Wilhelm Raabe
Gutmanns Reisen
Wilhelm Raabe

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Sie wühlten sich zum letztenmal für heute wieder hinaus ins Freie: jeder mit einem Gefühl der Verfilzung sämtlicher heute von ihm angehörten, gebilligten und mißbilligten Parteiansichten in sich: jeder mit dem Gefühl, daß es so gut sei, wenn er es sich auch ein bißchen anders gedacht habe: manche mit dem Bedürfnis, nun fürs erste gar nichts weiter mehr von solchen Sachen zu hören: die meisten mit dem Bedürfnis, Gott sei Dank, nach etwas Warmem in den Leib und etwas Kühlem dazu und hinterher – womöglich immer einer besseren Sorte zur Feier der großen Vollbringung und des segensreichen Tages. Herr Wilhelm Gutmann fühlte sich mit hinausgewühlt, willenlos im Kielwasser von Major Blume aus Wunsiedel und seinem Freunde Alois aus Wien. Er hatte nicht das Bedürfnis nach Speise und Trank – er hatte nur die eine Frage in sich, nämlich ob sie wohl draußen vor der Tür des herzoglichen Reithauses ständen, sein Mädchen, sein Vater und der Onkel Laurian aus Wunsiedel und – was dann wohl kommen möge?

Er hatte sich selten im Leben so widerstandslos herumstoßen und puffen lassen in einer Eingangs- und Ausgangstür: die Idee, daß er auch vergeblich nach ihnen um sich herumstieren könne, war ihm bis jetzt sonderbarerweise noch nicht gekommen. Als es immer mehr Luft um ihn her gab und ihm die Gewißheit wurde, daß sie nicht da seien, der Onkel Poltermann, sein Vater und Fräulein Klotilde Blume aus Wunsiedel, um ihm sein Leben sofort wieder ins Gleichgewicht bringen zu helfen, wurde ihm nicht mehr schwach zumute, denn das war ihm schon so: muffig wurde er und murrte stumpfig:

»Und ich habe sie doch!«

Nämlich zu derselben Zeit sagte Major Blume, und zwar auch nicht mit dem gewohnten behaglichen Freundschaftston:

»Na, lieber Pärnreuther, da dies denn endlich zu einem sogenannten guten Abschluß gebracht ist, so haben wir ja nun wohl Zeit, uns zu unserem Privatgewissen zu wenden. Wenigstens ich! Ohne den Schwager Poltermann hätte ich schon längst vor Sorgen umkommen sollen. Was ist aus meinem armen Mädel geworden – diesen ganzen halben Tag durch? Ich habe die liebe Kreatur zur Belohnung und ihres Vergnügens wegen hierher nach Koburg beordert, und wer von uns hat sich nur ein einziges Mal nach ihr umgeguckt? In dieser Hinsicht ist uns das deutsche Vaterland eben ein wenig zu sehr ihr vorgegangen. Wahrhaftig, ich gäbe was drum, wenn ich es ihr in irgend einer Art doch noch gut machen könnte. Der Himmel bewahre mich, wenn sonst meine Frau – wenn die Frauenzimmer nachher zu Hause die Köpfe zusammenstecken und Rechenschaft fordern! Sie sind imstande, in diesem Falle selbst die Tante Adele aus Immelborn kommen zu lassen, um mir die Hölle heiß zu machen.«

Alois war zu geknickt durch das, was er in dem Reithause erlebt hatte, um anders als durch ein stumpfsinniges Gestöhne auch hierüber noch seine Meinung kundgeben zu können. Aber sie gingen doch immer noch Arm in Arm der Zwiebelmarktgasse zu, Wunsiedel und Wien, und Herr Gutmann junior aus H. hatte gerade jetzt hinter ihnen herzuziehen, als ob er nicht im geringsten zu ihnen gehöre, als ob er eigentlich ganz und gar nichts in ihrer Gesellschaft zu suchen habe.

Sie gelangten in die Zwiebelmarktgasse.

»Was? sie sind noch nicht zu Hause?« rief der Major. »Zum Henker, was ist denn das?«

»Seit Fräulein am Morgen fortgegangen ist, habe ich ihr liebes Gesicht nicht wieder zu Augen bekommen,« sagte die Witwe Wellendorf auf der Schwelle ihres Hauses. »Nun werde ich aber auch etwas besorgt.«

»Sie hat ja den Onkel bei sich und Herrn Gutmann,« seufzte Alois. »O, wäre ich doch auch so vernünftig gewesen und bei ihr geblieben!«

Der Major kratzte sich mißmutig hinter den Ohren, wendete sich plötzlich kurz und schnarrte:

»Guten Tag, Herr Kameralsupernumerar. Dann also heute abend auf Wiedersehen beim großen Essen im Schießhause. Ändern läßt sich hieran nichts mehr; meinen Verdruß mit dem Mädel hier und der Frau zu Haus habe ich sicher. Ich lege mich ein Stündchen aufs Sofa und aufs Ohr; ältere Leute greift solche Vaterlandsaufopferung doch ein bißchen an. Gehen Sie mit mir hinauf, oder verdämmern Sie lieber den Rest des Nachmittags im Löwen, Pärnreuther?«

»Ich zöge es vor, Fräulein Klotilde aufzusuchen.«

»Seien Sie jetzt kein Narr, bester Freund! Das Fräulein wird wohl von selber wieder auftauchen. Was wollen Sie sich unnötigerweise die Beine nach dem Frauenzimmerle ablaufen?« höhnte der Major.

»Dann ziehe ich es doch vor, im Hotel mich wieder etwas zurechtzufinden. O Koburg, o Deutschland, Deutschland, was kostet es für Mühe, ein gemütlicher Mensch in dir zu bleiben! Nun, Willi, wie ist es mit dir? Gehst du mit mir nach dem Löwen zu einer Partie Domino, oder wünschest auch du dich nach deinen Anstrengungen für ein besseres Vaterland in der Einsamkeit ein wenig aufs Ohr zu legen?«

»Einige Rücksicht habe ich doch auf meinen Vater zu nehmen,« stotterte Willi. »Möglich ist es, daß er mich in unserem Quartier suchte und – vielleicht – Wichtiges –«

»Nun denn, auf heute abend, meine Herren,« gähnte der Major Blume und stieg, geleitet von der Mutter Wellendorf, in seinem Quartier die Treppe hinauf.

»Auf heute abend denn, Willi!« ächzte Alois von Pärnreuther und entschwankte wie einer, der mit der ersten Geige unterm Arm gekommen war, aber sie nicht gespielt hatte.

»Auf heute abend, Alois!« stöhnte Herr Wilhelm Gutmann wie einer, dem der Himmel zwar voll Geigen hing, der aber mehr als eine Ahnung davon hatte, daß er nach einem oder zwei der Instrumente im Verlauf des Abends noch zu tanzen haben werde, wie im Märchen der Jude im Dornbusch.

 


 


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