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IV.

Wir ließen nach Untergang der Sonne den schwarzen Jürgen nach seiner Expectoration über des Vaters Kunst hauszuhalten, von dem Lug in's Land zur Erde niedersteigen. Zuletzt überwand das Mondenlicht doch den rothen Glanz im Westen und silbern überfluthete es Berg und Thal, Stadt und Ebene. Roth flimmerten in der Tiefe die Lichter aus den Fenstern von Rothenburg; die Frösche quakten, die Grillen zirpten, Nachtschmetterlinge und Nachtvögel begannen ihren Flug. Die Fledermaus zog ihre irren Kreise; junges Volk sang einzeln oder in Chören. Es war, als seien alle Plagen, welche die Menschheit bedrängen, wieder zurückgescheucht in die Büchse der Pandora, als sei der Deckel niedergefallen und siebenfältig versiegelt.

Aus seiner Dienstwohnung unter den Bogen des Rathhauses trat der Rathsnachtwächter mit Horn, Spieß und Hund. Der Hund ging zum nächsten Eckstein; seinen Spieß stieß der Wächter auf den Boden, sein Horn setzte er an den Mund, blies dreimal hinein, dumpfes Getön hervorlockend, dann sang er mit rauher Stimme:

»Seine Noth und seine Plag'
Hat der liebe lange Tag;
Hört, Ihr Herren, hört, Ihr Frau'n,
In und um Euch sollt Ihr schau'n
In der Nacht.«

Zum Beschluß verkündete Joachim Schaufele kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal die neunte Abendstunde.

Gegen zehn Uhr knarrte die Hinterthür der Silberburg, eine Gestalt trat vorsichtig hinaus und glitt unhörbaren Schrittes in den Gatten. In dem verworrenen Gebüsch saß eine Nachtigall, der im Frühling das Liebchen vom Weih getödtet worden war. Nun sang sie lieblicher und länger als alle die Genossen; aber sie sang ihren Schmerz und zog auch nicht von dannen mit den Freunden; ein Aederlein zersprang ihr in der armen kleinen, klagenden Brust, und so mußte sie sterben, ehe der Herbst und die Zeit der großen Reise in die weite Welt kam. Ueber alle Maßen verwildert war der Garten der Silberburg; Gezweig der Bäume und Gerank der Büsche verschlangen sich ineinander; überwuchert waren alle Beete und Wege. Die Rosen, welche in ihren glücklichen, stolzen Jugendtagen die Mutter des schwarzen Georg gepflanzt und gepflegt hatte, hatten nun aus einem großen Theil des Gartens eine dornige, gefahrvolle Wildniß gemacht, kaum zu durchdringen ohne Messer und Handbeil.

Die Gestalt, welche aus dem Hause Christian Heyliger's schlüpfte, wagte sich aber doch hinein in diese duftige Wildniß. Sie wendete und neigte sich zwischen dem Gezweig und verschwand in dem dunkelsten Schatten, welchen der Mond an diesem Abend im Garten der Silberburg duldete.

Da war eine alte Steinbank, umschlungen und umrankt wie alles Andere, darauf saß Laurentia Heyligerin nieder, die wonnige Kühle des Abends athmend, die Hände im Schooß faltend – still wartend.

Mehr einer Bildsäule des Nachsinnens als einem Menschenwesen glich so die Jungfrau. Ihr schönes Gesicht war nicht nur im Mondenschein bleich, es war so auch im Licht des Tages; der Glanz der Nacht verklärte die Bleiche, daß sie dem reinsten Marmor gleich wurde.

Mit gesenktem Haupt und halbgeschlossenen Augen saß Laurentia, bis der Wächter vor der Silberburg die zehnte Stunde verkündete und sang:

»Nacht und Tag, Tag und Nacht
Gottes Aug' im Himmel wacht;
Hört, Ihr Herren, hört, Ihr Frau'n,
Gut Gewissen wird nicht grau'n
In der Nacht.«

Da hob sich das schöne Gesicht dem Monde zu mit ganz verändertem Ausdruck. An die Stelle träumerischer Mattigkeit war das aufmerksame Lauschen in den Zügen zu lesen. Seitwärts neigte sich das Köpfchen, der Römerhöhe zu; immer lauter sang die Nachtigall, und Niemand konnte wissen, daß es nicht das Lob der Nacht war, was sie sang. Es rauschte in den Büschen; aber nicht der Wind brachte dieses Rauschen hervor. Die Jungfrau erhob sich halb von ihrem Sitze; eine Hand bog dicht neben der moosigen Steinbank die Zweige zurück, aus dem Dunkel hervor trat Georg, der schwarze Georg.

»Gelobt sei Jesus Christ!« sprach er.

