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VI.

Auf den Herbst folgte der Winter, und dann kam ein anderer Frühling, der des Jahres 1705. In diesem neuen Frühling sollte sich das Geschick der Leute, welche wir im Laufe dieser Erzählung kennen gelernt haben, erfüllen.

Sehr streng und hartnäckig war der Winter gewesen, aber in einer einzigen Nacht wurde er durch einen gewaltigen Sturm vom Thron geworfen, wie das so manchem andern überstrengen und gewaltthätigen Herrscher begegnet ist. Für die Welt brachte jedoch diese Thronentsetzung eine Nacht der Furcht und des Schreckens. Was anfangs ein sanftes Wehen war, gleich dem Athem eines Kindes, das wurde zum donnernden Heulen; die stärksten Bäume mußten sich der Windsbraut neigen, und wie sie durch die Berge und Wälder in die Ebene hinausfuhr, verstreute sie eine wahre Saat zersplitterter Aeste über das Land. Unzählige Fensterscheiben wurden zerschmettert, von den Dächern die Ziegel gerissen. Mit Gekrach brach der Thurmknopf der Hauptkirche zu Rothenburg hernieder, und die Documente, die durch hundert Jahre in seiner Höhlung unberührt gelegen hatten, wurden nunmehr in alle Welt zerstreut. Auf der Römerhöhe in der Warte vermeinten Vater und Sohn alle Augenblicke, nun trage es das morsche Gemäuer nicht länger, nun müsse es niedergehen ohne Gnade. Gegenüber auf dem Herrenberge hob sich Wolf Scheffer von seinem Lager und warf sich in die Kleider. Das Dach riß ihm der Orcan über dem Haupte weg, und so verließ der Scharfrichter das Haus, klammerte sich am Bergeshang an einen Baum, und blickte wilden Herzens nieder auf die zagende Stadt und fühlte sich von allen ihren Bewohnern vielleicht am wohlsten in diesem Aufruhr der Elemente. Nur um die Silberburg bekümmerte er sich.

»Hoho, sie wird's ja wohl überdauern!« wollte er rufen; aber die Gewalt des Sturmes trieb ihm den Athem tief in die Brust zurück, so daß er fest den Mund schließen mußte, um nicht zu ersticken.

Manche zagende Seele glaubte in dieser grauenvollen Nacht, nun komme der jüngste Tag, und der Engel des Gerichts setze schon die Posaune an den Mund, um den Todten den Weckruf zu blasen und allen Staub aus den Gräbern vor den Thron des höchsten Richters zu rufen.

Jetzt ist auch der Augenblick gekommen, wo wir das Innere der Silberburg betreten dürfen. Mehr als alle andern Gebäude in Rothenburg zitterte das alte Haus in seinen Grundvesten. Wie ein lebendiges Wesen, das sich in großer Noth und Qual befindet, ächzte und stöhnte und wehrte es sich vergeblich. Schon waren mehrere verwitterte Fensterflügel losgerissen aus ihren Angeln, und in die Gasse, den Hof und den Garten hinabgestürzt. Ungehinderten Eingang fand der sausende Wind in die Silberburg; scharf und schrill strich er durch die Gänge und Gemächer und trieb den Staub, den die Jahre ungehindert aufgehäuft hatten, wolkenhaft hin und wieder, Mäuse und Ratten trieb das Krachen in Gebälk und Gemäuer in Schaaren aus ihren Schlupfwinkeln, und der Herr des Hauses, wie er, ruheloser als je, nach seiner Art durch die Corridore schlich, sah ihr Laufen und Wimmeln zu seinen Füßen und hörte ihr ängstlich Pfeifen durch das Brausen und Zischen des Sturmes. Alle Ratten und Mäuse verließen in dieser Nacht die Silberburg und warfen sich in die benachbarten Häuser und in das Römerthor, wo sie den erstaunten Geschlechtsgenossen gewiß viel zu berichten hatten aus dem eben verlassenen Aufenthaltsort.

