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Wohl flammt in dem kleinen Häuschen vor dem Burgtor zu Finkenrode die kleine Lampe, und das Spinnrad summt, und der Teekessel singt sein Hauslied heimlich und lustig. Zähle die bunten Bohnen und Kügelchen, Cäcilie! Spring auf mit einem hellen Jubelruf, Käthchen Manegold, wirf den Stuhl um, nach deiner Gewohnheit, daß die Tante Agnes erschrocken auffährt – gleich wird der Johann und die Justine kommen, um uns nach Haus zu holen.
Nein! Nein! Nein! Die Jugend ist vorbei! – Der Traum der Kindheit ist ausgeträumt, die glänzendsten, freundlichsten Lichter am Weihnachtsbaum des Lebens sind ausgeblasen: ich soll erzählen von der großen Stadt, von dem rasselnden, klirrenden, knarrenden, kreischenden Uhrwerk des Lebens, von meinem Sein und Treiben, von den berühmten Leuten, den Künstlern und Künstlerinnen – ich bin erwacht! . . . . . . . .
»Erzählen Sie uns ein wenig von Ihrem Freunde, dem Herrn Weitenweber,« sagte Cäcilie; und ich erzählte, Sidonie lachte, und Cäcilie sagte wehmütig: »Der Arme!« als ich geendigt hatte.
Ein leises Klopfen am Fenster unterbricht die eingetretene Stille.
»Das ist Wallinger,« sagt die Frau Agnes, und Cäcilie geht, dem verrückten Musikanten zu öffnen; das Fortepiano wird geöffnet, und der Alte setzt sich davor, – sein irres Auge wird ruhig, wenn es sich auf die stillen Züge meiner Jugendgespielin heftet – die magern Finger berühren anfangs leise die eine und die andere Taste, dann klingen ganze Akkorde auf, welche rascher und rascher folgen und zuletzt sich verschlingen zu einem ewig wechselnden, jubelnden, klagenden, harmonischen Chaos, in welchem wir Hörer mehr und mehr untergehen, unserer Umgebung, uns selbst entzogen. Ist das noch jener Irrsinnige, den die Spießbürger von Finkenrode in ihrer Kneipe verspotten, welchem die Kinder in den Gassen nachlaufen?
Ein rätselhaftes Märchen ist die Geschichte des tollen Musikanten Günther Wallinger, ein rätselhaftes Märchen, dem der Schluß und die Lösung fehlt, und welches ich hier zusammengestellt habe aus Tönen und Worten, daß der Psycholog daran deuten möge, daß der Glückliche das Haupt neige, daß alle die träumenden Herzen, denen dies zu Gesicht kommt, dem Verlorengegangenen einen stillen Augenblick weihen.
Und – nicht ganz ein Märchen ist die Geschichte Günther Wallingers! – – –
Mondlicht erhellt den Frauenwald. Kein Blatt am Baum und Strauch regt sich, es regt sich kein Grashalm. Die Vögel schlafen in ihren Nestern, der Fuchs und das Reh schlafen: nur der Hurlebach ist wach und lebendig in der warmen Sommernacht und spritzt neckisch silberne Funken nach den Blumen, die schlummertrunken an seinem Rande nicken. Wie wechselt Schatten und Licht auf dem schmalen Wege, welcher sich durch die Waldwildnis zieht!
Horch! Was war das? . . . Ein Horn jubelt in der Ferne aufrufend! Lang verhallend!
Die Vögel ziehen horchend die Köpfchen unter den Flügeln hervor, aus seinem Bau lugt horchend der Fuchs, das scheue Reh weicht mit seinem Kalbe weiter zurück in das Dunkel.
Noch einmal das Horn! . . . Näher und lauter. War das nicht eine Menschenstimme? Da wieder! Menschenlachen! Der Schein eines Lichtes blitzt durch die Bäume, über den Steg des Hurlebachs gleiten schattenhafte Gestalten, die Stadtmusikanten von Finkenrode, die auf einer Kirchweih zum Tanz aufgespielt haben und zurückkehren mit grauendem Morgen. Sie schreiten vorüber, eine wunderliche, überwachte Schar; voran der Meister Heinrich Wallinger mit der Geige, und der Träger der Laterne. Der große Brummbaß schwankt auf dem Rücken eines Lehrlings, der Fagottbläser schläft im Gehen, und der Posaunist sucht die Müdigkeit durch den Qualm seiner kurzen Pfeife zu vertreiben. »Wo steckt nun der Günther wieder?« fragt der Meister, und der Prager stößt abermals in das gewundene Horn, welches er über der Schulter trägt, daß es lautrufend hinausschallt in den stillen Wald.
