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V. Heines politisch-literarische Tätigkeit

(1830-1840)

Nachdem wir im vorigen Abschnitt die politisch-literarische Tätigkeit Börnes, ihren Inhalt, ihre Zielsetzung und ihre Aufnahme, besprochen haben, wird es jetzt unsere Aufgabe sein Heines politische Publizistik in demselben Zeitraum zu schildern.

Viele verwandte Züge zwischen Heines und Börnes politischen Bestrebungen werden wir nachweisen können, dennoch dürfte es sich zeigen, daß, als Heines politische Schriften Börnes Angriffe herausforderten und Heine dadurch immer mehr in die Defensive gedrängt wurde, gerade das Gegensätzliche in ihren Bestrebungen nicht nur aufgedeckt, sondern sogar akzentuiert wurde.

Als Heine, noch stark unter dem Eindruck der Julirevolution, nach Beendigung der Lektüre von Thiers' Revolutionsgeschichte, aus Helgoland nach Hamburg zurückgekehrt war, machte er den vierten Band der »Reisebilder«, der »die Stadt Lucca« und die »Englischen Fragmente« enthielt Im Januar 1831 erschienen, zunächst unter dem Titel »Nachträge zu den Reisebildern«., druckfertig. Der größere Teil des Buches, das nach Heines Wort »den Abschluß einer Lebensperiode« bezeichnete, »die zugleich mit dem Abschluß einer Weltperiode zusammentraf«, war vor 1830 geschrieben, ja, zum Teil bereits veröffentlicht worden Vgl. Heines Werke ed. Walzel, V. 498, 500.. Für uns ist aber das erst am 29. November 1830 entstandene »Schlußwort« von großer Bedeutung, denn eben damit eröffnet Heine die Reihe seiner politischen Schriften und stellt sich, obwohl ihm, wie wir gesehen haben Vgl. S. 52, 60 ff., innerlich vor den Folgen seines Schrittes graut, als Journalist in den Dienst der Zeit Hans Bloesch, Das Junge Deutschland in seinen Beziehungen zu Frankreich, Bern, 1903, S. 25, nennt die Vorrede zu »Kahldorf« Heines erste politische Schrift, eine Ansicht, die u. E. absolut unrichtig ist..

Der Dichter erklärt, daß sein Buch aus der Zeitnot hervorgegangen sei, jetzt aber sei das Wort eine Tat geworden, deren Folgen sich nicht abmessen ließen. Könne doch keiner genau wissen, ob er nicht gar am Ende als Blutzeuge für das Wort auftreten müsse; denn in Deutschland seien die alten Häscher schon wieder dabei das Feuer, das auch dort hie und da entstanden sei, zu löschen und um so fester die heimlichen Ketten zu schmieden. So wölbe sich unsichtbar eine noch dichtere Kerkermauer um das deutsche Volk. Der Dichter aber will zum Retter seines Volkes werden. Es ist wirklich nicht die eigne Selbstsucht, die ihn »zur Tribüne drängt«, im Gegenteil. Und recht bezeichnend sagt er, daß jetzt »die vornehme Eisrinde« von seinem Herzen schmilzt. Er fragt sich, ob es Liebe für das deutsche Volk oder Krankheit sei, die ihm das Schwert in die Hand drücke.

Und nun erzählt er die Geschichte von Kaiser Karl, der in Tirol gefangen saß, in einsamer Betrübnis, da keiner ihm zu Hülfe kam. Da öffnete sich plötzlich die Kerkertür, und der Mann, der als Befreier, als Retter eintrat, war Kunz von der Rosen, des Kaisers Hofnarr. »O, deutsches Vaterland! Teures deutsches Volk!«, ruft Heine aus, »ich bin dein Kunz von der Rosen. Der Dichter will nicht länger belustigen, trägt jetzt statt der Narrenkappe die phrygische Mütze, und schleicht sich so in den Kerker seines Volkes um ihm seine Befreiung zu verkünden: die Nacht ist vorüber und draußen glüht das Morgenrot«.

Aber auch hier zeigt sich, ebenso wie in den von uns an anderer Stelle Vgl. 52 ff. zitierten Briefen, die er kurz vor seiner Uebersiedelung nach Paris schrieb, daß Heine nicht mit der ganzen, restlosen Hingabe eines Börne für die Sache des Volkes zu leben vermag, denn, er erbittet sich nur eine Sache als Lohn für seine Treue, wenn das Volk einmal aus seinem Kerker befreit worden: der liebe Herr, das Volk, möge ihn nicht umbringen lassen!

Die politische Sendung, die er übernommen, beseligt ihn nicht. Kaum hat er sich die phrygische Mütze aufs Haupt gesetzt, so überfällt ihn ein leises Grauen, und eine heimliche Angst beschleicht ihn ...

An Varnhagen schreibt er über die »Nachträge zu den Reisebildern«: »Das Buch ist vorsätzlich so einseitig. Ich weiß sehr gut, daß die Revolution alle sozialen Interessen umfaßt, und Adel und Kirche nicht ihre einzigen Feinde sind. Aber ich habe, zur Faßlichkeit, die letzteren als die einzig verbündeten Feinde dargestellt, damit sich der Ankampf consolidire. Ich selbst hasse die aristocratie bourgeoise noch weit mehr« Brief vom 19. November 1830 (Hirth, I 628)..

Kurz vor seiner Abreise nach Frankreich hat Heine dann noch eine Streitschrift gegen den Adel veröffentlicht. Es war dies eine Einleitung zu Wesselhöfts Schrift gegen den Grafen Moltke: »Kahldorf über den Adel« Vgl. weiter: Heines Werke ed. Walzel, V 485, 575..

Es ist eine Lieblingsidee Heines eine Parallele zu ziehen zwischen der politischen Revolution in Frankreich und der philosophischen in Deutschland, und dieser Gedanke, der später im 3. Buch seiner »Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« näher ausgeführt werden soll, findet hier zum ersten Male seine Formulierung, wenn er über Deutschland schreibt: »So hatten wir den Bruch mit dem Bestehenden und der Ueberlieferung im Reiche des Gedankens, ebenso wie die Franzosen im Gebiete der Gesellschaft, um die Kritik der reinen Vernunft sammelten sich unsere philosophischen Jakobiner, die nichts gelten ließen, als was jener Kritik Stand hielt, Kant war unser Robespierre«.

In der Philosophie seien die Deutschen also sehr glücklich gewesen und es sei natürlich, daß man jetzt zur Politik übergehe. Es werde jetzt in Deutschland die Frage aufgeworfen, wie die deutsche Revolution verlaufen werde, blutig oder unblutig. Adel und Geistlichkeit drohten mit den Schreckbildern aus den Zeiten des Terrorismus, Liberale und Humanisten dagegen versprächen die schönen Szenen der großen Woche der Julirevolution. »Beide Parteien«, sagt Heine, »täuschen sich oder wollen andere täuschen«, und er betont, daß man nicht auf die französische Revolution von 1789 und 1830 hinweisen dürfe weder in günstigem noch in ungünstigem Sinne, denn »nur wenn dieselben Bedingnisse vorhanden sind, lassen sich dieselben Erscheinungen erwarten«. Uns erscheint dieser Ausspruch als eine Selbstverständlichkeit, er ist aber für die damalige Zeit viel mehr, er beweist, daß Heine, intuitiv oder unter dem Einfluß des Saint-Simonismus Vgl. Fr. Muckle, Die großen Sozialisten, Leipzig, 1919, II 13 ff. die Bedingtheit alles geschichtlichen Werdens und Wachsens verstand, daß ihm also die Erkenntnis aufgegangen war, daß eine Revolution nicht willkürlich gemacht wird, sondern sich als eine historische Notwendigkeit durchsetzt, »wenn die Bedingnisse dazu vorhanden sind«, das heißt, wenn die im Schoß der Gesellschaft zur Entwicklung gelangten Kräfte keinen andern Ausweg zu finden vermögen. Hier handelt es sich also nicht bloß um eine Schwärmerei für die Idee der Revolution, Heine zeigt hier schon Sinn für die Bedingtheit alles historischen Geschehens, den wir bei Börne und überhaupt bei den deutschen Liberalen von damals nur zu sehr vermissen. Er weist auch darauf hin, daß die Frage nach dem Charakter, den die Revolution in Deutschland annehmen könnte, sich in eine Frage über den Zustand der Zivilisation und der politischen Bildung des deutschen Volkes verwandeln muß.

Der Adel wird hingestellt als die große Macht, durch die das Prinzip der Freiheit und Gleichheit in seiner praktischen Durchführung beständig bedroht wird. Oesterreich besorgt die Adelsinteressen, ganz Europa wurde ein Sankt Helena, und Metternich ist dessen Hudson Lowe Sir Hudson Lowe, Gouverneur von St. Helena, dem die Überwachung Napoleons übertragen war.. Und wieder erscheint Napoleon als der Sohn der Revolution, als der Mann des Volkes, als das Opfer der Aristokratie Vgl. S. 37.; »Aber nur an dem sterblichen Leib der Revolution konnte man sich rächen, nur jene menschgewordene Revolution, die mit Stiefel und Sporen und bespritzt mit Schlachtfeldblut zu einer kaiserlichen Blondine ins Bett gestiegen und die weißen Laken von Habsburg befleckt hatte, nur jene Revolution konnte man an einem Magenkrebse sterben lassen; der Geist der Revolution ist jedoch unsterblich und liegt nicht unter den Trauerweiden von Longwood, und in dem großen Wochenbette des Ende Juli wurde die Revolution wieder geboren, nicht als einzelner Mensch, sondern als ganzes Volk, und in dieser Volkwerdung spottet sie des Kerkermeisters, der vor Schrecken das Schlüsselbund aus Händen fallen läßt« Heines Werke, ed. Walzel, V 402..

Die Einleitung zu »Kahldorf über den Adel« ist die letzte politische Schrift, die Heine auf deutschem Boden geschrieben hat. In Paris wird er zum Zeitschriftsteller, zum politischen Journalisten großen Stiles.

