Ferdinand Raimund
Die gefesselte Phantasie
Ferdinand Raimund

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Elfter Auftritt

(Die beiden liegenden Statuen verschwinden, und statt ihnen liegen die Zauberschwestern in der nämlichen Stellung auf den Postamenten, springen erzürnt auf und gehen auf und ab.)

Vipria.
Nein, das ist zu viel. Einen Hirten liebt sie. Das hat die Sonne nicht erlebt. Ist er denn wirklich schön? ich hab ihn nicht genau betrachtet.

Arrogantia.
Er hat ein glänzend Aug.

Vipria.
Im Ernst?

Arrogantia.
Und Lippen wie Rubin.

Vipria.
Da hätt er sich in uns verlieben sollen, nicht in sie.

Arrogantia.
Der Meinung bin ich auch.

Vipria.
Sie darf Ihn nicht besitzen. Wie verhindre ichs?

Arrogantia.
Ach, sinne, Schwesterchen, ich bitte dich.

Vipria.
Geduld. Durch ein Gedicht soll ihre Hand ihm werden? Ist es nicht so? Das Dichten muß man ihm verleiden. Doch wie? Ich frag dich, Zauberstern. (Zieht den Stern heraus und sieht hinein, fährt auf.) Holla, was spiegelt sich in dir? Was schwebt da in des Himmels Blau? Blick auf!

Arrogantia (blickt in die Luft).
Ein Adler ists.

Vipria.
Du irrst, es ist die Phantasie, sie kömmt zu Amphio, sie hat ihm Hermiones Hand gelobt.

Arrogantia.
So sagte er.

Vipria.
Jetzt lebt es auf in mir, mein Plan ist reif. Wir fangen sie und sperren sie dann ein. Dann will ich sehen, wer ein Gedicht hier schreibt.

Arrogantia.
Ich habe viel Verstand, doch dich versteh ich nicht.

Vipria.
Begreifs! Wer dichtet denn? Die Phantasie ists, die poetische Gedanken schafft. Wir halten sie gefangen, dann fällt keinem Dichter etwas ein.

Arrogantia.
Also wird auch kein Preisgedicht gemacht?

Vipria.
Es wird gemacht, heut abend noch. Doch zwingen werde ich die Phantasie, den zu begeistern, den ich für Hermione zum Gemahl bestimmt, und wie der aussehen wird, das kannst du dir wohl denken, und nehmen muß sie ihn, wenn er das Beste liefert, sie schwörts in diesem Augenblick im Tempel des Apoll.

Arrogantia.
Ein schöner Plan. Verbergen wir uns jetzt.

Vipria.
Flieg nur, mein Vögelchen, du fliegst in unser Netz.

(Beide verbergen sich, die Statuen erscheinen wieder an ihrer vorigen Stelle. Das Ritornell der Arie beginnt. Die Phantasie schwebt mit ausgespreiteten irisfarbigen Flügeln auf rosigem Nebel nieder.)

Die Phantasie.
Ich bin ein Wesen leichter Art,
Ein Kind mit tausend Launen,
Das Niedres mit dem Höchsten paart,
's ist wirklich zum Erstaunen.
Kurzum, ich bin ein Kraftgenie,
Sie sehn in mir die Phantasie.

(Ans Publikum.)

Wenn rauhe Wirklichkeit auch gleich
Verwundet Ihre Herzen,
So flüchten Sie sich in mein Reich,
Ich lindre Ihre Schmerzen.
Denn alles Glück, man glaubt es nie,
Am End ists doch nur Phantasie.

In dichterischem Übermut
Durchschweb ich weite Fernen.
Ich steck die Sonne auf den Hut
Und würfle mit den Sternen,
Doch vor des Beifalls Melodie
Verbeugt sich tief die Phantasie.

(Sich tief verneigend.)

Es ist doch wahrlich eine Schande, daß die Phantasie, die von oben kommt, als Unterhändlerin in einem Liebesroman erscheint. Apollo selbst will dieses Pärchen einen, denn unter uns gesagt, er ist ein eitler Mann, wie viele Dichter sind, und Hermiones Schwur, nur einen Dichter zu erwählen, hat ihn so entzückt, daß er mir befahl, ihr Amphio zum Dichter und artigen Gemahl zu bilden, zu bilden! – wohlgemerkt, weil gewöhnlich die gebildetsten Dichter die ungebildetsten Ehmänner sind. Hier kömmt mein Kandidat, Ich will ihn doch ein wenig aufziehen.


Zwölfter Auftritt

Amphio. Die Phantasie.

Phantasie.
Nun mein dichterischer Freund, wie haben wir uns aufgeführt? Hat unser gestriges Sonett Cytherens Bande fester geknüpft?

Amphio.
Auf ewig sie zu binden, steht in deiner Macht.

Phantasie (weint kindisch).
Ich armes Kind soll andere vermählen, und für mich selbst wird Hymens Fackel niemals leuchten. (Verbirgt das Gesicht.)

Amphio (besorgt).
Wer würde deine Hand verschmähen?