»In Ewigkeit, Amen!« flüsterte die Jungfrau, und dann küßten sie sich, und Georg umschlang den Leib des Mädchens mit seinem gesunden Arm, und fest klammerte sich Laurentia an die treue Brust.

»Lieb –« flüsterte Georg, doch die Jungfrau unterbrach ihn sogleich im Drang ihres übervollen, überströmenden Herzens.

»Da bist Du endlich, mein Trost, meine einzige Hoffnung! O, welch' ein Tag, welch' ein schrecklicher Tag ist heut wieder vorübergegangen.«

Der schwarze Jürg streichelte sanft das blonde Haupthaar der Geliebten

»Ist's heut schlimmer gewesen als sonst?«

»Viel schlimmer, viel schrecklicher! Ach, ahntest Du, was ich dulde; – es ist so schrecklich, nimmer aus der Angst, dem Zittern und Herzklopfen herauszukommen; – heut ist mir recht wieder gewesen, als sei nun alle meine Kraft aus und zu Ende. Wärst Du nicht mein Lieb, so möcht' ich am liebsten bei meiner Mutter sein, im Grab, wo es still und ruhig ist! Weh, und er ist doch mein Vater!«

»Er ist Dein Vater, dem ich, das Maaß voll zu machen, Todfeind sein sollte bis zum Messer.«

Laurentia faßte den Geliebten fester; sie zitterte am ganzen Körper.

»Still, still,« flüsterte Georg, »still, süßes Herz; in Dir geht alles Uebrige unter; was kümmert uns Beide das, was vergangen ist? wir müssen eben das Leben von vorn anfangen, und uns nur ein gut Beispiel nehmen an dem Geschehenen!«

»Dank Gott und Dir!« sagte Laurentia einfach und rührend.

»Was hat er denn heut wieder angestellt?« fragte Georg. »Schütt' aus Dein Herzlein. Du weißt, Du mußt mir Alles sagen, das ist Dein und mein Recht.«

»Dank Gott, daß es so ist, 's ist mein einziger Halt in diesem wilden Leben,« schluchzte das Mädchen und erzählte, nachdem es sich ein wenig gefaßt hatte: »Er hat einen der allerschlimmsten Tage gehabt, und gehet das schon mitten in der Nacht an. Da hat er keine Ruh' im Bett, und ich hör' ihn immerfort im Gemach auf- und abgehen und hör' ihn sprechen mit sich selbst und mit den Schatten, die er siehet. Da murmelt er Stunden lang wilde Worte und dann schreit er hell auf und glaubt, das Haus sei überfallen von Mördern und Dieben. Nun gehet er überall um und rüttelt an allen Schlössern und Thüren, und ein geladen Feuerrohr trägt er in der Hand. Dann – spricht er von Deinem Vater – Deiner armen Mutter und meiner armen Mutter. O, es ist zu schrecklich! Ich hör' ihn schleichen und schlurfen auf dem Gang, und ist mir, als ging ein Gespenst um im Haus, und ist doch mein eigener Vater, den ich lieben soll nach Gottes Gebot. Vortreten aus meiner Kammer darf ich nicht; denn als ich das einmal that, weil's mich drinnen der grausamen Angst halber nicht länger duldete, da hat er laut aufgeschrieen und ist niedergestürzt zur Erde und hat sich darauf den halben Tag lang nicht besinnen können. So über alle Maßen grausig liegt Gottes Hand auf ihm, daß er oft sein eigenes Kind nicht mehr kennt.«

»Aber das ist ja heller Wahnsinn,« rief der Jüngling. »Laurentia, das gehet so nicht länger an. Du kannst nicht bleiben bei ihm; die Stadt, der Rath soll und muß da einschreiten und sein Wort sprechen. Wer weiß, was Dir geschehen mag in Deiner armen Hülflosigkeit. Morgen früh geh' ich zum Rathhaus –«

»Nein, nein, um Gotteswillen, nein!« rief Laurentia Heyligerin. »Nicht das! Thu' um Gotteswillen nicht das, Georg! Er ist mein Vater, wie er auch ist. Sollen sie ihn aus seinem Hause schleppen, hinaus in das Licht, unter das erbarmungslose Volk, das keine Gnade für ihn hat; unter die Menschen, die er so sehr fürchtet, daß er nicht wagt, aus dem Fenster zu schauen? Ich weiß, was gewißlich die Folge davon sein würde. Soll ich die Schuld tragen an dem alleräußersten Verderben meines Vaters? Georg, Alles will ich thun, was Du verlangst; aber Solches vermag ich nicht.«

