Alexander Puschkin
Die Hauptmannstochter
Alexander Puschkin

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Zweites Kapitel.
Der Führer

Ach du Weite, du, weite Ferne du,
Ach du Flur, du unbekannte du!
Daß ich zu dir doch nicht kommen wär',
Hätt' das gute Pferd mich nicht zu dir geführt:
So verführten sie des kühnen Knaben Herz,
Flinke Eile, kühner Jugendmut,
Des berauschten Bluts Vergessenheit.
Altes Lied

 

Meine Betrachtungen auf dem Wege waren nicht sehr heiter. Mein Verlust war nach dem damaligen Geldwerte nicht unbedeutend. Ich mußte mir innerlich gestehen, daß mein Betragen im Simbirskschen Gasthaus dumm war und so fühlte ich mich Saweljitsch gegenüber schuldig. Das alles quälte mich. Finster saß der Alte ganz an den Rand des Wagens gedrückt, wandte sich von mir ab, schwieg und räusperte sich nur zuweilen. Ich wollte mich unbedingt mit ihm versöhnen, aber ich wußte nicht wie es anzufangen sei. Endlich sagte ich ihm:

»Nun, nun Saweljitsch! Es ist schon genug, wollen wir Frieden machen, ich bin ja schuld; ich sehe selbst ein, daß ich schuld bin, ich habe gestern gelumpt und dich um nichts beleidigt. Ich verspreche dir in Zukunft klüger zu sein und mehr auf dich zu hören. Ärgere dich nicht weiter und machen wir Frieden.«

»Ach Väterchen Peter Andrejewitsch!« entgegnete er mit einem tiefen Seufzer: »auf mich selber bin ich wütend, selber bin ich an allem schuld. Wie konnt' ich dich auch allein im Gasthause lassen! Was tun? Die Sünde ist nun mal geschehen: ich gedachte die Küsterfrau, meine Gevatterin, aufzusuchen. Und so war's denn: ging zur Gevatterin, ließ dich in dem verfluchten Loch allein. Ein Unglück und damit genug! Wie soll ich meinem Herrn vor die Augen treten? Und wenn sie's erfahren, was werden sie dazu sagen, daß das Kind trinkt und spielt?«

Um den armen Saweljitsch zu trösten, versprach ich ihm, nie wieder ohne seine Einstimmung auch nur eine Kopeke zu verschleudern. Allmählich beruhigte er sich dann, konnte es aber nicht lassen, immer noch zuweilen vor sich herzumurmeln, indem er den Kopf schüttelte:

»Hundert Rubel! Keine Kleinigkeit!«

Ich näherte mich dem Orte meiner Bestimmung. Rings um mich dehnten sich traurige Wüsten aus, die von Hügeln und Schluchten durchschnitten wurden. Alles war von Schnee bedeckt . . . Die Sonne sank. Unser Reisewagen fuhr auf einem schmalen Wege oder genauer gesagt, er folgte der Spur von Bauernschlitten. Plötzlich schaute unser Fuhrmann scharf zur Seite, wandte sich dann an mich, indem er den Hut abnahm, und sagte:

»Herr befiehlst du nicht lieber umzukehren?«

»Und, warum das?«

»Das Wetter ist unzuverlässig: schon erhebt sich ein leichter Wind; und sieh, wie er den frischen Schnee aufwirbelt.«

»Ja was geht das uns an?«

»Aber siehst du auch, daß dort . . .?«

Und der Fuhrmann wies mit der Peitsche nach Osten.

»Ich sehe dort nichts außer weißer Steppe und hellem Himmel.«

»Nein, nein: jenes Wölkchen meine ich.«

Und tatsächlich sah ich nun am Rande des Himmels ein weißes Wölkchen, das ich anfangs für einen kleinen fernen Hügel gehalten hatte. Der Fuhrmann teilte mir mit, daß dieses Wölkchen einen heftigen Schneesturm prophezeie.

Ich hatte von den dortigen Schneestürmen gehört und wußte, daß ganze Karawanen von ihnen verschüttet worden waren. Saweljitsch stimmte der Ansicht des Fuhrmannes bei und riet umzukehren. Doch der Wind schien mir nicht stark zu sein: ich glaubte, daß es möglich wäre, noch rechtzeitig die nächste Station zu erreichen, und befahl schneller zu fahren.

