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Materialästhetik

Unsere Ausführungen zeigten, daß für die angewandte Kunst der Begriff des Dekors oder des Schmucks hauptsächlich im Betonen des Charakteristischen liegt, darin, jedem Dinge den sichtlichen Ausdruck seines Wesens und seiner Eigenschaften zu gewinnen, also das, was Goethe in der Dichtkunst die »innere Form« nannte.

Zum Ausdruck des Wesens und der Eigenschaften gesellt sich als nicht weniger wichtig der Ausdruck des Stoffes , aus dem ein Ding gebildet. Daß dieser Stoff sich echt und unverfälscht bekennt, ist gar nicht so selbstverständlich; die Zeit der Surrogate, da es nicht darauf ankam, woraus etwas war, sondern wonach es aussah, scheint noch nicht überwunden. Derselbe böse Geist regiert dies Scheinwesen, der, wie wir am Anfang des vorigen Kapitels sahen, die Dinge nicht in der Bescheidenheit ihrer natürlichen Bestimmung beläßt, sondern ihnen schiefe, doppeldeutige Mummenschanzrollen aufzwingt.

Die gesunden Tendenzen unserer Bewegung streben aber sicher und bewußt nach dem, was man den Materialstil nennen könnte, Wiedererweckung des ästhetischen Sinnes für das Schöne eines Materials in seinem natürlichen oder, was durchaus legitim, durch organische Mittel gesteigerten Charakter.

Wiedererwecken sagte ich, denn in vergangenen Kulturen gab es diesen Materialsinn wohl. Seine Vorbilder sieht man jetzt, nach den Zeiten geistesarmen Kopierens, mit geistig lebendigeren Blicken an, mit einer schwingenden Empfänglichkeit, jetzt entdeckt man sich die Lehren, die solche Dokumente guter Zeiten geben. Ihre Vorbildlichkeit beruht in der Art, wie sie ihre Aufgabe wesensecht anfassen, wie sie alle Materialien rein ihre Sprache reden lassen und wie sie Takt und Gefühl für Proportion und schöpferisches Wachsen aller Teile haben.

Ein instruktives Schauspiel solcher Art bot eine retrospektive Abteilung der Dresdener Ausstellung von 1906 dar. Was diese Abteilung zeigen wollte, deutete ihr Name an, sie hieß »Techniken«, das sollte sagen, daß diese Stücke hier nicht wegen ihrer Seltenheit, Kostbarkeit und Merkwürdigkeit gezeigt wurden, sondern vor allem in der Absicht, musterhafte materialgerechte Lösungen vorzuführen, die das Verhältnis von Stoff und Form in höchster Vollendung illustrieren, also jenes Stilgesetz, das heute wieder unsere Arbeit leiten soll. Möglichst vielseitig wurden die Materialien gewählt, um möglichst vielseitige Techniken zum Wort kommen zu lassen: Holz, Elfenbein, Bronze, Eisen, Messing, Kupfer, Zinn, Silber und Gold, Keramik, Glas, Email.

Und bei allen diesen Arbeiten erkannte man, wie sinnende Werkleute sich in die Eigenart jedes Stoffes vertieft haben, wie sie seinen Charakter studierten, in sein innerstes Leben eindrangen, ihm seine Rätsel und sein Wesen abfragten.

Sie lauschten gewissermaßen ihm ab, nach welcher Form er verlangt, und ließen sich empfänglich von seinen Tendenzen leiten. Der Künstler ward zum Erfüller des im Stoff liegenden Willens, wie im Märchen das erlösende Wort die Schönheit aus der Erstarrung der umgebenden Schale springen läßt.

Was in der Bildnerei für die, »die geschaffen sind, Statuen zu machen«, letztes Ziel wird, im Stein die verborgen schlummernde Gestalt zu ahnen und ans Licht zu locken, der Traum Rodins und Klingers, der in einer antiken Tempelstufe seine armlose Amphitrite ersah, das begibt sich als bescheidenere Empfängnis und Offenbarung in den frommen Kleinmeister-Werkstätten früherer Jahrhunderte.

