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Kunst auf der Straße

Gelungene Beispiele sachlicher Materialästhetik findet man übrigens jetzt auf Schritt und Tritt speziell in den Berliner Straßen. Es sind die modernen Läden, die buchtigen Glashäuser aus Metall und Scheiben.

Man wird sich über ihre Eigenart klarer, wenn man sich einen charakteristischen Laden der Vergangenheit vorstellt. Und wieder, in Parallele mit früheren Ausführungen, findet man, daß dieser Laden, um aufzufallen und sich durch Schmuck hervorzutun, sich kostümierte. Er wollte in erster Linie ein Ausstattungsstück sein, dann erst ein Laden. Er nahm so z. B. die Tracht eines Rathauses an mit heraldisch geziertem Paneel, mit Maßwerk, Zinnen, Türmchen. Das konnte sehr gediegen und echt gearbeitet sein und hatte doch im Zusammenhang mit den Verkaufswaren, die vielleicht aus Pralinées und Petit fours bestanden, etwas Unechtes.

Der moderne Laden schielt nicht nach solchen Nebenbedeutungen. Seine Anlage geht sicher und konsequent von dem Begriff des Ladens aus und versucht, wie wir es bei allen hier erörterten Dingen sahen, seinen Wesens- und Zweckbedingungen einen material-schmuckhaften Ausdruck zu geben.

Das Wesen des Ladens ist Öffentlichkeit. Er soll locken, sich hell und offen der Straße präsentieren. So ergab sich als ideale Form: der Laden als ein großer Schauglaskasten. Weiter kam es nun darauf an, weil allzuweite Glasflächen leicht langweilig und eintönig dreinschauen, eine Gliederung zu finden, die den Raumsinn ergötzt, ohne sachlich zu verwirren und deplaziert zu sein. Statt sich mit dem verglasten Wandausschnitt der Fassade zu begnügen, baute man also eine gläserne Architektur, eine heraus gestellte Breitfläche mit Seitenwänden und einer schrägen Bedachung, alles in blanke Metallbänder gefaßt, die gut zum Glas stimmen. Und dann entwickelte man organische Ensemble-Zusammenhänge. Das Glasdach bekam abgeblendete Oberlichtfunktionen, die inneren Seitenwände der beiden Schaufenster halfen ein zierliches Vestibül für die Eingangstür bilden. Und sie wurde nun mit besonderer Liebe ausgestaltet. Auch aus Glas und Metall, aber die Scheiben der geteilten Fläche bekommen – was auch ein reiner Materialstil ist – Facetten, eine Steigerung des schmuckblanken Eindrucks. Und der Hauptgebrauchsfaktor der Tür, der Griff, wird in großzügiger wuchtiger Linie aus dem breit umschließenden Bandwerk herausgeführt.

Meisterleistungen solcher Inszenierungen aus Holz, Metall und Glas sind die Kodakläden Waltons.

Das Stilgefühl für den organischen Zusammenhang stieß sich daran, solche reinlichen Anlagen in die meist so falsch auffrisierten Wände der Berliner Häuser einzubauen. Daher wurden, wenn nicht eben komplette, einheitliche, in zweckkünstlerischem Geiste erbaute Warenhäuser zur Verfügung stehen, wie sie Messel als erster fand, doch wenigstens die nachbarlichen Wände des Mietshauses mit in die Komposition bezogen. Und als Material erwies sich die moderne Kachel außerordentlich dankbar.

Auch sie wirkt mit ihren natürlich geflossenen Glasuren in reiner Materialschönheit und gibt mit Glas und Metall einen hellen, heiteren Dreiklang.

