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VII.

»Wo ist Euer Vater, Jungfer?« fragte der Scharfrichter von Rothenburg das zitternde Mädchen, welches sprachlos ihn anstarrte.

»Hat Euch der lustige Wind das Gehör oder die Sprache genommen, Jüngferlein?«

»O, was wollet Ihr?« stöhnte kaum vernehmlich die zum Tod erschrockene Jungfrau; der Scharfrichter aber hob das Haupt, horchte nach der Gasse zu und lachte kurz. In die Gasse hinaus war die alte Magd gestürzt, außer sich über das Eindringen des Freimannes in die Silberburg. Das Volk, das da in Haufen stand und die Aengste der vergangenen Nacht besprach, rief sie auf, und alle Augen richteten sich in starrer Verwunderung auf die Silberburg. Vom Marktplatz herunter kam in diesem Moment der regierende Bürgermeister mit einigen Rathsherren und Schöffen, den durch den Sturm angerichteten Schaden in und um die Stadt zu beschauen. Auch sie erhielten Bericht, daß Wolf Scheffer, der Henker, ein ehrlich Haus beschritten habe, schüttelten die Häupter, besprachen sich einen Augenblick untereinander, und dann schritt der Bürgermeister gegen die Silberburg und trat in die dunkle Thür. Ihm folgten die Rathsherren und die Schöffen und ein großer Theil der Menge; ein noch größerer Haufe wurde freilich durch den Rathsdiener an der Pforte zurückgewiesen.

Durch den verwilderten Garten schlich der schwarze Jürg um Kundschaft nach der Geliebten. Er fand die Hinterthür der Silberburg offen, und eine unerklärliche Macht trieb ihn zu dieser Stunde, in die Wohnung des alten Familienfeindes, dessen Kind er so sehr liebte, einzutreten. Mit geheimem Schauder setzte er den Fuß in das Haus, das einst den Kindlern geeignet hatte, wo so viele Geschlechter seines Namens geboren und gestorben waren. Schon waren die untern Räume voll von den Bürgern und Bürgerinnen von Rothenburg; kaum vermochte Georg sich einen Weg zu bahnen zur Treppe. Mit dem Bürgermeister und den Schöffen stieg er empor und trat mit ihnen in das Gemach des alten Heyliger, und Alle überkam eine ähnliche Stimmung wie den Sohn des Stadtsoldaten auf der Römerhöhe; aber keiner von den Herren stieß solch einen Wuthschrei aus als Georg Kindler, da er den Scharfrichter mit seinem abscheulichen Grinsen vor der halbohnmächtigen Geliebten stehen sah.

Mit einem Sprunge wollte er sich auf den Henker stürzen; aber dieser erhob drohend die Hand und schrie mit donnernder Stimme:

»Zurück! Wer legt die Hand an mich?«

Und zurück wichen die Herren vom Rath, zurück wich das Volk; Laurentia Heyligen warf sich an die Brust Georg's:

»Schütze mich! Um Jesu Willen, schütze mich, Georg!«

»Treibt den Mann aus diesem Haus, welches sein Fuß besudelt; befehlt ihm, zu gehen. Euer Gnaden!« rief Georg Kindler dem Bürgermeister zu; aber ehe dieser antworten konnte, lachte Wolf Scheffer und rief:

»Wer will den Scharfrichter von Rothenburg aus seinem Eigenthum treiben? Herr Bürgermeister, zu dieser Stell' fordere ich den Bürger dieser Stadt Christian Jakob Heyliger, im Jahre Sechzehnhundertfünfundsiebenzig Zinsmeister allhier zu Rothenburg.«

»Wer gibt Euch das Recht, solches Verlangen zu stellen? Wer giebt Euch das Recht, in dieses Haus einzudringen? Wisset Ihr nicht, daß –«

Der Scharfrichter zog unter seinem rothen Mantel einen beschriebenen und besiegelten Papierbogen hervor und hielt ihn hoch über die Häupter des Volkes.

