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V.

Somit haben wir eine der vielen nächtlichen Zusammenkünfte der beiden jungen Leute, zwischen denen das Schicksal eine so feste eiserne Wand aufgerichtet zu haben schien, geschildert. Viel hülfsbedürftiger und ärmer als der Sohn des armen Mannes, war die Tochter des reichen Mannes geworden; aber auch jener war unglücklich und verlassen, und darum ward wieder einmal wahr, daß zwei Unglückliche sich viel leichter zusammenfinden, und viel fester sich binden, als zwei Glückliche. Wie Georg und Laurentia sich zuerst zusammengefunden hatten, darüber hätten sie kaum Rechenschaft geben können. Es waren zwei arme Kinder, und jedes saß für sich allein auf dem kalten Stein; da kam das Schicksal, diesmal gütig und lächelnd gleich einer guten, klugen und vorschauenden Mutter und führte die beiden jungen Herzen zusammen, Trost und Lust zum Leben gegenseitig zu geben und zu empfangen. Einst, als der Weißdorn in der Gartenhecke der Silberburg in der Blüthe stand, hatten sich die beiden Kinder die Hände unter dem Busch durchgereicht, da sie zu klein waren, um darüber wegzublicken. Nun hatte seit dem glücklichen Frühlingstage der Weißdorn wohl zwölf Mal in seinem luftigen Kleide den abziehenden Winterschnee verspottet; aus den Kindern waren »Leute« geworden, die sich recht gut die Hände über die Hecke reichen konnten. Das Reichskammergericht war von Regensburg nach Wetzlar verlegt, der Friede zu Ryswick geschlossen, der Kurfürst von Brandenburg war König in Preußen geworden; der spanische Erbfolgekrieg hatte seinen Anfang genommen, die Stadt Sanct Petersburg war gegründet; der Blitz hatte den Brunnenritter auf dem Markt zu Rothenburg zertrümmert, der alte Scharfrichter war gehängt worden von dem neuen, Georg Kindler war mit einer Brustwunde und mit einer Wunde im Arm heimgekehrt aus dem Feldzuge des Prinzen Eugenius am Rhein.

Nun ging auch dieser Sommer des Jahres 1704 seinem Ende entgegen, und das enge Leben der kleinen Reichsstadt nahm seinen gewohnten Verlauf. Es wurde mit Pomp das Freischießen gehalten, und der Arm Georgs war um diese Zeit so weit hergestellt, daß der Weibel des Regiments Montecuculi die Pürschbüchse halten konnte. Den Vogel schoß er ab und gewann den besten Preis, durch dessen gute Verwendung das Innere des alten Thurmes auf der Römerhöhe ein behaglicheres Ansehen bekam. An diesem Freischießen durfte der einstige Profoß des Regiments Deutschmeister als Ehrloser natürlich nicht theilnehmen; dafür aber durfte er einem Diebe das rechte Ohr abschneiden, ein Pasquill auf den Herrn Bürgermeister und dessen lebenslustige Gemahlin unter dem Galgen verbrennen und eine Hexe im Gnadenwege mit dem Schwert vom Leben zum Tode bringen.

Immer tiefer las sich Friedrich Kindler auf dem Lug in's Land in die Prudentia oeconomica, die Kunst, ein reicher Mann zu werden, hinein, doch blieben die guten Lehren des Allongeperrückenträgers auf dem Titelblatt stets von derselben verwirrenden Wirkung auf den alten Mann, und das war eigentlich nur für ein Glück zu halten.

Dagegen schien die Gemüthsstimmung des unglücklichen Mannes in dem verfallenden Hause unter der Römerhöhe immer hoffnungsloser zu werden. Laurentia hatte dem Geliebten darüber immer schrecklichere Einzelheiten mitzutheilen; aber immerfort wehrte sie sich hartnäckig gegen den Rath des Freundes, die Hülfe der städtischen Beamten anzurufen.

