Paula von Preradović
Südlicher Sommer
Paula von Preradović

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Von letzten Dingen

        Die Stunden

Die Stunden, sie gehen
So kühl durch die Welt.
Sie säen und mähen
Und ackern das Feld.

Sie rufen die Stürme
Und lenken sie ab.
Sie bauen die Türme
Und schaufeln das Grab.

Sie nehmen und geben,
Es gilt ihnen gleich,
Den Tod und das Leben,
Ein Lied und ein Reich. 84

 

                  Ein Lied
  sommerlichen Glückwunsches
    (Zum Feste einer greisen Nonne)

Hörst du die Wachtel schlagen?
Siehst du den Weizen stehn?
Fühlst du in diesen Tagen
Sanft durch der Halme Ragen
Reifende Winde wehn?

Ahnst du des Lebens Gleiten?
Hörst du der Uhren Schlag?
Siehst du die Stunden schreiten
Hin über Wald und Weiten
Stetig zum Jüngsten Tag?

Gott hat gereift die Reben,
Gott hat geweiht die Saat.
Weil du genützt dein Leben,
Wird Er dir Ernte geben,
Der dich erkoren hat.

Winkt Seine Stirn, so regnet
Rieselnde Kraft zur Welt.
Und Seine Hand, sie segnet,
Ob dir auch Sturm begegnet,
Mutter, dein Weizenfeld. 85

 

                  Die Gaben Gottes

Herr, denen, die du liebst, gibst du den Ruhm,
Des Volkes Segen, Purpur um die Lende
Und dieses Lebens buntes Königtum.

Doch liebst du mehr die beiden, deren Hände
Du heiß sich suchen läßt durch alle Zeit
In einer tiefen Sehnsucht ohne Ende.

Und, Vater, deinem meistgeliebten Sohne
Gabst du der Wüsten große Einsamkeit,
Der Vielen Haß und eine Dornenkrone. 86

 

Gott spricht zu der jungen Seele
        In memoriam Wilhelm R.

Arme Seele, junge Seele,
Steh nicht zitternd in der Tiefe!
Komm und raste an den Stufen
Meines Throns, und die zeriss'ne
Stirne senke in die Falten
Meines ewigen Gewands.

Seele, du bist weit gewandert.
Raste, Seele! Deiner Jugend
Dunkle Wirrnis droht dir nimmer.
Keine Schwäche, keine Reue
Fällt dein junges Herz mehr an.

Klein und ferne kreist die Erde,
Klein und ferne kreist das Leben.
Was dich hetzte, was dich jagte,
Was dich trieb ins frühe Sterben,
Wolke ist es, weiße Wolke,
Nun vor deinem Angesicht.

Seele, sieh, ich bin kein Richter,
Seele, sieh, ich bin ein Bruder. 87
Deine jungen Qualen sah ich,
Sah dein Irren und dein Weinen,
Nehm' dich liebend an mein Herz.

Steige höher auf den Stufen,
Knabe du mit deiner Wunde!
Setze dich auf meine Kniee,
Bette dich in meine Arme,
Ruhe sanft an meiner Schulter,
Arme junge Menschenseele,
Dich vom schweren Leben aus! 88

 

                  Geschwister

Sie waren da vom frühsten Kinderjahr.
In ihrem Blick schläft noch ein Widerschein
Von ferner Tage Spiel und Glück und Pein.
Sie einzig wissen noch, wie alles war:

Der Kinderstubentisch im Lampenlicht,
Wenn draußen schon der Winterabend fiel,
Das Puppenzimmer und das Muschelspiel,
Der alten Magd verschollenes Gesicht.

Wie trägt es der, der nicht Geschwister hat,
Daß immer blässer wird die alte Zeit,
Und immer dichter die Vergessenheit,
Und von den Bäumen gleitet Blatt um Blatt? 89

 

                      Greisenlied

Ich weiß nicht mehr, wie deine Stimme war,
Kaum ruf ich deine Züge mir zurück,
Doch weiß ich: braun und herrlich war dein Blick,
Und wie die Morgensonne war dein Haar.