»Hier mein Recht! Hat der Teufelswind über Nacht das Dach mir über dem Kopf weggenommen, so muß ich schauen, daß ich ein ander krieg'. Hier mein Recht! Und nun zum letzten Mal: Wo ist Euer Vater, Jungfer Heyligerin?«

»Ich weiß es nicht – o käme er! – Georg, Georg, was ist das? Was ist geschehen? Was soll geschehen?«

»Still, Lieb', ich bin Dein Schutz hier und überall.«

»Herr Bürgermeister von Rothenburg, nehmt und lest,« sagte der Scharfrichter, dem Herrn das Papier reichend. »Derweilen will ich selbsten Umschau halten nach Christian Jakob Heyliger und ihn herschaffen, daß er mir mein Recht gebe.«

Auseinander wich die Menge, und der Scharfrichter schritt aus der Thür, das vergilbte Papierblatt in der Hand des Bürgermeisters zurücklassend. Dem kaiserlichen Notarius Cyprian Schnäubele reichte der regierende Herr das inhaltschwere Document.

»Leset Ihr, Gevatter. Meine Augen sind zu blöde, und meine Brille lieget zu Hause.«

Einen fliegenden Blick warf der Notarius über das Papier, die Unterschriften und Siegel, dann zuckte er die Achseln, wie sie nur ein Advokat zucken kann, und schnitt eine Grimasse, wie sie ebenfalls nur ein Advokat schneiden kann.

»Traget vor, Herr Doctor!« riefen in athemloser Neugier die Rathsherren und der Notarius las laut:

»Ich Johann Gottlieb Riecher J. U. Licent. notarius caesarius publicus bezeuge und bescheinige durch meine Unterschrift und Beisetzung meines Notariatssigills, wie folget:

Am ersten Aprilen in diesem Jahr, nach Christi Geburt 1675, ist ein Part aufgerichtet und rechtskräftig gemachet zwischen den Herren, Herrn Christian Jakob Heyliger, Bürger und Zinsmeister in kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal einerseits und Traugott Gottlieb Scheffer, kaiserlichem Kammergerichtssecretarius zu Regensburg, andererseits.

Sintemalen obengenanntem Herrn Christian Jakob Heyliger obenbenannter Herr Traugott Gottlieb Scheffer, Secretarius, in einem allhier geführten Prozess Heyliger contra Kindler mit Rath und That so hilfreich zur Hand gegangen ist, daß besagter Chr. J. Heyliger besagtem T. G. Scheffer nimmer genug danken und lohnen kann: so ist zwischen besagtem Chr. J. Heyliger und besagten T. G. Scheffer verbrieft und besiegelt, wie folgt:

I. Zahlt am heutigen Datum Herr Chr. J. Heyliger dem Reichskammergerichts-Secretarius Herrn T. G. Scheffer fünfhundert Gulden in guter Müntz.

II. Zahlt derselbe Chr. J. Heyliger demselben T. G. Scheffer fünfhundert Gulden an dem Tag, an welchem besagter Chr. J. Heyliger Besitz nimmt von dem Haus, benannt zur Silberburg, in kaiserlicher freier Reichsstadt Rothenburg im Thal.

III. Dieweilen aber des Menschen Fleisch ist wie Heu und seine Güter nicht haften in Einer Hand, so ist ausgemachet und beschlossen, daß am ersten Aprilen Siebenzehnhundertfünf als nach einem Menschenalter, vom heutigen Tag an gerechnet dreißig Jahre, dem obenbenannten Reichßkammergerichts-Secretarius Traugott Gottlieb Scheffer, oder dessen dann lebenden Erben und Rechtsnachfolgern obenerwähntes Haus zur Silberburg in kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal mit allem Zubehör, Lasten und Rechten von obenbenanntem Christian Jakob Heyliger oder dessen Erben gutwillig und ohne Widerrede übergeben werden soll. Wird aber Terminus verpaßt, ist's Recht verpaßt.

Ist dieser Pact in aller Güte, ohne Widerspruch von einer Seite aufgesetzet und doppelt ausgefertiget worden, wonach zu achten.

