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I. Deutschland während der Restauration

Wer die verwandten und gegensätzlichen Tendenzen in der politischen Publizistik Börnes und Heines im dritten Dezennium des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand seiner Untersuchung machen möchte, der wird erst dann an sein eigentliches Thema herantreten können, wenn er die Frage beantwortet hat, welche die Voraussetzungen für die politisch-literarische Tätigkeit Börnes und Heines gewesen sind, das heißt also, welche Elemente des politischen öffentlichen Lebens in Deutschland von 1816–1830 für die Folgezeit von entscheidender Bedeutung gewesen sind. Eine Beantwortung dieser Frage wäre an und für sich schon notwendig, um uns die Wirkung der Julirevolution auf die Generation von 1830 im allgemeinen und auf Börne und Heine insbesondere verständlich zu machen, sie wird es aber erst recht, wenn man sich nicht darauf beschränken will, die politische Tätigkeit Börnes und Heines, ihre persönlichen Erfolge und Enttäuschungen, ihre Eintracht und Zwietracht zu schildern, sondern wenn man auch versuchen möchte den Platz zu bestimmen, den ein jeder von ihnen in der Geschichte des politischen Denkens des deutschen Volkes einnimmt.

Es dürfte sich dabei herausstellen, daß, ebenso wie die politischen Lyriker von 1840–1848 nur zu verstehen sind als die Radikalisierung des als zu belletristisch empfundenen »Jungen Deutschland«, sich auch die Epoche von 1830–1840, die Zeit der vormärzlichen Publizisten, begrifflich nur erfassen läßt aus der Tatsache, daß sie noch fast ganz in dem ideologischen Bann des vorangegangenen Zeitalters befangen liegt. Es sei uns daher gestattet, der Behandlung unseres eigentlichen Themas in orientierendem Sinne einen Ueberblick über die Entwicklung des politischen Lebens in Deutschland während der Restauration voranzuschicken.

* * *

»Lassen Sie uns gemeinschaftlich die Morgenröte einer schönern Zeit begrüßen, worin der bisher nach außen gerissene Geist in sich zurückkehren und zu sich selbst zu kommen vermag, und für sein eigentümliches Reich Raum und Boden gewinnen kann, wo die Gemüter über die Interessen des Tages sich erheben und für das Wahre, Ewige und Göttliche empfänglich sind, empfänglich, das Höchste zu betrachten und zu erfassen« Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, herausgegeben von Michelet, Berlin, 1833, I 5..

Es ist kein Geringerer als Hegel, der sich am 28. Oktober 1816 bei der Eröffnung seiner Vorlesungen in Heidelberg mit diesen Worten an die deutsche Jugend wandte, an jene Jugend, die, noch mächtig ergriffen von dem gewaltigen Erlebnis der Freiheitskriege, erst seit kurzem in die Hörsäle zurückgekehrt war.

In ähnlicher Weise hatte einst, nachdem die Stürme der französischen Revolution über Europa gebraust waren, Schiller die Flucht aus der Wirklichkeit in das Reich des schönen Scheins gepredigt, als er in seiner Einleitung zu den »Horen« den Zeitgenossen zurief: »Je mehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüter in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfnis, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freiheit zu setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen«.

Hier wie dort die bewußte Abwendung von der Wirklichkeit, wie sie überhaupt für die idealistische Geisteskultur der klassisch-romantischen Epoche bezeichnend ist, hier wie dort die Antithese zwischen der Realität und der Idee, zwischen dem absolutistisch-feudalen Staat und dem ästhetisch-philosophischen Staat. Aber obgleich gerade dieser Widerspruch das geistige Leben der Folgezeit noch auf Jahrzehnte hinaus kennzeichnen sollte, so ist die Jugend von 1815 zu stark unter dem Eindruck der großen Wirklichkeit, die sie auf den Schlachtfeldern von Leipzig und Waterloo erlebt hatte, als daß sie geneigt gewesen wäre auf die politischen Ideale zu verzichten, die gerade aus jener Wirklichkeit aufgeblüht waren.

Diese Jugend, die aufgewachsen war in den Tagen der Fremdherrschaft, kannte nicht den Indifferentismus einer ältern Generation in bezug auf das öffentliche Leben und seine Probleme. Die Sehnsucht nach politischer Freiheit war in ihr erwacht, wenn auch dieses Freiheitsbedürfnis sich zunächst nur in ihrem Haß gegen Napoleon aussprach, der für die Freiheitskämpfer zum Symbol der Unfreiheit geworden war.

Man hatte sich daher mit ungestümer Begeisterung an den Freiheitskriegen beteiligt, wodurch als erstes Ziel die Befreiung von der Fremdherrschaft erstrebt wurde, als ferneres aber die Begründung der deutschen Einheit erschien, da königliche Versprechungen auch die Hoffnung erweckt hatten, daß durch die Gewährung einer Verfassung, die »aus dem ureigensten Geiste des deutschen Volkes heraustreten sollte«, das politische Leben sich in freiheitlichem Sinne werde entwickeln können.

Als aber der Sieg über Napoleon erkämpft worden war, zeigte es sich immer deutlicher, daß die positiven Resultate der sogenannten Freiheitskriege jede Aussicht auf eine Verwirklichung der von der Jugend zwar noch unklar empfundenen, aber desto leidenschaftlicher gehegten Ideale von deutscher Einheit und Freiheit unmöglich machten.

Auf dem Wiener Kongreß wird das »ancien régime« wieder neu befestigt, indem die Staatsgewalt den erblich berechtigten, absoluten Fürsten zurückgegeben wurde, die bald wieder überall herrschen ohne Verfassung, ohne jede wirkliche Repräsentativversammlung.

Die Prinzipien der Diplomatie des 18. Jahrhunderts sollten nach wie vor die europäische und nationale Politik bestimmen, das heißt: die Gebietsverteilungen wurden vorgenommen, ohne die Einwohner der betreffenden Länder zu befragen, ohne ihre nationalen Wünsche oder ihre wirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen. Die Diplomaten regieren als die Repräsentanten der Fürstenhäuser, nicht der Völker.

Am 8. Juni 1815 erklärten auf Veranlassung von Österreich und Preußen die souveränen deutschen Fürsten und Städte ihren Zusammentritt zu einem ewigen Bund, welcher »Teutscher Bund« heißen sollte. Nicht der deutsche Einheitsstaat kam zu stande, wie ihn die Freiheitskämpfer sich an ihren Lagerfeuern erträumt hatten, sondern es wurde ein Staatenbund von 39 souveränen Staaten geschaffen. Noch viele Jahre später richtet Heine sein »J'accuse« gegen die Fürsten, welche die Bundesakte schufen: »Ich erhebe gegen die Verfertiger dieser Urkunde meine Anklage und klage sie an des gemißbrauchten Volksvertrauens, ich klage sie an der beleidigten Volksmajestät, ich klage sie an des Hochverrats am deutschen Volke, Vorrede zu den »Französischen Zuständen« (Heines Werke, ed. Walzel VI 91). ich klage sie an!«

Der Bund hatte nur ein Organ, den Bundestag in Frankfurt am Main, die unter dem Vorsitz des österreichischen Delegierten ständig tagende Konferenz der Bevollmächtigten aller Regierungen. Daß dieser ganze Organismus nichts anderes war, als eine schwerfällig gehende Maschine in den Händen der absolutistischen Fürsten, geht am besten daraus hervor, daß nach der Bundesakte für das Zustandekommen eines Gesetzes eine vollkommene Stimmeneinheit, verlangt wurde. Durch die geforderte Einhelligkeit war es von vornherein ausgeschlossen, daß der Bundestag je zu einem wirklichen Vertretungskörper der verschiedenen Bevölkerungsschichten ausgebaut werden könnte. In einem Zeitalter, wo der Parlamentarismus in England und Frankreich im Bewußtsein der Massen schon zu einer notwendigen Lebensbedingung des Staates geworden war, sollte das deutsche Volk noch auf Jahrzehnte hinaus seinen ganzen politischen Jammer gleichsam in diesem absolutistischen Apparat verkörpert finden.

Die auswärtige Politik des »Deutschen Bundes« lag in der Hand der »Heiligen Allianz«, wozu sich im September 1815 auf Veranlassung des Zaren die Monarchen von Oesterreich und Preußen mit ihm vereinigten, und der später fast alle christlichen Staaten Europas außer England und dem Papst beitraten. Die Mitglieder der Heiligen Allianz verpflichteten sich im Interesse der allgemeinen Ruhe Europas zusammenzustehen für den Fall, daß die revolutionären Prinzipien noch einmal die Ruhe in Europa bedrohen sollten.

Die legitimen Monarchen sollten im Bunde mit der Kirche die Welt im Geiste eines patriarchalischen Christentums regieren. Die Mystik dieser politischen Romantik sollte die Freiheitskämpfer trösten, die in der Blüte der Jugend zu den Fahnen geströmt waren um sich die Wiedergeburt Deutschlands im Sinne des alten Imperiums deutscher Nation zu erkämpfen. »Das ganze Deutschland soll es sein«, sang Arndt, aber der alte, kleinstaatliche Jammer war wieder aufgelebt, und aus dem Kriege um Freiheit und Einheit war schließlich ein Krieg geworden um die Wiederherstellung der alten feudalen Mächte, die sich jetzt in der »Heiligen Allianz« und in dem »Hohen Bundestag« ihre Organisationen geschaffen hatten um auf jedem Gebiete die Anfänge der modernen bürgerlichen Gesellschaft unterdrücken zu können.

Die Träume der Freiheitskämpfer zerprallten an der harten Wirklichkeit des absolutistisch-feudalen Staates.

Und wenn jetzt, wenige Tage nach der dritten Wiederkehr des Namenstages der Völkerschlacht bei Leipzig, Hegel in der von uns im Eingang zitierten Ansprache die jungen Vertreter der deutschen Intelligenz auffordert sich nicht länger mit der Sache der politischen Freiheit oder Unfreiheit zu beschäftigen, sich vielmehr von der Wirklichkeit abzuwenden um die wahre Befreiung im Reiche des Geistes zu erleben, dann spricht er gewiß nicht aus, was jene deutsche Jugend empfand, die auch »eine Morgenröte begrüßt« hatte, aber eine ganz andere als die, auf welche Hegel sie hinwies.

Nicht Hegel, sondern Uhland hat in jenen Tagen ausgesprochen, was da lebte in den Herzen der Jugend, die ihre Illusionen zerstört, ihre Hoffnungen vernichtet sah. Uhland, der am 18. Oktober 1816 den deutschen Fürsten und ihren Räten zurief:

»Wenn heut' ein Geist herniederstiege,
Zugleich ein Sänger und ein Held,
Ein solcher, der im heil'gen Kriege
Gefallen auf dem Siegesfeld,
Der sänge wohl auf deutscher Erde
Ein scharfes Lied, wie Schwertesstreich,
Nicht so, wie ich es künden werde,
Nein, himmelskräftig, donnergleich,«

machte sich damit zum Sprachrohr des deutschen Volkes, das, um die Früchte seiner Siege betrogen, die trübe Wirklichkeit nur zu schmerzlich empfand.

