Ferdinand Raimund
Die gefesselte Phantasie
Ferdinand Raimund

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Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Romantische Gegend vor dem kolossalen Palaste der Zauberschwestern. Zwei weiße Löwen liegen vor dem Eingange. Vipria sinkt unter leiser Musik mit Nachtigall in ihrem Wolkenwagen nieder. Sie streiten noch während dem Niedersinken.

Nachtigall.
Lassen S' still halten, ich bleib einmal nicht.

Vipria.
Schweig!

(Der Wolkenwagen ist am Boden, Nachtigall springt erzürnt heraus.)

Nachtigall.
Wann ich aber nicht will. Da haben wirs, jetzt geht s' mit mir in einem Land nieder, wo ich gar nimmer z' Haus find, da muß ich verhungern, das ist eine unwirtbare Insel, wo soll ich da einen Wirt finden, der einen Harfenisten braucht?

Vipria.
Beruhige dich, ich werde deine Tafel schon besorgen.

Nachtigall.
Sie? Nun da hab ich schon gegessen, wenn ich das hör. Sie führen mich nimmer an.

Vipria.
Die Zunge halt im Zaum, Raison nimm an.

Nachtigall.
Was Raison? Ich räsonier genug. Wie können Sie eine ordentliche Person sein? Sie gehn ganz allein ins Wirtshaus wie ein Husar, packen mich auf und entführen mich, mich unschuldsvollen Mann, schamen Sie sich nicht?

Vipria.
Ich habe dich zu deinem Glück entführt.

Nachtigall.
So? und da kommen Sie mit der Equipage? Da kommt man mit sechs Rappen, aber nicht mit sechs Raben, da muß einer ja rabiat werden.

Vipria.
Und doch werd ich dich hoch erheben.

Nachtigall.
Ich bedank mich für eine solche Erhebung. Wann ich in der Luft oben häng, und fliegen die Raben um mich herum. Wollen Sie ein Rabenbratel aus mir machen?

Vipria.
Ein Bettler bist du jetzt, ein Krösus sollst du werden.

Nachtigall.
Ah, da muß ich bitten, jetzt heißt s' mich gar einen Bettelmann. Haben Sie meine glänzenden Verhältnisse nicht bemerkt, haben Sie nicht ghört, wie mich der Wirt auf den Glanz hergestellt hat? Jetzt werden Sie gleich mit mir gehen und werden mich an ein Ort führen, wo ich Sie verklagen kann.

Vipria.
Den Löwen schenk ich dich zum Mahl, wenn du dich nicht in meinen Willen fügst.

Nachtigall.
Was für Löwen? (Sieht sich um und erblickt das Gebäude samt den Löwen, erzittert.) O saprerment, das sind zwei Bologneserl. (Auf einen Löwen deutend.) Das eine muß ein Weibel sein, sie kokettiert auf mich. Jetzt zieh ich andre Saiten auf. Verehrteste! (Fällt auf die Knie.) Ich bin jetzt, was Sie wollen, ich bin ein Bettelmann, ein Bettelweib, eine ganze Bettlerfamilie, wenn Sie befehlen, ich bitt gar schön, schenken S' mir nur ein bissen mein Leben.

Vipria.
Steh auf, gib Augen deiner blinden Furcht, und sieh dich um im Vaterland der Blumen.

Nachtigall (bleibt knien).
Ich weiß es, ich bin voll Respekt, ein schönes Land, ich küß ihm die Hand, und blumenreich, mir hats von weiten schon gfallen, ich habs für ein großes Gartengschirr ghalten.

Vipria.
Entzückt dich nicht der Wohlgeruch?

Nachtigall.
Das glaub ich, die Woll riecht hier sehr gut. Das ganze Land ist ein völliger Pomadetiegel.

Vipria.
Steh auf. (Beiseite.) Der Narr taugt ganz für meinen Plan. (Laut.) Dies Land ist nicht so unbewohnt, als du es wähnst. Hier atmen Tausende, und über sie herrscht eine junge, und eine schöne Königin.

Nachtigall.
Also zwei Königinnen? eine Junge, und eine Schöne? Nu wenn die Junge auch schön ist und die Schöne auch jung, da muß einem schön die Wahl weh tun. Das wär' ein Glück, wenn ich da Harfenist werden könnt?

Vipria.
O du bescheidner Wurm! An ihrer Seite wirst du herrschen, morgen schon.

Nachtigall.
Hören S' auf. Sie Gspassige, Sie foppen mich. Eine Kinigin soll ich erhaschen? ein Kinigelhasen vielleicht.

Vipria.
Zum Werkzeug meiner Rache hab ich dich entführt, noch heute abend wirst du hier ein Preisgedicht verfassen, wodurch die Hand der Herrscherin dir werden muß. Unter Tausenden wirst du das beste liefern.