Seit wir uns trennten, eilte Jahr um Jahr,
Vom Fels der Hoffnung bröckelt Glück um Glück,
Die alten Tempel stürzen Stück um Stück,
Die Mittagsschlacht verschlang der Wünsche Schar.

Ich bin zu müde nun für neuen Streit
Und kann die neuen Menschen nicht verstehn.
Zum Grabe wanke ich in Einsamkeit.

Doch vor dem Ende möchte ich dich seh'n,
Blond wie du warst und hold zu unsrer Zeit,
Dich sprechen hören und dann lächelnd gehn. 90

 

              Silvesterlied

Am Glockenturm, da sitzt die Zeit
Und singt ihr Lied verächtlich:
»Wie ist mir euer Torenleid
Und eure Narrenlustbarkeit
So fremd und unbeträchtlich!

Ob euren Särgen lache ich
Und pfeif ob euren Wiegen,
Und keinen Teufel schert es mich,
Seh heut ich den und morgen dich
Im letzten Hemde liegen.

Nur einer ist mein hoher Herr,
Der, so vom Morgendämmern
Bis zu der Sterne Wiederkehr
Mich weiß mit Händen werktagsschwer
Zu Ewigkeit zu hämmern.« 91

 

          An ein totgeborenes Kind

Du wirst nicht spielen im Sonnenschein
Und nie die Sterne sehen.
Dir wird keine Wiege bereitet sein
Und nie wird mit viel Kerzelein
Ein Christbaum dir erstehen.

Dich wird nicht dürsten nach Lieb und Licht
Und nach dem Rausch des Sieges.
Die Straßen wirst du wandern nicht
Mit früh verbittertem Gesicht
Des bösen Niederstieges.

Du warst gerufen und kamst nicht an
Im Lande dieser Erden.
Du hast ihn zeitig abgetan,
Den höchsten Ruhm im Weltenplan,
Ein Mensch, ein Mensch zu werden. 92

 

          Bachkonzert

Alles Böse, alles Schwere,
Alles Grübeln und Gelüste,
Alle Sünde ist durch deinen
Heiligen Atem weggeweht.
O du Weg durch Nacht und Leere,
O du Rufer in der Wüste,
O du großer Stern der Reinen,
Der am hohen Himmel steht!

Unsrer Toten liebe Hände,
Die wir mißten allzu lange,
Seit sie kühl sich von uns lösten,
Liegen still in unsrer Hand;
Und als sonniges Gelände,
Hoch geschaut vom Hügelhange,
Breitet sich den schulderlösten
Blicken das Gelobte Land. 93

 

                    Das Sterbliche
              (Beim Tode der Frau von T.)

Du seist gestorben? Nein. Du liegst und schweigst.
Was soll dir Tod, du Überwinderin?
Du bist schon Stufe, Raum und Anbeginn,
Indes du deine Mutterstirne neigst.

Was soll dir unsrer Trauer Betteltum?
Was sollen dir die Worte dieser Zeit?
Du bist schon blinde, dunkle Ewigkeit,
Wie Erde friedlich und wie Erde stumm.

Doch in uns starb mit diesem Stundenschlag,
Die wir an deiner Sterbekissen Rand
So menschlich reden: Gott und Tod und Tag,

In uns starb weinend eine ganze Zeit,
Starb deine Stube, deine sanfte Hand
Und deine stille Frauenfröhlichkeit. 94

 

                    Krippengebet

Kindlein, du kleines, in der Hirten Stall,
Träumst du vielleicht von vielen tausend Händen,
Die eng gefaltet sich gen Morgen wenden,
Zu grüßen dich im Bethlehemer Tal?

Du Kind, um das die warmen Tiere stehn,
Träumst du von Kirchen, wo dir Lichter glühen?
Träumst du von Klöstern, wo dir Bräute blühen?
Träumst du von denen, die dich suchen gehn?

Für die, so Gott ersehnen, sei ein Gott,
Und sei ein Mensch für die, so Gott nicht fanden,
Doch sei ein reiner Stern in allen Landen,
In allen Herzen und in aller Not!