Gegen Anfang des Octobers begegnete Georg wieder einmal dem Scharfrichter, und mit der gewohnten spöttischen Miene sagte der Letztere:

»Monsieur, Unsereins ist ein halber Doctor; soll ich Euerm Schätzchen einen Trank eingeben gegen die bleichen Wänglein?«

Und als Georg Kindler wild auffahren wollte, lachte der Andere:

»Hoho, thut doch nicht so, Weibel. Unser Einer gehet auch in der Nacht umher und merkt Mancherlei. Hoho, wünsch' Euch in Wahrheit viel Vergnügen mit dem holden Kind. Zu Euerer Hochzeit werdet Ihr mich wohl nicht laden?!«

»Was redet Ihr mich an? Was spionirt Ihr? Wer giebt Euch das Recht, nächtlicher Weile die Silberburg zu umschleichen?« rief Georg, außer sich vor Grimm.

»Hoho, Camarado, kalt' Blut. Euch möcht' ich fragen, was Ihr zu suchen habt in der Nacht dort im Garten? Kümmert Euch ja nicht um mein Recht, das soll Euch schon klar genug werden in der rechten Stunde.«

Georg Kindler streckte beide Hände aus, als wolle er den Scharfrichter ergreifen, um ihm die Seele aus dem Leibe zu schütteln. Wolf Scheffer aber sagte:

»Was? Den Henker, den Freimann wollt Ihr angreifen? Zurück, oder ich schlage Euch wie einen Hund zu Boden, und ich möcht' Euch doch einen ärgern Tort anthun, als Euch durch einen lumpigen Stockschlag geschehen könnt'. Platz! Gebt Raum! Raum, sag' ich, dem Scharfrichter von Rothenburg und seinem Recht!«

Fort schritt der Rothmantel; Georg aber stieß wieder einmal einen seiner wilden Soldatenflüche, deren er in der Zeit sich so ziemlich entwöhnt hatte, hervor und murrte:

»Was mag er meinen, der Hund. Hätt' ich ihm doch damals das Hirn ausgeschlagen, anstatt des falschen, heimtückischen Auges.«

Um sein heißes Blut zur Ruhe zu bringen, rannte der vormalige Weibel so weit als möglich in die Nacht und in die Berge hinaus; die Geliebte konnte er doch in dieser Nacht nicht sehen. Sie war bereits seit acht Tagen nicht im Garten erschienen und hatte dem verlobten Freunde durch die alte Magd Nachricht zugehen lassen: der Vater lasse sie nicht von seiner Seite, er sei nun wie ein Kind mit Weinen und großer Angst; sie müsse ihm vorsingen, er fürchte sich sehr vor dem Herbstwinde in den Bäumen und in den Schornsteinen und Kaminen; Gott allein wisse, wie das enden werde.

So überließ nun an diesem Abend Georg Kindler dem bösen Wolf den Garten zur Silberburg, und in seinen rothen Mantel gehüllt, saß der Freimann auf der Schwelle der Hinterthür und reihete Zahlen aneinander, rechnete wie der alte Strumpfstricker auf der Römerhöhe. Er hatte soeben den Werth des wüsten Gartengrundstückes berechnet, und nun daran, den Werth des Hauses in seiner Verfallenheit annähernd aufzustellen, lachte er nach seiner Art still in sich hinein und murmelte:

»Heraus sollen sie wie die Füchse aus dem Bau. Wundern werden sie sich über den Scharfrichter und sein Recht. Ho, wie sie die Perrücken schütteln werden im Rath. Nach dreißig Jahren soll's mir noch ein Gaudium sein. Du alter Schlaukopf von Vater in Deinem Grabe zu Wetzlar sollst Deine Freud' an Deinem Söhnlein haben. Hui, und dieser Narr und Satan, dem ich dieses schwarze Pflaster zu danken hab', wird er das Maul aufsperren! Eine fröhliche Stund' sollst Du feiern, Wolf Scheffer, so wahr Du Deines klugen Vaters Sohn bist.«

Sein Selbstgespräch unterbrechend, hob der Scharfrichter plötzlich den Kopf und lauschte, und dann kletterte er vorsichtig auf den hohen Holzhaufen, über den der Kater niederzusteigen pflegte; auf diesem Platz konnte seinem Ohr nichts entgehen, was im Innern des Hauses vorging. Eine weiche volle Stimme klang aus dem obern Stockwerk der Silberburg; aber die Fenster blieben dunkel wie gewöhnlich.