Es stand dem Volke aber noch Schlimmeres bevor. Das »ancien régime« erlebte seine fröhliche Auferstehung. Dank der Hilfe der englischen Tories und des russischen Zaren hatte der Feudalismus gesiegt. Noch einmal ging er einer Periode erneuter Kraftentfaltung entgegen. Auf die Wiederherstellung und Befestigung der alten Machtverhältnisse, insoweit diese von der französischen Revolution und Napoleon erschüttert worden waren, wurde allenthalben hingearbeitet, man darf sagen: die Restauration wurde systematisch ausgebaut.

In dem Weltbild vor 1789 erblickten Männer wie Metternich und Gentz ihr sozialpolitisches Ideal, das zu verwirklichen sie als ihre Aufgabe betrachteten.

Es ist das Bezeichnende einer jeden Reaktionsepoche, daß die Machthaber dem neuen Lebensgefühl, das sich durchzusetzen versucht, verständnislos und feindselig gegenüber stehen, es liegt aber zugleich in diesem Zurückgreifen auf alte untergegangene Lebensformen ein utopistisches Element. Wir glauben, daß die Verfechter der Reaktion als nach rückwärts gerichtete Utopisten zu betrachten sind, indem sie ihr Ideal in die Vergangenheit projizieren und den naiven Glauben hegen, eine vorübergegangene historische Phase ließe sich noch einmal erleben. Solche nach rückwärts gerichtete Utopisten waren im vormärzlichen Deutschland nicht nur die Machthaber, sondern auch die vielen Freiheitskämpfer, die in romantischer Verherrlichung des mittelalterlichen Imperiums deutscher Nation sich nur zu gern hineinträumten in jene Glanzzeit deutschen Wesens, und die sich eben deshalb kein anderes Staatengebilde zu denken vermochten, als das wiedererrichtete alte Kaiserreich.

Aber kein Barbarossa sollte dem Kyffhäuser entsteigen. Es bestand nicht die geringste Aussicht darauf, daß die Blütenträume der Befreiungszeit ihre Verwirklichung finden würden.

Zwar hatte der absolutistische Fürstenstaat in der Not die Romantik zu Hilfe gerufen, aber der Kaiser von Oesterreich dachte jetzt nicht im entferntesten an die Gründung eines deutschen Kaiserreiches, in dem der König von Preußen ebenso mächtig gewesen wäre wie er selbst. Er hielt es für vorteilhafter auf diplomatischem Wege die Entwicklung des politischen Lebens in den deutschen Staaten in reaktionärem Sinne zu beeinflussen. Auf der anderen Seite verspürten auch die deutschen Fürsten nicht die geringste Lust sich einer Zentralgewalt zu unterwerfen, so daß nicht einmal von der Gründung eines Föderativstaates die Rede sein konnte.

* * *

So schien es, als ob für Deutschland und Oesterreich das Prinzip des aufgeklärten Despotismus: »Alles für das Volk, nichts durch das Volk«, wiederum seine unbedingte Gültigkeit erlangt hätte. Und dennoch hatte auch hier die Gegenbewegung bereits eingesetzt. Auch in Deutschland hatte man den Wellenschlag der großen welterschütternden Ereignisse verspürt. Der Geist der Kritik war wach geworden, die alten Werte wurden bald angezweifelt, dann angegriffen.

Die großen Umwälzungen, die in Europa in den Jahren 1787-1815 stattgefunden, hatten die geistige Einstellung des deutschen Bürgertums stark beeinflußt: die französische Revolution und die Befreiungskriege sind die beiden Momente, die der Opposition während der Restaurationsepoche ihr Gepräge verleihen.

Gewiß war aus den Befreiungskriegen die vertiefte Anschauung von dem kulturellen und historischen Zusammenhang des deutschen Volkes hervorgegangen, eine Erkenntnis, die in der Idee der deutschen Einheit zum Ausdruck kam. Die Gebietsverteilungen in Wien, die ohne jede Berücksichtigung der nationalen Wünsche vorgenommen worden waren, stärkten gleichfalls dieses so mächtig erwachte Nationalbewußtsein. So erhielt die Opposition in den ersten Jahren nach den Befreiungskriegen ein stark romantisch-nationales Gepräge. Sie enthält aber noch ein anderes Element, und zwar die Idee, welche sich in den oppositionellen Bestrebungen der Jahre 1830-1848 immer lebhafter geltend gemacht hat: die Idee der Freiheit im Sinne der französischen Revolution von 1789. Gewiß war die Jugend von 1815 nichts weniger als revolutionär, dazu lebte in ihr noch zu sehr die Ehrfurcht des Menschen aus dem 18, Jahrhundert vor der Autorität auf jedem Lebensgebiet, aber dennoch hatte vom Jahre 1789 an der großartige Emanzipationskampf des französischen Bürgertums auch auf die bedeutendsten Geister in Deutschland einen mächtigen Eindruck gemacht. Wir denken dabei nicht so sehr an die anfängliche Begeisterung für die französische Revolution bei Männern wie Wieland, Schiller, Knebel und anderen, als vielmehr an den bleibenden Einfluß, den die Postulierung eines antifeudalen Prinzips auf die Geister ausüben mußte, indem der Einzelne dadurch angeregt wurde an der bestehenden politischen und sozialen Ordnung Kritik zu üben.

Hatte das englische Bürgertum im 17. Jahrhundert, das französische im 18. Jahrhundert seine politische Freiheit erkämpft, so durfte das deutsche Bürgertum in dieser Zeit die Freiheit nur in den gedanklichen Konstruktionen seiner Philosophie und Dichtung erleben. Jetzt aber begnügte man sich auch in Deutschland nicht mehr damit, diese Freiheit nur in der Idee zu genießen: die ersten Anzeichen sind da, daß auch das deutsche Bürgertum den Kampf für seine politische Befreiung kämpfen wird.

Zwar beschränken sich die direkten Wirkungen der französischen Revolution in Deutschland zunächst eigentlich nur auf die gesetzlichen Bestimmungen Napoleons, welche nach 1815 sobald wie möglich wieder abgeschafft wurden, was speziell Börne und Heine in ihrem persönlichen Leben schmerzlich erfahren haben, aber es wurde dennoch vor und nach der französischen Revolution in Deutschland in breiten Kreisen anders gedacht und gefühlt. Dem deutschen Bürgertum war ein politisches Ideal vorgezaubert, wenn es auch sehr unklar erfaßt wurde.

Das klassische Humanitätsideal war immer nur geistiges Eigentum einer Schar von Auserlesenen gewesen, es war kritisch für die feudale Welt ohne Bedeutung geblieben. Die Ideen der französischen Revolution haben aber auf die breite Masse des deutschen Bürgertums, und namentlich in den Rheinlanden, aus denen auch Börne und Heine stammten, im Sinne einer politischen Aufklärung geistig befreiend gewirkt, wie vor allem die politische Schriftstellerei des Coblenzer Görres und die dadurch erregte Stimmung zeigt. Obwohl die eigentliche Wirkung der französischen Revolution in Europa wohl in dem Emporstieg des Bürgertums als einer politischen und gesellschaftlichen Macht besteht, so beschränkte sich für Deutschland diese Wirkung in den Jahren 1815-1848 zunächst darauf, daß eine neue Sehnsucht erwacht war, eine Sehnsucht nach der Gründung eines liberalen Staates, in dem die Wertbestimmung des Menschen nicht länger von seiner sozialen Stellung abhängig sein sollte. Im Geiste sieht man bereits die Kastenverhältnisse beseitigt, die sozialen und nationalen Schranken durchbrochen. Das damals revolutionäre Prinzip der freien Konkurrenz wird zum Schibboleth nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des persönlichen Lebens.

In dem Sinne hat man mit Recht die französische Revolution eine kritische Arbeit genannt, sie war es auch für das Bürgertum im vormärzlichen Deutschland, weil der einzelne aus dem sozialen und politischen Indifferentismus aufgerüttelt und der Bann der feudalen Anschauungen gebrochen wurde. Nicht als ob er sich nun angeschickt hätte mit der gleichen Leidenschaft wie das französische Bürgertum die Bastillen seiner eigenen Unterdrückung herunterzureißen, aber zu der Idee der deutschen Einheit traten die Ideen der Freiheit, und es entsteht etwas, was bis dahin in dem unpolitischen Deutschland unbekannt gewesen war: eine öffentliche Meinung. Es bildet sich der Resonanzboden für die politische Publizistik eines Börne und Heine.

Das deutsche Bürgertum hatte, wenn auch zunächst ganz unklar über die Ziele und Aufgaben des Kampfes, seinen Emanzipationskampf angefangen. Es bleibt seine Tragik, daß es diesen Kampf anfing mit den sogenannten Freiheitskriegen, in denen es auf der Seite der alten feudalen Mächte gegen seine geistigen Befreier kämpfte. Bald aber sollte die Zeit kommen, in der man nicht mehr mit Haß, sondern mit Bewunderung die Blicke nach Frankreich richtete, der Morgen sollte dämmern, an dem man gerade aus Frankreich, aus Paris, die Nachricht seiner eigenen, nahen Befreiung zu vernehmen glaubte.

Wohl selten oder nie hat ein Volk aus so geringer Schulung heraus den Kampf um seine politische Befreiung angefangen, wie das deutsche Volk in den Jahren 1815-1830. In einer Zeit, wo das englische und französische Bürgertum längst an dem Ausbau des modernen kapitalistischen Staates arbeitete, herrscht in Deutschland im oppositionellen Lager noch völlige Unklarheit über den einzuschlagenden Weg. Man verlegt sein politisches Ideal in das romantisch geschaute Mittelalter, man schwärmt mit Uhland für »das gute alte Recht«, aber daneben ist doch auch, indem man wieder anknüpfte an die Ideen der französischen Revolution, die Sehnsucht nach einem liberalen Regiment erwacht.

Im Anfang der Bewegung lassen die oppositionellen Bestrebungen sich nicht auf eine bestimmte Formel bringen, die Vertreter der »Opposition« holen die geistigen Waffen keineswegs aus derselben Rüstkammer: mit anderen Worten, ihre Weltanschauung, ihre politische Einstellung ist so verschieden, daß sie, wie Heine dies ausdrückt, zwar eine Zeit lang »in demselben Lagerzelt schliefen«, auf die Dauer aber zwangsläufig in einander feindlich gesinnte Lager gelangen mußten. Einstweilen bildete die Burschenschaft, wie sie 1815 in Jena begründet wurde, die enthusiastische Verbindung all der oben erwähnten Oppositionselemente, der romantischen wie der modern-liberalen, wodurch es möglich war, daß sogar Männer wie Heine und Menzel längere Zeit als Gleichgesinnte lebten, daß Börne sich, ebenso wie Laube, Gutzkow, Wienbarg, für die burschenschaftlichen Ideale begeisterte und mit Görres, Welcker und Arndt in regelmäßigem Verkehr stand.

Einst hatte die Jugend von 1770, die Stürmer und Dränger, sich aus der ärmlichen Wirklichkeit auf die Bretter geflüchtet, die ihnen die Welt bedeuten sollten, jetzt machte die Jugend von 1815, der jede Betätigung im wirklichen Leben unmöglich gemacht wurde, die Burschenschaft zum Schauplatz ihrer politischen Tätigkeit, denn nur dort konnte sie in ihrer romantisch zugestutzten Deutschtümelei schwelgen, nur dort durfte sie sich an der Kühnheit ihrer politischen Abstraktionen begeistern.