»Günther! Günther!«
Nichts antwortet, nur ein Nachtvogel flattert über den Häuptern der müden Wanderer, gelockt vom Schein der Laterne.
»Laßt den albernen Jungen!« ruft ärgerlich der Vater Wallinger. »Hat sich wieder wie ein Traumwandler verloren, die Nachtmütze. Hält mit der Eule wieder Zwiegespräch! Wollen machen, daß wir nach Haus kommen – es verlangt einen nach dem Bette. Vorwärts, vorwärts, Prager.«
Verschwunden sind die nächtlichen Gesellen, noch hört man ihre Stimmen, das Rascheln der Büsche; aber allmählich wird alles wieder still. Noch einmal klingt das Horn rufend in der Ferne auf, dann ist alles stumm wie vorher!
Abseits dem Wege, abseits dem Hurlebach liegt mitten im Wald ein kleiner Teich, der Neckenspiegel genannt, umgeben von Busch und Baum und wild durcheinandergeworfenen, übermoosten Felsblöcken. Hier hat einst ein stolzes Schloß gestanden, in welchem ein schön sündig Weib in Macht, Pracht und frevelhafter Lust hausete, bis Gott seine Hand über sie ausstreckte und das wüste Wesen ein schrecklich Ende nahm. Nieder ging der prächtige Bau in die Tiefe, und ein dunkel Wasser sprudelte auf an seiner Stelle und begrub alles unter sich. Noch heute sollen die Fluten des Neckenspiegels allerhand wunderlich Gerät ans Land spülen, und zu der Zeit, als hier die Leute noch katholisch waren, hat einmal ein Geißenhirt einen köstlichen goldenen Becher gefunden. Es ist aber kein Glück dabei gewesen – der Finder ist gestorben und verdorben, und den Becher hat man geweiht und ihn der Klosterkirche zu Sankt Marienstuhl übergeben.
Noch immer, in heiliger Nacht, steigt das schöne Weib, das vor tausend Jahren seine sündige Lebenslust an diesem Ort büßte, aus den Wassern, und der Wanderer, der das Zauberbild erblickt und nicht flieht, den befällt ein schwer Unheil, er geht fürderhin einher wie ein Irrer, wenn ihn die Jungfrau nicht gleich ganz mit sich hinabzieht, in ihre geheimnisvolle Tiefe. –
Horch, horch! Ein Gesang aus dem Dunkel des Waldes!
»Das ist die Jungfrau im Walde,
Die liegt mir stets im Sinn;
Das ist die Jungfrau im Walde,
Die nahm mein Herze hin!«
Wie blitzt und funkelt die stille Wasserfläche – es rauscht im Dickicht, und näher erklingt das Lied:
»In Waldnacht schlafen die Vögel,
In Waldnacht schläft das Reh;
Im Wald, im nächtlichen Walde
Steigt die Jungfrau aus dem See!
Aus dunkelgrünem Waldsee,
Hebt sich das schöne Weib –
Im Mondlicht gaukeln die Wellen
Um ihren schneeweißen Leib.«
Ein Irrlicht leuchtet im Dunkel auf und erlischt am Rande des Teiches, zwei andere folgen ihm und führen züngelnd einen hüpfenden Tanz auf. Ein Stein löst sich ab von einem Felsblock und rollt und schlägt hinab auf die Wasserfläche, der Sänger erscheint auf der Höhe des Felsenstückes:
»Zum Mond, zum runden Monde
hebt sie die weiße Hand;
Aus Mondstrahl, Wasserfunken
Webt sie sich ihr Gewand.
Irrlichtervolk im Walde
Hüpft leuchtend, lüstern herzu;
Die Jungfrau sitzet und webet,
Sieht lächelnd dem Reigen zu.
