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Weltlichkeit und Melomanie

Von Bouvard und Pécuchet

I

Natürlich sind die Ansichten, die der Autor hier den berühmten Figuren Flauberts in den Mund legt, nicht seine eigenen.

Weltlichkeit

»Warum sollen wir, da wir uns nun doch eine Stellung geschaffen haben, nicht ein Leben in der großen Welt führen?«

Das eben war die Ansicht von Pécuchet, aber man wollte dort glänzen und mußte deshalb den Gegenstand studieren.

Die zeitgenössische Literatur ist von höchster Bedeutung.

Sie abonnierten einige Zeitschriften, die sich die Verbreitung der Literatur zur Aufgabe machen, und lasen sie laut vor, bemühten sich, Kritiken zu schreiben, suchten vor allem Ebenmaß und Leichtigkeit des Stils zu erreichen, in Anbetracht des gesetzten Ziels.

Bouvard erinnerte daran, daß der Stil einer Kritik, wäre sie auch im Plaudertone geschrieben, doch nicht der richtige sei für die große Welt, und sie führten Konversationsstunden ein über ihre Lektüre, gehalten in der Art der Leute der großen Gesellschaft.

Bouvard lehnte sich an den Kamin, bastelte mit Vorsicht an den hellen Handschuhen herum, die er eigens zu dem Zwecke angeschafft hatte, und nannte Herrn Pécuchet Madame oder General, um die Illusion zu vollenden.

Oft blieben sie dabei; einer von ihnen hatte sich in einen Autor hineingeschwatzt, vergebens versuchte der andere ihn zu halten. Übrigens machten sie alles herunter. Leconte de Lisle war gar zu starr, Verlaine zu zart besaitet. Sie träumten von einem juste-milieu, ohne es zu entdecken.

»Weshalb hat Pierre Loti immer nur den einen Ton?«

»Alle seine Romane sind auf die gleiche Note gestimmt.«

»Nur eine Saite auf der Leier«, schloß Bouvard.

»Aber André Laurie gibt auch nicht das Rechte, jedes Jahr schleppt er uns anderswohin, und er verwechselt Literatur mit Geographie. Was taugt, ist einzig sein Stil. Was aber Henri de Régnier anlangt, so ist er ein Schwindler, oder er gehört ins Narrenhaus, keine andere Wahl.«

»Kommst du mal da heraus, mein Alter«, sagte Bouvard, »dann ist es dir gelungen, die moderne Literatur aus einer verfluchten Sackgasse herauszuziehen.«

»Nur keine Gewalt«, sagte Pécuchet, als milder Herrscher, »sie haben es vielleicht in sich, diese jungen Pferde! Werfen wir ihnen die Zügel über den Nacken! Zu fürchten wäre nur, daß sie, derart angeschmiert, über das Ziel hinausschießen, aber auch Extravaganz ist ein Beweis für eine reiche Natur.«

»Unterdessen sind aber die Grenzpfähle kaputt«, schrie Pécuchet, und während er mit seinem ewigen Nein das leere Zimmer füllte, wurde er warm: »Und im übrigen können Sie wiederholen, so oft Sie wollen, daß diese ungleich langen Zeilen Verse vorstellen sollen, ich weigere mich, je etwas anderes darin zu sehen als Prosa, und bedeutungslose dazu!«

»Mallarmé hat nicht viel Talent, aber ein brillanter Causeur ist er. Welch ein Jammer, daß ein so hochbegabter Mensch den Verstand verliert, sooft er die Feder in die Hand nimmt.« Sonderbare Krankheit, die sie nicht erklären konnten. Maeterlinck erschüttert, aber durch gar zu nüchterne Mittel, die der Bühne unwürdig sind. Seine Kunst ergreift auf die Art wie ein Kriminalfall. Schauderhaft! Außerdem ist sein Satzbau schändlich.

