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III. Börne und Heine in Paris

»Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise, ... Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich weiß jetzt wieder, was ich will, was ich soll, was ich muß ... Ich bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeiten Waffen, worüber meine Mutter ihren Segen ausgesprochen ... Blumen! Blumen! Ich will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf. Und auch die Leier, reicht mir die Leier, damit ich ein Schlachtlied singe ... Worte gleich flammenden Sternen, die aus der Höhe herabschießen und die Paläste verbrennen und die Hütten erleuchten ... Worte gleich blanken Wurfspeeren, die bis in den siebenten Himmel hinaufschwirren und die frommen Heuchler treffen, die sich dort eingeschlichen ins Allerheiligste ... Ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme!« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 405.

Der so schreibt, ist kein anderer als Heinrich Heine. Die Nachricht von dem Ausbruch der Julirevolution erreichte ihn auf Helgoland. Ob Heine geahnt haben mag, daß seine Schicksalsstunde geschlagen hatte? Soviel ist sicher: die Julirevolution wurde ihm damals zum tiefinnersten Erlebnis, und wie stark seine Begeisterung später auch abgekühlt sein mag, so war es doch wieder die Julirevolution, die im großen Ganzen seinem weitern Leben Ziel und Richtung gegeben, die ihn zu dem bedeutendsten politischen Publizisten des Vormärz gemacht hat.

Und: merkwürdige Gleichheit der Situation bei Gleichheit der Gesinnung: in denselben Tagen, in denen Heine auf Helgoland die Zeitungen »wie Manna verschlingt«, und »ganz toll ist von jenen wilden, in Druckpapier gewickelten Sonnenstrahlen«, bestürmen Börne in Bad Soden die gleichen Gefühle.

Börne litt körperlich, aber auch geistig, als er jetzt in Soden eine Badekur machte. Seit fünfzehn Jahren hatte, so schien es ihm, die Geschichte stillgestanden: »Die Stille hier macht mich krank, die Enge macht mich wund. Ich liebe kein Sologeräusch. Auch wenn Paganini spielt, auch wenn Sie singt – ich halte es nicht lange aus. Ich will Symphonien von Beethoven oder ein Donnerwetter. Ich will keine Loge selbst für mich, auch noch so breit; aber auch keine über mir. Ich will unten sitzen, umgeben von meinem ganzen Volke. Der Wert des Lebens wird in Deutschland unter der Erde, in mitternächtiger Stille, wie von Falschmünzern ausgeprägt. Die, welche im Tageslichte das Werk dunkler Angst in Umlauf setzen und geltend machen, sie arbeiten nicht. In Frankreich lebt ein Lebensfroher das Leben eines Kuriers, in Deutschland das eines Postillons, der die nämliche Station immerfort hin- und zurückmacht und dem das Glück ein armseliges Trinkgeld reicht Tagebuch vom 22. Mai (Börnes Werke ed. Klaar, II 195).

Da erreichen ihn die Nachrichten der Ereignisse in Frankreich: Polignac, die Ordonnanzen, die drei glorreichen Julitage. Es war also nicht wahr, daß die Geschichte stillstand: Frankreich gab wieder das Signal, eine Epoche der Tat fing an. Er eilt nach Frankfurt, um dort in dem Lesezimmer am Roßmarkte gleich die neuesten Zeitungen lesen zu können Vgl. Reinganum, Aus Börnes Leben (Börnes Ges. Schriften, Hamburg, 1862, XII 383).. Aber auch hier litt es ihn nicht lange: er konnte dem innern Drang nicht wiederstehen, er will den Schauplatz der Ereignisse sehen und schickt sich an nach Paris zu reisen. Börne, der, wie wir bereits sahen Vgl. S. 29 ff., im Jahre 1819 zum ersten Mal den französischen Boden betreten hatte, traf jetzt wieder am 16. September 1830 in Paris ein.

»Die erste französische Kokarde«, so schreibt er, »sah ich an dem Hute eines Bauers, der von Straßburg kommend in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der Anblick. Es erschien mir wie ein kleiner Regenbogen nach der Sündflut unserer Tage, als das Friedenszeichen des versöhnten Gottes. Ach! und als mir die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte – ganz unbeschreiblich hat mich das aufgeregt ... Es war nur der rote Farbenstreif der Fahne, der in unser Mutterland hineinflatterte. Das wird auch die einzige Farbe sein, die uns zu teil wird werden von Frankreichs Freiheit. Rot, Blut, Blut – ach! und nicht Blut auf dem Schlachtfelde. Gott! könnte ich doch auch einmal unter dieser Fahne streiten, nur einen einzigen Tag mit roter Tinte schreiben, wie gern wollte ich meine gesammelten Schriften verbrennen, und selbst den unschuldigen achten Teil von ihnen, der noch im Mutterschoße meiner Phantasie ruht« »Briefe aus Paris«, Nr. 2. (Börnes Werke, ed. Klaar, V 9.).

Man sieht es, Börne sowohl wie Heine erblickt in der Julirevolution den Anfang des Völkerfrühlings, eine messianische Erwartung beseelt die beiden Gesinnungsgenossen, und so lange sie noch in Deutschland waren, mag es den Beiden zu Mute gewesen sein, wie Goethe vor Valmy, als er die Worte sprach: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen«.

Das schöne Bild der geistigen Uebereinstimmung zwischen beiden Männern wird aber etwas getrübt; es ist, als ob es von einem Schatten verdunkelt wird, wenn wir hören, wie bei Heine, trotz aller Begeisterung für die Sache der Revolution, bereits Bedenken laut werden. Es ist auffällig, wie lange er unentschlossen hin und herschwankt, ehe er dem Vorbild Börnes folgt und gleichfalls nach Paris fährt.

In Rücksicht auf die spätere Entwickelung seines Verhältnisses zu Börne ist es gewiß von symptomatischer Bedeutung, wenn Heine noch während seines Aufenthalts auf Helgoland in sein Tagebuch schreibt: »Welche Ironie des Geschickes, daß ich, der ich mich so gerne auf die Pfühle des stillen beschaulichen Gemütlebens bette, daß ich eben dazu bestimmt war, meine armen Mitdeutschen aus ihrer Behaglichkeit hervorzugeißeln und in die Bewegung hineinzuhetzen«! Heines Werke, ed. Walzel, VIII 83.

Er denkt gar nicht daran nach Paris überzusiedeln, seine Zukunftspläne sind noch ganz unsicher. Erst im November spricht er in Briefen darüber, daß er vielleicht bald »das Reisebündel schnüren muß« und erkundigt sich nach der Adresse von Michel Beer in Paris Briefe an Detmold und an Varnhagen vom 30. Nov. 1830 (Fr. Hirth, Heinrich Heines Briefwechsel, München, 1914, I 631, 632)..