Wie unklar und verworren diese Jugendbewegung auch sein mochte, so war sie in den Augen Metternichs immer noch gefährlich genug. Es sollte sich denn auch bald zeigen, mit welchem Haß diese romantischen Verkünder der deutsch-völkischen Sehnsucht und ihre schwarz-rot-goldnen Farben verfolgt wurden.

Als die Jugend beim Wartburgfest vom 18. Oktober 1817 in überschwenglicher Stimmung die Symbole der alten Zeit verbrannte, bot dieser Vorgang den Regierungen den längst erwünschten Anlaß energisch gegen die Burschenschaften vorzugehen.

Kriminaluntersuchungen wurden eingeleitet, die Zensur wurde im ganzen Lande eingeführt, denn, so schrieb Friedrich von Gentz, die rechte Hand Metternichs, am 28. August 1818 aus Karlsbad: »Wir sind völlig überzeugt, daß unter allen Uebeln, die heute Deutschland verheeren, selbst die Lizenz der Presse nicht ausgenommen, dieser Burschenunfug das größte, dringendste und drohendste ist« Vgl. Paul Joachimsen, Die nationale Bewegung von 1815-1849, Teubner o. J., S. 13..

Wo der Druck von oben zu stark ist, entsteht eine Explosionsgefahr, und werden Exzesse unvermeidlich: Am 23. März 1819 wird Kotzebue, der Berater des Zaren, durch den jungen Karl Ludwig Sand erdolcht.

Auf Metternichs Veranlassung begann nun allenthalben die Verfolgung der »Demagogen«. Verhaftungen und Haussuchungen waren an der Tagesordnung.

Metternich wußte die Regierungen zu einer gemeinschaftlichen Aktion gegen die »Demagogen« zu veranlassen. Die Judenverfolgungen im Sommer 1819, wobei der Pöbel allerlei Exzesse verübte, boten einen willkommnen Anlaß diese »revolutionären Umtriebe« aufs kräftigste zu bekämpfen.

Durch die Karlsbader Beschlüsse vom August 1819, die auf die Entwicklung des politischen Lebens im Vormärz einen so verhängnisvollen Einfluß ausüben sollten, wurden zunächst die Universitäten, jene »Giftquelle der Freiheit«, wie der preußische Gesandte Bernstorff sie nannte, unter Kuratel gestellt. In Mainz wurde eine »Zentraluntersuchungskommission« gegen revolutionäre Umtriebe und demagogische Verbindungen eingesetzt. In Bezug auf die Presse wurde das Gesetz erlassen, das durch die Einführung der Vorzensur den Charakter der vormärzlichen Publizistik wesentlich bestimmen sollte: »Solange als der gegenwärtige Beschluß in Kraft bleiben wird, dürfen Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, desgleichen solche, die nicht über zwanzig Bogen im Drucke stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden« Gustav Lambeck, 1815-1861 (Quellensammlung, Teubner) o. J., S. 4..

Die Wiener Schlußakte von 1820 enthielt nur eine Verschärfung dieser Karlsbader Beschlüsse, insoweit der Bund das Recht erhielt in die innere Politik der Einzelstaaten einzugreifen, indem bestimmt wurde, daß keine landständischen Verfassungen zulässig wären, welche den autokratischen Willen des Souveräns behindern könnten.

Infolge der Karlsbader Beschlüsse wurden die Burschenschaften am 26. November 1819 offiziell aufgelöst und ihre Farben verboten.

Das Band ist zerschnitten,
War schwarz, rot und gold,
Und Gott hat es gelitten,
Wer weiß, was er gewollt.

Das Haus mag zerfallen,
Was hat's denn für Not?
Der Geist lebt in uns allen;
Und unsre Burg ist Gott.

So sangen die Burschenschafter mit den Worten ihres August von Binzer. Gerade diese Geisteskinder des unpolitischen klassischen und romantischen Zeitalters, denen nichts vorzuwerfen ist als daß sie sich, unter völliger Verkennung der realen Machtfaktoren, an ihren verworrenen Traumbildern berauscht hatten, gerade sie wurden die wehrlose Beute der legitimistischen Reaktion.

Noch im Jahre 1862 schreibt Arnold Ruge, der spätere Begründer der Hallischen Jahrbücher: »Wenn ich daran denke, welch ein Zustand vollkommer Rechtslosigkeit von unserer Seite und ungezügelter Willkür von Seiten der Gewalthaber herrschte, welchen wahnsinnigen Phantasien kopfloser Politiker ein so vernünftiges und ehrenwertes Streben, wie das unsrige, das mit den besten Interessen des Vaterlandes und des Staates, in dem wir lebten, so entschieden in Einklang stand, aufgeopfert ward, so steigt mir noch jetzt das Blut vor Zorn in die Brust« Arnold Ruge, Aus früherer Zeit, Berlin, 1862, II 168..

Die »Demagogen« wurden durch ganz Deutschland verfolgt. Die Gefängnisse füllten sich; bald war, wie Ruge, der selber fünfzehn Jahre Festung erhielt, mit Bitterkeit bemerkte, die Einheit Deutschlands wenigstens soweit erreicht, daß Deutsche aus allen Gauen in den Zuchthäusern vereinigt waren.

So haben die Karlsbader Beschlüsse, die ursprünglich den Titel erhielten: provisorische Bestimmungen auf die Dauer von 5 Jahren, in der Tat aber bis 1848 in Kraft blieben, maßloses Elend über das Volk gebracht. Männer aus allen Ständen und Berufen, Parlamentarier und Gelehrte, Studenten und Journalisten wurden zu einem freiwilligen oder unfreiwilligen Exil gezwungen oder in Untersuchungshaft gehalten, auch wohl zum Tode verurteilt und schließlich zu langjähriger Festungshaft begnadigt.

Es ist in Deutschland keine Stadt,
Kein Dörflein, dessen stille Hut,
Nicht einen alten Kirchhof hat,
Darin ein Freiheitsmärt'rer ruht.

* * *

Die Restauration hatte gesiegt.

Es schien, als ob die Ideenkomplexe der französischen Revolution und der Befreiungskriege für die künftige Gestaltung des politischen Lebens keine weitere Bedeutung haben sollten, denn entweder saßen die Träger dieser neuen Ideen auf den Festungen, oder sie lebten irgendwo im Exil. Es schien, als ob jede oppositionelle Bewegung endgiltig unterdrückt, dagegen der feudale Polizeistaat wieder aufs neue begründet, alles Bestehende erhalten, alles Verlorene wiedergewonnen wäre. Ja, es könnte sogar den Anschein haben, als ob das deutsche Bürgertum sich nicht nur mit der gegebenen politischen Situation abgefunden hätte, sondern sich sogar mit einer gewissen Behaglichkeit zurückträumte in die Welt des schönen, dichterischen Scheins.

Nach den gewaltigen Erschütterungen des letzten Menschenalters machte sich ein starkes Bedürfnis nach Ruhe fühlbar, stille Jahre fangen an, und, wo dem Bürger jede Anteilnahme an dem politischen Leben versagt ist, erlebt das ästhetische Bildungsideal des 18. Jahrhunderts mit seiner Kultur der Einzelpersönlichkeit Karl Möckel, Der Gedanke der Menschheitsentwicklung im Jungen Deutschland, Leipzig, 1916, S. 8. noch einmal eine schwache Nachblüte.

Trotz der Dürftigkeit des materiellen Daseins lebt der Biedermeier ein eignes, behagliches und beschauliches Leben in seinen vier Pfählen, und Grillparzer spricht vielleicht am besten den Geist dieser Epoche aus, wenn Rustan in: »Der Traum ein Leben« ausruft:

»Breit'es aus mit deinen Strahlen,
Senk'es tief in jede Brust;
Eines ist nur Glück hienieden,
Eins: des Innern stiller Frieden
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!«

Diese Weltflucht hatte unbedingt ihre Schattenseiten. »Wo der Kreis allgemeiner Ideen verringert und der geschichtliche Sinn zusammengedrängt ist auf jenen häuslichen Punkt, wo unsere liebste Ehehälfte strickt« H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche, Leipzig, 1839, S. 176., entsteht einerseits die Gefahr, daß das Familienleben einen ausgeprägt philiströsen Anstrich bekommt, was in der Welt des deutschen Kleinstädters tatsächlich der Fall war, Vgl. dazu: Eilhard Erich Pauls, Der Beginn der bürgerlichen Zeit, Lübeck, 1924, S. 11–61. andererseits aber sucht der unterdrückte Betätigungsdrang einen Ausweg, ein Ventil für die aufgestaute Energie. So sehen wir, daß die Gebildeten in einer Leidenschaft für das Theater, in einem Kult von berühmten Sängerinnen und Tänzerinnen, – (wir denken hier an die Sonntag und die Taglioni), – eine Art Ersatz für die Tatsache finden, daß sie auf der Weltbühne, im politischen Leben, gar keine Rolle spielen durften.

Es ist gerade Börne, der 1827 im Stuttgarter »Morgenblatt« in einer Besprechung Dramaturgische Blätter L X, (Börnes Werke, ed. Klaar, II 392). von Henriette Sonntags Auftreten in Frankfurt diesen Theaterkult, über den man alle höheren Menschheitsinteressen vergaß, verspottet hat. Er erzählt uns am Schluß der 1829 entstandenen Vorrede Ebenda, S. 225, vgl. aber auch »Briefe aus Paris« (Börnes Werke, ed. Klaar VI, 59). zu den »Dramaturgischen Blättern«: »Vorigen Sommer im Bade, als mich mein Barbier zum ersten Male unter seinem Messer hatte, brachte mir der Kellner einen Brief; jener schielte nach der Adresse, und gleich fühlte ich das Blut an meinem Gesichte herabrieseln. »Gott, Gott!« – sprach der Mensch – »Sie haben den schönen Aufsatz von der Sonntag geschrieben? Wir haben uns bald buckelig darüber gelacht«. Vor Überraschung und aus reiner Hochachtung hatte er mir einen Schnitt gegeben. Wäre ich gar der Vater der großen Sonntag gewesen und die Adresse hätte es ihm entdeckt, ich lebte nicht mehr, er hätte mir aus Ehrfurcht den Hals abgeschnitten. Geht nun, geht! Ergötzt die Barbierer und die Barbierten und macht mir Ruhm!«

So verhöhnte Börne die Torheiten der Zeit, den übertriebenen Theaterenthusiasmus, die krankhafte Schwärmerei für Schauspieler und Sängerinnen, und wir fühlen deutlich heraus, daß Börne keineswegs mit seinen Kritiken als Ästhetiker Ruhm ernten will, daß es sich bei ihm um etwas ganz anderes handelt: Börne macht seine Kritik des Theaters zu einer Kritik des Publikums und in dem Publikum kritisiert er die Zeit und die Zeitverhältnisse, und er tut es in einer solchen Weise, daß sogar Friedrich von Gentz diese Theaterkritiken als »das Geistreichste, Witzigste was je geschrieben wurde seit Lessing« empfahl. Unter den Augen des Frankfurter Bundestages hatte der ehemalige Polizeiaktuar Ludwig Börne seine Rezensententätigkeit angefangen. In der im Jahre 1818 von ihm begründeten Monatsschrift »Die Wage« veröffentlichte er die Theaterkritiken, die ihm zu einer Vorschule geworden sind für seine ausgesprochene politische Publizistik der 30 er Jahre.