Wiederum mußte Laurentia Heyligerin die ganze Nacht hindurch die wohlbekannten Tritte, das geisterhafte Schlurfen, das irrende Tasten an den Thüren und Schlössern hören. Als die tastende Hand auch zu ihrem Thürschloß kam und das Mädchen emporsprang, ihre Kleider zusammenraffte und in die Dunkelheit des Vorplatzes hinausleuchtete, sah sie die gebückte, hagere Gestalt des Vaters, eine Kiste unter dem Arm tragend, eine Laterne in der Hand, die Bodentreppe hinaufsteigen. In demselben Augenblick blies ihr der Wind die Lampe aus, und ein neues, gewaltiges Aufwüthen der Windsbraut trieb das zitternde Mädchen zurück zu ihrem Bett. Die Decke zog Laurentia über den Kopf, die Augen schloß sie fest und versuchte es, andere helfende Geister gegen die namenlose Angst ihrer Seele heraufzurufen. Sie rief die erste Begegnung mit Georg nach dessen Rückkehr aus dem Franzosenkriege vor die erregte Phantasie zurück. Sie dachte an die süßen Sommerabende, welche sie mit dem Geliebten Arm in Arm in dem wilden Garten auf der bemoosten Steinbank unter der Rosenwildniß zugebracht hatte, während das Mondlicht wie aus einer silbernen Schale über die stille Welt ausgegossen wurde. Auf den kleinsten Einzelheiten dieser Augenblicke des Aufathmens zwang die Jungfrau ihren Geist, zu verweilen, und dadurch überwand sie zuletzt alle Schrecken der Finsterniß. Der Sturm mochte sein Aergstes an der Silberburg versuchen; Laurentia Heyligerin schlief ein mit einem Lächeln auf den Lippen, und als sie erwachte, war es heller Tag; die Sonne schien glänzend in das Fenster, und die Langschläferin mochte den Orcan der Nacht für einen der bösen Träume nehmen, von denen sie so oft geängstigt wurde. Die Welt stand noch und das alte Haus stand ebenfalls noch. War all das Getöse der Nacht wirklich nur ein Traum gewesen? War es nur ein Spiel der Phantasie gewesen? Es konnte nicht sein, und bald trat der Jungfrau, wie sie noch einige Zeit wachend und sinnend auf ihrem Lager lag, das Wirkliche klar vor die Seele: der Sturm, das ächzende Haus, die kümmerliche Gestalt mit der Laterne und der Truhe, welche die Bodentreppe erstieg.

»Was ihn nur wieder getrieben hat?!« sagte Laurentia; aber dann verschwand dieser Gedanke schnell, und die Erinnerung ihrer Träume stieg von Neuem fröhlich auf. In diesen Träumen war nichts von solchem Geheul, Klirren und Krachen, nichts von Verwüstung und Tod vorgekommen. Und nun schien die Sonne so hell und hoffnungsreich: vorbei war der Orkan und mit ihm der böse Winter, welcher den Garten so grausam versperrte.

Schnell kleidete sich die Jungfrau an, dem Vater das Frühstück zu bereiten und zu bringen. Als sie aber aus ihrem Gemach vortrat, blieb sie überrascht auf der Schwelle stehen. Der Duft von Moder und Staub, welchen sie sonst auf dem Gang einzuathmen hatte, war verschwunden, eine reine, kalte, herzerfrischende Luft erfüllte das Haus. Da hing dem Fenster des Corridors ganz nahe ein Bild, welches Alter und Vernachlässigung gänzlich unkenntlich gemacht hatten; nun waren der Regen und der Sturmwind durch das zertrümmerte Fenster gekommen und hatten von diesem Gemälde die Staubkruste abgefegt und abgewaschen, daß die Farben fast wie neu glänzten. Laurentia hatte sonst wenig auf dieses Bild geachtet; jetzt stand sie still davor und betrachtete es nachdenklich und gerührt. Zwischen Blumen und Früchten saß ein lächelnder Knabe mit Flügeln, Köcher, Bogen und Pfeil und zielte aus der altersdunkeln Leinwand auf die Beschauerin. Vor langen, langen Jahren hatte nach Art der Zeit der Stadtmaler Aloysius Murkele auf Bestellung der Großmutter Laurentia's ihren Vater als Amor abconterfeit; – wie fuhr die Enkelin und Tochter zusammen, als sie sich endlich von diesem jetzt so gespenstischen Bilde abwandte.

