Ludwig Quidde
Der Militarismus im heutigen Deutschen Reich
Ludwig Quidde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

In den letzten Reichstagsdebatten hat der Reichskanzler Graf v. Caprivi den Militarismus für ein Schlagwort erklärt, dem nach seiner Meinung keine Wirklichkeit entspricht; er hat über den alten lahmen Gaul gespottet, der wieder aus dem Stall hervorgeholt und neu aufgezäumt werde, und sich darüber gewundert, daß man diesen Militarismus, bei dem er sich nichts denken und den er nirgends finden kann, gar für kulturfeindlich erkläre.

Schon ein Vorgang, der unmittelbar auf die Auflösung des Reichstages 83 folgte, hat ihm zeigen können, wie sehr dieser für ihn unauffindbare Militarismus unser öffentliches Leben beherrscht. Von höchster Stelle ist eine Kritik an dem Beschlusse des Reichstages geübt worden, und diese Kritik hat sich an einen Kreis von Generalen und Offizieren gewandt, als ob diese das geeignetste Publikum für solche Mitteilungen über die Haltung des deutschen Reichstages wären. Nun sind aber gerade die Angehörigen des aktiven Heeres von der Beteiligung am politischen Leben und von der Wahl zu unseren Volksvertretungen gesetzlich ausgeschlossen. Bei ihnen allein von allen Reichsangehörigen ruht das aktive Wahlrecht. Es gibt also eigentlich kein Publikum, das weniger berufen wäre, an den Beschlüssen des Reichstages Kritik zu üben und weniger berufen, als Resonanzboden einer solchen Kritik zu dienen.

Wenn sich trotzdem der Kaiser mit der ersten öffentlichen Äußerung seiner Ansichten über die Haltung des Reichstages nicht an die Nation, nicht an die Spitzen der Beamten, wie etwa den Reichskanzler, nicht an Vertreter der verbündeten Regierungen oder auch, bei zufällig sich bietender Gelegenheit, an einen Kreis von Privatpersonen, sondern an seine Offiziere wendet, ist das nicht ein Zeichen des bei uns herrschenden Militarismus?

Das Charakteristische ist, daß augenscheinlich diese Form der Äußerung als etwas ganz Natürliches betrachtet wird, während sie unter Verhältnissen, die nicht so sehr vom Geiste des Militarismus erfüllt wären, nur als eine bewußte scharfe Herausforderung der Volksvertretung und des Geistes unserer Gesetzgebung aufgefaßt werden könnte. Wie der Kaiser gewiß an eine solche Herausforderung nicht im mindesten gedacht hat, wie es ihm nach seiner Gewöhnung an militärische Anschauungen ganz natürlich erscheint, sich mit seiner Kritik der Volksvertretung an die militärischen Kreise zu wenden, die nach den Bestimmungen der Gesetze auf die Wahlen zu dieser Volksvertretung gar nicht einzuwirken haben, so nimmt man offenbar auch in weiten Kreisen des Publikums diese Dinge wie etwas in unserem nun einmal durch und durch militärischen Staatswesen Selbstverständliches hin!

Um dem Reichskanzler zu zeigen, wie der militärische Geist sich in unserem öffentlichen Leben geltend macht, hätte es freilich dieses Epiloges zur Reichstagsauflösung nicht bedurft.

Er brauchte sich eigentlich nur auf sich selbst zu besinnen und daran zu denken, daß er, ein General, der sich niemals vorher mit den Aufgaben der Zivilverwaltung beschäftigt hat, der auch eingestandenermaßen, obschon er einmal Marineminister war, sich dem politischen Leben 84 möglichst fern gehalten hat, zur Leitung unserer gesamten inneren und auswärtigen Politik berufen worden ist.

Er brauchte auch nur der feierlichen Ereignisse aus der Geschichte eben des Reichstages, zu dem er sprach, zu gedenken: etwa der Grundsteinlegung des neuen Gebäudes vor dem Brandenburger Tor, bei der der Präsident des Reichstages, Herr von Levetzow, in der Uniform eines Landwehrmajors fungieren mußte. In dieser kleinen Äußerlichkeit triumphierte damals der Militarismus, der unsere Regierungskreise beherrscht, aber in weiten Schichten des Volkes bis zu den »gutgesinnten« Kreisen hin ist der Vorgang als eine Herabsetzung des Reichstages und als eine beleidigende Herausforderung des ganzen Bürgertums empfunden worden.

Es sind dies nur zwei Symptome dafür, wie die militärische Auffassung in Verhältnisse des öffentlichen Lebens eindringt, die ihr entrückt sein sollten: Äußerlichkeiten, wenn man will, die aber eine beredte Sprache führen. Wir sehen in ihnen Zeugnisse für die Macht des Militarismus, aber freilich ist damit noch nichts über seinen Inhalt ausgesagt.

Um den Geist des Militarismus kennenzulernen, wenden wir uns zunächst seiner Betätigung im Heere selbst zu. Nachher werden wir zu der Frage zurückkehren, in welcher Weise und in welcher Ausdehnung er das bürgerliche Leben außerhalb des Heeres beeinflußt und wie er auf das öffentliche Leben im Staate einwirkt.

 


 << zurück weiter >>