Was van de Velde immer betont, »die Kraft und das Leben der organischen Linie«, sieht man besonders deutlich in den alten Schmiedeeisen-Werken. Diese Türklopfer, Griffe und Gittergeflechte wirken nicht gemacht, sondern erwachsen. Wie sich aus den Grundplatten die Glieder herausstrecken, ihre Richtung nehmen, auf- und abschwellen, auslaufend zur Ruhe kommen; wie sich im Gitter die Maschen verkreuzen, durchwinden, im geschmeidigen Schlangenspiel verknoten, immer wieder ungezwungen, graziös aus der Umschlingung lösen, um sich weiter zu ringeln; wie jede Führung, jede Linie sich auslebt, zur höchsten Kraftentfaltung sich steigert und ihre Energiespannung dann allmählich löst, um eratmend im ganzen wieder aufzugehen, in ihr All zurückzukehren – das sind für das empfängliche Auge organische Betätigungen von reiner Schönheit, wahrhaft lebendige Erlebnisse. So die verschiedenen Materialien in ihren eigensten Existenzregungen zu betrachten, hat etwas Jenseitiges fast: tote Dinge, seelenlose Stoffe werden wach und drängen sich mit gewaltiger Gegenwart auf, und hinter der Pforte, über der das schlichte Wort Techniken steht, öffnet sich ein Märchenreich voll Wirklichkeitswundern.

Der erkenntnisvoll vertiefte Sinn für das Material spielt nun auch eine große Rolle in unserem Kunstgewerbe.

Wenn man von ihm spricht, dann denkt man vor allem an die reiche und vielseitige Kultur des Holzes .

Statt der plastischen, bildreichen Schnitz-Ornamentierung von Holzflächen, die schließlich etwas Sekundäres ist, entspricht uns heut mehr der reinere, naturgemäßere Holzstil, der sich in der Materialwirkung, in der Intarsia-Mischung verschiedener Hölzer oder in dem Maserungsspiel gewählter Schnitte ausspricht.

Die Freude an solcher Runen- und Ornamentschrift der Natur ist für unsere Geschmacksrichtung besonders charakteristisch.

Es gibt ein reiches Repertoire solcher Holzmusterungen. Sie werden mit farbigen Beizen behandelt, die ihre Eigenschaften nicht übertünchend verfälschen, sondern sie ausdrucksvoll betonen, ihnen eine Art »Multiplication de l'individualité« verleihen. Mannigfache Temperamente finden sich. Weiche, kosige Nuancen hat das silbergraue Ahorn; zu einem delikaten Capriccio wird die Weise der tupfigen Vogelaugenspielart. Eiche und Erle zeigen markige Keilschrift. Sehr pikant ist die Zypressenfläche. Sie reagiert eigener auf die Beize als manche andere Hölzer. Die eigentliche Maserungsfaser nimmt nämlich die Beize nicht an. Sie bleibt also in ihren natürlichen Farben, je nach dem Alter gelb bis zum schildpattartigen Braun im graugrün gebeizten Untergrund stehen und zeichnet darin labyrinthische Charaktere, Tooropsche Linienphantasien.

Ein derb-lustiges Holz, buntgesprenkelt, für kräftig rustikale Wirkung ist Zirbel, hell mit unregelmäßigen braunen, wie eingebrannten Augenflecken. Blockhaus- und Jägerstimmung hat dies Material. Und die Süddeutschen Pankok, Riemerschmied, verwenden es gern.

Neu entdeckt wurde die koloristische Kraft der Birke mit ihrem leuchtenden, hellgelben, züngelnden Flammenspiel, und noch üppiger gleist und glänzt die schwedische Birke, die in ihrem silbrigen Moireegeäder an Onyxstruktur erinnert. Das Musikzimmer Stoevings bei Wertheim zeigte dies kostbare Material in richtigem Lichte.

Die Freude am Holz in seiner natürlichen Materialschönheit wurde froh und kräftig auf der Pariser Weltausstellung durch ein Jagdzimmer der Münchener Werkstätten verkündet. Das Paneel, ohne Schnitzerei, ohne alle sekundäre Zutat war ein tafelförmig gegliedertes Rahmenwerk, und in jedem Viereck saß als Füllung eine lebhaft gemusterte Holzplatte.

Das war für diesen Raum sehr glücklich gefunden. Eine Waldstimmung kam von diesen Wänden, eine Atmosphäre des Baumschlags, man blickte darauf mit ähnlicher Freude, wie man im Forst die aufgeschichteten »Meter« der Baumstämme sieht, die auch mit ihrer Fassade aus wechselnden gefleckten und geäugten Schnittflächen ein Beispiel von Materialästhetik geben.