Heines journalistische Tätigkeit fängt erst an, nachdem die ersten Bände von Börnes »Briefen« erschienen waren. Sie hatten, wie wir wissen, beim liberalen deutschen Publikum eine begeisterte Aufnahme gefunden. Nun wurde Heine von Cotta aufgefordert an der »Allgemeinen Zeitung« mitzuarbeiten. »Mit Börne in Konkurrenz zu treten, seine Selbständigkeit neben diesem auf dem Gebiete der reinen Politik zu behaupten, mußte Heine um so mehr reizen«, so sagt Proelß Joh. Proelß, Das Junge Deutschland, S. 151., »als er sich des großen Unterschieds zwischen sich und ihm wohl bewußt war, während umgekehrt das liberale deutsche Publikum anfing, Heine und Börne zu einem zusammengehörigen Begriff zu verschmelzen«. Letzteres war, wie wir gesehen haben Vgl. S. 54., schon längst der Fall, wir halten uns aber keineswegs für berechtigt ebenso wie Proelß zu behaupten, Heines Eingehen auf Cottas Antrag lasse sich aus einer gewissen Rivalität Börne gegenüber erklären. Wir glauben vielmehr, daß Proelß hier ein Motiv hineininterpretiert, dessen Heine sich damals wenigstens noch nicht bewußt war. Erst infolge der journalistischen Tätigkeit Heines und ihres persönlichen Verhältnisses in Paris ist ihnen dieser Gegensatz recht klar zum Bewußtsein gekommen.

Jedenfalls gelang es Cotta Heine für die Journalistik zu gewinnen. Ebenso wie von Börne kann man von Heine sagen, daß das meiste, was er in Paris bis zu seinem Tode geschrieben hat, Zeitungsartikel waren, verfaßt in der Hoffnung, wie Treitschke sich in seiner subjektiven Weise ausdrückt, »seine verlassenen Landsleute zu betören durch jenen Zauber des Fremdartigen, dem die weitherzige deutsche Natur so selten widersteht« Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrh., Leipzig, 1889, IV 422..

»Hier ist jetzt alles still. Wird es lebhafter und passirt etwas Bedeutendes, so sollen Sie darüber Berichte für die Allgemeine Zeitung erhalten«, schreibt er am 31. Oktober 1831 an Cotta, Hirth, II 9. und stellt ihm sogar große ausgearbeitete Artikel über die politischen Zustände in Frankreich in Aussicht. Einstweilen schickt er ihm den Bericht über die Gemäldeausstellung in Paris, der, obwohl Heine nur beabsichtigt das deutsche Publikum mit der französischen Malerei bekannt zu machen, dennoch einige Stellen enthält, die für seine politische Haltung höchst wichtig sind.

Noch einmal flammt die Begeisterung für die Julirevolution auf, wenn er vor Delacroix' Bild steht, das eine Volksgruppe während der Juliustage darstellt: »Heilige Julitage von Paris! ihr werdet ewig Zeugnis geben von dem Uradel der Menschen, der nie ganz zerstört werden kann. Wer euch erlebt hat, der jammert nicht mehr auf den alten Gräbern, sondern freudig glaubt er jetzt an die Auferstehung der Völker« Heines Werke, ed. Walzel, VI 17..

Weit wichtiger ist für uns die Tatsache, daß wir bereits in diesem Artikel auf eine Stelle stoßen, in der Heine einen scharfen Protest gegen den Republikanismus der Liberalen vernehmen läßt. Zu einer Zeit, da die Welt Börne und Heine noch als Waffenbrüder betrachtete, schreibt letzterer, nachdem er Verwahrung gegen die Art und Weise eingelegt hat, in der die Legitimisten den Tod Ludwigs XVI. zu Gunsten ihrer Sache ausbeuten: »Es ist vielleicht an der Zeit, einerseits das allgemeine Volksrecht solcher Schmerzen zu vindizieren, damit sich das Volk nicht einreden lasse, nicht ihm gehörten die Könige, sondern einigen Auserwählten, die das Privilegium haben, jedes königliche Mißgeschick als ihr eigenes zu bejammern, andererseits ist es vielleicht an der Zeit, jene Schmerzen laut auszusprechen, da es jetzt wieder einige eiskluge Staatsgrübler gibt, einige nüchterne Bacchanten der Vernunft, die, in ihrem logischen Wahnsinn, uns alle Ehrfurcht, die das uralte Sakrament des Königtums gebietet, aus der Tiefe unserer Herzen herausdisputieren möchten« Heines Werke, ed. Walzel, VI 46 ff..

Heine, der als Schüler Saint-Simons von der Verkettung der historischen Ereignisse tief überzeugt ist, blickt ehrfurchtsvoll nach den Gestaltungen der Vergangenheit Vgl. Muckle, Die großen Sozialisten, II 13 ff.. Es ist die rationalistische Betrachtungsweise der damaligen Liberalen, die er schon in der unhistorischen Erfassung der Idee der Revolution verurteilt hatte, die ihn zwingt auch jetzt wieder in der Frage des Königtums ganz entschieden von seinen sogenannten Gesinnungsgenossen à la Börne abzurücken Vgl. dazu noch Heines Äußerungen in dem »Nachtrag 1833« zu den »Französischen Malern« (Heines Werke, ed. Walzel, VI 76 ff)..

Im allgemeinen ist dieser erste Bericht in ruhigem Tone gehalten. Nur, da er, im Begriff seine kunstkritische Abhandlung zu beendigen, gerade den Fall Warschaus erfährt, »verwirren und verschieben sich« bei ihm alle Bilder. Die Freiheitsgöttin von Delacroix tritt ihm mit ganz verändertem Gesichte entgegen, »fast mit Angst in dem wilden Auge«. »Gott sei uns allen gnädig! Unsere letzte Schutzmauer ist gefallen, die Göttin der Freiheit erbleicht, unsere Freunde liegen zu Boden, der römische Großpfaffe erhebt sich boshaft lächelnd, und die siegende Aristokratie steht triumphierend an dem Sarge des Volktums« Heines Werke ed. Walzel, VI 55..

Auch hier ist es bemerkenswert, wieviel realer Heine die politische Lage nach dem Sturze von Warschau erfaßt als Börne, der sich, wie wir sahen, nur in grundlos optimistischen Betrachtungen erschöpfte.

Heinrich Heine

Heinrich Heine (1797–1856).
Leichtgetönte Zeichnung von Samuel Friedrich Diez.
Im Besitze des Herrn Dr. Eduard Beith in Hamburg.

Es waren gewiß nicht nur die persönlichen Beziehungen zu Cotta, welche Heine dazu veranlaßten seine politischen Berichte gerade in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« fortzusetzen. Diese Zeitung, die jedenfalls in Preußen im Vergleich zu allen andern Zeitungen die meisten Abonnenten hatte, bot ihm eine Tribüne zur Verkündigung seiner politischen Ideen, wie er sie sonst in Deutschland nicht hätte finden können. Zwar war es keineswegs eine freie Tribüne, da Heine sich in Rücksicht auf die Zensurbehörde und auf die sehr mächtigen konservativen Elemente unter seinen Lesern entweder zu einer gewissen Mäßigung oder zu einer Verschleierung seiner wahren Gesinnung genötigt sah, aber er erwarb sich durch seine Mitarbeit an der »Allgemeinen Zeitung« eine Einflußsphäre, die bedeutend größer war, als wenn er seine Artikel in einer der ausgesprochen liberalen Zeitungen veröffentlicht hätte. Erst viele Jahre später (Mai 1854) hat Heine in der »Lutezia«, wenn auch nachträglich, sich sehr deutlich über seine journalistische Taktik ausgesprochen, die ihm von Börne und dessen Gesinnungsgenossen so schwer verübelt wurde. Es heißt da: »Ein in jeder Hinsicht politischer Schriftsteller muß der Sache wegen, die er verficht, der rohen Notwendigkeit manche bittere Zugeständnisse machen. Es gibt obskure Winkelblätter genug, worin wir unser ganzes Herz mit all seinen Zornbränden ausschütten könnten – aber sie haben nur ein sehr dürftiges und einflußloses Publikum, und es wäre ebensogut, als wenn wir in der Bierstube oder im Kaffeehause vor den respektiven Stammgästen schwadronierten, gleich andern großen Patrioten. Wir handeln weit klüger, wenn wir unsere Glut mäßigen, und mit nüchternen Worten, wo nicht gar unter einer Maske, in einer Zeitung uns aussprechen, die mit Recht eine Allgemeine Weltzeitung genannt wird, und vielen hunderttausend Lesern in allen Landen belehrsam zu Händen kommt. Selbst in einer trostlosen Verstümmelung kann hier das Wort gedeihlich wirken; die notdürftigste Andeutung wird zuweilen zu ersprießlicher Saat in unbekanntem Boden. Beseelte mich nicht dieser Gedanke, so hätte ich mir wahrlich nicht die Selbsttortur angetan für die »Allgemeine Zeitung« zu schreiben« Heines Werke, ed. Walzel, IX 76 ff..

Kaum hatte Heine, nach diesen strategischen Gesichtspunkten arbeitend, seine journalistische Tätigkeit angefangen, als er deswegen schon aus den Kreisen der deutschen Flüchtlinge in Paris heftig angefeindet wurde, weil sie seine Mäßigung nur als Verrat an der gemeinsamen Sache betrachteten. Bereits am 1. März 1832 schreibt Heine an Cotta: »Er (Kolb, der spätere Chefredakteur der »Allgemeinen Zeitung«) wird Ihnen, Herr Baron, auch von der Unbequemlichkeit meiner hiesigen Stellung unter den Patrioten erzählt haben, und Sie werden dadurch einsehen, daß bei meinen Aufsätzen, deren Vertretung nach unten weit schwieriger ist, als nach oben, eine ungewöhnlich gnädige Zensur stattfinden muß« Hirth, II 15..

Heine glaubte sogar, daß »die deutschen Jakobiner« in Paris eine durch den Buchhändler Frank verfälschte Uebersetzung seines ersten Artikels in die dortige »Tribüne« aufnehmen ließen, in der Absicht ihn dadurch dergestalt zu kompromittieren, daß er sich für sie oder gegen sie erklären müsse, wovon er das erstere aus Ueberzeugung und das andere aus Klugheit unterlassen habe, und er bemerkt sogar nachdrücklich, daß er aus Dégoût vor der jakobinischen Unredlichkeit noch gemäßigter als jemals werde Vgl. Brief an Cotta vom 20. Januar, 1832 (Hirth, II 11).. Im Jahre 1832 hat Heine seine Berichterstattung regelmäßig fortgesetzt. Es entstanden die politischen Briefe, die später unter dem Titel »Französische Zustände« in Buchform erscheinen sollten.