Gib allen Unfruchtbaren einen Sohn
Und allen, die zu Königen geboren,
Ob sie auch Bettler seien und verloren,
Gib einen hochgesalbten Königsthron! 95

Denen, die frieren, gib die warme Hand,
Nach der im Dunkel blind sie mögen langen,
Und denen, die nach Einsamkeit verlangen,
Gib fern am Mond ein unbebautes Land!

Schick allen Kindern einen Lichterbaum,
Und – lachend Büblein – allen weißen Greisen
Die müd und traurig nach dem Tode reisen,
Gib aus der Kindheit einen hellen Traum! 96

 

                        Die Witwe

Sie geht und geht und kann kein Ende finden.
Sie geht durch ihre leeren, leeren Kammern
Vom frühen Morgen bis zur späten Nacht.
Sie zuckt, wenn vor den Fenstern einer lacht,
Doch schweigt und schweigt. Nur ihre Augen jammern
Und suchen wirr entlang an Wand und Spinden.

Sie harrt und harrt, daß eine Türe ginge
Und Schritte kämen nach des Hauses Innern,
Und weiß nicht recht, warum ein schwarzes Kleid
Die jungen Glieder hüllt seit einer Zeit,
Und weiß es doch in nebelndem Erinnern
Und flieht die Wucht der unverstandnen Dinge.

Sie irrt und irrt von einem Tag zum andern
Und immer sieht sie Blumen vor sich stehen,
Viel Blumen, duftend schwer und sonderbar
Um eines blassen Mannes Totenbahr,
Um Eines Bahre, den sie gern gesehen.
Wer war es nur? – Ach, sie muß wandern, wandern. 97

 

  Das Lied der Neunzigjährigen

Oft treten Gäste bei mir ein,
(Die andern sehn sie nicht)
Sie müssen lang gestorben sein:
Sie kommen schwarz und still herein
Und schaun mir ins Gesicht.

Nicht weiß ich ihre Namen mehr,
Noch, wann ich sie gekannt.
Der gestern kam, ging lang umher
Im Haus, als ob's sein eignes wär',
Und winkte mit der Hand.

Wenn ich nur wüßte, wer es war!
Es macht mir Qual und Gram.
Tot ist mein Vater achtzig Jahr,
Mag sein, daß es mein Vater war,
Der mich besuchen kam.

Und den ich liebte, großer Gott,
Mein Gatte und mein Herr,
Er ist seit dreißig Jahren tot,
Und sein Gesicht, o tiefe Not,
Ich find' es nimmermehr. 98

Urenkel küssen meine Hand
Und Enkel ehren mich.
Die treue Tochter unverwandt
Bereitet Lager und Gewand
Und speist mich sorgentlich.

Doch heut in meiner tiefen Pein
Bei keinem Rat ich fand:
Wer war es, der so stumm wie Stein
In meine Stube schritt herein
Und winkte und entschwand? 99

 

                  Les revenants

Manchmal kommen deine Toten wieder.
Und du siehst sie in den Abendgassen,
Wenn das Großstadtvolk nach Hause geht,
Siehst sie wandern arm und fahl und traurig,
Und ein Kummer wie von Kerkern schaurig
Über ihren grauen Stirnen steht.

Und sie gehen kalt an dir vorüber,
Nicht gesonnen, freundlich dich zu grüßen,
Schauen dich mit trüben Augen an.
Scheinen unterwegs auf weiter Reise,
Eingebannt in fremde Lebenskreise,
Unbekannten Sorgen untertan.

Manchmal im Gewühl der Straßenbahnen
Siehst du ein Gesicht an trüber Scheibe,
Das zuletzt im Sarge du gesehn.
Doch es gleitet weiter in den bleichen
Großstadtabend, stumm und ohne Zeichen,
Deine Sehnsucht will es nicht verstehn. 100

 

  Nach dem Tode

Aller Küsse Rausch,
Aller Lichter Schein,
Alle Glorie wird vergangen sein.

Wie ein alter Traum,
Wie ein schlechtes Kleid
Wird verblassen alle Herrlichkeit.

Daß gerauscht der Wald,
Daß geglänzt das Meer,
Ach, wie ist es lange, lange her!

Daß du mich geküßt
Stumm im Sternenschein,
Wird verschollen und vergessen sein.

 


 


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