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Siebenzehntes Kapitel

Wenn im vorigen Kapitel mehrere Male vom Hängen und Gehängtwerden die Rede war, so muß leider auch das jetzige mit dem ganz gleichen Wort in seiner aktiven wie passiven Bedeutung beginnen. »Mit Hängen und Würgen!« hatte Professor Doktor Drüding, als Lehrer und Freund seinem Schüler und Mündel das Zeugnis der Reife für die Universität einhändigend, kopfschüttelnd gesprochen. »Ich weiß es nicht, was grade dieses letzte, wichtigste Semester hindurch in dir gesteckt hat, mein Sohn. Hm, eigentlich ist dies wohl nicht ganz richtig ausgedrückt – kurz, allerlei sonderliche Insinuationen, die mir von verschiedenen Seiten gemacht wurden, habe ich nach längerem Bedenken an ihren Ort gestellt belassen, vorzüglich nachdem ich den Rat und die Meinung unseres werten Freundes, des von dir nimmer genug zu schätzenden Brusebergers, eingeholt hatte. Ich verließ mich auf ihn, als er versicherte, daß nur jugendliche Dummheit und Unerfahrenheit der Sache zum Grunde liege und daß ein jeglicher gewöhnlich eine solche oder ähnliche Epoche in seinem Leben zu überwinden habe. Hm, hm, in meinem Dasein erinnerte ich mich zwar einer solchen nicht; aber wie gesagt, ich glaubte mich auf den Bruseberger auch hierin verlassen zu können, und da er hinzufügte, daß dir freilich nichts dienlicher sein werde, als daß du möglichst bald für längere Zeit von Ilmenthal, aus deiner Heimat und Kindheitswiege, dich entferntest, so habe ich denn in diesem Sinne in der letzten Konferenz für dich geredet, und man hat dich nach einigem Bedenken für reif erklärt. Leider Gottes also nicht mit jener herzlichen, spontanen Zustimmung, die ich noch bis vor kurzem in dieser wichtigen Stunde für dich von meinen Herren Kollegen erwartet hatte. Nun, nun mein Kind, die Welt ist eben kein Märchen und der Mensch darin kein Phantasma, kein Geschöpf der bunten Einbildungskraft, sondern eine von seiner Mutter mit Schmerzen geborene, in Sorge und Not durch etliches Behagen in schwerer Arbeit im günstigsten Falle zu einem guten Ende sich durchringende Kreatur der Wirklichkeit. Im Griechischen hast du dich am mangelhaftesten erwiesen, aber davon sei in diesem Augenblick am wenigsten die Rede. Durch dieses Dokument, welches ich hiermit in deine Hand lege, bekleide ich dich nach römischer Sitte mit der toga virilis; aber auch das ist mir gegenwärtig eine Nebensache. Auf deine Zugehörigkeit zu dem ehrbaren, tapfern, arbeitsamen, in seiner Grundfeste nimmer zu erschütternden Volke der Deutschen wünsche ich dich hiermit noch einmal eindringlichst aufmerksam zu machen. Gedenke zu jeder Zeit, welch eine uralte, erstaunliche Ehre du auf dieser völkerwimmelnden, völkerschaffenden, völkervernichtenden Erde mit zu bewahren, vermehren und verringern vermagst! Hiermit entlasse ich dich denn meinerseits vom hiesigen Gymnasio nach Leipzig zu dem von dir erwählten Studium der Rechte in der festen, fröhlichen Zuversicht, daß du nicht mal aus der weitern Welt heimkehren und an jener dir bekannten niedern Mauer vor dem Klostertor mit dem Gefühl vorbeigehen wirst: ›Dahinter liegen auch mehrere Leute, die bessere Erwartungen in mich setzten, als ich zu erfüllen imstande gewesen bin!‹ Und nun mach, daß du nach Hause kommst, um es dem Bruseberger und der Meisterin Schubach mitzuteilen, daß du glücklich durch bist. Meine Florine scheint es seltsamerweise schon vor mir und dir gewußt zu haben.«