»Dann sei uns Gott gnädig; ich sehe keinen Ausweg aus diesen Schrecken. So müssen wir tragen, was uns auferlegt ist; so müssen wir in Grauen abwarten, was kommt, und dürfen die Hände nicht regen. Hör', Laurentia, von jetzt an schlaf' ich nicht mehr auf der Römerhöhe im Thurm; auf Deiner Schwelle will ich sitzen und Wacht halten zu Deinem Schutz; nimm mein Wort, ich will bei Dir stehen im Augenblick der Gefahr!«

»O, Georg, thu' auch das nicht!« bat die Jungfrau, flehentlich die Hände faltend »Glaub' mir fest, mir wird nichts Arges geschehen. Dahin gehet meine Angst nicht. Wenn er in seinem armen wirren Geist nur nicht einmal die Hand an –«

»Die Hand an sich selber legt,« schloß Georg den Satz, welchen Laurentia schaudernd nicht zu Ende brachte.

Und heftiger sprach der Jüngling: »Deshalb auch gestatte mir, daß ich des Rathes Hülfe aufrufe; – für Euch Beide will ich sie! Sieh', allen Haß und Zorn habe ich ja niedergelegt zu Deinen Füßen.«

Die Jungfrau antwortete nicht, sie schüttelte nur das Haupt, und so stand rathlos und wortlos das junge Paar eine geraume Weile. Endlich sagte die Jungfrau:

»Wie gut doch Gott ist, daß er Dich so früh schon, daß er Dich als Knaben schon zu mir geführet hat. O, Georg, da Solches zugelassen wurde, mein' ich, hat's der Höchste gut mit uns im Sinne. Laß uns still sein und abwarten, was über uns beschlossen ist, wir vermögen nicht, einzugreifen. Als wir noch klein und Kinder waren, haben wir uns bescheiden müssen; nun sind wir zwar recht alt und klug worden, aber vermögen doch nicht mehr. O, Du lieber Georg, versprich mir, daß wir warten wollen!«

Georg Kindler seufzte tief und schüttelte das Haupt; aber er versprach der Geliebten doch, was sie verlangte. Eine Wolke ging über den Mond, und dunkel wurde es im Garten der Silberburg. Der Mond kam in dieser Nacht nicht wieder hervor; Wolke auf Wolke wälzte sich herauf über den Herrenberg, über des Scharfrichters Haus; wie ein gieriges Ungeheuer verschlang die Finsterniß das weiße Licht, welches das Sonnenroth besiegt hatte.

Nach einem letzten heißen Kuß nahmen die Liebenden Abschied voneinander, und mit schwerem Herzen ließ Georg sein Mädchen aus den Armen. Als die Thür der Silberburg knarrte, die vorfallenden Riegel kreischten, und die holde Gestalt verschwunden war, überfiel den Jüngling eine so heftige Angst, daß er nur durch die allergrößte Kraft des Willens sich enthalten konnte, der Jungfrau gegen das Haus nachzueilen, gegen die Thür zu schlagen, Einlaß zu begehren und um Hülfe zu rufen für die arme Laurentia Heyligerin.

Mit klopfendem Herzen lauschte er noch lange Zeit; aber drinnen blieb Alles still. Nichts regte sich, was Anlaß zu dieser Angst hätte geben können; nur eine schwarze Katze stieg aus einem zerbrochenen Fenster, sprang auf einen Holzhaufen und schlich von dort an dem invaliden Weibel des Regiments Montecuculi vorüber, um einen schlafenden Vogel im Nest zu überfallen.

Widerstrebend, immerfort rückwärts blickend, stieg Georg zur Römerhöhe, zum Lug in's Land empor. Im tiefen und sanften Schlaf fand er den alten Vater. Das böse ökonomische Buch lag immer noch aufgeschlagen auf dem Tisch; aber im Schlaf hatten die ärgerlichen Zahlenreihen, die guten Lehren und Rathschläge nicht mehr ihre verwirrende, betäubende Macht über den Greis. Des Buches magische Kraft war mit dem Tageslicht zu Ende, und der Schlaf des armen Mannes auf der Römerhöhe war ein ganz anderer, als der des reichen Mannes in der Silberburg. Georg aber brachte die Nacht eben so unruhig zu wie Christian Heyliger. Seltsamerweise führte ihm der Traum immerfort die Geliebte in Verbindung mit dem Henker Wolf Scheffer vor die Seele; immerfort sah er, geduckt wie einen Tiger, den Scharfrichter von Rothenburg um die Silberburg schleichen, und Wahrheit war in diesen wirren Bildern: Wolf Scheffer umschlich die Silberburg, nachdem die Liebenden sich getrennt hatten. Still lachte er in sich hinein, rieb die Hände. Sein gesundes Auge leuchtete in der Dunkelheit wie das jener schwarzen Katze, die nun ihren Raub und Mord vollführt hatte und gegen das Haus zurückschlich.


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