menschheitsentwicklung im Jungen Deutschland S. 25., er hatte es aber dank seiner einseitigen politischen Einstellung auch leichter, als Heine, dessen komplizierte Dichternatur so viele Widersprüche in sich barg. Ist Börne der Charaktervollere, so ist dafür Heine der unendlich tiefere Denker. Wenn man das Freiheitsideal Börnes, das nach seiner eignen Aussage bloß etwas Negatives, die Abwesenheit der Unfreiheit, bedeutet, vergleicht mit Heines Weltanschauung, die, wie man auch sonst darüber urteilen mag, jedenfalls weltreformatorische Gedanken großen Stiles enthält, so zeigt sich erst recht, welch eine Wesensverschiedenheit zwischen den beiden Männern existiert. Auf der einen Seite der Politiker, der geistig in die Welt des 18. Jahrhunderts gehört und dessen Politik nur den Forderungen der eignen Zeit gerecht zu werden vermag, auf der andern Seite der Dichter und Seher, in dessen großartiger Konzeption der Zukunft sich das eigne, reiche Wesen widerspiegelt.

Man wird einwenden, daß Börne doch auch über die Zukunft spricht Vgl. S. 150, aber wo ist das positive Element in seiner Zukunftsspekulation? Bei Börne ist die Menschheit unglücklich, weil sie unfrei ist. Erobert sie sich die politische Freiheit, so steht sie schon dadurch am Eingang des goldnen Zeitalters. Was für seine eigne Zeit, wenn auch nur sehr bedingt, wahr sein mochte, das ist ihm auch das große Losungswort für alle Zeiten. Börne sieht keine andren Menschheitsinteressen als die Sache der politischen Freiheit; sogar Gutzkow warf ihm vor, daß er das Jahrhundert auf die konstitutionelle Frage reduziere. Für Heine liegen die höchsten Interessen der Menschheit auf dem Gebiete des religiösen und geistigen Lebens, er kämpft nicht für die politische Freiheit um ihrer selbst willen: sowohl die politische wie die soziale Revolution sind ihm bloß Mittel zum Zwecke. Erst dann wird ein reiches religiöses und geistiges Leben aufblühen können, wenn die politische und soziale Befreiung verwirklicht sein wird: »Die Grundlage der menschlichen Gesellschaft wird einst eine bessere sein, und alle großen Herzen Europas sind schmerzhaft beschäftigt, diese neue bessere Basis zu entdecken« Heines Werke, ed. Walzel, VII 146.. Erst, wenn diese Grundlage gefunden, wenn die unterdrückten Klassen ihren Platz an der Sonne erobert haben, wird die Menschheit »für das Wahre, Ewige und Göttliche empfänglich sein« Vgl. S. 2..

So ist die Politik, die für Börne das Höchste war, für Heine nicht mehr als einer der vielen Wege, die uns in das Reich der Zukunft führen sollen. Ein so simplizistischer Geist wie Börne konnte dem Denker und Künstler, dem Schüler Goethes und Saint-Simons, niemals gerecht werden. Die beiden lebten geistig in einer andern Welt. Der Gegensatz wurde noch verschärft durch das ausgesprochen unkünstlerische Naturell Börnes, der alle Erscheinungen auf dem Gebiete der Literatur und des Theaters nur in Beziehung auf die politischen Interessen zu beurteilen vermochte. Schon Laube urteilte: »Das literarische Mittel schien ihm ein dergestalt äußerliches zu sein, daß es vor dem bewußten moralischen Zwecke des Autors verschwinden müsse« H. Laube, Geschichte der deutschen Literatur, Stuttgart, o. J. (1840?) IV, 185.. Er war, schreibt Proelß, »ein ästhetischer Kritiker mit idealpolitischen Maßstäben« Joh. Proelß, Das Junge Deutschland, S. 102.. Der Kritiker, der Goethe qualifiziert als einen »Krebsschaden am deutschen Körper« Vgl. Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, S. 157., der Shakespeares »Hamlet« nur als dichterische Ironie auf die Tatenunlust der Deutschen auffaßt Vgl. Freiligraths »Deutschland ist Hamlet«., beweist dadurch zur Genüge, daß er unfähig ist eine Erscheinung wie Heine zu verstehen. Gutzkow hat das gefühlt, als er 1836 nach Börnes Angriff auf Heine in einem bereits von uns zitierten Artikel Vgl. S. 83. Heines Partei ergriff, und von Pückler Muskau hat es kurz und treffend gesagt, als er an Heine schrieb, es sei ein unschätzbarer Vorzug, den er, Heine, vor Börne voraus habe, daß in ihm Gefühl und Poesie ebenso eminent seien als der Verstand Brief vom 10. Februar 1834, (Hirth, II 49).. Auch Alfred Meißner äußert sich in seinen »Erinnerungen« in ähnlicher Weise: »Börne war kein Poet; seine Noveletten, seine Reiseskizzen verraten den größten Mangel an Erfindung, an Plastik, an Gestaltung. Ein gesunder Menschenverstand war ihm gegeben, das lebendigste Gefühl für Recht und Unrecht, dabei ein scharfer, ätzender Witz, der jedoch nicht selten alles verkehrte und aus der einseitigsten Anschauung her Schwarz für Weiß und Weiß für Schwarz erklärte« Meißner, Heinrich Heine, Erinnerungen, S. 56 ff.. Meißner beklagt es, daß zwei Männer, die einander so verwandt waren, die sich so nahe standen, nicht Freunde geblieben sind, aber – und keiner von den Zeitgenossen hat den wahren Grund des Konfliktes Börne-Heine so fein gefühlt und so scharf formuliert wie Meißner – das hieße das Unmögliche fordern, weil ihre beiden Naturen himmelweit verschieden wären und sich mit der Kraft entgegengesetzter Pole abgestoßen hätten.