»Mein Streben geht dahin, mir à tout prix eine sichere Stellung zu erwerben; ohne solche kann ich ja doch nichts leisten«, so schreibt er am 4. Januar 1831 an Varnhagen von Ense, den er bittet ihm bei seiner Bewerbung um eine in Hamburg erledigte Syndikusstelle behilflich zu sein, »Gelingt es mir binnen kurzem nicht in Deutschland, so reise ich nach Paris; wo ich leider eine Rolle spielen müßte, wobei all mein künstlerisches poetisches Vermögen zu Grunde ginge, und wo der Bruch mit den heimischen Machthabern consumirt würde«.

Daß Heine versucht eine sichere Stellung zu bekommen, sich eine Existenzmöglichkeit zu erobern, weil er sonst »nichts leisten« könne, ist ganz natürlich. Börne hat es in dieser Hinsicht leicht gehabt, denn außer den Einkünften aus dem Erbteil seines vermögenden Vaters erhielt er noch seine Pension als ehemaliger Polizeiaktuar der Stadt Frankfurt.

Was uns aber am meisten in dem oben zitierten Brief an Varnhagen interessiert, ist nicht die Tatsache, daß er sich eine Existenzmöglichkeit in Deutschland zu erobern sucht, sondern die Furcht, die er ausspricht, es möchte der Dichter, der Künstler in ihm zu Grunde gehen infolge der Zumutungen, die als Politiker an ihn herantreten könnten. Auch hier wieder beängstigt ihn der Gedanke, es könnten sein künstlerischer Schöpferwille und seine Ueberzeugung mit einander in Konflikt geraten. Hier schon haben wir u. E. den Gegensatz Börne-Heine, den Gegensatz, welcher damals den beiden noch ganz unbewußt war, der aber auch erst viele Jahre später in Heines »Ludwig Börne, Eine Denkschrift« in seiner äußersten, bittersten Konsequenz zu Tage treten sollte.

Es graut ihm vor den Folgen seiner eignen demokratischen Ueberzeugung, es beängstigt ihn sogar der Gedanke, daß »wenn eine Revolution ausbricht, er nicht der letzte Kopf ist, der fällt« Vgl. Brief an Ludolf Wienbarg, Juli oder August 1830 (Hirth, I 616)., und als Varnhagen ihm mitteilt, man nenne ihn in den Berliner Kreisen einen Salon-Demagogen, antwortet er: »Der Witz ist gewiß richtig, aber er kann mir mal den Kopf kosten« Brief an Varnhagen vom 1. April 1831 (Hirth, I 642.)

Als all seine Pläne scheiterten, als es ihm immer deutlicher wurde, daß es bei der wieder zunehmenden Reaktion unmöglich sei in Deutschland als publizistischer Schriftsteller zu wirken, beschließt er nach längerem Zögern und Zaudern, dem Vorbild Börnes zu folgen und nach Paris überzusiedeln. Pflicht und Klugheit rieten zur Abreise, so schreibt er ein Jahr später an Varnhagen. »Ich hatte die Wahl zwischen gänzlichem Waffenniederlegen oder lebenslänglichem Kampf, und ich wählte diesen, und wahrlich nicht mit Leichtsinn. Daß ich aber einst die Waffen ergriff, dazu war ich gezwungen durch fremden Hohn, durch frechen Geburtsdünkel – in meiner Wiege lag schon meine Marschroute für das ganze Leben« Brief an Varnhagen vom 16, Juli 1832 (Hirth, II 39.).

* * *

Am 3. Mai 1831 kam Heine in Paris an, aber er besuchte Börne erst am 25. September. »Willkommen in Paris!« – rief Börne ihm entgegen – »Das ist brav! Ich bin überzeugt, die guten, die es am besten meinen, werden alle bald hier sein. Hier ist der Konvent der Patrioten von ganz Europa, und zu dem großen Werke müssen sich alle Völker die Hände reichen.« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 415..

Es unterliegt keinem Zweifel, daß, so lange Heine noch in Deutschland war, das Verhältnis zwischen Börne und Heine recht freundschaftlich war, daß sie sich tatsächlich, ebenso wie die Zeitgenossen, als Kämpfer für eine und dieselbe Sache betrachteten. Es erschien ihnen als ihre gemeinsame Aufgabe, durch ihre politisch-literarische Tätigkeit die Entwicklung des politischen Lebens in Deutschland in freiheitlichem Sinne zu beeinflussen. Durch die Schilderung des politischen und sozialen Lebens in der Stadt, wo die Weltgeschichte gemacht wurde, wollten sie das deutsche Volk politisch aufklären und dasselbe in seinem Kampf gegen die Metternichsche Reaktion unterstützen. Börne und Heine übersahen ebenso wie die Zeitgenossen, daß ihr gemeinsames Ziel: Bekämpfung der Reaktion, ein rein negatives war, und daß es sich möglicherweise herausstellen könnte, daß, obwohl sie beide längere Zeit »in demselben Lagerzelt schliefen«, das Gegensätzliche in ihrer Weltanschauung immer stärker in die Erscheinung treten müßte, sobald es sich darum handelte ein positives Programm für die künftige soziale und politische Entwicklung aufzustellen.

Als sie in Paris mit ihrer politisch-literarischen Tätigkeit anfingen, hatten sie ohne Zweifel das Gefühl, sie seien Bundesgenossen, Waffenbrüder »im Befreiungskampf der Menschheit«. Wir aber konnten bereits aus einigen Äußerungen den Eindruck gewinnen, es hätte sie mehr die Zeit und die Zeitereignisse auf eine Linie gestellt, als daß sie durch geistige Wahlverwandtschaft zusammengeführt wären. Das Gemeinsame, dasjenige, wodurch sie auch in den Augen der Mitwelt als zwei verwandte Naturen erschienen, war ihre Begeisterung für die Julirevolution, war vor allem ihre Liebe für Frankreich als Mittelpunkt europäischer Kultur und Gesittung. Darin liegt auch der Grund, weshalb Börne und Heine, trotz ihrer jüdischen Herkunft, geistig eng verbunden waren mit der deutschen Jugend von 1830, denn, wie wir früher sahen Vgl. S. 35 ff., hatte sich seit dem Jahre 1815 das Verhältnis des deutschen Bürgertums zu Frankreich allmählich geändert. In der kurzen Spanne Zeit von 1815-1830 hatte sich ein so starker Umschwung in der Beurteilung von Frankreich vollzogen, daß die Jugend von 1830 im Gegensatz zu den Teutschen vom Schlage des alten Turnvaters Jahn mit Ehrfurcht und Bewunderung nach Frankreich hinblickte.