Ähnlich verfuhr Riemerschmied bei dem Paneel eines der kleineren Zimmer im Trarbachhaus. Er teilte die Holzverkleidung durch vertikale Leisten, und diese fassen in ihren Zwischenräumen als naturalistische Zierrate, Rundschnitte mit dem Spiel der Baumringe.

Die Freude am Holz als einem von der Hand der Natur dekorierten Stoff erkennt man übrigens nicht nur an den Möbeln, auch am Spazierstock zeigt sie sich. Während die Zeiten des üppigen Ausschmückens die kostbaren Krücken und Knöpfe bevorzugten, und das Rohr daran, wenn es auch wertvoll war, nur als Träger der luxuriösen Objets d'art diente, ist heute trotz neu erwachter Vorliebe für den royalistischen Goldknopfstock des dix-huitième siècle der Stock aus interessant gemustertem Holze die Hauptsache, und der geflochtene Ring, der Gold- oder Silberbeschlag, der gern wie die Sockelfassungen der Wiener Möbel durch einen Ausschnitt das Holz hindurchschimmern läßt, ist, sei er auch noch so hochwertig, nur ein akzentuierendes Mittel.

Steigerung der Holzwirkung sucht man durch Mischen verschiedener Sorten. Die Intarsia ward neu belebt. Aber nicht darstellerisch bildlich. Sie soll nicht sekundären Zwecken dienen, sondern auch wieder möglichst materialgerecht wirken. Einfach geometrische Muster, Quadrate, Schachbrettmotive, der Queen Anne-Rosenholzstab, Kreise, Karos, nimmt man oder man wählt z. B. als Mittelfüllung einer Tischplatte ein besonders apart gezeichnetes Holzstück, wie Olbrichs Tisch in einer Darmstädter Interieur-Ausstellung bei Keller und Reiner zeigte, mit einer Platte aus Wurzelmahagoni von einer irisierenden Fülle des Geäders.

Neben der Intarsia erscheint als ein anderer Materialdekor die Technik des Ausschneidens und farbigen Hinterlegens. Die Makintosh und die Wiener lieben sie, und Riemerschmied wandte sie im Trarbachhaus an; auch hier sind die Formen meist einfach, Vierecke und Ellipsen, und es kommt alles darauf an, die unterlegte Füllung in der Farbe gut zu der rahmenden Fläche zu stimmen.

Die materialästhetischen Tendenzen erzeugten neue, ihren Absichten dienende Techniken. Das Xylektypon gehört hierher. Eine gewisse Übersteigerung des durch Beizen gewonnenen Maserungsbildes stellt es dar. Was hier nur malerisch sich ausspricht, wird dort zum Relief gezüchtet. Mittels eines Sandstrahlgebläses wird das Holz um die Maserungsfasern entfernt, so daß nur ihre Spiralen und verstrickten Windungen plastisch in dem Grund stehen bleiben. Berlepsch verwendete Xylektypon gern als Füllung für Schränke.

Etwas Forciertes hat diese Technik für mich, sie protzt mir etwas zu aufdringlich mit ihrem Naturalismus. Aussichtsvoller erscheint mir ein anderes neues Verfahren, dem ganzen Baumstamm, nachdem seine Säfte ausgepumpt sind, mit Farbstoff einen neuen Blutumlauf aufzufüllen, der sich nun organisch in einem natürlichen Prozesse dem Holz mitteilt. Doch ist diese Technik noch vervollkommnungsbedürftig. Die ersten Versuche waren vor einigen Jahren in dem Björkzimmer des Werkringes auf der Großen Ausstellung zur Schau.

 

Wie das Holz, so wird auch Metall gern auf den reinen Materialreiz behandelt. Neben dem Silber bevorzugt man Eisen, Kupfer, Messing.

Man liebt es nicht, die Wandungen der Geräte als einen Grund für die Darstellungen bildnerischer Szenen in Gravier- oder Treibarbeit zu benutzen, wie die Soleil-Kulturen den Olymp zu bemühen, und jeden Leuchter, jede Schale zu einer Allegorie, einer Elegie, einem Gefühls-Emblem zu stilisieren.

