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II.

Wenn der Scharfrichter auf seiner Bank vor der Thür seine Pfeife rauchte und gradaus in das Thal und in die Stadt hinunterblickte, so war der hervorragendste Punkt, der ihm in's Auge fiel, die Silberburg mit ihrem verblichenen Farbenschmuck, alterschwarzen Balkenwerk, ihren erblindeten, grünangelaufenen Fenstern, ihren geneigten Giebeln. Hinter diesem Hause lief ein über alle Maßen verwilderter Garten die Römerhöhe entlang bis zu dem Wartthurm, auf welchem dem alten, strumpfstrickenden Kindler der Lugaus auf Feuer und Franzosen anvertraut war. Neben der Silberburg widmete der Scharfrichter diesem Wartthurm seine ganze Aufmerksamkeit, und weshalb er dies that, wird später klar genug werden.

Der Garten des reichen Mannes in der Silberburg war aber deshalb so verwildert, weil Christian Heyliger niemals aus den Hinterfenstern seines Hauses blickte. Ein solches Ausschauen hätte ihm auch den Lug in's Land gezeigt und den Anblick desselben konnte er nicht ertragen. Das hatte folgenden Grund. Der alte, strumpfstrickende Stadtsoldat auf der Römerhöhe war nicht immer ein armer Kerl im Gnadenbrod der Stadt gewesen, hatte nicht immer Strümpfe gestrickt, am Hungertuche genagt und Trübsal geblasen.

Einst hatte er selbst in der Silberburg gewohnt und manch' ein schöner Acker und Weinberg auf der städtischen Feldmark war sein Eigenthum gewesen. Daß solches nicht mehr so war, daran war der Zinsmeister Christian Jakob Heyliger und das Reichskammergericht zu Regensburg Schuld. Ersterer hatte den Proceß, welcher den armen Kindler zum Bettler und strumpfstrickenden Stadtsoldaten machte, angezettelt und mit Kunst eingeleitet; letzteres hatte ihn – ausnahmsweise einmal unbegreiflich schnell – entschieden zu Gunsten des Zinsmeisters. So mußte Friedrich Martin Kindler aus seinem Hause zur Silberburg, welches im Jahre 1675 noch keine schiefen Giebel und geborstenen Mauern, keine erblindeten Fenster und wurmzerfressene Balken hatte, heraus in's Elend, und hätte sich der Rath und das ziemlich hart angegriffene Rechtsgefühl der Stadt seiner nicht erbarmt, er wäre dem bittersten Mangel preisgegeben gewesen. Friedrich Kindler erhielt einen kleinen Posten im Weg- und Stegamt; aber sein armer Kopf war durch das Unglück so wirr gemacht, daß er diese einfache Stelle im Gemeinwesen nicht auszufüllen vermochte. Man gab ihm ein noch bescheideneres Amt, aber auch diesem zeigte er sich nicht gewachsen, und wie die Erinnerung an sein ziemlich unverdientes Schicksal bei seinen Mitbürgern immer mehr und mehr verblaßte, ließ man ihn immer mehr fallen; allmälig kam er immer tiefer herab, bis er beim Strumpfstricken auf der Römerhöhe angelangt war. Auf der Römerhöhe genaß seine arme Frau, die aus einem sehr angesehenen Hause war, eines Knäblein, starb aber bald am gebrochenen Herzen im tiefsten Jammer. Sie wurde begraben für den Erlös aus dem letzten Stück ihrer Aussteuer, einer leeren Spinde, in welcher ihre selige Mutter viele Reichthümer und Kostbarkeiten aufbewahrt hatte. Während Wilhelm Kindler auf diese Weise die Leiter menschlicher Größe hinabstieg, stieg der Zinsmeister in der Liebe und Achtung seiner Mitbürger nicht empor. Obgleich der Reichthum ein gewaltiger Herr ist, welcher mit den andern Großmächten dieser Welt, der Liebe, dem Hunger, der Sorge und dem Tode, in Ansehen der Macht wohl Schritt zu halten vermag, so kann es doch geschehen, daß auch seine Kraft und Herrlichkeit schwach wie ein Strohhalm zerbricht, und so war es in diesem Fall.

Das gleichalterige Geschlecht der Mitbürger, welches den Anfang und Verlauf des großen Processes contra Kindler vor Augen gehabt hatte, that in den Gassen der Stadt, wenn der Zinsmeister vorbeischritt, als ob es ihn nicht sehe, und rückte, wenn er sich irgendwo auf einer Bank niederlassen wollte, so weit als möglich von ihm weg und zwar sogar in der Kirche, wo Christian Heyliger bald so allein saß wie der Scharfrichter.

