Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das große Diner

I

»Aber mein lieber Fundanius, Wer hat mit dir die Freude dieser Mahlzeit geteilt? Ich möchte es zu gerne wissen.«

Horaz

Honoré kam zu spät, er sagte dem Hausherrn guten Tag, ebenso den Gästen, die er bereits kannte, wurde den anderen vorgestellt, und man begab sich zu Tisch. Nach einigen Minuten bat ihn sein Nachbar, ein sehr junger Mensch, ihm die Gäste zu nennen und deren Geschichte zu erzählen. Honoré hatte ihn noch nie in Gesellschaft getroffen. Er war sehr schön. Die Hausfrau warf unaufhörlich glühende Blicke auf ihn, die den Grund andeuteten, warum er eingeladen war und die versprachen, daß er bald zu ihrem engsten Kreise gehören würde. Honoré ahnte in ihm die künftige Macht, aber er neidete sie ihm nicht, und er machte sich mit wohlwollender Höflichkeit daran, seine Bitte zu erfüllen. Er blickte um sich. Ihm gegenüber saßen zwei Tischnachbarn, die nicht miteinander sprachen. Man hatte sie, in guter Absicht, aber ungeschickt genug, gemeinsam eingeladen und nebeneinandergesetzt, weil beide sich mit Literatur beschäftigten. War schon dies ein Grund, sich zu hassen, so kam noch ein zweiter, besonderer hinzu: Der ältere war (eine Hypnose von zwei Seiten) verwandt mit Paul Desjardins und mit M. de Vogüé, nun affektierte er ein tadelndes Schweigen gegen den jüngeren, der ein Lieblingsschüler von Maurice Barrès war und der ihn seinerseits mit Ironie behandelte. Der Widerwille des einen steigerte unfreiwillig die Bedeutung des anderen und umgekehrt, genau als habe man den König der Verbrecher dem Kaiser der Trottel gegenübergesetzt.