Doch wenn ein Närrchen gaukelt
Zu nah ihrem Wasserhaus,
Wirft sie eine Hand voll Tropfen,
löscht's arme Närrchen aus!«
Nieder zu dem funkelnden Spiegel steigt der Sänger; er greift in die Fluten und benetzt seine Stirn. Ein Jüngling, fast noch ein Knabe! – Er trägt eine Geige in der Hand; der Morgenwind, der sich allmählich aufmacht, spielt mit seinen blonden Locken. Tief auf atmet Günther Wallinger, der Sohn des Stadtmusikus zu Finkenrode.
»Sie sind fort – ich bin allein! Ah, ich wollt', ich wär' es immer! Heiliger Gott, was hab' ich wieder aushalten müssen in dieser Nacht – weshalb bin ich denn nicht wie die andern? O Gott, Gott, ich hätte Lust, mich in dieses Wasser zu stürzen, daß keiner wüßt, wo ich geblieben sei! Was soll das geben? was soll das werden?«
Er legt sein Instrument an die Wange, aber er läßt es sogleich wieder sinken –
»Es ist nichts! Es ist Torheit – weh mir!«
Er hebt die Geige hoch über das Haupt. »Soll ich sie an diesem Stein zerschmettern!« ruft er wild . . . »Ach, weshalb bin ich denn nicht wie die andern?!«
Jetzt entlockt er dem Instrument wilde, phantastische Töne . . . über den Waldteich hin zittern die Klänge, der Mond erlischt im Grauen des Morgens – Nebelgestalten heben sich aus dem Wasser –
»Das ist die Jungfrau im Walde,
Die liegt mir stets im Sinn!
Das ist die Jungfrau im Walde,
Die nahm mein Herze hin!«
Ja, Günther Wallinger, es ist ein schauerlich Ding, nicht zu sein, wie die andern! . . . . . .
Fröhlich, friedlich läßt sich das Städtlein Finkenrode im Frühling von der warmen Sonne bescheinen; der Sommer übergrünt es dergestalt, daß kaum noch einzelne rote Dachgiebel und die Spitzen der Kirchtürme aus den Blüten und Früchten und dem Blättergewirr hervorlugen. Geduldig und harmlos läßt sich das Städtlein Finkenrode im Winter zudecken vom Schnee; ein Jahr wie das andere. Die Welt ist groß, und wenige Leute wissen, wo das Städtlein Finkenrode gelegen ist.
Und in die weite Welt ist ein Finkenrodener Stadtkind hinausgezogen, mit einem vollen, sehnenden Herzen, des Vaters beste Geige, sorgsam eingehüllt, auf dem Rücken – Günther Wallinger, der Musikant und Musikantensohn!
Lustig erklingt das Horn des Vaters auf Kirchweihen und Jahrmärkten, auf Honoratiorenbällen, den Zügen der Gewerke und den Begräbniszügen voraus, auf Kindtaufen und Hochzeiten: von Zeit zu Zeit kommt ein Brief aus der Ferne, welchen der Alte mit der Brille auf der Nase vorliest, während die Mutter Wallinger, mit zitternd gefalteten Händen, atemlos horcht.
»Und das hat in ihm gesteckt?!« ruft der Stadtmusikus von Finkenrode. »Teufel, wer hätte das gedacht, wenn er so oft die Tanzmusik über den Haufen warf, daß ich ihn erst durch einige Rippenstöße zur Besinnung bringen mußt'! Mutter, der Junge geht seinen Weg! Mutter, der Jung' ist ein Segen und Stolz für uns!«
»Er ist immer anders gewesen, als die andern!« sagt mit einer Träne im Auge die Frau, und die Nachbarn kommen, zum zweiten-, zum drittenmal wird der Brief vorgelesen. »Ist es denn möglich?« sagen die Nachbarn. »Was doch alles aus einem Menschen werden kann! Der kleine Günther unter den vornehmen Leuten! Wer hätte das gedacht?«
Hast du die gefunden, zu denen du gehörst, Günther Wallinger? . . . . . .
Es sind wieder manche Jahre vergangen; viel Merkwürdiges hat sich in Finkenrode zugetragen! Man hat das alte Brauhaus niedergerissen, und in einem Keller desselben ist der Topf mit den vielen alten Gold- und Silbermünzen aus der Zeit der alten Kaiser gefunden; der neue Brunnen ist gebaut, viele Leute sind gestorben, und ein neues Geschlecht wächst heran.
»Wo bleibt der Junge?« sagt kopfschüttelnd der alte Wallinger, der nicht selbst mehr hinausziehen kann mit seiner lustigen Musikantenschar durch Wald und Felder. Die Mutter nickt mit dem zitternden Kopf: »Wo bleibt mein Kind? mein liebes Kind?« murmelt sie.