Das Interesse der Masse richtete sich also auf das Theater. Das Interesse Börnes richtete sich stets auf die Masse. Zu ihr wollte er sprechen, deshalb sprach er vom Theater, es wurde ihm zu einem Politikon.

In einer Zeit, wo die Machthaber das Theater begünstigten, weil es ihnen als ein geeignetes Mittel erschien die Masse vom politischen Leben abzulenken, wo also versucht wurde die Kunst vom Leben zu trennen, will er, der gerade dadurch zum Wegbereiter des »Jungen Deutschland« werden sollte, durch die Kunst das Leben beeinflussen. »Ich sah im Schauspiele das Spiegelbild des Lebens, und wenn mir das Bild nicht gefiel, schlug ich, und wenn es mich anwiderte, zerschlug ich den Spiegel« Vorrede zu den »Dramaturgischen Blättern« (Börnes Werke, ed. Klaar VI 217)..

Börne benutzt seine Rezensionen dazu, im Anschluß an seine kritische Würdigung des Stücks und der Aufführung, Beziehungen zu dem wirklichen Leben zu suchen. »Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten!«, mit diesen Schillerschen Worten schließt er die bereits erwähnte Besprechung der Sängerin Henriette Sonntag. Er versucht immer wieder den Blick seiner Landsleute über die Kulissen hin auf das wirkliche Leben zu richten, er geißelt ihren Mangel an revolutionärer Gesinnung, er versucht sie aufzurütteln aus ihrem Indifferentismus, indem er die politische Rückständigkeit des Bürgertums grell beleuchtet. Die Theaterkritik wird zur Kritik der Zeit.

Vorläufig aber findet seine Zeitkritik wenig Anklang, eine öffentliche Meinung, die sich erst in den Jahren der Freiheitskriege schwach entwickelt hatte, war gewaltsam unterdrückt. Der Biedermeier gab sich zufrieden. »Es kam alles, wie es kommen mußte«, es schien sogar, als ob alle Schlachten vergebens geschlagen, als ob die junge oppositionelle Bewegung unter der Wucht der Reaktion vollständig zusammengebrochen wäre, aber, so sagte Börne 1818 in der Ankündigung seiner »Wage« Börnes Werke, ed. Klaar, I 82.: »Gefährlich ist nur das unterdrückte Wort, das verachtete rächt sich, das ausgesprochene ist nie vergebens. Es ist Täuschung oder Schwachsinn, zu wähnen, die Rede sei ja fruchtlos gewesen. Was die öffentliche Meinung ernst fordert, versagt ihr keiner; was ihr abgeschlagen worden, das hatte sie nur mit Gleichgültigkeit verlangt.«

Börne sollte Recht bekommen, denn auch für die Welt Metternichs sollte sich das schöne Wort von Lingg behaupten:

»Welchen Gedanken die Zeit
Einmal erkoren,
Der ist gefeit und beschworen,
und wird ewig wiedergeboren,
Trotz allem Widerstreit.«

Nur scheinbar waren die großen, aus der französischen Revolution überkommenen Ideen des bürgerlichen Idealismus unter der Wucht des neuerstandenen Feudalismus verschüttet, nur scheinbar auch war die von der ganzen Opposition ausgestreute Saat niedergetreten. Es gab eine Gewalt, mächtiger als die der Gewalthaber: die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung und die aus ihr hervorgehenden sozialen und politischen Konsequenzen.

In den folgenden Jahrzehnten sollten nicht mehr die Klänge des Posthorns, sondern das Pfeifen der Lokomotiven das Lebenstempo markieren, ganz allmählich sollte der Agrarstaat sich in den Industriestaat verwandeln. Diese neue Gewalt zwang auch das deutsche Bürgertum zuguterletzt den Kampf um seine politische Befreiung aufzunehmen.

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Als Börne im Jahre 1821 seine berühmte »Monographie der deutschen Postschnecke«, jene treffende Satire auf die schwerfällige Fortbewegung des deutschen politischen Lebens schrieb, suchte er, wie immer, den Grund dieser Rückständigkeit nur in dem Mangel an Tatkraft, an Opfermut beim deutschen Volke.

Es war, ja, es konnte ihm, der noch nicht realpolitisch, sondern nur ideologisch zu denken pflegte, nicht deutlich sein, daß der wahre Grund der politischen »Unfertigkeit« Das Wort wird in dieser Bedeutung von Werner Sombart gebraucht (Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jht. Berlin 1910, S. 445). der deutschen Bourgeoisie in ihrer wirtschaftlichen Rückständigkeit zu suchen war. Das kapitalistische Bürgertum war als Klasse noch nicht vorhanden. Es gab im allgemeinen drei Klassen: den Adel, einen Mittelstand ohne feste Grenzen, der einerseits den geistigen Vortrupp der Nation, andererseits die unteren Beamten, Handelsleute und Fabrikanten umfaßte, und das Volk. Das Volk bestand aus der Masse der Handwerker, der Landbevölkerung und endlich dem Proletariat, das sich als Klasse erst zwischen 1820 und 1840 zu bilden beginnt, und zwar in demselben Maße, wie das Unternehmertum sich in Deutschland entwickelt. Noch nicht einmal ein Drittel dieser Bevölkerung lebte in den Städten, in denen die rückständigen Arbeitsmethoden des zünftigen Handwerks noch allgemeine Anwendung fanden. In einer Zeit, da in England nach der Aufhebung der Kontinentalsperre die seit dem letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts erwachsene Großindustrie einen riesenhaften Aufschwung nimmt, ist die Produktionsweise der deutschen Zünfte fast ausschließlich auf den Ortsverbrauch eingestellt; eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit wird keineswegs erstrebt. Das in urväterlicher Weise betriebene Handwerk, ganz eingeschlossen im Banne des Herkommens und der Kleinstädterei, steht trotz der allmählich eingeführten Gewerbefreiheit im Jahre 1830 technisch auf derselben Stufe wie im Jahre 1800 Franz Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, Stuttgart 1913, I 46-61..

Aber auch in Deutschland zeigten sich die Anfänge einer kapitalistischen Produktionsweise, auch hier läßt sich allmählich eine wirtschaftliche Entwickelung nachweisen, wodurch das industrielle Bürgertum sozial und politisch immer mehr erstarken sollte, wodurch zwangsläufig auch ein industrielles Proletariat entstehen sollte, wenn es auch zunächst noch keine deutlichen Klassenmerkmale aufwies. Es wird sich zeigen, daß bei diesem allmählichen Übergang vom Agrarstaat zum Industriestaat sich auch »leise die Umrisse künftiger politischer Parteien nachweisen lassen« Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, Berlin, 1907, X 3. S. 410., es wird sich ebenfalls noch zeigen, daß auch die politische Einstellung eines Börne und Heine, ihre Fehler, ihre Schwächen, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, gerade durch diese Uebergangswirtschaft wesentlich bedingt wird.

Die deutsche Bourgeoisie im Vormärz stand noch mit einem Fuß in der Feudalwirtschaft, mit dem anderen im Handwerk; das eben gibt ihrem politischen Auftreten jenes Gepräge der Unfertigkeit, von dem Sombart spricht a. a. O. S. 446..

Es ist aber wohl kein Zufall, daß gerade in den rheinischen Ländern das modern-industrielle Leben am kräftigsten aufgeblüht war. Die liberalen Errungenschaften der französischen Revolution hatten speziell auf das rheinische Land eingewirkt. Auf dem linken Rheinufer, wo auch die Heimat Börnes und Heines lag, war der Rechtsstaat nach dem Muster der französischen Verfassung durchgeführt Oscar Stillich, Die politischen Parteien in Deutschland, II Der Liberalismus, Leipzig, 1911, S. 214.. Es ist also gewiß nicht ohne Belang, daß Börne und Heine während der französischen Herrschaft bis 1814 die auch für die Juden geltende Rechtsgleichheit gekannt haben. Noch wichtiger aber ist es, daß auch die rheinische Industrie stark gefördert wurde; hier waren die Bande des Zunftwesens also gesprengt, hier hatte die Tuch-, Seiden- und Leinenindustrie bereits einen großen Aufschwung genommen, hier zeichneten sich schärfer, bestimmter als in den andren Teilen Deutschlands, die Linien der künftigen sozialen Entwickelung ab, denn mit dem Emporwachsen der rheinischen Industrie entsteht auch das industrielle Proletariat. In vielen Fällen wurden der ehemalige Handwerker und dessen Kinder zu Lohnarbeitern, die schwer an den demoralisierenden Folgen der Fabrikarbeit zu tragen hatten. Im Jahre 1828 machte der preußische Generalleutnant von Horn den König darauf aufmerksam, daß das rheinische Gebiet nicht mehr imstande sei, das entsprechende Truppenkontingent zu stellen, so stark sei die Bevölkerung durch die Fabrikarbeit entartet P. Mombert, Soziale und wirtschaftspolitische Anschauungen in Deutschland, Leipzig, 1919, S. 30..

In jeder Biographie Heines kann man über dessen Jugendeindrücke am Rheine lesen, daß die Rheinromantik, die sagenumwobenen Burgen, die Pracht der Kirchen und Prozessionen für ihn von ganz besonderer Bedeutung gewesen sind. Wir denken nicht im entferntesten daran, diese Tatsache zu bezweifeln, für die Entwickelung des romantischen Naturells des Dichters sind jene ästhetischen Momente natürlich von eminenter Bedeutung gewesen. In Heine lebt aber auch, neben seiner romantischen Veranlagung, wahrscheinlich als ein Erbe seiner Mutter, ein ausgeprägter Sinn für die Realität der Dinge, die Fähigkeit, das Wirklichkeitsbild nüchtern zu erfassen und es schonungslos zu zergliedern. So ist es wohl nicht zu kühn, wenn wir behaupten, daß es für die spätere Entwickelung einer solchen Persönlichkeit keineswegs gleichgültig sein kann, ob sie aufgewachsen ist in irgend einem wirtschaftlich-rückständigen Krähwinkel oder in einem Mittelpunkt des rheinischen Industriegebietes, in einer Gegend, wo das Heraufkommen einer neuen Zeit sich zunächst manifestierte in sozialen Uebelständen, die als Begleiterscheinungen des kapitalistischen Unternehmertums auftraten.

Es ist also ein folgenschweres Faktum, daß der Mann, der in den 30er Jahren als Bewunderer des Saint-Simonismus, als politischer Publizist auftreten sollte, der schon immer ein lebhaftes Interesse für die sozialen Probleme bekundete, die mit der Entstehung der Industrie und des Proletariats zusammenhängen, ebenso wie der soviel ältere Börne, seine Jugendjahre in dem Teile von Deutschland erlebt hat, wo nicht nur die bürgerlich-freiheitliche Tradition am kräftigsten, sondern wo auch das Tempo der wirtschaftlichen Entwickelung am stärksten war.