Schritt vor Schritt wich der Zinsmeister vor der öffentlichen Mißachtung zurück, zuerst in den wilden, zähneknirschenden Hohn und Trotz, dann in die finstere Einsamkeit, zuletzt in den grimmigen Menschenhaß. Sein Ehegemahl litt dabei fast noch mehr als die arme Frau Friedrich Kindler's; sie war eine sanfte, geduldige, milde Seele und die beste Jugendfreundin der Kindlerin. Auch die Heyligerin starb an dem großen Proceß, doch nicht aus Kummer über den Verlust weltlicher Güter, sondern vielmehr aus Schmerz über das Gewinnen derselben. Sie ging zu Grunde an den Worten und Blicken der Nachbarinnen und verschied, nachdem sie einige dunkle Jahre hindurch in einem Winkel der Silberburg gesessen hatte. Ihre Seele war nur angelegt, Liebe zu geben und zu nehmen, der Haß und die Verachtung tödteten sie, und so ließ sie ihren Mann und ihr halbjähriges Kindlein, ein ganz winziges, durchsichtiges, kränkliches Wesen, allein in der Einsamkeit und Verlassenheit zurück, und der Gedanke an ihr Kind füllte das Maß ihrer Angst und Noth in der Todesstunde. Aber diese letzte Sorge sollte zu den vielen unnöthigen gehören, welche sich das arme Herz hier auf Erden macht. Nimmer wuchs eine lieblichere Blume in der Dunkelheit auf als Laurentia Heyligerin. Wie eine Pflanze, die in der feuchten, kalten Wohnung des Armen sich windet und ihre Ranken streckt, bis sie die Stelle erreicht, die der einzige eindringende Sonnenstrahl trifft, so rang diese junge, eingeschlossene Seele zum Licht, und als sie es gefunden hatte, entfaltete sie sich zu einer Blüthe, welche der harte Kampf mit der Finsterniß und der Verlorenheit um so köstlicher, duftender, strahlender machte.

Ein jüngeres Geschlecht, welches geboren wurde um die Zeit, als das Erkenntniß des Reichskammergerichts in Sachen Heyliger contra Kindler von Regensburg kam, nahm die verfallende, täglich mehr zur Ruin werdende Silberburg und den finstern alten Mann, der in ihr hauste, als etwas Gegebenes, an welches sich irgend eine seltsame Geschichte hing. Dieser Geschichte in alle dunkeln Gänge nachzugehen, war das Leben viel zu kurz und köstlich; so hielt sich denn das junge Geschlecht weniger an den menschenfeindlichen Greis als an die Wunderblume, die hinter den grauen Mauern in so tiefer Verborgenheit blühte. Bald kam die Zeit, wo die jungen Gesellen von Rothenburg, die müßigen Söhne der Geschlechter, alles Mögliche aufwandten, sich der verzauberten Schönheit zur Silberburg zu nähern, die Zeit, wo Viele sich rühmten, die verwünschte Prinzessin geschaut und gesprochen zu haben, ohne es im Geringsten glaubwürdig beweisen zu können. Da stolzierte man im besten Putz unter den Fenstern des alten Hauses einher, da ließ man die muthigen Rößlein traben und lustige Sprünge machen, da stellte man nächtlicher Weile Musikanten mit Zinken, Flöten, Geigen und Dulcinen, oder sich selbst mit der Laute auf, das Lob der Schönen durch die holdselige Frau Musica zu verkünden und das Herz der holden Verborgenen durch selbiger Göttin mächtige Hilfe zu gewinnen.

Wer mochte aber sagen, ob der Schatten, der hinter den altersdunkeln Scheiben bemerkt sein sollte, eins sei mit dem lieblich gepriesenen Kinde? Nimmer öffneten sich die blinden Fenster; nur selten, selten überschritt, in dichte, dunkle Schleier gehüllt, die Heyligerin ihres Vaters Schwelle, um zur Kirche zu gehen. Die übrigen hübschen und häßlichen Jungfern der Stadt haßten die Verborgene fast eben so sehr, wie die Väter den Zinsmeister einst haßten. Da sie nichts Uebles von der Armen wissen konnten, so erfanden sie Mancherlei. In halben Worten und Andeutungen waren sie groß, und von Neuem ward das alte Wort wahr, daß die tiefste Abgeschlossenheit Dem keinen Schuß geben kann, der keinen haben soll. Wie aber das Gute, welches die Welt zu bieten vermag, nicht zu Laurentia Heyligerin Einlaß fand, so drang auch das Böse nicht zu ihr, und darum mochten die kaiserlich freien Gevatterinnen, Klatschbasen und Neider reden, was und wieviel sie wollten.

Die halb blinde und ganz taube Magd, welche den Verkehr der Silberburg mit der Außenwelt vermittelte, beschränkte diesen Verkehr auf den Einkauf von Lebensmitteln und dergleichen Geschäfte, ohne den Fragen, Ausforschungen und Insinuationen der Außenwelt etwas Anderes als ein mürrisches Gebelfer entgegenzusetzen. Manch' ein stutzerhaftes Muttersöhnlein hatte versucht, die Alte mit den Sparpfennigen der Mutter zu bestechen und zur Treulosigkeit an der Abgeschlossenheit des Hauses ihres Dienstherrn zu verleiten; aber eben so gut hätte der junge, nach Liebesabenteuern begierige Patrizier versuchen können, den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus durch Vorwerfung einer leckern Bratwurst aus Pflicht und Treue zu verlocken. Selbst der Erzähler kann in das Innere der Silberburg nur bei dem wichtigsten Momente seiner Relation dringen; für's Erste hat er sich wie die Bürger von Rothenburg an das Aeußere zu halten. In das Innere des Wartthurmes auf der Römerhöhe darf er aber ungehindert zu jeder Zeit einen Blick werfen, und das wird er jetzt thun und dabei seine Leser mit den beiden invaliden Bewohnern näher bekannt machen und in Berührung bringen.


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