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Sylt

Ein Seeadler mit breitgespanntem Flügelschwung überm Meer, – so wirkt das Kartenbild von Sylt. Auf den beiden Schwingen, deren eine gen Süden und deren andere gen Norden sich spannt, schwebt man auf schmalem Raum zwischen zwei Meeren, dem Wattenmeer und der Nordsee.

Über versunkene Städte fährt man auf dem Wattenmeer. Und zur Ebbezeit, wenn das Schiff von Hoyerschleuse dem untergehenden glühenden Sonnenball entgegensteuert, dann breiten sich links und rechts von der schmalen Fahrstraße graugrüne Wasserwiesen, eine amphibische Zwischenwelt, mit seltsam verstricktem Gesträuch, von steigendem, schwebendem Nebelduft umhüllt. Wie eine Fläche aneinandergeballter Schwämme, porig, schwellend, wabernd, feuchtdurchtränkt streckt sich das Land unter dem Himmel, bis die Flut wieder quillend, glucksend herannaht, spielend seinen Saum beleckt und mit ihrem Schwall überwallt, daß nur die Spitzen des Strauchwerks schwankend und zitternd über den Spiegel herausragen …

Auf Sylt blüht die Heide … Ein dickwolliges Vließ, darin der Fuß weich sinkt, überzieht braunlila leuchtend den Körper der Insel. Und wenn man von Westerland aus die Wege nach Norden, Süden und Osten geht, dann kommt man nach kurzer Frist, hat man nur erst die Kolonie der Sommerlogierhäuser in ihrem öden Boardingstil hinter sich, in eine starke und besondere Welt. Vergangenheit spricht eindringlich aus diesen Siedlungen, die breit und flachgelagert sich in den Heideboden betten.

Sie streben nicht in die Höhe, denn hier ist Sturmland, und wer am Meer und im Reich der Winde wohnt, beugt sich ehrfürchtig und demütig vor den Elementen. Sie ducken sich tief und strecken über breite Gelände klammernde Wurzeln. Und eine Sturmhaube ziehen sie sich über: dickgeschichtete Strohdächer, schwärzlichgrau, störrig, wie Igel-Stachelpelz. Und das Backsteingefüge der Wände wird zusammengepackt und wuchtig verkettet durch das Eisenriegelwerk vernietender Anker.

Und in der Handschrift dieses Bauens erkennt der Empfängliche nun Züge, die ihn ganz nahe berühren und beispielhafte Anschauungen geben. Alles ist an diesen Häusern aus der Notwendigkeit geboren. Klima, Bodenbeschaffenheit, das heimatliche Material haben die Bedingungen diktiert. Reine Nutz- und Trutzbauten sind es, aber es gelang ihnen, Nutzfaktoren gleichzeitig anmutig und schmuckhaft ihre Dienste verrichten zu lassen, so daß wieder einmal Nöte zu Tugenden und Schönheiten, daß Utensilien zu natürlichen, organisch sinnvollen Ornamenten werden.

Jene eisernen Klammerglieder erhalten die Form von Zahlen und Buchstaben, und sie beleben nun die von der Luft getönte Backsteinwand mit der Aufschrift des Gründungsjahres und den verschlungenen Initialen der Familie. Viel Charakter hat diese Schmiede-Eisenschrift. Aus dem achtzehnten Jahrhundert sieht man schweifige Kursiv, von sicherem, bewegungsfrohem Schnörkelzug, in den das Eisen gefügig sich schmiegt.

Eine Schmuckwirkung kommt auch aus den Proportionen und der Flächenlagerung, vor allem aus dem Rhythmus der Dachführung. Ein schmalspitzer Giebel wächst aus der Mitte der Vorderfassade über der Haustür, seitlich senkt sich das Dach, es flacht sich ab und hängt nun als trapezförmiger Umzäunungsrand über den Wirtschaftsgebäuden. Und dies Steigen und Sinken der Dachlinie, dies lebendig in natürlichem Prozeß sich bildende Funktionsprofil ist von hohem Reiz.