So konnten auch Börne und Heine in Paris das Gefühl haben, sie hätten eine Sendung zu erfüllen, es sei ihre Aufgabe der deutschen Jugend die Werte zu vermitteln, womit die Julirevolution das europäische Leben befruchtet hatte, sie wären dazu berufen, als Kulturvermittler zwischen Frankreich und Deutschland zu wirken.

Wie haben sie sich dieser Aufgabe entledigt und wie hat sich dabei ihr gegenseitiges Verhältnis entwickelt? Ehe wir diese Fragen zu beantworten versuchen, erscheint es uns zunächst notwendig, wenn auch in großen Umrissen, ein Bild von ihrem Leben in Paris zu gewinnen. Es könnte sein, daß sich auch hier in ihrer Lebensführung, in dem Verhältnis eines jeden zu der französischen Gesellschaft bereits eine Gegensätzlichkeit bemerkbar machte, die auch für die richtige Würdigung ihrer politisch-literarischen Tätigkeit nicht außer Acht gelassen werden dürfte.

* * *

So reichlich die Quellen fließen, die uns über Heines Leben in Paris berichten, so spärlich fließen die wenigen, welche uns Nachricht geben können über Börnes Leben in der Hauptstadt. Es hat dies seine guten Gründe: Heine wurde als berühmter Dichter, geistreicher Causeur und homme du monde sofort in die französische Gesellschaft aufgenommen, wurde, wie er selbst sagt Brief vom 21. April 1834 an Maximilian Heine (Hirth, II 52)., »von den außerordentlichsten Ehrenbezeugungen fast erdrückt«. Börne dagegen ist in Paris ein Einsamer geblieben.

Als die wichtigste Quelle Die übrigen uns bekannten Quellen haben wir bereits früher an anderer Stelle angegeben (Ras, Ludwig Börne als Vermittler zwischen deutscher und französischer Kultur: Neophilologus, III 271).
Es kommt aber noch hinzu: Prof. Dr. Alfred Stern, Börne und Heine in Paris nach den Berichten des dortigen Vertreters der freien Städte Deutschlands (Frankf. Ztg., 50. Jhg. Nr. 344).
für die Kenntnis von Börnes Leben in Paris muß u. E. die kleine Biographie Eduard Beurmanns Eduard Beurmann, Ludwig Börne als Charakter und in der Literatur, Frankfurt a. M., 1837. bezeichnet werden. Es ist ein höchst merkwürdiges Werkchen, nicht, weil es mit so großer Liebe die Persönlichkeit Börnes beschreibt, sondern, weil der Verfasser Eduard Beurmann (oft zitiert als Ludwig Beurmann) einer der geistig bedeutendsten Lockspitzel war, die sich im Auftrage des von Metternich in Mainz errichteten »Zentralinformationsbureaus«, in der Umgebung von Börne und Heine aufhielten, um regelmäßig über deren Umgang, Pläne u. s. w. Geheimberichte einzuschicken Vgl. Karl Glossy, Literarische Geheimberichte aus dem Vormärz, Wien, 1913, Einl. CXXXVI..

Nach Beurmann war Börnes Stellung in Paris von Anfang an eine ziemlich isolierte. »Für den gesellschaftlichen Verkehr hörte er zu schlecht, für die Salons besaß er überdies keine Geschmeidigkeit, kein savoir faire. Zwar erklärte Börne, er könne nicht ohne Paris leben, aber eigentlich stand er außerhalb von Paris. Genießen konnte er Paris nicht, wie Heine dies vermochte. Anscheinend zurückgezogen lebend nahm er den lebhaftesten Anteil an allen Tagesfragen, seine Blicke waren stets auf das Capitol gerichtet, wo er keine Stelle einnehmen könnte; in seinem einsamen Zimmer, höchstens von einigen Freunden umgeben, verhandelte er alle jene Dinge, die Frankreich bewegten, aber der Grund und Boden dieser Verhandlungen war ein ganz anderer als der in den Kammern; nicht die kleinlichen Interessen der Parteien, sondern die Humanität im umfassendsten Sinne des Wortes bildete das Fundament der Diskussion. Börne lebte nicht sowohl in als an Paris: sein großes Herz erstarkte an dem Ruhm, der Tatkraft und der vorangeschrittenen Civilisation, die dort, weniger im Zusammenhang, als in großen Granitbruchstücken, anzutreffen sind.« Beurmann, S. 31-32.

Mit größter Sorgfalt las Börne die französischen Zeitungen und ließ sich sogar die alltäglichen Vorfälle im Leben der Hauptstadt erzählen, »alles«, sagt unser Augenzeuge, »aus dem Grunde um selbst in seiner Zurückgezogenheit inmitten jener rastlosen Tätigkeit von Paris zu bleiben und unter dem großen Schutte des Volkgewühls wenigstens ein Körnchen Volkscharakter und Volkswürde zu finden.«

Beurmann spricht hier von einigen wenigen Freunden, die Börne umgeben. Es ist nicht uninteressant den Kreis um Börne etwas näher kennen zu lernen. Ist doch das Milieu Börnes, wie wir noch sehen werden, ein wesentlich anderes als dasjenige, in dem Heine vorzugsweise verkehrte. Für Börnes Geistesrichtung ist es in hohem Maße kennzeichnend, daß bei den wenigen Freunden, die ihn umgeben, meistens das Politische im Vordergrund des Interesses steht.

Zu seinem täglichen Umgang gehört natürlich an erster Stelle Frau Jeanette Strauß-Wohl und ihr Gatte, der junge Kaufmann Salomon Strauß. Frau Strauß Vgl. Brandes, Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrh., III 6. S. 352., seit dem Jahre 1818 Börnes treue Freundin und Beraterin, hatte sich im Oktober 1832 mit dem viel jüngern Strauß, einem Verehrer Börnes, verheiratet unter einer Bedingung: Ihr Gatte müsse ihr gestatten, daß Börne immer bei ihnen sein könnte »wann, wo und so oft und für immer, wenn er es will«. Seinetwegen ließen sie sich 1833 in Paris nieder. Die drei Freunde lebten zusammen, ihnen gemeinsam war das lebhafte Interesse für das politische Leben ihrer Zeit.

In den nächsten Jahren sehen wir als Gäste des Strauß-Börneschen Hauses Jakob Venedy und Eduard Kolloff. Erstgenannter, ein ehemaliger Privatdozent aus Heidelberg, wurde wegen seiner Beteiligung an dem auch von Börne besuchten Hambacher Fest verhaftet Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, I 97.. Als er aber beim Transport in die preußischen Kerker durch die Rheinpfalz geschleppt wurde, befreite ihn der junge Johann Philipp Becker in dem Städtchen Frankenthal. Venedy kam dann nach Paris und wurde einer der Leiter des 1834 gegründeten »Bundes der Geächteten«, der ersten geheimen Organisation der deutschen Flüchtlinge in Paris. Ueber das Verhältnis von Börne und Heine zu diesem Bunde werden wir noch näher zu sprechen haben.