Weiter entfernt schlang voll Wut eine prachtvolle Spanierin die Speisen hinab. Als vernünftige Person hatte sie ohne Zögern für diesen Abend ein Rendezvous geopfert, in der sicheren Erwartung, durch ihre Anwesenheit bei diesem Diner in ihrer mondänen Karriere einen Schritt vorwärts zu tun. Und sie konnte mit Wahrscheinlichkeit darauf rechnen. Der Snobismus der Frau Fremer bedeutete für ihre Freundinnen ebenso wie der Snobismus der Freundinnen für diese Dame eine auf Gegenseitigkeit ausgestellte Rückversicherung gegen die Gefahr, im bürgerlichen Sumpfe zu versinken. Aber der Zufall wollte es, daß gerade an diesem Abend Frau Fremer eine Anzahl Menschen zusammengetrommelt hatte, die sie zu ihren Diners nicht hatte einladen können, denen gegenüber sie aber aus verschiedenen Gründen nicht unhöflich sein wollte – und nun hatte sie sie kunterbunt zusammengebracht. Die Krone des Ganzen war eine Herzogin, welche die Spanierin aber bereits kannte und von der nichts zu holen war. Deshalb wechselte sie verzweifelte Blicke mit ihrem Gemahl, dessen gutturale Stimme man bei allen Soiréen nach und nach in Zwischenräumen von je fünf Minuten folgende Worte hervorbringen hörte: »Wollen Sie die Güte haben, mich dem Herzog vorzustellen?« – »Durchlaucht, wollen Sie die Güte haben, mich der Herzogin vorzustellen?« – »Frau Herzogin, wollen Sie mir die gütige Erlaubnis geben, Ihnen meine Frau vorzustellen?«, wobei die Pausen zwischen den Bitten durch wichtige andere Notwendigkeiten ausgefüllt werden. Er war außer sich, jetzt seine Zeit zu verlieren, dennoch spann er eine Unterhaltung mit seinem Nachbarn an, dem Kompagnon des Hausherrn. Seit einem Jahr flehte Fremer seine Frau an, diesen Kompagnon einzuladen. Endlich hatte sie nachgegeben und hatte ihn eingeschmuggelt zwischen einen Humanisten und dem Gatten der Spanierin. Der Humanist las zuviel und aß nicht zuwenig. Es gab bei ihm viel Zitieren und viel historische Rückblicke, und beides mißfiel als höchst lästig seiner Nachbarin, einer vornehm bürgerlichen Dame, Frau Lenoir. Sie hatte schnell die Unterhaltung auf die Siege des Prinzen Buivres in Dahomey gelenkt und sagte mit ergriffener Stimme: »Das arme Kind! Wie freut es mich, daß es unserer Familie Ehre bringt.« Tatsächlich war sie die Kusine der Buivres, und diese, alle jünger als sie, behandelten sie mit der Auszeichnung, die ihr Alter, ihre Anhänglichkeit an die königliche Familie und ihr großes Vermögen bei kinderloser dritter Ehe verdienten. Sie hatte, was ihr an Familiengefühlen innewohnte, auf alle Buivres übertragen. Sie empfand tiefe Beschämung bei dem einen, der Oberrichter war und in Schmutz wühlen mußte, aber rings um ihre ordnungsmäßig denkende Stirn, unter ihren orleanistischen Stirnbinden trug sie die Lorbeeren dessen, der General war. Sie war in den bis dahin so streng verschlossenen Kreis dieser Familie eingedrungen, sie war ihr Haupt geworden, gleichsam die Alterspräsidentin. In der modernen Gesellschaft fühlte sie sich tatsächlich sehr isoliert, sprach stets mit Rührung von den »alten Edelleuten von einst«. Ihr Snobismus war nur Phantasie und umgekehrt ihre ganze Phantasie nur Snobismus. Die hohen, sehr berühmten Namen von einst übten über ihren sensiblen Geist eine eigenartige Herrschaft, sie fand einen ebenso uneigennützigen Genuß darin, mit einem Fürsten zu dinieren wie Memoiren des ancien régime zu lesen. Sie trug immer die gleichen Hängelocken, ihre Frisur änderte sich so wenig wie ihre Grundsätze. Ihre Augen funkelten von Dummheit. Ihr lächelndes Gesicht war edel, ihre Mimik außerordentlich und nichtssagend zugleich. Sie hatte aus lauter Gottvertrauen den gleichen Optimismus am Vorabend einer garden party wie am Vorabend einer Revolution, und dieser zeigte sich in hastigen Bewegungen, die den Radikalismus beschwören sollten oder das böse Wetter. Ihr Nachbar Humanist plauderte mit ermüdender Eleganz und mit einer schrecklichen Geschicklichkeit im Formulieren. Um seine Vorliebe für einen guten Bissen und einen guten Tropfen vor andern zu entschuldigen und um diese Liebe in seinen eigenen Augen zu poetisieren, zitierte er Horaz. Unsichtbare, antike, aber frisch gebliebene Rosen kränzten seine schmale Stirn. Mit ewig gleichbleibender Liebenswürdigkeit, die ihr leicht fiel, weil sie darin eine Übung ihrer Macht und ein Zeichen ihrer Achtung vor alten Traditionen sah, wie sie jetzt selten geworden ist, richtete Frau Lenoir alle fünf Minuten das Wort an den Kompagnon des Herrn Fremer. Übrigens hatte dieser Gast keinen Grund, sich zu beklagen. Von der andern Seite der Tafel richtete Frau Fremer die bezauberndsten Schmeicheleien an ihn. Sie wollte, daß dieses Diner für mehrere Jahre reiche, und in ihrem energischen Entschlusse, diese Feststörung sich möglichst lange fernzuhalten, begrub sie sie heute unter Blumen. Was Herrn Fremer betrifft, so arbeitete er tagsüber in seiner Bank, abends schleppte ihn seine Frau in die Gesellschaft, oder er mußte daheim bleiben, wenn seine Frau empfing, immer bereit sein, alles herunterzuschlucken, immer den Maulkorb um den Mund –schließlich brachte er jedem Wandel der Dinge den gleichen Ausdruck entgegen, gemischt aus matter Gereiztheit, schmollender Resignation, angehaltener Wut und abgrundtiefer Verblödung. Indessen machte dieser Ausdruck auf dem Gesicht des Finanzmannes heute einer herzlichen Genugtuung Platz, sooft sein Blick dem des Kompagnons begegnete. So schwer erträglich ihm der Mann im täglichen Leben war, so fühlte er jetzt eine flüchtige, aber aufrichtige Sympathie, nicht nur deshalb, weil es ihm so schnell gelungen war, jenen mit seinem Luxus zu blenden, sondern kraft jener leichten Brüderlichkeit, die uns in der Fremde angesichts eines Landsmannes, mag er noch so widerlich sein, ergreift. Er, der Hausherr, wurde so brutal Abend für Abend aus seinen Gewohnheiten gerissen, so unbillig der verdienten Ruhe entzogen, so grausam entwurzelt –hier fand er eine Stätte, für gewöhnlich fluchwürdig, jetzt aber anziehend genug, ihn an sich zu fesseln, und er verlängerte den Aufenthalt, um sich hier zu retten vor grimmiger, verzweifelter Vereinsamung. Ihm gegenüber spiegelte Frau Fremer ihre blonde Schönheit in den bezauberten Blicken ihrer entzückten Tischgenossen. Der doppelt gute Ruf, der sie umgab, war ein trügerisches Prisma, durch das jeder versuchte, ihren wahren Charakter zu erkennen. Ehrgeizig, intrigant, fast Abenteurerin – das war die eine Stimme, die Meinung der Finanzwelt, die sie einer höheren Bestimmung zuliebe verlassen hatte, aber in den Augen des Faubourg und der königlichen Familie, die sie erobert hatte als ein Wesen von besonderen Geistesgaben, erschien sie als Engel von Güte und Tugend. Übrigens hatte sie ihre alten Freunde aus der niederen Sphäre nicht vergessen, sie erinnerte sich ihrer, besonders wenn sie krank waren oder Trauer hatten, denn das waren rührende Angelegenheiten und betrübende Umstände, angesichts deren man nicht in die Gesellschaft geht und sich daher nicht beklagen kann, nicht eingeladen zu werden. Daher ihre Neigung zu Ausbrüchen der Nächstenliebe. In Unterredungen mit Anverwandten oder Priestern am Bette der Sterbenden konnte sie Tränen vergießen, und so tötete sie einen Gewissensbiß nach dem anderen, den ihre doch allzu leichte Lebensführung ihrem nicht ganz skrupellosen Herzen versetzte.

