Wilhelm Raabe
Der gute Tag
Wilhelm Raabe

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VII.

»Sie kündigten? Wahrhaftig? Ei sehen Sie doch einmal an!« sagte Fräulein höhnisch. »Jaja, der Mensch träumt manchmal recht dummes, einfältiges, lächerliches Zeug zusammen. Was mich anbetrifft, meine Lie–be, so hat mir gleichfalls allerlei Kurioses geträumt, doch mit Ihrer liebenswürdigen Visage bin ich glücklicherweise wenigstens bei Nacht verschont geblieben. Dagegen aber habe ich, beim Erwachen, mich Ihrer, mein Fräulein, und alles dessen, was ich an Unverschämtheiten von Ihnen während Ihres Aufenthalts in meinem Hause zu erdulden hatte, auf der Stelle erinnert. Sie kündigten? Sie kündigten mir in Ihrem Traume? Na, so sage ich Ihnen denn hiermit, daß ich Ihnen gleichfalls kündige, aber gottlob ganz und gar im Wachen und mit allen fünf gesunden Sinnen hell und klar beieinander. So!... Und jetzt, meine ich, stehen wir endlich wieder auf dem richtigen Standpunkte gegeneinander.«

Eine Komödiantin ersten Ranges war sie, wenn sie auch nicht zum Theater gehörte, – nämlich die jüngere junge Dame. Sie schlug die Hände wie in völliger Verzweiflung zusammen und ließ einen etwas schrillen Jammerten hören.

»Mein Stübchen! O Himmel, mein süßes, liebes Stübchen! Fräulein, ich bitte Sie wieder auf den Knieen und jetzt auch im Wachen, tun Sie es nicht, bringen Sie es nicht über Ihr gutes Herz, verjagen Sie mich nicht aus meinem Dachstübchen! Es hat ja die Aussicht auf seine Dachstube, in welcher ihn sein Vater vor langen Jahren so oft eingesperrt hat, wenn dem alten Unhold die Liebe des armen Kindes zur Kunst, zur Musik, zu der Violine zuviel wurde!«

»Wie – meinen – Sie?« fragte das ältere Fräulein, die noch nie in ihrem Dasein so sehr aufgehorcht hatte. Das jüngere Fräulein erhob sich aus dem Sofa, schlüpfte dicht an die Herrin des Hauses hinan, hätte ihr beinahe in schwesterlich-zärtlicher Zutraulichkeit den Arm um die Schulter gelegt und flüsterte, mit dem Taschentuche vor dem Munde, der Nase und halb vor den Augen:

»Nicht wahr, Sie versetzen sich in meine Gefühle und lassen mich wohnen bleiben? Nicht wahr, Sie kündigen mir nicht, wenn ich Ihnen alles sage?... Ach, Fräulein, an dem Fenster drüben lernte ich ihn ja zuerst kennen und er mich an dem meinigen! Er ist so ein liebes schwärmerisches Gemüt und versetzt sich so gern in seine Jugendzeit zurück, und dann steigt er jedesmal in seine Dachstube hinauf und verriegelt sich darin und legt sich ins Fenster und sieht hinauf in den blauen Himmel nach den weißen Wolken oder nach dem Mond und nach den holden Sternen, und da hat er dann natürlich auch mich gesehen und kennengelernt, und so hat sich die Bekanntschaft gemacht und ist immer intimer geworden. Aufs Geld kommt es ihm nicht an und mir auch nicht. Ich habe keins, wie Sie wissen, Fräulein, und er sagt, er habe genug für uns beide und für noch mehr als uns beide. Meine Stellung als Buchhalterin bei Madam Schimon muß ich natürlich aufgeben; aber darauf kommt es mir ihm zuliebe unter diesen Umständen denn auch nicht an. Heute wollte er die Karten in der Verwandtschaft und Nachbarschaft umhersenden. Hat er Ihnen vielleicht schon eine herübergeschickt?«

Es war von keinem der beiden Fräuleins zu verlangen, daß sie sehr fest auf den Füßen stand, und von dem ältern Fräulein am wenigsten. Und wenn die jüngere Träumerin während dieses Zwiegesprächs allgemach immer rosiger geworden war, so konnte man das von der ältern grade nicht behaupten. Käsebleich ist zwar kein hübsches Wort, aber ein recht bezeichnendes, und so ungefähr käsebleich sah Fräulein Adelgunde aus, als sie sich zu der unwahren Bemerkung zusammenfaßte: »Ich verstehe Sie durchaus nicht, mein Fräulein.«

»Dann haben Sie also noch keine Karte bekommen, mein Fräulein! O, und er wollte Ihnen auf meine Bitte doch die erste schicken! Darf ich...?«

Es lag alles in diesem: Darf ich? – ! Kein Dramatiker hat je die Quintessenz seiner Tragödie oder Komödie so gedrängt in ein Schlußwort eingebündelt und eingeschnürt.

Das liebe Kind wartete die Erlaubnis nicht ab; es griff nach seinem Geldtäschchen, öffnete es mit einem mutwilligen, fröhlichen Seitenblick und legte auf die Decke des runden Tisches das viereckige Stück Glanzpappe, auf welchem sich Herr Franz Blankow, Partikulier, und Fräulein Louise Stieglitz als Verlobte empfahlen.

Und Fräulein Louischen Stieglitz empfahl sich noch einmal, und zwar so rasch als möglich, nachdem sie von der Tür aus noch mitgeteilt hatte, daß diesmal Franz im Laufe des Tages die Hausmiete schicken werde. Sie, die kleine Buchhalterin aus der Dachstube, kannte ihre Hausherrin. Sie mußte wohl eine mehr als doppelte Buchführung über sie gehalten haben und wartete es nicht ab, daß sie aus ihrer Betäubung wieder zur Besinnung komme.

Seine Augen behält doch jedermann ganz gern im Kopfe, und vorzüglich solch eine junge Braut, die sich fest vorgenommen hat, als junge Frau noch manches Jahr hindurch mancherlei und auch das Haus gegenüber in der Gasse nicht aus denselbigen zu lassen! – – – – – – –

 

Na, jetzt möchtet ihr nun wohl schrecklich gern wissen, was das Haus – der witzige Familienvater und seine Anna, der melancholische Familienvater und seine Gattin, die Leute im Keller und die übrigen Leute, die wir mitnahmen, wie sie eben durch das Leben mitgenommen werden – dazu sagten?!!... Jawohl, überlegt nur, daß ihr nicht mehr als acht Silbergroschen oder nach der neuen Währung achtzig Reichspfennige für den Kopf jährlich für euere durch Schrift und Druck zu befriedigenden Fragen an die Weltentwicklung übrig habt, und regelt eure Ansprüche danach!

Wir, der Autor, aber haben heute ausnahmsweise auch unsern guten Tag, ziehen die »Spendierhosen« an und teilen noch mit, wie sich der melancholische Familienvater äußerte.

»Was haben wir denn davon?« fragte er und wandte das »wir« nicht gleich dem Erzähler nur aus eingeborenster Schüchternheit an.

Er hätte dreist fragen dürfen:

»Was habe ich denn davon?«


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