Der Fuhrmann beeilte sich und sah immer scharf nach Osten. Die Pferde liefen munter. Der Wind wurde von Stunde zu Stunde heftiger. Das Wölkchen verwandelte sich in eine weiße Wolke, die schwer heraufkam, wuchs und allmählich den ganzen Himmel bedeckte. Feiner Schnee kam herab, plötzlich fiel er in dichten Flocken. Der Wind heulte, das war der Schneesturm. In einem Augenblick war der dunkle Himmel mit dem Meer von Schnee verschmolzen. Alles verschwand.

»Nun, Herr,« schrie der Fuhrmann, »ist das Unglück da – der Schneesturm! . . .«

Ich schaute aus dem Reisewagen, alles war Sturm und dunkel. Der Wind heulte mit solch wildem Ausdruck, als wäre er lebendig; der Schnee überschüttete mich und Saweljitsch. Die Pferde gingen im Schritt und blieben bald stehen.

»Was fährst du denn nicht mehr weiter?« fragte ich den Fuhrmann ungeduldig.

»Was soll man da noch weiterfahren?« entgegnete er, indem er vom Bock kroch, »sowieso wissen wir nicht, wohin wir gefahren sind: da ist kein Weg zu sehen und ringsum nur Finsternis.«

Ich schimpfte auf ihn ein. Saweljitsch trat für ihn ein.

»Warum mußtest du auch nicht hören,« sagte er böse, »wärst du doch lieber in die alte Herberge zurückgekehrt, hättest Tee getrunken, bis zum Morgen geschlafen, dann hätte auch der Sturm nachgelassen und wir konnten weiterfahren. Wohin eilen wir denn so? Gut wär's, wenn's noch auf eine Hochzeit ginge!«

Saweljitsch hatte recht. Da war nichts mehr zu machen, der Schnee stürzte nur so. Um den Reisewagen herum bildete sich ein hoher Schneehaufen. Die Pferde standen da, ließen die Köpfe hängen und erzitterten von Zeit zu Zeit. Der Fuhrmann hatte nichts zu tun und machte sich am Geschirr zu schaffen. Saweljitsch brummte; ich schaute ringsum und hoffte irgendein Anzeichen von Weg oder Wohnung zu erblicken, doch ich konnte nichts sehen als das trübe Wirbeln des Schneesturmes. Plötzlich sah ich etwas Schwarzes.

»He, Fuhrmann!« schrie ich, »sieh doch mal hin – was ist das da für ein schwarzer Gegenstand?«

Der Fuhrmann schaute angestrengt hin.

»Gott weiß was, Herr,« sagte er, indem er sich auf seinen Platz setzte; »nicht eigentlich ein Wagen, nicht eigentlich ein Baum, denn es bewegt sich scheinbar. Vielleicht ein Wolf oder ein Mensch.«

Ich befahl ihm, auf den unbekannten Gegenstand zuzufahren, der sich im selben Augenblicke uns entgegenbewegte. Nach etwa zwei Minuten begegneten wir einem Manne.

»He, guter Mann!« schrie ihm der Fuhrmann zu: »sag', weißt du nicht, wo der Weg ist?«

»Der Weg ist hier, ich stehe auf hartem Boden,« entgegnete der Wanderer, »aber warum fragst du?«

»Hör' mal, lieber Bauer,« sagte ich zu ihm, »vielleicht kennst du diese Gegend hier? Willst du mich bis zum nächsten Nachtquartier führen?«

»Ich kenne die Gegend,« antwortete der Wanderer, »ich habe sie, Gott sei Dank, kreuz und quer durchfahren und durchwandert. Aber was für ein Wetter das ist, da kann man jeden Augenblick vom Wege abkommen. Besser wäre es, hier zu halten und zu warten, der Sturm wird nachlassen und der Himmel klarer werden, dann werden die Sterne uns schon den Weg zeigen.«

Seine Kaltblütigkeit ermunterte mich. Ich war schon bereit, mich in mein Schicksal zu ergeben und in der Steppe zu übernachten, als plötzlich der Wanderer sich gewandt auf den Bock schwang und dem Fuhrmann sagte: »Nun, Gott sei Dank, ein Haus ist nicht mehr fern; biege nach rechts ab und fahre drauflos.«

»Warum soll ich nach rechts fahren?« fragte der Fuhrmann mürrisch, »wo siehst du denn einen Weg? Du glaubst wohl, daß die Pferde und das Geschirr nicht mir gehören und daß wir nur so drauflosfahren können.«

Mir schien der Fuhrmann recht zu haben.