In wirtschaftlicher Hinsicht war, wie wir gesehen haben, die Zeit zwiespältig, denn eine alte Welt sank erst ganz allmählich ins Grab, eine neue kündigte sich mit Geburtswehen an. Zwiespältig war auch der Dichter, »um dessen Wiege die Mondlichter des achtzehnten und das erste Morgenrot des neunzehnten Jahrhunderts spielten«, und der sich später berufen fühlen sollte, seine eigne Zeit zu deuten, seine Zeit, an deren innern Widersprüchen das eigne Wesen krankte.

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Die Anzeichen waren also da, daß eine wirtschaftliche Entwicklung eingesetzt hatte, die allmählich die alten Verhältnisse zerstören sollte.

Unter dem Einfluß der starken wirtschaftlichen Depression wurde das Bedürfnis immer mächtiger, ein größeres Absatzgebiet als das eigne Territorium zu gewinnen. Der Gedanke, zur Erreichung dieses Zieles ein einheitliches deutsches Zollsystem zu schaffen, beschäftigte schon im Jahre 1816 einen Kreis von Unternehmern, die sich auf der Leipziger Messe trafen Vgl. dazu: Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, Bd. 10, III, 3. S.426–428., und im Jahre 1819 gründet der Tübinger Professor Friedrich List einen Handelsverein in der Absicht, einen allgemeinen deutschen Zollverband zu verwirklichen.

Die staatliche Zerrissenheit war schuld daran, daß Lists Bestrebungen erst im Jahre 1834 in der Gründung des deutschen Zollvereins einen gewissen Abschluß fanden. Als 1836 die erste Zollvereinskonferenz stattfand, erscholl auf ihr bereits der vielseitige Ruf nach Herbeiführung einheitlicher deutscher Gesetze für Handel und Wandel. So bewirkte die Entstehung der allgemeinen deutschen Volkswirtschaft, daß für die neuen Verhältnisse auch neue Gesetze und Regelungen geschaffen werden sollten, so hatten auch die höhern Aufgaben des wirtschaftlichen Lebens notwendigerweise ein Erstarken des politischen Interesses zur Folge.

Die höhern Aufgaben des wirtschaftlichen Lebens richteten den Blick des Einzelnen weit über die eigne Stadtmauer, und die notwendige Folge war, daß sich ihm auch bei der Betrachtung der öffentlichen Verhältnisse eine weitere Perspektive eröffnete, das Allgemeine tritt mehr in den Vordergrund, das politische Interesse erstarkt, es dringt allmählich die Erkenntnis durch, daß der Absolutismus und die Kleinstaaterei einer Lösung der neuwirtschaftlichen und sozialen Probleme im Wege stehen.

Und tatsächlich war auch gerade in den industriell am weitesten fortgeschrittenen Rheinstaaten das politische Leben am kräftigsten. Dieses Moment im Zusammenhang mit den Nachwirkungen der französischen Herrschaft am linken Rheinufer und in den sonstigen ehemaligen Rheinbundstaaten gab dort dem vormärzlichen Liberalismus die stärksten Impulse, und gerade aus diesen Gegenden sind auch die bedeutendsten politisch-literarischen Schriftsteller dieser Epoche: Görres, Börne und Heine, hervorgegangen.

Zu einer Zeit, wo sich im übrigen Deutschland noch keine Spur liberaler Einrichtungen fand, war auf dem linksrheinischen Gebiete der Rechtsstaat nach dem Muster der französischen Verfassung durchgeführt. In der Zeit von 1795–1802 hatte auf dem ganzen linken Rheinufer der Adel und der höhere Klerus durch Einführung der französischen Gesetzgebung ihre Vorrechte verloren, und durch die im Jahre 1805 erfolgte Gründung des Rheinbundes war der französische Einfluß in West- und Süddeutschland noch bedeutend vergrößert. Der Rheinbund bedeutete also keineswegs ein »Zeitalter tiefster Erniedrigung«, er war durch die Einführung des bürgerlichen Rechtsstaates und die Entwickelung der rheinischen Industrie vielmehr ein Segen. Zwar hatte die Reaktion sämtliche französische liberale Maßnahmen wieder rückgängig gemacht, aber die Nachwirkung der französischen Gesetzgebung war doch mächtig genug um die süddeutschen Fürsten zur Verleihung von Verfassungen zu bestimmen Ch. Seignobos, Politische Geschichte des modernen Europa, Leipzig 1910, S. 347.. Klein-Hattingen hat wohl recht, wenn er in seiner »Geschichte des deutschen Liberalismus« Band I. S. 76 (Berlin, 1911). die Bemerkung macht: »Wahrheit ist: Napoleon der Erste war zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts der unvorsätzliche Wegbahner des deutschen Liberalismus.«

Obwohl es nur die süddeutschen Staaten waren, die Staaten, in denen der Einfluß Frankreichs nachwirkte, die eine repräsentative Verfassung erhielten (Bayern und Baden 1818, Württemberg 1819 und Hessen-Darmstadt 1820), so war die Bedeutung dieses kleinstaatlichen Liberalismus dennoch nicht so gering, wie man gemeinhin anzunehmen pflegt. Die Opposition, die bei der gegebenen Lage nicht die geringste Möglichkeit hatte sich zu betätigen, fand auf der Rednerbühne der süddeutschen Kammern eine Plattform, von der sie ihre Ideen verbreiten konnte.

Der süddeutsche Liberalismus wird zu einer verhältnismäßig starken Gegenbewegung gegen Preußen und Österreich, wo jede Verfassung verweigert wurde. In dem Sinne hat dieser süddeutsche Liberalismus, trotzdem ihm ein Zug von ausgesprochenem Partikularismus anhaftet, für die politische Aufklärung der Deutschen seine ganz besondere Bedeutung gehabt.

Vergleicht man weiter die Oppositionsbestrebungen, soweit diese in der Burschenschaft zu Tage traten, mit dem süddeutschen Liberalismus, so bedeutet das Auftreten des letztern trotz seines kindlichen Glaubens an die Allgewalt einer Verfassung einen wesentlichen Fortschritt, denn die in der Burschenschaft noch vereinigten romantischen und liberalen Tendenzen sind jetzt ganz auseinandergetreten, ja, werden immer mehr als zwei entgegensetzte Lebensprinzipien aufgefaßt.

Als das eigentliche Mutterland dieses kleinstaatlichen Liberalismus ist Baden anzusehen, seinen populärsten Vertreter fand er in Karl Rotteck, dem engern Gesinnungsgenossen Börnes. Sowohl durch seine 1827 beendete Weltgeschichte wie durch sein seit 1834 erscheinendes Staatslexikon hat dieser Freiburger Professor der Geschichte, des Naturrechts und der Staatswissenschaft auf Jahrzehnte das politische Denken des deutschen Volkes im Sinne einer liberalen Aufklärung beeinflußt, und das sogar in dem Maße, daß die Bedeutung seines Werkes sich wohl mit der der französischen Enzyklopädie vergleichen läßt Paul Joachimsen, Vom deutschen Volk zum deutschen Staat, Leipzig, 1916, S. 75/76..

Dieser Liberalismus, der sich jetzt als politische Opposition betätigen kann, hat aber noch keineswegs ein scharf umgrenztes Programm. Von Haus aus ein Kind der Aufklärung ist er in höchstem Grade unhistorisch in seiner Zielsetzung, in der Erfassung der politischen Möglichkeiten. Gedankliche Neuerungen kann er auch nicht aufweisen: das Naturrecht bildet die Grundlage für seine Weltanschauung; der Staat entsteht in Rousseauschem Sinne durch Vertrag; das große Vorbild für sämtliche süddeutsche Konstitutionen ist die französische »Charte« von 1814, welche Ludwig XVIII. dem französischen Volke verliehen hatte M. Stimming, Deutsche Verfassungsgeschichte vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Leipzig, 1920, S. 41..

Es dürfte sich zeigen, daß diese hier vorläufig nur kurz angedeutete Einstellung des deutschen Liberalismus auch für eine richtige Beurteilung der politisch-literarischen Tätigkeit Börnes und Heines in den Jahren 1830–1837 von großer Wichtigkeit ist. Wie man auch über den damaligen deutschen Liberalismus urteilen mag, es läßt sich nicht leugnen, daß mit ihm und durch ihn für eine freiheitlichere Entwicklung der Anfang gemacht wurde; nicht nur waren in den Verfassungskämpfen gewisse Erfolge erzielt worden, eben die politischen Debatten in den süddeutschen Kammern hatten auch beim Bürgertum das Interesse für das öffentliche Leben wieder geweckt.

Bald sollte die Opposition gegen das Metternichsche System noch von einer Seite unterstützt werden, mit der das deutsche Bürgertum sonst sehr wenig sympathisierte, vom Judentum. In Frankreich hatte die große Revolution die Emanzipation der Juden proklamiert, und ihre Segnungen hatten auch die rheinischen Juden erfahren. Hatte nicht der kleine Judenjunge aus der Bolkerstraße in Düsseldorf eben deshalb Napoleon als eine Art Messias angeschaut, weil seit der Invasion vom Jahre 1794 am Rhein für die Juden, diese Parias der Gesellschaft, eine bessere Zeit angebrochen war? Und war es nicht den Franzosen auch wieder zu verdanken, daß, als Frankfurt am Main, die Stadt, in der noch in Börnes Jugendzeit die Juden abends in ihr Ghetto eingesperrt wurden, 1806 unter die Staaten des Fürst-Primas Karl von Dalberg einverleibt wurde, auch das Frankfurter Ghetto sich öffnete und das schmachvolle Judenstättigkeitsgesetz, das die erniedrigendsten Bestimmungen enthielt, aufgehoben wurde? Adolph Kohut, Geschichte der deutschen Juden, Berlin, Deutscher Verlag, o. J., S. 783.

Als aber die alten Machthaber über Napoleon den Sieg davongetragen hatten, beeilten sie sich, auch das Judentum wieder in seine Ghetti zurückzudrängen, und seine besten Vertreter fielen ihren Reaktionsgelüsten zum Opfer: Dr. Löw Baruch (Ludwig Börne) verlor 1816, als den Juden seiner Vaterstadt das Bürgerrecht wieder genommen wurde, sein Amt als Polizeiaktuar der Stadt Frankfurt Vgl. dazu: 1. Börnes Pensionierung (Ludwig Geiger, Das Junge Deutschland, Berlin, o. J., S. 38 ff.) 2. »Der Roman« (Börnes Werke, ed. Klaar I. 91).; Heinrich Heine sah sich wie allen seinen Glaubensgenossen auf immer den Staatsdienst verschlossen.

So ist es psychologisch sehr wohl zu verstehen, daß durch den Druck von oben aus der Mitte des jüdischen Volkes Vorkämpfer für seine Emanzipation aufgestanden sind. Da aber zeigt es sich, daß diese Rufer im Streite, und wir denken hier an Börne und Heine, an Männer wie Johann Jacoby, Moses Hess und vor allem an Karl Marx und Ferdinand Lassalle nicht nur für die Gleichberechtigung ihres Stammes kämpfen, sondern daß sie sich allmählich zu Vorkämpfern für die allgemeine geistige und politische Freiheit auswachsen.