Dazu kommt die Belebung durch die Fenster. Farbe bringen sie und Gliederung. Weißes Rahmenwerk und weiße Sprossen und eine sehr glücklich zu der horizontalen Tendenz der Baumasse gefundene quadratische Form machen sie zu hellen, blanken Flächenvignetten, und ein feines Kompositionsgefühl leitet von diesen links- und rechtsseitigen Breitfeldern zur Mitte der Haustür durch zwei beiderseitig angebrachte, rundgeschlitzte Pfeilerfenster, so daß diese Vorderfläche unsern Augen wie eine Schmuckleiste erscheint.

An den Außenseiten wird diese Wirkung noch durch die grünen Laden mit ihren herzförmigen Ausschnitten gesteigert, die koloristische Füllungen der weißen Wand bilden. Die so dankbare, dekorative Wirkung der Fensterladen im Gegensatz zu den öden, jede Fassade zerstörenden Jalousien, hat sich der moderne Landhausbau ja auch im weitesten Umfange zunutze gemacht.

Zu den Häusern gehören noch die Wildgärten mit den aufgeschütteten Steinwällen und dem Windfang der Binsenwände darüber. Das grüne Dickicht uralten Baumgestrüpps verschleiert die tiefliegende Siedelung mit ihren blank durchschimmernden Fensteraugen.

Welch feiner Sinn zweckvoller Erkenntnis und beziehungsvollen, wesentlichen Ausdrucks spricht aus diesen Anlagen. Wie viel von solchem Vermögen ging in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verloren.

Man kann auf Sylter Wanderungen auch lehrreiche Gegenbeispiele finden aus jenen Zeiten des Niedergangs, als man den Blick für das Wesentliche verlor und statt zu bauen klebte, kittete und flickte.

Der echte Friesentypus wird demoralisiert. Die Eisenzahlen der Anker bekommen eine immer flauere verwaschenere Physiognomie, sie nähern sich dem Zeitungsdruck-Buchstaben. Viele Besitzer verachten sie wohl als altmodisch und tünchen ihre Eisenglieder weiß. Statt der Igelpelzmütze kommt ein Zinkblechdach übers Haus, oft bunt gefeldert, das grell zum Himmel schreit. Unpassende Stilanleihen werden gemacht und an dem überputzten Backsteinbau sinnlos die Steilkonturen eines Schlußsteins über den Fenstern aufgemalt.

Falsche Verstädterung verdirbt die Natur, und das Zerrbild ist ähnlich, wie es die holländischen Fischermädchen geben, die auf die ererbte Goldblechhaube einen buntblumigen Sonntagshut setzen.

Die letzte Gegenwart hat sich mit ihren besseren Regungen hier noch nicht betätigt. Nur der Südbahnhof mit seiner hübschen, nach innen gebuchteten Frontlinie, die in der Höhe des ersten Stockes durch eine grüne Holzgalerie lebendig betont wird, hat Material- und Figurreiz.

Voll Anregung ist auch der Blick in die Innenräume der alten Häuser auf Sylt.

In Keitum, in List, im alten Landgasthaus der Sara Pahl sieht man manch gut erhaltenes Interieur und freut sich an der so heimisch bergend zusammengefügten Einheit von Holzdecke und Wand, dem aus dem Raum entwickelten Mobiliar, das nicht hineingestellt, sondern organischer Lebensbestandteil ist. Die Schränke sind reichgegliederte Wandfüllungen, durch ihre weißkurvige Sprossenteilung der Verglasung werden sie Schmuckkästen; die Fensterwand ist mit ihrem breiten Kastenrahmenwerk und der blauweißen Kachelfütterung zwischen den Holzleisten der Fensterausschnitte eine Augenweide. Und diese farbigen Fliesen mit Vögeln drauf oder Schiffsdarstellungen sind wiederum kein bloßer Ausputz, sondern ein Nutzfaktor, der einen schmuckhaften Ausdruck gefunden. Die Kachelwandbekleidung an der Waterkant ist nämlich ein Schutz gegen die Feuchtigkeit. Diese Häuser sind Wetterburgen, die es vollendet erreichen, sich zweckvoll und dabei schmuckhaft einzukleiden.


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