Auch der Bruseberger tat durchaus nicht so überrascht, wie es der alte Scholarch doch ein wenig vorausgesetzt zu haben schien. Er nahm die große Neuigkeit befriedigt, aber gelassen hin und sagte nur: »Na, die Wissenschaft stand diesmal ausnahmsweise eben in zweiter Linie, Thedor. Du weißt, was ich auf das Griechische und Lateinische halte, aber in Beziehung auf dich stand es doch jetzo in dritter und in vierter Linie. Ich muß dir sagen, ich habe seit lange nicht ein neues Frühjahr mit solcher Sehnsucht erwartet wie diesmal. Man war für unsere Zustände im Zusammenhange der Dinge eben ein bißchen allzu nahe aneinandergedrängt durch den harten Winter; und was sonst ja recht heimelig war, das hatte diesmal in der laufenden Zeit, ohne daß einer – wenigstens hier in unserm Hause – recht etwas darzukonnte, seine nachdenklichen Molesten. Nun wollen wir aber auch die Fenster wieder hübsch weit aufmachen und uns keinen angenehmen Geruch von Triebkraft und keinen ersten warmen Windhauch aussperren. Mit diesem dummen Pappstück hier habe ich mir jetzt item lange genug die Aussicht in deiner seligen Mutter Garten versperrt. Weißt du aber, Thedor, ich werde es mir apart aufheben, und zu den ersten Lessings Gesammelten Werken, zu denen sich einer in Ilmenthal erhebt und sie von mir gebunden haben will, soll es mit verwendet werden. Der soll sich über keine Pfuscherbuchbinderarbeit zu beklagen haben, der das Exemplar auf sein Bücherbrett stellt. Der Bruseberger wird wieder mal nach Möglichkeit 'nen klaren Kopf und 'ne sichere Hand zu der sonstigen Kleisterei geben. Hm, hm, so, so, der alte Herr, unser Herr Professor, will also nu r merkwürdige und lamentable Zerstreuung an dir bemerkt haben und seine sonstigen Gedanken über unsere letztweiligen Umstände hier am Kuhstiege lieber für sich behalten? Dieses lese ich wenigstens aus dem heraus, was du mir eben berichtest, und kann darauf nur sagen: Theodor, Theodor du hättest wahrhaftig an deines Vaters Begräbnistage in viel unverständigere Hände fallen können, wenn der erhabenen Weltregierung wenigstens hier auf Erden ebensowenig an dir gelegen hätte wie an so manchem andern Schlucker – Namen will ich selbst aus unserer präsenten Ilmenthaler Bevölkerung nicht nennen, sondern dich nur auf die allgemeine Welthistorie verweisen, in welcher du übrigens, wie mir scheint, noch mit am besten in deinem Examen bestanden hast. Na, fasse ich alles, was ich, was andere, was die allernächste Nachbarschaft, was du selber dir sagen kannst, in ein Wort, so sage ich: Gottlob! Und was die Mutter Schubach anbetrifft, so bin ich der festen Überzeugung, zwischen Lachen und Weinen, zwischen Pläsier und Schmerzen packt sie in ihrer Einbildung allbereits deinen Koffer. Nun, komm herunter zu ihr; in der Einbildung und Phantasie wollen wir gleich auf der Stelle anfangen und ihr helfen, und ich meine, wir zwängen dir doch mancherlei nicht üble Dinge ins Bündel, so wir dir für deine Wanderschaft schnüren. Nehmen Sie dem alten Fechtbruder, dem Bruseberger, kein Handwerksgesellen- und Herbergswort krumm! Wir haben doch manchen Weg die letzten Jahre durch zusammen gemacht, seit ich dich über die Planke zog; und was das Fechten anbetrifft – he, he, wir haben, meine ich, mehr als einen guten Kampf zusammen ausgefochten. Soll mich wundern, was für einen Gewinn wir aus den Taschen zusammenholen, wenn wir mal in der allerletzten Herberge wieder zusammenkommen!«

Die Mutter Schubach hatte für »Philosophieen« jetzt wahrlich nicht die geringste Zeit übrig. Sie hatte das trotz ihrer vielen »Ideen« eigentlich nie, aber jetzt »wirklich noch ein bißchen weniger«.