Kritik, schonungslose Kritik des Julikönigtums, bildet den wesentlichen Inhalt von Heines »Französischen Zuständen«. Zwar spricht er auch hier noch manchmal begeistert über Paris, den Strauß, der »bräutlich prangt an dem Busen Europas«, und die Stadt selber vergleicht er mit einem Pantheon der Lebenden, wo »eine neue Kunst, eine neue Religion, ein neues Leben geschaffen wird«, aber immer wieder richtet sich der Blick auf das Politische, richtet er seine Angriffe auf den Schein-Konstitutionalismus des Bürgerkönigtums. Die Gestalt Louis-Philipps leuchtete dereinst im Glanz der Juliussonne, die sein Haupt wie mit einer Glorie umstrahlte, er war der Mann, der selber bei Valmy und Jemappes für die bürgerliche Freiheit mitgefochten hatte, »er stand auf dem Balkone des Palais Royal und schlug mit der Hand den Takt zu der Marseillaise, die unten das Volk jubelte; und er war ganz der Sohn der Gleichheit, fils d'Egalité, der Soldat tricolore der Freiheit« Heines Werke, ed. Walzel, VI 164.. Aber Ludwig Philipp hat vergessen, daß seine Regierung durch das Prinzip der Volkssouveränität entstanden ist, »und in trübseligster Verblendung möchte er sie jetzt durch eine Quasilegitimität, durch Verbindung mit absoluten Fürsten, und durch Fortsetzung der Restaurationsperiode zu erhalten suchen. Dadurch geschieht es, daß jetzt die Geister der Revolution ihm grollen und unter allen Gestalten ihn befehden« Heines Werke, ed. Walzel, VI 103..

Ludwig Philipp, der dem Volke und den Pflastersteinen des Julius seinen Thron verdankt, mußte erfüllen, was sein ganzes Leben symbolisch versprochen hatte: Valmy und Jemappes mußten eine Wahrheit werden Heines Werke, ed. Walzel, VI 166., aber täglich geschehen Rückschritte, und »wie man die Pflastersteine, die an einigen Orten noch seitdem aufgehäuft lagen, jetzt wieder ruhig einsetzt, damit keine äußere Spur der Revolution übrig bleibe: so wird auch jetzt das Volk wieder an seine vorige Stelle, wie Pflastersteine, in die Erde zurückgestampft, und, nach wie vor, mit Füßen getreten« Heines Werke, ed. Walzel, VI 104..

Lafayette, dieser »treue Eckart der Freiheit«, ist infolgedessen krank, kummerkrank. »Ach! das größte Herz beider Welten, wie schmerzlich muß es jene königliche Täuschung empfinden« Heines Werke, ed. Walzel, VI 36..

Und, ebenso wenig wie er Ludwig Philipp schont, weil er unter seinem bescheidenen Filzhute »eine ganz unmaßgebliche Krone trägt und in seinem Regenschirm das absolute Zepter verbirgt« Heines Werke, ed. Walzel, VI 159., so werden auch die Stützen dieses Bürgerkönigtums scharf angegriffen. Thiers, »dieser Indifferentist von der tiefsten Art, dieser Goethe der Politik«, erscheint ihm neben dem Ministerpräsidenten Casimir Périer als der mächtigste Verfechter des Justemilieu-Systems, als der gefährlichste Vertreter der Hochfinanz.

Sollte sich aber das Entsetzliche begeben und Frankreich, »das Mutterland der Zivilisation und der Freiheit ginge verloren durch Leichtsinn und Verrat und die potsdämische Junkersprache schnarrte wieder durch die Straßen von Paris, und schmutzige Teutonenstiefel befleckten wieder den heiligen Boden der Boulevards und der Palais Royal röche wieder nach Juchten«, so hätte ein Mann, Casimir Périer, durch seinen kläglichen, krämerhaften Kleinsinn das Verderben des Vaterlandes verschuldet« Heines Werke, ed. Walzel, VI 143.. Casimir Périer »hat Frankreich erniedrigt um die Börsenkurse zu heben« Heines Werke, ed. Walzel, VI 206..

Wie gebannt von einem unheimlichen Zauber hat er eine Stunde lang neben ihm gestanden und »seine trübe Gestalt« betrachtet.

»Wenn dieser Mann fällt, dachte ich, hat die große Sonnenfinsternis ein Ende, und die dreifarbige Fahne auf dem Pantheon erglänzt wieder begeistert, und die Freiheitsbäume erblühen wieder! Dieser Mann ist der Atlas, der die Börse und das Orleans und das ganze europäische Staatengebäude auf seinen Schultern trägt, und wenn er fällt, so fällt die ganze Bude, worin man die edelsten Hoffnungen der Menschheit verschachert, und es fallen die Wechseltische und die Kurse und die Eigensucht und die Gemeinheit!« Heines Werke, ed. Walzel, VI 143.

Nach Heines Ansicht hat Casimir Périer Frankreich erniedrigt, da durch seine Hilfe die Finanzaristokratie immer mächtiger wurde und mit dem Justemilieu eine Periode schamlosester Volksausplünderung einsetzte. »Nie stand Frankreich so tief in den Augen des Auslandes, nicht einmal zur Zeit der Pompadour und der Dubarry. Man merkt jetzt, daß es noch etwas Kläglicheres gibt als eine Mätressenherrschaft. In dem Boudoir einer galanten Dame ist noch immer mehr Ehre zu finden als in dem Comptoir eines Bankiers« Heines Werke, ed. Walzel, VI 153..

Und dennoch schrieb Heine, als Casimir Périer an der Cholera starb, daß er dafür stimmen würde, ihn im Pantheon beisetzen zu lassen, denn er besaß seltene Talente und seltene Willenskraft, und was er tat, tat er im Interesse des Vaterlandes. Er ist das Talent und die Tatkraft, die von Heine, hier, wie an so mancher andren Stelle, gefeiert wird.

Périer war tot, aber »das System lebte noch«.

Heine hat nicht nur den Klassencharakter dieser Justemilieu-Politik, die ihrem Wesen nach nichts anderes als die Befestigung der Gewaltherrschaft der Bourgeoisie beabsichtigte, grell beleuchtet, er hat auch den überzeugenden Beweis geliefert, daß er die Julirevolution historisch ganz richtig erfaßt hat, wenn er sie nur als Moment in der Geschichte der Klassenkämpfe gelten lassen will: »Das Volk hat nichts gewonnen durch seinen Sieg als Reue und größere Not. Aber seid überzeugt, wenn wieder die Sturmglocke geläutet wird und das Volk zur Flinte greift, diesmal kämpft es für sich selber und verlangt den wohlverdienten Lohn« Heines Werke, ed. Walzel, VIII, 414., und er weist darauf hin, daß die Gesellschaft der Machthaber immer glaubt an die ewige Dauer ihrer Macht, »wenn auch die Annalen der Welthistorie und das feurige Mene-Tekel der Tagesblätter und sogar die laute Volksstimme auf der Straße ihre Warnungen aussprechen« Heines Werke, ed. Walzel, VI 173..

Wie unendlich tiefer blickt Heine auch hier wieder als Börne, der nur schmerzlich enttäuscht ist, daß »der Freiheit ihr Sieg verloren gegangen ist« Gutzkows Börnes Leben, S. 352). der eben deshalb von jetzt an die republikanische Staatsform als das höchste Ideal betrachtet und somit das ganze gewaltige Problem der Klassengegensätze zurückführt auf die Frage Monarchie oder Republik.

Wie urteilt Heine über diese Frage?

Heine leugnet, daß ein Demokrat notwendig Republikaner sein müsse. »Wir haben wohl gesehen, sagt er, daß die völlige Bürgergleichheit, die heiligste Demokratie, in sogenannten Monarchien blühen konnte, in Staaten, wo nur einer, unter den Namen Imperator oder Kalif oder Präsident oder König oder Sultan oder Protektor an der Spitze stand; während die sogenannten Republiken, wie die römische und griechische Republik, die italienischen Freistaaten des Mittelalters, die freien Reichsstädte in Deutschland, durchaus Aristokratien oder Oligarchien waren« Heines Werke, ed. Walzel, VI 500.. Hieraus schließt er, daß man zwischen der Sache der Demokratie und der Sache der Republik eine deutliche Unterscheidung machen müsse.

Diese Ausfälle gegen den Standpunkt Börnes waren die ersten Plänkeleien des Prinzipienkampfes, der nur zu bald zwischen Börne und Heine entbrennen sollte, und auch, in Rücksicht auf den geistigen Habitus der Gegner, entbrennen mußte.

Heine bekennt sich sogar, obwohl er, wie wir gesehen haben, an die Revolution der Zukunft glaubt, ganz offen zu der Idee der Monarchie: »Royalist aus angeborner Neigung, werde ich es in Frankreich auch aus Ueberzeugung« Heines Werke, ed. Walzel, VI 112.. Heine ist der Meinung, daß die Franzosen keine Republik ertragen können, dagegen prophezeit er: »Ich bin überzeugt, wenn wir längst ruhig in unseren Gräbern vermodert sind, kämpft man in Deutschland mit Wort und Schwert für die Republik. Denn die Republik ist eine Idee, und noch nie haben die Deutschen eine Idee aufgegeben ohne sie bis in alle ihre Konsequenzen durchgefochten zu haben« Heines Werke, ed. Walzel, VI 231..

Wenn Heine auch für das Königtum Partei ergreift, dann geschieht es doch immer zu Gunsten einer konstitutionellen Monarchie, denn die bürgerliche Freiheit gelange sicherer zur Entwicklung, wenn sie sich im Kampfe gegen die privilegierten Stände auf die konstitutionelle Monarchie stütze, als wenn die Republik zum Ziel des Kampfes gemacht werde.

Heftig bekämpft er aber deshalb sowohl den Scheinkonstitutionalismus Louis Philipps, wie auch die Karlistenpartei, deren absolutistische Tendenzen ihm natürlich ganz verhaßt sind. Wenn er dies aber tut, so ist doch wohl immer die unverkennbare Nebenabsicht seiner Angriffe auf die französischen Legitimisten, damit und dadurch zugleich eine Kritik des Metternichschen Systems zu liefern, und eben das machte seine Berichte höchst wertvoll für die deutsche Leserwelt.

Für die Bonapartisten zeigt er eine gewisse Vorliebe. Er tritt aber durchaus nicht mehr als Apostel der kaiserlichen Legende auf, denn immer wieder beklagt er jetzt den Abfall Napoleons von den Prinzipien der Demokratie Vgl. Strodtmann, II 41 ff.. Das Liebste an Napoleon ist ihm, daß er tot ist; »denn, lebte er noch, so müßte ich ihn ja bekämpfen helfen« Heines Werke, ed. Walzel, VI 115 ff.. »Napoleon sollte in allen Ländern den Sieg der Revolution erfechten, aber uneingedenk dieser Sendung, wollte er durch den Sieg sich selbst verherrlichen, und egoistisch erhaben stellte er sein eigenes Bild auf die erbeuteten Trophäen der Revolution, auf die zusammengegossenen Kanonen der Vendômesäule. Da hatten die Deutschen nun die Sendung, die Revolution zu rächen, und den Imperator wieder herabzureißen von der usurpierten Höhe, von der Höhe der Vendômesäule. Nur der dreifarbigen Fahne gebührt dieser Platz, und seit den Juliustagen flattert sie dort siegreich und verheißend. Wenn man in der Folge Napoleon wieder hinaufsetzt auf die Vendômesäule, so steht er dort nicht mehr als Imperator, als Cäsar, sondern als ein durch Unglück gesühnter und durch Tod gereinigter Repräsentant der Revolution, als ein Sinnbild der siegenden Volksgewalt« Heines Werke, ed. Walzel, VI 170 ff..