Regensburg am ersten April 1675.

(L. S.) Johann Gottlieb Riecher,
Notarius publicus caesar.

(L. S.) Christian Jakob Heyliger,
Zinsmeister zu Rothenburg im Thal.

(L. S.) Traugott Gottlieb Scheffer,
Kaiserl. Reichskammergerichtssecretarius
zu Regensburg.«            

 

Die Blicke und Bewegungen der Hände, Schultern und Köpfe, welche diese Vorlesung begleiteten und ihr folgten, zu schildern, geht über unsere Kraft. Während Alles in Wunder und Staunen steht und Laurentia leise über die Schmach des Vaters weint, das Gesicht an der Brust des Geliebten verbergend, wollen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen.

Anno 1675 war der Zinsmeister Christian Jakob Heyliger ein Mann in seinen besten Jahren, und der Reichskammergerichtssecretarius Scheffer, obgleich bedeutend jünger als der Zinsmeister, war doch nur ein kümmerliches Männlein gegen den stattlichen Bürger von Rothenburg. Nicht im mindesten wahrscheinlich erschien es von damals, daß der Secretarius für sich selbst einen angenehmen Gebrauch von dem eben vorgetragenen Schriftstück werde machen können. Der Mann hüstelte und spie auch von Zeit zu Zeit ein wenig Blut aus, und nicht die mindeste Aussicht war vorhanden, daß er nach dreißig Jahren mit diesem Pact werde hervortreten können. Freilich hatte er ein damals fünfjährig Söhnlein, welchem der Vertrag hätte zu gute kommen können; aber damit war es ein eigen Ding. Dieses Söhnlein war die einzige Frucht einer für den Secretarius ungemein stürmischen Ehe, und der Vater hatte längst den ohnmächtigen Zorn und Grimm, den er täglich seiner bessern Hälfte gegenüber verschlucken mußte, auch auf den kleinen Wolf, welchem die Frau Schefferin mit der Muttermilch die allergrößeste Verachtung der väterlichen Autorität eingeflößt hatte, übertragen. Der Papa kümmerte sich den Teufel um die Zukunft seines Sohnes.

Im Hause war der Secretarius Scheffer der erbarmungswürdigste Knecht und Sündenbock, den man sich vorstellen kann; aber er gehörte leider zu den Naturen, welche das Gift, das sie gegen die eigene Umgebung nicht verspritzen dürfen, nach Außen tragen, – vielleicht die gefährlichsten Menschen! Für das Unglück des eigenen Heerdes rächte sich Traugott Gottlieb Scheffer an der Außenwelt, und seine Stellung in der Maschinerie der Gerechtigkeitspflege des heiligen römischen Reiches deutscher Nation gab ihm die Gelegenheit dazu in Hülle und Fülle.

Zwischen den bergehohen Actenhaufen zu Regensburg, durch den Staub und Schmutz aller jener ewigen, sprichwörtlich gewordenen Rechtshändel kroch der kleine Mann in der ungeheuern Perrücke mit den langen hagern Armen und den dünnen Beinchen wie eine heimtückische Spinne, und betrachtete es als den Inhalt seines armseligen Lebens, so viel Menschen als möglich mit Leib und Seele von sich abhängig zu machen. Hier auf dem Felde wurde der Sklav zum Tyrannen; dreimal Wehe Allen, die sich in das Netz dieser Spinne verwickelten, ihre ganze übrige Lebenszeit hindurch mochten sie sich abzappeln darin; denn es gehörte zu des Mannes grausamer Lust am Schaden, daß er nicht jedes unglückliche Opfer auf der Stelle aussog und als leere Hülse hängen ließ. Solches that er nur den armen, einfältigen Teufeln, die ihm in keiner Weise gewachsen waren; mit ihnen gab er sich nur des Gewinnes wegen ab. Anders aber gestaltete sich die Sache, wenn ihm ein an List und Schlauheit ebenbürtiger Geist entgegentrat. In solchem Falle zeigte sich der Reichskammergerichtssecretarius in seiner ganzen giftigen Glorie, und unübertrefflich war die Kunst, mit welcher er leise, leise dem Gegner die ersten feinen Fäden, die zu unlöslichen Ketten werden sollten, um Hände und Füße legte. Fast unmöglich war es, der Subtilität, mit welcher die Fäden verstärkt und vermehrt wurden, sich zu erwehren. Hülflos bis zum Aeußersten hing zuletzt das Opfer im Netz, und Satan konnte vor Rührung über den trefflichen Schüler die Augen mit dem Schwanz wischen.