Aber nicht nur, weil für Börne die politische Gesinnung der einzige Maßstab war, konnte er einer Künstlernatur wie der Heines nie gerecht werden: Börne besaß überhaupt, wie er selber sagte, kein Interesse für »Menschenkennerei«, die Beobachtung der Wesensunterschiede der einzelnen Menschen strengt ihn zu sehr an, es ist ihm, als sollte er einen kleinen Druck lesen S. 59.. Er betrachtet den Menschen – und zeigt auch darin seine geistige Verwandtschaft mit dem Rationalismus – in abstracto, oder er wendet sich nur an die Menschheit; er hat nicht die geringste Neigung sich mit Charakteranalyse zu befassen, wir vermissen in ihm nur zu sehr jene Weitherzigkeit, die durch ein liebevolles Sichversenken in die Gedankenwelt des andern verstehen lernt, was dem eignen Wesen fremd ist.

Heine, der, wie die Romantiker überhaupt, für die Kompliziertheit alles menschlichen Lebens ein so feines Verständnis besaß, fühlte sich abgestoßen durch die »nazarenische« Beschränktheit, die »starre Tugend« Börnes, der, eben aus seiner Anlage heraus, den psychologischen Fehler machte, Heine als gleichgesinnten Menschen zu betrachten. »Daß Börne mich für einen solchen ansah, war ein Irrtum, der späterhin für mich sehr viele Verdrießlichkeiten zur Folge hatte«, bemerkt Heine selber eines Werke, ed. Walzel, VIII 380..

Wie wir gesehen haben, war der Hauptirrtum Börnes, aus dem seine journalistische Fehde hervorging, daß er Heine als Parteimann betrachtete und aus diesem Blickpunkte abgeleitete Anforderungen an ihn stellte. Gewiß hat Heine nie aufgehört für die Ideen der bürgerlichen Freiheit zu kämpfen, und eben deshalb war er eine mächtige Stütze für den jungen Liberalismus des Vormärz, aber er ist nicht wie Börne bei der Terminologie von 1789 stehen geblieben. Seine politisch-soziale Erkenntnis reichte unendlich weiter, und eben deshalb war es auch grundsätzlich falsch Heine als zu einer Partei gehörig zu betrachten. In einem Gespräch mit Laube hat er in unzweideutigster Weise über alle – auch später gemachten – Versuche, ihn einer bestimmten Partei zuzuzählen, das Urteil gefällt, indem er sagte: »Ich gehöre zu keiner Partei, oder doch nur – zu meiner Partei« Houben, Gespräche mit Heine, Nr. 377. – Vgl. auch: Léon Polak, Heine's Verhouding tot het Jodendom, Amsterdam, 1923, blz. 18..

Die Generation von 1840 aber verlangte nicht weniger leidenschaftlich als Börne, daß der Dichter »auf den Zinnen der Partei« kämpfen sollte.