Und wenn die Nachbarn kommen und fragen nach dem Günther, so sagt die Alte: »Er ist so weit weg – es wird ihm ja gut gehen!« Der Vater aber seufzt und murmelt undeutliche Worte und bläst finster die Rauchwolken aus seiner kurzen Pfeife vor sich hin. –
Es treiben viele Kinder in den Gassen von Finkenrode ihre Spiele. Sie jagen sich um die Kirche, sie wühlen in dem Sande am Ufer des Flusses, sie waten in dem Hurlebach und bauen Mühlen und Schiffe. An einem stillen Herbstabend sitzt eine Schar von ihnen auf den Treppenstufen des Hauses des Stadtmusikanten Wallinger. Sie haben allerlei lustige Liedlein gesungen, als sie plötzlich, einstimmig, einen ernsten, traurigen Choral beginnen. Diese feierliche Melodie in dem Munde der Kinder ruft sogleich eine Nachbarin vor die Tür, welche erschreckt den kleinen Sängern Stille gebietet und sie in ängstlicher Hast forttreibt. – Wenn die Kinder traurig einen Choral im Spiel vor einer Tür singen, so geht die Meinung, daß in der nächsten Zeit jemand in dem Hause stirbt. Vierzehn Tage nach diesem Ereignis begraben sie den alten Stadtmusikus Heinrich Wallinger und seine Hausfrau.
Wer denkt nun noch an den verlorengegangenen Günther, und sehnt sich nach ihm, und hofft und wartet? Das Stadtgericht von Finkenrode, welches ihn durch die Zeitungen zitiert? Die arme Anna Ludewig, welcher er einst beim Abschied, bevor er hinauszog in die Welt, solch ein schönes Halsband von roten Korallen schenkte?
Noch immer murmelt, jugendfrisch, der Hurlebach durch den Heimatswald, noch immer, in mancher schönen Sommernacht, spiegelt sich der Mond in dem Reckenspiegel. Günther, Günther, wo bist du geblieben?
Das Stadtgericht zitiert den Verschollenen nicht mehr; sechs Jahre lang betrachtet Anna Ludewig traurig, allsonntäglich, ein vierblätterig Kleeblatt in ihrem Gesangbuch, welches der Verlorene einst fand auf einem Feldwege und es ihr schenkte, und traurig betrachtet sie das silberne Reiflein an ihrem Finger, das silberne Reiflein, welches er ihr einst gab. Manch wackerer Meisterssohn hätte das schöne, stille Mädchen gern heimgeführt; aber sie ist gestorben – an der Abzehrung, wie die Leute sagen. Sie verschied mit einem Lächeln auf den Lippen. »Nun find' ich ihn wieder!« sagte sie, als sie die treuen Augen zum letzen Schlaf schloß . . . . . .
Hast du gefunden, was du suchtest, Günther Wallinger; hast du gefunden, wonach du dich sehntest? – – – – –
Auf der staubigen Landstraße durch die schwüle Hitze eines Julinachmittags zieht ein seltsames Männlein. Es hat nicht schwer zu tragen an seinem Gepäck; ein kleines Bündel und eine Geige in einem Wachstuchfutteral sind alles, was es bei sich führt. Wanderer, welche ihm begegnen, sehen ihm verwundert nach, und ein Landjäger, der zwei aufgegriffene liederliche Weiber nach der Stadt transportiert, hält sein Pferd an und scheint große Lust zu verspüren, die nähere Bekanntschaft des kleinen Mannes zu machen. Er läßt ihn jedoch ziehen, ohne ihn zu belästigen.
Jetzt tritt die Straße in den Wald ein, und der kleine alte Mann steht still und wirft einen wirren Blick zurück auf den mühsamen Weg, den er gekommen ist. Er trocknet den Schweiß von der Stirn; dann vertieft er sich, aufatmend, in den kühlen Schatten des Waldes. Die Heimchen ziepen in der Sommerhitze in den Gräben, die Käfer summen über dem Weg – horch, eine Glocke in weiter Ferne. Der Alte hält wieder still, – er lauscht und streicht mit der Hand über die Stirn. Noch immer die Glocke! Die Abendglocke von Sankt Marienstuhl!