Sie kritisierten nun höchst geistvoll seine Kunst in Form einer Parodie, indem sie seinen Dialog in einer Konjugation abwandelten: »Ich habe gesagt, die Frau ist eingetreten.« »Du hast gesagt, daß die Frau eingetreten ist.« »Ihr habt gesagt, daß die Frau eingetreten ist.« »Weshalb hat man gesagt, daß die Frau eingetreten ist?«

Pécuchet wollte dieses kleine Stück der »Revue des deux mondes« einsenden, aber es war nach Bouvard klüger, es aufzuheben und in einem Salon à la mode zu verzapfen. Dann würden sie dort mit dem ersten Anhieb entsprechend ihrem Rang gewürdigt. Es einer Zeitschrift zu überlassen, dazu sei später immer noch Zeit. Und die ersten Zeugen dieser Geistestat würden es gedruckt wiedererkennen und sich geschmeichelt fühlen, daß sie es zuerst hatten genießen dürfen.

Trotz seines Geistes schien ihnen Lemaître inkonsequent, respektlos, einerseits gar zu pedantisch, andererseits zu bürgerlich, er wandte zu oft die Palinodie an. Vor allem war sein Stil zu schlaff, als Entschuldigung kam in Betracht, daß es schwer war, zu festgesetzter Frist und so schnell nacheinander zu improvisieren. Was France betrifft, so schreibt er gut, denkt aber schlecht. Im Gegensatz zu ihm steht Bourget, der wohl Tiefe hat, aber das Geheimnis der Form nicht besitzt. Daß kein vollendetes, allseitiges Talent zu finden war, brachte sie zur Verzweiflung.

»Und doch kann es nicht besonders schwer sein, seine Gedanken klar auszudrücken. Aber die Klarheit genügt nicht, man bedarf der Anmut (mit Kraft gepaart), der Lebhaftigkeit, des Aufschwungs, der Logik.« Bouvard fügte noch die Ironie hinzu. Nach Pécuchet war sie nicht unentbehrlich, sie ermüde oft und lenke den Leser zu seinem Nachteil ab. Kurzum, alle Welt schreibt schlecht. Verantwortlich dafür war, nach Bouvard, das übertriebene Haschen nach Originalität, nach Pécuchet der Verfall der Sitten.

»Wir müssen den Mut haben, unsere Schlüsse der Welt zu verheimlichen«, sagte Bouvard, »wir würden als Lästermäuler gelten, würden jedermann erschrecken, niemandem gefallen. Wir wollen doch statt Unruhe lieber Trost bringen. Unsere Originalität wird uns ohnehin genug schaden. Also heißt es, sie verbergen. Man kann über andere Dinge reden als über Literatur.«

Infolgedessen sind wichtige Dinge an der Tagesordnung.

»Wie soll man grüßen? Mit dem ganzen Körper oder bloß mit dem Kopf? Schnell oder langsam – so wie man dasteht oder indem man die Hacken zusammenschlägt – indem man sich nähert oder indem man am Platze bleibt – indem man den unteren Teil des Rückens zurückzieht oder indem man ihn zum Angelpunkt macht?? Sollen die Hände am Körper herabfallen, sollen sie den Hut halten, sollen sie Handschuhe tragen? Soll das Gesicht ernst bleiben oder lächeln während des Grußes? Aber wie nach dem beendeten Gruße seinen Ernst, seine Würde sofort wiedergewinnen?

Auch das Vorstellen ist eine Kunst.

Bei welchem Namen soll man beginnen? Soll man mit der Hand auf die vorzustellende Person hinweisen oder sich ruhig verhalten mit gleichgültiger Miene? Soll man auf dieselbe Art einen jungen Menschen und einen alten grüßen, einen Schlosser und einen Prinzen, einen Schauspieler und einen Akademiker? Das »Ja« tat den Gleichheitsgedanken Pécuchets wohl, beleidigte aber den gesunden Menschenverstand Bouvards.

Wie jedem seinen Titel und Rang geben?