Aus dem Kampf um die Emanzipation der Stammesbrüder wird ein Kampf um die Emanzipation einer Klasse, der geknechtete Jude wird zu einem Erzieher und Befreier. Nicht anders ist es mit Börne, der unter dem Eindruck der Judenverfolgungen schon im Sommer 1819 die Worte niederschrieb: »Das aufgeklärte Volk wird begreifen lernen, daß man es zum Mißbrauche der Freiheit verleitete, um sagen zu können, daß es keiner Freiheit würdig sei, und daß man es zum Gefängniswärter der Juden bestellt, weil die Gefängniswärter, wie die Gefangenen, den Kerker nicht verlassen dürfen. Daß eine Tür mehr den Ausgang versperre, eine weniger, das ist der Unterschied; unfrei sind sie beide« Börnes Werke, ed. Klaar, I. 218..

Gutzkow erinnert daran, daß der Juif de Franckfort, den die Polizei Börne in den Paß geschrieben, ihn nach seiner eignen Aussage sehr gekränkt habe. Er hat sich gerächt, aber »nicht an etwas, das er, um seinen Zorn zu kühlen, erfand, sondern an dem Zusammenhang jener tatsächlichen politischen Zustände, die es mit sich bringen, daß wir die Leibeignen unserer Herrscher und die Juden wieder die Leibeignen unserer Herrschsucht sind. Als ihm die Dinge und Menschen klar wurden, fand er, daß dieser Juif de Franckfort nicht allein stand, sondern daß eine und dieselbe Kette, die den Juden in Abhängigkeit hielt, ihre Fortsetzung auch in die größten und kleinsten Kreise der christlichen Existenz hatte. Das Eine verschmolz ihm mit dem Andern; es führte alles zurück auf dieselbe Quelle« Gutzkow, Börnes Leben (Gutzkows Ges. Werke, Jena, o. J., S. 233)..

Der verfolgte Jude fordert also seine Verfolger zu einem gemeinsamen Kampf gegen jede Unterdrückung des Menschen durch den Menschen auf, die Solidarität mit dem eignen Stamme erweitert sich zu einer Solidarität mit der Menschheit.

Recht hatte Börne ohne Zweifel, wenn er darauf hinwies, daß dem Judentum noch immer eine Tür mehr verschlossen sei als dem Bürgertum: die Juden standen ja sozusagen außerhalb der Gesellschaft ihrer Zeit. Da war es ganz natürlich, daß die Reichbegabten unter ihnen, Börne, und später auch Heine, sich vorzugsweise auf dem einzigen ihnen zugänglichen Gebiete des Journalismus und der Publizistik ein Betätigungsfeld suchten.

Es ist für die Entwickelung der oppositionellen Literatur im Vormärz von eminenter Bedeutung gewesen, daß gerade die jüdischen Schriftsteller sich an der Entwickelung der damaligen Presse beteiligt haben. Sie waren ohne Zweifel die erbittertsten Gegner der Reaktion, weil sie den Druck von oben am schmerzlichsten empfanden. Sie hatten aber, trotz ihrer großen Liebe zur Heimat, kein eigentliches Vaterland, und somit keine nationale Vergangenheit, sie waren traditionslos, und wie sehr dies auch einerseits bedauernswert sein mochte, so bedeutete es andererseits eine große Empfänglichkeit, eine starke Aufnahmefähigkeit für neue Ideenkomplexe, es hatte zur Folge, daß sie unbeschwert von nationalen Traditionen in der Literatur und Publizistik die Internationale vertraten. Diese neuen europäischen Ideen fanden sie in der französischen Presse und Literatur, und da sie ohnehin eine starke Vorliebe für das Land hatten, das zuerst ihre bürgerliche Gleichberechtigung proklamiert hatte, wurden sie zu Trägern der französischen Ideen ihrer Zeit.

Unter ihrem Einfluß ist die Presse schon in der Biedermeierzeit zu einer Macht geworden, »der Einbruch des Judentums in die deutsche Literatur vollzog sich aller Enden« Eilhard Erich Pauls, Der Beginn der bürgerlichen Zeit, Lübeck, 1924, S. 196..

Zwar hatten schon in den ersten Jahren nach den Freiheitskriegen liberale Zeitungen Kritik geübt an der Bundesverfassung, wir denken da an Ludens »Nemesis«, an Okens »Isis«, die beide unter dem Schutze Karl Augusts von Weimar erscheinen konnten, wir denken auch an Görres' »Rheinischen Merkur«, der schon bald der Reaktion zum Opfer fiel, im Verlauf der Zeit aber wird die Presse immer mehr zu einer Vertreterin der öffentlichen Meinung. Speziell das »Morgenblatt für die gebildeten Stände«, sowie die »Augsburger Allgemeine Zeitung«, die beide im Cottaschen Verlag erschienen, waren die Organe, in denen das, was das liberale Bürgertum empfand, am deutlichsten zum Ausdruck kam. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß sämtliche Zeitungen, dem Zeitgeist entsprechend, vorwiegend ästhetisch orientiert waren. Erst nach dem Jahre 1830 tritt das Politische immer mehr in den Vordergrund. Eine Ausnahme macht hier Börnes 1818 erschienene Zeitschrift »Die Wage«, die Görres, Rahel Varnhagen und den Geheimrat v. Willemer, den Gatten von Goethes Suleika, zu ihren Mitarbeitern rechnen durfte H. H. Houben, Der gefesselte Biedermeier, Leipzig, 1924, S. 45.. Als Börne um diese Zeit den Entschluß faßte sich ganz und gar der Publizistik zu widmen, ließ er sich vorher taufen (5. Juni 1818). Er glaubte als Publizist erfolgreicher wirken zu können, wenn man ihm nicht immer vorwerfen könne, er greife die Reaktion nur an, weil er sich als Jude verletzt und erniedrigt fühle. Nach Gutzkow war ihm dieser Uebertritt keine Frage für sich, sondern sie hing ihm mit den Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes, mit der Freiheit der Menschheit zusammen. Löw Baruch, der im Todesjahr Moses Mendelssohns (1786) geboren war, erhielt erst dann, bei seiner Taufe, den Namen Ludwig Börne. Später hat er sich dahin geäußert, daß er »das Taufgeld bereue« Graetz-Brann, Geschichte der Juden, Leipzig, 1900, S. 356., und so ist es ihm nicht anders ergangen, als Heine, der später (1825), gleichfalls nicht lange vor seinem Uebergang in die Journalistik, einen ähnlichen Schritt tat, der aber auch erfahren sollte, daß er sich mit dem Taufzettel noch nicht das Entreebillet zur bürgerlichen Gesellschaft erkauft hatte.

Jedenfalls glaubte Börne einstweilen durch seinen Uebertritt den Einwand zurückweisen zu können, das er als Jude, nicht als Publizist die öffentlichen Interessen bespräche, denn seine »Wage« wollte sein »ein Tagebuch der Zeit«, das »das bürgerliche Leben, die Wissenschaft und die Kunst, vorzüglich aber die heilige Einheit jener drei« »Ankündigung der Wage« (Börnes Werke, ed. Klaar I. 70)., besprechen solle. Trotzdem die Zeitschrift nur 800 Abonnenten aufzuweisen hatte, machte sie großes Aufsehen Vgl. dazu: Ludw. Geiger, Die deutsche Literatur und die Juden, Berlin, 1910, S. 174., was auch wohl aus einem sich im Archiv der Polizeihofstelle in Wien befindlichen Konfidentenbericht K. Glossy, Literarische Geheimberichte aus dem Vormärz, Wien, 1913, Anm. S. 5. aus dem Jahre 1818 hervorgeht, in dem es heißt: »Der Verfasser der ›Wage‹ schreibt, ohne witzig zu sein, bloß um das Blatt zu füllen, beißende und niemand schonende Kritiken. Es wäre doch auffallend, wenn die Bundesversammlung die ›Wage‹ nicht einstellen würde, denn Börne scheint der Nachhall der Liberalen in Frankreich zu sein oder wenigstens ihre liberalen Gesinnungen in Deutschland vertreten zu wollen«.

Die Mitarbeiter ließen Börne allmählich im Stiche, er selbst arbeitete langsam, und, obwohl die »Wage« (weil sie zunächst als Monatschrift erschien) von der Zensur befreit war, so haben wahrscheinlich doch auch polizeiliche Schikanen dazu beigetragen, daß die Zeitschrift Anfang 1821 eingegangen ist. Die letzten vier Hefte kamen nicht mehr in Frankfurt, sondern in dem freien Württemberg, und zwar in Tübingen, heraus H. H. Houben, Der gefesselte Biedermeier, S. 45..

Auch die Redaktion einer Frankfurter Tageszeitung, die Börne von Januar bis Juni 1819 übernommen hatte, wurde ihm durch die fast endlosen Scherereien mit dem Zensor verleidet. Meldete Börne z. B. in dieser »Zeitung aus der freien Stadt Frankfurt« aus Paris: »Das (französische) Ministerium, sagt man, ist gut, aber schwach«, so strich der Zensor den Nachsatz, der Vordersatz durfte aber stehen bleiben Vgl.: Börnes »Denkwürdigkeiten der Frankfurter Zensur« (Börnes Werke, ed. Klaar, I. 220).. Wegen Aufnahme eines Aufsatzes über Oesterreich, worüber Börne kein Zensurblatt vorlegen konnte, wurde er »zu vierzehntägiger Einsperrung unter Gaunern, Bettlern und Dieben verurteilt« Vgl. hierzu Börnes Aufsatz »Ueber Etwas, das mich betrifft« (Börnes Werke, ed. Klaar, I. 375)., während der Verleger den Befehl erhielt sobald wie möglich einen andern Redakteur zu ernennen.

Börne übernahm jetzt die Redaktion der »Zeitschwingen«, und in der Ankündigung zu der ersten von ihm besorgten Nummer hat er den Charakter der Restaurationsperiode wohl sehr scharf gezeichnet, wenn er sagt: »Die Zeitschwingen führten bis jetzt auch noch den Beinamen: des deutschen Volkes fliegende Blätter. Dieses Spottnamens geschieht künftig keine Erwähnung. Was wäre denn am deutschen Volke das flöge? Es war niemals flügge, aber heftige Stürme hatten es einige Minuten in die Höhe geworfen. Die wenigen fliegenden Blätter, die es noch besitzt, werden täglich enger zusammengeheftet. Die schöne schweinslederne Zeit der Foliobände kehrt mit starken Schritten zurück« »Ankündigung der Zeitschwingen« (Börnes Werke, ed. Klaar, I. 152)..

