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Interieur

Auch in der Raumgliederung des Bauernhauses fällt manches auf, was in einer Gegenwartswohnung schon als architektonisches Raffinement oder als »angewandte Kunst« bewertet würde, während es hier ganz selbstverständlich ist.

Von den großen Vierländer Dielen zweigen sich vom Hauptraum, der hoch bis in den Dachstuhl durchgeführt ist, kleinere, niedriger gedeckte Seitenkabinen ab. »Kübbung« heißen sie, es sind außerordentlich anheimelnde, zum Sitzen einladende Kojen mit ihren Bankplätzen um den breiten Tisch und der Breitwand mit dem mehrteiligen Fenster aus lauter kleinen Sprossenstäben bestehend.

In englischen und österreichischen Landhäusern wird, wie wir sahen, die Komposition solcher Räume im Raum mit ihrer nicht zu überbietenden Stimmungswirkung sehr gepflegt.

Die liebevolle Ausbildung einer anderen Hausgegend, die bei uns lange als minderwertig galt, der Giebelräume, hat in guten Bauernhäusern bestechende Beispiele geschaffen. Das, was gegen die langweilige gerade Tugend der vier Wände der guten Stube verächtlich erschien, das Abgeschrägte, Schiefwinklige, sieht man hier besonders und reizvoll ausgenützt. Wieder trieb ein scheinbarer Mangel oder ein störendes Hindernis zur Anregung für originelle Formulierung.

Die Holzkonstruktion des Dachgebälks, die Erkerform des niedrigen Stübchens, die Dachschrägen, die bunt gestrichen und ausgeschnitzt sind, geben eine warm behagliche Kajütenstimmung.

Man ist wieder auf den Geschmack für diese Dinge gekommen. Messel legt die Fremdenzimmer in die Giebel und gewinnt gerade aus den in bourgeoisen Perioden so verpönten Fenstern zwischen dem abgeschrägten Mauerwerk Behaglichkeitsmotive, die in ihrer Art von nicht geringerem Feingefühl zeugen als die Großartigkeitskompositionen seiner Palazzogemächer mit Kassettendecken, Florentiner Türen im Marmorrahmen und Renaissancekaminen erlauchter Kulturen. Die Poesie des Dachgebälks ward auch von Bailli Scott und Voysey, den englischen Künstlern, mit feinem Gefühl neu belebt.

Olbrich hat aus den schrägen Wänden der Mansarde in einer Villa ein kapriziöses Motiv für einen Ruhesitzeinbau gewonnen. Makintosh machte aus dem Raum unter dem Dach einen echten romantischen Tummelplatz für die Kinder.

Und so bewährt sich schließlich hier der Satz von der Wahrheit aus dem Mund der Unmündigen, denn Kinder haben den Boden immer schön gefunden, schöner als die prachtvollste »gute Stube«.


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