Aber der reizendste Tischgast war die junge Herzogin von D., deren beweglicher, klarer, aber nie unruhiger Geist so sonderbar mit dem unheilbar schwermütigen Ausdruck ihrer schönen Augen und dem Pessimismus ihrer Lippen kontrastierte, mit der grenzenlosen, edlen Müdigkeit ihrer Hände. Diese liebte mit allen Fasern das Leben in allen seinen Formen, Güte, Literatur, tätiges Dasein, Freundschaft. Nun nagte sie, als seien es mißachtete Blumen, an ihren schönen, roten Lippen, ohne sie welk zu machen, während ein entzaubertes Lächeln die Winkel leicht schürzte. Wie viele Menschen schon haben auf der Straße, im Theater, im Vorübergehen ihren Traum an diesen wechselvollen Sternen entzündet! Nun war die Herzogin wohl dabei, sich eines Vaudevilles zu entsinnen oder eine Toilette zu entwerfen, jedenfalls zog sie mit dem Ausdruck von Nachdenken und Resignation unaufhörlich an ihren edlen Fingergliedern und ließ ihre verzweifelten, tiefen Blicke im Kreise schweifen, bis sie alle feiner empfindenden Tischgenossen unter einen Gießbach von Melancholie getaucht hatte. Ihre erlesene Unterhaltung schmückte sich nachlässig mit dem verblichenen und doch so charmant skeptischen Spott früherer Zeit. Man stand gerade in einer Diskussion, und die Dame, die so sicher im Leben stand und die nur eine Art kannte, sich zu kleiden, wiederholte allen: »Ach, warum sollte man nicht alles sagen, alles denken können? Ich kann recht haben und Sie ebenso. Es ist doch schrecklich und pedantisch, nur eine Ansicht zu haben.« Ihr Geist war nicht wie ihr Körper nach der letzten Mode gekleidet, und sie ironisierte sanft die Symbolisten und die kirchlich Gläubigen. Es war mit ihrem Geist wie mit bezaubernden Frauen, die schön und lebhaft genug sind, um auch in alten Kleidern zu gefallen. Übrigens war das ebensogut beabsichtigte Koketterie. Gewisse radikale Ideen hätten ihren Geist ruiniert so wie gewisse Farben ihren Teint, dem sie verboten waren.