Ein schönes, freilich jetzt erloschenes, Beispiel war der Laden des Keramikers Mutz in der Potsdamer Straße, bei dem nur die Fläche der wolkig überhauchten Fliesen durch die Einlagen mit figürlichen Darstellungen in ihrer Ausgeglichenheit für mein Gefühl beeinträchtigt und verletzt wurde. Die umrahmende Wand kann auch in gesteigertem Stil mit Granitplatten bekleidet und die Einheitlichkeit der Ladenfassade noch weiter nachdrücklich betont werden durch die Schaukästen , die früher nur äußerlich aufgehängt, jetzt als Wesensbestandteile, vertieft oder eingebaut, in dies Gefüge einbezogen werden. Die Bronze- oder Messingrippen, die als Teilung und wirksam betonte Fassung der Wandbekleidung dienen, wachsen sich dazu in lebendiger Linienenergie zum Rahmenwerk des Firmenschildes aus, das als eine ornamentale Kopfleiste die Fläche oben abschließt. Jeder Nutzfaktor erfüllt hier nicht nur seine Funktion, sondern wird auch gleichzeitig und dabei ganz ungezwungen ausdrucksvoller Akzent und Zierrat dieser auf Gegenseitigkeit und Wechselwirkung berechneten Komposition.

Mannigfache und vielseitige Rolle spielt in solcher zweckästhetischen Tendenz die Beleuchtung . Schaufenster, die Interieur-Illusion geben wollen, bevorzugen die von den Schotten und Wiener Künstlern eingeführten freischwebenden Lichtgehänge, jene festliche Illumination, die den Lampionstil für den geschlossenen Raum eroberte und in die obere Leere des Raums eine helle, heitere Gliederung bringt.

Wirksamer aber ist die heute am meisten beliebte Bühnenoptik, entweder durch abgeblendete Soffitenbeleuchtung der beiden Eckkanten des Vordergrundes, oder durch einen wie ein Schnürboden über der Schaufensterbühne liegenden Lichtkasten, der die Beleuchtungskörper einschließt und ihre Wellen als schwebendes Element in den unteren Raum fluten läßt. Dieser Lichtkasten wird verschieden formuliert; er bildet mit seiner Vorderseite den oberen Teil des Schaufensters, den Abschlußfries der gläsernen Wand. Aus kristallisierten Scheiben sieht man ihn in viereckiger Sprossenfassung von weißem Holz oder Mahagoni, je nach den Umrahmungsleisten der Ladenarchitektur, meistens aber in Metallfassung, auch da vielfältig variiert aus winzigen, schillernden Quadratplättchen zusammengesetzt, auch herausgewölbt, von Metallbändern in Triglyphenstellung oder in geometrisch-hieratischen Makintoshlinien überschnitten oder mit farbiger Musterung aus Tiffanyglas.

Das sind einige Züge aus der Physiognomie der modernen Ladenbühne, die ihre Ausstattungsstücke vom Morgen bis zum Abend und hellerleuchtet auch die Nacht durchspielt und auf der die Regie nicht weniger wichtig ist als in den wirklichen Theatern.

Für den Kulturspaziergänger ist es von immer neuem Werte, nun auch in der Innen-Inszenierung dieser Schaufenster den Geschmacksgrad zu verfolgen und die Formtendenzen zu beobachten.

Entschieden löst sich jetzt auch hier eine neue Welt von der alten los. Und wieder erkennt man hier die beiden Gesichter.

Die alte, im Banne der Renaissance-Nachahmerei, liebte, wie wir schon mehrfach betonten, Attrappe, Mummenschanz und Maskerade. Es kam ihr weniger auf die wesensechte Ausbildung eines Geräts aus den Bedingungen von Zweck und Material, als auf seine Kostümierung und darstellerische Verwertung an. Es sollte vor allem als etwas ganz anderes erscheinen, als seinem Wesen entsprach, und dieser Schein war bei der Formulierung maßgebend; die Zweckgerechtigkeit trat dahinter zurück. Die Einrichtungen der siebziger Jahre, in denen die Möbelstücke wie zu einem altdeutschen Maskenball verputzt waren – Gardinenstangen als Hellebarden, Uhren als Wandteller und Wappenschilder mit gekreuzten Schwertern, Feuerzeuge als Ritterhelme – sind dafür Zeuge. Und die Parallelen zu solcher spielzeugmäßigen Behandlung sah man auch in den Schaufenstern. Die Dinge wurden nicht um ihrer selbst willen dargeboten, sie erschienen nicht in ihrer eigentlichen Wesenheit, sie mimten und agierten Rollen, die ihrer Natur lächerlich fremd waren. Schulbeispiele solchen Mißverstandes sind die berühmten gewundenen Säulen aus Würsten, die Obelisken und Büsten aus Seifen, die Pyramiden aus Flaschen, die Zigarrenkisten-Triumphbogen. Die schlimmste Versündigung beging aber dieser Stil in der Blumenbindung. Auch hier war nicht das Ziel, ein schönes und edles Material in der kostbaren Bescheidenheit seiner Natur darzubieten, in einer koloristisch abgestimmten Alliance, in der mit der Illusion der Freiheit getroffenen Anordnung in Glas oder Vase, vielmehr galt es, aus den Blumen ein Vexierspiel zu machen. Sie wurden nicht gebunden, sondern auf das Prokrustesbett von Drahtformen gezwungen. Sie mußten ein Schiff darstellen, Pfeil und Bogen, Tennis-Rackets, Harfen und Leyer; je künstlicher, desto größer war der Triumph.