Eduard Kolloff, ein ehemaliger Lehrer am Bunsenschen Institut in Frankfurt, wurde wegen Teilnahme an dem Frankfurter Putsch verfolgt, entfloh nach Lyon und lebte später als Kunstkritiker in Paris Glossy, Literarische Geheimberichte, Anm. S. 31.. Durch seine Vermittlung wurde Börne mit dem demokratischen Arzt François Vincent Raspail Quack, De Socialisten, Amsterdam, 1911, III 480. bekannt. In Raspails »Le Réformateur«, der bereits 1836 von der Regierung unterdrückt wurde, hat Börne den Artikel über Heines »De l'Allemagne« Réformateur du 30. mai 1835. veröffentlicht. Auch der berühmte Bildhauer David d'Angers kam oft zu Börne. Raspail hat später an Börnes Grab das Wort geführt, d'Angers sollte sein Grabmal Das Bildnis Börnes mit einem allegorischen Relief: Frankreich und Deutschland, welche sich unter dem Schutz der Freiheit die Hand bieten. meißeln. Es sind die einzigen Franzosen, die zu ihm in engere Beziehung getreten sind Vgl. über Börnes Bekanntschaft mit Nisard: Ras, Börne als Vermittler etc. (Neophilologus, III 272)..

In den ersten Jahren speist er noch oft in den Lokalen, in welchen die in Paris lebenden deutschen Handwerker zu Mittag aßen, später beteiligte er sich nur an den politischen Zusammenkünften der ausgewanderten Handwerker. Als Heine sich wegen »des Tabaksqualms« schon längst aus der Gesellschaft der »lieben Brüder und Gevattern« fortgeschlichen hatte, blieb Börne ihnen treu, und fühlte sich dort sicher viel behaglicher als in den Salons; er mußte aber, wohl zum größern Teil wegen seiner schwachen Gesundheit, die geistige Leitung der Handwerkerkreise Jakob Venedy und Dr. Theodor Schuster, der in der Göttinger Revolution von 1831 eine Rolle gespielt hatte, überlassen. Trotzdem blieb Börne nach wie vor von dem Diplomaten Vincent Rumpff, dem Vertreter der vier freien deutschen Städte, und somit auch seiner Vaterstadt, im Geheimen sorgfältig überwacht Vgl. hierzu: Alfred Stern, Geschichte Europas von 1815-1871, Stuttgart, 1905, IV 414..

Mit der eigentlichen französischen Gesellschaft hat er also nur wenig Fühlung gehabt. Zwar vernehmen wir, daß er im Anfang seines Aufenthalts in Paris bei Lafayette war 9. Brief der »Briefe aus Paris«, (Börnes Werke ed. Klaar, V 34)., wohin Frau Jeanette Wohl ihm schrieb: »Daß Sie bei Lafayette waren, hat mich gefreut und sehr interessiert. Wer hat Sie eingeführt? ... Fahren Sie so fort, Ihre Trägheit zu überwinden! Ich glaube daß die soirees und salons allein schon Sie in Paris festhalten werden« E. Mentzel, Briefe der Frau Jeanette Strauß-Wohl an Börne, Berlin, 1907, S. 153., aber von Börnes Empfänglichkeit für den Reiz des geselligen Lebens bekommen wir doch ein ganz anderes Bild, wenn wir lesen, wie Gans, der im Jahre 1830 auch einen Abend in den Salons Lafayettes war, uns Börnes Benehmen in diesem Kreise schildert: »Auf einem kleinen Stuhle, ohne alle Ansprache und sich nur bisweilen mit scharfen Augen umschauend, saß Börne, als wäre ihm die ganze Versammlung tediös, und als möchte er den Nutzen dieser Zusammenkunft erspähen« Eduard Gans, Rückblicke auf Personen und Zustände, Berlin, 1836, S. 74..

Frau Wohl hat offenbar sehr stark die Gefahr erkannt, daß seine Zurückgezogenheit Börne zu einem Einsamen in Paris machen würde: »Wenn Sie in Paris genießen wollen«, so schreibt sie ein anderes Mal Mentzel, Briefe, S. 148–149., »müssen Sie freilich mehr Bekanntschaften machen ... Wenn Sie das nicht tun, sich einsam zu Hause hinsetzen, werden Sie mich freilich sehr vermissen. Sie sollen aber in die Salons gehen, mir hübsche Mitteilungen darüber machen, und ich stehe ihnen dafür, Sie werden den Winter angenehm dort zubringen. Es wäre ja eine Schande, wenn Sie in Paris Heimweh nach Frankfurt bekämen! – Doch befürchte ich immer, Sie fallen wieder in die nämliche Einförmigkeit zurück, wie vor mehrern Jahren in Berlin, wo Sie auch aus Trägheit, statt sich in der großen Welt herumzutreiben, ... jeden Abend bei Salings zubrachten. Fassen Sie den edlen Vorsatz, ein homme du monde zu werden!«

Börne selber aber war gar nicht geneigt dieser Aufforderung Folge zu leisten, denn, recht bezeichnend für den ganzen Menschen, schreibt er: »Ich habe bis jetzt noch sehr wenige Bekanntschaften gemacht, und wahrscheinlich werde ich es darin nicht weiter bringen, als das vorige Mal auch. Man mag sich anstellen wie man will, man fällt immer in sein Temperament zurück. Zu Menschenkennerei hatte ich immer die größte Unlust; meine sinnliche und mehr noch meine philosophische Trägheit hält mich davon zurück. Was die einzelnen Menschen der nämlichen Gattung von einander unterscheidet, ist so fein, daß mich die Beobachtung anstrengt; es ist mir, als sollte ich einen kleinen Druck lesen. Und wird man bezahlt für seine Mühe? Selten. Darum halte ich mich lieber an Menschenmassen und an Bücher. Da kann ich fortgehen, die kann ich weglegen, wenn sie mir nicht gefallen oder wenn ich müde bin. In Gesellschaften muß ich hören, was ich nicht Lust habe zu hören, muß sprechen, wenn ich nicht Lust habe zu sprechen, und muß schweigen, wenn ich reden möchte. Sie ist eine wahre Krämerei, die sogenannte gesellschaftliche Unterhaltung. Was man in Centnern eingekauft, setzt man lotweise ab. Wie selten trifft man einen Menschen, mit dem man en gros sprechen kann. Wem, wie mir, seine Meinungen zugleich Gesinnungen sind, wem der Kopf nur die Pairskammer ist, das Herz aber die volkstümlichere Deputiertenkammer, der kann sich nicht in Gesellschaften behaglich fühlen, wo der aristokratische Geist allein Gesetze giebt. Drei, höchstens fünf Freunde, oder dann Markt oder ein Buch – so liebe ich es. Das ist die Philosophie meiner Trägheit« 12. Brief der »Briefe aus Paris«. (Börnes Werke, ed. Klaar, V 44)..