»Allerdings,« sagte ich, »warum glaubst du denn, daß ein Haus nahe sei?«

»Deshalb, weil der Wind von dorther wehte,« antwortete der Wanderer, »und ich den Geruch des Rauches spürte; folglich ist ein Dorf in der Nähe.«

Seine Findigkeit und die Feinheit des Geruchs verwunderten mich. Ich befahl dem Kutscher zu fahren. Schwer stampften die Pferde durch den tiefen Schnee. Der Reisewagen bewegte sich nur langsam vorwärts, denn bald mußte ein Schneehaufen überfahren werden, bald sanken wir in einen Graben, und es war ein beständiges Schwanken von einer Seite zur anderen wie ein Schiff auf stürmischem Meer. Saweljitsch stöhnte und jeden Augenblick stieß er gegen mich. Ich ließ die Matte aus starkem Lindenbast herab, hüllte mich fester in meinen Pelz und schlief ein, eingewiegt vom Gesange des Sturmes und dem Schaukeln der langsamen Fahrt.

Und ich hatte einen Traum, den ich niemals mehr vergessen konnte und in dem ich auch noch heute etwas wie eine Prophezeiung sehe, wenn ich ihn mit den seltsamen Geschehnissen meines Lebens zusammenhalte. Der Leser wird mir verzeihen, denn er weiß vermutlich aus Erfahrung, wie sehr es dem Menschen eigen ist, sich dem Aberglauben hinzugeben, so sehr er auch alle Vorurteile verachten mag.

Ich verfiel in jenen Zustand der Sinne und der Seele, in welchem die Wirklichkeit den Träumen weichend, mit diesen zu den unklaren Bildnissen des ersten Schlummers verschmilzt. Mir schien es, als ob der Schneesturm noch wüte und als ob wir noch immer durch die Schneewüste irrten. Plötzlich sah ich ein Tor und fuhr auf unseren Gutshof. Mein erster Gedanke war die Furcht, mein Vater könnte über mich wegen der unfreiwilligen Rückkehr unter das Dach meines Vaterhauses zornig werden und dies für absichtlichen Ungehorsam halten. Unruhig sprang ich aus dem Reisewagen und sah: die Mutter kam mir auf der Treppe mit tieftraurigem Gesicht entgegen. Leise sagte sie zu mir: »Der Vater ist krank, ist dem Tode nahe und will von dir Abschied nehmen.« Voll Furcht folge ich ihr ins Schlafgemach. Ich sehe, das Zimmer ist schwach beleuchtet; rings um das Bett stehen Menschen mit traurigen Gesichtern. Leise trete ich an das Bett heran; die Mutter schiebt den Vorhang zurück und spricht: »Andrej Petrowitsch! Peter ist zurückgekommen, als er von deiner Krankheit erfuhr; segne ihn.« Ich kniete nieder und schaute auf den Kranken. Doch da? . . . An Stelle meines Vaters sehe ich einen schwarzbärtigen Bauer im Bett liegen, der mich heiter ansieht. Verwundert wandte ich mich zur Mutter und fragte sie: »Was soll das bedeuten? Dies ist nicht der Vater. Und aus welchem Grunde soll ich um den Segen eines Bauern bitten?« – »Ach, das hat nichts zu sagen, Peter,« entgegnete mir meine Mutter: »das ist dein stellvertretender Vater; küß ihm die Hand und mag er dich segnen . . .« Ich willigte nicht ein. Da aber sprang der Bauer vom Bette auf, griff nach seinem Beile und begann es nach allen Seiten zu schwingen. Ich wollte fliehen . . . und konnte nicht; das Zimmer füllte sich mit Leichen; ich strauchelte über Körper und glitt in den Blutlachen aus . . . Der entsetzliche Bauer rief mich liebevoll an und sprach: »Fürchte dich nicht, sondern komm und laß dich segnen . . .« Grauen und Verwunderung packten mich . . . Und in diesem Augenblicke erwachte ich, die Pferde hielten; Saweljitsch faßte mich an der Hand und sprach:

»Steig aus, Herr, wir sind da.«

»Wo denn?« fragte ich und rieb mir die Augen.