Das Interesse für Börnes journalistische Tätigkeit wurde von Seiten des Bundestages so stark, daß Börne es für ratsam hielt, Deutschland auf einige Zeit zu verlassen. Er folgte damit nur dem Beispiel seines Freundes Görres, gegen den, obgleich er Napoleon auf Tod und Leben bekämpft hatte, schon wegen seiner Schrift »Deutschland und die Revolution« ein Verhaftbefehl erlassen worden war Vgl. H. H. Houben, Der gefesselte Biedermeier, S. 61 ff. und der nur mit knapper Not am 10. Oktober 1819 Straßburg erreichen konnte. Am 20. Oktober 1819, als gerade die »Karlsbader Beschlüsse« von den Regierungen »promulgirt« wurden, betrat Börne zum ersten Mal den französischen Boden. In seinem Sodener Tagebuch Börnes Werke, ed. Klaar, II. 151 ff. hat er später die Eindrücke seines ersten Aufenthalts in Paris geschildert, denn er betrachtet, wie er sagt, »seine Angelegenheiten« nicht als etwas Persönliches, sondern als die Sache der »Millionen«, als deren »Fürsprecher« er auftritt. Es ist für seine ehrwürdige, aber naive Lebensanschauung recht bezeichnend, wenn er die Berechtigung zu seiner politisch-publizistischen Tätigkeit etwa wie folgt begründet: »Wie Frösche, Spinnen, Hunde und die Tiere überhaupt der Natur näher stehen als der königliche Mensch auf seinem Throne, und darum das Wetter, ja die bedeutendsten Veränderungen und Krankheiten der Natur inniger fühlen und, ehe sie noch eintreten, voraus empfinden, und anzeigen; so giebt es auch Menschen, die gerade, weil sie niedrig stehen in der bürgerlichen Gesellschaft, mit der Geschichte inniger verbunden sind, und die Witterung der Zeit, die Völkerstürme und Kriege von weiterer Ferne kommen sehen und sie früher fühlen, als es selbst die Herrscher, Vornehmen und Mächtigen vermögen, die, in ihrem Egoismus gefangen, nicht eher erfahren, was sich draußen begiebt, als bis die Welt an den Pforten ihrer Selbstsucht pocht. Zu diesen Menschen gehöre ich auch« Börnes Werke, ed. Klaar II, S. 160–161..

Als Börne einsah, daß die Besorgnis für seine Sicherheit unbegründet gewesen war, reiste er schon im November 1819 nach Frankfurt zurück.

In Paris hatte er mit den feuilletonistischen Arbeiten für Cottas »Morgenblatt« den Anfang gemacht Ueber Börnes Beziehungen zu Cotta vergleiche: Joh. Proelß, Das Junge Deutschland, Stuttgart, 1892, S. 80 ff. in denen er, nachdem ihm die Zensur die politische Publizistik verleidet hatte, jetzt versuchen wollte »die Literatur mit dem Leben, d. h. die Ideen mit der wirklichen Welt zu verbinden« Brief an Cotta vom 10. März 1821 (ebenda S. 97)..

Bald aber sollte Börne zum zweiten Male nach Frankreich reisen. Jetzt aber war es eine Art Flucht vor den Plänen seines eignen Vaters. Dieser hatte als Bankier enge Verbindungen mit den Wiener Hofkreisen, und als Metternich und Gentz den Versuch machten »den jungen Israeliten, der Geist und Wissen mit zügellosem Oppositionssinn, flammendem Liberalismus und einer vielgewandten Feder vereinigte« Vgl. K. Glossy, Literarische Geheimberichte (Geheimbericht vom 1. Juni 1822, Anm. S. 8)., zu bewegen, sich dauernd in Wien niederzulassen, indem ihm Rang und Gehalt eines kaiserlichen Rats angeboten wurde, forderte Börnes Vater, der sich in Wien aufhielt, den Sohn dringend auf dorthin zu reisen. Trotzdem ihm in Wien völlige Zensurfreiheit zugesichert wurde, und er auch die Erlaubnis erhielt immer wieder abreisen zu dürfen, lehnte er zum heftigen Verdruß seines Vaters Vgl. Brief an Jeanette Wohl vom 4. Januar 1822 (Börnes Werke, ed. Geiger, IX 312). das Angebot ab. Börne meinte, sein politischer Charakter wäre auf immer zu Grunde gerichtet, wenn seine Freunde und nicht weniger seine Feinde glauben könnten, er hätte sich bestechen lassen, er sei ein Unfreier geworden: »Es war eine solche Redlichkeit, eine solche Unbefangenheit in meinen öffentlichen politischen Äußerungen, daß ich, wie ich von mehreren Seiten erfahren, selbst den Wiener Ultras Achtung eingeflößt habe, obzwar keiner sich so feindlich als ich gezeigt hatte. Sie mußten gestehen, daß ich es aufrichtig meinte, wenn ich auch irrte. Wem soll man ferner vertrauen, wenn ich die gute Sache verrate?« Brief an Jeanette Wohl vom 24. Dez. 1821 (Börnes Werke, ed. Geiger, IX 299)..

Um seine geistige Freiheit zu behaupten, um sich keiner Versuchung auszusetzen, reiste er nicht nach Wien, sondern nach Paris. Man fühlt sich unwillkürlich versucht, hier eine Parallele zwischen dieser von Charakterfestigkeit und Gesinnungstüchtigkeit zeugenden Haltung Börnes und der Heines zu ziehen, als dieser 1827 die von ihm geleiteten liberalen Münchener »Annalen« dem Polizeispitzel Wit von Dörring zur Verfügung stellte und sich als Gegenleistung einen Orden des berüchtigten braunschweigischen Diamantenherzogs erbat Vgl: 1. Heines Brief an Wit vom 23. Januar 1827 (F. Hirth, Heines Briefwechsel,
München 1914, I. 499).
2. Max J. Wolff, Heinrich Heine, München 1922, S. 267–268.
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Dem zweiten Aufenthalt in der französischen Hauptstadt, der von 1822–1824 dauert, verdanken wir Börnes »Schilderungen aus Paris«. Paris ist ihm »ein aufgeschlagenes Buch«, »durch seine Straßen wandern heißt Lesen« Börnes Werke ed. Klaar, II. 30.. Es kam schon bald »eine wahre Leidenschaft« über ihn, »das Theater und die Literatur der Franzosen in ihren eigenen Blättern zu kritisieren«; aber gleich nach dem ersten Versuch sei ihm »wegen mangelnder Sprachkenntnisse« alle Lust zu solchem Unternehmen vergangen. Erst ein gutes Jahrzehnt später, als er sich dauernd in Paris niedergelassen hatte, sollte er diesen Plan durch seine Mitarbeit am »Réformateur« und durch die später von ihm begründete Zeitschrift »La Balance, revue allemande et française« zu verwirklichen versuchen.

Börnes Aufenthalt in Paris in den Jahren 1822–1824 gab ihm selbstverständlich die Stoffe für seine »Schilderungen« aus dem öffentlichen Leben der französischen Hauptstadt. Dies war aber sozusagen nur der äußere Anlaß ihres Entstehens. Nachdem es Börne unmöglich gemacht worden war in der »Wage« und in den »Zeitschwingen« über deutsche Verhältnisse zu schreiben, sieht er sich gezwungen, wenn er sich als Publizist betätigen will, ausländische Stoffe zu behandeln, und er konnte dies um so eher tun, weil er wußte, daß er dadurch in gewissem Sinne einem Zeitbedürfnis entsprach, da man doch allenthalben – und zwar in schroffem Gegensatz zu den Jahren der Freiheitskriege – dem Ausland und ganz besonders Frankreich ein immer lebhafteres Interesse entgegenbrachte. Es haben verschiedene Ursachen zusammengewirkt, wodurch nicht nur Börne, sondern ebenso Heine das Interesse des deutschen Publikums auf ausländische Stoffe richteten. Zur Erklärung dieser Erscheinung ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Wirkung der Karlsbader Beschlüsse sowohl für die Form wie für den Inhalt der journalistischen und literarischen Erzeugnisse weitreichende Folgen gehabt hat. Der von Friedrich von Gentz, dem Publizisten der Wiener Hofburg, ausgesprochene Grundsatz, daß das oberste Gesetz des europäischen Staates Zensur heiße, wurde, wie wir gesehen haben, mit äußerster Konsequenz durchgeführt. Zwischen Autor und Leser stand der Zensor. Der Autor hatte also immer Bedacht darauf zu nehmen, daß, wollte er das politische Empfinden des Publikums kräftigen, die äußerste Rücksichtnahme auf den Zensor geboten sei, mit andern Worten: der Zensor bestimmte mittelbar die vom Autor gewählten Ausdrucksmittel. Das galt in erhöhtem Maße, wenn es sich um die Besprechung von Tagesfragen handelte, wo der Autor nur durch Ellipse, nur mittelst Verhüllung oder Travestie seine wahren Gedanken erraten lassen durfte. Ein Börne, so sagt Gutzkow, »trieb die schöne Literatur um die Politik in ein erlaubtes Gewand zu hüllen, sprach von Schiller und Goethe, dabei an Montesquieu und Metternich denkend« Karl Gutzkow, Börnes Leben (Ges. Werke, Jena, o. J., S. 230)..

Bevor Heine als politischer Publizist auftrat, »gefällt er sich in seinen »Reisebildern« in herausforderndem Spott über deutsche Zustände und deutschen Stumpfsinn, der sich darin zeigt« Georg Brandes, Hauptströmungen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, Berlin, 1924 (endgültige Ausgabe) III 6., S. 309..

Die Zensur aber hat nicht nur die Ausdrucksmittel, die Stilart der Publizistik sehr stark bestimmt, sie beeinflußte auch die Stoffwahl des Autors. Wo eine eingehende Besprechung der heimischen Zustände eigentlich unmöglich war, zwang der Zensor gleichsam den Publizisten dazu, ausländische Stoffe zu behandeln. Die Zensur verhinderte die Erörterung der deutschen Politik, und, wo man die Leute gleichsam zwang sich mit der Auslandspolitik zu beschäftigen, da richteten sie denn auch allmählich nur zu gern den Blick weg von der traurigen Wirklichkeit daheim und schauten sehnsüchtig in die Ferne. Das Interesse der Deutschen war ohnehin den heimischen politischen Angelegenheiten entfremdet, so daß die Publizisten, die zur Vermeidung von Zensurhemmnissen vorzugsweise ausländische Stoffe behandelten, damit zugleich dem Geist der Zeit entgegenkamen, der auch in der reichen Übersetzungsliteratur seinen stark kosmopolitischen Zug bekundete. Es kamen aber noch andere Gründe hinzu. Welch eine gewaltige Veränderung hatte sich in einem Zeitraum von gut zehn Jahren in den Geistern vollzogen! Hatten im Jahre 1815 die liberalen und romantischen Elemente gemeinsam den Kampf geführt gegen Napoleon, den Besieger des feudalen Deutschland, war demzufolge im Anfang der oppositionellen Bewegung, zumal in den Burschenschaften, die nationale Idee stärker betont worden als die Idee der politischen Freiheit, so läßt sich als das Endergebnis der Gesamtbewegung konstatieren, daß die romantischen und liberalen Elemente immer stärker auseinandertreten; die Romantik wird immer mehr zur Ideologie der feudalen Reaktion, sie ist das schillernde Gewand, dessen der Absolutismus sich geschickt bedient, die liberale Opposition bekommt ein weltbürgerliches Gepräge. »Wenn man einem emporstrebenden Geschlechte das Vaterland zerstört, so ist die Folge unausbleiblich, daß seine geistige Bewegung vaterlandslos wird«, sagt von Sybel Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches, Leipzig, 1889, 1 70 ff.; tatsächlich hatten die Liberalen den nationalen Gedanken aufgegeben, weil ein liberales Regime nur in den süddeutschen Kleinstaaten durchführbar war; Preußen dagegen, auf das man einst so große Hoffnungen gesetzt hatte, haßte man ärger als Oesterreich, denn, um mit Heine zu reden, Metternich war wenigstens ein loyaler, der König von Preußen aber ein heuchlerischer Feind. In dieser Weise war es der Politik Metternichs und seines romantischen Gehilfen Gentz gelungen, das deutsche Publikum »wieder einmal zugleich partikularistisch und kosmopolitisch zu machen« von Sybel, a. a. O. S. 72..