An jenen Stücken empfindet der Liebhaber wohl den melancholischen Reiz des »Echo du temps passé« und die schmeichelnde Phantasieanregung, aber heut in dieser Formensprache zu reden, wäre geziert und sinnlos, weil sie nicht mehr wie in jenen Soleilzeiten, die kulturelle Einheitssprache ist.

Heut gilt die Bescheidenheit der Natur.

Es gilt statt solcher sekundären Wirkungen die unmittelbaren Reize des Stoffes selbst zur Darstellung zu bringen. Das geschieht teils durch die Bildung großer, schöngewölbter Flächen, z. B. bei holländischen Teekesseln, die durch die Linie ihres Körpers und die organisch gewachsenen Gliedmaßen des Henkels und des Ausgusses bestechen, teils durch Figur und Linie wie bei manchen Geräten der Wiener Werkstätten. Da ist ein viereckiges, längliches Tablett aus glattem Silber, aus seinen Seitenwänden wächst der Henkel in einem wundervollen Bogen auf. Er überwölbt in mattem Silberglanz das bunte Stilleben der Früchte. An diesen Gefäßen entzückt das rhythmische Reifenspiel der schlanken Linien.

Weiter gehört hierher die Behandlung mit Hammerschlag. Solche Hämmerung erzeugt vollendete Materialschönheit. Die Metallfläche empfängt in ihr eine bewegte, vibrierende, lebendige Struktur. Man fühlt ihre Streckungen, von Nerven scheint sie durchzogen gleich einer Haut, kein toter Punkt ist an ihr. Und dazu kommt ein ihr Leben steigerndes Lichter- und Schattenspiel, das über die Facetten streicht. Meister solcher Hämmerungskünste in allen Tonarten, zart hauchig bis zum Wuchtigen, sind die englischen Guilds.

Die Cymbric-Silbergefäße geben ein Beispiel für die leise Behandlung, ihre Flächen sind so nuanciert, fast nur gestreift vom Hammerschlag, sie wirken, als vibrierten sie unter karessanten Fingerspitzen. Und als Gegensatz Ashbees Kaminhelm und die Kufen für Schirme und Stöcke mit ihrer wuchtigen, furchigen Narbenmusterung voll Energie und Ausdruck.

Bei Ashbees Schalen und Kelchen finden sich – die Wiener Gefäße nahmen das gleichfalls auf – oft farbige Halbedelsteine verwendet. Manchmal beschreiben sie auf einer Fußplatte einen leuchtenden Kranz, manchmal dient auch ein solcher Stein als Knopf des Deckels. Das könnte beim ersten Anblick nach Luxusdekoration aussehen. Aber: an die Wertsteigerung ist dabei sicher am wenigsten gedacht, die Steine sind vielmehr auch nur dienende Glieder in der Komposition. Sie dienen als Erhöhungspointen der Materialschönheit. Ihre Koloristik klingt zusammen mit dem schimmernden Metallton, diese Steine sind gewissermaßen die belebenden Augen des silbernen Körpers.

In der Innenarchitektur bekommt das Metall heut eine besondere Bedeutung in der Verwendung als Heizverkleidung in Gitter- oder Gehängeform. Wie solch mattschimmerndes Metallgitter im flammigen Birkenholzpaneel eine erlesene, rein durch Metallreize bewirkte Schönheit hat, sieht man jetzt in dem von Grenander komponierten Lesesaal des Kunstgewerbe-Museums zu Berlin.

 

In diesem Zusammenhang ist eines deutschen Metallkünstlers zu denken, des Goldschmieds Emil Lettré.

Unter den Linden 71, im Hofe eines alten Berliner Hauses, ist seine Werkstatt aufgetan. Efeu klettert an den Hauswänden, und »von Tür zu Türe sieht es lieblich aus«. Ein Bild von Stille und Einkehr, doch in den altmodischen Frieden dröhnt hinein, befremdlich, das Rattern der Automobile. Eine Garage hat sich gerade diesen Jettchen Gebert-Winkel ausgesucht. Und nun schwirren durch die sinnende Heimlichkeit des beschaulichen Ortes abgerissene Takte vom heftigen und energischen Rhythmus der neuen technischen Zeit.