Sie stieg die Treppe hinab in das Erdgeschoß, wo in der Küche die alte Magd bereits wirthschaftete, und die Jungfrau mit vielen und erregten Ausrufungen und Schilderungen des vom Sturm in der Stadt und in der Umgegend angerichteten Schadens empfing. Der Bronn vor des Schöffen Marklinger Haus war umgerissen, in Sanct Agathenvorstadt waren eine Kuh und ein Pferd von einem einstürzenden Stall erschlagen, und so weiter, und so weiter.

»So, Jungfer,« rief die Alte, die Hände zusammenschlagend, »so grausam hat der böse Feind gewüthet, daß es nicht zu glauben ist. Stimmen hat man im Wind gehört, Kreischen und Jauchzen; Weiber hat man reiten sehen auf Besen und Gabeln in den Wolken; es ist nicht auszusagen. Die große Linde vor der Rathsapotheke lieget auch darnieder, und nun schauet nur, wie's in unserm eigenen Garten aussiehet. Was mich am meisten wundert, ist, daß der Thurm dort oben auf der Römerhöhe noch aufrecht stehet; der grause Wind hat dort doch am meisten freie Bahn gehabt. Des Scharfrichters Haus drüben ist fast ganz ruiniret.«

Durch das niedere Küchenfenster warf Laurentia einen schnellen, scheuen, ängstlichen Blick über den Garten, in welchem die meisten Bäume zu Boden lagen, nach dem alten Wartthurm, dem Aufenthalt des Geliebten. Thurm und Höhe lagen im schönsten Sonnenschein, und blauer Rauch kräuselte aus der Kaminröhre des Lug in's Land. Aus voller Brust holte Laurentia Athem, und freudig bewegte sich ihr Herz; sie wußte, daß dem Liebsten kein Unheil geschehen war in der bösen Nacht.

Die Seele des Mädchens war so frei und leicht, daß sie sich selbst darüber verwunderte, solche fröhliche Laune kam der Armen so selten, daß sie ihr als etwas unbeschreiblich Unbekanntes und Fremdes erschien. In dieser Stimmung trug sie nach des Hauses Gewohnheit die Morgensuppe in des Vaters Stube, wunderte sich auch nicht allzu sehr, als sie dieselbe leer fand. Das kam öfters vor. Manches festverschlossene Gemach hatte der alte Heyliger in seinem zerrütteten Geiste zu bewachen; so konnte er auch jetzt irgendwo nachschauen in einem Winkel, ob nach dem nächtlichen Getöse noch alle verborgenen Schätze und Heimlichkeiten an ihren rechten Orten sich befanden; ob da nicht ähnliche und schlimmere Verwüstungen angerichtet seien wie sonst im Hause.

Nieder saß Laurentia Heyligerin und wartete auf den Vater, und im Warten spann sie von Neuem an den Traumbildern, welche ihr der Schlaf gebracht hatte. Immer leichter, immer wohler ward ihr zu Muthe, immer weiter und lichtvoller ward ihre Seele. Es war ihr, als sei sie die langen dunkeln Jahre hindurch nur ein thörichtes Kind gewesen, welches in grundloser Furcht sich quälte und harmlose Schatten für die drohendsten Gespenster nahm. Es war ihr, als habe dieser großmächtige Sturm in der Nacht vom letzten März auf den ersten April nicht nur die Welt und das Haus zur Silberburg, sondern auch ihre innerste Seele von allem Bösen, von allem Grauen gereinigt und befreit. In diesem Augenblick sah Laurentia Heyligerin in die Zukunft wie in eine sonnige, grüngoldene Landschaft, wo reiche Ernten von Glück und Seligkeit ihr entgegenreiften. Da – fiel ein Schatten auf sie; erschreckt blickte sie empor und streckte mit einem Schrei abwehrend die Hände aus. Vor ihr stand in seinem rothem Mantel, das schreckliche Schwert unter dem Arme tragend, finster und drohend Wolf Scheffer, der Henker.


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