Ferdinand Raimund
Die gefesselte Phantasie
Ferdinand Raimund

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Fünfter Auftritt

Vorige. Distichon, einen Pfeil mitten durch die Wade gesteckt.

Distichon (atemlos).
Es ist geschehn!

Hermione (verhüllt sich das Antlitz).
Du bist verwundet, Unglückssohn?

Distichon.
Im Herzen, Königin.

Hermione.
Nicht doch, im Fuß.

Distichon.
Nicht möglich? (Besieht sich und erstaunt.) Ha, das hab ich wirklich nicht bemerkt.

Narr (zieht ihm den Pfeil heraus).
Was das für ein Glück ist, wenn man falsche Waden hat. Unverwundbar wie Achill.

Distichon.
Ein kluger Feldherr weiß sich zu verschanzen,
Den Arm weiht man der Schlacht, den Fuß braucht man zum Tanzen.


Sechster Auftritt

Vorige. Die Zauberschwestern Vipria und Arrogantia in tigerartigen Kleidern mit Bogen und Pfeilen treten schnell und kühn herein. Allgemeiner Schreckensausruf.

Alle (mit Entsetzen).
Die Zauberschwestern!

(Alles steht erstarrt in Gruppen.)

Vipria.
Hahaha! Hast dus gehört? wir sind gemeldet.

Arrogantia (mit Verachtung).
Ha, furchtsam Volk! Der Schreck ist Kammerdiener hier.

Vipria.
Nun? Wie wirds? Habt ihr 's Medusenhaupt geschaut, daß ihr versteinert steht? –

Arrogantia.
Sind zur Komödie wir geladen, daß ein Tableau man uns zum besten gibt? Wo bist du, Hermione, die uns rufen ließ?

Hermione.
Frag' sanfter, wenn dus zu erfahren wünschest, solche Frage ist der Antwort Tod.

Vipria (persiflierend).
Wo weilt denn die gestrenge gnädge Frau? (Befehlend.) Wer bist denn du? Bist du die Magd vom Haus, so lös die Riemen auf an meinem Schuh. Aha, du bist das Kammerkätzchen hier, du willst gestreichelt sein, so meld uns an, teil Gnaden aus, wir bitten dich: Zwei arme Zauberschwestern sag, wir küssen dir den Staub an deines Kleides Saum. (Sie tun es heuchlerisch.)

Hermione (erzürnt).
Laßt ab. Ich bin es selbst, ich bin Hermione.

Vipria.
Nicht möglich?! Ach verzeih, ich hab dich wirklich nicht erkannt, wir haben dich ganz anders uns gedacht. (Zu Arrogantia.) Sie hat ja so gesunde Backen.

Arrogantia.
Eine gewöhnliche Gestalt.

Vipria.
Sie sieht so einfach aus.

Arrogantia.
Einfältig fast.

Vipria (Hermione heuchlerisch umarmend).
Unendlich freut uns das.

Arrogantia (ebenso).
Ich bin entzückt im höchsten Grad.

Narr.
O Schierlingskraut, mit Zucker überstreut!

Affriduro.
Kannst du dies dulden, Zeus!

Narr.
Jetzt kommt der mit seinem Zeus daher.

Hermione (für sich).
Bekämpfe dich, mein Stolz! Es gilt ja meines Landes Glück.

Vipria.
Du wohnst hier allerliebst. Ein schöner Blumenhain.

Hermione.
Es ist mein liebster Garten.

Vipria.
Und eine nette Dienerschaft. (Narr macht ihr eine Verbeugung.) Quelle figure? (Sieht durch einen Stecher.)

Arrogantia.
Der ist gebaut als wie ein Telegraph.

Vipria.
Ist der im Garten hier bestimmt, daß er die Vögel dir verscheucht?

Narr.
Ich soll die Fledermäus vertreiben, aber heute sind mir doch ein Paar hereingekommen.

Arrogantia.
Wer bist du, kecker Freund?

Narr.
Man spricht nicht gern davon.

Hermione.
Es ist mein Narr.

Vipria.
Bravissimo! Bist du der einzige Narr auf dieser Insel?

Narr.
Nein. (Auf Distichon deutend.) Hier hab ich die Ehre, dir noch einen aufzuführen.

Vipria.
Nun, Hermione, uns gefällts in deinem Reich.

Arrogantia.
Wir haben doch die ganze Welt durchreiset. Wir sahen Indiens gewürzte Fluren –

Vipria.
Und Matzleinsdorfs Gefilde.

Arrogantia.
Ägyptens Pyramiden –

Vipria.
Die Spinnerin am Kreuz.

Arrogantia.
Die Höhe des Mont Blanc –

Vipria.
In Wien den tiefen Graben.

Arrogantia.
Arabiens Wüstenei –

Vipria.
Und Nußdorfs schöne Auen.

Arrogantia.
Doch unter allen diesen Welten haben wir zwei Lieblingsinseln uns erwählt.

Vipria.
Die meine liegt am Donaustrom.

Arrogantia.
Die meine heißet Flora.

Hermione.
Wenn ihr die Insel liebt, so ehrt auch ihren Frieden und stört ihn nicht durch frechen Übermut.

Arrogantia (auffahrend).
Wer?

Vipria (steigend).
Wie?

Narr (grell für sich).
Was? –

Hermione.
Verzeiht, daß ich den harten Ausdruck hab gewählt, ich bitte euch, schont dieses Landes Glück.

Vipria.
Nicht weiter sprich! Also darum ließest du uns rufen?

Arrogantia.
Um einen Mentor hier zu spielen.

Vipria.
So wisse denn, wir hassen dich wie Schlangengift.

Hermione.
Was hab ich euch getan?