Als dann Frau Wohl verheiratet nach Paris kam, zog Börne zu dem Ehepaar hinaus, in die Vorstadt Auteuil, wo er bis zu seinem 1837 erfolgten Tode, sich immer mehr zurückziehend, lebte. Wohl hatte Kolloff recht, als er im Jahre 1839 in einem Erinnerungsartikel E. Kolloff, Börne in Paris, (Gutzkows Jahrbuch der Literatur, Hamburg, Hoffmann und Campe, 1839, S 143 ff.) über den verstorbenen Freund schrieb: »Börne lebte in Paris von allen Parteien isoliert; als berühmter Schriftsteller hätte er durch einige Geschmeidigkeit und Nachgiebigkeit leicht Ansehen und Einfluß gewinnen können, allein aus unbezwinglicher Abneigung gegen jeden Zwang, oder, wenn man lieber will, aus übermäßiger Liebe zur Freiheit schloß er sich keiner Coterie an und pflog keine Bekanntschaften; mit einem Wort, er war der Pariser Gesellschaft so fremd geblieben als an dem Tage, wo er mit dem Eilwagen in der Hauptstadt ankam.«

Wie ganz anders gestaltet sich das Bild, das wir von Heines Leben in Paris gewinnen!

Wir haben gesehen, wie Heine Deutschland verlassen hatte, wie sehr er zögerte, wie sehr er im Herzen bebte vor einem Bruch mit der Heimat. Noch in den »Geständnissen« schreibt er Heines Werke, ed. Walzel, X 135 ff.: »Es war nicht eitel Lust meines Herzens, daß ich alles verließ, was mir Teures im Vaterland blühte und lächelte – mancher liebte mich dort, z. B. meine Mutter – aber ich ging, ohne zu wissen warum; ich ging, weil ich mußte. Nachher ward mir sehr müde zumute, so lange vor den Julitagen hatte ich das Prophetenamt getrieben, daß das innere Feuer mich schier verzehrt, daß mein Herz in den gewaltigen Worten, die daraus hervorgebrochen, so matt geworden wie der Leib einer Gebärerin –.«

Auch in Paris beschleicht ihn zuweilen jene unbehagliche Stimmung des Sichfremdfühlens: »Sehen Sie, teurer Freund,« so schreibt er später an Lewald, »das ist eben der geheime Fluch des Exils, daß uns nie ganz wohnlich zu Mute wird in der Atmosphäre der Fremde, daß wir mit unserer mitgebrachten, heimischen Denk- und Gefühlsweise immer isoliert stehen unter einem Volke, das ganz anders fühlt und denkt als wir« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 53.. Ganz in Uebereinstimmung mit den von uns bereits zitierten Äußerungen, fühlt er auch hier wieder, daß er sich eigentlich lieber ruhig zurückschleichen möchte in das Land der Poesie, wo er als Knabe so glücklich gelebt Vgl. Geständnisse (Heines Werke ed. Walzel, X 135 ff.), denn schon gleich in einem seiner ersten Briefe aus Paris heißt es: »Ich bin umgeben von preußischen Spionen; obgleich ich mich den politischen Intriguen fernhalte, fürchten sie mich doch am meisten. Freilich, da man mir den Krieg macht, so wissen sie, daß ich losschlage, und zwar nach besten Kräften. Ach, vor sechs Monaten sah ich alles voraus und hätte mich gern in die Poesie zurückgezogen und anderen Leuten das Schlächterhandwerk überlassen – aber es ging nicht, la force des choses, wir werden auf die Spitze getrieben« Brief an Varnhagen vom 27. Juni 1831 (Hirth, II 4)..

Solche Stimmungen sind aber nur sehr vorübergehender Natur, er fühlt sich immer mehr heimisch in Paris, und in dem soeben zitierten Briefe heißt es schon: »Es kann mir hier nicht schlechter gehen, wie in der Heimat, wo ich nichts als Kampf und Nothabe, wo ich nicht sicher schlafen kann, wo man mir alle Lebensquellen vergiftet. Hier freilich ertrinke ich im Strudel der Begebenheiten, der Tageswellen, der brausenden Revolution; – obendrein bestehe ich jetzt ganz aus Phosphor, und während ich in einem wilden Menschenmeere ertrinke, verbrenne ich auch durch meine eigne Natur.«

Einst hatte er daheim gesungen:

»Daß ich bequem verbluten kann,
gebt mir ein edles, weites Feld!
O, laßt mich nicht ersticken hier
in dieser engen Krämerwelt.«

Hier in dieser Metropole, in dieser Hauptstadt der europäischen Revolution, wo man die Weltgeschichte mit eignen Augen betrachten konnte, wo wieder die Marseillaise erklang, die man seit dem achtzehnten Brumaire nicht mehr gehört hatte Louis P. Betz, Heine in Frankreich, Zürich, 1895, S. 11., hier fand er die Weite, die er als jüdischer Künstler und Politiker seiner ganzen geistigen Veranlagung nach brauchte, hier fühlte er sich befreit aus der Enge der deutschen Verhältnisse, aus dem politischen Jammer, aus der geistigen Unfreiheit des vormärzlichen Deutschland, hier gab es doch Parteien und Parlament, gab es ein stark bewegtes politisches Leben. Der Dichter des »Tambour Le Grand«, der Denker mit seinen ausgesprochenen französischen Sympathien, berauscht sich immer mehr an Paris: »Sogar die Schrecknisse, die man im eignen Herzen mitgebracht hat nach Paris, verlieren dort ihre beängstigenden Schauer. Die Schmerzen werden sonderbar gesänftigt. In dieser Luft von Paris heilen alle Wunden viel schneller als irgendanderswo; es ist in dieser Luft etwas so Großmütiges, so Mildreiches, so Liebenswürdiges wie im Volke selbst« Heines Werke ed. Walzel, VI 435..

