Ferdinand Raimund
Die gefesselte Phantasie
Ferdinand Raimund

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Achter Auftritt

Vorige. Amphio, verstört und bleich.

Amphio.
O Hermione, find ich dich? Wenn du mich je geliebt, so blick mich gütig an.

Hermione.
Was quält dich, Amphio, was führt dich jetzt hieher?

Amphio (starr).
Laß mich in deine Augen schaun, ich bitte dich, so lang, bis sich mein Geist an ihrem Strahl entzündet. (Hermione sieht ihn verwundernd an.) Ich danke dir. (Er macht das Spiel, als wollt er sich durch ihren Anblick zum Dichten begeistern, und vermag es nicht. Er geht daher hoffnungsvoll einen Schritt von ihr und sagt nachdenkend gegen Himmel schauend.) So – so nun wird es gehn. (Immer unruhiger.) Flamm auf, Gemüt, flamm auf! (Verzweifelnd.) Es ist umsonst, sie ist für mich verloren! (Will ab.)

Hermione.
Wo willst du hin?

Amphio.
Ins Meer. (Lacht wild.) Ich will Neptun mich weihn.

Hermione.
Doch seiner ungetreuen Tiefe nicht?

Amphio.
Sie ist nicht tiefer als mein Schmerz, und seinen Wellen kann ich nur vertraun, warums in ihren Grund mich reißt.

Hermione.
Bist du mein Amphio? Hermione sei der Stoff, sprach das Orakel heut, und so besingst du mich?

Amphio.
So wisse denn, ich kann dich nicht besingen, mein Geist ist wüst, mein Herz ist kalt, seit du mich sprachst, bin ich nicht Amphio mehr.

Hermione.
Ermanne dich, dir fehlt Vertraun auf deine Kraft.

Amphio.
Betrogen bin ich durch die Phantasie, sie ist ein Weib, hätt ich ihr nie getraut.

Hermione (empört).
Oh, könnt ich für dich dichten, um dir zu beweisen, wie schön ein Weib aus Liebe denken kann.

Amphio.
Sie ist erschöpft, sie hat sich selbst verbannt.

Hermione.
Oh, lästre nicht, sagst du nicht selbst durch dein Gedicht:

Es ist die Phantasie ein tiefer Zauberbrunnen,
Aus dem wir der Gedanken Nektar schöpfen.
Er reichet vom Olymp bis in des Orkus tiefsten Schlund,
Mit seinem Ring umschließet er die Welt,
Und unausschöpfbar ist sein ewger Born,
Denn alle Ströme der Verhältnisse
Ergießen sich auf seinem Grund.

Amphio.
O Königin, warum hast du den kühnen Schwur gewagt? es hätte des Gedichtes nicht bedurft, nur deine Liebe braucht ich zu erringen, denn wisse, daß – doch nein, nun ists zu spät, du wirst des Siegers Braut, und mein Geheimnis laß ich mit mir untergehn.

Hermione.
O halt, noch hab ich einen Hoffnungsstrahl. Wie du, so klagen alle meine Dichter, vielleicht, daß es ein Spuk der bösen Zauberschwestern ist, drum Mut, denn in dem Tempel des Apolls muß dieser Zauber schwinden. Freude, Amphio, mir sagts mein Herz.

Amphio.
Das Elend hascht nach jedem Hoffnungswahn. So will ich mein Vertraun mit deinem Hoffen denn vermählen und einen Sohn erwarten, der Erfüllung heißt.

Hermione.
Ich will noch vor dem Fest schnell das Orakel fragen, mehr darf ich nicht für unsere Ruhe tun. Nicht mir gehör ich an, nein, ich gehör Apoll, mein höchst Vertrauen setz ich auf ihn, den Weltbestrahlenden, denn eine Ahndung hat er mir in meine Brust gelegt, daß mich ein andrer nicht erringen darf als du. Darum erwart ich in dem Tempel dich. Mut, Amphio, die Götter sind uns nah. Vertrau auf ihren Schutz. (Ab.)

