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Hauskulturen

Ein reiches Feld für unsere Betrachtung gibt die Architektur.

Italienische Palazzofassaden haben, mißverstanden angewendet, den großstädtischen Mietshäusern das falsche, unwohnliche und ungemütliche Gepräge gegeben.

Wie »Palastfenster und Flügeltür« sinnlos verpflanzt zum ärgsten Störenfried des »Heims« wird, hat Lichtwark eindringlich gelehrt.

Damit die Außenansicht der Gebäude mit möglichst viel »Fenstern Front« paradiert, werden die Innenräume in ihrer Wand-Ausbildung störend zerrissen. Der parvenuhafte Standpunkt, daß ein »herrschaftliches Zimmer« möglichst viel Fenster haben müsse, erstarb alles. Der Reiz des breiten, mehrfach geteilten Mittelfensters, das links und rechts geräumige Ecken zum Ausbau hergibt und als eine einheitliche Lichtquelle mehr Helle einläßt als die zwei Fenster von der halben Breite, war vollkommen vergessen. Die Wand wurde jetzt durch die mehrfachen Fensterausschnitte so parzelliert, daß lauter kleine unbrauchbare Wandteilchen entstanden. Eckflächen gab es nicht, und die Pfeiler zwischen den Fenstern boten auch wenig Möglichkeit und forderten nur, ebenso wie die kahlen, tapetenausgeklebten Fensterhöhlen, zu einer Vertuschungs- und Bemäntelungspolitik mit Tapezierkünsten, mit Schal- und Portierenbehang heraus. Eine ähnliche Störenfriedrolle übernahmen an den übrigen Wänden die großen doppelflügeligen, aufsatzgekrönten Türen, die oft in lächerlichem Mißverhältnis zu den Dimensionen des Zimmers standen und die durch ihre aufdringliche Platzokkupation eine zusammenhangvolle Raumgliederung mit einem organisch abgestimmten Möbelensemble brutal verhinderten.

Es rächte sich hier, daß man mit willkürlich übernommenen Stilelementen an Aufgaben herantrat, statt aus den Aufgaben selbst, aus ihren Zwecken und Voraussetzungen sich den Stil, d. h. den Ausdruck des Bauens herzuleiten. Die echte Erkenntnis, daß nicht der äußerliche Schmuck, die Dekorierung, ein Haus schön macht, sondern die gelungene Proportion seiner Teile, die Gliederung der Fassade, die ein getreues Abbild der Innenteilung ist, diese Erkenntnis blieb lange verschüttet.

Vom Ausland kam neue Belehrung darüber, aber nicht von den Großstädten, sondern vom Lande, und vom Landhaus.

Und vor allem war es England, das uns zeigte, wie ein Haus und wie ein Möbel auch ohne Ornamente, durch Materialproportion, durch den gelungenen Ausdruck seines Zweckes Schönheit haben und ästhetische Befriedigung erwecken kann.

In der Umgebung Londons läßt sich an einer Fülle von Beispielen das studieren, und in Bild und Wort hat Hermann Muthesius von dieser englischen Landhauskultur Kunde gegeben.

Ihr Reiz ist nicht glatte Regelmäßigkeit, er liegt in der interessanten Physiognomie der unregelmäßigen Fassade. Sie ist nicht mit einer militärisch ausgerichteten Kompagniefront von Fenstern besetzt. Sie bietet große Mauerflächen, in denen die Lichtquellen verschiedenfältig angebracht sind, als Ausbuchtung der Wand, als eine friesartige Kombination von Fenstern in weißer Sprossenteilung. Die Fensteranlagen sind mit ihrer freudigen Holzumrahmung im weißen Putz ein Schmuckstück der Außenwand. Schmuckhaft wirkt das Fenster auch in der Innenwand. Es ist hier nicht, wie wir es leider gewöhnt sind, eine schmale, lange in die Mauer gehauene und mit Glas ausgefüllte Öffnung, die in ihrer Blöße nach Bemäntelung schreit, sondern es ist ein organisch in die Fläche hineinkomponiertes Architekturglied. Seine seitlichen Einfassungsflächen sind nicht mit Tapeten ausgeklebt, sondern mit Holz bekleidet, ein breiter Kastenrahmen faßt es ein und hebt es kräftig aus der Wand heraus. Und seine Glasfüllung ist, um die Monotonie der weiten Fläche zu unterbrechen, mit weißem Sprossenwerk quadriert. In einer Wand von weißem Putz solch Fenster mit breiten, grünen Leisten eingefaßt und darin die weißlackierten Holzvierecke der Scheiben, davor das Blumenbrett, das ist so harmonisch gestimmt, daß diese Wand ohne alle Tapezierkunststücke dekorativ wirkt. Solch Fenster verlangt höchstens noch leichte Scheibengardinen aus grüner oder gelber indischer Seide, nicht eines formalen Schmuckes wegen, sondern aus der Zweckbestimmung der Lichtdämpfung oder des Außenweltabschlusses.