Seinem hübschen Nachbar hatte Honoré von diesen verschiedenen Gestalten einen schnellen und in so hohem Maße wohlwollenden Umriß gegeben, daß alle trotz ihrer starken Verschiedenheit einander glichen, die brillante Frau von Torreno der geistvollen Herzogin von D. und der schönen Frau Lenoir. Nur einen gemeinsamen Zug hatte er ausgelassen, oder besser gesagt, nicht einen Zug, sondern das Symptom des Massenwahnsinns der wütenden Seuche, woran sie alle gleich litten, des Snobismus. Je nach der Verschiedenheit ihrer Naturen zeigte er sich unter allerhand Masken, und es gab einen weiten Abstand zwischen dem phantasiereichen, erfinderischen Dichtersnobismus der Frau Lenoir und dem Eroberungssnobismus der Frau von Torreno, der gierig war wie ein ehrgeiziger Beamter, der avancieren will. Und doch war auch diese furchtbare Frau andererseits noch menschlicher Regungen fähig. Ihr Nachbar hatte ihr gesagt, er habe im Park Monceau ihr kleines Töchterchen bewundert. Sofort brach sie ihr indigniertes Schweigen. Sie empfand für diesen unbekannten Büromenschen eine dankbare Sympathie, ein reines Gefühl, vielleicht ein stärkeres, als sie es einem Prinzen von Geblüt hätte entgegenbringen können, und nun plauderten sie wie alte Freunde.

Mit sichtlicher Genugtuung präsidierte Frau Fremer der Unterhaltung, denn sie hatte das Empfinden, eine hohe Mission zu erfüllen. Sie war gewohnt, große Schriftsteller Herzoginnen vorzustellen, und so erschien sie sich selbst wie ein allmächtiger Minister des Äußeren, der selbst in seinen Akten seine königliche Haltung nicht verleugnet. So sieht ein Zuschauer im Theater, während er ruhig verdaut, unter sich (da er ja über sie urteilt) Künstler, Publikum, Autor, Regeln der dramatischen Kunst, Genie. Die Konversation nahm übrigens ihren gemächlichen Gang in aller Harmonie. Jetzt war man zu dem Punkt gekommen, wohin man bei allen Diners kommt, wenn man das Knie der Nachbarin berührt, sie nach ihrem Lieblingsautor fragt, je nach Temperament oder Erziehung, besonders den weiblichen Tischnachbar. Plötzlich schien ein Zwischenfall unvermeidlich. In seinem jugendlichen Leichtsinn hatte der schöne Nachbar von Honoré versucht, alle davon zu überzeugen, daß in den Werken des Heredia vielleicht doch mehr Idee enthalten sei, als man gewöhnlich voraussetzte –und sofort nahmen die Tischgenossen, in ihrer gewohnten Denkweise gestört, ein gereiztes Wesen an. Aber Frau Fremer hatte sofort ausgerufen: – Aber nein, es sind nur bewundernswerte Kameen, es sind prunkvolle Emaillen, fehllose Schmuckstücke«, und schon zeigte sich Befriedigung auf allen Mienen. Eine Unterhaltung über die Anarchisten war schon schwieriger. Aber Frau Fremer neigte sich mit Resignation vor dem natürlichen Schicksalsgesetz und sagte langsam: – Was soll das alles? Es wird immer Reiche und Arme geben.« Und niemand von den Anwesenden, unter denen der Ärmste mindestens hunderttausend Taler Rente hatte, fand sich, von der Richtigkeit dieser Wahrheit betroffen, von seinen Gewissensskrupeln bedrückt, und so leerten alle mit herzlicher Fröhlichkeit ein letztes Glas Champagner.