»In einer Herberge. Gott half und wir stießen gerade auf ihren Zaun. Herr, steig schnell aus und erwärme dich.«

Ich stieg aus dem Wagen. Der Schneesturm wütete noch immer, wenn auch mit geringerer Gewalt. Es war so dunkel, daß man geradesogut sehen konnte wie ein Blinder. Der Gastwirt kam uns an die Pforte entgegen und führte mich, während er eine Laterne unter dem Rockschoß hielt, in die Wirtsstube, die eng, aber ziemlich reinlich war; ein Kienspan erleuchtete sie. An der Wand hingen eine lange Büchse und eine hohe Kosakenmütze.

Der Gastwirt, der von Geburt ein Kosak aus Jaik war, schien ein Mann von etwa sechzig Jahren zu sein, war aber noch frisch und rüstig. Saweljitsch brachte mein Teegeschirr herein und verlangte Feuer, um den Tee zu bereiten, der mir noch niemals so notwendig erschienen war wie jetzt. Der Wirt eilte, alles zu besorgen.

»Wo ist der Führer?« fragte ich Saweljitsch.

»Hier, Euer Wohlgeboren«, entgegnete mir eine Stimme irgendwo von oben.

Ich blickte nach einer Art Hängeboden und sah einen schwarzen Bart und zwei funkelnde Augen.

»Bist wohl tüchtig durchfroren, Freundchen?«

»Wie soll man nicht frieren in so einer dünnen Jacke! Ich hatte noch einen Schafpelz, aber warum soll ich es verheimlichen, ich habe ihn gestern abend in der Kneipe versetzt, der Frost kam mir nicht so schlimm vor.«

In dieser Minute kam der Wirt mit dem dampfenden Samowar herein; ich bot unserm Führer eine Tasse Tee an; der Bauer kroch von seinem Hängeboden herunter. Sein Aussehen kam mir merkwürdig vor. Er war vierzig Jahre, von mittlerem Wuchse, mager, aber breitschulterig. Sein schwarzer Bart war schon ein wenig grau gesprenkelt, die lebhaften großen Augen liefen beständig umher, der Ausdruck seines Gesichtes war ziemlich angenehm, aber auch ein wenig schlau. Sein Haar war kreisförmig geschoren; er trug einen zerlumpten Kittel und tatarische Pluderhosen. Ich reichte ihm eine Tasse Tee, er trank einen Schluck und verzog das Gesicht.

»Euer Wohlgeboren erweisen mir vielleicht die Gnade . . . und befehlen, daß man mir ein Glas Wein bringe; Tee ist nicht unser Kosakengetränk.«

Gerne erfüllte ich sein Verlangen. Der Wirt nahm Kanne und Glas aus einem Tischaufsatz, trat an ihn heran und sah ihm ins Gesicht:

»Oh,« sagte er, »du bist wieder in unserer Gegend! Von wo hat Gott dich hergeführt?«

Mein Führer zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen und antwortete mit einem Sprichwort:

»Im Garten habe ich Hanf gepickt, die Alte warf mit einem Stein nach mir und traf mich nicht. Nun, was machen die Euren?«

»Ja, was sollen Unsere denn machen!« entgegnete der Wirt, indem er in dem zweideutigen Gespräche fortfuhr: »Man wollte zum Abendgebete läuten, aber die Popenfrau erlaubte es nicht, der Pope ist zu Gast und die Teufel in der Gemeinde.«

»Schweig, alter Freund,« versetzte mein Landstreicher, »es wird ein Regen kommen, und es werden auch Pilze kommen, und werden Pilze da sein, so werden auch Körbe da sein; jetzt aber (hier zwinkerte er wieder bedeutsam) verbirg das Beil, der Förster kommt. Auf Euer Wohlgeboren Gesundheit!«

Bei diesen Worten ergriff er seinen Becher, bekreuzigte sich und trank ihn auf einen Zug leer, dann verbeugte er sich vor mir und suchte wieder seinen Hängeboden auf.