Einerseits ist es also eine Flucht vor dem deutschen Staatsunwesen, wenn man sein Interesse den ausländischen politischen Verhältnissen zuwendet, andererseits versuchen die Dichter und Publizisten durch die Schilderung fremder Zustände das politische Empfinden der Deutschen zu kräftigen Valentin Polack, Die politische Lyrik und die Parteien des deutschen Vormärz, Wien, 1911, S. 12.. Wenn Wilhelm Müller, nachdem die Griechen sich 1829 ihre Freiheit vom türkischen Joch erkämpft haben, ausruft:

»Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas,
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt,«

so steckt in dieser Begeisterung für das Griechentum, denn der deutsche Philhellenismus hat gar verschiedene Wurzeln, auch die ungestillte Sehnsucht nach jener Freiheit, die man in dem absolutistisch-feudalen Deutschland so schmerzlich vermißte.

Als Heine, der im Jahre 1827 nach England gezogen war um den liberalen Ministerpräsidenten, »den Canning zu sehen und zu hören« Heines Werke, ed. Walzel, VI 149., später in den »Englischen Fragmenten«, die nach Walzel den eigentlichen Anfang des Politikers Heine bedeuten Heines Werke, ed. Walzel, V 470., englische Zustände beschreibt, so kam er damit gewiß dem allgemeinen Interesse der Zeit entgegen, benutzt aber zugleich die Gelegenheit, wenn möglich, das politische Empfinden der Deutschen zu kräftigen: »Was die Deutschen betrifft, so bedürften sie weder die Freiheit noch die Gleichheit. Sie sind ein spekulatives Volk, Ideologen, Vor- und Nachdenker, Träumer, die nur in der Vergangenheit und in der Zukunft leben und keine Gegenwart haben. Engländer und Franzosen haben eine Gegenwart, bei ihnen hat jeder Tag seinen Kampf und Gegenkampf und seine Geschichte. Der Deutsche hat nichts, wofür er kämpfen sollte, und da er zu mutmaßen begann, daß es doch Dinge geben könne, deren Besitz wünschenswert wäre, so haben wohlweise seine Philosophen ihn gelehrt, an der Existenz solcher Dinge zu zweifeln«. »Es läßt sich nicht leugnen,« meint Heine »daß auch die Deutschen die Freiheit lieben« Heines Werke, ed. Walzel, V 80 ff., aber anders als wie die Engländer und die Franzosen sie lieben. Der Engländer liebe sie wie sein rechtmäßiges Weib, der Franzose wie seine erwählte Braut, der Deutsche aber liebe die Freiheit wie seine alte Großmutter. Es ist deutlich: das ideale Land der Freiheit ist Frankreich, und in der »Befreiung«, dem nachträglich hinzugefügten Schluß der »Englischen Fragmente«, heißt es: »Ja, ich wiederhole die Worte, womit ich diese Blätter eröffnet: die Freiheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit. Wenn Christus auch nicht der Gott dieser Religion ist, so ist er doch ein hoher Priester derselben, und sein Name strahlt beseligend in die Herzen der Jünger. Die Franzosen sind aber das auserlesene Volk der neuen Religion, in ihrer Sprache sind die ersten Evangelien und Dogmen verzeichnet. Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land Freiheit trennt von dem Lande der Philister« Heines Werke, ed. Walzel, V 164..

Kosmopolitisch war die Zeit, aber gerade Frankreich rückt immer mehr in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Dort gab es, im Gegensatz zu dem politischen Jammer im eignen Land, trotz der bourbonischen Restauration, ein Parlament mit Redefreiheit, dort auch gehörte die Pressefreiheit zum geistigen Besitz der Nation.

»Mit Bewunderung und Neid blickten jetzt die Sieger von 1815 auf das besiegte Frankreich, wo unter einer freien Verfassung glänzende parlamentarische Parteikämpfe die Aufmerksamkeit Europas fesselten und die Begeisterung der deutschen Jugend entzündeten« von Sybel, I 70 ff..

Eine chiliastische Hoffnung erfüllte die Herzen, und nur von Frankreich, »dem geweihten Lande der Freiheit«, wird das Heil erwartet, denn bis zum Jahre 1825 war es der Heiligen Allianz noch immer gelungen, die Flamme der Revolution, wenn sie in Spanien, Süditalien und Piemont aufzuckte, zu unterdrücken. Nur die siegreiche Erhebung einer großen Nation mit einer revolutionären Vergangenheit könnte auch für Deutschland zur befreienden Tat werden, der »Heiligen Allianz der Fürsten« wird die »Heilige Allianz der Völker« entgegentreten, und hüben und drüben erscheint die Sache der Opposition als eine gemeinsame Sache der Völker. Ebenso wie es um dieselbe Zeit in Frankreich geschah, erhebt auch in Deutschland die Opposition das Andenken Napoleons, der nun allenthalben als der Mann des Volkes und als das Opfer der reaktionären Mächte gefeiert wird. In Frankreich erstrebt zuerst eine junge Generation unter der Führung von Advokaten und Literaten eine liberal-nationale Renaissance, indem sie dabei zurückgreift auf die großen Reminiszenzen aus der Zeit der Revolution und des Kaiserreichs. Es bildet sich die revolutionäre und napoleonische Legende als eine mächtige Waffe im Kampfe der liberalen Opposition gegen Karl X.

Männer wie Hugo, Béranger, Thiers, Louis Blanc erlagen dem Zauber dieser romantischen Darstellung der Vergangenheit. In Deutschland war es Heine, der als Apostel der kaiserlichen Legende Napoleon als den glänzendsten Vertreter Frankreichs feiert und zu den Zeitgenossen über »das Kaiserlied von dem Napoleon« spricht, dem »neuen Manne, dem Manne der neuen Zeit, dem Manne worin diese neue Zeit so leuchtend sich abspiegelt« Heines Werke, ed. Walzel, IV 121.. In »der Nordsee«, dem »Buch Le Grand«, der »Reise von München nach Genua«, den »Englischen Fragmenten«, überall erscheint Napoleon als »die menschgewordene Revolution« Heines Werke, ed. Walzel, V 402., als der große Feind der Heiligen Allianz Henri Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, Dresden 1905, S. 108 ff.. Die neue Zeit soll vollenden, was die Revolution von 1789 begonnen hat, als »von der Höhe des Konvents zu Paris ein dreifarbiges Evangelium« gepredigt wurde, »wonach nicht bloß die Form des Staates, sondern das ganze gesellschaftliche Leben nicht geflickt, sondern neu umgestaltet, neu begründet, ja, neu geboren werden sollte« Heines Werke, ed. Walzel, V 161..

In der Zukunft sieht Heine daher nur noch einen Kampf zwischen den Klassen: »Es gibt in Europa keine Nationen mehr, sondern nur Parteien« Heines Werke, ed. Walzel, IV 297.. Napoleon ist tot, »der Geist der Revolution ist jedoch unsterblich«, er wird wiedergeboren werden, »nicht als einzelner Mensch, sondern als ganzes Volk« Heines Werke, ed. Walzel, IV 402..

Als Heine im November 1827 auf dem Wege nach München, wo er als »Liberalenhäuptling« Hirth, Heines Briefwechsel, I 466 (Brief an Merkel, 1. Juni 1827)., die Redaktion der »Politischen Annalen« übernehmen sollte, Börne in Frankfurt a.M. besuchte, hat dieser ihn wegen seines Napoleonkultus getadelt. »Wie liebte ich diesen Mann bis zum 18. Brumaire, noch bis zum Frieden von Campo Formio bin ich ihm zugetan, als er aber die Stufen des Thrones erstieg, sank er immer tiefer im Werte, man konnte von ihm sagen: er ist die rote Treppe hinaufgefallen!« rief Börne aus Heines Werke, ed. Walzel, VIII 356..

Die beiden Männer hatten aber so viel Gemeinschaftliches, daß sie sich recht gut mit einander vertrugen, von ihrer spätem Feindschaft und Trennung ließ sich nichts ahnen. »Ich hätte nie geglaubt, daß Börne so viel von mir hielte; wir waren inseparable bis zum Augenblick, wo er mich zur Post brachte« Hirth, Heines Briefwechsel, I 486 (Brief an Varnhagen vom 28. November 1827)..

Als Heine im Mai des Jahres 1831 wieder nach Frankfurt kam, war Börne ihm bereits nach Paris vorangegangen, und er selber war auch im Begriff über »den Jordan zu ziehen, der das geweihte Land der Freiheit trennt von dem Lande der Philister«: Paris hatte wiederum das Signal zur Revolution gegeben, es schien, als ob die messianischen Erwartungen über die welthistorische Aufgabe Frankreichs in Erfüllung gehen sollten.

Trotz der Abmahnungen des Zaren und Metternichs hatte Karl X. sich zu einem Staatsstreich gegen die aus sehr verschiedenen Elementen zusammengesetzte Kammeropposition verleiten lassen. Am 26. Juli 1830 veröffentlichte das Ministerium Polignac die berüchtigten Ordonnanzen, durch welche die neue Kammer aufgelöst wurde, bevor sie einberufen war, indem zugleich ein neues reaktionäres Wahlgesetz erlassen und die Pressefreiheit aufgehoben wurde. Trotz ihrer Mehrheit war die Opposition in der Kammer auf den Kampf nicht eingerichtet. Es war die zum größern Teil aus Studenten und Arbeitern bestehende republikanische Partei, welche die Revolution gemacht hat.

Am 27. Juli begannen die Republikaner den Bau der Barrikaden, bald klang es nicht mehr »Es lebe die Charte!«, sondern »Nieder mit den Bourbonen!«, am 29. Juli mußte der Rest der königlichen Armee Paris räumen. Eine Exekutivkommission wurde eingesetzt, welche die militärische Gewalt auf Lafayette übertrug.

Jetzt befand Paris sich in der Gewalt zweier Parteien, der Republikaner und der Royalisten. Sie waren nur gemeinsam vorgegangen solange es sich um den Kampf gegen Karl X. handelte. In geschickter Weise wußten die Anhänger des Herzogs von Orleans diese Situation auszunützen um Louis Philipp als »einen der Sache der Revolution ergebenen Fürsten«, in den Vordergrund zu schieben. In drei Tagen war die altbourbonische Restauration zusammengebrochen, aber auch das Schicksal der Revolution war entschieden. Die Barrikadenkämpfer waren um die Früchte ihres Kampfes betrogen, an Stelle der alten Gewalt trat eine neue: die Bourgeoisie hatte die politische Macht erobert, die Revolution war beendigt.


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