»Nun ja, Kind«, sagte sie, »es ist gewiß eine rechte Freude; aber daran habe ich niemalen gezweifelt, daß sie dich wie 'nen reifen Apfel vom Gelehrsamkeitsbaume schütteln würden. Ob du ihnen im Hebräischen und sonstigen Indianischen auf der einen Seite noch ein bißchen grün vorgekommen bist, das ist mir nicht nur ganz egal, wie diesmal auch dem Bruseberger, sondern noch viel egaler als dem Bruseberger. Auf den Wurm sah ich dich an und hab ich dich nochmals hin und her gewendet, ehe ich heute morgen gesagt habe: Bruseberger, in Anbetracht, daß er von einer Wintersorte kommt, ist er ein braver Apfel und wird sich gut liegen. Ein paar Fallflecke wird er wohl aufs letzte Lager mit sich bringen; aber am Ende ist eine Haut, die dergleichen vertragen kann, ohne gleich zu faulen, auch eine verdienstliche Gabe, und dies ist meine Meinung. Nach einer andern Richtung will ich denn mit meiner Meinung auch nicht hinterm Berge halten: nämlich, Sie können lange passen, Bruseberger, ehe Sie die Witwe Schubach zum zweiten Male verleiten, einem unverständigen Kinde über jedwede christliche nachtschlafende Zeit hinaus eine Rede darüber zu halten, wo Bartel den Most holt. I, Er alter Fensterversteller und Pappkomödiante, das konnte Er doch gleich wissen, daß wir unser Ziehkind nicht aus dem Hause tun konnten, nur weil nebenan die Welt ihren gewohnten Gang geht! Wo haben wir zwei, wir beiden alten Ilmenthaler Kuhstiegler, in Seinem dummen Zusammenhang der Dinge jemalen was anderes getan, als uns nolens volens mitschieben zu lassen? Mußten wir das Kind hergeben, so kam das, weil wir mußten wie heute; aber nicht, weil wir es uns überlegt und vorgenommen hatten wie in der Nacht nach Pauli Bekenntnis, – was für ein Heiliger damals im Kalender stand, weiß ich wirklich nicht zu sagen. Von Rechts wegen hätte eigentlich der heilige Joseph drin stehen –«

»Meisterin?!« sprach der Bruseberger würdig und warnend.

»I, schon gut! I du mein Leben! Na, laß nur unsern Herrn Studenten erst aus dem Hause sein, und ich weiß schon, wen ich aus eigenem, freiem Antrieb und ohne Aufforderung von anderer Seite bei erster bester Gelegenheit bei den Ohren nehmen werde. Und Sie, Bruseberger, mögen meinetwegen dann wiederum zu Bette kriechen und die Decke über die Ohren ziehen, wenn auch die gute, günstige Gelegenheit sich am hellen, lichten Tage, mittags Punkto zwölfe, gegeben hat. Seien Sie mir nur erst aus dem Hause, Thedorchen; nachher werde ich mir den bösen Rodburg und seine vermehltaute, alte, hispanische, mexikanische Mispel über den Zaun langen. Einerlei, ob sie sich jetzo schandenhalber ein bißchen menagieren, und das ist meine Idee so. Der liebe Gott ist mein Zeuge, wie gut ich es mit jedermann meine und wie leid mir meine jetzige neue Ilmenthaler Nachbarschaft tut und wie oft ich des Nachts liege und denke; ach, könntest du doch deinem jetzigen lieben, alten Nachbar helfen! Freilich mußte der alte Peter aus der Fremde es schon damals bei seinen damaligen Jahren wissen, worauf er sich einließ mit einer solchen Person. Nun ja, seien Sie nur still, Bruseberger, ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Hätte ich Sie damals – bei Ihren damaligen jungen Jahren nicht auf der Landstraße aufgehalten und bei meinem Seligen unter die Presse gebracht, wer weiß, was für ein kurioser Potiphar aus Ihnen geworden wäre, Sie alter neugieriger Pappbogen-Fenster-Okuliste!«