Es kommt daraus ein Eindruck, dem man sich nicht entziehen kann, und wenn man dann am breiten über Eck gestellten Parterrefenster, am Werktisch des Meisters Emil Lettré sitzt und die Augen zwischen seinem Gerät und Schmuck und jenem Idyllenhof da draußen mit seinen modernen Dämonen wandern läßt, dann fühlt man sinnvollen Zusammenhang … ein Gerhart Hauptmannvers klingt dämmernd auf:

In das alte Haus berufen,
tret' ich her, ein Alt' und Neuer.

Ein Alt' und Neuer, das ist Lettré in dem Sinne, wie Morris, wie Messel und Ludwig Hoffmann Alt' und Neue sind. Lebendige Geister, die Großtradition und Kulturauslese mit fruchtbaren Händen anrühren, so daß sich ein Gebild gestaltet in organisch zeugender Metamorphose, das die Zeichen edler Ahnen an der Stirne trägt ohne die Spur antiquarischer Maskerade, und nah' und gegenwärtig uns anspricht.

Morris-Rasse ist in Lettré, weil ihn der strenge und eifrige Geist der altmeisterlichen Werkstatt ganz besitzt; ein Handwerker will er sein, und ihm ist dieses kräftige und von anschaulicher Existenz erfüllte Wort lieber als der schillernde, zweideutige Zwitterbegriff vom »Kunstgewerbe«.

Natürlich ist er aber ein künstlerischer Mensch, in seinem eigenpersönlichen Temperament, in seiner Art zu sehen, zu verknüpfen, in seiner reichen Resonanz des phantasievollen Erlebens, die schwingend widerhallt und der alles tönend und vertraulich redend wird. Die Sonntagskinder verstehen die Sprache der Tiere. Dieser Edelschmied versteht die Sprache der Metalle und der Steine, er lauscht ihnen Natur und Wesen ab, er drückt sie aus, und das lebendige Kleid, das er ihnen bildnerisch gibt, ist aus Hingabe erwachsene innere Form:

Was freut denn jeden? Blüh'n zu seh'n,
Das von innen schon gut gestaltet;
Außen mag's in Glätte, mag in Farben geh'n,
Es ist ihm schon voran gewaltet.

Emil Lettré ist ein Franke, etwas Rustikales, Freiwüchsiges weht um ihn; ich mußte an Robert Walsers, des Dichters, Menschen denken, die robusten Wanderburschen mit trotzigen Bauernschädeln, die dabei – ohne Empfindelei – so sensibel mit allen ihren Sinnen reagieren, die voll »innerer Figur« sind, und unersättlich im Einschlucken der Welt …

 

Morris-Stoffe bedecken Wand und Boden, und wie ein Wahrzeichen hängt neben dem Werktisch ein Abbild des Sebaldusgrabs, eines Muster- und Meistermals gebändigter Fülle und deutscher Art und Kunst. Aus solchem Geist wächst Lettrés schöpferisches Streben.

Es ist erfreulich, daß dies Studio über den intimen Zusammenhang mit den verstehenden Wenigen hinaus auch die Fühlung mit einem kaufkräftigen Kreis gewonnen hat, ja sogar, wohl durch Wegbahnung Messels und Hoffmanns, mit dem offiziellen Reich. Die preußischen Städte gaben den Auftrag für ihr Hochzeitsgeschenk an das kronprinzliche Paar, ein Silberservice, nicht einer »leistungsfähigen« Hoflieferantenfirma, sondern diesem mit seinen Gesellen still und unauffällig für sich arbeitenden Meister. Dies Kronprinzen-Silber zeigt die Lettrésche Handschrift gut. Es beweist den wahren Sinn für die natürliche Schönheit des Stoffes und die feinfingerige Kunst, diese Schönheit aus ihm herauszulocken und ins rechte Licht zu setzen. Er wählt das Silber hochhaltig (nicht den gewöhnlichen deutschen Grad von 800, sondern 925), er nimmt aber die Dimensionen der Wandungen seiner Gefäße dünn, so dünn, als es die Stabilität erlaubt. Dadurch wird die Fläche zu einem bewegteren schwingenden Leben fähig. Das Leben kommt aus dem Hammerschlag. Lettré läßt den Hammer leicht über das Silber tanzen, unter dieser rhythmischen Behandlung streckt und dehnt es sich in nervigen Vibrationen. Man empfindet solch eine Fläche wie eine Haut; etwas Eratmendes, Auf- und Abwallendes hat sie und organische Struktur. Und wie edle Keramik ist sie nicht nur für das fühlende Auge, sondern auch für die sehende Hand ein Genuß; caressant à toucher …