Amphio (allein).
Nun wohl, ich will mein Glück dem letzten Augenblick vertraun, und konnte mich die Phantasie, die hohe, täuschen, dann laß mich ziehen aus dir, Welt, in der das Edle trügt und nur Gemeines sich bewährt. (Ab.)


Neunter Auftritt

Verwandlung

Gemach im Palaste der Zauberschwestern. An der Seite ein griechisches Schreibepult, auf einer Stufe stehend. Vipria und Arrogantia treten rasch ein.

Vipria.
Wo bleibt der Tropf?

Arrogantia (sieht durch das Fenster).
Hier kommt er schon.

Vipria.
Jetzt bring die Phantasie.

(Arrogantia ab.)


Zehnter Auftritt

Vipria. Nachtigall.

Nachtigall.
Da bin ich schon, ich hab meine Sachen prächtig gemacht. Nun wie schauts jetzt mit den Gedicht aus? machen wirs zusammen gschwind. Ich kanns gar nicht erwarten, die Königin ist schön, da sind Sie nichts dagegen, ich bin in sie verliebt, ich kanns gar nicht erwarten, bis ich König bin. (Arrogantia zerrt die Phantasie in Ketten herein, die Flügel sind ihr abgeschnitten.)

Arrogantia.
Hier bring ich sie, sie hat entwischen wollen, als ich den Käfig öffnete.

Vipria.
Wo hast du deine Flügel?

Arrogantia.
Ich hab sie ihr beschnitten.

Vipria.
Das hast du klug gemacht. (Höhnisch.) Wo wolltest du denn hin, du Täubchen du?

Phantasie (ebenso).
Ich hab zum Geier fliegen wollen, weils bei der Eule mir mißfiel.

Arrogantia.
Ich will auf Kundschaft mich begeben, mache mit ihr, was du willst. (Ab.)

Vipria (zu Nachtigall).
Durch diese wirst du das Gedicht hier schreiben, das ist die Phantasie.

Nachtigall.
Ah, das freut mich, daß ich die Ehr hab kennenzulernen. (Heimlich zu Vipria.) Was ist denn das, die Phantasie?

Vipria.
Es ist der Geist, der im Gehirn der Dichter tobt.

Nachtigall.
Also die springt den Dichtern im Gehirn herum, da ists kein Wunder, wenns bei ihnen rappelt, drum sagt man, die Dichter sind närrische Köpf.

Vipria.
Ich schmied sie dir an diesen Schreibtisch an. (Sie hängt die Fessel der Phantasie in einen Ring, der an der Seite des Schreibepultes angebracht ist, ein, so daß die Phantasie an der Seite des Tisches gegen die Mitte der Bühne auf der breiten Stufe sitzt, doch ja nicht etwa auf dem Boden.) Sei stolz darauf, kein Dichter kann sich dessen rühmen, daß sie als Sklavin ihm gedient. Was sie dir vorsagt, zeichne emsig auf. Hermione ist der Name des Gedichts. Den schreibst du oben hin.

Nachtigall.
Also ich bin ein Dichter, der nur schreibt, ohne daß er was denkt? Da bin ich nicht der einzige. Und sie ist die, die für die Dichter alle denkt?

Vipria.
So ists.

Nachtigall.
Das muß a Marter sein. Drum schaut s' so mager aus.


Elfter Auftritt

Vorige. Arrogantia.

Arrogantia (ängstlich).
Hermione ist auf dem Wege zu den zwei Orakelpriestern, um vor der Wahl noch das Orakel zu befragen, warum die Geistesnacht auf ihren Dichtern ruht. Wenn das geschieht, ist unser Plan vereitelt.