Ich konnte damals nichts von diesem Diebesgespräche verstehen, später aber erriet ich, daß sie von den Zuständen im Jaikschen Heere sprachen, welches damals nach dem Aufruhr im Jahre 1772 eben erst gebändigt worden war. Saweljitsch hörte höchst unzufrieden zu. Argwöhnisch sah er bald den Wirt, bald den Führer an. Diese Herberge lag weit vom Wege ab in der Steppe, wo keine Ansiedlung in der Nähe war, und glich sehr einem Räuberwirtshause. Doch da war nichts zu machen. Es war unmöglich, an eine Fortsetzung der Fahrt zu denken. Die Unruhe Saweljitschs amüsierte mich sehr. Indessen machte auch ich mich zur Nacht bereit und legte mich auf die Bank. Saweljitsch beschloß, auf den Ofen zu kriechen; der Gastwirt lag auf dem Fußboden. Bald schnarchte die ganze Hütte und ich schlief wie ein Toter.

Am nächsten Morgen erwachte ich ziemlich spät und sah, daß der Sturm vergangen war, die Sonne leuchtete hell. Der Schnee lag wie ein blendendes Tuch auf der unübersehbaren Steppe. Die Pferde waren angespannt. Ich zahlte dem Gastwirt, der eine so mäßige Summe verlangte, daß sogar Saweljitsch keinen Streit mit ihm anfing und nicht wie gewöhnlich zu handeln begann; der gestrige Verdacht war völlig aus seinem Kopfe geschwunden. Ich rief den Führer, dankte ihm für die erwiesene Hilfe und befahl Saweljitsch, ihm einen halben Rubel für Schnaps zu geben. Saweljitschs Gesicht verdüsterte sich.

»Einen halben Rubel für Schnaps!« sagte er, »ja, wofür denn? Dafür vielleicht, daß du die Güte hattest, ihn auf deinem Wagen zur Herberge zu führen? Obgleich es dein Wille ist, Herr: wir haben aber keinen überflüssigen halben Rubel. Wenn man jedem Trinkgeld geben wollte, würde man bald selber hungern müssen.«

Ich wollte mit Saweljitsch nicht streiten. Ich hatte ihm versprochen, daß er meine Gelder nach seinem Gutdünken verwalten dürfe. Es war mir aber trotzdem sehr unangenehm, daß ich mich bei diesem Menschen nicht bedanken konnte, der uns, wenn auch nicht aus einer Gefahr, so doch zum wenigsten aus einer sehr peinlichen Lage befreit hatte.

»Gut,« sagte ich kaltblütig, »wenn du ihm schon keinen halben Rubel geben willst, so gib ihm irgend eines meiner Kleidungsstücke. Er ist zu dünn gekleidet. Gib ihm meinen Hasenpelz.«

»Mein Gott, lieber Herr Peter Andrejewitsch!« sagte Saweljitsch, »wozu ihm denn den Hasenpelz geben? Der Hund wird ihn ja doch nur in der nächsten Schenke versaufen.«

»Es braucht doch dir keine Sorge zu machen, alter Freund,« sagte mein Landstreicher, »ob ich ihn nun versaufe oder nicht. Seine Wohlgeboren schenken mir einen Pelz von der eigenen Schulter, das ist eben sein Herrenwille, deine Sklavensache aber ist es, nicht zu streiten, sondern zu gehorchen.«

»Du fürchtest Gott nicht, du Räuber!« entgegnete ihm Saweljitsch wütend; »du siehst doch, daß das Kind noch nichts begreift, und bist froh, es in seiner Einfalt zu bestehlen. Was brauchst du einen herrschaftlichen Pelz? Du kannst ihn ja nicht mal über deine verfluchten Schultern bringen.«

»Bitte, räsoniere nicht,« sagte ich zu meinem Erzieher, »bring' ihn sofort her.«

»Großer Gott!« stöhnte Saweljitsch, »den fast ganz neuen Hasenpelz! Und wenn's noch jemand anders wäre, aber so – einem Säufer, einem Lumpen!«

Allein, der Hasenpelz erschien. Der Bauer versuchte ihn anzuziehen, und tatsächlich war der Pelz, aus dem ich schon fast herausgewachsen war, auch ihm ein wenig zu eng. Allein, es gelang ihm doch auf irgendeine Weise, und so zog er ihn denn an, während die Nähte platzten. Saweljitsch fing fast zu heulen an, als er die Nähte krachen hörte. Der Landstreicher war von meinem Geschenke sehr befriedigt. Er gab mir bis zum Reisewagen das Geleite und sagte dann mit einer tiefen Verbeugung:

»Besten Dank, Euer Wohlgeboren! Möge Gott Ihre Güte belohnen. Niemals werde ich Ihre Gnade vergessen.«

Er ging seines Weges und auch ich fuhr weiter, ohne Saweljitsch zu beachten, und hatte bald den gestrigen Schneesturm, meinen Führer und den Hasenpelz vergessen.