Die Landhausarchitektur strebt vor allem nach der Ausbildung behaglicher Räume. Sie vermeidet das Langweiligkeitsprinzip der ewiggleichen vier Wände, der Zimmer, die nichts als große, rechtwinklige Kästen sind. Sie bringt Abwechslung hinein, sie komponiert Räume im Raum, sie entwickelt den Kaminplatz zu einer niedriger als das Zimmer gedeckten Kabine, sie macht Niveauunterschiede, durch Treppenanlagen, die zu gesonderten und behaglich umzogenen Plätzen führen, und außerdem auch noch kojenbildend wirken.

Diese Räume sind im Gegensatz zur deutschen Wohnung nicht Stapelplätze für mehr oder minder gute Möbel, zwischen denen sich die Bewohner und Besucher zufällig auf verstreut umherstehenden Stühlen gruppieren, sondern sie sind in bewußter Tendenz auf den Komfort des Sitzens angelegt. Vom Menschen aus, von den Forderungen und Bedingungen gepflegteren Lebens sind die Sitzarrangements komponiert: rückengedeckt, mit stimmunggebendem Point de vue – wichtig ist für ruhevolle Wirkung, ins Zimmer hineinzusehen, nicht hinaus – entweder auf die Bücherwand der das Zimmer als Paneel umziehenden halbhohen Regale mit ihrem Gesimsschmuck der Keramiken, Gläser, Bronzen, Kleinplastiken, oder auf den Kamin aus glasierten Kacheln im breiten Kupferband.

Wesentlich in diesen Interieuren und ein wichtiger Faktor der Heimstimmung ist noch, daß die Möbel nie isoliert, nie bloß »hineingestellt« wirken, sie übernehmen immer raumgliedernde Funktionen. Regale bilden, wie eben gesagt wurde, Paneel; Schränke flankieren Sofasitze oder schneiden als Seitenwände Ecken aus dem Raum. In diesem Zusammenhang werden auch die Türen einbezogen. Sie sind mit Ausnahme der einen größeren, als Raumverbindung gedachten, in die Wand schiebbaren Doppeltür, meist klein und nicht zu hoch. Die Tür sitzt ebenso wenig wie das Fenster isoliert in der Wand, sie wird aus ihr entwickelt. Entweder, wenn das Zimmer Holzvertäfelung hat, ist sie ein organischer Teil von ihr und wird von ihrem Gesimsabschluß mit überdacht, oder wenn das Zimmer nur eine Paneelbespannung hat (die langweilige, gleichförmige Behandlung der Wand von der Decke bis zur Diele wird stets vermieden), dann wachsen die Leisten, die die Matten- oder Stoffbekleidung spannen, in organischen Linien in die Türumrahmung über, so daß die ganze Wandfläche aus einem Guß wirkt. Und die Türfüllung, weiß lackiert mit glattem, schöngeführtem Messinggriff oder aus originell gemaserten Hölzern mit geschmiedeter Klinke wird nun ähnlich wie das Fenster statt ein Störenfried, eine Zierde der Wand sein.

Wie Fenster und Türen, so können auch Hausportale ein Schmuck sein. Das Cottage lehrt es gleichfalls. Es verschmäht die für das Palais passenden breiten, pathetischen Haustore. Es legt eine zierliche Pforte (ein geräumiger Wirtschaftseingang existiert natürlich auch noch) an die Seite und bildet sie liebevoll aus. Häufig wird sie als Vorhaus überdacht mit leichtem, luftigem Holzbau, sein Schmuck ist der Sprossendurchbruch der Seitenwände und die farbige Holzbehandlung. Meist ist sie grün und als Hintergrund der grünen Halle liegt dann sehr reizend die weiße Tür. Im oberen Drittel hat sie viereckige Verglasung mit dahintergespannter gelber oder grüner Seide, eine Farbenwirkung mit einfachen Mitteln und dabei von bestechender Delikatesse. Die Wirkung wird noch gesteigert durch die drei Utensilien jeder englischen Tür, das Schild, die Briefkastenklappe, den Klopfer. In Messing oder in Kupfer, glatt oder in wuchtiger Hammerschlagbearbeitung, werden diese Zweckgeräte zu Zierraten. In dieser reifen Kultur bildet man alle Zweckfunktionen künstlerisch zu Geschmacksfinessen aus.

Und der Leitsatz scheint dabei erst die Sache, ihre Bestimmung, ihren Beruf klar zu erfassen und dann daraus die Anregung zu einer möglichst zweckentsprechenden Ausbildung zu finden. Sie wird durch den Eindruck des Stimmenden, richtig Gewachsenen, Brauchbarkeit Verbürgenden stets auch ästhetisch angenehm wirken. –

In Chislehurst, in der Kew-Gegend, wo sich der Märchengarten der Azaleen an der Themse entlang zieht wie eine verwunschene südliche Welt, sieht man ganze Kolonien solcher mit dem höchsten Raffinement der einfachen Mittel erbauten Landhäuser. Voysey und Bailli Scott sind die Führenden dieses dekorativen Sachlichkeitsstils. Aber noch viele andere Baumeister und Gegenden gibt es, die diesen Geist zeigen.