Die Salons öffnen sich ihm, und es ist eine wenig bekannte Tatsache, daß der abenteuerliche Dr. Koreff, der wegen seiner magnetischen Kuren jahrelang im Mittelpunkt des Interesses der Pariser Gesellschaft stand, ihn in die Salons eingeführt hat Marietta Martin, Le Docteur Koreff, un aventurier intellectuel sous la Restauration et la Monarchie de Juillet, Paris 1925, p. 92 ff.. Ihre Bekanntschaft, die sie früher in Varnhagens Haus gemacht hatten, wurde in der bekannten Buchhandlung Heideloff und Campe, dem Treffpunkt der Mitglieder der deutschen Intelligenz in Paris Vgl. weiter August Lewalds Bericht, zitiert van H. H. Houben, Gespräche mit Heine, Frankfurt a. M., 1926, Nr. 239 und Nr. 229., erneuert. So besuchte Heine bereits im Herbst 1831 die Soireen bei Rothschild und Lafayette. Bald macht er Bekanntschaft mit Alex. Dumas, Mignet und Alfred de Musset; er war vertraut mit den Häuptern der Saint-Simonisten, mit Père Enfantin, Olinde Rodrigues, Charles Duveyrier und Michel Chevalier. Er besuchte ihre Zusammenkünfte in der Rue Taitbout, ohne sich jedoch ihrer Organisation anzuschließen Vgl. Brief an Varnhagen von Ense vom 1. April 1831 (Hirth, I 642)..

In dieser Weise lebte Heine, ganz anders als Börne, das gesellschaftliche und politische Leben der Hauptstadt wirklich mit, und deshalb ist es zu verstehen, wenn Sainte-Beuve im »National« vom 8. August 1833 in einer Besprechung von Heines in gleichem Jahre erschienenem Buch »De la France« von dem Dichter schreiben konnte: »M. Heine n'était pas connu chez nous avant la révolution de juillet, et aujourd'hui il est tout à fait naturalisé; il est des nôtres autant que le spirituel Grimm l'a jamais été.« Betz, S. 151.

* * *

Börne und Heine glaubten beide, als sie Deutschland verließen, daß sie in Paris eine Sendung zu erfüllen hätten, daß sie dazu berufen wären als Kulturvermittler zu wirken. »Rapprocher l'Allemagne de la France, tel est notre but«, so schrieb Börne im Jahre 1836 in seiner in Paris erschienen Zeitschrift »La Balance«, und Heine spricht es noch in seinem letzten Testament vom Januar 1851 aus, daß es die große Aufgabe seines Lebens gewesen sei, »an dem herzlichen Einverständnisse zwischen Deutschland und Frankreich zu arbeiten und die Ränke der Feinde der Demokratie zu vereiteln, welche die internationalen Vorurteile und Animositäten zu ihrem Nutzen ausbeuten« Heines Werke ed. Walzel, X 379.. Kulturvermittelnd wollten sie beide wirken, aber wie verschieden ist ihre Einstellung, ihr Verhältnis zu dem politischen und gesellschaftlichen Leben der Franzosen! Der eine weiß sich in allen Kreisen Verbindungen zu schaffen, wird gefeiert als »le spirituel Allemand«, wird »von den außerordentlichsten Ehrenbezeugungen fast erdrückt« Brief an Maximilian Heine vom 21. April 1834 (Hirth, II 52)., der andere ist ein Einsamer, der eben schon deshalb Welt und Leben wohl anders beurteilen mußte als der Freund, den er bei dessen Ankunft in Paris so freudig als Bundesgenossen begrüßt hatte. Börne und Heine wurden damals von der deutschen Jugend als eine Art »Doppelstern« angesehen, wir aber haben bereits Symptome entdeckt, die auf eine wesentlich verschiedene geistige Einstellung hinweisen. Wird der große Unterschied auch in der Lebensführung der beiden Gesinnungsgenossen das Gegensätzliche nicht immer stärker akzentuieren, wird sich dieses ganz verschiedene Verhältnis zur Umwelt nicht immer deutlicher in ihrem persönlichen Verhältnis reflektieren, bis zuletzt das Bewußtsein der Gegensätzlichkeit zu stark, der Bruch unvermeidlich geworden ist? –

* * *

Wie war eigentlich das persönliche Verhältnis zwischen den beiden, und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt?

Zur Zeit, als Heine noch nicht in Paris wohnte, hatte Börne den Plan gefaßt, gemeinsam mit Heine eine Zeitschrift herauszugeben. Es sollte eine Quartalschrift werden, deren Hauptinhalt »eine wirklich zwischen ihnen unterhaltene Korrespondenz« Gutzkow, Börnes Leben (Ges. Werke, Jena, o. J., XII 357 ff.) bilden sollte. Es wurde nichts daraus, aber es beweist jedenfalls, daß Börne in Heine den Gleichgesinnten, den Waffenbruder, sah, was auch von Gutzkow nachdrücklich bestätigt wird Houben, Gespräche mit Heine, Nr. 231..

Durch Houbens Veröffentlichung, durch die zahlreiche uns bis jetzt unbekannte Quellen erschlossen worden sind, wissen wir, daß Heine, als er Börne in Paris am 26. September 1831 zum ersten Male besuchte, mit ehrfürchtiger Hingebung und Andacht in seine Wohnung trat. Er sei vor dem Hause hin und her gegangen, ehe er sich ein Herz genommen hätte einzutreten.

L. Börne

L. Börne geb. 22 Mai 1786 gest. 12 Febr. 1837

Es scheint aber, daß Börne von vornherein Heine nicht so freundschaftlich gesinnt war, wie man glauben sollte, denn sonst hätte er nach diesem ersten Besuch nicht an Jeanette Wohl schreiben können: »Gestern vormittag kam ein junger Mann zu mir, stürzt freudig herein, lacht, reicht mir beide Hände – ich kenne ihn nicht. Es war Heine, den ich den ganzen Tag im Sinne hatte! Er sollte schon vor acht Tagen von Boulogne zurück sein, aber, ich war dort krank geworden, hatte mich in eine Engländerin verliebt, usw. Man soll sich dem ersten Eindrucke nicht hingeben; aber mit Ihnen brauche ich mich nicht vorzusehen, das bleibt unter uns, und wenn ich meine Meinung ändere, sage ich es Ihnen. Heine gefällt mir nicht. Sollten Sie wohl glauben, daß, als ich eine Viertelstunde mit ihm gesprochen, eine Stimme in meinem Herzen mir zuflüsterte: ›Er ist wie Robert, er hat keine Seele?‹ Und Robert (Robert der Teufel) und Heine, wie weit stehen die auseinander! Ich weiß selbst deutlich, was ich unter Seele verstehe; es ist aber etwas, was oft gewöhnliche Menschen haben und bedeutendere nicht, oft böse und nicht gute, beschränkte und nicht geistreiche Menschen ... Ich und meinesgleichen, wir affektieren oft den Scherz, wenn wir sehr ernst sind; aber Heines Ernst scheint mir immer affektiert. Es ist ihm nichts heilig, an der Wahrheit liebt er nur das Schöne, er hat keinen Glauben« Houben, Gespräche mit Heine, No. 230..