Vipria.
Als wir auf deine Insel kamen, hättest du um Schutz uns flehen sollen. Doch mit Verachtung hast du uns empfangen.

Arrogantia.
Selbst nicht zum Tee hast du uns eingeladen, das hat die Schwester so empört.

Vipria (zu Arrogantia).
Sprich nicht so albern, schweig.

Arrogantia.
Warum? Der Tee ist deine schwache Seite.

Narr (beiseite).
Sie hat ja so schon ihren Tee.

Vipria (zu Arrogantia).
Erzürn mich nicht und schweig.

Arrogantia.
Was hast du zu befehlen mir?

Vipria (heftig).
Ich wills!

Arrogantia (ebenso).
Ich nicht!

Narr.
Sie fangen noch zu raufen an, die Damen.

Vipria (zu Arrogantia).
Ein andermal. (Zu Hermione.) Zu dir, du freches Weib!

Hermione.
Halt ein, das geht zu weit, soll denn Gewalt nichts gegen euch vermögen? Ergreift sie schnell. (Alles will auf sie.)

Arrogantia und Vipria (spannen ihre Bogen, schnell).
Wer wagts? –

Distichon (zieht sich erschrocken zurück).
Ich nicht –

Narr (ebenso).
Ich detto nicht.

Vipria.
Entfernt euch schnell, wir lizitieren euer Leben. (Mit gespanntem Bogen drohend.)

Narr.
Die Lizitation wart ich nicht ab. (Läuft davon.)

Odi.
Ich geh schon auf den ersten Ruf. (Läuft ab.)

Arrogantia (zu Distichon).
Was zahlst du für das deine? schnell!

Distichon (erschrocken ab).
Das Fersengeld.

Vipria (zu Affriduro).
Hast du für unsern Pfeil ein überflüssig Leben?

Affriduro.
Ich hab nur eins, das brauch ich selbst. Leb wohl. (Ab.)

Arrogantia (zu allen).
Und ihr?

Alles.
Wir fliehen schon!

(Alles in Verwirrung ab.)

Vipria (triumphierend).
Hahaha, Virtuosen in der Furcht.

Arrogantia.
Verlassen stehst du nun.

Vipria.
Erkenne unsere Macht.

Hermione (weinend).
Weh mir!

Arrogantia (höhnend).
Was weinst du denn?

Vipria (ebenso).
Du zartes Turteltäubchen du.

Hermione.
Auf euer Haupt zurück den Spott, ihr niedern Zauberdirnen! entweicht auch ihr, vergiftet nicht den Hain durch euren Hauch.

Vipria.
So komm. Wir wollen sie verlassen.

Arrogantia.
Doch unser Haß bleibt ihr zurück.

Vipria.
Und diese Flur, des Zwistes bunter Zeuge, die ihn mit farbgem Aug geschaut, verödet soll sie sein. (Nimmt einen Stern hervor.) Du Zauberstern, der finstern Hekate entwendet, jetzt steh mir bei. (Zu Hermione.) Du liebest diesen Blumentempel? So stürz ich seine Säulen ein, und eine schlammbedeckte Nessel setz ich dafür hin, Verwesung heißet sie. Blick auf. (Der Garten stürzt zusammen, Sumpf und verdorrte Bäume zeigen sich. Raben sitzen auf den Ästen, flattern in der finstern Luft. Das Ganze ist ein grauser Anblick. Der Wind heult gräßlich.)

Hermione (schaudernd).
Entsetzlich!

Vipria.
Unersättlich werde meine Rache, gleich dem Hunger Erysichthons, überall will ich dich necken und verfolgen, in jedem Grashalm will ich dich belauschen.

Arrogantia.
Aus jedem Unkraut streck ich meinen Hals.

Vipria.
Bis die Verzweiflung bittend dich zu meinem Füßen reißt. Dann erst ist Vipria versöhnt. (Erschöpft.) Ha, wie wird mir, ich bin zu schwach für meinen Grimm.

Arrogantia (sanft).
Du hast dich angegriffen, liebes Schwesterchen. Oh, stütze dich auf meinen Arm.

Vipria (höhnisch).
Ich danke dir! (Heimlich.) Wie kommst denn du zu dieser Zärtlichkeit?

Arrogantia (heimlich).
Aus Bosheit, weil sies ärgert. (Laut.) Das macht die Eintracht unsrer Herzen. Wenn du leidest, leid ich auch.

Vipria (zart).
O gutes Kind! (Umarmt sie zärtlich. Dann mit durchbohrendem Blick auf Hermione.) Wart, Schlange! (Matt zu Arrogantia.) Leit mich, Arrogantia. (Geht auf Arrogantia gestützt ab.)

Hermione (allein).
O ihr Götter, wodurch verdient ich euren Fluch? Erniedrigt, und vor wem? Vor meinem eigenen Geschlecht. Wenns noch ein mächtger Zauberer wär, doch daß es Weiber sind, die mich besiegt, das kränkt mich gar so tief, und wenn ich gleich dem Argus hundert Augen hätte, so würde jedes sich mit Tränen füllen über diese Schmach. O Amphio, könntest du den Schmerz mir tragen helfen! Doch halt! Hat das Orakel nicht bestimmt, daß, wenn ich einen Gatten wähle, die Macht der Zauberbrut vernichtet ist? Doch darf ich meinem Volke sagen, daß ich einen Hirten liebe? Und kann ich einen andern wählen? Ich vermag es nicht, es sind nicht Amors Rosenketten, die mich an ihn binden, eherne Bande sind es, die mein Herz an seines schmieden. Doch wie? Hat Minerva mich berührt? Ja, so gelingt es – so muß er siegen, so wird er mein, ich kann auf seinen Geist vertraun. (Narr sieht zur Kulisse herein.) Was suchst du, Narr?


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