Zu den Leuten, welche dem Secretarius nahezu gewachsen waren, gehörte der Zinsmeister von Rothenburg, als er im Jahre 1673 seinen Proceß gegen Friedrich Martin Kindler begann und Anno 1675 selbst nach Regensburg ging, seinem Interesse nahe zu sein. Dunkle Wege beschritt er; aber sie führten gewissermaßen zum Ziel, denn Traugott Scheffer trug seine schweflicht leuchtende Laterne dem Zinsmeister voran. Besitzer der Silberburg mit Gärten, Ackerfeldern, Wiesen und Weinbergen ward Christian Jakob Heyliger; aber durch sein ganzes Leben hatte er alljährlich bedeutende Geldsummen gen Regensburg an den Secretär Scheffer zu schicken, ungerechnet die in dem Vertrag erwähnten Gelder. An dem Blatt, welches am 1. April 1705 in der Silberburg vorgelesen wurde, hielt der Secretär seinen Clienten. Es war kein Glück, was der Zinsmeister von Rothenburg mit der Silberburg erlangt hatte!

Im Jahre 1695 starb Traugott Scheffer weniger an der Abzehrung als an dem Schmerz und Verdruß über die Verlegung des Reichskammergerichts von Regensburg nach Wetzlar. Auch auf seinem Besitz haftete kein Glück; das Vermögen, welches der Eheherr zusammengescharrt hatte, zerfloß und zerging der trauernden Wittwe; Niemand wußte recht, auf welche Weise. Schlecht schlug das Söhnlein aus, that nach Kräften das Seinige zum Ruin der Mutter und lief zuletzt unter die Soldaten. Verlumpt und verludert kam es im Jahre 1703 heim aus dem Kriege, grade zur rechten Zeit, um dem Sarge der Mutter aus dem Hospital nach dem Kirchhof zu folgen.

Als Wolf Scheffer dann die wenigen Habseligkeiten der verschiedenen Frau durchstöberte, fand er das Blatt, welches ihn zum reichen Mann in Rothenburg im Thal machen konnte. Es war eine zerbrochene silberne Haarnadel, ein dito Löffelstiel und eine Kette von Bernsteinperlen hineingewickelt. Wolf that einen Pfiff über den Fund, machte die drei Werthgegenstände zu Geld und zog gen Rothenburg, wo er grade recht kam, den bedrängten Rath von dem fressenden Delinquenten im Thurm zu erlösen. Mit einer gewissen wilden Ironie und um nicht zu verhungern bis zum 1. April 1705, übernahm der einstige Profoß vom Regiment Deutschmeister-Infanteria das Scharfrichteramt der kleinen Reichsstadt. Er hatte durchaus nicht die Absicht, sein Leben in Rothenburg hinzubringen, so kam es ihm nicht darauf an, sich daselbst auf kurze Zeit anrüchig und ehrlos zu machen.

Wir haben gesehen, wie er seinem Feinde Georg Kindler begegnete und die Liebe desselben zu Laurentia Heyligerin entdeckte; wir haben gesehen, wie er die Silberburg, sein baldiges Eigenthum, Tag und Nacht nicht aus dem Auge ließ. Mit der Besitznahme der Silberburg glaubte der Rachsüchtige zugleich sich rächen zu können an Dem, welchem er seine Verstümmelung zu danken hatte, und so frohlockte er doppelt.


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