Der Kenner der Kulturen könnte in diesen Erscheinungen die letzten späten Rudimente jener Geschmackszeiten erkennen, die, wie es Oscar Bie im Tanzbuch beschreibt, alle Elemente in den Dienst eines Festprogramms stellten, die Wasser, Feuer und Räume zu Figurationen zwangen nicht deren Natur gemäß, sondern der despotischen Laune eines sich nicht hingebenden, kommandierenden Geschmacks.

Eine neue Zeit brach die Tyrannei und lehrte Schönheit in der Hingabe und der Einstimmung mit Wesen und Natur aller Dinge finden. Rousseau war ihr Prophet.

Und ein Rousseauscher Zug ist auch in den Tendenzen unseres Kunstgewerbes, das den Dingen keine Fremdformen aufoktroyieren will, sondern sich in ihre Art versenkt und aus ihr heraus sich die gemäße und entsprechende Form gewissermaßen erhorcht, das eine Freude daran hat, den Charakter jedes Stoffes ehrlich und sichtbar erscheinen zu lassen, statt ihn zu vertuschen oder ihn mit trügerischen Ornamenten zu behängen.

Solchen Zug zum Realen, solche Schaustellung der Dinge in ihrem eigentlichen Wesen, ihren Zusammenhängen mit Leben und Gebrauch können wir auch in der Regie der Schaufensterbühnen feststellen. Es kommt aus solcher »Servierung« eine klug berechnete Reizwirkung und Lockung, der Appetit wird rege und der Besitzwunsch stärker.

Impressionistisch ist diese Arrangierkunst, mit leichter Hand verteilt sie ihre Schätze im Raum. Sie häuft nicht an, sie trifft eine suggestive Auslese, und sie erstrebt vor allem eine gewisse Milieustimmung, sie betont, in welchen Zusammenhang die Dinge gehören und wie sie im wirklichen Gebrauchsleben verwendet, behandelt und vereinigt werden. Modemagazine machen aus ihren Schaufenstern Boudoirs mit Empiremöbeln, zierlichen Stühlen; Figurinen tragen die Toiletten und auf den Tischchen liegt der à la mode Pompadour in biedermeierlicher Perlenstickerei, und an dem schlanken, feingliedrigen Stuhl mit der verschleiften Lehne schmiegt sich der Sonnenschirm mit dem echten Rohr, dem gebogenen Griff aus hellblondem, durchsichtigen Horn, dem breiten Goldring und dem Schildpattknöpfchen am Ende der Stangen.

In den Geschäften, die der Herren-Eleganz dienen, wird gern Reisestimmung erweckt: Bereitsein ist alles. Die vollendeten englischen Toilettetaschen aus hellem Leder liegen halb geöffnet da, die Krawatten, die Necessaires mit Nadeln, Knöpfen, die Stöcke in der japanischen Vase, der Haussmoking aus gesteppter Crêpe-Seide, die Bast-Pyjamas, die weißen Strümpfe für die weißen Schuhe, die lederfarbenen für die braunen Stiefel und die schwarzen, durchbrochenen für den ausgeschnittenen Abendschuh, dann der Jagddreß, das grüne Hemd, die doppelt gewundene Reitkrawatte mit der Hirschhakennadel, der Eschenstock, der Winterschal, aus Seide gestrickt – kurz alles, was der »Gent« braucht, stellt sich hier ein, dem Gesamtkunstwerk zu dienen.