Am 20. August 1832 schreibt er aus Dieppe anläßlich des Todes des jungen Napoleon wieder über die Bonapartisten. Es sind Worte, die u. E. zugleich die Erklärung für Heines Standpunkt enthalten, wenn dieser sich nachdrücklich als »Royalist aus angeborner Neigung« bezeichnet, einen Standpunkt, der ihm von Börne und den andern »Bacchanten der Vernunft« schwer verübelt wurde, weil sie ihn nun einmal nicht zu deuten vermochten. Heine sagt nämlich in dem angeführten Bericht Heines Werke, ed. Walzel, VI 302., daß für die Bonapartisten, die an eine kaiserliche Auferstehung des Fleisches geglaubt hätten, jetzt alles zu Ende sei. »Aber für die Bonapartisten, die an eine Auferstehung des Geistes geglaubt, erblüht jetzt die beste Hoffnung. Der Bonapartismus ist für diese nicht eine Ueberlieferung der Macht durch Zeugung und Erstgeburt, nein, ihr Bonapartismus ist jetzt gleichsam von aller tierischen Beimischung gereinigt, er ist ihnen die Idee einer Alleinherrschaft der höchsten Kraft, angewendet zum Besten des Volkes, und der diese Kraft hat und sie so anwendet, den nennen sie Napoleon II. Wie Cäsar der [bloßen] Herrschergewalt seinen Namen gab, so gibt Napoleon seinen Namen einem neuen Cäsartume, wozu nur derjenige berechtigt ist, der die höchste Fähigkeit und den besten Willen besitzt.« Napoleon ist ihm der Typus »eines Saint-simonistischen Kaisers«, und in diesen Worten besitzen wir wohl den Schlüssel zur Erklärung von Heines monarchistischer Gesinnung. Der soll König sein, der »kraft seiner geistigen Superiorität zur Obergewalt befugt« Heines Werke, ed. Walzel, VI 302. ist, der »die höchste Fähigkeit und den besten Willen besitzt.« Es ist Heines romantische Begeisterung für die großen Individualitäten, es ist seine tiefe Verehrung für das Genie als Führer der Massen, die ihn zum Monarchisten in Saint-simonistischem Sinne macht. »Royalist aus angeborner Neigung« ist Heine insoweit, als in ihm die Ehrfurcht lebt vor den großen Führern der Menschheit, vor den Geistesheroen, wie Moses, Jesus, Mohammed, Karl der Große, Luther und Napoleon, die ihre Machtstellung nicht der »Zeugung und Erstgeburt« sondern nur ihrer überragenden Größe Lichtenberger, Heinrich Heine als Denker, S. 134 ff. zu verdanken haben. Es darf die Frage gestellt werden, ob Heines Begeisterung für die Idee der Revolution, ob überhaupt sein Freiheitspathos sich mit einem solchen Kultus der Idee des »Uebermenschen« in Einklang bringen lasse. Die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs liegt wohl darin, daß Heine mit den Saint-Simonisten einen Kampf führt gegen alle, welche auf Kosten des Volkes leben, gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, daß er aber andererseits, wiederum ganz in Uebereinstimmung mit den Saint-Simonisten, für die Gesellschaft der Zukunft eine Rangordnung nach dem Talente, und nicht eine nach Geburt oder Vermögen als unerläßliche Forderung betrachtet.

Wenn Heine also wiederholt nachdrücklich erklärt, er sei weder Republikaner noch Jakobiner, so haben wir eine solche Behauptung keineswegs zu betrachten als eine Absage an die Idee der Demokratie. Heine will vielmehr dadurch schroff und klar zu erkennen geben, daß er die rationalistischen Gleichheitsphrasen der Liberalen à la Börne, Wirth und Siebenpfeiffer grundsätzlich verurteilt, weil er, ganz sozialistisch gedacht, die natürliche Ungleichheit anerkennt, dagegen aber die durch Kapitalbesitz oder Geburt verursachte Ungleichheit der Entwicklungsbedingungen aus der Welt schaffen will. Wir können uns nach alledem, was wir hier über das Wesen von Heines Royalismus gesagt haben, natürlich gar nicht einverstanden erklären mit Strodtmann, der Heines monarchistische Äußerungen nur als »captationes benevolentiae« betrachtet, durch welche er sich die »Möglichkeit der Besprechung eines so häklichen Stoffes« in der Augsburger Zeitung zu verschaffen gewußt habe Strodtmann, II 44..

Es handelt sich hier nach unserer Meinung nicht um eine Frage der journalistischen Taktik, sondern um eine prinzipielle Abkehr Heines von der liberalen Doktrin seiner Zeit. Heine hat wohl gar das lebhafte Bedürfnis gefühlt in unzweideutiger Weise den prinzipiellen Unterschied zwischen ihm und den deutschen Republikanern in Paris zu erkennen zu geben: Unerschütterlich in seinen Grundsätzen »haben selbst die Ränke des Jakobinismus nicht vermocht«, ihn in Paris »in den dunkelen Strudel hineinzureißen, wo deutscher Unverstand mit französischem Leichtsinn rivalisierte«, und er bemerkt nachdrücklich: »Ich habe keinen Teil genommen an der hiesigen deutschen Assoziation, außer daß ich ihr bei einer Kollekte für die Unterstützung der freien Presse einige Franks zollte; lange vor den Juniustagen habe ich den Vorstehern jener Assoziation aufs bestimmteste notifiziert, daß ich nicht mit derselben in weiterer Verbindung stehe« Heines Werke, ed. Walzel, VI 250; vgl. hierzu auch S. 67.. An anderer Stelle zeigt er sehr deutlich den uns schon bekannten Gegensatz zu den Republikanern, wenn er uns schildert, wie er sich deplaziert fühlte in der Versammlung der Amis du peuple, die »ganz roch wie ein zerlesenes, klebrichtes Exemplar des ›Moniteurs‹ von 1793« Heines Werke, ed. Walzel, VI 126.. Er findet es töricht, daß diese Republikaner die Sprache von 1793 wieder heraufbeschwören wollen. Sie handeln dadurch ebenso retrograde, wie die eifrigsten Kämpen des alten Regimes. Sowohl die Republikaner wie die Karlisten bezeichnet er als »Plagiarien der Vergangenheit« Heines Werke, ed. Walzel, VI 125.. Es ist wohl deutlich, daß bei solchen Kundgebungen Börne und Genossen Heines journalistische Tätigkeit mit steigendem Mißtrauen verfolgten, daß sie, wo sie keiner andern Deutung fähig waren, die vielen Widersprüche als ebensoviele Beweise für Heines Verrat an der gemeinsamen Sache betrachteten.

Wie kurzsichtig diese Beurteilung war, geht aber vielleicht am deutlichsten aus Heines Bewunderung für die Heldentaten der namenlosen Republikaner hervor, die ihr Leben bei einem mißlungenen Revolutionsversuch opferten. Die verschiedenenrepublikanischen Verbindungen Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, München, 1921, II (Die industrielle Gesellschaft), S. 366. waren mit einander in Verbindung getreten und benutzten im Juni 1831 das Leichenbegängnis des Generals Lamarque, eines der Führer der republikanischen Partei, zu einem Aufstand gegen die Regierung: »Erhebend und doch zugleich beängstigend wirkte besonders der Anblick der Jugend aller hohen Schulen von Paris, der Amis du Peuple, und so vieler anderer Republikaner aus allen Ständen, die, mit furchtbarem Jubel die Luft erfüllend, gleich Bacchanten der Freiheit, vorüberzogen«. Die Republikaner wurden zersprengt und geschlagen und der Rest derselben in der Rue Saint-Martin mit Kartätschen zusammengeschossen. »Kein einziger war dabei, der einen bekannten Namen trug, oder den man früher als einen ausgezeichneten Kämpen des Republikanismus gekannt hätte«, aber es war nach des Dichters Worten »das beste Blut Frankreichs, welches in der Rue Saint-Martin geflossen,« und »der bescheidene Tod dieser großen Unbekannten« bringt ihm auch die trostreiche, erhebende Gewißheit, »daß viele tausend Menschen, die wir gar nicht kennen, bereit stehen für die heilige Sache der Menschheit ihr Leben zu opfern« Heines Werke, ed. Walzel, VI 239 ff..

Heine hatte den Plan gefaßt seine vom 1. Januar 1832 an in der »Allgemeinen Zeitung« veröffentlichten Korrespondenzen über »Französische Zustände« in Buchform herauszugeben Vgl. Brief an Varnhagen: Ankunfts-Poststempel: 22. Mai 1832, (Hirth, II 21)., als er bereits im Dezember desselben Jahres durch das Vorgehen Metternichs seine politischen Korrespondenzberichte einstellen mußte. Es mag sein, daß Heine die Erwartung gehegt hat, daß seine schonungslose Kritik der konstitutionellen Monarchie des Justemilieu den deutschen und österreichischen Machthabern, Gegnern jeder konstitutionellen Regierung, so angenehm sein würde, daß sie deswegen seine liberalen Äußerungen mit in den Kauf nehmen wollten. Es sollte sich aber zeigen, daß Metternich sehr wohl herausgefühlt hatte, wie Heines Kritik des »Bürgerkönigtums« Louis Philipps, das er vor allem wegen der absolutistischen Tendenzen bekämpfte, ihrem Wesen nach doch auf eine verschleierte Kritik des Absolutismus an sich hinauslief.

Deswegen ließ Metternich, der auf diese Artikel durch Gentz aufmerksam gemacht worden war, Geiger, Das Junge Deutschland, Berlin, S. 195. durch letztern bei Cotta einen sehr höflichen, aber sehr energischen Protest gegen die Mitarbeiterschaft Heines an der »Allgemeinen Zeitung« Vgl. hierzu: Strodtmann, II 54 ff. erheben. Der Wink war nicht mißzuverstehen. Cotta sah sich, weil gerade wieder mehrere freisinnige Blätter ganz verboten wurden, genötigt, einstweilen auf eine weitere Aufnahme Heinescher Korrespondenzen zu verzichten Ganz unpolitisch waren die Briefe Heines über den »Salon«, die 1833 in der »Allgemeinen Zeitung« erschienen..