Vipria.
Das muß verhindert werden. Komm, wir wandeln diese beiden Priester schnell in Stein und setzen uns an ihre Stelle hin. In der Gestalt des Affriduro frag ich dich, und du sprichst als Stimme des Orakels aus: Apollo habe einem Fremdling seine Gunst geschenkt, den Hermione wählen muß. (Zu Nachtigall.) Unterdessen bleibst du hier und schreibest dein Gedicht. Doch bevor die Stunde halb verfließt, findst du dich in dem Tempel ein und trägst es mit der Harfe vor. Wenn es auch schlecht ausfällt, das beste ist es doch, wenn es das einzge ist. (Zur Phantasie.) Du halte deinen Schwur, begeistre ihn, soviel in deiner Macht es steht. (Zu Nachtigall.) Laß sie nicht frei, wenn du dein Leben liebst, und will sie dir nicht dienen, zwinge sie, du bist ihr Herr.

(Beide ab.)

Phantasie (für sich.)
O Amphio! welch schrecklich Los, ich kann dich nicht erretten.

Nachtigall (setzt sich an den Tisch).
Jetzt werden wir halt schauen, daß wir was zusammendichten. Das wird ein Arbeit werden. Also: Hermione. Und eine rote Tinte haben s' mir hergestellt, das wird ein blutiges Gedicht. Also, gschwind anfangen. Kommt was oder nicht?

Phantasie (seufzt).
Ach!

Nachtigall.
Ach? Ist denn das ein schöner Gedanken, ach? Da wird einem völlig bang dabei. (Ungeduldig.) Nu weiter um ein Haus, ich komm nicht von der Stell. Nu? (Er rüttelt sie.)

Phantasie.
Was willst du Tropf? Die Phantasie muß frei in blauer Luft sich schwingen, nie wird sie dir in Fesseln dienen.

Nachtigall.
Was ist das für ein Diskurs? Wo ist denn ein Stock? (Nimmt einen Thyrsusstab von einer Draperie.) Da liegt er jetzt auf den Tisch, jetzt, wie nicht ordentlich phantasiert wird, wird er woanders aufgelegt.

Phantasie (lacht verzweiflungsvoll.)
Hahaha!

Nachtigall.
Wie dumm als sie lacht.

Phantasie (wie wahnsinnig).
Einst war ein goldnes Vögelein,
Das nannt sich Phantasie.

Nachtigall.
Was ist denn das, die phantasiert ja ohne Hitz?

Phantasie (fährt wild auf).
Ich duld es nicht.

Nachtigall (tunkt ein und schreibt schnell).
Nu endlich einmal.

Phantasie.
Ihr Blitze, stürzt herab.

Nachtigall (schreibt schnell nach.)
Jetzt gehts drauf los.

Phantasie.
Und euren glühenden Kuß –

Nachtigall (wie oben).
Holla, hast es nicht gsehen.

Phantasie.
Drückt auf die freche Stirn.

Nachtigall.
Die freche Stirn. Nicht gar so gschwind, ich komm nicht nach.

Phantasie (toll).
Du Flachkopf, schweig.

Nachtigall (stutzt, ohne zu schreiben).
Was ist das für ein Vers?

Phantasie.
Willst du ihn zweimal hören?

Nachtigall.
Was die alls zusammdichtet! was hab ich denn da gschrieben? (Liest das Geschriebene.) »Ich duld es nicht, Ihr Blützer stürzt herab Und euren glühenden Fuß Drückt auf den frechen Stier – (Pause.) Du Schafskopf, schweig.« Was ist denn das für eine Phantasiererei? da phantasier ich ja besser, wenn ich das Nervenfieber hab.

Phantasie.
Zu gut für dich, gemeiner Wicht.

Nachtigall.
Das Weibsbild halt mich für einen Narren. Die Zeit vergeht, ich bring nichts zsamm. Wann nur die zwei Schwestern von Prag da waren, die ganze Sach ist schon dumm angestellt, ein andrer hat die Phantasie im Kopf, und ich hab s' bei den Füßen da, wie soll da was herauskommen? Ich krieg schon alle Hitzen. (Er zieht den Rock aus.) O Himmel, was ist das für ein Marter um einen Dichter, den nichts einfällt. Du mußt mir helfen, oder ich verzweifle.

Phantasie.
Du zwingst mich nicht, du feiger Tropf.