In solcher Auslage kann auch durch Farbenstimmung Suggestion gemacht werden, wenn z. B. in der Gesellschaftssaison ein Fenster eine Black and White-Ausstellung macht und damit eine Lektion gibt, daß der Eveningdreß des wohlangezogenen Mannes keine andern Farben als Schwarz und Weiß aufweisen darf und demgemäß auch nur die Schmucksachen aus Perlen, Perlmutt, Mondsteinen und Platin für Hemden-, Westen- und Manschettenknöpfe legitim sind: das Schaufenster als moralische Bildungsanstalt.

Wie in allen Künsten, spielen auch in der Schaufensterdekoration die Assoziationen eine Rolle. Es kommt darauf an, Begleitvorstellung zu erwecken, die Phantasie zu erregen, daß die toten Dinge ein lebendiges Gesicht bekommen, daß man sinnlich-leibhaftiger ihr »Wo und Wie« fühlt.

So scheint es eine gute Idee, daß Hermann Hoffmann zur Hubertuszeit seinen Schauraum mit Rotröcken – den »Bruch« im Knopfloch – wirklich auf Jagdstimmung inszeniert. Geweihe, mit Tannengirlanden geschmückt, ziehen sich an den Wänden, und darunter hängen altenglische farbige Kupfer, jene Sportbilder vom klassischen »Hunting« und vom Rennen von Epsom, das fliegende Feld hinter den Hunden, der Hürdensturz und die Mailcoach »four in hand« mit den Gentlemen in flaschengrünen, breitschößigen Taillenröcken und dem hohen, spitzen Zylinder, wie es die Mode von 1830 befahl. In pikantem Kontrast dazu steht die Automobilverpackung von heute mit Fellgewand und Mützenvisier, ebenso pikant, wie die Metamorphose der alten Postkutsche mit dem gelben Kutschkasten zum Kraftfahrzeug.

Die gleiche Kompositionstendenz ist es, die in Buch- und Kunstläden – Karl Schnabel gibt ein Beispiel – den Charakter einer Sammler- und Amateurecke herausbringen will. Eine Regalkombination umschließt den Raum als Kulisse und lehrt den Zuschauer, daß die schönste Wand die Bücherwand ist mit ihrer bewegten, gegliederten Felderung der Bücherrücken in ihrer vielseitig abgetönten Koloristik, aus gelbem, goldgeziertem Pergament, aus weichem und tieffarbigem roten und grünen, starkrippigen Maroquin, aus samtigem Wildleder, aus faserigem englischen Leinen, gelb, braun und grau mit schwarzer Handschrift. Ein Coin de Bibliophilie, und zwischen diesen Wänden liegen auf der Grundfläche, wie auf einem Tisch, besonders edle Ausgaben: Grolierbände in Ledermosaik, die kostbaren Umschläge der Wiener Werkstätte, meist Pergament mit Seidenbändern durchzogen, ein aufgeschlagener Morrisdruck, ein Aubray-Beardsley-Bibelot.

Eine Vitrine ostasiatischer Kunst gibt Pächters Schaufenster. Es stellt nicht nur den wertvollen Besitz ins Licht, es macht ihn fruchtbar und trifft in der Vereinigung der Stücke, in ihrer gegenseitigen Einstimmung etwas von jenem japanischen Geschmack, der sich in dem Arrangieren der Blumen in einer Vase ausspricht und in den Drucken mit ihren reservierten, aber immer der suggestivsten Wirkung sicheren Mitteln. Da steht in einer Ecke einer jener Schreine aus Lackholz mit mattgoldenen Ornamenten, ein Reisekasten, wie wir ihn in den Szenen der Sada Yacco sahen, daneben stellt sich ein Wandschirm voll hängenden Blütengezweigs unter den Frühlingshimmel und von rauchig-braunem Goldstaub überhaucht. Und im mächtigen Bronzekübel wächst jene märchenhafte Baumminiature, die Zwergkiefer, in ihren Filigranverästungen, ihrer spitzen, zarten Silhouette, ihrem beweglichen, unerschöpflichen Einfallsreiz der Linie so lockend und schmeichlerisch für das Auge wie der Spieltrieb in den Variationen und Figurationen der durchbrochenen Stichblätter und Schwertzierraten.