II

Nach dem Diner

Honoré merkte, daß die vielen Weine seinen Kopf ein wenig verwirrt hatten, er verließ ohne Abschied die Gesellschaft, nahm unten seinen Paletot und ging dann zu Fuß die Champs-Elysées hinab. Er empfand ein außerordentliches Lustgefühl. Die Grenzbarrieren der Unmöglichkeit, die unsere Begierden und Träume vom Felde der Wirklichkeit scheiden, waren gefallen, sein Denken schwebte fröhlich quer durch das Unerfüllbare und steigerte sich an der Lust der eigenen Bewegung.

Es zogen ihn die geheimnisvollen Straßen an, die es zwischen allen menschlichen Wesen gibt und auf denen vielleicht jeden Abend eine ungeahnte Sonne der Freude oder der Trauer zur Rüste geht. Jede Person, an die er dachte, wurde sofort unwiderstehlich sympathisch, er nahm der Reihe nach alle Straßen, wo er eine anzutreffen die Hoffnung hegen konnte; hatte seine Voraussicht sich erfüllt, dann hätte er sich auch dem Unbekannten, dem Gleichgültigen furchtlos genähert, mit einem leichten Zittern. Was er in nächster Nähe an Glück sich aufgerichtet, war zusammengestürzt, aber es breitete sich sein Dasein in der Ferne aus mit allem Zauber des geheimnisvollen Neuen, vor ihm taten sich Landschaften auf wie gastliche Freunde. Sein einziger Kummer war das Bedauern, das alles sei nur die Spiegelung oder die Realität eines einzigen Abends, und so wollte er von jetzt an nichts anderes tun, als immer gut speisen und trinken, um ebenso schöne Dinge immer vor sich zu sehen. Es schmerzte ihn bloß, nicht allsogleich die herrlichen Landschaften im Grenzenlosen ihrer Perspektive erreichen und die Ferne an sein Herz drücken zu können. Dann wurde er erschreckt vom groben, übertriebenen Klang einer Stimme, die seit einer Viertelstunde wiederholte: »Das Leben ist trist, es ist idiotisch« (das letzte Wort ward unterstrichen von einer harten Geste seines rechten Armes, und er nahm nun die abgehackte Bewegung seines Stockes wahr). Er mußte sich traurig sagen, daß diese mechanischen Worte eine recht banale Übersetzung ähnlicher innerer Gesichte waren, die er für nicht ganz klar ausdrückbar hielt.

»Ach, zweifellos hat sich die neue Kraft meines Leids oder meiner Freude verhundertfacht, aber der intellektuelle Märchendichter in mir ist der gleiche geblieben. Mein Glück ist Nervensache, persönlich, nicht auf andere zu übertragen, und schriebe ich jetzt, so hätte mein Stil die gleichen Zeichen von Mittelmäßigkeit und dieselben Fehler wie sonst.« Aber er fühlte sich körperlich so wohl, daß er an dies nicht weiter dachte, und dieses Wohlbefinden verschaffte ihm unmittelbar höchsten Trost, das Vergessen. Er war auf den Boulevards angekommen. Es gingen Leute vorbei, er schenkte ihnen seine Sympathie und war sicher, daß auch sie ihm diese entgegenbrachten. Er fühlte sich als ihr glorreicher Zielpunkt, so öffnete er seinen Paletot, damit man die strahlende Weiße seiner Hemdbrust sähe, den fabelhaften Sitz seines Abendanzuges, die dunkelrote Nelke in seinem Knopfloch. So bot er sich der Bewunderung der Passanten an und ihrer Zärtlichkeit, denn er stand mit ihnen in heiterem, wonnig herzlichem Kontakt.


 << zurück weiter >>