Man sagt einem Baron: »Mein Herr«, ebenso einem Freiherrn, einem Grafen. Aber »Guten Tag, mein Herr Marquis« schien ihnen banal, »Guten Tag, Marquis« aber zu frei, in Anbetracht ihres Alters. Sie beschlossen schließlich zu sagen: »Fürst« und »Euer Durchlaucht«, obgleich der letztere Sprachgebrauch ihnen aufreizend erschien. Als sie an die Hoheiten kamen, gerieten sie in Verwirrung. Bouvard, geschmeichelt von seinen künftigen Beziehungen, erfand tausend Redensarten, in denen diese Anrede unter allen Formen wiederkam, er begleitete sie mit einem zarten lächelnden Erröten, beugte ein wenig sein Haupt und wiegte sich in den Hüften. Aber Pécuchet erklärte, er würde sich hier immer verlieren, würde sich verwickeln oder dem Fürsten ins Gesicht lachen und herausplatzen. Kurz, aus Scheu vor solchen Zwischenfällen verzichteten sie auf den Besuch in den Häusern des Faubourg Saint-Germain. Aber dieser kommt überall hin, nur von außen scheint er eine feste, abgeschlossene Burg ... Übrigens streut man den Titeln in der Hochfinanz noch mehr Weihrauch, und was die Adelsprädikate der Hochstapler betrifft, sind sie nicht zu zählen. Indessen hat man sich nach Pécuchet streng gegen die schwindelhaften Adelsnamen zu betragen und muß Gewicht darauf legen, ihnen das von auch nicht auf den Adressen der Briefe zu geben oder dann, wenn man mit ihren Dienstboten spricht. Bouvard aber war noch skeptischer, er sah darin nicht mehr als nur eine neue Manie, die genauso achtenswert war wie die der alten Geschlechter. Übrigens existierte nach ihrer Ansicht der Adel nicht mehr, seit er seine Privilegien verloren hatte. Der Adel ist klerikal, reaktionär, liest kein Buch, amüsiert sich genau wie die Bourgeoisie. Sie fanden es absurd, dergleichen hoch zu achten. Man konnte mit dem Adel verkehren, da der Verkehr nicht die Verachtung ausschloß. Bouvard erklärte: Wenn sie wissen wollten, welche Gesellschaften man besuchen, in welche Vorstadt man einmal im Jahre schlendern wolle, wie sich ihre Gewohnheiten, ihre Laster gestalten würden, dann müsse man vorerst einen genauen Plan der Pariser Gesellschaft entwerfen. Diese begriff in sich nach seiner Ansicht den Faubourg Saint-Germain, die Finanz, die Hochstapler, die protestantische Gesellschaft, die Theater- und Künstlerkreise und die offizielle und wissenschaftliche Welt. Nach den Begriffen von Pécuchet verbarg der Faubourg hinter einer strengen Außenseite noch das lockere Leben des ancien régime. Jeder Adelige hat zahlreiche Geliebten, ferner eine Ordensschwester, die mit dem Klerus konspiriert. Die Aristokraten sind tapfer, haben Schulden, ruinieren und prügeln die Wucherer, sind unweigerlich Helden auf dem Gebiete der Ehre, sie herrschen durch ihre Eleganz, erfinden die neuen Moden, sind ausgezeichnete Söhne, herablassend zum Volk, hart gegen die Bankiers. Immer den Degen in der Hand, eine Frau hinter sich im Sattel, so träumen sie von der Wiederkehr der Monarchie, sind furchtbar faul, aber nie arrogant gegen anständige Menschen, sie treiben die Verräter in die Flucht, beleidigen die Feiglinge und Schwadroneure und verdienen sich durch eine gewisse ritterliche Art unsere nimmer zu erschütternde Sympathie.

Im Gegensatz hierzu erweckt die ansehnliche, zugeknöpfte Finanzwelt wohl unsere Achtung, aber auch unsere Abneigung. Selbst im tollsten Treiben eines Balles behält der Finanzmann seinen klaren Kopf. Einer seiner zahllosen Kommis erscheint stets, um ihm die letzten Kurse zu bringen, selbst um vier Uhr morgens. Seiner Frau verheimlicht er seine glücklichsten Spekulationen, seine schwersten Verluste. Man weiß nie, ist er ein Potentat oder ein Gauner. Er ist bald das eine, bald das andere, sagt aber nie voraus, was. Trotz seines riesigen Besitzes delogiert er ohne Gnade und Barmherzigkeit den kleinen Mieter, ohne ihm nur ein Quartal zu stunden, es sei denn, daß er ihn zum Spion verwenden oder mit seiner Tochter ein Verhältnis beginnen will. Übrigens fährt er allezeit im Wagen, kleidet sich ohne Geschmack, trägt immer ein Augenglas.