»Partei! Partei! wer sollte sie nicht nehmen,
Die doch die Mutter aller Siege war!
Wie mag ein Dichter solch ein Wort verfehmen,
Ein Wort, das alles Herrliche gebar?«

Diese Worte Herweghs sind charakteristisch für die politischen Lyriker, für die Geisteskinder Börnes, die eben aus dem gleichen Gesichtspunkt heraus Heine verurteilten wie jener: weil er nach ihrer Meinung nicht entschieden Partei ergriffen habe. Und ebenso wenig wie Börne, vermochte die Generation von 1840 einzusehen, daß Heine in höherm Sinne des Wortes keineswegs parteilos war, daß er bloß die Dinge dieser Welt anders, tiefer und vielseitiger, erfaßte, daß er in weltanschaulichem Sinne ein viel revolutionärerer Geist war als Börne, der nur als Interpret des vormärzlichen deutschen Liberalismus gelten kann. Vgl. S. 168.

Heine wußte, daß hinter diesem dritten Stand, dem Börne und er selber durch ihre politisch-literarische Tätigkeit mit zum Siege verhalfen, noch eine andere Klasse stand, die infolge der fortschreitenden Industrialisierung Deutschlands fortwährend zunahm. Die Erfüllung seiner Menschheitsideale schien ihm nur dann möglich, wenn die politische Befreiung und Emanzipation des Proletariats verwirklicht sein wird. Der Politiker Heine kritisiert nicht nur die politische Unfreiheit des deutschen Bürgertums im Vormärz, er steht auf einer höhern Warte als auf den Zinnen der damaligen liberalen Partei: er kritisiert die bestehende Gesellschaft überhaupt, denn sie »verteidigt sich nur aus platter Notwendigkeit, ohne Glauben an ihr Recht, ja, ohne Selbstachtung, ganz wie jene ältere Gesellschaft, deren morsches Gebälke zusammenstürzte, als der Sohn des Zimmermanns kam« Heines Werke, ed. Walzel, XI 370..

Die Saint-Simonisten haben, nach Heines Ueberzeugung, die soziale Frage zum ersten Male in historischem Zusammenhang erkannt, aber »sie sind nicht die prädestinierten Knechte, womit der höchste Weltwille seine ungeheueren Beschlüsse durchsetzt«. Früh oder spät werden die Trümmer der kleinen Gemeinde Saint-Simons »zu dem wachsenden Heere des Kommunismus Für die Bedeutung dieses Wortes in dem damaligen Sprachgebrauch, vergl. Anm. 2 zu S. 166. übergehen und, dem rohen Bedürfnisse das gestaltende Wort leihend, gleichsam die Rolle der Kirchenväter übernehmen« Heines Werke, ed. Walzel, IX 357.. In diesem und in ähnlichem Sinne hat Heine, zumal in spätern Jahren, auf die historische Aufgabe des Proletariats hingewiesen, ohne sich jedoch für den Gedanken an den endgiltigen Sieg desselben zu begeistern. Es beweist, daß Heine als Politiker seiner Zeit vorauseilte, daß er, wie Lichtenberger sagt Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, S. 301., ein Hellseher war, als er bereits im Jahre 1833 betonte, daß die soziale Frage wichtiger sei als die politische. In diesem Sinne war Heine ein viel größerer Realpolitiker als Börne, der als Ideolog von rationalistischem Hause immer nur Forderungen und Begriffe postulierte, die ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit lediglich aus der Autonomie des Geistes erwuchsen, der also ein politischer Phantast war, der die Bedeutung der realen Machtfaktoren absolut verkannte. Heine dagegen wußte diese Machtfaktoren zu würdigen, er verkündigte auch keine absoluten Wahrheiten; die gesellschaftliche Entwicklung ist ihm ein Prozeß von Werden und Vergehen, er besaß, was wir in Börne vermissen: historischen Sinn.

So stehen sie einander gegenüber: der Kämpfer, der, überzeugt von der absoluten Gültigkeit seiner politischen Lehrsätze, sich mit ganzer Seele dem Dienst seiner Zeit widmet, und der Dichter und Denker, der, obwohl weit über die Gegenwart hinwegblickend und bereits von sozialistischen Ahnungen erfüllt, doch auch die Schönheit der alten Welt zu würdigen weiß.