So steht eine Terrine da, großzügig im Bau, weich-wölbig in ihrem Rundkörper, schwellend von Form und wieder maßvoll beschwichtigt. Warmer, mattblanker Ton – nicht der kalte Polierglanz – liegt darüber, und das Licht wird davon aufgesogen und spielt wechselnd auf und nieder.

Der Deckel der Terrine hat etwa die Gestalt eines flachliegenden abgetreppten Buckelschildes, seine Knopfspitze bildet den Griff, und das Ganze, zusammen mit wuchtig erwachsenen, nicht angesetzten Handhaben, ist ein Stück Silber-Architektur.

Großzügig sind auch die Platten. Ihr Spiegel, glatt und schmucklos, leuchtet in der eigenen schimmrig-grauen Silber-Atmosphäre, die Griffe daran sind im Empire-Anklang als Palmetten gebildet, doch nicht allein des Stilmotivs wegen, sondern körperhaft-konstruktiv sind sie gefügt. Klammernd packt ihr Schaft den Rand des Brettes, und die sich verbreiternde Fächerblattform betont das sichere Ruhen auf der tragenden Hand. Eine Zweckfunktion findet so zwanglos ihren schmuckhaften Ausdruck.

Solche reine, unredselige Schönheit hat auch ein silberner Brotkorb, der wannenartig komponiert ist; in weichen, kurvigen Linien steigt und fällt sein Rand von dem mit leichtem Ornamentakzent betonten Mittelscheitelpunkt der Seitenflächen an: »und strömt und ruht …«

Dosen werden auf den schmiegsamen Übergang vom Dach zum Rand hin entworfen, und mit feinen geperlten Linien wird ein Abschlußkreis gezogen.

Salzfässer erscheinen als Kelche auf Trägern, die die Ausladungs-Voute einer Tubamündung zeigen, was dem Material Spielraum zum Ausleben seiner Tonwerte gibt. Ein anderes Mal wird Keramik zu Hilfe genommen. Ein türkisfarbiger Napf ruht in einem Silberstand, dessen Borte durchbrochen ist. Durch diese Filigranmaschen schimmert nun das Blau gleich einer Emailfüllung.

Die Handschrift voll diskreter Schmuckwirkung läßt sich auch noch gut an einer Büchse mit konkav ausgeschwungenem Deckel demonstrieren.

Die Wände sind glatt, am Verschlußrand zieht sich ein delikater Zierrand in Corbeille-Musterung, darüber kommt in dünnem Streif als mattgelbe Bandschnur die vergoldete Innenseite hervor und darauf sitzt dann der Deckel. Seine Oberseite hat ein figürliches Ornament, einen fliegenden Amor mit Köcher. Aber das ist taktvoll und sicher als reiner Flächendekor gehalten. Im leichten, auftauchenden Relief guter Plakettenmodellierung schwingt es im Silbergrunde, und in gewissem Grade ist es den zart angedeuteten Reliefvignetten in Stein an Messelschen Bauten verwandt.

Man denkt manchesmal bei Lettré an die Gefäße der englischen Guilds, an Ashbee, z. B. bei den wuchtigen zylindrischen Pokalen, die auf schweren Kugelfüßen ruhen. Ebenso gut kann man auch an die wikingerhaften, alten Silberschaugefäße Skandinaviens, Hollands und der reichen alten Bauernhäuser Süd- und Niederdeutschlands denken. Es handelt sich eben um keine Anlehnung; Ashbee, ebenfalls in Morris wurzelnd, geht wie Lettré auf die kraftvolle und materialfrohe Sprache der Volkskunst zurück, ebenso wie das moderne, gute Landhaus in England wie in Deutschland seine Lehre von der zweifellosen und sicheren Wesentlichkeit des alten Bauernhauses empfing.