Heine hat diese veränderte Stimmung ihm gegenüber wohl gleich gefühlt, denn er meint, in Börnes Reden habe es keine Spur der früheren Harmlosigkeit mehr gegeben und sein Humor sei mitunter gallenbitter und blutdürstig gewesen Heines Werke, ed. Walzel, VIII 415.. Es war Heine bei diesem ersten Besuch »unheimlich zu Mute« Heines Werke, ed. Walzel, S. 418. geworden.

Mit jedem neuen Brief an Frau Wohl hat Börne neue Fehler und Charakterlosigkeiten Heines zu berichten. Er überbietet sich förmlich darin. Bald findet er ihn herzlos und seine Unterhaltung geistlos, bald spricht er über Heines »elende Feigheit, unter der sich noch etwas Schlimmeres, eine niederträchtige Gesinnung verstecke« Houben, Gespräche mit Heine, No. 234 u. No. 253..

Dann wieder hat ihm ein Deutscher gesagt, daß er der einzige politische Schriftsteller in Deutschland sei. Heine aber sei nur ein Dichter, und dies habe ihn (Börne) auf den Gedanken gebracht, daß Heine sich darum nicht mit ihm zu einem Journal verbinden wollte, weil er fürchtete in seiner Nähe nicht genug glänzen zu können Houben, Gespräche mit Heine, No. 232.. Ein anderes Mal, nach einem erneuten Besuch Heines, berichtet er, daß sich sein erster Eindruck nur verstärke, er finde Heine herzlos und seine Unterhaltung geistlos, er spreche kein vernünftiges Wort Houben, Gespräche mit Heine No. 234..

Zwar bittet Börne an anderer Stelle Houben, Gespräche mit Heine No. 237. Jeanette Wohl ausdrücklich, sie solle nicht denken, es mache ihm Vergnügen, Böses von Heine zu reden, er interessiere ihn bloß als Schriftsteller und darum auch als Mensch, Houben, Gespräche mit Heine No. 237. aber wir sind nach der unerquicklichen Lektüre der vielen privaten Äußerungen Börnes über Heine keineswegs geneigt dieser Versicherung Glauben zu schenken. Wenn wir lesen, daß er »alles sammelt«, was er von andern über ihn hört und was er selbst beobachtet, wenn wir vernehmen, daß »der arme Heine chemisch von ihm zerfetzt wird« und daß dieser »gar keine Ahnung davon hat«, daß er, Börne, »im geheim beständig Experimente mit ihm macht«, Houben, Gespräche mit Heine No. 245. so können wir nicht glauben, daß die edelsten Beweggründe ihn zu dieser Sammelwut treiben. Es ist uns vielmehr, als ob Börne, der ehemalige Polizeiaktuar, sein früheres Handwerk wieder aufgenommen habe.

Die Rivalität machte sich immer deutlicher bemerkbar. Als Heine ihn am 15. Dezember 1831 wieder einmal besuchte und bei dieser Gelegenheit Börnes Pariser Briefe, die er eben gelesen hatte, lobte, heißt es Houben, Gespräche mit Heine No. 248.: »Er gefällt mir alle Tage weniger, ob er mich zwar sehr hoch stellt und sein Urteil, als das eines Kenners, mir sehr schmeichelhaft sein muß. Er ist ein Lümpchen, hat keine und hält auf keine Ehre. Die Partei der Liberalen ist aber noch so schwach in Deutschland, daß nur die strengste Rechtlichkeit ihr Gewicht geben kann. Wie alle furchtsamen Menschen, hat auch Heine ein Grauen vor dem Volke, und er kann sich gar nicht darein finden, wie ich dem Pöbel so zugetan sein, ihn so warm verteidigen mag. Ich habe ihm erst heute gesagt: ›Laßt uns unsern künftigen Herrn ehren!‹

Gutzkow deutet, ebenso wie Börne in seinem Brief an Jeanette Wohl vom 15. Dezember 1831 darauf hin Houben, Gespräche mit Heine No. 257., daß der große Erfolg, den Börnes Pariser Briefe hatten, Heines Eifersucht wahrscheinlich erregt habe. Wie dem auch sei, der Gegensatz, dessen sie sich beide allmählich nur zu deutlich bewußt geworden waren, wurde noch bedeutend verschärft durch Heines Haltung in der Frage der deutschen Flüchtlinge in Paris.

Im Jahre 1832 hatte Johann Georg August Wirth mit Hilfe anderer süddeutscher Liberalen den Preß- und Vaterlandsverein gegründet. Aus der in Paris bestehenden Abteilung des Preßvereins Vgl. Börnes Briefe aus Paris Nr. 77. (Börnes Werke, ed. Klaar VI 109.) war ein »deutscher Volksverein« und aus diesem im Jahre 1834 ein geheimer »Bund der Geächteten« entstanden Stern, Geschichte Europas von 1830–1848, IV, 414; Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, I 97 ff.; Heinrich Schmidt, Ein Beitrag zur Geschichte des Bundes der »Geächteten« Die Neue Zeit, 1898, XVI, 150–155).. Die Mehrheit der Mitglieder bestand aus deutschen Handwerkern. Obwohl Börne gesundheitshalber oft verhindert war, besuchte er regelmäßig die Zusammenkünfte. Heine erzählt, er habe Börne einmal in einer solchen Volksversammlung in der Passage du Saumon reden hören. »Denkt euch meinen Schreck, als ich der erwähnten Volksversammlung beiwohnte, fand ich sämtliche Vaterlandsretter mit Tabakspfeifen im Maule, und der ganze Saal war so erfüllt von schlechtem Knasterqualm, daß es mir gleich auf die Brust schlug, und es mir platterdings unmöglich gewesen wäre ein Wort zu reden ... Ich kann den Tabaksqualm nicht vertragen, und ich merkte, daß in einer deutschen Revolution die Rolle eines Großsprechers in der Weise Börnes und Konsorten nicht für mich paßte« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 432 ff..

Börne behauptete, daß Heine Mitglied des Preßvereins geworden sei, obgleich er das Treiben der Deutschen verspottete, nur aus Furcht, er könne sonst von den deutschen Patrioten Prügel bekommen Houben, Gespräche mit Heine, No. 218..