Damit kommen wir schon in das Bereich malerischer Stillebenkünste des Schaufensters. Dem Stoff nach scheiden sich ideelle und materielle Bühnen.

Derb niederländisch prangen und prahlen die Läden: »Au bonheur des Gourmets«. Manets »Spargelbündel«, vom Licht überwallt, gelbgrünlich spielend, vereinigen sich mit den glühenden Tomaten, den pomo d'oro, und den kraqueléfurchigen Ananas mit ihrem stolzragenden Urwald-Indianer-Hauptschmuck; Fasanengefieder schimmert, der blaßhelle Teint der Salade romaine-Köpfe und der Stauden des englischen Bleichselleries leuchtet auf zwischen mattrosa Crevettes und purpurnen Hummern. Und was man in der Großstadt nur hinter den Scheiben sieht, das kann man in der Sylter Strandhalle von Beyer als ein wirkliches Freiluft-Stilleben zwischen den Dünen und dem Meere schauen.

Neben Frucht- und Fleischstücken die Blumenstücke. Die Blume an sich soll hier wirken, das schöne Material soll sich darbieten in Schalen, Vasen oder den so schnell beliebt gewordenen japanischen Körben, und die Regie betätigt sich vor allem in dem Arrangement auf Farbe.

Japonneries d'automne spielten diese Blumenbühnen in den Oktober- und Novembertagen. Die koloristischen Akkorde eines rauschenden Chrysanthemumfestes erklingen.

Jene stolzen Blumenhäupter, die der Japaner so anschauungsvoll benennt als Löwenmähne, Kranichflug, Schneelawine, Goldball, Herbstmond, kämpfende Wellen, grüne Kiefernadeln, kaiserliche Goldbrokatfahne, sie erscheinen zu einem farbenstrotzenden bal des têtes.

Man sieht jene japanischen Köpfe, die ihre langen Blütenblätter zum Lockengekräusel ringeln, rundwirblig, eine Titusfrisur, und die indischen, die ihre Haare lang, wehend, zausig nach außen hängen lassen. Wie leidenschaftzerwühlt sind manche dieser Blumenköpfe und andere wieder kapriziös gewellt, tuffartig geschichtet, gleich den Aubray-Beardsleyschen Rokokotoupés zu Popes »Lockenraub«.

Aus voller, dichter Schale des Blütenkelches schweben bei manchen Chrysanthemen lange, dünngliedrige, zittrige Fäden, wie Trauerweiden-Haargezweig, und bei der sehr nuancierten »Lilli Love« wirkt das Gehänge wie die Rieselstrahlen einer Fontäne.

Dann gibt es stilisierte Sonnenscheiben, Maiskolbenformationen, zackige Strahlenbündelbüsche, an Tiefseegebilde aus Haeckels »Kunstformen der Natur« erinnernd. Und ihnen verwandt sind auch jene Spielarten mit Seesternmotiven und den zarten, krepon-kräuseligen Blütenblättern, wie sie die Verästungen der Liliputbäume in den Wundergärten des Meeresgrundes zeigen.

Farbensinfonien wogen. Die vollen Kelche werden von Übergangstönen überflutet. In changierenden Schein getaucht stehen sie da, mattrosa, und safrangelber Hauch überschauert sie, ähnlich den Tönungen zartester Wolkensäume in den frühen, sich lösenden Morgendämmerungen.

Und Stimmungen des Meerleuchtens voll Perlmutterglanz gehen auf: Purpurviolett, klingendes Kanariengelb, Rosalila schattet sich ab in delikaten Variationen; Edelstein und Emailglanz kommt mit Granat- und Amaranth-Tönen und ein heraldisch Panier, so prangt das rotgelb geflammte Chrysanthemum, die japanische Goldbrokatfahne.

Und andere Blumen stehen und sehen dich an. Aus prächtigen Glasvasen wachsen an breitstämmigem Schaft Callas auf mit ihren üppig-wölbigen Kelchen gleich den Mündungen der Tuba.