Für die protestantische Gesellschaft empfanden sie nun keine besondere Hinneigung. Sie ist kalt, geziert, gibt nur ihren Armen, besteht ausschließlich aus Pastoren. Das Gotteshaus ähnelt zu sehr dem Wohnhaus, und das Wohnhaus ist trist wie das Gotteshaus. Hier ist immer ein Pastor zu Mittag eingeladen. Die Diener ermahnen ihre Herrschaften, zitieren Bibelverse. Die Protestanten scheuen die Fröhlichkeit, weil sie nichts verheimlichen wollen, und wenn sie mit Katholiken sprechen, lassen sie ihren ewigen Groll durchschimmern über die Zurücknahme des Ediktes von Nantes und über die Bartholomäusnacht.

Die Welt der Künstler ist auch aus einem Guß, aber ganz verschieden von der andern. Jeder Künstler ist ein Spaßvogel, übers Kreuz mit seiner Familie, trägt nie Zylinderhut, spricht sein eigenes Kauderwelsch. Sein Leben besteht darin, den Polizisten Streiche zu spielen, wenn sie ihn holen kommen, oder groteske Verkleidungen für den Maskenball ausfindig zu machen. Nichtsdestoweniger bringen sie oft Meisterwerke hervor, bei den meisten ist sogar der Mißbrauch von Weib und Wein die Ursache ihrer Inspiration, wenn nicht die Ursache ihres Genies. Sie schlafen am Tage, nachts gehen sie spazieren, arbeiten, niemand weiß wann, den Kopf haben sie stolz zurückgebogen, so lassen sie im Winde eine weiche Krawatte flattern, und zwischen den Fingern rollen sie unaufhörlich Zigaretten.

Die Welt des Theaters unterscheidet sich kaum von der letztgenannten. Man macht hier in keiner Weise von den Wohltaten des Familienlebens Gebrauch, man ist phantastisch und unerschöpfbar generös. Die Künstler sind wohl eitel und eifersüchtig, auch neidisch, aber sie erweisen einander doch unaufhörlich Gefälligkeiten, applaudieren, um dem andern zum Erfolg zu helfen, adoptieren Kinder von schwindsüchtigen oder unglücklichen Schauspielerinnen. Man schätzt sie in der Gesellschaft, obgleich sie infolge ihrer mangelhaften Erziehung oft frömmlerisch und abergläubisch sind. Die Mitglieder der Staatstheater nehmen einen eigenen Rang ein; durchaus würdig unserer Verehrung, könnten sie ebensogut bei Tisch neben einem General sitzen oder vor einem Fürsten rangieren, sie tragen in ihrem Busen die Gefühle, deren Ausdruck die Meisterwerke unserer dramatischen Literatur auf den ersten Bühnen wiedergeben. Ihr Gedächtnis ist erstaunlich, ihre Haltung vollendet.

Nun zu den Juden! Ohne sie auf die Proskriptionsliste zu setzen (man muß liberal sein), war es den beiden unausdenkbar, sich mit Juden zusammenzufinden, denn diese hätten alle in ihrer Jugend Augengläser verkauft, nun hatten sie in Paris (mit einer Pietät allerdings, die man unparteiisch anerkennen mußte) ihre eigenen Gebräuche eingeführt, einen unverständlichen Wortschatz, ferner die rituellen Schächter. Alle hatten sie krumme Nasen, außerordentliche Klugheit, eine gemeine Seele, die sich nur nach dem Geldinteresse richtet. Im Gegensatz hierzu sind die Frauen schön, ein bißchen schlaff, aber auch der tiefsten Empfindungen fähig. Wie vielen Katholiken könnten sie zum Muster dienen! Warum konnte man sich von dem Vermögen der Juden nie eine Vorstellung machen, weshalb hielten sie es geheim? Im übrigen bildeten sie eine Art großer geheimer Gesellschaft, gleich den Freimaurern, den Jesuiten. Sie besaßen irgendwo im dunkeln unermeßliche Schätze, waren im Solde der nicht zu fassenden Feinde, nach einem Plane, der schreckensvoll war und mysteriös.