Es ist aber nicht das Landhaus allein, das so neu und anregend für uns ist. In London selbst existiert ein moderner Typus des Mietshauses, das unsere von den Berliner Häusern gemißhandelten Augen begehrlich ansehen. Normann Shaw ist der Vater dieses Typus, der für die bestimmt ist, die dem Eigenhaus nicht wirtschaftlich gewachsen sind und nicht dem Leben in den unindividuellen Pensionen verfallen wollen. Diese Mietshäuser zeigen auch die strenge Absage an alles mit vergangenen toten Stilformen kokettierende Ornament. Sie erzählen mit der reizvollen Unsymmetrie ihrer Fensterreihen der Straße, wie eigen und anheimelnd die Räume zueinander liegen, welche überraschende Kombination durch Erhöhungen und Vertiefungen des Niveaus, durch Treppen, Söller, Galerien möglich sind. Man sieht durch die Wände in diese Interieurs mit breiten, ausgiebigen Wandflächen und tiefen, lauschigen Ecken. Räume sind das, die nicht, wie die gewohnten heimatlichen, jeder dekorativen Ausgestaltung durch die unselig verkehrte Lage der Türen und Fenster, durch die Ofenmonstra unüberwindliche Abneigung entgegensetzen, sondern die an sich schon ein Interieur darstellen, das gar nicht so viel mehr von seinem neuen Herrn verlangt.

Dieser Stil hat viel geleistet. Verblüffend in der Simplizität seiner Einrichtung und reinen Schmuckwirkung ist z. B. ein gemeinnütziges Bildungsinstitut, das Passmore Edwards Settlement. Die Wandbekleidung zweifarbig in einfachem Anstrich, die untere breite Hälfte dunkel, die obere hell; eine breite Holzleiste verbindet die Teile und wächst an der Hauptwand zum Rahmen für die farbig lackierten Kaminkacheln aus und mündet ebenso organisch in die Umrahmung der Türen. Von den weißen Decken hängen an Schnüren unter Kupferschirmen die elektrischen Birnen. Den Kamin flankieren schlichte, niedrige Schränkchen, die durch ihre geschickte Plazierung architektonisch wirken. Dazu die großen, mit bunten Stoffen ausgeschlagenen grünen und roten tiefen Korbstühle. Kurz, man sieht, die Mittel brauchen nicht üppig zu sein, Dispositionsblick und Sinn für die Logik eines Raumes sind die Hauptsache.

Und welche Stimmung dieser Stil haben kann, das zeigt die kleine Landkirche von Kew, die die gleiche Tracht trägt, wie die Häuschen, die sich um sie scharen. Ohne monumentalen Prunk eine schlichte Halle, aber in der Farbe, dem Weiß der Wände, dem gedämpften Grün des Holzes an dem hübsch geschnittenen Gestühl von stiller, sonniger Helligkeit. Der Taufstein stand in Blumen und es war alles so lieblich, kinderfromm, so im Sinne der Schrift »einfältig«. Dies Gotteshaus schien wirklich reinen Herzens.

Hier liegen fruchtbare Anregungen zur Gestaltung von Gotteshäusern in Dörfern und Landhauskolonien, in denen die Diminutivkopien steinerner Kathedralen mißverständlich und wesensunecht wirken.

Benutzt wurden sie von Altherr in seinem Andachtsraum auf der Dresdener Ausstellung. Er verwendet Kachelverkleidung, helles Holz, Kokosmatte, Messing, und dies Profanmaterial wird durch geschickte Disposition, – das Gelb von Holz und Fliesen des Hauptraumes verklingt in dem tiefen Grün der Predigtpultnische, und die schräglaufenden oberen Querwände leiten den Raum voll Sammlung auf jene Nische und ihren gedämpften Frieden, zum Feiertäglichen gesteigert.

siehe Bildunterschrift

Hof eines Hauses von Albert Geßner, Berlin

siehe Bildunterschrift

Eingang eines Hauses von Albert Geßner, Berlin

Manche englische Anregungen, vor allem für Fensterbildungen, hat Geßner für seine Charlottenburger Bauten glücklich verwertet. Seine Häuser in der Mommsen- und Niebuhrstraße mit ihren Blumenhöfen und lebendig ausdrucksvollen Fassaden sind wohl die besten Berliner Mietshäuser. Das neueste in der Bismarckstraße geriet schon wieder viel zu buntschillerig und krankt am deutschen Erbübel des »Zuviel«.


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