Paula von Preradović
Südlicher Sommer
Paula von Preradović

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Der Dichter

        Die beiden Lieder

Es sprach ein Lied zum zweiten:
»Wer ist an Kunst mir gleich?
Ich bin an Herrlichkeiten
Und satten Bildern reich.

Gar dunkle Rätsel stehen
In meinem Wunderbau.
Ich habe weinen sehen
So manche schöne Frau.

Mein Thron ist aufgerichtet
Aus Pergament und Gold,
Und dem, der mich gedichtet,
Ward hoher Preis gezollt.«

Darauf in schlichten Zungen
Das andre Liedchen spricht:
»Mich hat das Volk gesungen,
Mehr Ruhm erfuhr ich nicht.« 62

 

      Die Ungeborenen

In mir sind viele Lieder,
Die gehen dunkle Straßen,
Bis sie ans Licht gelassen
Und ganz voll Leben sind.
Sie irren auf und nieder
Auf meines Blutes Wegen,
Bald schüchtern, bald verwegen,
Bald greisenhaft, bald Kind.

In meinen Nächten stehen
Sie dicht an meinem Bette
In nebelhafter Kette
Von stummer Grausamkeit.
Und ihre Augen sehen
Nach meinen ohne Ende,
Und ihre blassen Hände
Sind voll Vergangenheit.

Aus alten Gräbern steigen
Sie auf im Totenkleide,
Und von verjährtem Leide
Sind ihre Wangen weiß. 63
Sie tanzen einen Reigen
Mit meinen alten Qualen
In einem grünlich fahlen
Und schauerlichen Kreis.

Sie sind so schwer zu tragen.
Wie Pest sind sie im Blute,
Wie eine Gottesrute
Der Rache scharf und blind. –
Bis sie nach vielen Tagen
Durch meines Blutes Gassen
Endlich ans Licht gelassen
Und voll von Leben sind. 64

 

                        Die Worte und der Dichter

Es rufen die Worte empor aus dem grundtiefen Brunnen:
»Hör' zu und hab' acht, der du wandelst und weilst auf der Welt!« –
»Was ruft ihr, ihr Worte, ihr fremden, aus dunkelnder Ferne?
Was habt ihr das Herz mir von irrenden Stimmen durchgellt?« –

»Wir harren, wir warten, wir Worte, des Throns in der Sonne.
Steig' nieder zum Brunnen und hole uns hoch an das Licht!« –
»Wie steige ich nieder? Ihr wohnt doch in Nacht und in Ferne.
Wie heißt ihr? Wem gleicht ihr? In Ewigkeit find' ich euch nicht.« –

»Steig' nieder und suche in Demut und dienender Treue
Und eile, uns achtsam zu heben mit tastendem Lot.
Wir sehnen zu klingen im herzendurchdringenden Liede.
O laß uns nicht leiden im Dunkel den welkenden Tod!« 65

 

      Der vergessene Dichter

Dies nur blieb dir: wundes Schweigen,
Zugepreßtes Lippenpaar.
Andre wachsen, andre steigen,
Aber dir ergraut das Haar.

Königliche, lichte Dinge
Keimten einst dir wundersam,
Doch nun bist du der Geringe,
Dessen Stunde niemals kam.

Lauter Neue, lauter Junge
Drängen in die Sonne vor,
Singen mit berauschter Zunge
Ihr Gedicht zum Licht empor.

Aber dich wird niemand kennen,
Ganz im Dunkel mußt du sein.
Tief verschüttet Feuer brennen,
Und dein Herz stürzt lautlos ein. 66

 

                      Neue Lieder

So süß ist keiner Arbeit heiliges Hämmern
Und keines Kindes holder Herzensschlag,
Und keiner frühen Sehnsucht Morgendämmern
Und keiner Liebe großer Erntetag,

Als nach verlorner Jahre Auf und Nieder
Urplötzlich wissen, wenn ein Abend fällt:
Neu blüht mein Wein, die Quellen rauschen wieder,
Ich bin kein toter Ast am Baum der Welt.

Es werden wieder neue Lieder steigen
Aus tiefen Brunnen, die wir niemals sahn,
Und werden pochen in der Nächte Schweigen
An meine Tür, bis ihnen aufgetan.

Sie werden treten über meine Schwelle
Und werden singen süß im Sternenschein
Mit Stimmen nie gehört und hold und helle
Und werden Blut von meinem Blute sein. 67

 

    Ich bin das Echo Eines nur, der rief

Ich bin das Echo Eines nur, der rief:
Aus Sternenferne trifft mich ein Gebot.
Dem Stimmenchaos, das seit langem schlief,
Muß tief ich lauschen, rings von Welt umdroht.

Ich bin das Werkzeug einer fremden Kraft
Und eines Ewigen bin ich Dienerin.
Das neue Lied, das tastend sich erschafft,
Es stand geschrieben schon seit Anbeginn.

Ich warte bange, deckend Aug und Ohr,
Auf daß nichts Irdisches verwirre sie,
Und aus dem schwebend geisterhaften Chor
Löst sich die nie gehörte Melodie. 68

 

              Schaffensstunde

Wie nenn' ich euch, wie ruf' ich euch,
Ihr Vogelschwärme, Sternenreigen,
Die sich mir meteorengleich
Beim Flackern meiner Kerze zeigen?

Wie fass' ich euch, wie zähm' ich euch,
Wie lock' ich euch an meine Schwelle,
Ihr Boten aus besonntem Reich,
Ihr Trunkenen von ewiger Quelle?

Wo wollt ihr hausen, die ihr kommt
Aus gläsern hellen Geisterwelten?
Weß' ist der Maßstab, der euch frommt
Und die Gesetze, die euch gelten?

Ihr flattert zahm nun um mein Licht,
Die ihr des Werdens Sphärentänze
Vertauscht mit streng gemeß'ner Pflicht
In eines Liedes stiller Grenze. 71


 


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