Phantasie (lacht laut auf).
Meinst du, ich sprech im Ernste so? Was kümmern mich die Männer dieser irdschen Welt, was gilt mir selbst ein menschlicher Apoll! Ich bin die Phantasie, der höchsten Schönheit Bild kann ich durch eigne Macht erschaffen, denn nach Adonis reizender Gestalt form ich aus rosgem Äther mir den Bräutigam, in sein Gehirn leg ich Minervens Weisheit ihm, der Zunge schenk ich die Beredsamkeit der Polyhymnia, in seine Brust gieß ich Latonas Sanftmut aus. So bild aus Götterkräften ich mein Ideal und flieh mit ihm nach einer Himmelswelt in unbekannte Sphären. Dort bau ich Amors Tempel auf von glänzendem Rubin und laß von tausend Sonnen ihn bestrahlen. Dann raub ich dem Saturn die Sichel seiner Zeit und breche sie ob unserer Lieb entzwei, damit mir jeder Kuß zur ewgen Wonne wird.

Amphio.
Ach, du scherzest noch, du weißt nicht, wie poetisch wichtig diese Stunde ist.

Phantasie.
Beleidige mich nicht, ich selbst habe heute Hermione zu dem Entschluß begeistert, ein Preisgedicht zu fordern, damit nur einmal dieser langweilige Liebeshandel sein Ende erreicht.

Amphio.
Oh, dann wirst du mir auch deine Hülfe nicht versagen. Der heutge Tag entscheidet.

Phantasie.
Du bist doch noch bescheiden, du nimmst meine Hilfe nur bei Tage in Anspruch, aber manche Dichter sind so wahnsinnig, die ganze Nacht zu schreiben, und wenn die Phantasie nicht gleich auf dem Tintenfaß sitzt, so beschwören sie mich durch Punsch und Champagner, daß ich erscheinen soll, und wer kann der Einladung eines so artigen Franzosen, wie der Champagner ist, widerstehen? Ich nicht.

Amphio.
In jenem Tempel schwört die Herrscherin, ich eile, um dir zu berichten, was wir zu besingen haben. Wie freu ich mich, wie bebe ich, ach, wie quälend ist dieser Wechsel von Freude und Furcht.

Phantasie.
Ach, wie quält dich dieser kleine Wechsel, und wie gerne würde mancher mit dir tauschen, der heute einen recht großen auszuzahlen hat. Die Freude ist ein Wechselhaus, sie muß wechseln, denn im Wechsel liegt Freude. Doch um dich zu beruhigen, will ich dir einen Wechsel ausstellen an das große Wechselhaus Amor et Compagnie. Nun, der wird dir doch sicher sein, denn wenn die Liebe zu zahlen aufhört, dann macht die Welt Bankerott. So geh denn hin und hole den Stoff. Die Phantasie bleibt hier zurück, und wenn du wiederkehrst, umschling ich deinen Geist, und fertig ist das kindische Gedicht.

Amphio.
Und wird es Hermiones Hand erringen?

Phantasie.
Ich schwör es dir bei Schillers Haupt, in dem ich stolz gethront.

Amphio.
Ich trau auf diesen Schwur. (Sinkt ihr zu Füßen.)

Phantasie (hebt ihn auf).
Komm bald, ich harre dein. (Amphio ab, Phantasie allein.) Heute habe ich einen fröhlichen Tag. Wie wohl ist der Phantasie, wenn sie vom Versemachen ruhn und in ungezwungner Prosa sprechen kann. (Sie singt eine lustige Rossinische Melodie.) Die Phantasie kann alles. (Hüpft herum.) Sie ist ein mutwilliges Geschöpf.


Dreizehnter Auftritt

Vorige. Vipria und Arrogantia, erstere mit Pfeil, letztere mit Bogen und Pfeil bewaffnet.

Vipria (der Phantasie in den Weg tretend).
Halt an! Qui vive?

Phantasie.
Bonne amie, die Phantasie.

Vipria.
Nichts passiert, gib dich gefangen, bunter Rabe!

Phantasie.
Doch nicht so leicht. (Entreißt ihr den Pfeil und verwundet sie.)

Vipria.
Verdammte Schlange! (Hält sich den Arm.)

Phantasie (eilt auf einen kleinen Hügel und macht Miene zum Auffliegen).
Du Hexe, denk an mich.

Arrogantia (hat den Bogen gespannt und schießt die Phantasie in eine Achsel, an der der Flügel verwundet wird).
Und du an mich!

Phantasie (sinkt).
Weh mir! Das traf!

Arrogantia (schadenfroh).
Jetzt kennst du mein Geschoß!

Vipria.
Fort mit ihr.

(Beide fesseln sie.)

Phantasie.
O unglückselges Los!

Vipria.
Sperr in den Käfig sie. Ich such ihr einen Dichter auf.

(Arrogantia zieht die Phantasie an den Fesseln fort.)

Phantasie.
Apollo!

Arrogantia.
Folge mir!

(Arrogantia mit der Phantasie ab.)

Vipria (allein).
Umhülle mich jetzt, magische Finsternis. (Schwarze Wolken fallen ein, die in der Mitte einen Stern bilden. Es wird Nacht.) Jetzt, Zauberstern, entehre deinen Glanz und strahl Gemeinheit ab und Häßlichkeit, wie sie mein rachetrunkner Sinn begehrt. (Der Stern öffnet sich, man sieht das farbige Transparentbild des Harfenisten, mit seiner Harfe sitzend, an der Wand.) Hahaha, willkommen, Fratzengesicht, dich ernenne ich zu ihrem Gemahl. (Ein Wagen mit sechs Raben bespannt, statt den Laternen zwei Fackeln, erscheint.) Durch die Lüfte fort, damit ich es schnell entführe, dies Werk einer hypochondrischen Stunde der Natur. (Fliegt ab.)


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