Laurentia Heyligerin sang:

»Wenn über stiller Haide
Des Mondes Sichel schwebt,
Mag lösen sich vom Leide
Herz, das im Leiden bebt.

Tritt vor aus Deiner Kammer
Und trage Deinen Schmerz,
Trage des Weltlaufs Jammer
Der Ewigkeit an's Herz.

Das Ewige ist stille,
Laut die Vergänglichkeit;
Schweigend geht Gottes Wille
Ueber den Erdenstreit.

In Deinen Schmerzen schweige,
Tritt in die stille Nacht;
Das Haupt in Demuth neige,
Bald ist der Kampf vollbracht.

Schweige in Deinem Schmerze,
Geh' vor aus Deinem Haus,
Und trag' Dein armes Herze
An Gottes Herz hinaus.

Weil' nicht im dunkeln Walde,
Zwischen den Tannen nicht;
Ueber die Blumenhalde
Trag' Deinen Schmerz in's Licht.

Wenn hinter Dir versunken,
Was Ohr und Auge bannt,
Dann hält die Seele trunken
Das Firmament umspannt.

Wie aus dem Nebelkleide
Der Mond sich glänzend ringt,
So aus dem Erdenleide
Aufwärts das Herz sich schwingt.

O Haide, stille Haide,
Wie sehnet sich hinaus
Zu Dir das Herz im Leide,
Gefangen Herz im Haus!«

So klagte im Gesange das schmerzhafte »gefangene Herz« in der Silberburg; dem Lauscher unter dem Fenster war ernst zu Muth geworden; aber die Stimmung dauerte nicht lange. Bald war das höhnische Zucken um den Mund wieder da; Wolf Scheffer flüsterte:

»Wie sich das Vögelchen hinaussehnt! Wie es nach der goldenen Freiheit verlangt. Wart', Liebchen, bald sollst Du mehr davon haben, als Du gebrauchen kannst; die ganze weite Welt soll Dir offen stehen; ich will Dich nicht halten in der Silberburg.«

Von seinem Platz auf dem Holzhaufen vernahm der Scharfrichter noch im Innern des Gemaches die heisere, weinerliche Stimme des alten Heyliger, dann noch einmal die sanften, überredenden Laute der Jungfrau, dann ward Alles still. Eben wollte Wolf Scheffer leise zur Erde niedersteigen, als er noch einmal anhielt; im Innern der Silberburg ließ sich ein knarrender Ton vernehmen und das alte Gebäude zitterte in seinen Grundvesten. Es war, als ob ein starker Balken unter zu großer Last gebrochen sei.

»Teufel,« murmelte der Scharfrichter, »der alte Kasten scheint doch die Gicht in den Knochen zu haben. Bah, was thut's, ich werd' mich nicht lang damit plagen. Es wird sich schon Einer finden, der ihn mir abnimmt für gut Geld; mag ihm das alte Gebäude dabei auf den Kopf fallen, was schiert's mich. Geld und Geld und Geld und zu Ende der Spaß hier! Zu Pferd und fort nach dem lustigen Frankreich. Vive le roi! Vive la joie! Vive Paris!«

Auf dem Erdboden angekommen, schüttelte sich der Lauscher und verschwand in der Dunkelheit. Eine Viertelstunde später erhellten sich zwei Fenster in der Scharfrichterei auf dem Herrenberge, Wolf Scheffer saß daselbst am Tisch, hatte einen Kalender vor sich, starrte unverwandt auf diesen Kalender des Jahres 1705, welcher dieser Tage erst beim Bücherverkäufer am Fenster erschienen war. Es war ein Datum darin roth unterstrichen, und Wolf hielt den Finger darauf, rechnete die Tage aus, die noch verstreichen mußten bis zu diesem Datum, und summte leise vor sich hin:

»Malb'rough zieht in den Krieg,
Miroton, Miroton, Mirotaine;
Malb'rough zieht in den Krieg,
Weiß nicht, wann heim er kehrt.«


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