In Orenburg angekommen, begab ich mich geradewegs zum General. Ich erblickte einen Mann von hohem Wuchse, den das Alter schon gebeugt hatte. Seine langen Haare waren ganz weiß. Sein alter und etwas verblichener Uniformrock war wie eine Erinnerung an einen Krieger aus der Zeit Anna Iwanownas; er sprach mit stark deutschem Akzent. Ich gab ihm meines Vaters Brief. Als er seinen Namen las, musterte er mich schnell.

»Mein Gott!« sagte er, »ist es denn schon so lange her, daß Andrej Petrowitsch noch in deinen Jahren war, und jetzt hat er schon einen solch wackeren Burschen zum Sohn! Ach, die Zeit, die Zeit!«

Er erbrach den Brief und las ihn halblaut, indem er ab und zu Bemerkungen machte: »›Gnädigster Herr Andrej Karlowitsch, ich hoffe, daß Eure Exzellenz . . .‹ was sind das für Zeremonien? Pfui, er sollte sich schämen! Natürlich Disziplin – Hauptsache, aber schreibt man so einem alten Kameraden? . . . ›Eure Exzellenz nicht vergessen haben . . .‹ Hm . . . ›und . . . damals . . . der verstorbene Feldmarschall Mün . . . Feldzug . . . wie auch . . . Karolinchen!‹ . . . O Bruder! So erinnert er sich auch noch immer an unsere alten Sünden? ›Doch zur Sache . . . zu ihm, meinem Taugenichts . . .‹ Hm . . . ›mit stacheligen Handschuhen anzufassen . . .‹ Was sind stachelige Handschuhe? Das muß wohl so eine russische Redensart sein . . . Was bedeutet das ›mit stacheligen Handschuhen anfassen‹?« fragte er, indem er sich an mich wandte.

»Das bedeutet,« entgegnete ich mit möglichst unschuldiger Miene, »möglichst gnädig umgehen, nicht allzu streng, einige Freiheit lassen, mit einem Wort, mit stacheligen Handschuhen anfassen.«

»Hm, ich verstehe . . . ›Und ihm keine Freiheit geben . . .‹ Nein, die stacheligen Handschuhe müssen doch etwas anderes bedeuten . . . ›Gleichzeitig . . . sein Paß . . .‹ Wo ist denn der? Ach so . . . ›Aus dem Semjonoffschen Regiment streichen lassen . . .‹ Gut, gut: Wollen wir machen . . . ›Erlaubst, daß ich dich ohne alle Titel umarme und . . . alter Kamerad und Freund.‹ Ah! also endlich . . . und so weiter, und so weiter . . .«

»Nun, Lieber,« sagte er, nachdem er den Brief durchgelesen hatte und meinen Paß weglegte; »nun wird alles gemacht werden, du wirst als Offizier in das *** Regiment versetzt werden, und damit du keine Zeit verlierst, sollst du schon morgen zur Festung Bjelogorsk abreisen, wo der Hauptmann Mironow, ein guter und ehrlicher Mann, dein Kommandant sein wird. Dort wirst du wirklichen Dienst und Disziplin lernen. In Orenburg kannst du nicht bleiben: Zerstreuungen sind einem jungen Manne schädlich. Für heute aber bitte ich dich, mit mir zu Mittag zu speisen.«

»Von Stunde zu Stunde schönere Aussichten!« dachte ich; »was hilft es mir jetzt, daß ich fast noch im Mutterleibe Sergeant der Garde wurde! Und wohin hat mich das nun geführt? Zum *** Regiment, in eine wüste Festung, die auf der Grenze der kirgisisch-kosakschen Steppen liegt! . . .« Ich speiste bei Andrej Karlowitsch zusammen mit seinem alten Adjutanten. Strenge deutsche Sparsamkeit herrschte an seinem Tische, und eigentlich denke ich, daß die Furcht, zuweilen einen Gast mehr an seiner Junggesellentafel zu sehen, teilweise der Grund war, weswegen ich so schleunigst in die Garnison geschickt wurde. Am nächsten Tage nahm ich vom General Abschied und begab mich an den Ort meiner Bestimmung.


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