Ende 1832 erschienen aber bei Julius Campe die bis zum September desselben Jahres für Cottas »Allgemeine Zeitung« gelieferten Artikel in Buchform. Schon im Januar 1833 hat Lagarmitte, ein Freund Börnes und Heines, im 57. Band der »Revue Encyclopédique« den Ruf nach einer französischen Ausgabe der »Französischen Zustände« erhoben. Im Juni 1833 kam Heine mit seinem Buch »De la France« dieser Forderung nach Ueber diese Uebersetzung und Eugène Renduels Einleitung dazu vgl. Alfred Schellenberg, Heinrich Heines französische Prosawerke, Berlin 1922, S. 16 ff..

Mit dieser Veröffentlichung hatte Heine für lange Zeit sein letztes Wort als politischer Schriftsteller gesprochen, aber dieses letzte Wort war zugleich, speziell was die dem Werke beigegebene »Vorrede« betrifft, sein kräftigstes, kühnstes Wort. Und doch, eben um dieselbe Zeit, da er seine Anklageschrift gegen die Urheber der reaktionären Bundesbeschlüsse Vgl. S. 86. von 1832 in die Welt schleudert, schreibt Heine an Immermann Paris, 19. Dezember, 1832, (Hirth, II 29).: »Von der Politik stehe ich jetzt ferne. Ich werde von den Demagogen gehaßt. Durch die Vorrede zu den ›Zuständen‹ die Sie wohl nächstens sehen, habe ich nur zeigen wollen, daß ich kein bezahlter Schuft bin.«

Heines leidenschaftlichste politische Schrift veröffentlicht er in einer Zeit, wo er sich von der Politik ganz lossagt. Der scheinbare Widerspruch läßt sich aber erklären, wenn wir bedenken, daß Heine in seiner »Vorrede« gegen zwei Fronten kämpft, daß er sich also sowohl in der Offensive wie in der Defensive befindet, denn einerseits sind es die deutschen Reaktionäre, gegen die sich seine Pfeile richten, andererseits gilt es, gerade dadurch die Lauterkeit des eignen politischen Charakters den Republikanern à la Börne gegenüber zu verteidigen. Durch die »Vorrede« wollte er beweisen, daß er kein bezahlter Schuft sei, denn der Spürsinn eines Metternich hatte besser die revolutionäre Tendenz der Heineschen Korrespondenzen verstanden als Börne und Genossen dies vermocht hatten.

Schon im März 1832 klagt Heine bei Cotta darüber, daß der Republikanismus der Tribünenleute ihm fatal sei und daß er schon die Zeit herannahen sehe, wo sie ihn als Verteidiger der Institution des Königstums noch bitterer befehden würden als andere Brief vom 1. März, 1832 (Hirth, II 19).. Und an Varnhagen schreibt er: er stehe jetzt auf Friedensfuß mit allem Bestehenden, und wenn er auch noch nicht desarmiere, so geschehe es nur der Demagogen wegen, gegen welche er einen schweren Stand habe. Diese Leute hätten ihn, als er sich zu keinem Mitwahnsinn verstanden habe, durchaus zwingen wollen als Tribun abzudanken, wozu er aber gar keine Lust gehabt habe. Die Cholera in Paris habe ihn jedenfalls von der Furcht vor diesen überlästigen Gesellen befreit.

Mit Börne, der, ebenso wie er selber, trotz der Cholera in Paris geblieben sei, stehe er sehr schlecht, denn dieser habe einige jakobinische Ränke gegen ihn losgelassen, er betrachte ihn als einen Verrückten Brief an Varnhagen von Ense (Ankunfts-Poststempel: Hamburg, 22 Mai 1832, (Hirth, II 21).. Wir können nicht sagen, was für Ränke gemeint sind, wir wissen aber wohl, in welcher gehässigen Weise Heine wiederholt angegriffen wurde.

So hat Börne in einem der »Briefe aus Paris« 109. Brief (Börnes Werke, ed. Klaar, VI 286; im 33. u. 62. Brief wurde sehr anerkennend über Heine gesprochen.) ihm eigentlich nichts mehr oder weniger als Mangel an Charakter, an fester, treuer Gesinnung, vorgeworfen, weil Heine es, nach Börnes Meinung, darauf abgesehen habe es weder mit den Fürsten und Aristokraten noch mit den Republikanern gänzlich zu verderben.

Heine, so urteilt Börne, bewundert an der Wahrheit nur das Schöne, aber die Wahrheit ist nicht immer schön, es dauert oft lange bis sie in Blüte kommt. Heine würde die deutsche Freiheit anbeten, wenn sie in voller Blüte stünde: da sie aber wegen des rauhen Winters mit Mist bedeckt ist, erkennt er sie nicht und verachtet sie. Der arme Heine hat zwei Rücken, er fürchtet die Schläge der Aristokraten und die Schläge der Demokraten, und um beiden auszuweichen muß er zugleich vorwärts und rückwärts gehen. Er gefällt sich, den Jesuiten des Liberalismus zu spielen, eine einträgliche Rolle, die ein ehrlicher Mann nicht übernehmen darf, sondern die er anderen überlassen muß. Heine findet seine Freude daran, seine Zähne zum Gefängnisgitter seiner Gedanken zu machen.

Man bekommt bei der Lektüre dieses Briefes manchmal den Eindruck, daß Börne Heine nicht als »politisch reinen Herzens« betrachtet, mit andern Worten, daß er durchblicken läßt, Heine könne von Oesterreich bestochen sein Eine weitere Anspielung auf Heines Bestechlichkeit findet sich im 15. Brief der »Briefe aus Paris« (Börnes Werke, ed. Klaar, VI 326 ff)..

Trotz seiner starken Abneigung gegen Börne und dessen Getreue empfand Heine die wiederholten Angriffe auf seine Gesinnungstüchtigkeit wohl als etwas sehr Peinliches Wie sehr Heine sich verletzt fühlte, geht vielleicht am besten daraus hervor, daß er viele Jahre später, in seinem »Ludwig Börne«, den betreffenden Brief Börnes sehr ausführlich zitiert (Heines Werke, ed. Walzel VIII, 505 ff.)., so daß ihm alles daran lag sich in den Augen seiner liberalen und radikalen Landsleute zu rehabilitieren, zu zeigen, daß er »kein bezahlter Schuft« sei.

Unter solchen Stimmungen war die »Vorrede« entstanden, in der aber zunächst durch Campe so viel gestrichen wurde, daß Heine sich heftig entrüstet an seinen Verleger wendet, weil er jetzt vor den Augen von ganz Deutschland als ein trübseliger Schmeichler des Königs von Preußen erscheine. Die Vorrede sollte nun schnell als Broschüre herauskommen: »Eben weil es jetzt so schlecht geht mit der Sache des Liberalismus, muß jetzt alles getan werden. Ich weiß, daß ich mir Deutschland auf Lebenszeit versperre, wenn die Vorrede erscheint, aber sie soll ganz so erscheinen wie das Manuskript ist« Brief an Julius Campe vom 28. Dez. 1832 (Hirth, II 29)..

Trotz seiner Entrüstung über Campes eigenmächtiges Verfahren schließt er den Brief mit einer Äußerung, die deutlich zeigt, daß er innerlich der ganzen Sache schon überdrüssig ist und daß sein Geist schon wieder hinausstrebt in andere Provinzen als die der Politik. Es heißt da nämlich: »Ich kann gewiß nicht schlafen, ehe die Vorrede gedruckt ist. Es wäre besser gewesen, es wäre noch mehr davon unterdrückt worden. Wieviel Schererei um diese Bagatell, wofür ich nur Not und Verfolgung einernte: Ich habe in weniger Zeit, als mir die Vorrede kostete, fast ein halbes Buch geschrieben, nämlich eine Geschichte der deutschen Literatur, seit dem Verfall der Schlegel.«

In einer Erklärung, die Heine am 11. Januar 1833 in die »Allgemeine Zeitung« einrücken ließ, hat er dagegen protestiert, daß in der »Vorrede« durch die vielen Streichungen alles, was er gesagt habe, nicht bloß entstellt, sondern auch mitunter ins Servile verkehrt worden sei Vgl. auch Brief an Cotta vom 1. Januar 1833 (Hirth II 31)..

Die Behauptung Strodtmanns Strodtmann, II 63 ff., Campe hätte nun einen unverstümmelten Abdruck der Vorrede als Broschüre fertiggestellt, muß nach den Ausführungen Ludwig Geigers Geiger, Das Junge Deutschland, S. 22. wohl als unrichtig betrachtet werden. Heine hatte übrigens schon Anweisung gegeben alle eventuell bereits abgedruckten (?) Exemplare wieder einzustampfen.

Der Tribun hatte den Mut verloren, er fand es doch wohl zu bedenklich die Verantwortung für die Verbreitung der Broschüre in Deutschland zu übernehmen. Wenige Monate später erschienen seine »Französischen Zustände« unter dem Titel »De la France« und, wie er an Laube schrieb Brief an Laube vom 10. Juli 1833 (Hirth, II 35 ff.), »begleitet von der ganzen, unverstümmelten Vorrede. Diese ist jetzt auch bei Heideloff in deutscher Sprache erschienen.« Heines Behauptung Vgl. Brief an Laube vom 23. November 1835 (Hirth, II 89)., daß das gleichzeitige Erscheinen eines deutschen Sonderabdrucks, im Verlag von Heideloff und Campe, ohne sein Zutun, ja, sogar gegen seinen Willen geschehen sei, ist kaum glaublich Vgl. Heines Werke, ed. Elster, V 10..

In dem Briefe, in dem er Varnhagen das Erscheinen der französischen Ausgabe mitteilt Brief an Varnhagen vom 16. Juli 1833 (Hirth, II 39 ff.)., finden wir einen Satz, der zum Verständnis der Entstehungsgeschichte der Vorrede nicht ohne Bedeutung ist. Er macht über letztere die Bemerkung: »Diese, das leidenschaftliche Produkt meines Unmuts über die bundestäglichen Beschlüsse, versperrt mir vielleicht auf immer die Rückkehr nach Deutschland; aber sie rettet mich vielleicht von dem Laternentod bei der nächsten Insurrektion, indem jetzt meine holden Landsleute mich nicht mehr des Einverständnisses mit Preußen beschuldigen können. Schufte, wie Börne und Consorten, habe ich dadurch unschädlich gemacht, für mich wenigstens.« In dem Broschürendruck der Vorrede sollte ihr nach einem von Strodtmann benutzten Korrekturabzug noch eine »Vorrede« zur »Vorrede« vorangehen Heines Werke, ed. Walzel, VI 488.. Die vielfach für die Demokraten gebrauchte Bezeichnung »französische Partei in Deutschland«, so sagt Heine hier, ist nur eine Spekulation auf alles, was schlecht im deutschen Volke ist, auf Nationalhaß und politischen Aberglauben. Man sollte die demokratische Partei lieber die himmlische Partei nennen, denn jene Erklärung der Menschenrechte stamme nicht aus Frankreich, wo sie freilich am glorreichsten proklamiert worden sei, nicht einmal aus Amerika, woher sie Lafayette geholt habe, sondern sie stamme aus dem Himmel, dem ewigen Vaterland der Vernunft.