Und Gladiolen mit schmalen, sichelförmigen Blättern und den kletternden Sprossen violetter und roter Blüten. Feierlich wie Kerzenkandelaber ragen die hohen Stengel der Amaryllis, aber ihre Glocken sind zart abgetönt wie zärtliche Chiffonvolants.

siehe Bildunterschrift

Fahrkartenkiosk von Prof. Alfred Grenander

siehe Bildunterschrift

Fahrkartenkiosk von Prof. Alfred Grenander

Und dann unserer Laune Lieblingskinder, die Orchideen, die fleurs du mal von verruchter Schönheit, pantherfleckig, braun und gelb, mit lüsternen Fangarmen; mattlila von ersterbendem Hauch; isabellenfarben mit den gekräuselten Venuslippen der »bijoux indiscrets«; die priapisch strotzenden Anturien und über diesem paradis artificiel auffliegend ein Schwarm gelber und milchweißer, blaugeäderter Schmetterlinge, jene Miniaturorchideen, die Oncidien, die an baumartig verzweigten Rispen sitzen, schwank und schwebig …

 

Beispiel und Gegenbeispiel liegt auf unseren Straßen dicht nebeneinander. Am Wittenberg-Platz sieht man den Kiosk der Hochbahn von Grenander. Kein Attrappenstil, sondern Naturstil: eine lebendige Kombination von Kacheln, einem seine Funktionen klar und anmutig aussprechenden Eisengerüst und verglasten Fenstern, ein erfreulicher Eindruck von l'art dans la rue. Nicht weit davon steht aber als abschreckendes Gespenst das Scheinwesen der romanischen Halle. Sie ist dazu bestimmt, die berühmte »romanische Ecke« am Kurfürstendamm »glücklich zu ergänzen«. Wir haben dort um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gruppiert das alte romanische Haus, das mit seinen tief hinter Säulen-Loggien liegenden Fenstern ein Hohn auf das nördliche Klima ist, dann das jüngere, das manch reizvolle Details an Steinmetzvignettenkunst aufweist, aber seinen ganzen stolzen Charakter dadurch verneint, daß es im Untergeschoß Warenläden aufnehmen muß. Wenn im Süden, in Genua, Florenz, Venedig alte, verwitterte Paläste mit dem Wappenstein über dem Tor zu Fremdenkarawansereien geworden, so sieht man darin Vergänglichkeitsbedeutung. Man kann davon nachdenklich berührt werden, wenn man abends, bei der Ankunft in seinem Zimmer, auf den Koffer wartend, in die hohen, tiefgebauten Fensternischen tritt, in denen eine Sassetti oder eine Tornabuoni als »Frau im Fenster« stand. Natürliche Prozesse, vor denen sich der Betrachter beugt, haben sich in solchen Wandlungen und Niedergängen vollzogen.

Aber in einer modernen Stadt neu eine alte Stil-Architektur aufzuführen von größtem Anspruch und ihr dann sofort durch die dazu ganz unpassende Ladenausnutzung einen Seelenknax anzutun, das wirkt nur schief. Am schiefsten in diesem romanischen Trio geriet aber nun das jüngste Glied, die Halle. Sie ist auf dem Gelände des Zoologischen Gartens gebaut und kommt von vornherein mit der lustigen, für die scheckige Welt dieses Garten-Edens voll mancherlei Kreatur recht amüsabel erfundenen japanisch-indischen Festwiesen-Architektur in Zwiespalt.

Vor allem aber in Zwiespalt mit sich selbst. Denn die Innenräume sind große, aus Glas und Eisen gefügte Hallen, rein technische Konstruktionen, und die romanische Fassade mit kurzstämmigen Säulenordnungen, Löwen und Adlern ist unorganisch als eine Maskeraden-Atrappe nur vorgeklebt. Und sie kann – wenn man sie schon einmal für sich ansieht – nicht einmal als » schöne Maske« gelten, weil die für diesen Stil nötige Schmuckphantasie ausgeblieben ist. Von verzweifelter Nüchternheit sind die Fensterbehandlungen, hellgrün und weißes Eis-Glas, wie es für Hinterkorridore von Hotels gebräuchlich ist. Seiten- und Vorderfassade haben keinen logisch-natürlichen Zusammenhang. Und komisch wirkte es, als zwischen den steifen hieratischen Löwen das Banner der Automobilausstellung hing.


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