Nachtigall.
Das beste liefern? Seltne Tugend eines Lieferanten.

Vipria.
Jetzt eilst du hin und meldest dich in jenem herrlichen Palast, dort gibst du vor, du wärest ein Minstrel, ein Sänger aus dem fernen Engelland, dir wär Apoll erschienen, im Begeistrungstraum, und hätte dir befohlen, in dies Land zu segeln und der Dichtkunst Ehre hier zu retten und eine Würde zu erringen, die deinem Geist gebührt und deinem Stolz.

Nachtigall.
Das wird ein pompöser Einzug werden, mit den zerrissenen Hut und den gflickten Rock.

Vipria.
Ein Wort von mir wird dich in goldene Kleider hüllen, und eine goldene Harfe schenk ich dir.

Nachtigall.
Ah, da werd ich eine goldene Schneid haben, da geben S' acht. Das ist die neueste Erfindung in der Medizin, daß Gold die Nerven stärkt. Und wie haben s' das entdeckt? Da haben s' einen armen Teufel, der vor Hunger kaum mehr gehn hat können, alle Säck voll mit Dukaten gefüllt, und auf einmal hat sich eine solche Kraft an ihm geäußert und er ist so impertinent geworden, daß er die schönsten Leut bei der Tür hinausgworfen hat. Pums, haben s' ihm das Gold wieder weggenommen, und er war wieder so miserabel wie vorher.

Vipria.
Ich will an dir erproben diese Kraft. Geh hin! Du wirst dort viele Dichter treffen, doch lache ihres Spotts. Zu Hermione laß dich führen, so heißt die Königin, dort bläh dich auf, durch Prahlerei vermehr die Häßlichkeit, die dir Natur verliehn, damit dein Anblick ihre Heiterkeit vergifte. Dann kehrst du schnell zurück und schlägst an dieses Tor, hier wirst durch Hülf der Phantasie du das Gedicht erschaffen, das dich zu Hermionens ewger Qual zum Herrscher stempelt ihres Reichs und ihrer halb verloschnen Reize.

Nachtigall.
An das Tor soll ich anklopfen, wo die zwei Hausmeister vor der Tür liegen? Das laß ich bleiben. Wenn einer unrecht versteht, so macht er statt der Tür den Rachen auf. Da geh der Aken hinein, ich nicht.

Vipria.
Den Löwen kümmert nicht die Maus. Geh hin, versuch's. Die Schwester öffnet dir.

Nachtigall.
Jetzt haben die Löwen eine Schwester auch noch. Was ist zu tun? Hier zwei männliche Löwen, (auf Vipria deutend) dort ein weiblicher Tiger. Wer ist jetzt bissiger? Aufs Beißen gehts einmal los. (Entschlossen.) Ich halts mit die Löwen. Vielleicht sind sie ebenso großmütig, als ich kleinmütig bin. Mut, Richard Löwenherz'! (Lauft hin, klopft schnell an und springt gleich wieder zurück.) Getroffen hab ich, was ich troffen hab, das wird der Himmel wissen.


Zweiter Auftritt

Die Torflügel springen auf. Arrogantia tritt hervor. Vorige.

Arrogantia.
Wer wagt es, anzupochen hier?

Nachtigall.
So ists recht. Eine war nicht gnug zu meiner Qual, die Fortsetzung kommt auch heraus.

Arrogantia.
Was willst du, Übergang vom Affen zu den Menschen?

Nachtigall.
Da haben wirs, ich habs ja gwußt, der zweite Teil ist immer schlechter als der erste.

Vipria.
Wie kannst du den beschimpfen, den mein Blick aus Millionen sich zum Werkzeug hat erkoren?

Nachtigall.
Just mich hat s' erwischt, das ist ein solches Glück, als wenn der zehnte Mann erschossen wird.

Vipria.
Hier stell ich dir den Helden dieses Tags, den künft'gen Schach der Insel vor.

Arrogantia.
Welch eine herrliche Karikatur! Hahaha, Freund, du bist die schönste Mißgestalt, die ich erblickt noch hab.

Nachtigall.
Ich bitt recht sehr, meine schöne Bella-Donna, Sie sind zu gütig. Nein, was die für eine Beschreibung von mir herausgibt, das ist schandvoll.

Vipria.
Was macht die Phantasie, hat sie den Käfig nicht zertrümmert?

Arrogantia.
Verzweiflung hat in ihr gewütet, doch blickt sie ruhig jetzt um sich, und bald erglänzt ihr Aug, bald spiegelt eine Träne sich in ihm.

Vipria.
Sie dauert mich, die arme Nachtigall.

Nachtigall.
Also da drinn haben s' auch eine Nachtigall? Auf die Letzt gehn die herum und fangen die Nachtigallen zusamm. O ich unglücklicher Nachtigall, auf die Letzt komm ich in ein Vogelhaus und muß aus einen Nirschel saufen, und mir ist ein Maßziment zu klein.