Es verstimmt ihn aber, daß auch »von Seiten der himmlischen Partei« sein guter Leumund angegriffen worden sei, daß man ihn der antiliberalsten Tendenzen bezichtige und der Sache der Freiheit abtrünnig glaube. Es folgt dann die eigentliche Vorrede, die ohne Zweifel als eine Art politischen Glaubensbekenntnisses Heines betrachtet werden darf.

Er verteidigt zunächst seine Mitarbeit an der »Allgemeinen Zeitung«, und zwar mit derselben Begründung, die er später auch in der »Lutezia« gegeben hat Vgl. S. 113.; die einflußreiche Zeitung ist ihm eine wichtige Rednerbühne, denn »wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die heilige Allianz der Nationen, kommt zu stande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit. Dieser Wirksamkeit bleibt mein Leben gewidmet: es ist mein Amt.«

Die Freunde haben ihn verkannt, ihn der Lauheit beschuldigt, er aber hat an ihrer Torheit nie teilnehmen wollen, immer aber wird er an ihrem Unglück teilnehmen. Er versichert sogar, daß er nie in die Heimat zurückkehren wird, »so lange noch ein einziger jener edlen Flüchtlinge, die vor allzugroßer Begeisterung keiner Vernunft Gehör geben konnten, in der Fremde, im Elend, weilen muß.«

Das klingt gewiß ein wenig anders als in dem vorhin zitierten Brief an Varnhagen Vgl. S. 127., in dem es heißt daß er durch die Vorrede »Schufte, wie Börne und Consorten« unschädlich gemacht habe.

Heine beklagt das deutsche Vaterland, das die neue Schandtat der Bundestagbeschlüsse vom 28. Juni 1832, die also kurz nach dem Hambacher Fest erlassen wurden, zu ertragen hat. Nie ist ein Volk von seinen Machthabern so grausam verhöhnt worden. Der schlimmste Feind ist aber nicht Oesterreich sondern Preußen: »Oesterreich war immer ein offner, ehrlicher Feind, der nie seinen Ankampf gegen den Liberalismus geleugnet oder auf eine kurze Zeit eingestellt hätte. Metternich hat nie mit der Göttin der Freiheit geliebäugelt«, Preußen ist ihm aber der lange, frömmelnde »Gamaschenheld mit dem weiten Magen und mit dem großen Maule und mit dem Korporalstock, den er erst in Weihwasser taucht, ehe er damit zuschlägt.« Preußen ist ihm der »Tartüff unter den Staaten«. Aber, »als Warschau fiel, fiel auch der weiche Mantel, worin sich Preußen so schön zu drapieren gewußt, und selbst der Blödsinnigste erblickte die eiserne Rüstung des Despotismus, die darunter verborgen war.« Wie feige, wie gemein, wie meuchlerisch hat Preußen gegen die Polen, »diese edelsten Kinder des Unglücks« gehandelt. Dieses Preußen versteht aber seine Leute für seine Staatskomödien zu gebrauchen; so mußte Hegel »die Knechtschaft, das Bestehende, als vernünftig rechtfertigen«, und »Schleiermacher mußte gegen die Freiheit protestieren«. Ein Gleiches gilt für Friedrich von Raumer und Ranke.

Er kommt dann auf die Bundestagsbeschlüsse zu sprechen und erhebt seine Anklage gegen die Verfertiger der Wiener Bundesakte. Er protestiert gegen alle Forderungen, welche die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni 1832 aus dieser Bundesakte geschöpft haben Siehe auch S. 4.. Friedrich Wilhelm, der seinem Volke eine Verfassung versprochen hatte, hat jetzt jene anderen Fürsten, die sich verpflichtet gehalten, ihren Untertanen eine freie Verfassung zu erteilen, ebenfalls zum Wortbruch zu verleiten gewußt. Das deutsche Volk ist der große Narr, »seine buntscheckige Jacke besteht aus sechsunddreißig Flicken.« Zum Schluß droht Heine mit dem Zorn des »großen Narren, wenn der Tag kommen wird, an dem ihm all die Lasten zu schwer werden und er Eure Soldaten von sich abschüttelt und Euch selber, aus Ueberspaß, mit dem kleinen Finger den Kopf eindrückt, so daß Euer Hirn bis an die Sterne spritzt«.

Eine Sprache von so hinreißender Wucht und Gewalt, wie Heine sie zum Angriff auf Preußen und die Hohenzollern hören ließ, war bis dahin unbekannt in der politischen Literatur der Deutschen. Friedrich Wilhelm selbst fragte in einer Kabinettsorder vom 29. Januar 1833 an, »was wegen der zu Hamburg gedruckten, höchst verwerflichen beiden Bücher ›Französische Zustände‹ von Heine und ›Mitteilungen aus dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde‹ von Börne« verfügt worden sei Mitgeteilt von Hermann Wendel, H. Heine, Dresden, 1916, S. 168.. Jetzt kam Heines Name auf die Liste der proskibierten Landesfeinde. Die reaktionären Maßregeln gegen die liberalen Tendenzen in der Literatur nahmen von Tag zu Tag zu. Eigentlich war also der Stein längst im Rollen, als durch Menzels Denunzierung am 10. Dezember 1835 das vorhin ausführlich besprochene Siehe S. 127. Edikt gegen das »Junge Deutschland« erschien, als dessen spiritus rector Heine genannt wurde.

Es ist also höchst merkwürdig, daß Heine noch am 7. April 1835 an Julius Campe schrieb: »Ich bin überhaupt keineswegs als Demagoge verrufen, habe den Regierungen Beweise meiner Mäßigung gegeben« Hirth, II 65.. Um dieselbe Zeit berichtet er an Laube: »Soviel ich weiß, kann keine Regierung mir etwas anhaben; die famose Vorrede, die ich bei Campe, als sie schon gedruckt war, zu vernichten gewußt, ist später nur durch den preußischen Spion Klaproth in die Welt gekommen, das wußte die Gesandtschaft, so daß mir auch nicht einmal ein Preßvergehen stark aufgebürdet werden kann« Brief vom 23. November, 1835 (Hirth, II 89).. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß diese Klaproth-Geschichte wohl nicht mehr als eine Erfindung ist und daß Heine höchst wahrscheinlich die Hand im Spiele gehabt hat Nach einer gerichtlichen Aussage Paul Gaugers, Kommis bei der Pariser Buchhandlung Heideloff u. Campe, ging die Flugschrift von Heine selbst aus (vgl. weiter Houben, Gespräche mit Heine, Nr. 261 und Geiger, Das Junge Deutschland, S. 36 ff.).

Als Heine im Unsichern darüber ist, ob sein Name wirklich auf der Proskriptionsliste steht, glaubt er, man verlange nur »Demarchen von seiner Seite um ihn davon zu lösen«: er habe seit vier Jahren nichts gegen die Regierungen geschrieben und habe sich, wie es notorisch sei, von dem Jakobinismus geschieden Brief an Julius Campe vom 12. Januar 1836 (Hirth, II 93)..

Als es ihm endlich doch deutlich wird, daß trotz seiner Bemühungen »den Regierungen Beweise seiner Mäßigung zu geben« und trotzdem er, wie er selber mit Genugtuung bemerkt, mit den Diplomaten in Paris sehr gut steht Brief an Laube vom 23. November 1835 (Hirth, II 89)., seine Werke verboten werden, richtet er sein Schreiben an die Hohe Bundesversammlung Hirth, II 376; vgl. auch Grillparzer über seinen Besuch bei Heine in dieser Zeit, (Bieber, Heine-Gespräche, Berlin, 1926, S. 159).. Sobald ihm das freie Wort gelassen wird, hofft er zu beweisen, daß seine Schriften aus einer wahrhaft religiösen und moralischen Synthese hervorgegangen sind, einer Synthese, welcher nicht bloß die neue literarische Schule, benamset Das Junge Deutschland, sondern die gefeiertsten deutschen Schriftsteller seit langer Zeit gehuldigt haben.

Heine schmeichelte sich mit dem Gedanken, sein »kindlich siruplich submisser Brief« an die Herren der Bundesversammlung werde eine gute Wirkung hervorbringen.

Treitschke hat behauptet, daß Heine auch vor Metternich zu Kreuze gekrochen sei Treitschke, Deutsche Geschichte, Leipzig, 1889, IV 440.. Aus dem Bericht Maltzans vom 1. Juli 1836 zitiert Geiger Geiger, Das Junge Deutschland, S. 195. wörtlich; »Monsieur le prince de Metternich me cita encore avec prière de lui garder le secret, un exemple fort curieux et venant à l'appui de ma très respectueuse observation, c'est que Son Altesse a reçu une lettre du fameux Heine renfermant la soumission la plus complète de ce détestable écrivain. Le Sieur Heine supplie le Prince d'être généreux tel que cela convient au vainqueur, car, ajoute-t-il, le Système politique que défend l'Autriche triomphe de le recevoir et de le tirer ainsi de la misère. Cette misère semble être le fruit bienfaisant des sages résolutions fédérales prises à Francfort contre la littérature de la soi-disante jeune-Allemagne de manière que les gouvernements germaniques n'ont qu'à se louer d'avoir appliqué au mal des mesures répressives aussi efficaces.«

Endlich übersah Heine die Sachlage: »Ich bin krank von Gram. Ich sehe ein, daß auch die Partei der Gemäßigten eine geschlagene ist. Ich werde jetzt ... ich weiß wahrhaftig noch nicht, was ich thun werde« Brief an Julius Campe vom 22. März 1836 (Hirth, II 106)..

Im dritten Bande des »Salons« geht er, ebenso wie Börne es getan hatte, mit dem Denunzianten Menzel ins Gericht und zwar ganz erbarmungslos und in mancher Hinsicht unfein, aber jedenfalls ist ihm auf dem Gebiete der deutschen Journalistik in den ersten Jahren jede Möglichkeit zur Betätigung genommen. Im Jahre 1838 plant er die Herausgabe einer in Paris erscheinenden deutschen Zeitung, und er erklärt sich deshalb bei Varnhagen van Ense Brief vom 13. Februar 1838 (Hirth, II 207 ff.)., der ihm die Genehmigung der preußischen Regierung erwirken soll, sogar gegen die konstitutionelle Regierungsform und lobt Preußens Verdienste um die Rheinlande. Aber die preußische Regierung war nicht geneigt mit dem Verfasser der berüchtigten Vorrede zu paktieren.