Die Wipfel der Bäume glühn in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne – dunklere Schatten steigen auf aus den Tälern und nisten sich in dem Gebüsch phantastisch ein. Zu den Füßen des Wanderers, über ihm, um ihn kämpfen fliehend die roten Lichtblitze des scheidenden Tages mit den dunkeln Geistern, welche die Nacht vorausschickt, ehe sie vollständig Besitz nimmt von der einen Hälfte der arbeit- und leidenmüden Welt. Die Vögel schweigen, kein Lüftchen regt sich; nur das welke Laub rauscht unter den unsichern Fußtritten des kleinen Mannes. Wie feierlich, ergreifend der ferne Glockenklang auf dem einsamen, verwachsenen, kühlen, dämmerigen Waldpfade das Herz durchzittert! . . . War's ein Reh, das da eben, einem hellen Schatten gleich, über den Weg glitt? Weiter! Weiter! Dunkler und dunkler wird der Wald! Längst hat die Glocke von Sankt Marienstuhl ausgezittert – der Alte sieht sich zweifelnd um – jeder Pfad ist verloren; aber eine Nachtigall beginnt ihren klagenden Sang über ihm.
Die ganze Nacht hindurch hören die Köhler vom Neckenspiegel her ein wunderbares Klingen, wie sie es nie gehört haben. Ist das Wort gefunden, der Zauber gelöst? Ist das verborgene Geheimnis offenbar worden in der Mondnacht vor Maria Heimsuchung? –
»In Waldnacht schlafen die Vögel,
In Waldnacht schläft das Reh,
Im Wald, im nächtlichen Walde
Steigt die Jungfrau aus dem See!«
Die Köhler lauschen zitternd und staunend und wagen kaum einander zuzuflüstern; die Klänge aber verstummen erst gegen Morgen. Als die Waldleute sich vorsichtig dem stillen Wasser nähern, liegt es, wie gewöhnlich zu dieser Zeit, in einen dichten weißen Nebel gehüllt da – nichts ist zu hören und zu sehen – es ist alles geblieben, wie es war! . . . . . . . . .
Als die Sonne die Messingkreuze auf der Martinskirche zu Finkenrode vergoldet und die kleine Stadt erwacht, da erhält sie die Nachricht, daß ein verschollener Bürger heimgekehrt ist, – wahnsinnig, bettelarm. Es wohnt ein greiser Torwärter und Steuereinnehmer am Tor zu Finkenrode, der fordert dem einziehenden, alten, scheuen Musikanten den Paß ab. Das Männlein sieht den Frager blödsinnig an; dann sagt es: »Kennt Ihr mich nicht? Ich bin ja des Stadtmusikus Wallingers Sohn – laßt mich gehen, der Vater wird ärgerlich und zankt, wenn ich nicht zu rechter Zelt heimkomme!«
Vor langen, langen Jahren hat der Einnehmer mit dem, der jetzt wieder vor ihm sieht, gespielt; er hat bei dem Vater desselben die Flöte blasen gelernt und kennt die Geschichte des Hauses gut genug. Die Hände schlägt er über dem Kopfe zusammen:
»Bist du Günther, des alten Wallingers Sohn?!
Der Geiger nickt: »Jawohl! Jawohl! Laßt mich gehen, die Mutter wartet auf mich!«
Da sitzt der Einnehmer auf der steinernen Bank neben dem Schlagbaum vor seinem Häuschen und starrt wirr und blind dem Davoneilenden nach:
»Was war das? Was war das?«
Ach, es war das alte Märchen von dem, der in dem Zauberberg gewesen ist, wo hundert Wochen ein Tag sind, wo sich das blonde Haar ln Schnee verwandelt hat, wenn der unselig Gefangene wieder hervortritt in die Welt der Wirklichkeit, die er nicht mehr begreifen kann; wie der Welt für ihn das Verständnis verloren ist. Der Herr Bürgermeister läßt den Heimgekehrten vorführen, um ihn auszufragen. Ach, er bringt nicht viel aus ihm heraus und läßt ihn anfangs einsperren. Als sich aber die Unschädlichkeit des Armen gezeigt hat, läßt man ihn seines Weges gehen – den jungen und alten Kindern ein Spott – den wahnsinnigen Musikanten Günther Wallinger, der auszog aus Finkenrode, das Ideal zu suchen . . . . . . . . .
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