Paula von Preradović
Südlicher Sommer
Paula von Preradović

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Junge Klage

  Lied bei Morgengrauen

Die Welt ist ohne Ende,
Die Welt ist ohne Saum,
Aus dämmerndem Gelände,
Da steigen Berg und Baum.

Die Welt ist voll von Wegen,
Die Welt ist voll von Leid.
Ich hab' so sanft gelegen
In tiefer Dunkelheit.

Der Träume Land war linde
Wie Haare einer Frau;
Maria mit dem Kinde
Ging durch das Himmelblau.

lch küßte ihre Hände,
Ja, küßte sie im Traum. –
Die Welt ist ohne Ende,
Die Welt ist ohne Saum. 10

 

              Junge Klage

Ist aller Weg so wirr wie meiner?
Ist alles Blut so rauschend fremd?
Ist auf der Welt noch irgendeiner
So tief zur Einsamkeit verfemt?

Sind aller Menschen junge Jahre
So ziellos und voll Traurigkeit?
Ist keinem seine wunderbare
Gekrönte Jugend schmerzgefeit?

Gehn alle, sehnender Gebärde,
Durch tiefe Wälder ganz allein?
Ist es so schwer auf dieser Erde,
So bitter seltsam, jung zu fein? 11

 

              Gelobtes Land

Unsre Jugend ist ein weites Meer,
Steigen viele Inseln draus empor,
Fliegen viele Vögel drüber her.

Unser Selbst ist wie ein ferner Strand,
Der verschollen aus den Wassern steigt:
Unser Selbst ist ein gelobtes Land.

Rätselhaft und fremd und ferneher
Leuchtet es, und mancher fand es nie.
Habet acht, ihr Schiffer auf dem Meer! 12

 

                  Gebet

Gott der Unauffindbarkeit,
Hartes Holz gib für die Stirn,
Für die Schultern fahlen Zwirn,
Für die Lippen Schweigsamkeit.

Meinem Fuß hinab, hinauf
Einsamkeit und fremdes Land,
Und der heimatmüden Hand
Eines Knotenstockes Knauf! 13

 

                Familie

Muß jedes fürbaß wandern,
Allein in Weh und Wind;
Kann keines je zum andern,
Weil keine Brücken sind.
In seiner dunklen Kammer
Ist jedes ganz allein,
Trägt jedes seinen Jammer
Wie einen Mühlenstein.

Hilft kein's dem andern tragen,
Weil kein's zum andern spricht,
Und wenn sie zitternd fragen,
Verstehen sie sich nicht.
Sie sind verflucht für Sünden
Aus ihrer Väter Zeit.
Gott lass' sie Ruhe finden
In ihrem Sterbekleid! 14

 

                Das Gericht

In grauer Frühe ruft der Hahn:
»Wie hast dein' Jugend du vertan!«

Im schwülen Mittag pocht der Specht:
»Wie brauchtest du dein Leben schlecht!«

In schwerer Nacht der Uhu schreit:
»Du hast verloren deine Zeit!«

Aus allen Winden droht's mich an:
Verloren! Schlecht gebraucht! Vertan! 15

 

Fuga XVI. a 4 voci. J. S. Bach

Alles kommt, wie es muß,
Alles geht, wenn es Zeit.
Beut dem Kommenden Gruß
Und seid abschiedsbereit!

Viele Lieb' wird euch blühn,
Viele Lieb' wird vergehn.
Manches Licht wird euch glühn
Und im Winde verwehn.

Habet Ernst, vieles kommt,
Habet Mut, alles geht;
Ob's euch quält, ob's euch frommt,
Alles reift und verweht.

Ob ihr's gierig ergreift,
Ob in Träumen ihr steht:
Alles keimt, alles reift,
Alles kommt, alles geht. 16

 

                      Beethoven

Du biß gesegnet, jede Stirn zu glätten
Und jede Faust zu öffnen, die sich ballt,
Denn wir sind frei und wandeln ohne Ketten,
Wenn deine Schönheit durch die Häuser hallt.

Wir sind erhöht und stolz und tragen Kronen,
Und uns zu Häupten schwebt ein Baldachin,
Wenn deine dunklen, klingenden Visionen
Durch unsre niedern Bürgerstuben ziehn.

Und in dem Land, das niemand noch gefunden,
Wo unsrer Sehnsucht weiße Tempel stehn,
Dort lässest du für bebende Sekunden
Mit unsern Träumen enggeschmiegt uns gehn.

Und in den Seelen brennen hohe Kerzen,
Und Not und Neid und Niedertracht sind stumm,
Und unsres Alltags tiefverworrne Schmerzen,
Sie werden heiliges Heroentum. 17

 

    An Petar Preradović, den Dichter

                            I.

Großvater, schläfst du tief?
Großvater, komm doch einmal nachts zu mir!
Ich möcht' so gerne deine Hände küssen.
Großvater, ach, was hast du sterben müssen?
Mein ganzes Leben wußt' ich kaum von dir,
Bis heut mein nachgeborner Schmerz dich rief.
Großvater, schläfst du tief?

Was träumst du all die Zeit?
Weißt du von mir in deinem tiefen Grab?
Ich bin ein junges Weib von deinem Blute,
Ich bin wie du, ich singe und ich glute,
Doch bin ich schwach und habe keinen Stab,
Mein Sinn ist wild und meine Straße weit.
Was träumst du all die Zeit?

Großvater, sei nicht tot!
Wir hätten sicherlich uns sehr geliebt.
Willst du zu einem späten Vatersegen
Die Dichterhände nicht aufs Haupt mir legen,
Und meine Augen, braun und ungetrübt,
Willst du nicht sehen, ob dort dein Feuer loht?
Großvater, sei nicht tot! 18

 
                            II.

Ich rufe dich zum andern Mal,
Mein Ahn, laß dich beschwören!
Steh auf, ich rufe schon so lang,
Und du, du sollst mich hören!

Es ist so wenig auf der Welt,
Indes du schliefst, geschehen.
Noch immer weht das Weizenfeld,
Das Gott in seinen Händen hält,
Und durch die Wälder gehen
Die wachen Winde immerdar,
Wie es in deinen Tagen war.
O komme, um zu sehen!

Und eine heiße, junge Frau,
Aus deinem Blut entsprungen,
Sie ging' mit dir durch Feld und Au,
Durch Morgentau und Nebelgrau
Und hielte dich umschlungen. 19

 

                    Feiertage

Immer wieder gehn in Feierkleidern
Wir in dieser Tage Hoffnung ein;
Immer wieder glauben wir daran,
Daß im Lichtglanz hinter festen Türen
Uns ein großes Glück erstehen werde,
Langgesuchtes wieder unser sein.
Und ein torenhaft verlornes Leben
Fänd' im Kerzenglanze ganz sich wieder,
Könnt' im Licht von hellen Feierwochen
Wieder schön und neu begonnen sein.

Ob sie gleich schon oft in Grau zerrannen:
Dieser Tage liebliche Verheißung
Lockt uns immer wieder, immer wieder. 20

 

          Spruch der Glocken

Die Glocken, Glocken läuten so,
Was läuten sie so hell?
– Sei deiner jungen Jugend froh!
Das läuten sie so hell.

Die Glocken, Glocken läuten so,
Was läuten sie so schwer?
– Dein Sarg, der wächst schon irgendwo, –
Das läuten sie so schwer.

Die Glocken, Glocken läuten so,
Sie läuten nah und fern.
Heut bin ich meiner Jugend froh,
Und morgen sterb' ich gern. 23


 


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