Sie lachten beide, das grauköpfige wie das junge Ziehkind der Mutter Schubach. Sie hätten es nimmer fertiggebracht, vor diesem so unvermutet, so ganz aus dem Übervollen im Redefluß der guten alten Frau in die Erscheinung tretenden Herrn Potiphar die »Kontenance zu behalten«. Auf deutsch gesagt, verloren sie vollständig die Fassung nach der dunklern Seite menschlicher Existenz und Existenzen hin. Behaglich lächelnd schlug der Bruseberger seinen Zögling auf die Schulter und rief: »Dies ist freilich und wirklich ganz unvermutet das Letzte! Hiergegen läßt sich nichts mehr sagen! He, he, he, Meisterin, hierauf hat der Bruseberger – nein, diesmal Heinrich August Baumann aus Bruseberg nichts weiter zu bemerken, als daß er für heute gründlich streikt und zum erstenmal, seit er unter Ihrer Regierung steht, aus einem Donnerstag den richtigen blauen Montag macht. Komm wieder mit herauf in die Werkstatt, Thedor; wir legen uns noch ein bißchen ins Fenster und sehen noch ein Halbstündchen hinunter in deinen alten Robinson- und Karnickelgarten, bis sie uns zu Tische ruft. Hat sie noch einen Rest von Gewissen, so gibt es nachher heute sicherlich etwas Gutes –«

»Im Zusammenhang der Dinge!« lachte die Mutter Schubach. »Na, geht nur. Daß euch zwei unser Herrgott in ein und demselben Topfe gekocht hat, das ist meine Idee, und zwar von Anbeginn an! An dem Wort von dem Robinson- und Karnickelgarten, was Sie eben so hingesprochen haben, ist aber wirklich was dran in Beziehung auf unsern Thedor. Sie wußten diesmal wohl gar nicht, daß Sie den Nagel damit auf den Kopf trafen, Bruseberger?«

Herr Heinrich Baumann aus Bruseberg räusperte sich völlig so väterlich-unwirsch wie Professor Doktor Drüding in seiner Schulstube, wenn Buttermann oder irgendein anderer ihm einen Stein des Anstoßes vor die Beine warfen. »Meisterin Schubach«, sagte er, »dem Himmel sei Dank, es sind uns – ich meine unsern lieben Ziehsohn hier – doch noch andere Träume und Phantasien daraus bescheret worden als solche, die sich bloß auf den Trieb in die Fremde und Weite und – auf die Kaninchenzucht auf dieser Erde beziehen. Man nennt dieses das Ideal, Meisterin, und davon mag jeder andere halten, was er will und wie er es von seinem Fenster und Standpunkt ansieht, wenn es nur für den, den es speziell angeht, eine echte Prinzessin bedeutet. Wie lange – das hängt freilich wohl von den jemaligen Umständen ab. Du lieber Gott, was würde aus deiner Welt werden, wenn du keine falschen Prinzessinnen und nachgemachte Treu und Redlichkeit, Fröhlichkeit und Brüderlichkeit hineingesetzt hättest, um uns arme Sünder zu rechter Zeit anzufrischen? So häufig und gemein ist die echte Ware nicht, daß du für die Nachfrage auf deinem großen Markte damit ausreichtest.«

»Jawohl, es sagt mancher Kaffee, der sich mit Zichorie begnügen muß. Übrigens brauchen Sie mich nicht so wehleidig anzuschnauzen, auch wenn Sie wieder mal recht haben. Und dann für Sie bin ich als Ideal und Gartenprinzessin und hülflose Witwe vom Kuhstiege aus der richtigen Schieblade zu Ihrer moralischen Anfrischung und Verfeinerung genommen! Und jetzo macht, daß ihr mir aus meiner Küche kommt, ihr beiden närrischen Laternemagiker. Da, Herr Rodburg, nehmen Sie auch Ihre Papiere mit und sehen Sie fernerhin zu, daß Sie das Zeugnis der Reife behalten. Na, Kinder, und ich, ich stehe jetzt hier zwischen euern zwei Leibgerichten und besinne mich, wem ich seins des mächtigern Verdienstes an diesem vergnügten Tage wegen auf den Tisch zu setzen habe. Was meinen Sie denn wohl, Bruseberger?«

»Daß Sie sich selber dabei wie gewöhnlich ausgelassen haben, Mutter Schubach. Jetzt stecke ich keinen Löffel und keine Gabel in mein intimstes Leibessen. Richten Sie sich ganz nach Ihrem eigenen Verdienst und Gusto, Meisterin!«


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