So auf allen Seiten gehemmt wendet Heine sich, wie wir dies auch bei Börne gesehen haben, in der nun einsetzenden zweiten Periode seines journalistischen Schaffens, immer mehr der Aufgabe zu, in Frankreich Verständnis zu wecken für deutsche Art und Kunst. Der politische Publizist wird zum Kulturvermittler; ebenso wie Börne will er mitarbeiten an der geistigen Annäherung der beiden großen Kulturvölker des Westens, indem er jetzt versucht die Franzosen über Wesen und Werden der deutschen Bildung aufzuklären.

Alexandre Victor Bohain hatte Heine zur Mitarbeit an dem großartig angelegten »Europe littéraire« aufgefordert, in dessen Programm zu lesen war: »La politique est complètement exclue de ce journal« Vgl. darüber: Börne an Jeanette Wohl: 16. März 1833 (Houben, Gespräche mit Heine, Nr. 262) und Börne im 93. und im 115. Brief der Briefe aus Paris (Börnes Werke, ed. Klaar, VI 191 ff. und 326 ff.)..

Am 1. März 1833 erschien Heines erster Artikel »De l'Allemagne depuis Mme de Staël«. Heine sprach hier, im Gegensatz zu Börnes Artikeln im »Réformateur« und in der »Balance«, wirklich direkt zum französischen Publikum. Es folgten dann mehrere Artikel in der »Revue des deux Mondes« Für die Bibliographie der in französischen Revuen erschienenen Werke Heines, vgl. Louis P. Betz, Heine in Frankreich, Zürich, 1895, S. 453 ff.. War bereits Heines »De la France« 1833 bei Eugène Renduel, dem angesehensten Verleger der französischen Romantik, erschienen Alfr. Schellenberg, H. Heines französische Prosawerke, Berlin, 1921 S. 16 ff., so kam nun dort im Jahre 1835 sein zweibändiges Werk »De l'Allemagne« heraus, das dem erfolgreichsten Schüler Saint-Simons, Prosper Enfantin, gewidmet war.

Was Börne, wie wir gesehen haben, bis an seinen Tod in so tragisch-erfolgloser Weise versucht hat: deutsche Kultur und deutsches Wesen den Franzosen näher zu bringen, es ist Heine gelungen, er fand Anerkennung. Die bedeutendsten Redaktionen und Verleger bemühten sich um seine Werke: Heine wurde gelesen, Börne nicht. Aber wie dem auch sei, die Sache der Völkerverständigung war ihm trotz all seiner Schwankungen und Entgleisungen eine heilige Sache, und man darf sagen, daß, ganz abgesehen von den erzielten Erfolgen, Börne und Heine, ein jeder für sein Teil, redlich daran mitgearbeitet haben. Das schöne Wort, das Cormenin einmal auf Börne münzte Vgl. Ras, Börne als Vermittler, etc. (Neophilologus, III 280)., erfaßt auch den Inhalt von Heines historischer Aufgabe: »Il aimait la France comme sa seconde patrie: il l'aimait dans l'intérêt de l'Allemagne«.

* * *

»Der tote Börne war mächtiger als der lebende«, so schrieben wir am Schluß unserer Uebersicht über Börnes politisch-literarische Tätigkeit. Daß es so gekommen ist, daß für Börne drei Jahre nach seinem Tode die Zeit seines höchsten Ruhmes kam, ist eine unmittelbare Folge der Veröffentlichung von Heines Buch gegen den einstigen Schicksals- und Kampfesgenossen. Ein Charakter wie Heine mußte dieses Buch schreiben. Ein typisch romantischer Charakter, bei dem das sich selbst anbetende Ich im Mittelpunkt der Persönlichkeit steht, mußte alles tödlich hassen, wodurch sein Ich verletzt wurde. Und Jahre hindurch hat seine fast pathologisch sensitive Natur gelitten unter den Angriffen und Verdächtigungen Börnes und Konsorten. Nicht ohne Grund hat er gelitten, warum durfte, warum mußte Heine sich so tödlich verletzt fühlen durch diese liberalen Angriffe? Es handelte sich doch im wesentlichen immer und immer wieder darum, daß die Lauterkeit seiner Gesinnungen, daß sein politischer Charakter angezweifelt wurde, daß er als Apostat der Demokratie dastand.

Heines Buch über Börne ist mehr als ein Racheakt, es ist die Apologie eines Dichter-Politikers, der da wußte, daß er das große »Losungswort der Zukunft« kannte, das »die Schacher der Gegenwart« nicht verstanden, daß er Partei ergriffen hatte »im Befreiungskriege der Menschheit«, weitsichtiger und eben dadurch revolutionärer als es der enge Parteigeist dieser Liberalen zu ahnen vermochte.

Die Stunde hatte geschlagen, in der Heine das unabweisbare Bedürfnis empfand zu einer großen Auseinandersetzung mit den Liberalen seiner Zeit zu kommen, die in Börne ihr verehrtes Vorbild erblickten.

So erscheint Börne vor allem als Typus sozialpolitischen Kämpfertums. Daß Heine bei seiner Typisierung dem verstorbenen Gegner gegenüber so rücksichtslos vorgegangen ist, daß er sich sogar nicht gescheut hat in ganz unwürdiger Weise das intime Leben Börnes in seine Darstellung hineinzubeziehen, ändert nichts an der Tatsache, daß dieses Buch die Gegensätzlichkeit zwischen der Börneschen und Heineschen Gedankenwelt, ihre grundverschiedene Einstellung in Fragen der Weltanschauung so hell beleuchtet, wie dies zuvor noch nie geschehen war.

Heine wollte keine Biographie Börnes geben, sondern »nur die Schilderung persönlicher Berührungen in Sturm und Not, und eigentlich ein Bild dieser Sturm und Notzeit« Brief an Campe vom 12. April 1839 (Hirth, II 289).. So berichtet er uns denn über seinen ersten Besuch bei Börne in Frankfurt 1827, über den wir bereits im ersten Kapitel gesprochen haben Vgl. S. 37.. Hatten wir dort Gelegenheit zu zeigen, wie verschieden die beiden damals schon als »Liberalenhäuptlinge« anerkannten Freunde über Napoleon urteilten, so weist Heine in seinem Buch darauf hin, daß auch in bezug auf die Bewertung Goethes ein sehr wesentlicher Unterschied an den Tag getreten war. Börnes Urteil über Goethe ist uns bereits bekannt Vgl. S. 76.; wir sahen, daß es ganz von seinem politischen Rigorismus beherrscht wurde. Auch Heine bestätigt, daß Börnes Groll gegen Goethe nicht bestimmt wurde durch kleinliche Scheelsucht des Ghetto-Juden gegen den Patriziersohn aus der gemeinschaftlichen Vaterstadt. Nach seiner Meinung ist der Haß Börnes gegen Goethe »nur die notwendige Folge einer tiefen, in der Natur beider Männer begründeten Differenz« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 359.. Es ist der Konflikt, der sich in der ganzen Geschichte des Menschengeschlechts bemerkbar macht, der Gegensatz zwischen dem judäischen Spiritualismus und der hellenischen Lebensherrlichkeit, der auch hier in die Erscheinung tritt: »der kleine Nazarener haßte den großen Griechen, der noch dazu ein griechischer Gott war« Heines Werke, ed. Walzel,, VIII 359.. Börne hat aber nicht nur in seiner Beurteilung Goethes, sondern auch in der anderer Schriftsteller »seine nazarenische Beschränktheit verraten« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 360..

Heine unterscheidet nicht zwischen »Juden« und »Christen«, welche Worte ihm sinnverwandt sind im Vergleich zu der Scheidung der Menschen in »Nazarener« und »Hellenen«. Alle Menschen sind ihm »Juden oder Hellenen, Menschen mit ascetischen, bildfeindlichen vergeistigungssüchtigen Trieben oder Menschen von lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen« Heines Werke, ed. Walzel,, VIII 360..

Börne hatte ganz das nazarenische Naturell, und Heine erklärt, daß sowohl Börnes Antipathie gegen Goethe wie seine »politische Exaltation« in jenem Ascetismus begründet sei, jenem Durst nach Märtyrtum, der sich von der Passionssucht der frühern Christen so wenig unterscheide. Börnes Schwärmerei für den sozialen Katholizismus Lamennais' Vgl. S. 89. wird gleichfalls aus seinem Nazarenertum erklärt: »ist doch der Katholizismus die schauerlich reizendste Blüte jener Doktrin der Verzweiflung« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 478.. Als ein Hauptmerkmal von Börnes Charakter erscheint ihm die Eifersucht. Im Leben wie in der Politik habe er alles »durch die gelbe Lupe des Mißtrauens« betrachtet Ebenda, VIII 363, vgl. auch S. 415..

Heine läßt Börne Gerechtigkeit widerfahren, wenn er sagt: »Börne war Patriot vom Wirbel bis zur Zehe, und das Vaterland war seine ganze Liebe«, trotzdem aber war wohl manchmal ein geheimer Neid im Spiele, wenn Börne glaubte den guten Leumund eines Andersgesinnten im Interesse der Republik ruinieren zu dürfen, und, wo es sich um die Anfeindungen Heines handelte, waren diese wohl nichts anders als der Ausfluß des kleinlichen Neides, »den der kleine Tambour-Maître gegen den großen Tambour-Major empfindet«: er beneidete mich ob des großen Federbusches, der so keck in die Lüfte hineinjauchzt, ob meiner reichgestickten Uniform, woran mehr Silber, als er, der kleine Tambour-Maître, mit seinem ganzen Vermögen bezahlen konnte, ob der Geschicklichkeit, womit ich den großen Stock balanciere, ob der Liebesblicke, die mir die jungen Dirnen zuwerfen, und die ich vielleicht mit etwas Koketterie erwiedre!« Ebenda, VIII 457..

Solche Äußerungen über den Charakter eines verstorbenen Gegners müssen wohl immer einen unangenehmen Eindruck hervorbringen, die Frage aber, ob diese Charakteristik nicht im wesentlichen als richtig und zutreffend bezeichnet werden muß, wird dadurch keineswegs berührt.