Heine hat aber in der Zwischennote zu seinem Bericht vom 1. Oktober 1832 ausdrücklich erklärt, daß er nie Mitglied der deutschen Association gewesen sei. Heines Werke, ed. Walzel, VI 250. »Die deutschen Verbannten hält er sich ziemlich vom Leibe, was ihm nicht eben, bei der Petulanz und Dummheit gar vieler unter denselben, zu verdenken ist, auf der anderen Seite erzeigt er ihnen jedoch viel Gutes und zwar auf die rechte Weise, indem die Linke nicht erfährt, was die Rechte tut,« berichtet O. L. B. Wolff über Heine Houben, Gespräche mit Heine, No. 282..

Börne und Heine, sagt Gutzkow, aßen oft zusammen an einem Orte, wo viele deutsche Handwerker verkehrten. »Zwischen der Suppe und dem Rindfleisch kam regelmäßig eine schmutzige Subskriptionsliste den Tisch herunter.« Ebenda No. 257. »Eines Tages«, erzählt Eduard Beurmann, »ging man sogar so weit, ihn zur Unterzeichnung einer Protestation gegen den Papst aufzufordern, die von achtundvierzig Handwerkern und Börne unterzeichnet worden war. Heine half sich damit, daß er erklärte, es läge ihm fern, nun auch noch diesen guten Mann zu beunruhigen. Was ihn der Papst anginge!« Ebenda No. 310.

Daß Heine und Börne sich wegen solcher Vorfälle entzweiten, so daß der stille Gegensatz sich in einen lauten verwandelte, geht deutlich hervor aus den literarischen Geheimberichten. In einem Berichte Rumpffs, des Ministerresidenten der vier freien Städte Deutschlands, heißt es: »Herr Heine, der ungemein geistreich ist, schreibt jetzt ein politisches Opus, was an Schärfe all seine früheren Werke übertreffen soll. Er findet, sowie alle hiesigen politischen Schriftsteller der Art, bei den deutschen Buchhändlern Heideloff und Campe einen willigen Verlag, Verbreitung und Vorschuß an barem Geld, woran es dem Herrn Heine, der viel vertut, oft fehlt. Ich sollte glauben, daß eine Regierung, die etwas daran wenden wollte, sich leicht der gewandten und geistvollen Feder des Herrn Heine versichern könnte. Mit seinem geistreichen Confrater Börne lebt er auch immer in Fehde und letzterer sucht ihn jetzt als eine sehr unzuverlässige Stütze der sogenannten patriotischen Partei darzustellen.« Bericht vom 28. Januar 1831 (Stadt-Archiv Frankfurt a. M., mitgeteilt von Prof. Dr. Alfred Stern in der Frankfurter Zeitung, 50. Jhrg., No. 344).

Rumpff steht nicht allein mit seinem ungünstigen Urteil über Heines Charakter. Es läßt sich nicht leugnen, daß die abfällige Beurteilung Heines seitens Börne sich deckt mit der Charakteristik, die viele Geheimagenten Metternichs über Heine einsenden. So heißt es u. a.: »Heine ist das Gegenteil von Börne. Leichtsinnig, geschwätzig, in der Unterhaltung ohne Geist, möchte man ihn leicht für einen geistreichen Parvenu halten, der Talent und Genie geerbt, ohne zu wissen, was er damit anfangen solle. Vor allen Dingen ist Heine ohne Charakter und ohne Tatkraft ... Der Liberalismus war ihm nur ein Relief für sein Talent, er kokettierte mit ihm wie mit Napoleon, Grundsätze hatte er nie gehabt.« Bericht (von Beurmann?) vom Januar 1837 (Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 96, Vgl. auch S. 90, ebenda.)

Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit wieder auf Heines Verhältnis zu Börne, so lesen wir in einem an die österreichische Regierung gerichteten Geheimbericht des Polizeibeamten Karl Noé Karl Noé (Deckname Nordberg) war der Leiter des kurz nach dem Frankfurter Putsch auf Antreiben Metternichs in Mainz gegründeten Zentral-Informationsbureaus. (Vgl. weiter: Glossy: Literarische Geheimberichte, CXXII ff.) vom 16. Januar 1836: »Die deutschen Republikaner gehen regelmäßig seit Wochen zu Börne; der bekannte Hübotter erscheint dort auch, Harro Harring fortwährend, ebenso der Straßburger Refugierte Hundt Radowsky, eine alte Ruine der ehemaligen Altdeutschen, in Deutschland als radikaler Schriftsteller bekannt, jetzt aber in viehischer Trunkenheit demoralisiert. Heine hat mit allen diesen Menschen nichts gemein und hält sich ganz zu den französischen Tagesliteratoren, macht diesen den Hof und nennt Börne und seine Gefährten: ›Falstaff und seine Bande.‹ Houben, Gespräche mit Heine, No. 2292.

Heine beklagt sich wiederholt über die deutschen Flüchtlinge in Paris, von denen er zu Grillparzer mit Verachtung sprach. Bieber, Heines Gespräche, Berlin, 1926, S. 159. »Germania, die alte Bärin, hat alle ihre Flöhe auf Paris ausgeschüttet und ich Ärmster werde davon am unaufhörlichsten zernagt«, schreibt er an Meyerbeer Brief vom 6. April 1835 (Hirth, II, 63).. «Poignées de main« hat er »den schmutzigen Gesellen nie geben können« Brief an Laube vom 27. September 1835 (Hirth II, 83). und er erklärt nachdrücklich, daß er sich so weit wie möglich von diesen Kreisen entfernt halte, wo Börne gegen ihn hetze, denn »was in seinen Schriften nur halbwegs angedeutet wurde, fand im mündlichen Vortrag die grellste Ergänzung und der argwöhnische Kleingeist, der ihn bemeisterte, und eine gewisse infame Tugend, die für die heilige Sache sogar die Lüge nicht verschmäht, kurz Beschränktheit und Selbsttäuschung trieben den Mann bis in die Moräste der Verleumdung« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 456..

So hatte der Verkehr zwischen Börne und Heine aufgehört. »Mit Groll über Heine war Börne gestorben«, sagt LaubeHugo Bieber, Heines Gespräche, S. 169..

Die Gegensätzlichkeit ihrer Naturen, die vor der Uebersiedlung nach Paris ihnen selber wohl noch verborgen war, ist ihnen durch das Leben in Paris zum Bewußtsein gekommen. Die äußern Verhältnisse haben dazu beigetragen, daß die Gegensätze sich bis zur Gegnerschaft verschärft haben. Die beiden Publizisten, in denen, wie wir es geschildert haben, die deutsche Jugend, als sie das Vaterland verließen, eine Art Doppelstern erblickte, die auch von späteren Generationen vielfach als Dioskuren betrachtet wurden, sollten in Paris als »verlorne Posten in dem Freiheitskriege« ihre Sendung erfüllen, aber ein jeder für sich kämpfend, und manchmal die Waffen auf den andern richtend.


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