Vipria.
Wie stehts mit unserem Dichterschwarm, wirkt ihre Gefangenschaft auf ihn?

Arrogantia.
Herrlich. Alle Dichter dieser Insel rennen in geistloser Verwirrung durcheinander, auch nicht ein Vers steht ihren hohlen Köpfen zu Gebot, seit sich die Phantasie daraus entfernt.

Vipria.
So komm, ich will der Phantasie verkünden, wodurch sie ihre Freiheit kann erringen. Unterdessen wird sich dieser im Palaste Hermionens zeigen. Berühre ihn mit deinem Pfeil.

Arrogantia.
Erglänze, Kies, und werd zum Edelstein, von außen wenigstens.

(Sie berührt Nachtigall, er hat ein goldgesticktes Staatskleid an, zu gleicher Zeit erscheint auf der Rasenbank unterm Baum der Hut mit Federn geschmückt, den ihm Arrogantia gibt. Vipria berührt einen Baum, es hängt augenblicklich eine goldne Harfe daran.)

Vipria
Und ich schenk diese Harfe dir,
Geh hin und lasse sie erklingen.
Durch Harfenton erfreutest du so manches trübe Herz.
Doch heute bring ein fröhliches durch ihren Klang zum Schmerz.
Erring durch sie das Preisgedicht, du Sänger froher Lust,
Und bohr dadurch den Rachepfeil in Hermiones Brust.

(Beide in den Palast ab.)

Nachtigall (allein).
Jetzt laufen s' alle zwei davon und lassen mich dastehn. Wenn ich nur ein Wort verstanden hab von der ganzen Schnatterei, so bin ich ein schlechter Mann. Ich weiß gar nicht, was mit mir da wollen, wann ich lieber in meinen Bierhaus wär, mir wird mein Lungenbratel kalt, was ich mir angschafft hab. Und tu ich nicht, was sie schaffen, so bringen s' mich am End gar um, die zwei Bisgurn. Anzogen hätten s' mich schön, es könnt was herausschauen. Aber, ich kenn mich nicht aus. Mir bleibt der Verstand aus, und ich soll ein Preisgedicht machen. Um keinen Preis, das kann ich nicht. Lieder hab ich genug gemacht, ich war sehr liederlich, will ich sagen, liederreich. Aber trauervolle Vers, gerührte, die hab ich noch nie versucht. Ah was, ich verlasse mich auf meine zwei Rabenschwestern, ich geh jetzt einmal in den Palast und hol mir entweder einen tüchtigen Respekt oder tüchtige Schläg ab. Der Zufall ist ein kurioser Patron, der hat schon manchen herausgeholfen.

Arie
Der Zufall, der sendet viel Vögelchen um
Von zweierlei Gattung per se,
Die flattern der Welt um die Nase herum
Und bringen ihr Wohl oder Weh.
Die Glücklichen habn eine rote Montur,
Die Schlimmen sind schwarz wie ein Rab,
Doch streifen die roten auf blumigter Flur,
Die schwarzen, die fliegen talab.

Drum send mir, o Zufall, ich bitte dich fein,
Ein rosiges Vögelchen heut,
Das flieg in den Saal meiner Zuhörer 'nein
Und stimm sie zur Nachsicht und Freud.
Dann schwing ich die Harfe, erobre die Braut
Und führ sie im Jubel nach Haus.
Doch ist sie mein Weibchen, dann rufe ich laut,
Freund Zufall, jetzt pack dich hinaus.

Die Treue darf nie bloß durch Zufall bestehn,
Der Zufall bringt oft ein Chapeau,
Und Zufälle, die wir mit Eifersucht sehn,
Die machen fürwahr uns nicht froh.
Doch stürbe mein Weibchen, fatale Geschicht,
Mein Wunsch wird es niemals zwar sein,
Dann, glücklicher Zufall, vergesse mich nicht,
Find mit einer andern dich ein. (Ab.)


Dritter Auftritt

Verwandlung

Hermiones Palast. Odi. Alle Dichter der Insel stürzen herein.

Chor (zu Odi).
Laß uns vor, eile hin,
Rufe schnell die Herrscherin.
Wir erdulden nicht die Qual,
Sie verschieb die Dichterwahl.

Odi.
Seid ihr denn unsinnig geworden? Hat das Dichten euch die Sinne verwirrt?

Ein Dichter.
Vorbei ists mit der Dichtkunst hoher Gabe, wir sind behext, uns fällt kein Vers mehr ein. Hermione bitt hieher, wenn du ein Freund zu deinem Rücken bist.

Alle.
Ja, hörst du, Wicht.

Odi (schreiend).
Ich höre schon. (Im Abgehen für sich.) Du grobes Dichtervolk. (Ab.)


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