In vollkommenem Widerspruch mit einer früher von uns zitierten Vgl. S. 37. Äußerung in einem Brief an Varnhagen vom 18. November 1827 erklärt Heine jetzt: »Schon damals in Frankfurt harmonierten wir nur im Gebiete der Politik, keineswegs in den Gebieten der Philosophie oder Kunst, oder der Natur, die ihm sämtlich verschlossen waren. Wir waren überhaupt von entgegengesetztem Wesen ...« Heines Werke, ed. Walzel, VIII 380.. Ihr weiteres Leben und Streben in Paris vergleicht er mit der Fahrt zweier Schiffer, die hinaussegeln auf hohe See. Börnes Schiff sei, während der furchtbare Sturm wütete und er am Steuer seines Schiffes stand, zu Grunde gegangen: »Ich sah, wie er die Hand nach mir ausstreckte ... Ich durfte sie nicht erfassen, ich durfte die kostbare Ladung, die heiligen Schätze, die mir vertraut, nicht dem sicheren Verderben preisgeben ... Ich trug an Bord meines Schiffes die Götter der Zukunft« Ebenda, VIII 82..

* * *

Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Gutzkow beschuldigte Heine schon gleich durch den Titel: »Heinrich Heine über Ludwig Börne«, verraten zu haben, daß das Buch der Selbstüberhebung gewidmet sei. Es konnte aber gerade Gutzkow bei seinem persönlichen Verkehr mit Campe nicht unbekannt sein, daß dieser Titel von Campe herrührte, und daß Heine sehr ungehalten darüber war. Gutzkow stellte nun Börne als den naiven Freund dar, der sich mehr als billig gehen ließ und dessen Vertrauen von Heine jetzt auf das Schnödeste mißbraucht worden sei Vgl. Vorrede zur 1. Ausgabe von Gutzkows ›Börnes Leben‹, S. 215.. In den spätern Auflagen seiner Börne-Biographie hat er diese Behauptung noch aufrecht erhalten, nachdem sie durch die von Madame Strauß-Wohl mitgeteilten ungedruckten Stellen aus den Pariser Briefen Ludwig Börnes Urteil über H. Heine. Ungedruckte Stellen aus den Pariser Briefen. Als Anhang: Stimmen über H. Heines letztes Buch aus Zeitblättern, Frankfurt a. M., 1840. längst gründlich widerlegt war.

Börne ist, sagt Gutzkow, nach Heine ein Sans-culotte, er dagegen ein philosophisch-gemütlicher Beobachter des Laufes der Begebenheiten. Die zahme royalistische Widerrufspolitik Heines hat er mit Vergnügen gelesen, »denn sie läßt hoffen, daß man die Polizei-Aktuarstelle, welche Börne früher in Frankfurt bekleidete, vielleicht ihm überträgt und ihm dadurch Gelegenheit verschafft, sich im Vaterlande von dem geringen Gewicht, das man noch auf seine Worte legt, zu überzeugen« Gutzkow, Börnes Leben, S. 215.. Es sei nicht zu leugnen, daß Börne sich geirrt habe, als er in den Tagen nach der Julirevolution einen gewaltsamen Umschwung erwartete: »allein, was ist edler, wahrer und redlicher, diese Ansichten auch innerhalb seiner vier Wände verteidigen, oder sie, wie es bei Heine der Fall war, nur zur interessanteren Draperie seines Stiles zu benutzen und nach einigen Jahren in Hoffnung auf die Frankfurter Polizei-Aktuarstelle Gutzkow fügte 1875 hinzu: »Nach spätrer Kunde: Auf die Pension Louis Philippe's.« als nie dagewesen leugnen?«

Gutzkow tut Heine hier bewußt Unrecht, denn dadurch daß er die angeblichen Tagbuchblätter, welche »die Enthousiasmusperiode von 1830« Hirth, II 307. schildern, in sein Buch einschaltete, hat Heine zur Genüge bewiesen, daß er die eigne Vergangenheit keineswegs verleugnete.

Wie dem auch sei, als Gutzkow schrieb: »Börne griff seine Feinde an; Heine nur die Gattinnen und Freundinnen seiner Feinde, Börne stritt, als er noch lebte, gegen Heine; Heine wartete und antwortete dann erst, als Börne gestorben war« Gutzkow, Börnes Leben, S. 219., fand dieses Verdammungsurteil allgemeine Zustimmung. Man klammerte sich an eine im Kampfe begangene grobe Ungehörigkeit Heines (die skandalösen Bemerkungen über Frau Wohl), um das ganze Buch in Bausch und Bogen zu verdammen.

»Ich glaube, mein ›Börne‹ wird als das beste Werk, das ich geschrieben, anerkannt werden,« hatte Heine an Campe geschrieben Brief vom 18. Februar (Hirth, II 307).. Es sollte anders kommen. Das schönste seiner Prosabücher war gewissermaßen der Anlaß, daß das ganze »Junge Deutschland«, mit Ausnahme von Laube, sich von ihm lossagte.

In einem Artikel über: »Heine, Börne und das sogenannte Junge Deutschland« »Der Freihafen«, 1840, IV, S. 185. schreibt Th. Mundt: »Und während Börne da oben auf seiner Kirchhofshöhe von reinen Lüften umfächelt ist, während er gesund geworden als Toter, schreibt Heine dort unten, in den kranken Nebeln, die seine Brust beengen, ein krankes Buch, das bald bleich ist vor Mißgunst und Haß, bald fieberrot vor Eigensucht. Der Kranke kämpft hier mit einem Toten, und zwar auf Leben und Tod. Ist es ein Wunder, wenn sich der Kranke dabei den Tod holt, und der Tote neu lebendig wird?«

In einer Anzeige von Gutzkows Börnebiographie in den »Hallischen Jahrbüchern« »Hallische Jahrbücher«, herausgeg. von Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer, Nr. 203. vom 18. Dezember 1840. bemerkt der Rezensent A.S(thar) im Eingang seiner ausführlichen Abhandlung, daß »die Deutschen zu allen Dingen Zeit brauchten, auch um gerecht zu sein. Wer das nicht aus dem deutschen Rechtsgang wüßte, könnte es an Börne und Heine lernen. Heine, der gefeierte, vergötterte, der Abgott des genialen Geschlechts, Heine der blasse ›Tambourmajor mit dem großen keck in die Lüfte hineinjauchzenden Federbusch und der reichen silbergestickten Uniform‹, der ›den großen Stock‹ der pikanten Poesie ›mit solcher Geschicklichkeit balancierte‹, wenn er in die Tore der großen und kleinen Städte Deutschlands einzog, daß ihm ›die Liebesblicke aller jungen Dirnen zuflogen‹ – derselbe Heine«, so fährt der Rezensent fort, »hat jetzt bei lebendigem Leibe einen vollständigen Unsterblichkeitsbankerott gemacht, während Börne'n, dem noch vor kaum fünf Jahren geschmähten, mißhandelten, von Freund und Feind verleugneten, mit jedem Jahresfrühling, der sein einsames Grab in der Fremde neu begrünt, auch neue Blüten der Anerkennung und Liebe in den Kranz geflochten werden, der sein ernstes Bild umschlingt.«

Der Rezensent charakterisiert dann Gutzkows Buch über Börne als »die entschiedenste Protestation, den ewigen Absagebrief der jungen Literatur gegen die geniale Gesinnungslosigkeit des übermütigen Subjekts.«

Welch ein Umschwung in der vergleichenden Beurteilung Börnes und Heines im Laufe eines Jahrzehnts! Wir hatten wiederholt Gelegenheit zu schildern, wie die Generation von 1830 den beiden Kämpfern unterschiedslos zujubelte, weil sie deren Werk gleichsam als aus einem Geiste geboren betrachtete. Die Generation von 1840 sieht vor allem das Trennende, das Gegensätzliche. Sie sieht aber nicht nur, sie urteilt und verurteilt. Diese Jugend, die mit Herwegh vor allem kämpfen wollte »auf der Zinne der Partei«, sie hat entschieden Partei ergriffen zu Gunsten Börnes. Nach Börnes Vorbild wird Heine auch von dem neuen Geschlecht nicht als Charakter, sondern nur als Talent akzeptiert. Für dieses neue Geschlecht ist Börne das leuchtende Vorbild, bei ihm fand man die Gesinnung, die man bei Heine vermißte. Er besaß jene tiefe Ehrlichkeit der Ueberzeugung, jene köstlich-einseitige Hingabe an die eine große Sache der politischen Befreiung, nach der die Jugend von 1840 verlangte, während das »Junge Deutschland« als zu belletristisch empfunden wurde. Die politischen Lyriker, die Sturmvögel der Revolution von 1848, waren seine Geisteskinder, sie sind Fleisch von seinem Fleisch, denn auch er hatte vor allem die Darstellung der Leiden und Forderungen seiner Zeit zu seinem heiligen Beruf gemacht. Georg Herwegh befindet sich ganz in Börnes Bann Vgl. Karl Hensold, Georg Herwegh und seine deutschen Vorbilder, Nürnberg, 1916, S. 25 ff., Karl Beck und Dingelstedt blickten andächtig zu ihm auf Gustav Mayer, Friedrich Engels in seiner Frühzeit, Berlin, 1920, I 44.. Als Moritz Hartmann nach Paris kommt, gehört sein erster Gang dem Grabmal Börnes Otto Wittner, Moritz Hartmann (Ges. Werke, Prag, 1906, I 158).. Friedrich Engels, der große Freund und Mitarbeiter von Karl Marx, widmet ihm eines seiner ersten Gedichte.

»Die Eiche Börne's ist's, an deren Aesten
Ich aufgeklommen, wenn im Tal die Dränger
Um Deutschland enger ihre Ketten preßten« Gustav Mayer, Friedrich Engels in seiner Frühzeit, I 45, 50..

Börne ist ihm vor allem »der Mann der politischen Praxis«. Wie sehr Ferdinand Lassalle Börne bewundert, erzählt uns das Jugendtagebuch Für den Einfluß Börnes und Heines auf die Generation von 1840 vgl. weiter: Chr. Petzet, Die Blütezeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850, München 1901, S. 142; Quack, De Socialisten, A'dam, 1911, V 200; viel bedeutender: Gustav Mayer: »Die Anfänge des politischen Radikalismus im vormärzlichen Preußen« (Zeitschrift für Politik, Bd. VI, S. 9)..

Es sind vor allem die politischen Lyriker aus den Jahren 1840–1848, welche das Andenken Börnes zum Symbol erhoben haben. Hatte diese einseitige Verherrlichung Börnes auch einen tiefern Grund, vermochte man damals Heine als Politiker gerecht zu werden?

Wir, die auf einer höhern Warte stehen, weil uns die Zeit die historische Perspektive geschenkt hat, wir erst werden jetzt diese Fragen beantworten können, wenn es uns gelingt zusammenfassend Verwandtes und Gegensätzliches in der politisch-literarischen Tätigkeit Börnes und Heines zu bestimmen.


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