 

Emil Lettré ist freilich nicht nur, wie es aus der Charakteristik dieser mir freilich besonders sympathischen Arbeiten scheinen könnte, ein puritanischer Material- und Zweckästhetiker. Er kennt Beherrschung und Maß, er weiß sich zurückzuhalten. In tiefster Seele aber brennt ihm leidenschaftliche Schmuckfreude. Und das Wort »Genug ist nicht genug« steht unsichtbar über seiner Tür. Das phantasievolle, pomphafte Gerät alter Ratspaläste hat es ihm angetan, er möchte verschwenden und Fülle ausstreuen, strahlende, jauchzende Kostbarkeiten schaffen. An den Entwürfen seiner Mappen kann man das erkennen. Sie haben schon im Strich, in der Handschrift die Ziselierlust luxuriöser antiker Ornamentstiche. Ein Spiegel ist mit so zärtlichem Raffinement, mit einem so sinnlichen Geschmack für die Dämonien schwelgerischen Zierrats geträumt, daß er in Aubrey Beardsleys Reich gehört, wie auch einige märchenhafte Salambo-Kämme.

Und ein Ratspokal mit eingelassenen Münzen, von kantig vieleckiger Form und einem Deckelaufsatz aus Glocken sich aufbauend, ist ein Monument.

Die Stadt, der dieser Entwurf angeboten wurde, zog es vor, statt dieses Monumentes sich lieber ein Kriegerdenkmal bauen zu lassen.

Ausdrucksstark und voll Charakter ist der Schmuck Lettrés.

Er schmiedet Ringe, die wie altmeisterliche Reifen wirklich die Würde des Bindens und Schließens verwalten. Oft sind sie ohne erhöhenden Steinschmuck, streng und rein aus dem Material und aus der organisch gegebenen Bewegungsfunktion empfunden: als ein verschleiftes Flechtwerk von gewundenen Golddrahtfäden oder als breites Rundband, auf dem sich ein Fries verästeten Blattwerks herumzieht. Der Edelschmied liebt aber auch das Edelgestein, und wie alle künstlerisch Empfindenden liebt er mehr die Halbedelsteine als die Juwelier-Solitäre. Er sammelt die graubläulichen Mondsteine, die Aquamarine von der Farbe hellgrüner Bergseen, die Opale voll Meerleuchten und aller Wunder der Tiefsee, die Chrysoprase im Schimmer der Frühlingswiese, die geheimnisvollen Matrixtürkisen, deren Blau mit runenhaften Charakteren durchadert ist, die gewölbten Perlmutterschalen im Silberhauch des Clair de lune, die phantastisch geformten Barockperlen. Und den Diamant sucht er nicht in den neuesten Erscheinungen virtuoser Schliffertigkeit als renommistischen Scheinwerfer, sondern in der edlen, verhaltenen Schönheit des alten Tafelsteins.

Damit komponiert er nun Harmonien, Stilleben aus Steinen in metallenem Rahmen. Oft wird mit feinem Takt ein Schmuckzierrat aus einer alten Schatztruhe einbezogen, eine in Stein geschnittene Kleinskulptur; oder es hängt eine ovale Moosachatplatte, wie sie die empfindsame Zeit liebte, mit zierlich-zärtlichem Haargezweig an dünner, jüngferlicher Halskette.

Wie ein römischer Familienring in oval gedrückter Rundung ballt sich ein Reif, er verdickt sich oben zu einem üppig ziselierten Bügel, und eingebettet sind in diesen goldenen Höhenzug wie Wasserspiegel der Berge drei Smaragde.

Der alles dieses meistert, hat in seinem Wesen gar nichts Künstlich-Artistisches. Er ist eine Natur. Und als er mir seine Arbeiten gezeigt hatte, interessierte ihn eigentlich am meisten, daß heute abend der Mann käme, der ihm den stichelhaarigen Terrier bringen würde. Und dabei fallen einem unabweisbar wieder Goethische Künstlerverse ein:

Und wie muß dir werden, wenn du fühlest,
Daß du alles in dir selbst erzielest,
Freude hast an deiner Frau und Hunden,
Als noch keiner in Elysium gefunden,
Als er da mit Schatten lieblich schweifte
Und an goldene Gottgestalten streifte.
Nicht in Rom, in Magna Graecia,
Dir im Herzen ist die Wonne da,
Wer mit seiner Mutter, der Natur, sich hält,
Find't im Stengelglas wohl eine Welt.


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