Nachtigall.
Das ist eine boshafte Person. Ich bring s' um, ich schneid ihr den Kopf ab und nimm ihr die Gedanken heraus. (Läuft zu dem Tisch.) Ich setz mich nochmal nieder. (Liest den Titel.) Hermione. Diktier weiter. (Boshaft in den Tisch trommelnd.) Hermion. (Lokal.) Sie hört mi halt nit an. Ich fahr durch die Luft. Jetzt hab ich hier (auf die Phantasie zeigend) eine personifizierte Gedankenfabrik – und ich hab von den ganzen Gedicht noch nichts fertig als das einzige Wort Hermione. Da kann ich doch den Preis nicht kriegen damit. Ich verzweifel.

Phantasie.
Hahaha, das freut die Phantasie.

Nachtigall (wütend).
Jetzt lacht s' mich aus, ich werd noch wahnsinnig. (Kniet sich vor ihr nieder.) Ich beschwöre dich bei allen Sternen, phantasier.

Phantasie (kniet auch).
Ich dich bei allen Sonnen, laß mich frei.

Nachtigall.
Ich beschwör dich bei allen griechischen und walachischen Dichtern, phantasier.

Phantasie.
Ich bau dir eine Welt aus glücklichen Gedanken, laß mich frei.

Nachtigall.
Ich kann ja nicht, hab doch Barmherzigkeit. (Weint.)

Phantasie (weint).
Du unempfindlich Tier.

Nachtigall.
Jetzt fangt s' zum Weinen an, jetzt sind wir alle zwei im Wasser. Wenn s' nur in Versen weinte, um des Himmels willen, die helle Prosa lauft ihr übers G'sicht. (Ein sanftes Glöcklein läutet in der Ferne.) Jetzt muß ich fort, jetzt läuten s' siebene, im Apollosaal. Du gfreu dich, wenn ich wiederkomm. O Todesschweiß, du stehst mir an der Stirn! Ich weiß kein anders Mittel. Ich kann ein Lied von der schönen Magellone. Das änder ich um und sing statt Mageroni Hermioni, und wanns nicht gfallt, ich schieß mich tot, ich häng mich auf, ich bring mich viermal nacheinander um, ich Dummkopf ohne aller Phantasie!

(Rennt verzweiflend ab.)

Phantasie (allein).

Quodlibet
(Die Musik beginnt, es schlägt Dreiviertel auf sieben.
Die Phantasie springt ängstlich auf.)
Ha! was ist das, die Stunde tönt,
Und Amphio ist verloren!
Wenn, Apoll, du mich nicht rettest,
Werd ich noch des Wahnsinns Raub.
(Trauernd.)
Durch den Äther, durch die Lüfte
Schwebt ich leichten Flugs dahin.
Ihr ungetreuen Flügel, nur einen Augenblick
Wünscht ich euch zu besitzen, ihr wärt mein höchstes Glück.

Entsetzlich, entsetzlich!
Wenn Phantasie so weit es bringt,
Daß sie ein Quodlibet gar singt.
Doch mir leuchtet am Himmel ein tröstendes Licht,
Ich fleh zu den Göttern, sie täuschen uns nicht.
(Kniet.)
O Jupiter, der du mich einst aus deinem Haupt gebarst,
Der du mir stets ein gütger Vater warst,
Kannst du die Tochter hier gefesselt sehn?

Oh, schleudre deinen Blitz und laß mich untergehn!
O Jupiter, o Jupiter, erhöre mich!
(Ein Blitzstrahl fährt herab und zertrümmert ihre Fessel.)
Ha, ich bin frei, hohen Dank euch, ihr Götter,
Ha, wie durchströmt mich dies freudige Sein!
Fort sind von mir jetzt die lästigen Ketten,
Schnell hin zu Amphio, ihn zu befrein.
Amphio, halt! Amphio, halt!
Die Phantasie ist frei!

(Sie wirft einen griechischen Mantel der Zauberschwestern um und eilt ab.)


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