Wer kann leugnen, daß in den Kämpfen der Gegenwart sich gar manches Mal eine gleiche Gegensätzlichkeit wie in dem Fall Börne-Heine nachweisen läßt? Hier der einseitige, aber eben deshalb tatkräftige und erfolgreiche Politiker, der sein Leben ganz den Interessen seiner Zeit widmet, dort der Uebergangsmensch, der da weiß, daß er nach dem Worte Wienbargs »im Zwischenraum auf der Brücke zweier Zeiten« steht, weil das Alte und das Zukünftige in ihm lebt und webt, und der eben deshalb von den eignen Zeitgenossen nicht verstanden wird. So will es uns bedünken, daß, losgelöst aus dem Zeitlich-Bedingten, dem Verhältnis Börnes und Heines eine typische Bedeutung zugesprochen werden darf.

Wir haben, indem wir den Versuch machten, alles, was wir über den Konflikt Börne-Heine ausgeführt haben, noch einmal zusammenzufassen, fast ausschließlich das Gegensätzliche in ihrem Leben und Streben hervorheben müssen. Das Merkwürdige aber ist, daß Schriftsteller wie Treitschke u. a. Börne und Heine gleichsam als gleichartige Erscheinungen behandeln. Es beweist jedenfalls, daß, wenn man, aus der historischen Perspektive, nur die Gesamtwirkung der politischen Publizistik Börnes und Heines beurteilt, das Gemeinsame in ihrem Werk so augenfällig ist, daß man die Wesensverschiedenheit der beiden geradezu übersehen kann. Man sieht dann nur die Gleichheit der äußeren Umstände: die beiden jüdischen Publizisten, die nach der Julirevolution nach Paris wallfahrten um ihre liberale Gesinnung zu betätigen, indem sie von dort aus das politische Leben in Deutschland in freiheitlichem Sinne zu beeinflussen versuchen, und eine Annäherung der beiden, großen Kulturvölker befürworten.

Man hat ihnen den Vorwurf gemacht, daß sie durch diese politisch-literarische Tätigkeit das Feuilleton an die Stelle des geschlossenen Kunstwerks, den Journalismus an die Stelle der Poesie, die Kritik an die Stelle des Schaffens gesetzt hätten Weitbrecht, Deutsche Literaturgeschichte des 19. Jahrh., Leipzig, 1901, I 58.. Ist dieser Vorwurf gerecht? Goethe hat einmal, über Lessing urteilend, das Wort gesprochen: »Daß er immerfort polemisch wirkte und wirken mußte, lag in der Schlechtigkeit seiner Zeit« Goethes Gespräche mit Eckermann, (7. Februar, 1827).. Dieses Goethesche Wort rechtfertigt auch Börne und Heine: wir haben ja ausführlich genug geschildert, wie die Ausdrucksmittel und die Stilart der vormärzlichen Publizistik wesentlich durch die Zensur bestimmt wurden Vgl. S. 33..

Was Lessing auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft getan hat, taten sie in politischer Beziehung. Denn, mögen auch Börne und Heine in unsrem Urteil als unversöhnliche Gegensätze erscheinen, so wird doch durch diese Gegensätzlichkeit ihr großes Verdienst um die Sache der politischen Aufklärung des deutschen Volkes in nichts geschmälert. Gewiß waren diese Führer zu einer neuen Zeit, in der Wirtschaft und Politik die bestimmenden Mächte bilden sollten, – wie es die Vertreter einer Uebergangszeit immer sind – innerlich noch eng verbunden mit der ältern Zeit, und waren sie deshalb mehr Sozialethiker als Realpolitiker. »Wir ergreifen keine Idee, sondern die Idee ergreift uns, und knechtet uns, und peitscht uns in die Arena hinein, daß wir wie gezwungene Gladiatoren für sie kämpfen« Heines Werke, ed. Walzel, VI 465., sagt Heine. Ein jeder von ihnen hat in seiner Weise für die Idee der Freiheit gestritten, wie er sie verstand. Beide haben die Wünsche des Bürgertums auf politische Mitherrschaft, soziale Geltung und wirtschaftliche Freiheit zusammengefaßt, beide haben dadurch das politische Freiheitsbedürfnis gestärkt und ausgebildet, und haben reichlich das ihrige dazu beigetragen, daß die Gedankenwelt der deutschen Jugend dermaßen politisiert wurde, daß die Generation des vierten Dezenniums in Literatur und Leben ein freudiges Bekenntnis zur Tat aussprach. Die einst als Söhne des Ghetto zu den Geknechteten gehörten, wurden durch ihre politische Publizistik zu geistigen Befreiern ihres Volkes, indem sie in dunkelster Zeit den Glauben weckten an ein neues, freies Deutschland, für das auch sie gelitten und gestritten haben.


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