II

Melomanie

Zweirad und Malerei machten ihnen keinen Spaß mehr, so entschlossen sich Bouvard und Pécuchet, ernsthaft sich an die Musik zu machen. Pécuchet gab seine Stimme – als alter Freund der Tradition und der Ordnung und als treuer Anhänger der munteren Lieder – der heiteren Muse und dem »schwarzen Domino«, hingegen war Bouvard, immer revolutionär – man muß es sagen – »ein strammer Wagnerianer«. Um die Wahrheit zu gestehen, kannte er keine einzige Partitur des »Schreihals von Berlin«, wie ihn grauenhafterweise Pécuchet benamste, der stets Patriot und stets Ignorant war. Denn woher sollte er sie kennen? Hier in Frankreich war's unmöglich, das Konservatorium krepiert in der Routine, zwischen Colonne, der hohnlacht, und Lamoureux, der buchstabiert – ebenso unmöglich auch in München, wo sich noch keine Tradition gebildet hat – noch auch in Bayreuth, das von den Snobs unerträglich verseucht ist. Ebenso ist es ein Unsinn, die Partitur auf dem Piano zu spielen, die Illusion der Szene ist unerläßlich, ebenso das versenkte Orchester und die völlige Verdunklung des Saales. Immerhin blieb, um alle Besucher niederzuschmettern, das Vorspiel zu »Parsival« stets geöffnet auf dem Klavierpulte, zwischen den Photographien des Federhalters von César Franck hier und der Photographie von Botticellis »Frühling« dort.

In der Partitur der »Walküre« war »Winterstürme wichen dem Wonnemond« sorgfältig ausgerissen. In dem Verzeichnis der Wagneropern waren auf der ersten Seite »Lohengrin« und »Tannhäuser« mit empörtem Schwung mittels eines roten Stiftes ausgestrichen. »Rienzi« allein fand von allen Jugendopern Gnade. Es zu leugnen, sei doch banal, die Entscheidungsstunde sei gekommen – versuchte listig Bouvard –, die Stunde, eine neue, gegenteilige Ansicht zu inaugurieren. Gounod war direkt lächerlich, Verdi war zum Schreien. Weniger freilich als Erik Satie, wer wagt es zu leugnen? Indessen erscheint doch Beethoven beachtlich in der Art eines Messias. Selbst ein Bouvard konnte, ohne sich zu demütigen, in Bach einen Vorläufer grüßen. Saint-Saëns ist ein Windhund, Massenet formlos – so wiederholte er unaufhörlich gegen Pécuchet, in dessen Augen wiederum Massenet ein Windhund und Saint-Saëns ohne Form war.

»Die Sache ist so, daß der eine uns belehrt, der andere uns bezaubert, ohne uns emporzuheben«, darauf bestand Pécuchet. Für Bouvard waren beide tadelnswert in gleicher Weise. Massenet hatte einige Ideen aufgegriffen, zwar waren sie banal, und auch Ideen hatten ihre Zeit, Saint-Saëns hingegen besaß einigermaßen Stil, wenn auch veralteten. Über Gaston Lemaire waren sie nicht ganz im klaren, aber es kam die Zeit, da sie wortreich Chausson und Chaminade einander gegenüberstellten. Übrigens war es Pécuchet, trotz seiner ästhetischen Bedenken und aus vollem Herzen (jeder Franzose ist ritterlich und gibt den Frauen immer den Vortritt) – mit einem Wort, beide gaben aus Galanterie der Dame Chaminade den ersten Platz unter den Tageskomponisten.

Es war in Bouvard noch mehr das demokratische als das musikalische Element, das ihn hieß, die Musik des Charles Levadé auf die Proskriptionsliste zu setzen, denn war es nicht gleichbedeutend mit einer Reaktion gegen jeden Fortschritt, wenn man sich an Verse der Frau von Girardin klammerte, jetzt im Zeitalter des Dampfes, des allgemeinen Wahlrechtes und des Fahrrades? Übrigens hielt Bouvard an seiner Theorie der »Kunst für die Kunst« fest, er war für das Spiel ohne Nuancen, für den Gesang ohne Schwebungen, weiterhin erklärte er, er könne Levadé nicht singen hören, er sei ihm zu sehr Typus Musketier, zu sehr Spaßmacher, und seine Eleganz sei zu billig im Sinne einer veralteten Sentimentalität.

Aber der eigentliche Zankapfel war Reynaldo Hahn. Dessen Intimität mit Massenet trug ihm unaufhörlich die bittersten Sarkasmen von Seiten Bouvards ein und machte ihn eben dadurch zum leidenschaftlichst erwählten Objekt von Pécuchets Liebe, außerdem hatte er die Eigenschaft, durch seine Vorliebe für Verlaine (die übrigens Bouvard teilte) jenen maßlos zu reizen. »Vertonen Sie Jacques Normand, Sully Prudhomme, den Grafen Borelli! Gott sei Dank, im Land der Troubadoure fehlt es an Dichtern nicht!« fügte der Patriot hinzu. So schwankte Pécuchet zwischen dem deutschen Klange des Wortes Hahn und dem mittelländisch romanischen Klange des Reynaldo. Er wollte ihn hören, mehr aus Haß gegen Wagner, als um ihn zugunsten Verdis freizusprechen, und so schloß er streng, gegen Bouvard gewendet: »Trotz der Bemühungen aller dieser feinen Herren ist unser schönes Frankreich ein Land der Klarheit, die französische Musik wird klar sein oder zugrunde gehen«, und dabei hieb er aus Leibeskräften auf den Tisch.

»Was habt ihr mit den Exzentriks jenseits des Ärmelkanals, was mit den Nebelgeistern jenseits des Rheins zu schaffen? Hört endlich einmal auf, über die Vogesen zu schielen«, fügte er hinzu und sah Bouvard mit ernster Festigkeit und voller Anspielungen an. »Ausgenommen immer die Verteidigung der heimischen Scholle. Mag die ›Walküre‹ in Deutschland gefallen, ich bezweifle es, für französische Ohren bleibt sie die höllischeste aller Martern, die scheußlichste Kakophonie! Bitte nicht zu vergessen, die tiefste Demütigung für unsern nationalen Stolz.

Kann man sich eine Oper vorstellen, in der in so abstoßendem Maße die grauenhaftesten Dissonanzen sich mit der empörendsten Blutschande paaren? Ihre Musik, mein Herr, ist voll von Ungeheuern, und man weiß nichts anderes, als neue zu erfinden. In der Natur, die doch sonst die Mutterquelle aller Einfachheit ist, gefällt euch allein das Grausige. Schreibt nicht Herr Delafosse Musik auf die Fledermäuse, worin die Extravaganz des Komponisten die alte Reputation des Pianisten schädigen wird? Weshalb hat er nicht ein nettes Vögelchen ausgewählt? Melodien auf die Spatzen wären wenigstens pariserisch gewesen. Die Schwalbe verfügt über Leichtigkeit und Anmut, und die Lerche ist etwas so spezifisch Französisches, daß sie Cäsar (angeblich) in gebratenem Zustande an die Helme seiner Soldaten heften ließ. Aber Fledermäuse!!! Den Franzosen wird stets nur Offenheit und Klarheit ergreifen, immer wird er dieses nachtliebende Tier verabscheuen. In den Versen des Herrn von Montesquieu mag's noch hingehen, als die Laune eines blasierten großen Herrn, das kann auch der Strengste ihm nicht verbieten, aber in der Musik!! Wann kommt das Requiem der Känguruhs?« Diesen guten Witz belachte Bouvard. »Gestehen Sie, ich habe Sie zum Lachen gebracht«, sagte Pécuchet (ohne Geckenhaftigkeit, denn das Selbstbewußtsein geistvoller Leute ist zu verzeihen), »schlagen Sie ein, Sie müssen die Waffen strecken!«


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